MINESTRONE A LA TELEVISION

 

Ich hatte mich erst wenige Schritte von meinem Hotel in Haifa entfernt, als ich in eine dichte Menschenmenge geriet, die sich vor dem Eingang eines kleinen Restaurants staute und mit gereckten Hälsen zu erspähen versuchte, was drinnen vorging.

Meine journalistische Neugier ließ sich das nicht zweimal sagen. Ich zwängte mich in das Restaurant.

Der Anblick, der sich mir bot, war einigermaßen enttäuschend. Keine Rauferei, nicht einmal eine erregte Diskussion, nichts. Die Gäste saßen schweigend an den Tischen, streng nach einer Richtung angeordnet, und rührten sich nicht.

Ich wandte mich um Auskunft an eine Kellnerin, die ebenso reglos an der Theke lehnte.

»Beirut«, antwortete sie, ohne ihre Blickrichtung zu, ändern.

»Es hat gerade begonnen.«

Indem ich ihrem Blick folgte, entdeckte ich in der Ecke des Raumes einen Fernsehapparat, auf dessen Bildschirm soeben die Hölle losgebrochen war. Jetzt erst wurde mir inne, daß die streng ausgerichteten Gäste im Saal - und die wild drängende Menschenmasse draußen - der Fernseh-Übertragung eines Wildwestfilmes beiwohnten.

Der Empfang war klar, die hindustanische Synchronisation laut und deutlich, und wer diese Sprache nicht beherrschte, konnte sich an die arabischen Untertitel halten. Was die Handlung betraf, so drehte sie sich um ein fülliges Mädchen, das von einem braven Jungen geliebt wurde, jedoch einen reichen Mann liebte. Oder umgekehrt. Jedenfalls sang sie eine Variation auf das mir völlig unbekannte Lied »Itschi Kakitschi«, worauf die beiden Rivalen in einen Zweikampf gerieten.

Ich verspürte Hunger. Schließlich war ich in einem Restaurant.

»Wo kann ich mich hinsetzen?« fragte ich eine Kellnerin, diesmal eine andere, die nicht reglos an der Theke, sondern reglos an der Wand lehnte und das Duell verfolgte. Sie würdigte mich keines Blicks.

»Irgendwohin«, zischte sie. »Und stören Sie nicht.«

Ich sah mich um. Es gab tatsächlich ein paar freie Stühle, aber in der verkehrten Richtung.

»Dort, wo frei ist, sehe ich nichts«, gab ich der Kellnerin zu bedenken. »Können Sie mir nicht helfen?«

»Warten Sie, bis die Reklamesendung kommt.«

Als die Reklamesendung kam, kehrte das Leben ringsum wieder in halbwegs normale Bahnen zurück. Die Kellnerin fand einen Sessel für mich und zwängte ihn zwischen zwei andere, so daß ich mittels eines Schuhlöffels tatsächlich Platz nehmen konnte. Meine Sitznachbarn störte das nicht, denn mittlerweile hatte der Film wieder angefangen. Jetzt liebte das dicke Mädchen einen ganz andern, der sich daraufhin mit ihren beiden früheren Liebhabern in körperliche Auseinandersetzungen verwickelte.

»Entschuldigen Sie, bitte.« Ich sprach in Richtung meines Nachbarn linker Hand. »Kann man hier etwas zum Essen bestellen?« »Wer sind Sie?« fragte er zurück, während der arme Liebhaber die größte Mühe hatte, den Nachstellungen seines neuen Rivalen zu entgehen.

»Ich bin ein Gast in diesem Lokal und sitze neben Ihnen.

Was gibt es hier zu essen?«

»Sind Sie alt oder jung?«

»Jung.«

»Wie sehen Sie aus?«

»Mittelgroß. Edle, scharfgeschnittene Gesichtszüge. Augengläser. Blond.«

Soeben floh der reiche Liebhaber durch ein plötzlich aufgetauchtes Fenster, verfolgt vom armen und von einem Lied der Molligen.

»Bestellen Sie Minestrone«, riet mir mein Nachbar. Mehr war aus ihm nicht herauszubringen.

