Das großartigste Land der Welt: Ron Paul gegen die Republikaner

Phoenix, Arizona, ist eine Stadt mitten in der Wüste, zwischen der mexikanischen Grenze und den schroffen, kaktusbewachsenen Bergen des nördlichen Arizona, zwischen Staudämmen und Indianerreservationen. Hier, im Tal des River Verde, lebten vor mehr als tausend Jahren die Hohokam. Um 1000 nach Christus kamen die Apachen aus den Prärien. Die Apachen sind, anders als die Hohokam, wilde Reiter, ihre Stämme – die Mescalero, die Jicarilla, die Chiricahua und viele andere – kämpften lange gegen die spanische und mexikanische Armee; die Konquistadoren hatten schon im 16. Jahrhundert erfolglos versucht, sie zu unterwerfen. 1848 gewann Amerika im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg auch das Land, das heute Arizona und New Mexico ist, und damit wandten sich die Apachen gegen die Amerikaner.

Allenthalben gab es Scharmützel, die 1854 im Krieg gegen die Jicarilla kumulierten, den die Jicarilla zunächst gegen die US Army gewannen. Aber die Amerikaner gaben nicht auf. Als die erste Eisenbahn nach Santa Fe gebaut wurde, schossen Soldaten aus Eisenbahnwagen auf die Büffelherden, um die Indianer ihrer Lebensgrundlage zu berauben. Die Indianer schlugen zurück. Die größte Schlacht war the Battle of Adobe Walls, die um 1864 im Nordosten von Texas an der Grenze zu New Mexico stattfand. Die US Army kämpfte gegen mehrere Stämme, die von den Prärie-Apachen angeführt wurden, und sie wurde von 3000 Kriegern in die Flucht geschlagen.

Erst 1865, nach dem Bürgerkrieg, konnte Washington genug Soldaten erübrigen, um den Wilden Westen zu erobern. Die US Army legte mehrere Forts an, darunter Fort McDowell, in einem Tal zwischen den White Tank Mountains am River Verde. Die Army sollte die Siedler schützen, die aus dem Osten kamen. Einer davon war Jack Swilling, ein Veteran der Konföderiertenarmee. Swilling baute eine Mühle gleich neben dem Fort McDowell, an einem der verlassenen Wassergräben der Hohokam. Die Mühle wuchs sich zu einem Dorf aus, das den Namen Phoenix bekam. 1881wurde Phoenix, das nun 2500 Einwohner hatte, zur Stadt erklärt. Kurz darauf hielt dort die erste Eisenbahn der Southern Pacific Railroad.

Die Kämpfe zwischen der Army und den Apachen waren in diesen Jahrzehnten weitergegangen. Viele Stämme wurden in Reservate gesperrt, wo sie durch Hunger und Krankheiten dezimiert wurden, darunter die Yuma und die Gila. Aber die Apachen brachen immer wieder aus. Der letzte große Krieger war Geronimo, ein Führer der Chiricahua. Er entkam mit zwei Dutzend Männern von einem Reservat südöstlich von Phoenix, das halb in Arizona, halb in Mexiko liegt.

Jahrzehntelang ritten sie durch unwegsame Berge, schneller als jeder Armeesoldat. Die Army brauchte 5000 Soldaten, ein paar Hundert indianische Scouts und mehr als tausend Bürgerwehrler, um den gefürchteten Apachenführer endlich zu fangen. Geronimo, seine Männer, aber auch alle Scouts, die der Armee geholfen hatten, wurden erst in einem Fort in Florida, dann in Oklahoma gefangen gehalten. 1909 starb Geronimo. Prescott Bush, der Großvater des 43. Präsidenten, soll als junger Mann in einer Mutprobe seinen Schädel gestohlen und nach Yale gebracht haben, noch heute kämpfen seine Nachfahren um die Rückgabe. Heute leben die meisten Apachen an der Grenze zu New Mexico oder in Mescalero.

Drei Jahre nach Geronimos Tod wurde Arizona Bundesstaat, der letzte Staat auf dem Kontinent, mit der Hauptstadt Phoenix. In ganz Arizona lebten 1912 nur gut 200 000 Weiße, davon etwa 11 000 in Phoenix. Nun, als die Indianer vertrieben waren, konnte Phoenix wachsen, und als neuartige Klimaanlagen das Leben in der Hitze erträglicher machten, explodierte die Stadt förmlich.

Heute leben in Phoenix anderthalb Millionen Menschen in Suburbs, die sich Meile um Meile an Ausfallstraßen aneinanderreihen, mit Vorgärten, Palmen und Pools, die alle gleich aussehen; es gibt Flughäfen, Fabriken, eine Forschungsuniversität, die Arizona State University und eine Filiale der Mayo Clinic.

Die im Planquadrat angelegten Straßen der Innenstadt sind nach Gründungsvätern und Präsidenten der USA benannt: Washington, Madison, Adams, Jefferson, Andrew Jackson. Alles hier wirkt neu, und alles sieht irgendwie gleich aus: die mit rötlichem Stein errichteten Hochhäuser, die Pflaster der Bürgersteige, die Tex-Mex-Restaurants, die Theater, die Kinos und das Kongresszentrum. Hier trifft sich im Februar 2011 die Tea Party zu einer mehrtägigen Konferenz, zu der mehrere Politstars erwartet werden. Der bekannteste ist Ron Paul aus Texas, dessen Anhänger Geronimo für einen großartigen Widerstandskämpfer gegen den US-Imperialismus halten.

