Kapitel acht

Es war ein kleinlauter Zug, der da aus Poitiers aufbrach, um seine Reise fortzusetzen. Für Joanna und ihre Hofdamen, ihre Ritter, Bischöfe und die Dienerschaft kam es der Vertreibung aus dem Garten Eden gleich, auch wenn Richard und seine Ritter sie den Rest des Weges nach Sizilien begleiten würden.

Für Adelia war es besonders schlimm, nicht weil sie Poitiers hinter sich lassen musste, sondern weil sie eine Tote im Stich ließ. Bei Brunes Beerdigung hatten alle einen Sarg gesehen, der in die Erde des Friedhofs gesenkt wurde, Adelias sah wieder und wieder eine Frau, die ermordet wurde, und sie duckte sich vor dem Schrei der Wäscherin, der ihr in den Ohren klang: Verräterin! So laut war er, dass er die Stimmen Mansurs und Rowleys übertönte und sie die beiden kaum verstehen konnte. Sie wollte es auch nicht.

Und so waren ihr auch nicht die Blicke aufgefallen, einige ängstlich, andere anklagend, die sich während der Andacht auf sie und Mansur richteten. Ganz allein für sich hatten sie beide dagestanden.

Aber während sich die königliche Prozession unter einem kristallklaren Himmel am schönsten aller Flüsse, der Vienne, dahinbewegte, begann sich die allgemeine Laune langsam wieder zu heben. Otter glitten ins Wasser und zeichneten sich ausweitende umgedrehte Vs in seine Oberfläche. Fischreiher standen reglos da, hoch aufgerichtete Skulpturen, und warteten auf den richtigen Moment, um eine ahnungslose geschmeidige Forelle zu erhaschen. Und über ihnen flogen Kraniche in ihre südlichen Winterquartiere und achteten nicht weiter auf den unter ihnen dahinrumpelnden Zug aus Mensch und Tier.

Nein, »dahinrumpelnd« war nicht das richtige Wort. Herzog Richard legte ein flottes Tempo vor, und da es ein so schöner, trockener Tag war, hatten die Prinzessin und ihre Hofdamen die Kutsche verlassen und ritten neben ihm, umgeben von der leuchtend bunten Gruppe seiner Ritter. Glöckchen klingelten an den Halftern, es wurde gesungen und gelacht, und die Rufe ließen heiser schreiende Krähen aus den Ulmen auffliegen.

Selbst der Bischof von Winchester, der auf einem Pferd ritt, das eigentlich zu groß für ihn war, schien zu lächeln.

Adelia ritt allein. Sie wollte nicht mit den einzigen zwei Männern reden, die sich mit ihr unterhalten hätten, war sie doch immer noch wütend auf sie.

Wie zu erwarten, hatte Sir Guillaume sein Pferd in ihre Nähe gelenkt und sang für sie.

»Ich bin mit meiner Schönen zwischen den Blumen,

bis die Wache vom Turm ruft: ›Liebende, erhebt euch!‹,

und ich sehe Sonne und Tag heraufziehen.«

»Oh, seid endlich still!«, rief sie und ließ sich zurückfallen, um neben Ulf zu reiten, ihrem Ersatz für Gyltha, dem Einzigen außer Gott, dem sie ihr Herz ausschütten konnte.

Er hatte kein Verständnis für sie. »Die beiden haben recht«, sagte er über Mansur und Rowley.

»Im Namen alles Heiligen, mein Junge, wie können sie recht haben? Sie sind der Grund, dass ich mich an allem versündigt habe, woran ich glaube. Sie schneiden mir die Zunge heraus. Sie lassen mich meine Pflicht den Toten gegenüber vernachlässigen.«

Ulf blieb ungerührt. »Mir scheint, Eure Pflicht besteht dem König gegenüber, seine Tochter sicher ans Ziel zu bringen. Dazu habt Ihr Euch verpflichtet, oder etwa nicht?«

»Ich hätte auf Joanna achten und dennoch tun können, was ich hätte tun sollen.«

»Nein, das ginge verdammt noch mal nicht. Es wird schon genug geredet. Ihr solltet vorsichtig sein. Wenn Ihr dem alten Besen gegenüber Eure Pflicht getan hättet, wie Ihr es nennt, hättet Ihr noch mehr Aufmerksamkeit auf Euch gezogen als sowieso schon.« Er legte die Stirn in Falten. Genau wie Mansur hatte er Dinge gehört, von denen Adelia nichts wusste. »Viele haben Angst vor Euch und würden Euch gerne zurücklassen oder was Schlimmes antun. Es gibt sogar welche, die Euch die Schuld geben, dass Henry, der Jüngere nicht mit uns gekommen ist. Stimmt’s, Boggart?«

Er sprach Englisch, und Boggart, die sich auf ihrem Maultier zu ihnen gesellt hatte, sagte: »Ich glaube, Mistress, dass es so iss. Da gibt’s welche, die sagen, Ihr habt Macht.«

»Irgendwer hat schon Macht«, sagte Ulf. »Und ich glaube, dieser Irgendwer hat’s auf Euch abgesehen. Erst hat er das verfluchte Pferd vergiftet und dann die alte Brune ertränkt, und das alles, damit Ihr schlecht dasteht.« Plötzlich kam ihm eine Idee: »Und wahrscheinlich hat deshalb auch der gute Sir Nicholas seinen Speer abgekriegt.«

»Gott noch mal«, sagte Adelia matt, »das ist doch Unsinn!«

»Da wär ich nicht so sicher. Habt Ihr einen Feind unter den Leuten? Habt Ihr in letzter Zeit einem was angetan?«

»Ich habe Brune im Stich gelassen.«

Die drei ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, wobei die beiden Maultiere immer wieder davon abgehalten werden mussten, Adelias Palomino-Zelter, einem kleinen goldbestäubten Pferd mit flachsblonder Mähne und ebensolchem Schweif, ein Stück aus dem Fell zu beißen, als verübelten sie ihm seine Schönheit. Rowley hatte ihn ihr heimlich in Poitiers gekauft und im Gedenken an die Stunden im staubigen Bett dort Hatschi genannt.

Der Name hatte Adelia lachen lassen, und tat es immer noch, gegen ihren Willen. Es war ja auch wirklich ein herrlicher Tag, und Ulf erinnerte sie mit seiner Trotzigkeit ungeheuer an ihre Großmutter.

Allmählich auch wieder besserer Laune, wechselte sie das Thema: »Ich habe dir nie erzählt, wie ich Excalibur gefunden habe, oder?«

»Ich hab’ Euch seitdem nicht gesehen.«

Sie erzählte ihm von der Entdeckung der kleinen Höhle auf dem Glastonbury Tor, dem Skelett darin und der unansehnlichen Waffe mit der matten Patina, die ihre Tochter aus dem Tümpel der Höhle gefischt hatte. Wie sie das Schwert Emmas Rötger gegeben hatte, und wie beim Polieren Artus’ Name in der Blutrinne aufgeschienen war. Und wie Rötger, der gute Mann, zurückgeschreckt war und sie es am Ende König Henry übergeben hatte.

Durch Ulfs Fragen gelangte die Geschichte schließlich unvermeidlich – sie hätte gar nicht erst davon anfangen dürfen – in die Düsternis der Waldlichtung und zu den Geschehnissen dort.

»Und ihr, du, Mansur und Rowley«, endete sie, »tut im Moment alles dafür, dass ich mir unsinnige Dinge einbilde. Gestern Abend habe ich sogar geglaubt, Scarry am Würfeltisch zu hören. Also hört bitte allesamt auf …«

Aber Ulf hatte seinem Maultier bereits die Fersen in die Seiten gestoßen und ritt an die Spitze des Zuges, wobei das Kreuz wild gegen seinen Sattel schlug.

Minuten später waren zwei Pferde neben Adelia, auf dem einen saß der Bischof von St. Albans, auf dem anderen Captain Bolt. Rowley war wütend. »Du hast Scarrys Stimme gehört und mir nichts davon gesagt?«

»Ich habe mir eingebildet eine Stimme zu hören, die wie die von Scarry klang«, erklärte Adelia ihm. »Mach deswegen kein großes Getue.«

»Hast du nicht versucht herauszufinden, ob er es tatsächlich war?«

»Bitte, nicht schon wieder! Ich glaube nicht, dass er in Somerset war, und ganz sicher nicht, dass er hier ist. Wie sollte sich ein Gesetzloser in den Zug der Prinzessin einschleichen?«

Rowley wandte sich an Bolt. »Habt Ihr alle Mörder im Blutwald erwischt und an die Bäume gehängt, Captain?«

»Gedacht hab’ ich das schon«, sagte Bolt. »So viele wir in die Finger kriegen konnten.«

»Siehst du?« Der Bischof beugte sich zu Adelia hinüber, nahm die Zügel ihres Pferdes und brachte es zum Stehen. »Will und Alf hatten recht. Scarry kann entwischt sein. Wie sah er aus, dieser Würfelspieler?«

»Ich weiß es nicht, ich habe nicht versucht, ihn zu erkennen.«

»Wie hat Scarry ausgesehen?«

»Woher soll ich das wissen«, fuhr sie ihn an. »Er war … er und Wolf waren wie aus einem Alptraum … in Blätter gehüllt, und es war finster … Sie hatten sich die Gesichter angemalt.«

»Denke nach!«

Sie wollte nicht. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich glaubt, er war gebildet. Er sprach Latein.« Sie hörte die Klage des Mannes, als er seinen toten Geliebten im Arm gehalten hatte, in ihrem Kopf widerhallen. »Komm zurück, Lupus! Te amo! Te amo!«

Rowley nickte. »Gebildet. Was noch? Wie alt? Wie groß?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.« Die beiden Männer waren Wesen aus einer anderen Zeit gewesen, groß wie Bäume. »Das ist alles Unsinn, Rowley. Er kann nicht hier sein. Wie sollte er das?«

»Denke nach, bitte.«

Sie versuchte es. »Also … oh ja, er war dunkel. Ich erinnere mich an seine Arme, schwarze Haare … Aber das mag auch ein Schatten gewesen sein.«

»Dunkel«, sagte Rowley. »Wie hilfreich.« Dennoch begannen er, Bolt und Ulf die schwarzhaarigen Männer der Reisegesellschaft aufzulisten: Vater Guy, Vater Adalburt, Ritter, Knappen, dunkle Bedienstete, Männer von Captain Bolt, Bolt selbst, Rankin, den Schotten, den jungen Locusta, O’Donnell … Es ging immer weiter.

