Populisten und Nashörner: Was die Tea Party mag und was nicht

Palos Verdes liegt wunderschön, hoch über dem tiefblauen Meer. Weiß getünchte Villen stehen entlang gewundener Straßen, mit Palmen, Zitronenbäumen, Agaven, Blütenranken und sattgrünem, bewässertem Rasen. Die alte spanische Gründung ist heute eine wohlhabende kalifornische Gemeinde, ein Vorort von Los Angeles, aber weit weg von den Hochhäusern der Downtown. Hier wohnen June und Robert Bacon, ein älteres Ehepaar, die ihr ganzes Leben in Kalifornien verbracht haben.

Die Bacons sind besorgt über den Kurs, den Kalifornien und eigentlich das ganze Land eingeschlagen hat. »Die Gewerbesteuern sind viel zu hoch«, sagt Robert Bacon. »Die Industrie wandert ab, es gibt kaum noch Luft- und Raumfahrtunternehmen oder Autobauer. Nissan war die letzte größere Fertigung, und die sind wegen der Steuern nach Tennessee gegangen.« Ein pensionierter Richter, der bei den beiden zu Besuch ist, stimmt zu. »Und mit Brown wird es noch schlimmer«, knurrt er. »Brown wird garantiert die Steuern erhöhen.« Jerry Brown ist der neue, demokratische Gouverneur von Kalifornien, der Arnold Schwarzenegger abgelöst hat. Brown, ein ausgesprochener Linker, war schon mal von 1975 bis 1983 Gouverneur. Er hat Kalifornien nach Reagan saniert, aber das möchten Konservative heute nicht so gerne wahrhaben.

Ich frage vorsichtig, ob Steuern denn nicht notwendig seien für die Infrastruktur. Auf diese Frage hat der Richter gerade noch gewartet. »Wir bräuchten all diese Ausgaben nicht, wenn wir nicht so viele illegale Immigranten hätten!«, sagt er. »Die kosten uns Milliarden an Steuergeldern, für Schulen, für Krankenhäuser und vor allem für Gefängnisse!« Die Bacons nicken. June Bacon hatte für Browns konservative Gegenkandidatin gestimmt, Meg Whitman, die frühere eBay-Chefin, die heute Hewlett Packard leitet. »Die ist wenigstens eine gute Businessfrau.«

Der Richter hingegen macht sich vor allem Sorgen um die Kriminalität, obwohl die heute viel geringer ist als in den Siebzigern. »Als ich noch in Los Angeles gearbeitet habe, konnte man nicht vom Gerichtsgebäude zur U-Bahn laufen, ohne erschossen zu werden. Und das wird unter Brown wieder so werden.« Dann fügt er hinzu: »Aber Schwarzenegger war auch nicht viel besser. Der war ein echter RINO.« Ein heimlicher Demokrat also, ein Republican In Name Only. Und die mögen Tea Partier gar nicht. In New Orleans trat ein von den kalifornischen Republikanern gegründeter RINO Hunters’ Club auf, der Aufkleber verteilte mit der Aufforderung, RINOs zu jagen.

Los Angeles ist, wie viele kalifornische Städte, eine alte spanische Gründung. Als die USA 1848 Kalifornien annektierten, war L.A. eine spanische Mission, umgeben von Hütten, in denen gerade mal ein paar Hundert Mestizen lebten. Sie lag zwischen dem heutigen Chinatown und der Cineasten bekannten Downtown mit der alten Union Station, dem wolkenkratzerartigen Rathaus, den historischen Hotels und dem Haus der ›Los Angeles Times‹, deren frühere Besitzer, die Chandlers, zu den Oligarchen gehörten, die L.A. lange beherrschten. 1876 erreichte die Eisenbahn von Chicago die Stadt, kurz darauf wurde Öl gefunden. Aber erst ab 1913 begann L.A. richtig zu wachsen, als der Ingenieur William Mulholland ein Aquädukt aus dem San Fernando Valley legte, das Wasser in die Wüstenstadt am Meer brachte. Leider trocknete das Valley dadurch aus; eine Geschichte, die der Film ›Chinatown‹ erzählt.

Heute ist Los Angeles ein riesiges städtisches Areal, so groß wie das Kosovo, dessen unzählige Orte und Vororte oft wenig miteinander zu tun haben. Die Downtown, lange No-go-Area, findet langsam wieder zur alten Pracht zurück: mit der Walt-Disney-Konzerthalle, der neuen Cathedral of Our Lady of the Angels und den glitzernden Hochhäusern des Financial District. Nahebei sind Little Tokyo, Little Armenia und Koreatown. Im Osten liegt Pasadena, im Süden Long Beach, der größte Frachthafen der USA, Anaheim mit Disneyland, aber auch Watts und South Central, wo schwarze, salvadorianische und mexikanische Gangs die Straßen beherrschen. Der letzte große Aufstand war hier Anfang der Neunziger, als vier weiße Polizisten den schwarzen LKW-Fahrer Rodney King fast totschlugen. In den tagelangen Krawallen, die folgten, nachdem die Polizisten freigesprochen worden waren, starben 53 Menschen.

Aber der Grund, warum die Tea Party Kalifornien und besonders L.A. nicht mag, liegt im Westen der Stadt. Hier kam 1913, im selben Jahr, als Mulholland das San Fernando Valley austrocknete, ein junger Regisseur an, Cecil B. DeMille. Er sollte im Auftrag der New Yorker Filmmogule Jesse Lasky, dem Gründer von Paramount, und Samuel Goldwyn einen Drehort für den ersten amerikanischen Western suchen: ›The Squaw Man‹. Eigentlich wollte DeMille das neue Studio in Flagstaff, Arizona, eröffnen, aber das fand er dann doch nicht geeignet. Und so wählte er Hollywood.

Die Scheune, die DeMille mietete, ist nunmehr ein Museum auf einem Hügel oberhalb des Hollywood Boulevards. Die Film- und Fernsehindustrie hat sich heute über halb Los Angeles ausgebreitet. Südlich des Sunset Boulevard liegt Paramount Pictures, in Culver City sind Sony Pictures und die 20th Century Fox, in Burbank drehen Disney, Warner Bros. und Universal. Aber Hollywood ist, so glauben viele Tea Partier, ein Sündenbabel und eine Bastion der Liberalen. Denn aus Hollywood kommen nicht nur viele Parteispenden für die Demokraten. In viele Filme – von ›Ice Age‹ über ›Brokeback Mountain‹ bis zu ›Avatar‹ – seien auch heimlich liberale Botschaften eingewebt.

