»Ordnung muß sein«, heißt es im Talmud.

Deshalb ist in ganz Israel kein zweiter Berufszweig so hoch angesehen wie der des Ordners, uniformiert oder nicht, amtlich oder nicht, auf öffentlichen Plätzen oder in Versammlungslokalen. »Bitte hier nicht herumzustehen, dieser Platz ist für den Ministerpräsidenten reserviert!« - »Ich bin der Ministerpräsident, mein Freund!« - »Meinetwegen können Sie sogar der Ministerpräsident sein, hier dürfen Sie nicht herumstehen.«

 

GIBT ES EINEN TYPISCH ISRAELISCHEN HUMOR?

 

Vor einigen Tagen besuchte mich Stockler, der Sekretär unseres Kultur- und Geselligkeitsklubs, und sprach zu mir wie folgt:

»Am nächsten Sonntag veranstalten wir einen leichten Unterhaltungsabend. Wir würden uns freuen, Sie als Vortragenden begrüßen zu können. Das Thema, über das Sie bei uns sprechen sollen, lautet: >Gibt es einen typisch israelischen Humor, und wenn ja, warum nicht?<«

»Meiner Meinung nach«, sagte ich abweisend, »soll ein Schriftsteller schreiben und nicht reden.«

»Sie haben vollkommen recht. Trotzdem können wir Ihnen nicht mehr als 20 Pfund zahlen.«

»Für mich ist das keine Frage des Geldes.«

»Einverstanden. Beginn um 6 Uhr 30.«

Um 6 Uhr 20 fand ich mich im Klubhaus ein. Ohne zu prahlen: es herrschte ein solcher Andrang, daß die Veranstalter bereits das Gittertor geschlossen hatten, um die andrängenden Massen abzuwehren. Ich wollte mich durchzwängen und kam auch wirklich bis an das Tor heran, aber dann ging's nicht weiter. Ein eisernes Gittertor ist ein eisernes Gittertor, besonders wenn es von innen versperrt ist.

Es blieb mir nichts übrig, als um das ganze Gebäude herumzugehen, bis zur Hinterfront. Dort gab es, wie ich wußte, noch einen Eingang, eine kleine Glastür.

An der Innenseite dieser Tür hing eine Tafel mit der Ankündigung meines Vortrags. Ein paar optimistische junge Menschen, der Stolz unseres Landes, umstanden die Tür, in der Hoffnung, vielleicht doch noch meinem Vortrag beiwohnen zu können. Vorläufig sahen sie nur die dichtgedrängten Zuschauerreihen im Innern des Saales und den in nervöser Erwartung auf und ab gehenden Stockler.

Ich klopfte an die Tür. Niemand öffnete. Ich klopfte kräftiger.

Ein untersetzter Ordner näherte sich von innen, schob die Tafel ein wenig zur Seite und machte das international gebräuchliche Zeichen für »Schert euch zum Teufel!« Ich zeigte mit ausdrucksvoller Gebärde auf mich selbst und gab mich als Vortragenden zu erkennen. Die nicht minder ausdrucksvolle Gebärde des Ordners deutete an, daß er willens sei, mir alle Knochen im Leib zu brechen. Die optimistischen jungen Menschen ringsum verhöhnten mich, weil ich es mit einem so alten Trick versucht hatte und nicht durchgekommen war.

Ich begann aufs neue an die Türe zu klopfen, diesmal mit beiden Fäusten. Nach einiger Zeit nahm ich noch die Füße zu Hilfe. Tatsächlich öffnete sich die Türe, wenn auch nur spaltbreit, und der Ober-Ordner schlug mir mit einem Besenstiel über den Kopf.

»Ausverkauft!« brüllte er. »Verschwind!«

Obwohl ich unter der Wucht des Hiebes wankte, bewahrte ich meine Geistesgegenwart.

»Ich bin der Vortragende!« stieß ich hervor und sprang hurtig zur Seite. »Lassen Sie mich hinein.«

»Nicht einmal Ben Gurion kommt hier herein!« Der Besenstiel sauste drohend durch die Luft. »Reiz mich nicht, oder ich hol die Polizei!«

Er schlug die Türe zu, versperrte sie und schob mit hämischem Nachdruck den Riegel vor.

Ich ließ mich auf einen nahegelegenen Hydranten nieder und überlegte. Unter gar keinen Umständen würde ich aufgeben, soviel stand fest. Ich hatte einen wunderbaren Vortrag ausgearbeitet, in dem ich nachwies, daß es keinen echten israelischen Humor gab, weil die Behörden es an der entsprechenden Unterstützung der humoristischen Institutionen fehlen ließen.

Von drinnen klang gedämpftes Klatschen. Die Ungeduld des Publikums wuchs. Jetzt galt es zu handeln.

Von der gegenüberliegenden Apotheke rief ich den Kultur- und Geselligkeitsklub an.

»Ausverkauft«, sagte eine mürrische Stimme.