»Und jeder einzelne von ihnen hätte bei den Würflern dabei sein können«, sagte Rowley. »Was für ein bunter Haufen!«

»Ach, hört schon auf!«, sagte Adelia. Es war schwer genug zu glauben, dass es der Scarry gewesen war, der ihr in Somerset nachgestellt hatte. Sich aber vorzustellen, dass es ein bemalter Gesetzloser in Joannas Tross geschafft und mit ihr über den Kanal gekommen war, schien unmöglich, so gut er auch Latein gekonnt haben mochte.

Sie weigerte sich, weiter darüber nachzudenken.

 

Noch eine halbe Meile von der Spitze des Zugs entfernt war zu erkennen, dass vorne etwas nicht stimmte, und Adelia und Mansur versetzten ihre Pferde in einen kurzen Galopp, um zu sehen, was es gab. Joanna und ihre Oberen standen um eine Gestalt versammelt, die sie alle überragte.

Herzog Richard trug ein schimmerndes Kettenhemd, unter dem Arm hielt er seinen Helm mit der goldenen Herzogskrone. Sein Ausdruck war gefasst und würdevoll, und er achtete nicht weiter auf den verstört wirkenden Captain Bolt und den Bischof von Winchester.

Rowley löste sich aus der Gruppe und kam zu Mansur und Adelia. »Richard verlässt uns«, sagte er bitter auf Arabisch.

»Wohin will er?«

»In den Krieg.«

»Das kann er nicht.«

»Ich denke, er muss. Gerade ist ein Bote gekommen: Angoulême revoltiert. Das kann der Herzog nicht erlauben, wenn es letztlich auch sein Fehler ist, dass sich die verdammte Provinz gegen ihn erhebt.«

Angoulême. Angoulême. Soweit sich Adelia an Locustas Karte erinnerte, lag die Provinz südlich von ihnen. »Müssen wir also zurück? Oh Gott, Rowley, wie lange wird uns der Krieg aufhalten?«

»Wir umgehen ihn. Wir können nicht noch mehr Zeit verlieren, und der Herzog ist überzeugt, Vulgrin von Angoulême innerhalb von Tagen schlagen zu können. Er hat Verstärkung angefordert.«

»Und? Kann er ihn schlagen?«

»Oh, ja. Richard ist ein ausgezeichneter Feldherr, ob ich ihn nun mag oder nicht. Wenn ich Graf Vulgrin wäre, würde ich die Beine in die Hand nehmen.«

Adelia sah zu Joanna hinüber. »Die Ärmste«, sagte sie.

»Es trifft vor allem Locusta, der ist den Tränen nahe. Wir werden von seiner so ausgeklügelten Route abweichen, und er muss alles neu arrangieren, was in der Gegend, durch die wir ziehen werden, nicht einfach ist.«

Adelias Mitgefühl galt dennoch vor allem der Prinzessin, die erst von dem einen und jetzt auch noch von ihrem anderen Bruder verlassen wurde.

Joanna schien jedoch eher besorgt als alarmiert.

Sie ist es gewohnt, dachte Adelia. Ihr ganzes junges Leben lang hatte sie ihren Eltern dabei zugesehen, wie sie irgendwo in ihrem Reich Aufstände niederschlugen, und sogar miterlebt, wie sich ihre Mutter und ihre Brüder gegen ihren Vater erhoben. Ihre Welt war eine Welt des Krieges: Aufstände und Gefechte gehörten für sie zur natürlichen Ordnung der Dinge. Und das taten sie auch, nur in England und Sizilien nicht.

Die Ritter und ihre Knappen mussten sofort los. In einer improvisierte Messe unter den Zweigen einer Kastanie wurde der Segen Gottes und ein schnelles Ende des Krieges erbeten.

Sorgenschwer stolperte der Bischof von Winchester durch die Liturgie, während Herzog Richard keinerlei Zeichen von Rastlosigkeit erkennen ließ, wie es sein ungeduldiger Vater getan hätte. Er verschlang die Gebete, Lob und Segen förmlich. Gottes Wohlwollen bedeute ihm viel.

Nachdem mehr als zweihundert Kehlen das letzte Amen durch den Wald hatten schallen lassen, erhob er sich und ging zur immer noch knienden Joanna hinüber. »Ich überlasse dich der Obhut Gottes und des guten Captain Bolt, königliche Schwester. Unser Feind wird unterworfen, und du und ich werden uns in Saint-Gilles wiedersehen, wenn nicht schon früher. Mögen die Heiligen freundlich auf uns niedersehen.« Er zog sein Schwert und reckt es in die Höhe. »Für Jesus Christus!«

»Für Jesus Christus«, wiederholten seine Männer.

Er ist großartig, dachte Adelia, aber sein Element ist die Schlacht. Gott bewahre uns vor ihm.

Ein Ritter in voller Rüstung kam zu ihr geritten. Der Helm mit dem Nasenschutz machte ihn wie all die anderen unkenntlich. Aber seine Stimme war ihr vertraut, auch wenn die Verse, die er sang, hässlich waren.

»Streitkolben und Schwerte, Helme verschiedener Wappenfarben,

Schilder zerrissen und zerschlagen im Kampf,

die Rösser der Toten und Verwundeten liefen ziellos umher,

Männer, groß und klein, taumelten in die Gräben,

Tote mit Lanzenstäben in ihren Rippen …«

Sein Kettenhemd rasselte, als Sir Guillaume von seinem Pferd stieg, den Helm abnahm und unter den Arm klemmte. »Ich ziehe in den Krieg, meine Dame, aber mein Herz lasse ich bei Euch. Ich bitte um ein Andenken, das mit mir begraben werden soll, falls ich sterbe.«

Oh, du junger Idiot. Ihr Herz flog ihm zu, sein Gesicht strahlte vor Erregung. Dass er einer von denen im Graben mit einer Lanze in der Brust werden könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Er sah nur den Ruhm und das Geld. Geiseln und Beute konnten auch einen unerfahrenen Ritter reich machen. Wenn er überlebte.

»Oh, meine Dame, Euer sanftes Frauenherz erzittert bei dem Gedanken an Krieg, ganz wie es sollte, doch wie könnte ich mich Eurer als wert erweisen, wenn nicht durch Tapferkeit im Gefecht? Das Wiehern feuriger Pferde, das Krachen von Stahl, der Ruf der Schlacht … ein Andenken erbitte ich.«

Sie gab ihm das letzte von Emmas Tüchern, das sie hinter ihren Gürtel gesteckte hatte. Alle anderen waren für Verbände gebraucht worden. »Gott schütze Euch, Sir Guillaume!«, sagte sie und meinte es auch so. Er war noch so jung.

Sie sah ihn glücklich davonsprengen, hinter den anderen Rittern her. Das feine Tuch band er sich um den Arm.

 

Um nicht direkt in die Auseinandersetzungen zu geraten, wandte der Zug sich nach Südosten in, was den armen Locusta betraf, unerkundetes Gelände, eine wildere Landschaft mit steileren, baumbewachsenen Erhebungen und tieferen, schneller fließenden Flüssen.

Es war auch einsamer.

Captain Bolt gefiel das alles gar nicht, und er verdoppelte die Anzahl seiner Vorreiter. »Angenommen, der Bursche aus Angu… Anglême lässt sich nicht vertreiben. Angenommen, er weicht aus Die Prinzessin wäre eine wertvolle Geisel, von den Schatzkisten gar nicht zu reden. Und genug Männer, um eine ganze Armee aufzuhalten, habe ich nicht.«

Seine Nervosität steckt den ganzen Zug an. Köche ritten mit Röstspießen in den Hand, Wäscherinnen hielten ihre Waschstöcke hoch, und der mürrische Hufschmied hatte seinen Furcht einflößenden Hammer griffbereit. Die Bogenschützen ritten mit den Bogen vor sich auf dem Sattel, den Köcher auf dem Rücken, und Captain Bolt konzentrierte seine Männer um die Kutsche der Prinzessin und die Kisten mit ihren Kostbarkeiten.

