EINE VERSCHWÖRUNG DER FRÖHLICHKEIT

 

Die letzten Tage des Jahres sind immer bis zum Bersten mit Spannung geladen - wie ein Mann, der nirgends seine gewohnten Beruhigungstabletten bekommen kann. Weiß der Himmel, was in die Leute fährt, wenn das neue Jahr herankommt. Die Atmosphäre schlägt Funken. Da und dort schleichen dunkle Schatten durch einige Seitengassen und drücken sich scheu die Häusermauern entlang. Aus ihren Augen spricht unnennbares Entsetzen.

Ich selbst fühlte mich an einem dieser Abende von einer geheimnisvollen Hand gepackt und in ein finsteres Stiegenhaus gezerrt. Es war der bekannte Theatermann Engler, ein entfernter Freund von mir. Ich erkannte ihn nur mit Mühe, denn sein Gesicht war maskiert.

»Höre«, flüsterte er mir ins Ohr. »Du bist zur Silvester-Party bei uns eingeladen.«

»Gut«, flüsterte ich zurück. »Aber warum flüsterst du?«

»Die Mauern haben Ohren. Es kommen nur ein paar sorgfältig ausgewählte Freunde, und die anderen, die nicht eingeladen sind, sollen nichts davon erfahren.« »In Ordnung. Von mir erfährt's keiner. Wo findet das Bacchanal statt?«

»Die Adresse wird erst im letzten Augenblick bekanntgegeben, sonst sickert sie durch. Und die Beleidigungen, die dann entstehen würden, kannst du dir vorstellen.«

»Gewiß. Aber ich möchte trotzdem wissen, wo ich hinkommen soll.«

»Ich sagte dir schon, daß du das rechtzeitig erfahren wirst.

Bekanntgabe des Versammlungsortes und des Losungswortes erfolgt telephonisch. Die Organisation beruht auf dem Prinzip der konspirativen Zellenbildung. Jeder kennt nur sechs andere. Auf diese Weise vermeiden wir Unstimmigkeiten. Bitte bring eine Flasche Kognak mit, und meiner Meinung nach dürfen die Amerikaner unter keinen Umständen aus Berlin abziehen, das wäre ein verhängnisvoller Fehler .«

Der erfahrene Leser hat bereits bemerkt, daß im dunklen Stiegenhaus ein anderer Schatten aufgetaucht und an uns vorübergehuscht war.

»Man kann nicht vorsichtig genug sein«, wisperte mein Gastgeber und trocknete sich den Schweiß, den die eben überstandene Gefahr ihm auf die Stirn getrieben hatte.

»Wer war dieser Mann? Weißt du's? Ich auch nicht. Ich möchte mir keine überflüssigen Feinde machen. Aber ich konnte beim besten Willen nicht alle einladen, die eingeladen sein wollten. Hier ist deine Einladung.«

Er steckt mir eine gehämmerte Karte zu, deren goldgeprägter Text lautete: PERSÖNLICHE EINLADUNG NR. 29, SERIE B. ABENDANZUG.

»Sofort verbrennen!« raunte er mir zu und preßte die Hand gegen sein vermutlich wildpochendes Herz. Er zitterte am ganzen Körper.

Ich zündete die Karte an allen vier Ecken an und streute die Asche in den Wind.

»Laß mich zuerst gehen«, sagte mein Gastgeber. »Ich gehe nach rechts. Du wartest fünf Minuten und gehst nach links.« Damit verschwand er in der Dunkelheit. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich meiner Brust. Endlich war ich den Kerl los. Wir veranstalten nämlich zu Hause unsere eigene Silvester-Party und hatten ihn nicht eingeladen.

 

 

 

 

Gleichgültig, ob es eine erfolgreiche oder eine mißlungene Party war - eines ist sicher: wenn die Tür sich hinter dem letzten Gast geschlossen hat, stehen die Hausleute einer verwüsteten Wohnung und Bergen von schmutzigen Tellern gegenüber. Es muß ein solcher Augenblick gewesen sein, in dem der alte Hiob (14, 19) wehklagte: »Du wäschst hinweg die Dinge, die da kommen aus dem Staub der Erde, und Du vernichtest des Menschen Hoffnung.« Die Bibel meldet nicht, was Frau Hiob darauf geantwortet hat.