Viele Filmstars der Traumfabrik leben in den Villenvierteln, die sich von Beverly Hills und Bel Air bis nach Venice Beach und Santa Monica erstrecken. Eines dieser Viertel ist Brentwood. Hier, in einer ausladenden mediterranen Villa mit Pool und Tennisplatz, lebt der »Terminator«: Arnold Schwarzenegger. Mittlerweile ohne seine Frau Maria, denn die packte die Koffer, als sie erfuhr, dass er mit der Haushälterin ein Kind hat. Aber nicht deshalb haben sich die Republikaner von ihm abgewandt. Schwarzenegger gilt als RINO par excellence. Schwarzenegger hat, das nehmen ihm seine kalifornischen Parteifreunde übel, eine Demokratin der berühmten Kennedy-Familie geheiratet, Maria Kennedy Shriver, er hat mit den Demokraten mehrmals den Haushalt von Kalifornien beschlossen, die Steuern erhöht, wenngleich bescheiden, er hat eine umweltfreundlichere Verkehrspolitik durchgesetzt und sich nicht wirklich gegen die Schwulenehe ausgesprochen. Und seine ganze Erscheinung, sein Akzent, sein Zigarrenrauchen, sein Popograbschen, wirkt für den durchschnittlichen Tea Partier beunruhigend europäisch. Das mögen sie schon gar nicht.

Schwarzenegger ist der bekannteste, aber nicht der einzige prominente RINO. Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg zählte dazu, bis er die Mitgliedschaft bei den Republikanern aufgab. Auch der frühere Außenminister der Bush-Regierung, Colin Powell, gilt als herausragender RINO. Sogar John McCain, der Senator aus Arizona, wird von manchen Hardlinern für einen RINO gehalten. Letztlich sind die RINOs von heute für die Tea Party das, was für die Goldwater-Republikaner die Rockefellers waren.

Aber die Tea Party lehnt nicht nur die RINOs und die Hollywood-Liberalen ab, eigentlich mag sie ganz Kalifornien nicht, einen Staat, der zu mehr als einem Drittel hispanisch ist, vor allem im Süden. In Phoenix wurde eine Delegierte aus Kalifornien mit den Worten begrüßt: »Sie Ärmste, gut, dass Sie von dort entkommen konnten.« In Kalifornien kann man das Phänomen des white flight beobachten, den Wegzug von konservativen mittelständischen Weißen nach Nevada, Idaho oder Arizona.

Verdächtige Mormonen

San Diego liegt im Süden von Los Angeles, und eigentlich ist die ganze südliche Küste von Kalifornien eine einzige lang gestreckte Stadt, von Santa Barbara, wo Ronald Reagan zuletzt wohnte, bis zur mexikanischen Grenze. San Diego ist eine Hafenstadt mit einem großen Militärflugplatz und einem berühmten Zoo. Im Vorort La Jolla residiert einer der bekanntesten RINOs Amerikas: Mitt Romney. Und er ist gerade dabei, sich gemütlich einzurichten. Im Sommer 2011 hat er seine Zwölf-Millionen-Dollar-Villa abreißen lassen, die ihm zu klein war. Nun lässt er ein vier Mal so großes Landhaus am Meer bauen. Es ist eines seiner beiden Ferienhäuser, denn hauptsächlich lebt er in einem Vorort von Boston. Das brachte ihm Kritik ein, nicht nur von Linken, die fanden, es zeige, wie abgehoben der Multimillionär sei, das meinten sogar Parteifreunde. Aber er brauche das größere Haus, sagte er, denn er habe fünf Söhne, alle verheiratet, und 16 Enkelkinder. Immerhin: Der Mormone hat nur eine Frau.

Romney wollte bereits 2008 für die Republikaner nominiert werden, unterlag damals aber knapp McCain. Danach sicherte er dem Senator aus Arizona seine Loyalität zu, in der Hoffnung, dass der ihn als Vizepräsident mit nach Washington nehmen würde. Stattdessen entschied sich McCain für Sarah Palin. Nun hofft Romney auf eine zweite Chance, und inzwischen klingt er schon fast lächerlich konservativ – er bewundert nicht nur offen Ronald Reagan, eine Pflichtübung für alle, die bei den Republikanern etwas werden wollen, er forderte beispielsweise auch einmal, die Zahl der Insassen in Guantanamo Bay zu verdoppeln.

Aber Romney ist bei der Tea Party als RINO noch verhasster als Schwarzenegger. Denn während Arnie schon Geschichte ist, hat Romney sehr gute Chancen auf die Präsidentschaft. In den meisten Umfragen führt er das Feld an, noch vor Rick Perry. Aber die beiden unterscheiden sich wie die Zwillinge in ›Twins‹, dem Film mit Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito. Perry ist ein bauernschlauer evangelikaler Südstaatler, Romney ist gebildet, Mormone und aus dem Norden. Perrys Vater war Demokrat und arm, Romneys Vater war Republikaner und Vorstandsvorsitzender von American Motors, außerdem Richard Nixons Bauminister und Gouverneur von Michigan. Perry stand immer im Sold der öffentlichen Hand, entweder beim Militär oder bei der Staatsregierung, Romney hingegen war zwar ebenfalls Gouverneur, der von Massachusetts, vor allem aber ist er ein Geschäftsmann, der die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City erfolgreich gemanagt hat und der mit Bain Capital eine Private-Equity-Gesellschaft besitzt, mit der er zum Multimillionär wurde.

Bain Capital verdient Geld, indem mithilfe von privaten Investoren Firmen gekauft, ausgeschlachtet und stückchenweise weiterverkauft werden. Dabei werden, wenn nötig, Fabriken geschlossen, Jobs vernichtet und Konkurse angemeldet, so ähnlich wie es Richard Gere alias Edward Lewis im Blockbuster ›Pretty Woman‹ getan hat, allerdings ohne reuiges Ende. Tatsächlich identifiziert sich Romney so sehr mit seiner Firma, dass er einem Fragesteller bei einer Wahlveranstaltung einmal zurief: »Konzerne sind auch Menschen!« In Kansas City schloss Bain Capital eine Fabrik, während die Schwesterfirma Bain & Company von einer Bundesbehörde Schulden erlassen bekam. Und in einer Fabrik in Indiana, die Bain Capital aufgekauft hatte, wurden 250 Arbeiter entlassen und einige davon später zu geringeren Löhnen wieder eingestellt.

Nicht nur die Demokraten werden damit im Wahlkampf punkten, auch Donald Trump hat Romney bereits vorgeworfen, dass der gar keine Jobs schaffe. Und einer von Perrys Strategen meinte, Amerika brauche keinen Präsidenten, der Arbeitsplätze aus Amerika nach Übersee verschiebe und damit reich werde. Dabei sollte man doch eigentlich vermuten, dass die Tea Party als Partei der fiskal konservativen Freunde der freien Märkte mit Romneys geschäftlicher Strategie kein Problem hat. Noch mehr aber macht ihm die Tea Party zum Vorwurf, dass er in Massachusetts »RomneyCare« eingeführt hat, eine kostenpflichtige Krankenkasse für alle. Und die Staatsregierung subventioniert auch noch die working poor, die sich die Beiträge nicht leisten können. RomneyCare wurde mit den Stimmen von Republikanern und Demokraten beschlossen, auch mit der Unterstützung der grauen Eminenz Ted Kennedy. Das Programm ist in Massachusetts beliebt, und es funktioniert. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum Romney von Tea Partiern angefeindet wird.