Patrioten unter sich

Februar in Phoenix ist wie Juni anderswo, warm, sonnig und in Erwartung einer unerträglichen Hitze – aber das Kongresszentrum, ein fensterloser Bau, der so weit weg ist von der Apachenwüste wie es nur geht, ist natürlich klimatisiert, wie alles hier. Die Tea Party belegt einen Flügel des riesigen Gebäudekomplexes, der vier Straßenblocks umfasst: einen Festsaal mit Bühne und Videoleinwänden, eingerahmt von zwei Ausstellungshallen und den Wandelgängen davor. Lächelnde junge Frauen mit aufgesteckten Haaren und in langen Rüschenkleidern verteilen Flugblätter. Sie sehen aus wie Statistinnen in ›Vom Winde verweht‹, aber sie sollen Frauen des revolutionären Washington darstellen, aus der Zeit, als die Verfassung der USA verabschiedet wurde, auf die sich hier alle berufen. Natürlich hätten Frauen zur damaligen Zeit nicht wählen dürfen, aber nicht alle, die der Tea Party nahestehen, halten das Frauenwahlrecht für eine gute Idee. Ann Coulter, eine Ikone der Rechten, meinte einmal, wenn man den Frauen das Wahlrecht wieder wegnähme, bräuchte man sich wenigstens nicht mehr zu sorgen, dass noch einmal ein Demokrat zum Präsidenten gewählt werden könnte. »Nur Frauen wählen so dumm, zumindest unverheiratete Frauen.«

Die Festhalle mit den Sitzreihen ist patriotisch dekoriert. Auf den Bildschirmen tanzen rot-weiß-blaue Luftballons, auch die Flagge weht digital. Bilder von einem lächelnden Ronald Reagan werden eingespielt, von der Freiheitsstatue, gelben Kornfeldern und blauäugigen Kindern. Als die Nationalhymne erklingt, stehen alle auf, die Hand auf dem Herz, und sprechen den Pledge of Allegiance, den Eid auf die Fahne und die Republik, der von dem Sozialisten Frances Bellamy verfasst wurde und den alle Amerikaner in der Schule auswendig lernen. Bei der Zeile »Under God« – in den fünfziger Jahren eingefügt – werden sie lauter. Es klingt ein bisschen trotzig. Durch das Programm führen Mark Meckler und Jenny Beth Martin von den Tea Party Patriots; der Verein hat die Konferenz organisiert. »Amerika ist das großartigste Land der Welt«, rufen sie und ermahnen das Publikum, ja keine rassistischen Sprüche zu klopfen, schon gar nicht in Gegenwart der mainstream media. Dann wirft Jenny Beth Martin ein paar T-Shirts mit Tea-Party-Aufdruck in die jubelnde Menge.

Begrüßt werden die zwei- bis dreitausend Gäste in Phoenix von David Schweikert, der Arizona in Washington vertritt, für die Republikaner natürlich. Er entschuldigt sich erst für seinen komisch klingenden deutschen Namen und zählt dann die Probleme auf, die uns drohen, weil wir so gut wie pleite sind. Für Medicaid, die staatliche Krankenversicherung für Amerikaner mit niedrigem Einkommen, reiche schon bald das Geld nicht mehr, auch nicht für Medicare oder für Social Security, die Rente. Das ganze Budget des Pentagon könne das nicht decken. Außerdem haben wir noch massenweise Schulden bei den Chinesen. In der Menge murrt es leise, wir sollten einfach nicht zahlen, aber Schweikert sagt, so ginge das nicht, wegen der Weltwirtschaft. Nötig sei vielmehr ein ausgeglichenes Budget.

Die Konferenz wird von der Health Care Compact Alliance gesponsert, einem gemeinnützigen Verein, der von Spenden lebt, aber ungern erzählt, wer die aufbringt. Es seien aber garantiert nicht die Pharmaindustrie oder private Krankenkassen, versichert Meckler. Auch der Chairman von Health Care Compact spricht ein Grußwort, es ist Eric O’Keefe, der als privater Investor aus Wisconsin vorgestellt wird. O’Keefe sitzt in unglaublich vielen Vereinen, der wichtigste von ihnen ist die Sam Adams Alliance in Chicago; die meisten werden direkt oder indirekt von Charles und David Koch finanziert.

O’Keefe, ein schlanker, graumelierter Fünfziger, spricht über die Mayflower, die Revolution gegen die Briten, die uns »das großartigste Land der Welt« beschert habe, und schimpft dann über die fat cats, die Funktionäre in Washington. Bei dem Kampf, den wir führten, stünden nicht Republikaner gegen Demokraten, sagt er, sondern normale Bürger gegen die »herrschende Elite«. Es gehe um states’ rights, die Rechte der Bundesstaaten; er will, dass diese für die Gesundheitsvorsorge verantwortlich sind und nicht die Regierung in Washington. Das gelte nicht nur für ObamaCare, sondern auch für Medicaid und Medicare, wo gekürzt werden müsse. Hierbei lässt der Beifall im Saal deutlich nach. Mindestens jeder Dritte hier ist Rentner.

In den Ausstellungshallen summt es; zwischen den Auftritten der Redner schlendern die Besucher an Ständen umher. Überall werden DVDs, CDs, T-Shirts, Aufkleber, Anstecker, Broschüren, Flugblätter angeboten – und noch mehr Bücher. Bei einem Gutteil der Bücher geht es darum, die Geschichte der USA neu zu erklären, oder besser: richtig zu erklären. Beispielsweise sei Amerika gar kein Einwanderungsland. Denn die Founding Fathers seien allesamt in Amerika geboren (oder vielmehr dort, wo heute Amerika ist). Oder der Bürgerkrieg: Jefferson Davis, der Präsident der Konföderierten, habe die Sklaverei sowieso abschaffen wollen, allerdings mit sozialverträglichen Übergangsfristen für die Plantagenbesitzer. Auch die Wahrheit über den Vietnamkrieg kommt ans Licht: Eigentlich sei das Militär erfolgreich gewesen, aber die Linken hätten es per Dolchstoß an der Heimatfront besiegt.

Eines der Bücher, die hier ausliegen, ist ›The 5000 Year Leap‹ von W. Cleon Skousen, Antikommunist, Mormone, kurzzeitiger Polizeichef von Salt Lake City und Historiker. Der 2006 verstorbene Skousen stand der John Birch Society nahe, er war so rechts, dass FBI-Chef J. Edgar Hoover ihn beobachten ließ. Er vertrat die Ansicht, dass die Verfassung der USA eine göttliche Eingebung war, weshalb Amerika innerhalb von 200 Jahren vor allem durch technischen Fortschritt einen Sprung von 5000 Jahren gemacht habe (offenbar ist ihm entgangen, dass der gleiche technische Fortschritt auch außerhalb der USA stattgefunden hat). In einem freiheitlichen, gerechten System, meinte Skousen, gebe es nur vier schwere Verbrechen: Hochverrat, Feigheit – insbesondere die Feigheit, nicht in der Armee zu dienen –, Desertation und Homosexualität. Skousen hielt US-Präsident Dwight D. Eisenhower für einen Agenten der kommunistischen Verschwörung, er attackierte die Rockefellers und die Rothschilds, später wurde er Berater von Ronald Reagan. Aber erst Glenn Beck machte sein Buch zur »Bibel der 12 / 9-Bewegung«, wie das Internetmagazin Salon. com schrieb; er verfasste für die Neuauflage sogar ein Vorwort.