Eine Viertelstunde später seufzte er tief auf: »Ich muß gehen. Zu dumm. Der Film dauert sicherlich noch drei Stunden. Zahlen!«

Es bedurfte mehrerer in regelmäßigen Intervallen wiederholter Rufe, ehe eine Kellnerin den Weg zu ihm fand, wobei sie sich mit ausgestreckter Hand zwischen Stühlen und Gästen hindurchtastete. Kaum aber hatte sie die Stimmwelle meines Nachbarn angepeilt, als sie mit einer andern Kellnerin zusammenstieß. Niemand kümmerte sich um das Getöse der stürzenden Tassen und der zerbrechenden Teller, denn auf dem Bildschirm bekamen die Leibwächter des reichen Liebhabers gerade den Neuankömmling unter die Fäuste.

»Viereinhalb Pfund.« Die Kellnerin gab meinem Nachbarn das Ergebnis ihrer Kopfrechnung bekannt, worauf er mit bewundernswertem Fingerspitzengefühl die entsprechenden Banknoten aus seinen Taschen hervorholte.

Mit einem hastigen »Danke« steckte mir die Kellnerin ein halbes Pfund Wechselgeld in die Hand.

»Ich möchte eine Minestrone«, sagte ich.

»Warten Sie«, sagte die Kellnerin.

Das dicke Mädchen war jetzt im Schloß des reichen Mannes gefangen. Durchs Fenster stieg der dritte Liebhaber ein und sang mit ihr ein Duett. Der nächste Zweikampf konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

»Eine Minestrone, bitte!«

Die Kellnerin tastete mein Gesicht ab, um sich einzuprägen, von wem die Bestellung kam. Dann entfernte sie sich rückwärtsschreitend.

Wenige Minuten später schrie eine Dame in der andern Ecke des Lokals schrill auf, weil die Minestrone, die ihr die Kellnerin in den Busen geschüttet hatte, so heiß war.

»Das ist heute schon das dritte Mal!« schluchzte sie, wurde aber von ihren Nachbarn heftig zur Ruhe gewiesen. Der arme Liebhaber hatte den reichen an der Gurgel und hielt dem dicken Mädchen die Tür ins Freie frei, nicht ahnend, daß dort ein Dritter auf sie wartete, der sie aber trotzdem nicht bekommen würde, da das Schloß bereits von aufständischer Kavallerie umzingelt war.

Just in diesem Augenblick fühlte ich die Hand der Kellnerin prüfend über mein Gesicht streichen.

»Hier ist Ihre Minestrone, mein Herr«, sagte sie und stellte den Teller auf meine rechte Schulter. Ich roch ganz deutlich, daß es nicht Minestrone war. Mit meinem linken Zeigefinger identifizierte ich den Inhalt des Tellers als gehackte Gansleber.

Man sah den Bildschirm zweifellos auch von der Küche aus.

Vorsichtig begann ich zu essen. Der Faustkampf der beiden Liebhaber strebte seinem Höhepunkt zu. Der merkwürdig schale Geschmack, den ich im Mund verspürte, kam vom untern Ende meiner Krawatte, das ich in der Dunkelheit abgeschnitten hatte.

Als die beiden verliebten Faustkämpfer einander in die Arme fielen, weil sie entdeckt hatten, daß sie Blutsbrüder waren, entschloß ich mich zum Verlassen des Lokals, weil ich sonst nie wieder hinauskäme. Begleitet von einem dritten Lied aus molligem Mädchenmund retirierte ich gegen den Ausgang. Ich mußte ihn unbedingt vor Beginn des nächsten Zweikampfes erreichen.

Am Ausgang wartete meiner eine angenehme Überraschung: der Kassier lauschte den Klängen des Liedes so hingerissen, daß er keine Zeit für meine Rechnung hatte und mich unwirsch hinausschob.

Hoffentlich wird Israel bald sein eigenes Fernsehen haben.

 

 

 

 

Ein zweiter Fluch, der auf der Menschheit lastet, ist das Telephon. Als es von Graharn Bell erfunden wurde, ging ein skeptisches Auflachen durch die ganze Welt. Die ganze Welt behauptete, es sei unmöglich, daß man durch Abheben eines Hörers und Wählen einer Nummer in die Lage kommen sollte, mit jemandem andern zu sprechen. Was Israel betrifft, hatte die ganze Welt recht.