Ulf sorgte sich um den Inhalt seines Kreuzes und fügte seiner Ausrüstung einen Speer hinzu, den er sich von den mit Waffen beladenen Maultieren holte. »Wer immer mir Ihr-wisst-schon-was abnehmen will, kriegt eins verpasst.«

»Ich glaube, die Gefahr dafür war größer, als Richard noch bei uns war«, sagte Adelia.

»Wegen seines Kreuzzuges?«

Sie nickte. Es gab kein Land auf dem Kontinent, dass nicht seine eigene Version der Artus-Legende hatte. Excalibur, die mächtigste der mythischen Waffen, in Händen zu halten, würde Richard mit dem Symbol der Führerschaft auszeichnen, vor allen anderen christlichen Rittern, die ins Heilige Land zogen. Es war fast so mächtig wie das Kreuz im Kampf gegen die schwarze Al-Uqaab-Flagge Mohammeds.

Ulf spuckte aus. »Nun, er wird es nicht bekommen, und auch sonst niemand. Der König und Prior Geoffrey haben gesagt, ich soll es nach Sizilien bringen, und nach Sizilien kommt es auch.«

Locusta ritt voraus und tat sein Bestes. In einer Landschaft ohne alle Schilder suchte er nach einer Unterkunft, fand manchmal eine, manchmal auch nicht.

Zweimal mussten sie die Nacht unter freiem Himmel verbringen und sich mit den Pavillons und Zelten, die sie mit sich führten, eine kleine Stadt aus Stoff aufbauen. Ihre Laternen und Feuer war die einzigen Lichtpunkte in der Dunkelheit, und sie hörten Eulen rufen und Füchse bellen.

Es gab nur wenige, winzige Dörfer, sämtlich hoch gelegen und weit weg von der Straße, die so leer war, als hätten die wenigen Bewohner des Landes die sicher immer noch eindrucksvolle Prozession gesehen und sich vor ihr versteckt, wie Blumen, die sich bei Einbruch der Nacht verschlossen.

Aus gutem Grund. Da die Furiere die gesamte Reisegesellschaft zu versorgen hatten, fielen sie wie Wölfe über jedes einzelne Schaf her, das sie zu Gesicht bekamen, und requirierten es im Namen König Henrys, um es abends über dem Feuer zu braten.

Zum Glück meinte es das Wetter gut mit ihnen. Tagsüber zogen sie unter einem klaren, vergissmeinnichtblauen Himmel dahin, und es gab noch Haselnüsse und späte Brombeeren in den Hecken. Männer und Frauen scherten aus dem Zug aus, um sie zu sammeln, und kamen anschließend schnell zurück. Die Stille, in der nur Vögel zwitscherten, machte sie ängstlich und nervös.

Sie waren jetzt im Zentralmassiv. Die Reiter mussten absteigen, und die Maultiertreiber stießen wilde Flüche aus, um ihre Tiere die immer noch steileren Hänge hinaufzubekommen und auf der anderen Seite wieder hinunterzuführen.

Das alles kostete Zeit. Viel Zeit. Manchmal kamen sie an einem Tag kaum zehn Meilen voran. Adelia war zwischendurch den Tränen nahe und dachte fortwährend an Allie: Ich will hier nicht sein. Ich will zu dir.

 

Am Fluss Lot hielten sie nach einer Fähre Ausschau, die sie ans andere Ufer bringen würde. Es gab aber keine.

»Was soll das heißen, niedergebrannt?«, fuhr Locusta den Fährmann an, der am ehemaligen Anleger stand.

»Ich meine, dass Lord Angoulême sie angesteckt hat«, sagte der Mann matt. »Vor drei Tagen war das. Weil er den Herzog aufhalten wollte, der hinter ihm her ist. Wovon ich verdammt leben soll, daran denkt keiner von denen.«

»Wo können wir andere Boote finden?«

»Gibt’s nicht. Lord Angoulême hat alle verbrannt.«

Es war offensichtlich. Der breite Fluss, der voller Schiffsverkehr sein sollte, war völlig leer, und die Luft roch nach Asche.

»Was können wir tun?«

Dem Fährmann war es egal. Seine Fähre war zerstört, und er hatte kein Auskommen, bis eine neue gebaut werden konnte … »immer angenommen, die Dreckskerle kommen nicht zurück und stecken auch die wieder an.«

Er spuckte aus und zeigte mit dem Daumen flussabwärts. »Lord Richard ist da runter. Ihr zieht besser nach Osten sucht da nach einer Möglichkeit. Soweit ich weiß, hat es dort keine Kämpfe gegeben. Zieht nach Figères. Ist die einzige größere Stadt in der Gegend. Figères.«

»Wie weit ist es bis dahin?«

»Zwei Tagesritte.« Er beschrieb ihm den Weg.

»Wenigstens liegt es im Osten«, sagte Locusta zum Bischof von St. Albans, als sie zum Zug zurückritten. »Wir sind immer noch viel zu weit westlich.«

»Ich weiß, aber wir können es nicht riskieren, die Prinzessin zu weit in der Route abzubringen.«

»Wieder eine Nacht unter freiem Himmel«, stöhnte Locusta, »und kein Bad. Mylord, ich wäre Euch ewig dankbar, wenn Ihr das den Hofdamen eröffnen könntet.«

»Das ist Eure Aufgabe«, erklärte ihm Rowley. »So mutig bin ich nicht.«

 

Der Weg nach Figères bedeutete eine lange Traverse durch die Berge. Dabei kamen sie durch das kleine Dorf Sept-Glane …

Es war ein winziger Flecken, und es hatte sich kaum gelohnt, ihn dem Boden gleichzumachen, aber er gehörte Vulgrin von Angoulême, und so hatte Herzog Richard ein Exempel statuiert.

Hütten und Felder waren nur noch Asche und Verwüstung. Auf den in Terrassenform angelegten Weiden begannen sich die toten Tiere aufzublähen. Die Männer waren verschleppt worden, zu welchem Zweck, wusste keiner. Weinende Frauen und Kinder scharrten in der geschwärzten Erde ihrer Felder nach essbaren Knollen.

Rowley befahl zu halten, um Geld und Essen zu verteilen, aber er wusste so gut wie die Opfer, dass Sept-Glane tot war.

 

Es war früh am nächsten Morgen nach einer weiteren Nacht in Zelten, als Ulf, der neben Adelia ritt, ihr plötzlich sein Kreuz in die Hand drückte, von seinem Maultier rutschte und sich den Bauch haltend im nächsten Wald verschwand, um sich zu übergeben.

Adelia gab das Kreuz an Mansur weiter und eilte ihm nach. Sie fand in auf der Erde kauernd. »Lasst mich!«, stöhnte er. »Ich sterbe.«

Sie lief zurück zu ihrem Pferd und holte ihre Arzttasche, während immer mehr Männer und Frauen wie Ulf unter die Bäume rannten.

Wenig später musste der Zug anhalten, so viele hatte es mittlerweile getroffen.

»Ihr müsst etwas finden, das wir als Krankenstation benutzen können«, sagte Adelia zu Locusta. »Und zwar schnell.«

»Hier?« Auf den mit Gestrüpp überzogenen Bergen ringsum waren nicht einmal Schafe zu sehen. Die Menschen hier nannten die Landschaft garrigue.

Adelia deutete auf einen Weg, der zu ihrer Rechten den Hang hinaufführte und sich irgendwann zwischen fernen Bäumen verlor, über denen eine dünne Rauchfahne aufstieg. »Vielleicht dort oben?«

Sie sah ihm nach, wie er den Pfad hinaufsprengte, und ging dann zur Notbesprechung der Bischöfe, Doktoren und Geistlichen, dem Iren O’Donnell und Captain Bolt, die sich mitten auf der steinigen Straße versammelt hatten.

Doktor Arnulf kreischte mit schriller Stimme: »Es ist die Pest! Die Prinzessin muss sofort weggebracht werden!«

Vater Adalburt ließ ein erschrecktes Quieken hören: »Die Pest?«

Adelia schüttelte den Kopf. Sie hatte sich unter den Bediensteten umgehört, den kranken wie den gesunden. Offenbar war ihnen gestern das Ale ausgegangen, und während auf den Feldern von Sept-Glane Almosen verteilt wurden, hatten sie an der Quelle dort ein Fass mit Wasser gefüllt.

»Mylord Mansur glaubt nicht, dass es die Pest ist«, meldete sich Adelia vorsichtig zu Wort und erklärte, was geschehen sein musste. »Nur diejenigen, die das Wasser getrunken haben, sind krank.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Lieber Gott«, sagte Rowley schließlich, »Richard hat die Quelle von Sept-Glane vergiftet.«

»Ich fürchte … Lord Mansur fürchtet, dass er genau das getan hat.«

Es war durchaus normal, den Feind während eines Krieges seines Wassers zu berauben, was den betroffenen Dörfern noch mehr Leiden brachte.

»Es ist die Pest«, wiederholte Doktor Arnulf. »Ich werde die Prinzessin und ihr Gefolge nach Figères bringen und ihr mein spezielles Mittel gegen eine Ansteckung verabreichen.«

Der Bischof von Winchester fiel auf die Knie. »Gott, Gott, wie nur haben wir Dich so erzürnt, dass Du immer weiteres Unglück über uns bringst?«

»Wie viele sind krank?«, wollte Rowley wissen.