An einem Stand zeigt ein besorgter Patriot ein Endlosvideo von der Eroberung des Kosovo durch die Moslems, irgendwann im Mittelalter, als Warnung vor der drohenden Übernahme der gesamten zivilisierten Welt. Warum unterstützen die USA dann die Kosovo-Albaner gegen die christlichen Serben? Der Mann hört das zum ersten Mal, und es interessiert ihn auch nicht. Er will über Moslems in den USA reden, die er für potenzielle Terroristen hält. »Die sind uns immer einen Schritt voraus«, sagt er. »Das Department of Homeland Security reagiert nur, anstatt die Initiative zu ergreifen. Aber wir müssen vorher wissen, was die sich ausdenken, um den nächsten Anschlag zu verhindern.« Die Terroristen könnten sich doch einfach ein Sturmgewehr in Phoenix kaufen und dann schießen. Der Mann guckt überrascht. Darauf ist er noch nicht gekommen.

Der amerikanische Südwesten, auch Phoenix, ist zur Hälfte hispanisch; in Städten wie San Antonio, El Paso und Albuquerque ist Spanisch quasi Amtssprache. Aber hier, in den kühlen Hallen des Konferenzzentrums, sind weit und breit nur Weiße zu sehen (außer den Saaldienern natürlich, die schwarz sind). Ein paar Cowboyhüte, ein oder zwei Althippies, überhaupt viele Ältere und noch mehr Besucher, die deutsche Namen haben; erkennbar an den Schildern, die sie tragen. Es gibt zwei Sorten Schilder: Patriot, das sind die echten Amerikaner, also die Mitglieder der Tea Party, und Media, das sind die regierungsfreundlichen, Latte macchiato trinkenden, Sushi essenden, hohe Steuern liebenden, Volvo fahrenden, ›NewYorkTimes‹ lesenden und von Hollywood begeisterten Asphaltjournalisten.

An einem Stand treffe ich schließlich auf einen Schwarzen mittleren Alters mit kurz rasierten Haaren. Als einziger Afroamerikaner unter ein paar Tausend Weißen fällt er auf. Ja, das mit der Sympathie für die Tea Party, das sei tatsächlich ein »ethnic thing«, stimmt er mir zu. Aber Sinn habe das nicht. »Die meisten Afroamerikaner sind konservativ und treten für Familienwerte ein, die passen politisch viel besser zur Tea Party als zu den Demokraten.« Er komme aus einer militärischen Familie, »da übernimmt man die Werte des Militärs, nicht die der Herkunft.«

An einem Stand, an dem das Don’t thread on me-T-Shirt (was so viel heißt wie Lass mich in Ruhe), mit der gelben Klapperschlange verkauft wird, steht ein Indianer mit langen schwarzen Haaren. Woher kommt er denn? Er ist Apache; aber sein Vater ist in den vierziger Jahren aus Mescalero nach Arizona gezogen, wo er sich als Mexikaner ausgegeben hat, weil Indianer damals keinen Alkohol trinken durften. Und warum ist er bei der Tea Party? »Wir haben zu viele Immigranten aus Mexiko, die unsere Fahne nicht respektieren und die unser Land übernehmen wollen, die will ich stoppen.«

Ein Großvater als Revoluzzer

Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge: Ron Paul kommt! Der Arzt, der seit 1976 Galveston, eine texanische Stadt am Golf von Mexiko, in Washington vertritt, gilt als der »Vater der Tea Party«. Er ist ein Libertarian, ein Libertärer, ein Anhänger der Partei, die big government schon abgelehnt hat, als Sarah Palin noch Schulballkönigin in Wasilla war. Der 76-jährige Paul ist nicht sonderlich groß, ein wenig verhutzelt, fast fragil, freundlich, aber bestimmt, er wirkt wie ein altmodischer Großvater, dem man die gelegentliche Schroffheit nachsieht, weil er halt so ist. Er ist selbstverständlich für freien Waffenbesitz und er lädt seine Wähler gerne zu Barbecues ein, wo seine Frau selbst gemachte Kochbücher mit den Bildern ihrer Enkel verschenkt.

Aber Paul ist kein klassischer Konservativer. Er ist ein echter Grassroots-Kandidat, einer, der von unten getragen wird. Sein Wahlkampf wird im Internet organisiert und von vielen einzelnen Spendern finanziert. Viele davon sind jung, Angehörige der Army, der Navy und der Air Force sind darunter, auch Studenten. Er war von Anfang an gegen den Irakkrieg, schon deshalb, weil er glaubte, der werde die USA ruinieren. Für den Krieg machte er, der ›New York Times‹ zufolge, ein »halbes Dutzend Neokonservative, welche die amerikanische Außenpolitik gekapert haben«, verantwortlich (umgekehrt mögen die Neokonservativen den Texaner auch nicht). Paul ist gegen das Freihandelsabkommen NAFTA und die Wehrpflicht. Er tritt für die Freigabe von Marihuana ein und sogar von Heroin.

In der allerersten Präsidentschaftsdebatte in New Hampshire hielt er eine flammende Rede, dass es von wenig Vertrauen in den freien Willen zeuge, wenn man glaube, mit der Freigabe von Heroin würden nun alle zu harten Drogen greifen. »Würde ein Einziger von Ihnen Heroin nehmen, bloß weil es erlaubt wäre?«, donnerte er in den Saal (einer seiner Unterstützer war der LSD-Guru Timothy Leary). Paul hat Julian Assange, den in den USA schwer umstrittenen Gründer von Wikileaks, verteidigt, weil die Redefreiheit in Amerika Verfassungsrang hat, und er kann sich sogar mit der Schwulenehe anfreunden, solange sie nicht »Ehe« genannt wird und die Bundesstaaten zuständig sind. Er führt einen Feldzug gegen die Federal Reserve, den »Tempel der Fed«, wie er sagt, mit ihrem »Hohepriester Greenspan«, bei dem er von Barney Frank Rückendeckung bekommt, dem Linksaußen der Demokraten. Kurz, Paul hat absolut keine Chance, gewählt zu werden.

