Jossele, den wir im vorigen Kapitel kennengelernt haben, ist kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern ein Geschöpf meiner Phantasie. Aber wie kommt es dann, daß er so gescheit ist?

 

GÄSTE WILLKOMMEN

 

Vor ein paar Tagen fragte ich Jossele, ob er den Schabbatvormittag nicht mit mir zusammen am Strand verbringen möchte.

»Das wird leider nicht gehn«, sagte Jossele. »Wegen meiner Bar-Mizwah.«

»Entschuldige, Jossele. Ich habe schlecht verstanden. Wessen Bar-Mizwah, sagtest du?«

»Das weiß ich nicht. Es interessiert mich auch nicht. Hauptsache ist: Bar-Mizwah. Willst du mitkommen?«

Damit begann es. Jossele eröffnete mir, daß er schon seit vielen Jahren seine Schabbatvormittage regelmäßig im »Industriellen-Club« von Tel Aviv verbringt, weil dort immer etwas los sei - ein Empfang, eine Bar-Mizwah, eine Hochzeit.

»In jedem Fall bekommt man sehr gut zu essen und zu trinken«, klärte er mich auf. »Dann geht man mit einem Mädchen oder mit einem kleineren Darlehen weg und hat eine schöne Erinnerung. Ich kann diese Schabbatvormittage jedermann wärmstens empfehlen.«

Pünktlich um elf Uhr, angetan mit unseren dunkelsten Anzügen, fanden wir uns im Industriellenpalast ein. Unterwegs bat ich Jossele um Tips für richtiges Verhalten, aber das lehnte er ab. Darauf müsse man von selbst kommen, meinte er, oder man täte besser, zu Hause zu bleiben. Das einzige, was er mir raten könne: am Tag vorher nichts zu essen.

Einige tausend Personen waren bereits versammelt, als wir ankamen. Am Eingang stand ein gutgekleidetes, sichtlich wohlhabendes Ehepaar, das die Gäste in Empfang nahm und vor Erschöpfung beinahe zusammenbrach. Daneben stand ein dümmlich grinsender Knabe. Wir schlossen uns der langsam sich dahinschiebenden Schlange an.

»Maseltow!« sagten wir unisono, als wir vor den Eltern standen, und schüttelten ihnen herzlich die Hände. »Wir gratulieren!«

»Danke«, antworteten die Eltern unisono. »Wir freuen uns, daß Sie gekommen sind.«

Dann beugte sich Jossele zur eigentlichen Hauptperson nieder und tätschelte die Wangen des mannbar gewordenen Jünglings, der schamhaft errötete und ein verlegenes Kichern durch die Nase stieß.

»Wer sind die zwei?« hörte ich, als wir weitergingen, die Stimme der Mutter in meinem Rücken und hörte die Stimme des Vaters antworten: »Keine Ahnung. Wahrscheinlich von irgendeiner Gesandtschaft.«

Kaum hatten wir gemessenen Schrittes den großen Empfangssaal betreten, als Jossele ein schärferes Tempo vorlegte.

»Rasch zum Büffet!« raunte er mir zu. »Jede Sekunde zählt. Man sollte es nicht glauben, aber manche Leute kommen nur her, um sich anzufressen. Wenn wir uns nicht beeilen, haben wir das Nachsehen.«

Die Brötchen waren ganz hervorragend, besonders die mit gehackter Gansleber. Wir aßen ihrer je 50 und spülten etwas Bier und Kognak nach, um Platz für die Würstchen und die Bäckereien zu schaffen, die bald darauf gereicht wurden.

Schon nach einer halben Stunde fühlten wir uns wie zu Hause.

Ich winkte einen Kellner herbei, der sich mit einem bereits geleerten Tablett davonmachen wollte, und trug ihm auf, mir eine Eisbombe zu verschaffen, aber schnell. Jossele bestellte ein Beefsteak und nachher eine Peche Melba. Einige Gläser Champagner gaben uns wieder ein wenig Aktionsfreiheit für die Ananas. Während des Essens machten wir die Bekanntschaft zweier Minister und baten sie um Posten.

Dann interviewten wir den Rektor der hebräischen Universität. Eine dicke Dame verteilte Freikarten fürs Theater. Wir nahmen sechs.

Nach zwei anregend verbrachten Stunden warf Jossele einen prüfenden Blick nach der Küchentür und winkte mich dann zum Ausgang. Jetzt käme nichts mehr, sagte er.

Wir passierten den großen Tisch, auf dem die Bar-Mizwah- Geschenke aufgeschichtet waren. Jossele wählte eine Bibel und ein englisches Wörterbuch, das er schon lange gesucht hatte, ich entschied mich für eine Luxusausgabe von Shakespeares Werken und ein Paar Schlittschuhe. Nächste Woche gehen wir zu einer Hochzeit.