»Vierunddreißig«, sagte Adelia, »aber Lord Mansur denkt, es werden nicht mehr werden. Der Rest von uns hat aus anderen Fässern getrunken.« Die Oberen hatten ihr eigenes, besseres Ale und sich deshalb nicht mit Wasser behelfen müssen. »Wenn nicht … Wenn auch wir von dem vergifteten Wasser getrunken hätten, würden wir alle Anzeichen des Ausflusses zeigen. Zum Glück ist die Prinzessin nicht betroffen.«

»Wir dürfen das Risiko nicht eingehen«, sagte Doktor Arnulf eilig. »Ich muss sie in Sicherheit bringen.«

»Lass ihn gehen, Rowley!«, sagte Adelia schnell auf Arabisch. »Er stände sowieso nur im Weg.«

»Du reitest mit ihm, das kann ich dir sagen.«

Ein Ausdruck, den Gyltha und Mansur nur zu gut kannten, breitete sich auf Adelias Gesicht aus und ließ es kantiger und schwerer erscheinen, ihr Bis-hierher-und-nicht-weiter-Ausdruck. »Ich bleibe bei meinen Patienten.« Sie betonte jedes einzelne Wort. Sie hatte Brune gegenüber ihre Pflicht verletzt, und sie würde diese Kranken jetzt nicht im Stich lassen.

Ihr Geliebter gab sich geschlagen.

Locusta kam herangaloppiert, mit einer jungen Frau hinter sich auf dem Pferd. Er keuchte. »Da oben … sind Nonnen. Zwei. Diese Lady hier ist Schwester Aelith, sie sagt … Es gibt einen unbenutzten Kuhstall …« Er half ihr vom Pferd.

Schwester Aelith machte einen Knicks und zuckte leicht zurück, als sie Mansur sah. Die muslimische Besetzung des Languedoc vor tausend Jahren hatte im Volk Erinnerungen hinterlassen, in denen das Wort »Sarazene« immer noch gleichbedeutend mit »Zerstörung« und »Untergang« war.

»Er ist Arzt«, erklärte ihr Locusta ungeduldig. »Sagt ihnen, was Ihr mir schon gesagt habt!«

Schwester Aelith machte einen zweiten Knicks. »Meine Mutter sagt, es tut ihr leid, von Eurer Not zu hören, und sie bietet Euch unseren alten Kuhstall für die Kranken an. Sie macht ihn gerade sauber.«

»Egal, was es ist, Rowley. Wir müssen diese Leute an einen Ort schaffen, wo ich sie behandeln kann.«

Es wurde schnell entschieden. Der Zustand der Kranken wurde immer erbärmlicher und gefährlicher.

Die Prinzessin und ihre Entourage, die Karren mit den Kostbarkeiten und die gesamte gesunde Dienerschaft sollte nach Figères weiterziehen. Doktor Arnulf konnte sie nicht schnell genug wegbekommen.

Rowley würde helfen, die Betroffenen in den Stall zu schaffen, und solange die Krankheit dauerte, die Verbindung nach Figères halten. Locusta wurde vorausgeschickt, um die Stadt auf das Kommen der Prinzessin vorzubereiten.

Zur Überraschung aller – und zu Adelias Missfalle – verkündete O’Donnell, auch er wolle bleiben. »Sicher braucht Lord Mansur noch ein paar Männerhände, und er bekommt vier, denn Deniz bleibt ebenfalls.«

Die Kranken mussten den Weg zu dem Stall hinauf, der ihr Spital sein sollte. Immer wieder mussten erbärmliche Pausen eingelegt werden, und sie ließen eine widerwärtige Spur hinter sich zurück.

Oben am Hügel stand ein für die Gegend typischer Kuhstall nur mit einer auf einer Seite halben Wand, damit Luft hineinkam. An einer Ecke war ein Teil der Wand eingebrochen, aber der Rest schien fest dazustehen. Neben dem Stall gab es einen kleinen Teich.

Als Adelia und ihre Patienten ankamen, war der fest gestampfte Lehmboden gefegt, und eine wie die jüngere Nonne in Schwarz gekleidete Frau stopfte Stroh in Säcke, um den Kranken ein Lager zu bereiten.

Sie kam ihnen entgegen. Sie war klein, hielt sich aufrecht und hatte schlaue dunkle Augen. Sie war zwar nicht alt, aber ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Es war das Gesicht einer Frau, die zu viel in der Sonne gewesen war.

Rowley verbeugte sich vor ihr, erklärte, wer sie waren und in welcher Notlage sie sich befanden. »Dürfen wir erfahren, wem wir unseren Dank schulden, Mutter …?«

»Schwester«, antwortete sie. Ihre Stimme war unerwartet tief und besaß die Herzlichkeit eines Schlages auf den Rücken. »Wir sind alle Brüder und Schwestern auf dieser Welt. Ich bin Schwester Ermengarde. Das ist meine Tochter in Gott, Aelith. Ihr braucht Hilfe? Großartig, Ihr habt sie gefunden. Eigentlich sind wir Wandernonnen, haben uns durch Seine Gnade aber für eine Weile hier niedergelassen, und da wir keine Kühe haben, steht Euch der Stall zur Verfügung. Im Übrigen habe ich schon in die nächstgelegenen Dörfer geschickt, um jeden verfügbaren Nachttopf aufzutreiben.«

Gott sei Dank, die Frau war praktisch veranlagt. Aber trotz aller Erleichterung musste Adelia einen Moment lang denken, dass an den beiden Nonnen etwas merkwürdig war. Ihren schwarzen Kutten nach zu urteilen, waren es Benediktinerinnen, doch sie trugen kein Skapulier, und ihre Schleier waren kaum mehr als Halstücher, die sie sich wie Bäuerinnen um den Kopf gebunden hatten.

Wahrscheinlich hatten sie das Leben in Gott gewählt, waren von ihrem Bischof aber noch nicht offiziell in einen Orden aufgenommen worden. Sonderbar nur, dass sie umherzogen … Für gewöhnlich blieben Nonnen, wohin man sie schickte.

Da war etwas Merkwürdiges an ihnen, etwas fehlte. Aber verdammt, was machte das schon? Sie kamen wie von Gott gesandt.

Adelias erste Sorge bestand darin, die Kranken von allem Erbrochenen und blutigen Durchfall zu reinigen. Sie mussten abgespült und ihre Kleider mussten verbrannt werden, bevor sie sich auf die sauberen Strohsäcke legten, wobei die Frauen von den Männern zu trennen waren. Adelias Erfahrung nach schwächte Scham die Aussicht eines Patienten auf Gesundung.

»Decken brauchen wir«, sagte sie, »und zwar viele. Mylord Bischof, wenn Ihr dem Zug hinterherreiten und einige herbringen könntet …?«

Rowley war schon einen Moment später unterwegs.

»… und Feuer. Admiral, wenn Ihr und Deniz anfangen würdet, Holz zu sammeln?« Sie verbeugte sich vor der älteren Nonne. »Schwester, ich spreche für Mylord Mansur, er ist unser Doktor …«, und sie listete ihr auf, was sie brauchte.

Innerhalb von Minuten hatte Schwester Ermengarde sämtliche Decken und Laken geholt, die sie hatte, dazu wurde eimerweise Wasser aus dem Brunnen des Konvents oben auf der Erhebung gebracht.

Captain Bolt ergriff Adelias Arm. »Ich und meine Männer, wir müssen die Prinzessin und ihre Mitgift begleiten, Mistress. Selbst dann noch sind sie schlecht geschützt …«

»Natürlich tut Ihr das, natürlich.«

»Aber ich bin so besorgt, Euch ohne Schutz hier zurückzulassen.«

Sie lächelte ihn an und deutete in die Landschaft rundum, in der sich bis auf ein paar Bussarde am Himmel nichts bewegte. »Wer sollte uns hier schon etwas antun?«

»Das stimmt. Es wird kaum einer wissen, dass Ihr hier seid. Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl. Das ist kein rechtschaffenes Land hier, es hat Böses in den Knochen, denke ich.«

»Uns geschieht schon nichts, Captain.«

Er nickte. »Gott segne Euch, und Er erlöse meinen Schotten!« Rankin war unter den Kranken. Er gehörte zu denen, denen es am schlechtesten ging.

»Ich werde mein Bestes tun.«

Er küsste ihr die Hand. »Das tut Ihr immer.«

 

Auch Rowley gefiel es nicht, sie verlassen zu müssen, aber da der Bischof von Winchester wegen des neuerlichen Beweises für Gottes Missfallen dem Zusammenbruch nahe schien, war er der einzige Kirchenvertreter, auf den sich die Prinzessin noch stützen konnte. »Ich muss herausfinden, wo Richard sich befindet, und auch, wo wir hier eigentlich sind. Und ich muss nach Poitiers schicken, ob es Nachricht von König Henry gibt.«

»Geh!«, sagte Adelia. »Hier kannst du sowieso nichts tun. Ich habe genug Männer.«

Rowley blickte mit zusammengezogenen Brauen zu O’Donnell hinüber, der bereits die ersten Feuer entzündet hatte.

»Genau das macht mir Sorgen.«

Hinter der Scheune wurden die zitternden männlichen Patienten von Mansur und Schwester Ermengarde – Nonnen galten als geschlechtslos – abgespült, während Adelia und Schwester Aelith sich vorn in gleicher Weise um die ebenfalls zitternden Frauen kümmerten, die sich anschließend an den Feuern aufwärmten.