Tea Partier werfen Romney überdies vor, er hänge sein Mäntelchen nach dem Wind. Und zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Massachusetts hat unter dem Druck von politischen Aktivisten und Gerichten die Schwulenehe erlaubt; Romney hat als Gouverneur darauf mit einer Reihe von widersprüchlichen Verordnungen reagiert, die weder diejenigen zufriedenstellten, die darin ein Menetekel für das baldige Kommen des Satans sehen, noch die, für welche die Schwulenehe eine Grundsatzfrage der rechtlichen Gleichstellung ist. Er war erst für das Recht von Frauen auf Abtreibung, dann verbot er die Pille danach. Er hat einmal behauptet, er sei zeit seines Lebens Mitglied der National Rifle Association gewesen, während er der Waffenlobby tatsächlich erst beigetreten ist, nachdem er beschlossen hatte, sich um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat zu bewerben. Trotzdem hat die Abneigung der Tea Party gegen Romney etwas Irrationales. Denn Rudy Giuliani, der offen für Schwulenrechte eintritt und drei Mal verheiratet war, bleibt von deren Zorn verschont. Vielleicht hat der Hass gegen Romney auch etwas mit seiner Vergangenheit zu tun: Sein Vater George Romney hat sich in den sechziger Jahren, als Barry Goldwater Präsident werden wollte, öffentlich gegen den Befürworter der Rassentrennung gewandt. Mitt, damals noch ein junger Praktikant, der für seinen Vater als Wahlkampfhelfer arbeitete, stand ihm zur Seite.

Und noch mehr spielt Romneys mormonischer Glaube eine Rolle, der bei Konservativen und speziell bei Evangelikalen nicht sonderlich beliebt ist. Nach Umfragen würde rund ein Viertel der Republikaner keinen Mormonen wählen. Robert Jeffress, Pfarrer einer Megachurch in Dallas und Perry-Unterstützer, erklärte gar, die Evangelikalen sähen die Mormonen als Anhänger eines Kults. Er fügte hinzu, Romney sei aber noch ein bisschen besser als Obama, der nach »unbiblischen Prinzipien« regiere. Es wird vermutet, dass Perry hinter diesem Statement steckt.

 

Der Mythos von Kalifornien als dem »goldenen Staat« entstand in Sacramento. Sacramento bestand ursprünglich nur aus einer Farm, die John Sutter angelegt hatte, ein Immigrant aus der Schweiz, der 1839 in das Tal des Sacramento River zog. Bald entstanden hier Mais- und Weizenfelder; Hunderte von Landarbeitern, viele davon deutsche Immigranten, hüteten Sutters Kühe und Schafe auf Indianerland. Sutter hatte es erst mit billigeren indianischen Sklaven versucht, aber von denen waren zu viele gestorben. Bald entstand ein kleines Dorf mit einer Schmiede, einer Bäckerei, einer Apotheke, einer Weberei, einer Schreinerei und einer Waffenkammer.

1848, als Kalifornien an Amerika fiel, fand Sutters Vorarbeiter an der Sägemühle ein mittelgroßes Nugget. Sutter bat ihn, das für sich zu behalten, aber der kleine Sohn seiner Köchin verriet das Geheimnis an ein paar durchreisende Männer. Es folgte der goldrush, unsterblich gemacht durch Charlie Chaplins Film. Glückssucher und Goldgräber, erst zu Hunderten, dann zu Hunderttausenden, zogen aus ganz Amerika nach Kalifornien. Auf der Suche nach Gold gruben sie Sutters Felder um, vergifteten den Sacramento River mit säurehaltigen Abfällen vom Goldabbau und legten im Suff Feuer in den Wäldern. Von den einst 300 000 kalifornischen Indianern überlebten keine 10 000. Sutter kehrte, nachdem seine Farm zerstört war, an die Ostküste zurück.

Zur Hauptstadt wurde Sacramento 1854, damit wurde die Stadt wohlhabend und bürgerlich. Ein klassizistisches Kapitol aus weißem Marmor wurde errichtet, dessen Kuppel mit einem goldenen Dach gekrönt ist. Hier herrscht heute Jerry Brown, dessen »Dream Act« kalifornische Schulen für die Kinder illegaler Immigranten öffnete. Das »Gold« aber, das Kalifornien heute reich macht, wird im Silicon Valley geschürft. Das Valley ist eigentlich eine endlose Folge von Vororten und campusartigen Hightech-Fabriken entlang dem Highway 101, zwischen San Francisco und San José. Hier sitzen Start-ups, IT-Unternehmen und Computerbauer wie Apple, Yahoo, Cisco, Google und eBay. Mitten im Valley liegt die Kleinstadt Palo Alto, wo die Stanford University residiert und Firmen wie Hewlett Packard und, bis vor Kurzem, Facebook. Die meisten Bewohner sind weiß, aber es gibt eine große asiatische Minderheit, wie überall in Nordkalifornien. Auch ein prominenter RINO ist in Palo Alto aufgewachsen, der ebenfalls seinen Hut als Präsidentschaftskandidat in den Ring geworfen hat: Jon Huntsman.

Huntsman ist ein Reagan Republican und eigentlich ein Traumkandidat. Als junger Mann hat er für die Ikone der Konservativen gearbeitet, danach ging er für George Bush sen. als Diplomat nach Singapur. Seine Kandidatur hat er wie zuvor schon Reagan im Liberty State Park angekündigt, mit der New Yorker Freiheitsstatue im Hintergrund. Das hat ihm bei Mitgliedern der Tea Party nichts genutzt. Aber auch der echte Reagan würde ja heute vor deren Augen keine Gnade finden.

Huntsman ist ebenfalls Mormone, er ist der frühere Gouverneur von Utah. Dort fing er 2004 an zu regieren; 2008 wurde er mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt, nachdem er trotz Steuersenkungen den Haushalt ins Plus gesteuert hatte. Wie Romney hat Huntsman einen berühmten Vater, Jon Huntsman sen., Gründer der Huntsman Corporation. Das ist ein Chemiekonzern mit einem Jahresumsatz von neun Milliarden Dollar mit Sitz in Salt Lake City. Huntsman sen. legte den Grundstein für seinen Reichtum, als er den Styroporcontainer für den Big Mac erfand. Amerikanischer geht es nicht. Der 51-jährige Huntsman jun. war Vorsitzender der Huntsman Corporation, der Huntsman Cancer Foundation und der Huntsman Family Holdings Company.

