Kommt zu mir, liebe Kinder, und setzt euch um mich herum. Wißt ihr wohl auch, was eine »straight flush« ist? Wenn ihr mir versprecht, ruhig zuzuhören, erzähle ich euch die Geschichte von einem Manne namens Sulzbaum, der es weiß. Er hat es durch Erfahrung gelernt.

 

POKER MIT MORAL

 

Herr Sulzbaum war ein bescheidener Mann, der still und friedlich dahinlebte, ohne mit seinem Erdenlos zu hadern.

Er nannte eine kleine Familie sein eigen: eine liebende Frau wie eure Mutti, und zwei schlimme Buben wie ihr selbst, haha. Herr Sulzbaum war ein kleiner Angestellter in einem großen Betrieb. Sein Einkommen war karg, aber die Seinen brauchten niemals zu hungern.

Eines Abends hatte Herr Sulzbaum Gäste bei sich, und als sie so beisammen saßen, schlug er ihnen des Spaßes halber vor, Karten zu spielen. Gewiß, liebe Kinder, habt ihr schon von einem Kartenspiel gehört, welches »Poker« heißt. Erst vor kurzem haben unsere Gerichte entschieden, daß es zu den verbotenen Spielen gehört. Herr Sulzbaum aber sagte:

»Warum nicht? Wir sind doch unter Freunden. Es wird ein freundliches kleines Spielchen werden.«

Um es kurz zu machen: Herr Sulzbaum gewann an diesem Abend 6 Pfund. Das war sehr viel Geld für ihn, und deshalb spielte er am nächsten Abend wieder. Und auch am übernächsten. Und dann Nacht für Nacht. Und meistens gewann er. Das Leben war sehr schön.

Wen das Laster des Kartenspiels einmal in den Klauen hat, den läßt es so geschwind nicht wieder los. Herr Sulzbaum gab sich mit freundlichen kleinen Spielchen nicht länger zufrieden. Er wurde Stammgast in den Spielklubs. Ein Spielklub, liebe Kinder, ist ein böses finsteres Haus, das von der Polizei geschlossen wird, kaum daß sie von seiner Wiedereröffnung erfährt. Vielleicht habt ihr davon schon in den Zeitungen gelesen.

Anfangs blieb das Glück Herrn Sulzbaum treu. Er gewann auch in den Spielklubs, er gewann sogar recht ansehnliche Beträge und kaufte für seine kleine Familie eine große Wohnung mit Waschmaschinen und allem Zubehör. Sein treues Weib wurde nicht müde, ihn zu warnen: »Sulzbaum, Sulzbaum«, sagte sie. »Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen.« Aber Sulzbaum lachte sie aus: »Wo steht es denn geschrieben, daß jeder Mensch beim Kartenspiel verlieren muß? Da die meisten Menschen verlieren, muß es ja auch welche geben, die gewinnen.«

Immer höher wurden die Einsätze, um die Herr Sulzbaum spielte, und dazu brauchte er immer mehr Geld. Was aber tat Herr Sulzbaum, um sich dieses Geld zu verschaffen? Nun, liebe Kinder? Was tat er wohl? Er nahm es aus der Kassa des Betriebs, in dem er angestellt war. »Morgen gebe ich es wieder zurück«, beruhigte er sein Gewissen. »Niemand wird etwas merken.«

Wahrscheinlich wißt ihr schon, liebe Kinder, wie die Geschichte weitergeht. Wenn man einmal auf die schiefe Bahn geraten ist, gibt es kein Halten mehr. Nacht für Nacht spielte Herr Sulzbaum Poker mit fremdem Geld, Nacht für Nacht wurden die Einsätze höher, und als er sich eines Morgens bleich und übernächtig vom Spieltisch erhob, war er ein steinreicher Mann. (Ich muß aus Gerechtigkeitsgründen zugeben, daß Herr Sulzbaum wirklich sehr gut Poker spielt.) In knappen sechs Monaten hatte er ein gewaltiges Vermögen gewonnen. Das veruntreute Geld gab er nicht mehr in die Betriebskassa zurück, denn in der Zwischenzeit hatte er den ganzen Betrieb erworben, und dazu noch eine Privatvilla, zwei Autos und eine gesellschaftliche Position. Heute ist Herr Sulzbaum einer der angesehensten Bürger unseres Landes.

Seine beiden Söhne genießen eine hervorragende Erziehung und bekommen ganze Wagenladungen von Spielzeug geschenkt.

Moral: Geht schlafen, liebe Kinder, und kränkt euch nicht zu sehr, daß euer Papi ein schlechter Pokerspieler ist.