Sobald Paul die Ausstellungshalle betritt, wird er von Fans, aber auch Journalisten umringt, die ihn fragen, was er denn als Präsident tun würde. »Ich bin für eine starke Landesverteidigung, dennoch würde ich bei den Militärausgaben kürzen«, sagt er. »Aber die etablierten Parteien sind dagegen, auch die Demokraten – die sind eingeschüchtert und glauben, sie müssten beweisen, dass sie nicht schwach sind. Da müssen wir Libertäre mit den Progressiven zusammenarbeiten.« Er fügt hinzu: »Eigentlich haben wir ein Ein-Parteien-System, die Republikaner und die Demokraten sind letztlich eine einzige Partei, die alles untereinander aufteilen. Dagegen sollten sich die Amerikaner mal wehren.« Was er von Immigration hält? Er wiegt den Kopf. »Wir müssen unsere Gesetze durchsetzen und außerdem: Unsere Krankenhäuser stehen kurz vor dem Bankrott, weil sie so viele Illegale behandeln müssen.« Falsch findet er allerdings den Senate Bill 1070, wonach die Polizei in Arizona die Papiere von Ausländern verlangen muss. »Bald dürfen auch wir Amerikaner nicht mehr ohne Pass unterwegs sein.« Schon jetzt müsse man an jeder Ecke den Führerschein vorweisen, »das ist ja wie in einem Polizeistaat«. Und, knurrt er noch, auf seiner Sozialversicherungskarte stehe zwar, sie diene nicht zur Identifizierung: »Aber wer’s glaubt, wird selig.«

Paul wuchs in Green Tree auf, einer Kleinstadt in Pennsylvania, aber schon seit 1968 lebt er mit seiner Frau Carol in Texas; sie haben fünf erwachsene Kinder. Der Lutheraner trat zu den Southern Baptists über, blieb im Herzen aber ein friedensliebender Protestant, wurde kein eifernder Southern Baptist. Seine Mutter und die Großeltern väterlicherseits stammen aus Deutschland. Woher? Er überlegt. »Mein Großvater lebte, glaube ich, in Essen – gibt es die Stadt?«

Ursprünglich wollte er Profisportler werden, studierte dann aber doch lieber Medizin. Schon damals interessierte er sich für Ökonomie, und er wurde, wie viele Konservative, von Ayn Rands Büchern beeinflusst (Alan Greenspan, der langjährige Chef der Federal Reserve, und Milton Friedman, der berühmte Ökonom aus Chicago, sind oder waren Randianer). Ayn Rand eigentlich Alisa Sinowjewna Rosenbaum – war eine russisch-jüdische Immigrantin und Antikommunistin. Sie schuf die Philosophie des Objektivismus, auch als »rationaler Egoismus« beschrieben, letztlich der philosophische Überbau des Laissezfaire-Kapitalismus. Ihr bekanntestes Buch ist ›Atlas Shrugged‹.

Rand war mit dem österreichischen Ökonom Ludwig von Mises befreundet, dessen Werke Paul ebenfalls beeinflussten, wie auch die von Friedrich von Hayek, gleichfalls ein Ökonom der österreichischen Schule. Mises musste als Jude vor den Nazis nach New York flüchten, während Hayek nach London und später nach Chicago ging. Hayeks bekanntestes Buch ist ›The Road to Serfdom‹, der Weg zur Knechtschaft, wo er vor Inflation und vor staatlicher Kontrolle der Wirtschaft warnt. Darin setzt er Faschismus mit Sozialismus gleich, denn beide führten in die Knechtschaft und zielten auf die Zerstörung der persönlichen Freiheit. An dem Stand von Ron Paul in Phoenix liegt ›The Road to Serfdom‹ zum Verkauf aus.

Paul ging nach dem Studium als Militärchirurg nach Vietnam, diesen Krieg bezeichnete er als »illegal« und »unnötig«, allerdings erst danach. Noch heute macht er Robert McNamara, Pentagonchef unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, dafür verantwortlich, das Schlachten ausgeweitet zu haben (nicht zu Unrecht). Was ihm damals aber auch schon Sorgen bereitete, waren die Auswirkungen des Krieges auf die amerikanische Wirtschaft. Als Richard Nixon 1971 den Dollar vom Goldpreis löste und daraufhin die Militärausgaben für den Vietnamkrieg steil anstiegen, sah er das als erstes Zeichen für den Verfall Amerikas, eben das, wovor Hayek immer gewarnt hatte.

Paul ist einer dieser ewigen Präsidentschaftskandidaten, denen es eher darum geht, seine Botschaft zu verbreiten, als zu gewinnen. Das erste Mal trat er 1988 für das Weiße Haus an, für die Libertären und gegen Ronald Reagan. Er warf Reagan vor, die Steuern erhöht zu haben. Nur eine knappe halbe Million Wähler stimmte für ihn.

1992 verzichtete er auf eine Kandidatur, stattdessen stellte er sich hinter den unabhängigen Konservativen Pat Buchanan ebenfalls erfolglos. 1995, nach einer »Pause von Washington«, bewarb er sich um einen Kongresssitz. Das gesamte republikanische Establishment unterstützte seinen Konkurrenten; er gewann trotzdem. Als Paul es 2008 wieder als Präsidentschaftskandidat versuchte, trat er als Republikaner an. Und obwohl er damals in der Vorwahl unterlag, will er auch diesmal wieder für die Republikaner kandidieren, weniger aus ideologischen, denn aus praktischen Gründen. »Als Libertärer hat es mich fast das halbe Kampagnengeld gekostet, auch nur auf die Wahlzettel zu gelangen, so kompliziert war das«, sagt er. »Innerhalb der Republikaner für meine Positionen zu werben, ist wesentlich einfacher.« Zumal sich die Grand Old Party (GOP), wie die Republikaner genannt werden, unter dem Druck der Tea Party politisch sowieso auf ihn zubewegt habe.

