Vorwort

Als vor drei Jahren der erste schwarze Präsident Amerikas gewählt wurde, ein liberaler, intellektueller Demokrat überdies, war das nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für die ganze Welt ein Jahrhundertereignis. Es schien ein Durchbruch zu sein für ein Land, das nicht nur eine lange Geschichte von Sklaverei und Rassentrennung hat, sondern auch in Kriege im Mittleren Osten verstrickt ist und nach Guantanamo und Abu Ghraib nicht mehr den allerbesten Ruf genießt.

Aber Barack Obama trat ein hartes Erbe an: Eine Bankenkrise hatte gerade die Welt erschüttert und eine Rezession ausgelöst, die noch heute anhält. Und er sollte sich praktisch sofort mit einem Ausmaß an Widerstand konfrontiert sehen, wie ihn noch nie zuvor ein gewählter Präsident erlebt hatte. Wenige Wochen nach seiner Inauguration hatte sich eine lautstarke Anti-Obama-Initiative gebildet, die Demonstrationen vor dem Weißen Haus und vor Rathäusern, State Capitols und Marktplätzen im ganzen Land veranstaltete. Die Bewegung nannte sich »Tea Party«. Der Name war der »Boston Tea Party« entliehen, bei der Kolonisten, als Indianer verkleidet, Kisten mit Tee in den Hafen von Boston warfen, um gegen die britische Teesteuer zu protestieren, stellvertretend für alle Steuern einer als fremd empfundenen Besatzungsmacht.

Die Boston Tea Party war der Startschuss zum Unabhängigkeitskrieg, heute will die neue Tea Party die Macht in Washington übernehmen. Bereits 2010, bei der Wahl zum Senat und Repräsentantenhaus, haben die Neuen Rechten die demokratische Mehrheit gebrochen, seitdem blockieren sie Obamas Politik. Aber nun wollen sie mehr. Sie wollen ihr Land zurückerobern und den nächsten Präsidenten stellen.

Wer der Lieblingskandidat der Tea Party ist, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Oktober 2011) noch nicht ausgemacht. Vielleicht ist es Rick Perry oder auch Michele Bachmann, Rick Santorum oder Ron Paul, vielleicht sogar Newt Gingrich, der eigentlich Washingtoner Urgestein ist, oder Herman Cain, der frühere Pizzakönig. Der Kampf um die Nominierung für die Republikaner fängt im Januar 2012 an. Womöglich wird den auch gar kein Tea Partier gewinnen, sondern ein von der Tea Party ungeliebtes »RINO«, ein »Republican In Name Only«, Mitt Romney oder Jon Huntsman.

Die Tea Party ist keine eingetragene Partei, sondern ein loser Verband, dessen Protagonisten zwar auch um Demokraten werben, aber deren eigentliches Ziel es ist, die Republikaner zu unterwandern. Es ist eine Revolution von rechts. Die meisten Anhänger sind weiß, nicht mehr ganz jung, konservativ und verdienen überdurchschnittlich. Und sie sind nicht auf die Banker sauer, die Billionen von Dollar veruntreut haben, sondern auf die Rettungsversuche der Regierung, die staatliche Hilfen an Hauseigentümer gibt; auf Immigranten, von denen sie glauben, dass sie nur Geld kosten; auf Arme, die nicht genug Steuern zahlen; auf die Moslems, die ihrer Meinung nach an den teuren Kriegen im Mittleren Osten schuld sind; auf alles, was irgendwie fremd, ausländisch und unamerikanisch ist.

Und vor allem sind sie wütend auf den Präsidenten, den sie »Barack Hussein Hitler« nennen und den sie für einen Gangster, einen Muslim und einen Kenianer halten, für einen Verräter, einen Faschisten, einen Kommunisten und einen afrikanischen Hexendoktor. Tea Partier sind Leute, die bei den Vorwahldebatten der Republikaner einen amerikanischen Soldaten ausbuhen, weil er schwul ist, die rufen, »Let him die«, lasst ihn sterben, als über einen Mann im Koma ohne Krankenversicherung diskutiert wird, und die klatschen, weil einer ihrer Kandidaten, Rick Perry aus Texas, fast 240 Menschen hat exekutieren lassen.