»Du hältst dich abseits, Boggart!« Adelia wollte das Mädchen und sein Baby keiner möglichen Ansteckung aussetzen.

Im Stall selbst hatte O’Donnell, der Deniz das Maultier abladen geschickt hatte, ein Schiffssegel an die Dachsparren gehängt, das als Trennwand zwischen Männern und Frauen dienen würde. Jetzt holte er die morschen Holzbalken aus der eingefallenen Ecke des Stalles, um sie durch neue zu ersetzen.

Als er Adelias Blick auffing, zog er die Kappe vom Kopf. »Mylady, ich bin Seemann und Ire. Ich kann alles.«

»Blutwurz«, sagte Adelia und wandte sich Schwester Ermengarde zu. »Wir brauchen Blutwurz, und zwar jede Menge.«

Mit Kellen und Körben gingen die beiden mit Boggart und Ward auf eine nahe Wiese und buddelten wie Dachse die Wurzelstämme des gelbblütigen Krauts aus dem Boden. Möglichst klein geschnitten und mit Wasser vermischt, waren sie das einzige stopfende Mittel, das einer Ruhr entgegenwirken mochte.

»Genau das hätte ich auch empfohlen«, sagte Schwester Ermengarde. »Und habt Ihr etwas Opium für die schlimmsten Fälle? Sehr gut, ausgezeichnet.«

Opium. Eine Moment lang starrte Adelia diese Christin an und schüttelte ihr dann herzlich die Hand.

 

Dass der Fährmann Figères eine Stadt genannt hatte war eine Übertreibung. Aber vielleicht war der Mann einfach noch nicht weiter herumgekommen. Der Ort bestand aus einem winzigen Kloster, einem Getreidespeicher und einer Wassermühle, ein paar zerfallenden, verwinkelten Gassen und einem zerfallenden leeren Château auf dem Hügel über dem Fluss. Und das alles, lag es doch immer noch in Aquitanien, wenn auch an seinem äußersten Ende, gehörte zum Herrschaftsbereich des Königs von England. Der Bischof von St. Albans und Captain Bolt stimmten darin überein, dass sie Prinzessin Joanna nicht noch weiter nach Süden bringen konnten, ohne vorher mit Herzog Richard in Kontakt getreten zu sein und in Erfahrung gebracht zu haben, wie es um ihn stand. Ihr Tross, nachdem sie die Kranken zurückgelassen hatten, umfasste kaum mehr neunzig Leute, und das waren zu wenige, um sich auf umkämpftes Territorium zu begeben.

Derlei Überlegungen im Kopf wendend, schickten sie Boten nach Norden, nach Périgueux und Poitiers, in die Zivilisation.

Alles, was sie jetzt noch tun konnten, war warten. Die Prinzessin wurde samt Gefolge und Mitgift, wenn auch wenig bequem, im Château untergebracht, und Captain Bolts Männer umgaben sie und die Schatzkisten mit einem Ring aus Zelten und Eisen.

Der Bischof von Winchester, seine Geistlichen und seine Dienerschaft drängten sich ins Kloster, dessen Prior Jakob sich zusammen mit einem einzigen Mönch mühsam von den Erzeugnissen der Erde ernährte. Hilflos musste der Prior zusehen, wie die Furiere der königlichen Reisegesellschaft seinen Speicher und seine Scheune inspizierten, die voll Sommerkorn und Heu waren, und erklärten, das würde die Pferde des Zuges mindestens zwei Wochen lang nähren.

Zum ersten Mal seit Wochen konnten die Prinzessin und ihr Gefolge an einem Ort versorgt werden und der Muße frönen. So jagten Joanna und die Hofdamen ihre Habichte auf die zahllosen über sie hinwegziehenden Gänse, und die Männer gingen jagen oder fischten in den reichen Strömungen des Lot. Und inmitten all dieses Tuns und Treibens konnte ein Einzelner durchaus unbemerkt für ein, zwei Tage verschwinden …

 

Scarry? Auch er hat eine Botschaft geschickt, eine geheime Botschaft, die ein wohl bestochener Diener mit sich trägt.

»Katharer«, frohlockt er. »Oh, Großes Wesen, Du hast Katharer zu Hilfe gerufen. Sie wurden geweissagt, denn wer, wenn nicht Du, hätte sie mir in den Weg gestellt – und mich in ihren? Es war Deine Hand, die meine geführt hat, als ich ihr kleines Kreuz nahm.«

Denn wenn Scarry dieses abgelegene Gebiet auch noch nicht bereist hat, so kennt er doch seinen Geschmack. Er weiß, dass die Irrlehre der Katharer hier um sich greift wie eine Glut, die bereit ist, alles zu vernichten, und dass die Kirche voller Angst vor dieser sengenden Kraft ist.

Und er kennt einen Prälaten, von einer Synode in Canterbury, der im Vatikan ausgebildet wurde und jetzt, wenn sich Scarry recht erinnert, für das Bistum von Aveyron arbeitet, eine Diözese, die keine fünfzig Meilen entfernt liegt.

Scarry kennt den Bischof von Aveyron nicht, aber seinen Geschmack, den kennt er ebenfalls, und er gefällt ihm. Scarry ist sicher – denn ist es nicht so vorherbestimmt? –, dass seine Botschaft an Vater Gerhard und den Bischof mit dem Eifer beantwortet werden wird, der allen verängstigten, grausamen, selbstsüchtigen Männern zu eigen ist.

Was Excalibur betrifft, diese weniger wichtige Sache: Das Schwert befindet sich bereits so gut wie in Herzog Richards Hand.

 

Oben auf der Erhebung, in der Küche des kleinen Konvents, der wenig mehr als ein Bauern aus milchig-goldenem Stein ist, umgeben von einem großen Gemüsegarten, zerstießen Schwester Aelith und Boggart Wurzelstöcke, bis ihnen die Finger bluteten. Ward, der Hund, wartete darauf, gefüttert zu werden, und ging sich schließlich selbst etwas suchen.

Den Hang herab verlief eine hölzerne, von O’Donnell und Deniz gebaute Rinne, die sauberes kaltes Wasser aus einem Bergbach herleitete.

Das Innere des Stalles war von dem Stöhnen der Kranken erfüllt. Staubdurchtanzte Lichtstrahlen fielen durch das löchrige Dach auf vierunddreißig Männer und Frauen, die dalagen und sich unter Schmerzen wanden. Kräuterbündel hingen an allen verfügbaren Nägeln, Lavendel, Minze, Thymian und Weinkraut, weitere hatten sich die Schwestern in die Kittel gesteckt. Aus Rohr geflochtene Fächer wedelten den fiebernden Patienten Kühlung zu, die alle sauber gehalten wurden und denen ständig neue Blutwurztinktur eingeflößt werden musste. Gefüllte Nachttöpfe wurden hinausgetragen, gesäubert und in einer endlosen, erschöpfenden Kette wieder hereingebracht.

Die Schwestern kämpften um das Leben der Kranken, die Kranken kämpften um ihr eigenes. Manche härter als andere.

Die kleine Wäscherin, die Brunes Leiche gefunden hatte, starb schnell, als hätte der Schreck der Entdeckung ihren Willen geschwächt. Ihr folgte der mürrische Hufschmied, der von allen Männern – und Männer machten den Großteil der Kranken aus – die Erniedrigung und Hilflosigkeit am wenigsten ertragen konnte.

Ulf, der in den nahrungsreichen und für die Starrköpfigkeit ihrer Bewohner bekannten Marschen Cambrigdeshires aufgewachsen war und ein entsprechendes Naturell ausgebildet hatte, bleckte wie ein Tiger die Zähne im Angesicht von Gevatter Tod. Es waren die älteren Männer, besonders die aus ärmeren Verhältnissen, die unter den Qualen zusammenbrachen. Zum Beispiel der Schotte Rankin, der erst als Söldner unter Captain Bolt im Leben Fuß gefasst hatte.

»Kannich«, hauchte er, als Adelia seinen Kopf anhob, einen Becher an seine Lippen hielt und ihn zum Trinken zwingen wollte.

»Doch, Ihr könnt.« Sie verstand immer besser, was er sagte. »Und jetzt trinkt. Was soll Captain Bolt ohne Euch machen? Und ich?«

Erst schreckten einige der Leidenden vor Mansur mit seiner um den Kopf gebundenen Kufija zurück, aber am Ende war ihnen seine unerschütterliche Ruhe ein Trost, und sie klammerten sich in ihrer Qual geradezu an ihn. O’Donnell dagegen scherzte mit den Kranken, und wenn seine Scherze Adelia auch nur selten gefielen, so schienen sie die Kranken und die Schwestern doch aufzumuntern und ihnen gut zu tun.

Es war ein Tauziehen, das alle, die hier gegen den Tod antraten, bis auf die Knochen erschöpfte. Adelia und Schwester Ermengarde kamen kaum aus dem Kuhstall heraus und ließen sich höchsten abwechselnd auf ein Bündel Heu sinken, wenn sie nicht mehr konnten.