»Bitte schicken Sie mir Herrn Stockler zum Telephon.«

»Unmöglich. Er ist drinnen beim Vortrag.« Klick.

Als ich zu meiner Ausgangsbasis zurückkehrte, hatten sich die jungen optimistischen Menschen bereits aus dem Staub gemacht. Nur ein einziger stand noch da. Er trug eine große Ziehharmonika und war, wie sich alsbald herausstellte, das »Gemischte künstlerische Programm« des Abends. Auch er hatte sich erst eingefunden, als die Zugbrücke schon hochgezogen war.

Rasch freundeten wir uns an und tauschten allerlei Ideen aus, wie wir die Wachsamkeit der Ordner umgehen könnten.

Nichts Erfolgversprechendes fiel uns ein. Mendel - dies der Name des Gemischten Programms - begann auf seiner Ziehharmonika eine mitreißende Marschmelodie zu spielen, konnte sich aber gegen die lauten Pfiffe des Publikums nicht mehr durchsetzen.

Etwas Drastisches mußte geschehen. Ich ging wieder in die Apotheke und bat um irgend etwas, womit man auf Glas schreiben könnte.

»Sind Sie der Vortragende von drüben?« fragte der Apotheker.

Ich bejahte.

»Die Vortragenden nehmen gewöhnlich Lippenstift.«

Ich erstand einen Lippenstift der bewährten Marke »Feurige Küsse«, ließ mich vom Gemischten Programm über die Höhe der Tafel heben und schrieb in großen, leuchtenden Lettern auf das Glas: ICH BIN DER VORTRAGENDE.

Der Ober-Ordner und sein vierschrötiger Assistent sahen mich und griffen nach ihren Besenstielen, aber bevor sie die Türe öffnen konnten, brachten wir uns in Sicherheit.

»Du Trottel«, keuchte das Gemischte Programm, noch während wir rannten. »Weil du nicht in Spiegelschrift geschrieben hast.«

Die Ziehharmonika hinderte ihn beim Laufen. Er erklärte mir, daß er dieses blödsinnige Instrument schon längst verkaufen wollte, aber Stockler hätte ihm für heute abend 75 Pfund geboten.

Als wir an einem Postamt vorbeisausten, durchzuckte mich ein grandioser Einfall. Ich stürzte hinein und fragte den Schalterbeamten, wie lange die Beförderung eines Telegramms dauerte. Seine Antwort lautete:

»Weiß ich?«

Ich ließ mich davon nicht abhalten und schrieb auf das Formular: STEHE DRAUSSEN VOR EINGANG STOP HINEINLASSET MICH RASCHEST STOP DER VORTRAGENDE.

Wir eilten zum Klubhaus zurück, diesmal zum Haupteingang, aber der Telegraphenbote kam nicht. Die israelischen Postverhältnisse liegen noch sehr im argen.

Drinnen im Saal war unterdessen ein wahres Pandämonium losgebrochen. Man hatte den Eindruck, daß das Haus jeden Augenblick in die Luft gehen würde.

»Wir müssen das Tor rammen«, sagte Mendel mit heiserer Stimme.

In einer Ecke des Vorhofs lehnte eine pensionierte Wagendeichsel. Wir nahmen sie unter die Arme, gingen ein paar Schritte rückwärts, um genügend Anlauf zu haben, und warfen uns mit aller Kraft gegen die Festung. Beim ersten Versuch wurden wir zurückgeschleudert. Beim zweiten splitterte das Tor.

Der Nahkampf war kurz und heftig. Mendel brach unter der Pranke des Ober-Ordners zusammen. Ich entging dem Stuhl, den man als Wurfgeschoß gegen mich benützte, durch eine geschickte Körperdrehung und rannte im Zickzack, um den Kugeln kein Ziel zu bieten, gegen den Vortragssaal. Der Ober-Ordner ließ den leblosen Körper des Gemischten Programms liegen und sprang mich von hinten an. Mein Mantel blieb in seinen Händen. Ich selbst taumelte auf das Podium zu, blutverschmiert, aber ungebeugt.

Stockler war sichtlich erleichtert, mich zu sehen, und fragte, warum ich so spät käme. Ich sagte es ihm.

»Ja, ja«, bestätigte Stockler. »Solche Sachen kommen vor. Vielleicht sind unsere Ordner ein wenig übereifrig. Aber glauben Sie mir: es ginge sonst noch viel schlimmer zu. Voriges Jahr ist der bekannte Lyriker Melamed-Becker beinahe erstickt, als er versuchte, sich durch die Ventilationsanlage in den Saal zu zwängen.«

Dann stellte mich Stockler dem Publikum vor, das mich mit frenetischem Applaus empfing. Seitlich vom Podium stand der Ober-Ordner mit seinem Assistenten. Beide klatschten wie besessen.

»Meine Damen und Herren«, begann ich. »Es gibt ganz entschieden einen typisch israelischen Humor.«