Huntsman hat noch mehr Kinder als Romney – sieben – und seine Familie ist noch ein bisschen reicher als die des Konkurrenten. Man sollte meinen, dass der Kandidat, der auch für moderate Demokraten wählbar wäre und bei den Libertären vom Cato Institute beliebt ist, aus Sicht der Tea Party ein Glücksfall sei, aber weit gefehlt. Denn er hat mehrere fatale Fehler: Er glaubt an Evolution und globale Erwärmung, er warnt gar davor, dass die GOP keine Anti-Wissenschaftspartei werden dürfe. Ihm fehlen die innerparteilichen Kontakte zu den Parteistrategen. Und er war, das ist das Schlimmste, Obamas Botschafter in China. Er nannte den Präsidenten sogar einen »bemerkenswerten Führer«. Das hat ihn bereits bedenklich in die Nähe des als Kommunisten verdächtigen Amtsinhabers gebracht. Dass der Mormone, der seine Missionsjahre in Taiwan verbracht hat, auch noch Mandarin spricht, lässt ihn erscheinen, als werde er aus China ferngesteuert. Um das Maß voll zu machen, haben er und seine Frau ein chinesisches Mädchen adoptiert (und ein indisches). Zudem hat er als Gouverneur schwule Lebensgemeinschaften unterstützt. »Wen wir hier vor uns haben«, spottete das ›New York Magazine‹, »ist Nelson Rockefeller II.«

 

Salt Lake City ist wie eine Perle in der Wüste; eine weiße Stadt mit schnurgeraden Alleen, die auf einen gigantischen Tempel zulaufen. Die Stadt wurde um 1847 weitab der Zivilisation und von Washington gegründet, an einem riesigen Salzsee am Fuß der Rocky Mountains, im damals noch unerforschten Indianerland. Der Urahn der Mormonen, der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, wie sie offiziell heißt, war Joseph Smith. Dem New Yorker war eines Nachts im Traum ein Engel namens Moroni erschienen und hatte ihm den Weg zu einem goldenen Buch gewiesen. Nach jahrelanger Suche fand Smith das Buch, und er übersetzte im Verborgenen dessen Weisheiten; der Engel nahm danach das Buch wieder an sich und verschwand spurlos.

Das ›Buch Mormon‹ schreibt die Bibel in Nordamerika fort; es lehrt, dass die Stämme Israels ins heutige Amerika gezogen sind, ihre vom Glauben abgefallenen Nachkommen seien die Indianer. Smith scharte zwölf Apostel um sich, darunter Parley Pratt, einen der Ahnen von Huntsman, übrigens auch von Romney. Pratt, der wie alle frühen Mormonen ein Polygamist war, wurde jedoch von dem Ehemann einer seiner zwölf Frauen erschossen (und zum Märtyrer erklärt). Die Mormonen suchten erst in Missouri und dann in Illinois einen Ort für ihre neue Kirche. Aber aus beiden Staaten mussten sie flüchten, nachdem mehrere ihrer Mitglieder, darunter Smith, gelyncht worden waren.

Nach Smiths Tod übernahm Brigham Young die Führung. Young geleitete die Gemeinde nach Utah, weitab von jeglicher Zivilisation. Die Mormonen wollten endlich in ihrem eigenen Staat frei leben. Aber das war nur von kurzer Dauer. 1848, als die ersten Goldsucher durch Utah zogen, fiel der gesamte Westen des Kontinents an die USA. Washington war von einem autonomen Kleinstaat auf dem neu gewonnenen Territorium nicht begeistert; 1857 schickte Präsident James Buchanan Truppen. Young gelang es zwar, einen richtigen Kampf zu vermeiden. Aber die Mormonen wurden gezwungen, sich Washington zu unterwerfen. Als Utah 1896 ein Staat wurde, gaben sie die Polygamie auf, wenngleich sie von vereinzelten Sekten heute noch praktiziert wird. Auch Romneys Großvater war ein Polygamist. Er war sogar Anfang des letzten Jahrhunderts mit seinen Frauen nach Mexiko geflüchtet, um der Verfolgung durch die Bundesregierung zu entgehen. Dort wurde auch George Romney geboren. Übrigens: Als Romney gegen Nixon um die Nominierung der Republikaner kandidierte, bildete sich keine Birther-Bewegung, die es in Frage stellte, ob er überhaupt Amerikaner sei.

Mormonen glaubten nicht nur, dass Indianer abgefallene, von Gott gestrafte Ur-Gläubige seien, sie hielten auch lange daran fest, dass Schwarze nicht in den Himmel kommen könnten (den mormonischen Himmel). Erst 1978 wurde es (männlichen) Afroamerikanern erlaubt, Priester zu werden. Mormonen halten sich für Christen, diese Einschätzung wird von den christlichen Kirchen aber nicht geteilt. Insbesondere die Evangelikalen sind den Mormonen spinnefeind und das gilt nicht nur für Pfarrer Jeffress. Das ist eigentlich erstaunlich, denn beide Glaubensgemeinschaften sind einander nicht unähnlich, etwa was die Behandlung der Schwarzen und die Liebe zu den Israeliten angeht. Mormonen sind strikt gegen die Schwulenehe, lehnen Alkohol und Drogen ab und halten Familienwerte hoch. Andererseits mögen die Evangelikalen ja auch keine Moslems.

Romney, nach seinem mormonischen Glauben befragt, betont stets, dass es bei der Präsidentschaftswahl nicht um Religion gehe, während Huntsman seine religiösen Wurzeln nonchalant herunterspielt. Er sagte einmal in einem Interview, er sei in Los Angeles in eine lutherische Schule gegangen, seine Frau sei eine Episkopalin gewesen, seine Kinder seien auf einer katholischen Schule gewesen; und seine Adoptivtochter aus Indien sei eine Hindu. Das macht ihn bei der Tea Party natürlich noch verdächtiger. Der einzige Mormone, den sie mögen, ist Glenn Beck. Aber der ist ja auch ein Konvertit. Beck allerdings mag die Huntsmans, er hält Huntsman sen., den Vater des Kandidaten, für den einzigen Mann in Amerika, der den Charakter eines George Washington habe. Die beiden RINOs wiederum sind einander nicht sonderlich grün. Huntsman glaubt – so schrieb das ›New York Magazine‹ –, dass Romney prinzipienlos sei, während Romney Huntsman für einen Spielverderber hält, der ihm den Weg zur Präsidentschaft verbaut.

Superschnellzug nach Nirgendwo

San Francisco symbolisiert, mehr noch als Hollywood, alles, was die Tea Party an den kalifornischen Liberalen hasst. In den sechziger Jahren war hier, in Haight-Ashbury, das Herz der Hippie-Bewegung, an der Berkeley University tobte der Protest gegen den Vietnamkrieg so heftig, dass der damalige Gouverneur Ronald Reagan die Nationalgarde schickte. In den siebziger Jahren kämpften die Schwulen an der Castro Street um gleiche Rechte; und mit Harvey Milk hatte San Francisco den ersten offen schwulen Stadtrat, dessen Lebensgeschichte mit Sean Penn in der Hauptrolle verfilmt wurde (den die Tea Party noch weniger mag als Milk). 25 Jahre später gab es hier mit Gawin Newsom den ersten Bürgermeister, der schwule Paare auch ohne Rechtsgrundlage verheiratete. Auch Nancy Pelosi, die frühere Fraktionsvorsitzende der Demokraten und für die Tea Party ein rotes Tuch, hat ihren Wahlkreis in San Francisco.