Rowley kam jeden Tag mit einem Bediensteten aus Figères, um Brot und saubere Wäsche zu bringen und damit diejenigen, die sich von ihren Sünden befreien wollten, das einem Bischof gegenüber tun konnten, um nicht unversöhnt vor ihren Schöpfer treten zu müssen.

Jacques, der Geschirrmacher, und Pepe, einer der Köche, starben und wurden in Gräbern beigesetzt, die O’Donnell und Deniz in den Hang voller Kalksteine gehackt hatten, doch dann, vom fünften Tage an, begann es denen, die überleben sollten, langsam besser zu gehen, darunter auch Rankin.

 

Zwei Männer treffen sich nachts an einer ruhigen Kreuzung auf halbem Weg zwischen Figères und Aveyron. Ihre Pferde haben sie an einen umgestürzten Walnussbaum gebunden. Sie gehen ein Stück und unterhalten sich mit gesenkten Stimmen, wenn sie hier draußen auch nur von Eulen und Füchsen belauscht werden können.

»Alles das kann ich liefern«, sagt Scarry, »denn der Bischof von St. Albans ist der Vertreter Henrys, des englischen Königs, und er soll zwischen den Parteien vermitteln. Was immer dabei an geheimen Entscheidungen gefällt wird, werde ich erfahren.«

Scarry verkauft Macht, und zu wissen, was bei den geheimsten Besprechungen der Mächtigen vorgeht, ist für die Ehrgeizigen mehr wert, als es Edelsteine sein könnten. Trotzdem ist Scarry nicht teuer. Das macht er klar: Er will fünfzig Goldmünzen und die Zerstörung einer bestimmten Seele.

»Wenn sie nicht zerstört wird, kann dein Herr auf hilfreiche Neuigkeiten warten, bis er schwarz wird«, sagt Scarry mit freundlicher Stimme.

Vater Gerhardt ist sich bewusst, dass sein Herr nicht gerne wartet. Er will sich diese vielleicht einzigartige Gelegenheit nicht entgehen lassen und seinem Herrn zudem eine alte Feindin ausliefern.

»So sei es«, sagte er also zu Scarry. »Und jetzt sag, wo ist das Miststück?«

Scarry sagt es ihm. Vater Gerhardts Miststück ist nicht Scarrys Miststück. Aber da ein prasselndes Feuerchen immer Spaß bereitet, wird er beide brennen sehen.

 

Rowley und Locusta brachten Besucher mit. Prinzessin Joanna hatte Lady Petronilla und Mistress Blanche geschickt, um nach dem Wohlergehen der Patienten fragen zu lassen.

Adelia, die gerade Gemüsebrühe in den Mund des Pferdeknechts Martin löffelte, hob den Blick und sah die beiden ihr wie exotische Schmetterlinge vorkommenden Hofdamen, die draußen vor dem Stall die Flügel zusammenlegten. Weit draußen.

Lady Petronilla ging keinen Schritt weiter und zählte O’Donnell die Geschenke auf, die Joanna schickte: »Etwas Pfannkuchenbrot, Feigen- und Rosinencreme, darin sind die Mönche wahre Meister, oh, und ein wenig Lavendelöl, um es den Ärmsten auf die Stirn zu reiben.«

Verdammt, dachte Adelia, ich hatte auf Fleisch gehofft.

Blanche dagegen wagte sich in den Stall vor, hielt sich dabei aber eine Duftkugel unter die elegante Nase.

»Hier hat niemand die Pest«, sagte Adelia mit scharfer Stimme.

»Ein Rosengarten ist es trotzdem nicht«, erwiderte Blanche ebenso bestimmt.

Das war es nicht, aber es war sauber und aufgeräumt. Die Strohsackreihen lagen mittlerweile auf Holzgestellen und nicht mehr direkt auf der Erde, und es gab frische Strohkissen, auf die die Kranken den Kopf legen konnten. Die Futterkrippen, aus denen einmal Kühe gefressen hatten, waren mit Gras ausgekleidet und voller getrockneter Kräuter.

Adelia löffelte weiter Brühe in Martins Mund, während die Hofdame an den Lagern entlanglief und gütige königliche Fragen stellte: »Wie lange ist er schon Maultiertreiber … wirklich?« – »Ich kenne sie doch, oder? Hadwisa, natürlich. Werdet bald gesund, Hadwisa!«

Sie ging nicht gleich wieder, sondern sah Adelia zu. »Wie viele von Euren Patienten habt Ihr verloren?«

»Wir haben dreißig von vierunddreißig gerettet. Vielen Dank.«

Aber offenbar hatte Mistress Blanche sie nicht kritisieren wollen. »Als der Ausfluss eine der Burgen meines Vaters traf, ist die Hälfte der Leidenden gestorben.«

»Oh«, sagte Adelia, die immer noch verärgert war. »Ich nehme an, er hatte keine Hexe und keinen Sarazenen, die sich um sie gekümmert hätten.«

Zu ihrer Überraschung lächelte Mistress Blanche. »Vielleicht wäre das besser gewesen.«

Na, na. Ein Kompliment.

»Die wahren Heiligen hier sind die beiden Nonnen, die uns aufgenommen haben. Ich würde sie Euch vorstellen, aber sie bringen gerade ein paar Nachttöpfe zurück, die wir uns geborgt hatten.«

»Wie geschmackvoll. Die Prinzessin wird morgen zu einem Besuch herkommen, dann kann sie ihnen danken.«

Als die beiden Frauen, von Locusta geführt, wieder gegangen waren, wartete Adelia, bis der Bischof und seine Schäfchen ihre Gebete beendet hatten, und bat ihn dann, am nächsten Tag eine kräftige Rinderbrühe mitzubringen. »Wir haben den Patienten, seit sie hier sind, kein Fleisch geben können. Die Schwestern essen keines.«

Rowley nickte. »Das hatte ich befürchtet.«

»Warum? Was ist daran falsch?«

»Komm mit! Wir gehen ein Stück.«

Gefolgt von Ward, gingen sie den Weg hinunter. Adelia sah sich mehrfach ängstlich um, für den Fall, dass einer ihrer Patienten sie plötzlich brauchen sollte. Die Novembersonne war kühl. Sie setzten sich unter die nackten Äste eines einsamen Feigenbaumes.

Rowley nahm ihre Hand. »Liebling, endlich haben wir Kontakt zur Welt draußen. Unser Bote ist in Périgueux mit einem von König Henrys Boten zusammengetroffen. Ich werde vorangeschickt. Der Ärger mit Angoulême hat einige Machthaber im Süden aufgestachelt …«

Er verließ sie. Das war alles, was sie hörte, bevor sie ihr ach so altes Elend in die Fänge nahm. Er ging. Von nun an würde es auch die kurzen, erhaschten Moment nicht mehr geben, die sie bisher für sich gefunden hatten.

Er redete weiter und sprach über die ständig sich wandelnde, blutige Geschichte der Gegend. »Wir nähern uns der südlichen Grenze von Henrys Reich«, erklärte er ihr. »Danach müssen wir durch Drachenland.«

Er erzählte von den Drachenlords, die jede Gelegenheit wahrnahmen, einen Krieg anzuzetteln und bei ihren Nachbarn einzufallen, von geschlossenen und gebrochenen Allianzen, von Grafen, Baronen und Prinzen, von Alfons von Aragon, Roger von Carcassonne und Raimund von Toulouse, von Albi … Die Namen schwebten durch die Äste dahin und standen für Tod und Plünderung.

» … und so geht es nicht anders«, sagte er. »Ich muss dafür sorgen, dass Joanna sicher nach Saint-Gilles kommt. Es wird den Versuch einer Friedenskonferenz in Carcassonne geben.«

»Wann reitest du?«, fragte sie.

»Morgen. Und …«, seine Fäuste ballten sich, »ich komme nicht zurück.«

»Du kommst nicht zurück?«

Er griff in seine Robe und holte ein Pergament hervor, an dem ein schweres, rotes Siegel hing. »Lies das!«

Sie begann: »Unser allseits geliebter Rowley, Bischof von St. Albans, seid im Namen des Herrn gegrüßet von Henry, König von England, Herzog der Normandie und Aquitaniens …« Sie überflog die Titel, die ewig dauern konnten. »Wisset, dass wir Eure geschätzten Dienste in der Lombardei brauchen …«

Sie gab ihm das Pergament zurück. »Erzähl es mir einfach!«

Es war Politik und hatte mit Kaiser Barbarossa und der Lombardei zu tun, mit Päpsten, Gegenpästen und der Erhaltung eines zerbrechlichen Friedens.

Sie hörte nicht mehr zu. Henry. Der König. Immer sein König. Über Gott, über allem. Henry Plantagenet.

»Du siehst, Liebling«, sagte er verzweifelt. »Henry kann sich keine Unruhen in Norditalien leisten. Diplomatie und List werden gebraucht, und er traut mir zu, Frieden zu stiften.« Er sah sie an und wurde wütend. »Frieden, Frau. Dem Töten von Menschen Einhalt gebieten. Ich muss.«

»Ich weiß.«

Schweigend beobachteten sie ein Rotkehlchen, das unvorsichtig nahe vor ihre Füße hüpfte und nach Würmern suchte.

»Werden wir uns in Sizilien sehen?«, fragte sie schließlich.