Paul wird oft vorgeworfen, er habe unrealistische Vorstellungen davon, was in den USA politisch durchsetzbar sei, aber immerhin stimmt das, was er fordert, mit dem, was er tut, überein. Er hat dagegen gestimmt, Dämme in Galveston mit föderalen Mitteln zu befestigen, gegen Geld für die NASA, obwohl viele aus seinem Wahlbezirk in Houston arbeiten, und gegen Farmsubventionen. Er hat erklärt, er wolle niemals eine Regierungspension beziehen, und er hat neben seiner Abgeordnetentätigkeit als Krankenhausarzt Babys auf die Welt gebracht. Seine privaten Investitionen legte er in Gold und Silber an, nicht in Aktien. Zwar hat er für seine Wahlkämpfe ein paar Zehntausend Dollar von der Ölindustrie, Immobilienvertretern und dem texanischen Ärzteverband erhalten, aber das Gros seines Wahlkampfes stammt tatsächlich aus individuellen Kleinspenden seiner Anhänger.

Unter den Neokonservativen aber, die versuchen, die Tea Party zu infiltrieren, ist Paul Persona non grata, schon deshalb, weil er sich dafür ausspricht, keine Militärhilfen an Israel zu zahlen. Die den Neocons nahestehende Internetpostille ›American Thinker‹ warf Paul vor, dass die rechte ›American Free Press‹ seine Artikel nachdrucke. Auch hätten sich Rechtsradikale wie David Duke, der Grand Wizard des Ku-Klux-Klan, sowie Hutton Gibson, der ultrakatholische Vater des Schauspielers Mel Gibson, für ihn ausgesprochen. Michael Medved, ein neokonservativer Blogger, Radiotalker, Hollywood-Kritiker und Gründer des Pacific Jewish Center in Venice Beach in Kalifornien, ist ein noch entschiedenerer Paul-Gegner. Er wirft ihm vor, dass er Freunde am ultrarechten Rand habe. Paul, so schrieb Medved, werde von Neonazis, white supremacists – Leute, die an die Überlegenheit der weißen Rasse glauben –, Holocaustleugnern, 9 / 11-Wahrheitssuchern und anderen paranoiden Verschwörungstheoretikern unterstützt. Tatsächlich bekam Paul einmal eine Spende von 500 Dollar von Don Black, dem Betreiber der rechtsextremen Website Stormfront. org, der auch zu weiteren Spenden für Paul aufrief. Paul kontert deren Anwürfe damit, dass er bei einer Grassroots-Kampagne keinen Einfluss darauf habe, wer für ihn spende oder zu Spenden aufrufe oder seine Artikel nachdrucke, aber wahrscheinlich ist ihm Kritik aus der neokonservativen Ecke einfach egal.

Empört sind Medved und seine Genossen auch darüber, dass Paul nahegelegt hat, für 9 - 11 könne die amerikanische Politik im Mittleren Osten verantwortlich sein. »Stellt euch vor, wie es euch gehen würde, wenn ihr bombardiert würdet, wenn sie euch das antäten«, hat er im Sommer 2011 bei einer Konferenz der Republikaner in New Orleans gesagt. »Wir bombardieren den Irak seit Jahren.« Er fügte hinzu: »Sie hassen uns, weil wir ihr Land besetzen, wir würden auch jeden hassen, der das tut.« Und bei einer Debatte der Tea Party im selben Jahr, die von CNN übertragen wurde, legte er – obwohl er lautstark ausgebuht wurde – noch einmal nach: Der Anschlag vom 11. September sei passiert, weil Amerika arabische Diktatoren unterstütze, Palästinenser unterdrücke und Militärbasen baue. So etwas aber ist für viele Konservative eine unerträgliche Relativierung.

Bei den Tea Partiern in Phoenix, von denen viele aus Texas kommen, ist Paul wesentlich beliebter als bei New Yorker Neocons. Am Abend tritt er als Erster im Festsaal ans Mikrofon. »Ich weiß nicht so genau, ob ich wirklich der Vater der Tea Party bin«, scherzt er. »Aber eines weiß ich, ich bin der Vater des neuen Senators von Kentucky!« Alle jubeln, sein Sohn Rand gilt als ein neuer Hoffnungsträger des rechten Flügels. Dann fängt Ron Paul an, seine Ansichten darzulegen: dass der Dollar an den Goldstandard gebunden werden müsse, dass Amerika die Notenbank auflösen und nicht mehr Weltpolizei spielen solle. »Wenn die Federal Reserve nicht inflationär Dollars drucken würde, könnten wir keine undeklarierten Kriege mehr in der ganzen Welt führen.« Er erwähnt die vielen Milliarden, die in den Irak gehen und überhaupt an den »military industrial complex«. Die derzeitige Finanzkrise sei erst der Anfang. Die Steuern würden steigen, auch die Inflation und die Arbeitslosigkeit, die bereits jetzt tatsächlich bei über zwanzig Prozent liege, mehr als das Doppelte über dem offiziellen Wert, auch die Preise für Lebensmittel und für Öl würden hochgehen. »Es wird Aufstände in der ganzen Welt geben.«

Dann redet er darüber, was der Tea Party am wichtigsten ist: Freiheit. »Wir müssen den Patriot Act abschaffen« – der den Überwachungsstaat zum Zweck der Terrorismusabwehr festschreibe –, »wir dürfen uns unsere Freiheit nicht scheibchenweise wegnehmen lassen. Die Regierung zerstört unsere Privatsphäre und schützt gleichzeitig ihr eigenes Recht auf Heimlichtuerei.« Paul bekommt zwar immer noch Beifall, aber deutlich weniger als am Anfang.

Nach ihm muntert Tim Pawlenty, der langjährige Gouverneur von Minnesota, der mittlerweile seine Kandidatur zurückgezogen hat, mit klassischer Tea-Party-Rhetorik die Menge wieder auf. »Seid ihr bereit, unser Land zurückzuerobern? Seid ihr bereit, gegen die herrschende Klasse aufzustehen, gegen die Regierung, gegen die Gewerkschaften, gegen big business?« Er hebt ein Heft hoch, die Verfassung der USA. »Ich erkläre es so einfach, dass es sogar ein Politiker versteht«, sagt er, als ob er keiner wäre. »Unsere Gründungsväter haben, unter der Führung von Gott, unserem Land diese heilige Verfassung gegeben, und alle unsere Probleme kommen daher, dass wir uns nicht mehr an diese Prinzipien halten.« Er schließt mit: »Amerika ist das großartigste Land der Welt.« Dann stehen alle auf und jubeln.