San Francisco, malerisch auf einer Halbinsel zwischen zwei gewaltigen Hängebrücken gelegen, ist die zweitgrößte Stadt Kaliforniens, aber sie wird von der Eisenbahn links liegen gelassen. Der Coast Starlight, der von Seattle kommt, hält nur in der Schwesterstadt Oakland und braucht dann an der pittoresken Küste entlang zwölf Stunden nach Los Angeles. Aber das soll sich ändern. Die California High Speed Rail Authority will einen Hochgeschwindigkeitszug bauen lassen, einen bullet train, wie dieser hier genannt wird, nach dem Superman-Motto »Faster than a speeding bullet«, schneller als eine Gewehrkugel. Der Zug soll San Francisco und L.A., eine Strecke wie von Hamburg nach München, in zweieinhalb Stunden verbinden. Er soll 43 Milliarden Dollar kosten. Schwarzenegger hat das Projekt unterstützt, er tat an einem seiner letzten Amtstage den ersten symbolischen Spatenstich. Auch Brown steht dahinter. Aber Kalifornien braucht dazu Geld aus Washington. Viel Geld. Die Obama-Regierung hat Kalifornien vier Milliarden Dollar versprochen, und amerikaweit waren eigentlich bis vor Kurzem in den nächsten zehn Jahren 53 Milliarden Dollar für den Streckenausbau vorgesehen. Hier allerdings hat der 2010 neu gewählte Kongress mit seiner republikanischen Mehrheit sein Veto eingelegt.

Selbst das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Amerika befindet sich, was die Eisenbahn betrifft, in den fünfziger Jahren. Weite Teile des Netzes sind nicht elektrifiziert, der einzige schnelle Zug ist der Acela von New York nach Washington, D.C. Und auch der schafft nur das Tempo eines deutschen Regionalexpress. Aber nicht nur Bachmann ist gegen einen Hochgeschwindigkeitszug, auch Sarah Palin. Palin trat im September 2011 in Iowa auf und rief dabei der Menge zu: »Wir sind völlig pleite, und Obama denkt, Solarziegel und echt schnelle Züge würden uns wie durch Zauber retten! Nun schreit er, fahrt alle mit dem bullet train in den Konkurs!« Mehrere der Tea Party nahestehende Gouverneure haben zugesagte Bundesgelder für den Ausbau nicht angenommen und damit den Zug kalt gestoppt. Darunter sind nicht nur Scott Walker in Wisconsin, sondern auch John Kasich in Ohio und Rick Scott in Florida.

Nun hat die Tea Party tatsächlich eine technikfeindliche Ader – ihre Politiker mögen auch die NASA nicht, Solarenergie und Windräder –, aber hinter dieser Kampagne steckt – so schreibt die ›National Review‹ – eine konzertierte Aktion der Tea Party in Florida und mehrerer Think-Tanks. Das sind namentlich Cato, die libertäre Reason Foundation und die Heritage Foundation, vereint in der American Dream Coalition. Diese Think-Tanks hatten eine Flut von skeptischen Artikeln und Gutachten veröffentlicht, Seminare veranstaltet und Journalisten über die hohen Kosten und die Nutzlosigkeit des Zugverkehrs aufgeklärt. Derweil hat die Tea Party in Tampa, Florida, die Gruppe »No Tax For Track« gegründet, keine Steuer für Gleise. Die organisierte im September 2010 eine Rally, auf der wiederum die Experten der American Dream Coalition sprachen. Danach wandte sich eine Mehrheit der Wähler in Tampa gegen den Hochgeschwindigkeitszug. Floridas Gouverneur Scott stoppte den Bau. Er wollte die 2,4 Milliarden Dollar aus Washington stattdessen für den Ausbau zweier Highways verwenden. Und vorerst hat der Kongress dem Hochgeschwindigkeitszug den Geldhahn abgedreht.

Catos Experte in Sachen Hochgeschwindigkeitszug ist Wendell Cox, der auch für Heritage, das Goldwater Institute und die American Highway Users Alliance schreibt, den Verband der Autobahnfans, der in den dreißiger Jahren von General Motors gegründet wurde. Cox moniert, dass zehn Milliarden Dollar bei Weitem nicht reichten, die ganze USA mit bullet trains zu versorgen – was auch niemand behaupt hat –, zudem könne man in Europa sehen, dass der laufende Betrieb nicht kostendeckend sei. Deshalb solle Washington diese Gelder besser in Straßen und Flughäfen stecken.

Dorthin fließt aber bereits jetzt das Gros der Subventionen. So verschlingt alleine die bundesstaatliche Flugaufsicht FAA mehr als 16 Milliarden Dollar pro Jahr. Dazu kommen die Kosten für die Flughäfen; so hat beispielsweise der Ausbau des Flughafens von Los Angeles den Steuerzahler zwölf Milliarden Dollar gekostet. Auch der Flugzeugbauer Boeing bekommt föderale Subventionen in Milliardenhöhe. Selbst Provinzflüge werden mit 110 Millionen Dollar im Jahr bezuschusst, vornehmlich in ländlichen, konservativen Staaten wie Montana. Die Zeitung ›USA Today‹ recherchierte einmal, dass ein Flug von Lewistown nach Billings – die Strecke einer Autofahrt von zwei Stunden – den Passagier nur 88 Dollar kostet. Die Bundesregierung subventioniert diesen aber mit 1343 Dollar: pro Person. Dagegen protestierten bisher weder die Tea Party noch die Republikaner aus Montana. Und auch der Straßenbau profitiert von Steuergeldern. Mehr als fünfzig Milliarden Dollar im Jahr kosten die Interstates, ein Straßennetz, das in den fünfziger Jahren unter Präsident Dwight D. Eisenhower entwickelt wurde, der sich das als Oberbefehlshaber der US-Truppen von den deutschen Autobahnen abgeguckt hatte.

Die Libertären lehnen ein staatliches Zugnetz ab, weil sie Infrastruktur grundsätzlich privatisieren wollen; sie wollen auch, dass der Ausbau von Highways durch Mautstationen finanziert wird. Republikaner hingegen sind gegen den bullet train, weil sie ihre Wahlkämpfe mit den Spenden der Flugzeugbauer und der Luftfahrtindustrie bestreiten. Und für die Tea Party sind Züge – deren Technik aus Deutschland, Frankreich und Japan kommt – unamerikanisch. Ihrer Ansicht nach wollen Amerikaner individuell von Los Angeles nach San Francisco reisen und nicht im Kollektiv (man fragt sich, warum die Flugzeuge dann voll sind). Als in China bei einem Zugunfall 32 Menschen umkamen, posteten Tea Partier die Nachricht hochgemut auf ihren Websites, zum Beweis, dass ein ausländisches Gefährt nichts tauge. Aber vielleicht widerstrebt es auch Leuten, die einander alle halbe Stunde versichern müssen, dass Amerika das großartigste Land der Welt ist, in einen Zug aus dem alten Europa zu steigen.

Züge haben aber noch aus einem anderen Grund einen schlechten Ruf in den USA. Öffentlicher Nahverkehr gilt hier als Transportmittel für Arme und Schwarze. Und das ist auch tatsächlich so, vor allem in Großstädten, wo viele Afroamerikaner oder Hispanics wohnen. Für manche Weißen dort existieren Busse gar nicht. Danach befragt, versichern sie einem felsenfest, dass es in ihrer Stadt keinerlei öffentlichen Nahverkehr gebe, auch wenn der Bus gerade auf der Straße an ihnen vorbeifährt.