»Nein. Ich werde zur Hochzeit da sein, hoffe ich. Aber ihr reitet morgen auf direktem Weg zurück nach England, du und Mansur. Ich habe mit Captain Bolt gesprochen …«

Sie fuhr in die Höhe und verscheuchte das Rotkehlchen. »Das tu ich nicht. Du weißt, dass ich es will, aber Henry hat mir Joannas Gesundheit anvertraut.«

»Doch, du reitest verdammt noch mal! Jemand in ihrem Tross will dir Böses, und damit meine ich nicht einfach nur Vater Guy. Du reitest morgen.«

Er durfte dem Ruf seiner Pflicht folgen, aber ihre tat nichts zur Sache. Bei Gott, sie hatte recht gehabt, ihn nicht zu heiraten. Er hätte sie erstickt.

»Und je eher du von den beiden Frauen da drüben wegkommst, desto besser.«

»Lass dir sagen, dass diese Nonnen bessere Christen sind als …«

»Es sind keine Nonnen«, sagte er. »Die beiden sind Katharer.«

Katharer.

Sie verstummte. Katharer. Das war ein weiteres Wort, das Unruhe mich sich brachte. Ein Wort, dass man in England kaum hörte und auch in Sizilien nicht, was das anging, aber es rief eine unangenehme Erinnerung in ihr wach. »Katharer? Sind das nicht Irrgläubige?«

»Ja, das sind sie. Ich hatte keine Ahnung, dass sie sich schon so weit nach Norden ausgebreitet haben. Natürlich essen sie kein Fleisch, es ist ihnen verboten. Ist dir nicht aufgefallen, dass die beiden Frauen kein Kreuz tragen? Was mich daran erinnert, dass ich deines ersetzen wollte. Es ist gefährlich hier, ohne ein Kreuz zu sein. Hier gibt es Bischöfe, die Katharer verbrennen, als wäre es Anmachholz.« Er lehnte sich zurück und betrachtete sie skeptisch. »Sie würden dich gleich mitverbrennen, wenn sie dich so sähen. Was zum Teufel trägst du da eigentlich?«

»Aelith hat Boggart und mir ein paar von ihren Kleidern geliehen. Der Kuhstall ist nicht unbedingt der Ort für Emmas feine Stoffe. Rowley, wir haben versucht, Menschenleben zu retten. Ermengarde und Aelith sind gute Frauen. Sie haben wie Maultiere gearbeitet. Wenn Christsein nicht bedeutet, sich um die Kranken zu kümmern, was bedeutet es dann?«

»Ganz sicher bedeutet es nicht, uns wie die Katharer die Kirche Satans zu nennen und sich zu weigern, den Kirchenzehnten zu zahlen, weil sie behaupten, wir sind alle Knechte des Geldes.«

Das Blitzen des Diamanten im Siegelring des Bischofs, als er mit der Hand durch die Luft fuhr, ließ Adelias Lippen zucken. Er sah es und steckte die Hände in die Falten seiner prächtigen Robe, wie ein Junge, der mit den Fingern im Marmeladetopf erwischt worden war.

»Nun …«, sagte er. »Es geht einfach darum … Es geht darum, dass jetzt, wo klar ist, dass es nicht die Pest war, Joanna wie eine gute kleine Prinzessin entschieden hat, herzukommen und ihre treuen Bediensteten zu besuchen. Wenn sie das tut, bringt sie den Bischof von Winchester mit, damit er die Genesenden segnet, und der wird die beiden Geistlichen mitbringen. Himmel noch mal, stell dir vor, was Vater Guy tut, wenn er begreift, dass du und die anderen … dass ihr mit Irrgläubigen zusammen wart, welche die heilige Dreifaltigkeit ablehnen. Bei Gott, Adelia, die glauben an die Wiedergeburt. Die Wiedergeburt. Da frage ich dich …«

Sie stand auf. Das Letzte, was sie tun durfte, war, Unheil über die beiden Frauen zu bringen, die so gutherzig gewesen waren. »Sag Joanna, sie braucht nicht herzukommen. Die meisten der Patienten können heute Nachmittag schon nach Figères aufbrechen, wenn du nur ein paar Wagens schickst. Der Ire kann sie begleiten. Ich komme morgen mit dem Rest nach.«

»Und kehrst dann nach England zurück?«, setzte er noch einmal nach, und als sie zögerte, sagte er: »Ich habe mit Mansur gesprochen. Er stimmt mir zu.«

Womit ihr keine Wahl blieb, genau wie in Poitiers. Ohne Mansur war sie ein Nichts. »Verdammt sollst du sein!«, sagte sie.

»Gut.« Er hob das Pergament noch einmal hoch. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, kündete davon, dass er kurz davor stand, sie zu entwaffnen. »Und jetzt lese ich dir Henrys Postskriptum vor: ›Und der Lady Arabischsprecherin meiner Tochter ebenfalls die Grüße ihres Königs. Sie soll wissen, dass sich ein gewisses Kind unter der Obhut der Königin und eines ihr bekannten Drachens namens Gyltha in Sarum bestens entwickelt.‹«

»Oh.« Adelia setzte sich wieder. »Oh, es geht ihr gut! Es geht beiden gut!«

»Das war vor weniger als einem Monat.« Rowleys schien zufrieden mit sich. »Henrys Boten reiten schnell.«

Sie schlug vor Freude auf ihn ein. »Konntest du mir das nicht als Erstes vorlesen? Zur Hölle mit Barbarossa, den Lombarden und dem Papst! Das Wichtigste ist das über unsere Tochter.«

Er fing ihre Hände und hielt siefest. »Du wirst mich vermissen, bis ich zurück nach England komme.«

»Nein, das werde ich nicht.«

»Doch, das wirst du. Du betest mich an.«

Und der Ärger war, dass er recht hatte und sie es tat.

 

Die Wagen wurden geschickt, und bis zum Abend waren nur noch Ulf und Rankin da, die Adelias Gefühl nach eine weitere Nacht Ruhe brauchen konnten.

Sie ging hinunter zur Straße, um der kleinen Prozession hinterherzusehen, die sich auf die Berge zuwand, hinter denen Figères verborgen lag. Im Licht der Fackeln sah Adelia, wie ihr die Hände zuwinkten, die sie gehalten hatte, als ihre Besitzer nicht mehr ein noch aus gewusst hatten. Sie winkte zurück und sah O’Donnell grüßend die Kappe schwenken.

Der Ire war nur widerstrebend gegangen. »Ich bin nicht glücklich damit, Euch hier zurückzulassen, Mistress. Master Ulf sagt, ein geheimnisvoller Mörder ist hinter Euch her, wie ein Fuchs, der einem Huhn ans Leben will.«

»Sagt er das?« Sie würde mit ihm reden müssen. »Den Fuchs gibt es eher in der Vorstellung des Jungen als im wirklichen Leben. Aber wir kommen ja morgen schon nach, und wenn ich es recht verstehe, werdet Ihr heute schon in Figères gebraucht.«

»So sagt es Mylord St. Albans.«

»Also müsst Ihr gehen.« (Von Beginn hatte Rowley eifersüchtig den, wie er es nannte, Wunsch des Admirals kommentiert, die fiebrigen Stirnen von Adelias Patienten zu kühlen. »Der will eher seinen heißen Ausleger kühlen.«)

Wenn die Beorderung nach Figères Rowleys List war, um O’Donnell nicht noch eine Nacht in ihrer Nähe verbringen zu lassen, sollte es ihr recht sein. Sie fühlte sich erleichtert. So hilfreich er gewesen war, der Ire brereitete ihr unbehagen. Seine Augen waren zu groß und beobachteten sie zu oft.

»Wollte Ihr nicht wenigstens Deniz bei Euch behalten?«, fragte er.

»Nein.« Das war härter aus ihr herausgekommen, als sie gewollt hatte. »Ich habe Mansur, Ulf und Rankin.« Und dann, weil sie wirklich nicht wusste, was sie ohne ihn und den Türken gemacht hätte, sagte sie: »Wir sind Euch beiden ewig dankbar für Eure Hilfe.«

Er breitete die Hände aus. »Ipsa quidem pretius virtus sibi, Mistress. Tugend ist sich selbst der Lohn.«

Ihre Ablehnung verdarb ihm nicht die Laune, singend ritt er davon. Noch als die Wagen im Dämmerlicht verschwanden, konnte sie seine Stimme hören:

»Aber sie konnten den Takt auf der kalten Erde nicht halten,

und so tanzten sie auf der Tür, der nicht ganz so kalten.«

Sie stieg den Hang hinauf, versicherte sich, dass es Ulf und Rankin am Feuer, das Mansur ihnen gemacht hatte, warm genug hatten, und ging weiter zum Haus der Nonnen.

Rowley war davon ausgegangen, dass sie über die Glaubensgrundsätze der Katharer so empört wäre wie er, war er doch, in gewisser Weise, ein sehr orthodoxer Katholik. Aber als Bischof musste er das wohl sein.

Sicher, ihr kamen die Dinge, die er ihr erzählt hatte, auch seltsam vor, aber da ging es ihr mit einigen Grundsätzen der Katholiken nicht anders. Die Dreifaltigkeit zum Beispiel, die hatte sie nie wirklich verstanden. Es sprach für die Katharer, dass sie sie ablehnten.