Nach dem Abendprogramm treffen sich die Handvoll Mittzwanziger, die auf der Konferenz sind, bei Bier, Cola, Tacos und Enchiladas in einem Tex-Mex-Restaurant. »Die Tea Party hat einen Ron-Paul-Flügel und einen Sarah-Palin-Flügel«, erklärt mir einer. »Jetzt kommt es darauf an, wer sich durchsetzt.« Die Jungs, das ist klar, gehören zu Paul. Der libertäre Paul-Flügel tritt für eine isolationistische Außenpolitik, weniger Überwaschungsstaat im Inneren und keinerlei Wohlfahrt ein. Hingegen ist der Palin-Flügel, der von Evangelikalen und Neokonservativen unterstützt wird, für eine starke US-Präsenz mit Militärbasen auf der ganzen Welt und eigentlich auch für einen starken Staat im Inland, solange der sich darauf beschränkt, Einwanderung zu kontrollieren, Verbrecher zu fangen und Abtreibungen zu unterbinden.

Lonesome Cowboys und bittere Südstaatler

Die Tea Party will Obama ablösen, aber das Feld der Republikaner reicht weit über sie hinaus. Da gibt es Newt Gingrich, den langjährigen Sprecher der Republikaner im Kongress, er hat sich einen Namen als Kritiker von Bill Clintons Sexaffären gemacht, bis herauskam, dass er seine krebskranke Frau nicht nur betrogen, sondern sogar die Scheidung eingereicht hat, während sie im Krankenhaus lag. Gingrich tut so, als sei er immer schon Tea Partier gewesen, aber er ist der Washington-Insider schlechthin – er war lange der Strippenzieher der Republikaner. Ein echter Tea Partier ist hingegen Herman Cain, der mit seiner Flat Tax, einem Steuersatz von drei mal neun Prozent für alle, Freunde gewann.

Am konservativsten ist Rick Perry, der Gouverneur von Texas, der über die Familie ähnliche Ansichten hat wie Bachmann. Der ehemalige Pfadfinder und Air-Force-Pilot, der gerne zu öffentlichen Gebeten einlädt, um Dürren zu beenden, hat Gott rufen hören, er solle sich als Präsident zur Verfügung stellen. Allerdings hat er nicht nur erklärt, Texas könne die Union auch wieder verlassen, er erinnert auch zu viele Amerikaner an George W. Bush. Was extreme Ansichten anbelangt, stellt ihn allerdings Rick Santorum in den Schatten, ein italienischstämmiger Katholik, der Pennsylvania in Washington vertrat. Santorum ist offen homophob; er verglich schwule Lebensgemeinschaften mit dem Verkehr mit Hunden, und er glaubt, der Staat habe das Recht, Homosexualität zu verbieten, da er ja auch Sodomie verbiete. Sein Großvater, so sagte er einmal, sei 1927 in die USA ausgewandert, weil Mussolini seinen Onkel gezwungen habe, im »Braunhemd« herumzulaufen (die italienischen Faschisten trugen schwarze Hemden).

Zu den Libertären zählt Gary Johnson, der frühere Gouverneur von New Mexico, der ähnliche Ansichten hat wie Ron Paul, dem aber dessen Charisma fehlt. Im Gespräch ist noch Chris Christie, der Gouverneur von New Jersey, der bei Konservativen beliebt ist, aber eigentlich ein herkömmlicher Republikaner bleibt, der sich noch nicht einmal um Tea-Party-Rhetorik bemüht. Christie sagt allerdings, er werde nicht kandidieren.

Relativ moderate Republikaner sind Jon Huntsman und Mitt Romney, beides Mormonen, Multimillionäre und erfolgreiche Geschäftsleute. Für die Tea Party sind sie aber nicht rechts genug: Huntsman war Obamas Botschafter in China; Romney ist unbeliebt, nicht nur, weil er wie frisch lackiert wirkt und einmal seinen Hund bei einem Ausflug auf dem Autodach festgebunden hat – er hat als Gouverneur von Massachusetts, ohnehin ein liberaler Staat, die gleiche Krankenversicherung eingeführt wie der viel gehasste Präsident.

Dann gibt es noch eine Reihe schillernder Medienlieblinge. Donald Trump etwa, »The Donald«, wie der Immobilienentwickler und Fernsehproduzent in New York genannt wird, eine Art Dieter Bohlen der amerikanischen Politik, der alle paar Jahre erklärt, er werde kandidieren. Oder Rudy Giuliani, der frühere New Yorker Bürgermeister, der einst seine Frau und die beiden Kinder aus der Bürgermeistervilla Gracie Mansion klagen wollte, um dort mit seiner Geliebten Mafiafilme gucken zu können, und dessen Polizeichef heute im Knast sitzt. Dazu gehört auch der Straßenmusiker Robert Burck, der »nackte Cowboy« vom Times Square, dessen Bekleidung nur aus Cowboyhut, Unterhose und Stiefeln besteht – alles in Weiß. Links außen ist Fred Karger, ein offen schwul lebender Schauspieler und Aktivist, der auf einer Anti-Mormonen-Plattform antritt. Und ganz rechts außen, aber ebenfalls chancenlos, tummeln sich David Duke, der einst dem Ku-Klux-Klan vorstand, und Stormfront-Gründer Don Black. »Viele unserer Leute von Stormfront machen bei der Tea Party mit«, sagte er der Website ›Daily Beast‹. »Aber deren Führer stellen sich an, wenn es darum geht, bei Rassenfragen Klartext zu reden. Die Tea Party ist eine gesunde Bewegung, aber viele sind darauf dressiert, wie verschreckte Kaninchen zu rennen, sobald man sie Rassisten nennt.«

So verschieden, wie diese Präsidentschaftskandidaten sind, sind auch ihre Wählerbasis und die Staaten, in denen sie leben. »Was wir konservativ nennen, ist tatsächlich eine Sammlung von sehr unterschiedlichen Ideologien«, erklärt Nicholas Lemann, Vorstand der Columbia School of Journalism. Die größten Unterschiede gebe es zwischen den südwestlichen Staaten, Nevada, Arizona, Texas, also dem »Wilden Westen«, und dem amerikanischen Süden, dem »Vom-Winde-verweht-Land«. »Wenn die Leute im Süden sagen, wir sind gegen big government in Washington und für die Rechte der Bundesstaaten, dann richtet sich das gegen Nordstaatler, die den Bürgerkrieg gewonnen haben«, sagt Lemann. Die Yankees hätten den Süden gezwungen, den Schwarzen die gleichen Rechte einzuräumen; deshalb habe deren Anti-Washington-Attitüde einen rassistischen Hintergrund.