Die Tea Party, das Ausland und die europäischen Populisten

Für viele amerikanische Konservative ist alles, was entfernt ausländisch wirkt, ein rotes Tuch. Beispielsweise Fußball. Während der Weltmeisterschaft in Deutschland, als alle Welt feierte, schmollte die vereinte Prominenz von Tea Party und Neokonservativen. »Ich hasse Fußball, wahrscheinlich deshalb, weil der Rest der Welt es so sehr mag«, meinte Glenn Beck auf Fox News. Auch G. Gordon Liddy echauffierte sich, der für Richard Nixon seinerzeit den Watergate-Einbruch inszeniert hatte. Er hält Fußball für eine Erfindung südamerikanischer Indianer, die mit den abgeschlagenen Köpfen ihrer Feinde gekickt haben sollen. Für Dan Gainor, rechter Kolumnist und ebenfalls Dauergast auf Fox News, ist die Ausbreitung von Fußball in den Grundschulen ein Menetekel dafür, dass Amerika »immer brauner wird«, und er meint damit, dass immer mehr Einwanderer aus Mexiko oder den Philippinen kommen. Und Marc Thiessen vom neokonservativen Think-Tank American Enterprise Institute steuerte bei, Fußball sei ein »sozialistischer Sport« für arme Leute in Europa.

Europa ist für konservative Amerikaner ein Kontinent, in dem dekadente Weltkriegsverlierer leben; und dass Obama dort beliebter ist als George W. Bush, erfüllt sie mit Misstrauen – dem Präsidenten gegenüber, aber auch den Europäern, die sie allesamt für Kommunisten und Sozialisten halten. Anders als in den dreißiger Jahren, als der rechte Flügel und die Großindustrie in Amerika noch von Hitlers Law-and-Order-Politik und seinem Antikommunismus schwärmten, lehnen Konservative heute Nazis als übermächtige »Sozialstaatler« ab. Rick Santorum, ein Präsidentschaftskandidat der Tea Party, erklärte wahrhaftig im Sommer 2011 zum Jahrestag der amerikanischen Invasion in der Normandie von 1944 in seiner Rede: Damals hätten 60 000 amerikanische Soldaten alles riskiert, um für die Freiheit zu kämpfen – auch selbst für ihre Krankenversicherung sorgen zu dürfen (statt unter ObamaCare gezwungen zu werden). Davon abgesehen, dass die US Army damals nicht gegen die Barmer Ersatzkasse in den Krieg gezogen ist, sind US-Soldaten selbstverständlich über die Armee staatlich krankenversichert.

Speziell die Franzosen sind eine Zielscheibe amerikanischen Ärgers, seit sie sich für ihre Rettung im Zweiten Weltkrieg undankbar gezeigt und sich dem Irakkrieg verweigert haben. Die antifranzösische Stimmung konnte sich gut mit der antideutschen Stimmung im Ersten Weltkrieg messen. So wie damals »Sauerkraut« in liberty cabbage umbenannt wurde, hieß es nun freedom fries statt french fries. Französischer Rotwein wurde vor TV-Kameras in den Gully gekippt und Witze über die cheese-eating surrender monkeys machten die Runde. Nach dem Motto: Wie viele Franzosen braucht es, um Paris zu verteidigen? Keine Ahnung, es wurde noch nie versucht.

Aber es gibt durchaus Europäer, die von amerikanischen Konservativen gemocht werden. Der Liebling der Neocons ist Italiens Silvio Berlusconi; eigentlich erstaunlich für Leute, die Mussolini für einen Liberalen halten, denn Berlusconi steht immerhin noch links vom Duce (hoffentlich). Befürworter der Rassentrennung wie der Council of Conservative Citizens, bei deren Treffen Südstaatler wie Haley Barbour auftreten, pflegen Kontakte zur Front National in Frankreich, auch zur rechtspopulistischen Vlaams Belang in Belgien und der United Kingdom Independence Party, die ebenfalls gegen Immigration kämpft. Rechtspopulisten von Finnland, Dänemark, Schweden, der Schweiz und Österreich, übrigens auch Thilo Sarrazin, genießen bei der Tea Party Sympathie. Aber deren Liebling ist Geert Wilders, der Vorsitzende der Freiheitspartei in den Niederlanden, dessen prozionistischer, immigrationsfeindlicher Antiislamismus ihrer politischen Haltung entspricht.

Wilders wird von den Tea Partiern gegen die Political Correctness verteidigt, die ihrer Ansicht nach in Europa, übrigens auch in Amerika, zu hoch gehängt wird. Die Tea Party Patriots forderten Amerika auf, die Strafprozesse gegen Wilders, der vor einer Arabisierung Europas warnt, genau zu beobachten, damit dieser nicht seines Rechts auf Redefreiheit beraubt werde. Auch die Tea Party in Williams, Arizona, lobte Wilders für seinen Einsatz in den Niederlanden, das endlich die Idee einer multikulturellen Gesellschaft aufgegeben habe, welche ohnehin nicht funktioniere. Ins gleiche Horn stieß ein Blogger der Seite »Teabook«, der die seiner Meinung nach allzu liberale ›New York Times‹ kritisierte, weil die Wilders als Rassisten denunziere. Wilders ist oft in den USA, zuletzt war er im Frühjahr 2011 in Nashville, Tennessee. Die der Tea Party nahestehende Tennessee Freedom Coalition hatte ihn eingeladen, einen Vortrag über die Gefahren des Islam zu halten.

Seinen größten Auftritt aber hatte Wilders am Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center, am 11. September 2010. Damals kämpfte die Tea Party gegen eine geplante Moschee und ein islamisches Kulturzentrum nahe Ground Zero. Zwar ist das Grundstück ein paar Blocks entfernt, aber deren Sympathisanten stellten es so dar, als werde die Moschee auf den Grundrissen der Twin Towers gebaut. Dagegen zogen mehrere antiislamische Blogs zu Felde, allen voran das von David Yerushalmi, dem Anwalt aus Brooklyn, der hinter den Anti-Scharia-Gesetzen steckt, aber auch Jihadwatch. org von Robert Spencer und Pamela Gellers Blog »Atlas Shrugs« (in Anlehnung an den bekannten Roman von Ayn Rand). Geller, die glaubt, Obama sei ein »Drittweltler«, der islamistischen Herren diene, ist die frühere Herausgeberin des ›New York Observer‹. Die Journalistin hat nach einer Millionenscheidung zwei Vereine gegründet: »Stop the Islamization of America« und »American Freedom Defense Initiative«.

Die Moschee war zwar von den New Yorker Behörden genehmigt worden und die Betreiber sind moderate Moslems. Aber Geller und Spencer machten aus der »monster mosque«, wie sie diese nannten, ein Drama, in das Politiker der Tea Party einstimmten: Sarah Palin tweetete an die »friedlichen New Yorker«, die Moschee am Ground Zero abzulehnen, »falls ihr glaubt, der katastrophale Schmerz sei zu frisch, zu real«. Der unvermeidliche Newt Gingrich sattelte noch einen drauf. Es dürfe keine Moschee am Ground Zero geben, solange in Saudi-Arabien keine Kirche oder Synagoge stehe.