Für die Katharer schien die irdische Welt eine Schöpfung des Teufels zu sein. Die Seele musste von ihr befreit werden und ein reines Leben leben, sodass sie, wenn der Körper starb, ins Licht des Himmels zurückkehren konnte, wohin sie eigentlich gehörte.

Da Gott seinen Sohn nicht als Körper dem Bösne ausgeliefert hätte, musste Jesus ein Geist gewesen sein und konnte deshalb durch die Kreuzigung nicht gelitten haben, weshalb sie auch das Kreuz nicht anerkannten oder tragen wollten.

»Und sie haben Frauen als Priester, nicht nur Männer«, hatte Rowley noch gesagt und den Kopf geschüttelt. »Perfecti, werden sie genannt. Die Vollkommenen. Gott, gib mir Kraft!«

»Tss, tss«, hatte sie erwidert. »Frauen im Priesterrock. Da weinen ja die Engel.«

»Da weine ich. Und jetzt guck nicht so!«

Sie näherte sich dem Haus und sah Schwester Ermengarde mit jemandem im Obstgarten sprechen, von dem nur ein Umriss zu erkennen war. Also setzte sie sich auf die Bank neben die Tür und wartete.

Boggart saß auf den Eingangsstufen und nutzte das Licht aus dem Raum hinter ihr, um sticken zu üben. Das Stück Stoff und die Knochennadel mit dem Faden hatte sie von Ermengarde, die entsetzt gewesen war, als sie erfahren hatte, dass das Mädchen nicht nähen konnte.

»Der Bischof will dich, mich und Mansur morgen nach Hause schicken«, erklärte Adelia ihr. »Freust du dich darauf, England wiederzusehen?«

Boggarts Antwort kam sofort. »Aber er wird mich doch nich wiederkrieg’n?«

Wer? Oh, armes Kind, dein Vergewaltiger. »Nein, das wird er verdammt noch mal nicht. Wir stehen unter dem Schutz des Königs. Wenn der Mann auch nur in deine Richtung sieht, was er nicht tun wird, schneidet Henry ihm sein Dingsbums ab und brät es mit Petersilie.«

»Das iss gut«, sagte Boggart erleichtert. »War aber schon ’ne Sache, oder, mit der Königlichen zu reisen und alle die Wunder zu seh’n? Trotzdem, wird schön, Eure Allie zu treffen.«

»Ja, das wird es.«

Von hier oben konnte man das verwaschene Violett hinter den Bergen im Westen noch erkennen, das die Sonne hinterlassen hatte, aber es war kalt, und Adelia war froh um ihren Mantel.

Ermengarde setzte sich neben sie auf die Bank. »Das war ein Freund, der gekommen ist, um uns zu warnen. Aelith und ich müssen morgen von hier weg. Es heißt, dass die Kirche nach uns sucht. Großartig. Das bedeutet, dass wir die Teufel aufgescheucht haben. Natürlich seid Ihr und die Euren hier so lange willkommen, wie Ihr wollt.«

»Ich weiß, dass wir das sind.« Adelia legte ihre Hand auf dieErmengardes. »Aber wir sind auch soweit. Ich breche morgen nach England auf. Es tut mir leid, dass Ihr Ärger habt.«

Es war so, als würden sich die beiden Frauen schon lange gut kennen, tatsächlich aber war es das erste Mal, dass sie die Muße hatten, so beisammen zu sitzen und über etwas anderes zu reden als ihre Patienten.

Hinter ihnen im Haus war Aelith zu hören, die in offensichtlicher Eile sich und das Haus auf die Abreise vorbereitete.

Gemeinsam mit den Sternen zog der Duft der Herbstnacht herauf. Ward, der den Kopf auf Adelias Fuß gelegt hatte, und eine nahebei angebundene Ziege fügten ihm ihre eigenen Gerüche hinzu.

»Wir erwarten nichts als Ärger von dieser vom Satan geschaffenen Welt und der römischen Kirche der Wölfe«, sagte Ermengarde. Die kräftige Stimme der kleinen Frau trug die Irrlehre in die Düsternis hinaus, die voller dahinflatternder Fledermäuse war.

Adelia zuckte zusammen. Wenn sie jemand hörte … Aber da war niemand, der sie hören konnte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass da draußen in den Bergen der riesige Monolith der Kirche lauschte. Das ist kein rechtschaffenes Land, hatte Captain Bolt gesagt, es hat etwas Böses in den Knochen, denke ich.

»Wohin werdet ihr gehen?«, fragte sie.

»Nach Norden. Wir haben uns hier gut geschlagen, Adelia. Ihr solltet uns einmal auf den Dorfplätzen mit den Priestern disputieren sehen. Es ist großartig, ihre Blasphemie und Verdorbenheit werden für alle sichtbar. Aber jetzt müssen wir weiter, den Menschen vom wahren Glauben künden, und vom göttlichen Funken, der in ihren sterblichen Hüllen gefangen ist, bis er mit dem Himmel vereinigt wird.«

Der wahre Glaube, dachte Adelia. Alle beanspruchten ihn für sich: die Christen, ob römisch-katholische oder griechisch-orthodox, die Juden, die Muslime und die Katharer. Alle waren sicher, dass allein sie den richtigen Weg zu Gott kannten. Dass es sich bei ihrer Lehre um die richtige handelte.

Jetzt war es Ermengardes Hand, die nach ihrer griff. »Die Flamme brennt stark in dir, mein Kind. Ich sehe es. Wie großartig wäre es, wenn du dich uns anschlössest, um eine Perfecta zu werden.«

Adelia hustete. Rowley hatte gesagt, die Perfecti müssten nicht nur auf alles Fleisch verzichten und in Armut leben, sondern dazu auch noch keusch sein.

»Wäre das zu schwer?«, fragte Schwester Ermengarde.

Hätte diese Frau Rowley und sie gesehen, wie sie unter dem Feigenbaum Abschied genommen hatten, würde sie nicht fragen. »Ich fürchte, ich liebe einen Mann.«

»Mehr als Gott?«

»Ja.«

Ermengarde seufzte voller Mitleid. »Als Aelith geboren war, stellten mein Mann und ich fest, dass sich unsere Liebe ins Geistige gewandelt hatte. Auch er ist heute ein Perfectus.« Schon war es mit dem Seufzen wieder vorbei. »Nun, dann sorgt dafür, dass Ihr Euch die Sünden auf dem Totenbett vom Fleisch hungert. Wir nennen das die Endura. Ohne sie seid Ihr dazu verdammt, wiedergeboren zu werden, in einem anderen menschlichen Körper oder sogar als Tier, bis Eure Seele rein genug ist, in den Himmel einzutreten. Deshalb essen wir kein Fleisch. Ihr wisst nie, wen Ihr da esst.«

Adelia lachte. »Ich werde Euch vermissen, Ermengarde.«

»Und ich Euch … Doktor.«

»Oje! War es so offensichtlich?«

»Es ist in allem, was Ihr tut. ›Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter einen Scheffel.‹ So hat Er es auf dem Berg gelehrt. Und das ›man‹ waren für Ihn natürlich Männer und Frauen, denn vor Gottes Augen sind alle gleich.« Schwester Ermengarde räusperte sich. »Versucht den Papst in Rom mal dazu zu bringen, dem zuzustimmen!«

Ward knurrte. Er sprang auf, und das Fell auf seinem Rücken sträubte sich. Sein Schnauze deutete den Hang hinunter, wo sich die Flammen des Feuers im Stall vervielfacht zu haben schienen, hin und her schweiften, kurz verschwanden und wieder auftauchten. Laute Rufe drangen zu ihnen herauf.

»Was ist das?«

Adelia stand auf und versuchte, Genaueres zu erkennen. Im Licht der Flammen schienen die Gestalten von Männern mit Helmen auf dem Kopf. Oh Gott, Richards Krieg hat sich bis hierher ausgebreitet!

Wer immer die Männer waren, sie kamen den Hang herauf. Jetzt konnte sie ihre Rufe verstehen: »Irrgläubige, Lästerer!«, schrien sie und: »Brennet!«

Eine Sekunde lang stand Ermengarde reglos da. »Sie kommen uns holen.« Dann fuhr sie herum und schrie: »Aelith, flieh nach hinten raus! Renne! Ich halte sie auf.«

Sie stieß Adelia zur Seite, packte Boggarts Hand und wollte sie hochziehen. »Rennt alle beide! Rennt!«

Schwerfällig kämpfte sich die schwangere Boggart auf die Beine. Als Adelia ihren Arm fasste, waren die Männer bereits um sie herum, und der Geruch von Schweiß und Eisen hüllte sie ein. Aber selbst in ihrem Schrecken wusste Adelia, es waren die Katharer, nach denen diese Männer suchten, nicht sie. Wenn nur wenigstens Aelith entkam!

Ermengarde hatte die Haustür hinter sich zugeschlagen, stemmte sich dagegen, schrie und kämpfte, sie geschlossen zu halten. Adelia stellte sich neben sie und packte den Riegel. »Lasst sie, so lasst sie doch!«

Sie spürte, wie ihr Schlüsselbein brach, als einer der Männer sie wegzureißen versuchte, aber sie gab nicht nach.

Die beiden Frauen verschafften Aelith gerade genug Zeit, aus dem Fenster hinten im Haus zu klettern und in die Wälder zu fliehen. Sich selbst und Boggart konnten sie nicht davor retten, gefangen genommen zu werden.