Umgekehrt seien die Afroamerikaner für ein big federal government. »Das war eben immer gut für sie«, sagt Lemann. Washington habe die Rüstungsfirmen im Zweiten Weltkrieg gezwungen, schwarzen Arbeitern Jobs zu geben, in den sechziger Jahren die Rassentrennung beseitigt und in den achtziger Jahren affirmative action eingeführt, also ethnische Minderheiten beruflich gefördert. »Viele Afroamerikaner haben Jobs bei Bundesbehörden, deshalb sind konservative Weiße im Süden, die eigentlich Medicare und Social Security etwas abgewinnen können, gegen die Bundesregierung«, erklärt der Professor. Der eher libertäre Südwesten hingegen sei grundsätzlich gegen den Wohlfahrtsstaat, den Weißen dort sei gar nicht bewusst, dass die Bundesgesetzgebung die Schwarzen vor Diskriminierung durch Arbeitgeber schütze, weil es dort kaum Schwarze gibt. Dort fühlten sich viele als lonesome cowboys, sie lehnten eine intellektuelle Großstadtelite ab. »Deshalb ist Sarah Palin auch in Arizona und Nevada so populär.«

Ron Paul und Gary Johnson sind typische Politiker aus dem Südwesten. Hier, von Arizona bis Oklahoma, ist das Land nur sporadisch besiedelt, von einigen wenigen Metropolen wie Dallas, Salt Lake City oder Denver abgesehen. In der Wüste sind Air-Force-Basen und militärische Testgelände wie die Area 51, Gold- und Kaliminen, Indianerreservate und ansonsten meilenweite Menschenleere. New Mexico etwa, das fast so groß ist wie die Bundesrepublik, hat nur zwei Millionen Einwohner, davon eine Million Weiße, und auch das fast gleich große Arizona hat nur sechs Millionen.

Wer hier außerhalb der Städte lebt, hat mindestens zwei Autos mit Vierradantrieb, eine Farm von der Größe dreier mitteleuropäischer Dörfer und fünf Gewehre. Das Recht, Waffen zu tragen, wird erbittert verteidigt. Nicht alle hier sind konservativ, in New Mexico, im Tal des Rio Grande, gibt es auch Hippiekommunen und Aussteigerfarmen. Aber für alle ist Washington weit weg. »Das Merkwürdige hier ist, dass gerade in Arizona viele beim Federal Government angestellt sind, beim Militär oder beim Bureau of Land Management, denn sehr viel Land ist dort bundeseigen«, sagt Lemann. »Aber trotzdem hassen sie die Regierung in Washington.«

Im Südwesten leben viele Mormonen und Katholiken (neben den Mexikanern sind auch viele Indianer katholisch, da ihre Vorfahren von den Spaniern zwangsgetauft wurden). Hingegen sind in den Südstaaten – mit der Ausnahme des französisch geprägten Louisiana und des von Exilkubanern dominierten Florida – die protestantischen Southern Baptists die dominante Religionsgemeinschaft. Hier ist der Bible Belt, der von Missouri über Kentucky bis nach Virginia, Georgia, Nord- und Süd-Carolina reicht. Und während der Südwesten eher weiß und hispanisch ist, leben im Süden viele Schwarze, wobei es in vielen Gemeinden de facto immer noch Rassentrennung gibt.

Einen anderen Charakter haben die Flächenstaaten des Mittleren Westens wie Iowa, Minnesota, Wisconsin, Nebraska, Kansas oder Nord- und Süd-Dakota mit den Prärien, die noch dünner besiedelt sind als der Südwesten. Hier leben außer in den Sioux-Reservaten fast nur Weiße – Deutschstämmige und Skandinavier, Lutheraner und Calvinisten. Auch der pazifische Nordwesten, der von Wyoming und Montana bis zur Küste reicht, ist konservativ und weiß – von Großstädten wie Seattle und Portland abgesehen –, er gilt als Sammelbecken von rechtsradikalen Sekten wie den Aryan Nations, die zum Teil auch germanische Götter verehren.

Eines aber haben alle Konservativen gemeinsam: Sie reden gerne von der Zeit der Founding Fathers, 1776 bis 1812, die sie restaurieren wollen. Doch die Ära, in die sie tatsächlich zurückwollen, sind die fünfziger Jahre, die Zeit vor Rosa Parks und Martin Luther King, vor den Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg, vor den Blumenkindern und den Hippies, die für freie Liebe demonstrierten, und vor der Einwanderung von Abermillionen von Mexikanern. Und manchen geht noch nicht einmal das weit genug: Gingrich forderte in einem Versuch, die Tea Party rechts zu überholen, man müsse das Rad um achtzig Jahre zurückdrehen, vor Franklin D. Roosevelts New Deal. Ob allerdings viele Amerikaner im Depressionsjahr 1931 leben wollen?

 

Während der Festsaal des Konferenzzentrums in Phoenix für die letzte Abendveranstaltung gefegt wird, treffen sich kleine Gruppen von Tea Partiern in den Nebenräumen zu seminarähnlichen Veranstaltungen. Es geht darum, was dieser und jener Artikel der Verfassung wirklich bedeute, wie das Internet genutzt werden könne, um möglichst viele Menschen zu erreichen; auch Joe Arpaio, der berüchtigte Sheriff von Phoenix, spricht, der Zehntausende illegale Einwanderer nach Mexiko abschieben ließ, und Russell Pearce, Arizonas Senatspräsident, die treibende Kraft hinter dem Senate Bill 1070, der fordert, dass Englisch die offizielle Sprache der USA wird. Beide haben viel Zulauf.