Die Tea Party redete anfangs viel vom schlanken Staat, aber ihr eigentliches Ziel ist heute, die Macht in Washington zu übernehmen, die Gewerkschaften auszuhebeln, Frauen- und Minderheitenrechte zu beschneiden, die neue Krankenversicherung »ObamaCare« abzuschaffen, die Schwulenehe zu verbieten, den Superreichen Sondersteuern zu ersparen und eine »Berliner Mauer« an der Grenze zu Mexiko zu bauen. Denn bei der Tea Party hat es inzwischen Umwälzungen gegeben: Die originären Libertären sind kaltgestellt, und die Reagan-Republikaner und ihre einflussreichen Washingtoner Lobbys versuchen, die Tea Party zu instrumentalisieren. Und auch die Religiösen Rechten, an denen in Amerika keiner vorbeikommt, spielen inzwischen in der Bewegung eine gewichtige Rolle.

Die Tea Party ist trotz ihres gelegentlich weinerlichen Tons nicht so machtlos, wie sie gerne tut. Sie hat Börsenmakler, konservative TV-Moderatoren, Blogger und Think-Tanks auf ihrer Seite und bekommt viel Geld aus der Pharma-, Chemie- und Ölindustrie, vor allem von den Koch-Brüdern, den viert- und fünftreichsten Männern der USA. Und trotz eines theoretischen Gerüsts, das auf Intellektuelle wie Ayn Rand und Friedrich von Hayek zurückgeht, ist ihre stärkste Strömung anti-intellektuell und anti-elitär. Es ist ein solider Wählerstamm von Rednecks, die es nicht verwinden können, dass Amerika immer bunter wird. Deshalb fühlen sie sich den Populisten Europas, von Geert Wilders bis Marine Le Pen verbunden.

Dieses Buch erklärt, wo die Tea Party herkommt und wo sie hinwill, was ihre Ziele und wer ihre Geldgeber sind und wie diese mit ihren Aktivisten und ihren Medien vernetzt sind. Es erläutert die historischen Wurzeln der Bewegung, die von den Demokraten, die mit Andrew Jacksons Präsidentschaft im frühen 19. Jahrhundert hochkamen, bis zu den nativistischen »Know Nothings« reichen, die in den Republikanern aufgingen; von den Cowboys des Wilden Westens und den Texanern, die ihr Land den Mexikanern entrissen haben, weil sie ihre Sklaven behalten wollten, bis zu den Dixiecrats des Südens, die die Flagge der Konföderierten auf ihren Pick-ups wehen lassen; von Puritanern und bibeltreuen Christen bis zu New-World-Order-Verschwörungstheoretikern der John-Birch-Society. Die Tea Party beruft sich gerne auf George Washington und Ronald Reagan, aber eigentlich sind ihre Anhänger stramm rechte Politiker des Südens und Südwestens, wie George Wallace und Barry Goldwater, auf die sie zurückgeht.

Das Buch führt den Leser auf eine Reise durch Amerika, durch das konservative Amerika, das »Heartland«; von den Wüsten Arizonas zu den Bordellen von New Orleans, von den Sozialisten in Wisconsin zu den Amish in Iowa, von den Medientürmen und Prachthochhäusern in New York und Chicago zu den Slums von Detroit, von Kleinstädten in Tennessee zu Luxussiedlungen in Kalifornien.

Für die Recherche habe ich mehr als 12 000 Meilen zurückgelegt, mit dem Flugzeug, der Bahn, dem Greyhound und mit Mietwagen. Ich habe in einer Villa mit Pool in Hollywood übernachtet, in einer Jugendherberge in Madison, auf der Couch von Freunden in Texas, im alten Kinderzimmer einer Kollegin in Iowa City, deren – republikanische – Eltern sich rührend um mich sorgten und mir alle Michele-Bachmann-Artikel aus dem Des-Moines-Register ausschnitten; auf einem Mississippidampfer in Chattanooga und im Cadillac Hotel in Detroit.

Ich habe Conventions der Tea Party besucht und Parteitage der Republikaner, Bürgerkriegsspiele im Süden und Massendemonstrationen im Norden. Ich habe Sarah Palin die Hand geschüttelt, Michele Bachmann Fragen gestellt, ein Bier mit Ron Paul getrunken, Herman Cains Vergleichen von Politik und Pizza zugehört, mir von Newt Gingrich erklären lassen, wie es zu seinem Fernsehauftritt in der Serie ›Murphy Brown‹ kam, Rick Perrys erste Schritte auf die nationale Bühne beobachtet und Donald Trump beim Pizzaessen zugeschaut. Und wer weiß, vielleicht wird einer dieser Leute der nächste amerikanische Präsident. Klar ist nur: Der Kampf um die Zukunft Amerikas wird in diesem Jahr entschieden.