In den folgenden Wochen pilgerten Tausende zum Bauplatz, um gegen die Moschee zu protestieren. Und auch Wilders erhob seine Stimme dagegen. Mit einem Megaphon stand er an der Baugrube und leitete einen Sprechchor, der »No mosque here«, keine Moschee hier, brüllte. Er war nicht der einzige Europäer. Die English Defense League war ebenfalls mit einem Dutzend Männern vertreten, die die King-George-Flagge trugen. Ursprünglich ein Emblem von Fußball-Hooligans, dient die Flagge heute oft »England-den-Engländern-Gruppierungen«, die gegen die Einwanderung von Moslems und dunkelhäutigen Menschen aus den früheren Kolonien kämpfen, als Kennzeichen. Pamela Geller hieß die English Defense League in New York willkommen. Eine seltsame Wendung für eine Tea Party, die ihre Wurzeln im Widerstand der freiheitsdurstenden Amerikaner gegen die Briten verortet.

Noch eine europäische Populistin gewinnt gerade die Herzen der Tea Party: Marine Le Pen, die taffe, blonde Führerin des französischen Front National und Tochter des französischen Rechtsaußen Jean-Marie Le Pen, die sich gegen Einwanderung und Sozialhilfe für Immigranten ausspricht. Anders als ihr Vater bemüht sich Marine Le Pen erfolgreich, antiislamische französische Juden in die Partei zu holen. Le Pen sei »keine Sarah Palin«, sagt Jim DeMint, der erzkonservative Senator aus South Carolina, und er meint das als Lob. Sie stehe wirklich für »change you can believe in«, eine echte Veränderung, »sie ist eine richtige Lady, vor allem, wenn man sie mit dem Clownpaar Palin und Bachmann vergleicht«. Marine Le Pen wiederum plante, im November 2011 in die USA zu reisen und Ron Paul zu treffen, dessen Ansichten über den Goldstandard sie teilt.

Dass diese Zuneigung auch fatal enden kann, hat sich beim tragischen Anschlag von Norwegen gezeigt, als Anders Behring Breivik, Blogger und Scharfschütze, im Sommer 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen tötete, darunter viele Kinder und Jugendliche. Breivik sah seine Tat als Fanal gegen die Immigrationspolitik der in Norwegen regierenden Sozialdemokraten, die auf der Insel ihr jährliches Ferienlager organisiert hatten, gegen die »multikulturellen Eliten« und den »kulturellen Marxismus«, der Europa beherrsche. Breivik wollte, wie er damals schrieb, eine »europäische Tea Party« schaffen. Und Breiviks bekanntester Tweet – »eine Person mit wirklichem Glauben hat die Stärke von Hunderttausenden, die nur Interesse haben« – ähnelt dem Sam-Adams-Spruch, den Tea Partier gerne zitieren: »It does not require a majority to prevail, but rather an irate, tireless minority keen to set brush fires in people’s minds.« – Es ist keine Mehrheit nötig, sich durchzusetzen, besser ist eine zornige, nimmermüde Minderheit, die das Feuer in den Gedanken der Menschen entflammen will.

Breivik war von den antiislamischen Webseiten, die der Tea Party eine Plattform bieten, beeinflusst, darunter die von David Yerushalmi. In seinem 1500-Seiten-Manifest zitiert Breivik aber auch Spencers Website »Jihadwatch« und das Blog »Gates of Vienna«, dessen Betreiber aus dem US-Bundesstaat Virginia namentlich nicht bekannt ist, sowie Gellers Blog »Atlas Shrugs« und den Verein »Stop the Islamification of Europe«. Und auch für die English Defense League hatte Breivik warme Worte. Ins gleiche Horn wie der Massenmörder stößt der norwegische Blogger Fjordman, der selbst für Gates of Vienna und Atlas Shrugs geschrieben hat und der Multikulturalismus für totalitär hält.

Geller distanzierte sich nach dem Attentat von Breivik; schuld an der Gewalt seien die islamistischen supremacists, schrieb sie. Die Krone aber setzte Glenn Beck der Debatte auf, als er ein paar Tage nach dem Massenmord sagte, dieses Jugendcamp erinnere ihn an die Hitlerjugend, weil dort Kinder indoktriniert würden. Wie es der Zufall will, betreibt auch Becks 9 / 12 project ein Sommercamp für Kinder, und zwar in Tampa, Florida. Dort werden Kinder erst veranlasst, still in einem kargen Raum zu sitzen, dieser Raum symbolisiert Europa. Dann nehmen sie an einem Hindernislauf teil, um zuletzt in einem hell dekorierten Partyraum anzukommen, wo rot-weiß-blaues Konfetti geworfen wird: Willkommen in der Neuen Welt.

Die Tea Party hat nicht nur Probleme mit Moslems in Amerika (oder Europa), sie mag auch den ganzen Mittleren Osten nicht sonderlich. Zwar sind ihre Anhänger skeptisch, was die Kriege im Irak, in Afghanistan und in Libyen anbelangt – dagegen haben sich Bachmann und andere Tea Partier explizit ausgesprochen –, aber dabei geht es hauptsächlich um die dort verschwendeten Steuergelder. Empathie für die Menschen haben sie genauso wenig wie die Neokonservativen, sie finden es eher empörend und sozusagen als Verstoß gegen den American Exceptionalism, dass die sich gegen die Besatzung wehren. Der Einzige, der sich aus echter Überzeugung gegen diese Kriege ausgesprochen hat, ist Ron Paul. Der aber wird von der Tea Party marginalisiert, die lieber christliche Dschihadisten wie Perry und Bachmann auf den Schild hebt, die sich überdies den Wahlkampfspendern aus der Rüstungsindustrie verpflichtet fühlen.

Populärrassisten und Fettnapfsucher: Wohin geht die Tea Party?

Die Tea Party begann als Protestbewegung gegen Milliardensubventionen für Banken, hohe Steuern und hohe Staatsschulden und in Sorge um eine schwierige Ökonomie. Mittlerweile hat sie sich als Partei gegen hispanische Immigranten und affirmative action, also Bevorzugung von ethnischen Minderheiten auf den Universitäten und dem Arbeitsmarkt, etabliert, sie ist gegen Abtreibung und Schwulenehe, für Sozialabbau, Bürgerkriegsrevisionismus und Kirchenbesuch. Und letztlich geht es ihren Mitgliedern darum, einen ungeliebten schwarzen Präsidenten aus dem Amt zu kegeln, einen, der intellektuell, fremd und ausländisch wirkt.

Einige langjährige republikanische Karrierepolitiker haben sich der Tea Party angeschlossen oder sie tun zumindest so, um Wähler zu gewinnen oder vielleicht auch bloß Käufer für ihr neuestes Buch oder ihre DVDs. Aber es gibt auch Republikaner, die fürchten, dieser Zirkus aus Populärrassisten, bibeltreuen Fundamentalisten, New-World-Order-Verschwörungstheoretikern und fettnäpfchensuchenden Sprücheklopfern schade der Partei. Ihre Stimmen sind leise, nur wenige Prominente sind dabei und womöglich werden sie sich bis zur Wahl am 6. November 2012 nicht durchsetzen, aber sie versuchen es.