In einem der kleineren Säle tritt Yaron Brook auf, ein Israeli, der dem Ayn Rand Insitute vorsteht; auch er entschuldigt sich, wie Schweikert, erst mal für seinen fremd klingenden Namen und erklärt, dass Amerika das großartigste Land der Welt ist. Er spricht mit britischem Akzent, gibt sich aber große Mühe, den zu unterdrücken. Er ist hier, um Rands Philosophie dem doch ein wenig skeptischen Publikum zu erklären: Die Founders, die Gründer, hätten gewollt, dass Amerikaner souverän und frei seien, nach dem Spruch von Patrick Henry: »Give me liberty or give me death« – gib mir Freiheit oder den Tod –, was das Recht auf einen Arzt, einen Job, einen Mindestlohn, eine Rente oder Subventionen für Farmer ausschließe. Medicare und Social Security seien betrügerisch. Es sei am besten für die ganze Gesellschaft, wenn jeder egoistisch sei. Sich um andere zu kümmern und zu teilen, sei ebenso faschistisch wie Multikulturalismus, denn wer den vertrete, glaube nicht, dass Amerika das großartigste Land der Welt sei.

Ein Mann im Publikum fragt, ob denn Bernie Madoff sich randianisch verhalten habe, der Wall-Street-Betrüger. Nein, nein, sagt Brook, Madoff sei ja geschnappt worden und werde unglücklich enden. Ich frage, ob Dietrich Bonhoeffer, der gegen die Nazis eingetreten ist und ermordet wurde, falsch gehandelt habe. Nein, auch nicht, der habe nach seinen Grundsätzen gelebt, das habe ihn glücklich gemacht. Die nächste Frage gilt dem US-Soldaten, der im Irak stirbt. Auch damit hat Brook kein Problem, denn der Soldat sterbe zufrieden, da er einem noblen Ziel diene. Kommt es mir nur so vor, oder wird das immer so gedreht, wie es gerade passt? Eine Zuhörerin fragt danach, wie sich Ayn Rands Haltung mit christlicher Moral vereinbaren lasse. Offenbar ist ihr nicht klar, dass Rand Atheistin war, und Brook gleitet über die Frage hinweg. Am Abend ist noch mal Patriotismus gefragt. Weil die Konferenz per Video aufgezeichnet wird, müssen wir alle aufspringen, lächeln und für die Kameras laut »USA! USA! USA!« rufen. Richtig, das großartigste Land der Welt. Fast hätte ich es vergessen. Es klingt nun schon ein wenig gequält.

Das Schlusswort hat Dick Morris, der frühere Kampagnenmanager von Bill Clinton und Entdecker von Sarah Palin, der die Gelegenheit nutzt, sein Buch zu bewerben, so wie es hier überhaupt mehr Politiker gibt, die Bücher verkaufen, als solche, die nach Washington wollen. Morris, ein kleiner dicker New Yorker mit einem Mundwerk wie ein Marktweib, wurde ausgerechnet von Clinton wegen seines zu anstößigen Sexuallebens gefeuert – er war mit einer Prostituierten liiert, der er erlaubt haben soll, Telefongespräche des Präsidenten mitzuhören, zudem soll er ein uneheliches Kind in die Welt gesetzt haben. Aber trotzdem bekommt er von den Anhängern einer Partei, die für Familienwerte steht, freundlichen Beifall.

Als Erstes erzählt er einen Witz, der zu ihm passt: Nachdem Churchill abgewählt worden war, traf er in der Toilette des House of Commons seinen Nachfolger Clement Attlee und rückte von ihm ab, weil er Angst hatte, dass sein Schwanz sozialisiert werden könnte. Eine ähnliche Art von Sozialismus sei auch von Obama zu erwarten; kein Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, ein Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel, hohe Sozialausgaben, eine wertlose Währung wie in Europa. Im alten Europa. Obama habe die Banken lahmgelegt, und er werde noch die ganze Wirtschaft ruinieren. Dann schlägt Morris eine neue Strategie vor, ObamaCare zu bekämpfen: Die Republikaner könnten doch die Gehälter für die Finanzbeamten blockieren und so Washington das Geld abgraben – eine interessante Idee, erst recht, da Morris bis vor Kurzem fast eine halbe Million Dollar an Steuerschulden hatte, die noch nicht vollständig abgetragen sind.

Zuletzt wird er gefragt, mit welchen Kandidaten die Republikaner siegen können. Morris vertraut Sarah Palin und Newt Gingrich, nicht aber Mitt Romney; allerdings hätten Gingrich und Palin ein Problem mit ihrem Bild in den Medien. Michele Bachmann sei großartig, auch Donald Trump. Ron Paul erwähnt er gar nicht. Obwohl der auch in Phoenix die straw poll gewinnt. Ob Morris schlau genug für solche Prognosen ist? Seit er gefeuert wurde, hat er gemutmaßt, Hillary Clinton werde das Rennen um ihren Senatssitz verlieren, hat erklärt, Bush werde für seinen Einsatz beim Hurrikan Katrina belobigt werden, und er hat ein Buch geschrieben, in dem er spekulierte, ob Condoleezza Rice oder Hillary Clinton ins Weiße Haus einziehen werde.

Neben mir sitzt ein Farmer aus Arizona; seinen schiefen Zähnen kann man ansehen, dass er sich keinen Zahnarzt leisten kann. Er ist Ende dreißig und mit seinen Eltern gekommen, beide sind Rentner. Die Familie hat es nicht leicht in der Wirtschaftskrise. »Ich bin froh, dass meine Eltern wenigstens Social Security bekommen«, erzählt er. Für Dick Morris oder Eric O’Keefe, die den Sozialstaat abschaffen wollen, wäre das nur ein Taschengeld, aber trotzdem werden deren Redehonorare von Leuten wie ihm bezahlt. Die Teilnahmegebühr an der Konferenz ist nicht billig. Es ist ein Moment wie in Orwells ›Farm der Tiere‹. Übrigens, Ayn Rand gab am Ende ihres Lebens ihre Grundsätze auf: Ihre Krankenhausrechnung wurde von Medicare bezahlt.