Zu diesen zählt Grover Norquist, der Reagan-Ökonom und Verfechter niedriger Steuern, der heute mit einer Moslemin verheiratet ist. »Entweder sind wir eine republikanische Partei, die für alle ethnischen Gruppen und Religionen offen ist, oder aber wir gehen unter«, erkannte er. Insbesondere das Schwulenbashing der Religiösen Rechten will Norquist nicht mitmachen – aus grundsätzlichen, aber auch aus taktischen Erwägungen. Denn das werde, glaubt er, der GOP langfristig schaden. Norquist gehört dem Beirat der Organisation »GOProud« an, einem Schwulenverband innerhalb der Republikaner, er wirbt schon des Längeren um die Stimmen konservativer Schwuler, und er hat kürzlich gar Ann Coulter als Beraterin angeworben, die sich seitdem für eine »rechte Judy Garland« hält.

Und auch bei den Mormonen bewegt sich etwas. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage unterstützte 2008 die sogenannte »Proposition 8«, die Volksabstimmung in Kalifornien, wonach die gerade erst genehmigte Schwulenehe wieder verboten wurde (inzwischen wurde die Volksabstimmung ihrerseits vom kalifornischen Verwaltungsgericht kassiert). Heute haben die Mormonen ihren ersten offen schwulen Priester: Mitch Mayne, der als Assistent des mormonischen Bischofs in San Francisco arbeitet. Und nicht nur das: Mayne soll explizit die Beziehungen zwischen der mormonischen Kirche und der schwulen Community verbessern. Und selbst Jerry Falwell hatte gegen Ende seines Lebens erkannt, dass es sich nicht gut macht, als Schwulenhasser in die Geschichte einzugehen.

Andere Konservative warnen, dass die Tea Party die Republikaner wegen ihrer xenophoben Attitüde in die Sackgasse führen werde. Dazu zählt David Frum, der für George W. Bush die Wendung »Axis of Evil« erfand und dessen »Frum Forum« Tea-Party-Kritikern heute eine Plattform bietet. Der bekannteste Abweichler aber ist Charles Johnson, der Betreiber des Blogs »Little Green Footballs«, das lange als ultrarechte Bastion galt. Doch als Sumpfblüten wie Geller und Beck aufkamen, hat sich der bekennende Libertäre auf Obama-Kritiker eingeschossen. In einem Blog vom November 2009 erklärte er, dass er keine Verschwörungstheorien und keine Hassreden der Rechten mehr unterstützen wolle.

Johnsons Umschwung wurde ausgerechnet durch die europäischen Freunde der Tea Party bewirkt. Der Blogger erfuhr von einer Anti-Dschihad-Veranstaltung in Brüssel, zu der Geller und Spencer gefahren waren, und er entdeckte auf der Teilnehmerliste den belgischen Politiker Filip Dewinter. Dewinter ist Chef der Vlaams Belang, Nachfolgeorganisation des rechtspopulistischen Vlaams Bloc. Die Geschichte von Vlaams Belang, stellte Johnson fest, reiche »zurück bis zur falschen Seite im Zweiten Weltkrieg« (rechte Flamen hatten damals die Nazis unterstützt; es gab ein flämisches Infanteriebataillon der Wehrmacht), zudem verbreite die Partei Hetzparolen und »opportunistische Bösartigkeiten« aller Art. So habe Vlaams Belang in marrokanischen Zeitungen inseriert, um die Leute dort zu warnen, nach Belgien zu kommen. Dewinter selbst hatte gesagt, dass die multikulturelle Gesellschaft in Flandern zu einer »multikriminellen Gesellschaft« geführt habe. Der Kampf gegen den Islamofaschismus, sagte Johnson zur ›New York Times‹, sollte es nicht notwendig machen, sich mit dem Faschismus der älteren Sorte zu identifizieren.

Und ähnlich, wie es manche Libertäre in Amerika gruselt, wenn sie sich im europäischen Zerrspiegel erblicken, ergeht es wohl auch den europäischen Populisten. Sie empfinden den religiösen Fundamentalismus und die verklemmte Sexualmoral der amerikanischen Rechten als abstoßend. Wilders etwa hat der Tea Party bisher verschwiegen, dass er für Schwulenrechte eintritt, und er weiß wohl, wieso.

Die Tea Party wird in den kommenden Wahlen mindestens drei Kandidaten stellen: Rick Perry, Michele Bachmann und Herman Cain, und vielleicht werden auch Rick Santorum und Newt Gingrich noch im Rennen sein. Auch Ron Paul hat so viele potenzielle Wähler wie nie zuvor, wenngleich sich das Establishment der Tea Party und Finanziers wie die Koch-Brüder von ihm abgewandt haben. Selbst moderate Republikaner, die 2012 antreten wollen, biedern sich nun bei der Tea Party an, vornehmlich Mitt Romney, der inzwischen sogar Reden bei deren Demonstrationen hält. »Die Tea Party ist keine Abweichung vom regulären republikanischen Gedankengut«, sagte Romney bei einem Zeitungsinterview in New Hampshire. »Sie umfasst das reguläre republikanische Gedankengut.« Er fügte hinzu: »Ich werde mich nicht von Leuten distanzieren, die an eine schlanke Verwaltung glauben, denn daran glaube ich ebenfalls.«

Sollte einer dieser Kandidaten gewinnen, könnte Amerika zu einem Land werden, das noch repressiver ist, als es unter George W. Bush war. Die Tea Partier reden viel von Freiheit, aber sie haben keine Probleme mit dem Kontrollstaat, der nach dem Patriot Act entstanden ist, mit drei Millionen Inhaftierten, die Hälfte davon schwarz, mit der Todesstrafe und einem Militär, das Drohnen auf Todesmissionen schickt. Ihr Freiheitsbegriff reduziert sich darauf, weniger Steuern zu zahlen und weniger Sozialabgaben zu finanzieren, ihre Gegner sind Linke, Gewerkschaftler, Feministinnen, schwule Aktivisten und die Interessenvertreter von Schwarzen und Immigranten.

Außenpolitisch tritt die Tea Party für einen starken Staat ein, Kriege gegen Iran und Syrien wären nicht ausgeschlossen. Natürlich erklären und führen auch demokratische Präsidenten Kriege, mehr sogar als Republikaner, doch fehlt ihnen das religiöse Wahnelement, das die Tea Partier auszeichnet. Immerhin haben dort Religiöse Rechte Einfluss, die an das baldige Armageddon und den Untergang der Welt nicht nur glauben, sondern beides herbeisehnen.

Wie sich die amerikanische Politik entwickeln wird, ist völlig offen. Dank ihrer Radikalität verliert die Tea Party Zustimmung, aber das Gleiche gilt für Präsident Barack Obama, der die Probleme mit der Wirtschaft schwer in den Griff bekommt. Mehr werden wir im November wissen.