Durch die Wüste: Die Grenze und die Immigration

El Paso, Texas, 1680 von spanischen Siedlern im Land der Apachen zur Hauptstadt von New Mexico ernannt, gehört seit anderthalb Jahrhunderten zu Amerika, wirkt aber noch immer wie eine mexikanische Stadt, schon deshalb, weil mehr als drei Viertel der Bevölkerung aus Mexiko stammen. El Paso, ein bisschen alte Pracht aus der Goldgräberzeit, mehr aber noch helle Moderne, hat Tex-Mex-Restaurants, mexikanische Straßennamen und mexikanische Ramschläden in den Seitenstraßen des Cesar Chavez Border Highway. Dort führt eine Brücke für Fußgänger, Autos, Busse und Taxis über den Rio Bravo, wie der Rio Grande in Mexiko heißt, in die Schwesterstadt Ciudad Juárez.

Juárez wurde etwa zur gleichen Zeit gegründet wie El Paso, ist drei Mal so groß, wirkt aber mit seinen Kirchen und spanischen Bürgerhäusern pittoresker. Vor der weiß getünchten Kathedrale werden Obst und Gemüse verkauft, ein curandero, ein mexikanischer Indianer, der Gebrechen heilt, steht dort in voller Montur und spricht mit einem alten Mann. Über die Brücke kommt und geht ein ständiger Strom von Menschen; viele laufen zu Fuß, Busse und Autos stauen sich mehrspurig zu jeder Stunde. Zehntausende Mexikaner arbeiten in El Paso, Amerikaner besuchen Verwandte in Juárez oder kaufen dort ein. Ladengeschäfte bieten billige verschreibungspflichtige Medikamente für die an, die keine Krankenversicherung haben. Aber der Trip in die Stadt, die Johnny Cash im ›Cocaine Blues‹ besang, ist gefährlich. Juárez wird von Drogenkartellen kontrolliert, von deren Einfluss auch die Polizei nicht frei ist, sodass sich Firmen lieber auf private Sicherheitsdienste verlassen.

Der Drogenkrieg hat hier schon Tausende von Opfern gefordert, täglich geschehen Raubüberfälle und carjacking, der gewaltsame Raub von Autos. Berüchtigt ist die Stadt auch, weil hier in den letzten Jahren Hunderte von jungen Frauen verschleppt und umgebracht wurden.

El Paso hingegen, voller Polizei und Grenztruppen, ist sicher. Von El Paso aus sind die Türme der Misión de Nuestra Señora de Guadalupe, der großen Kathedrale, zu erkennen. Aber die einzige Verbindung zwischen den Schwesterstädten sind eine Handvoll überfüllte Brücken über den Fluss und den Grenzwall hinweg, Nadelöhre, der Furcht vor Mexiko geschuldet.

Wetbacks und Pistolen

Nicht nur El Paso, die gesamte Grenze zu Mexiko ist von Kalifornien bis weit nach Texas hinein zweifach befestigt, mit einem stabilen Metallzaun, sechs Meter hoch, mit einer betonierten Straße, Flutlichtanlagen und bewaffneten Patrouillen; eine Anlage, die seltsam an die Berliner Mauer erinnert. Aber der Zaun, der auch durch Stammesgebiete verläuft, soll illegale Einwanderer draußen halten, nicht Flüchtenden den Weg versperren. Zusätzlich wurden an den Ausfallstraßen ausfahrbare Metallbarrieren installiert, um Autos vom Durchbrechen abzuhalten. Überall sind Polizeikontrollen. Trotzdem kommen immer noch Illegale aus Mexiko; oft geführt von coyotes, Schleppern. Manche klettern nachts über den Grenzzaun, andere verbergen sich im Kofferraum von Helfern. Sie schlagen sich in die nächste Stadt durch, quer durch Gemüsefelder, Dattelpalmenhaine oder Flusstäler, die im Sommer wenig Wasser führen. Sie übernachten unter Autos, in Scheunen und in Gartenhäusern. Jedes Jahr verdursten einige Hundert Menschen in der Wüste. Unter den Illegalen sind auch Drogenschmuggler, aber die meisten suchen einfach nur Arbeit auf den Plantagen von Kalifornien, in den Restaurantküchen von Louisiana, auf den Baustellen von New York und in anderen schlecht bezahlten Jobs. Immer mal wieder fordern Politiker, aber auch Gewerkschaftler, man solle nicht gegen die »Illegalen« vorgehen, sondern gegen deren Arbeitgeber – rechtlich wäre das sogar möglich, nur umgesetzt wird es selten.

Offiziell leben fast fünfzig Millionen Hispanics, spanisch sprechende Menschen, in den USA, ein Sechstel der Bevölkerung, aber tatsächlich dürften es mehr sein. Geschätzt wird, dass es in den USA zwischen sieben und zwanzig Millionen illegale Immigranten gibt, davon sind drei Viertel Hispanics. Sie kommen aus Guatemala, El Salvador, Kolumbien und der Dominikanischen Republik, meistenteils aber aus Mexiko. Und dieser demographische Trend wird sich noch verstärken. Lateinamerikanische Frauen bringen im Schnitt fast doppelt so viele Kinder auf die Welt wie weiße. Allein 2008 wurden 48 Prozent der Kinder in Amerika in einem Haushalt geboren, der einer ethnischen Minderheit zugerechnet wird. Dem PEW Research Center zufolge, einem Forschungsinstitut in Washington, D.C., werden um das Jahr 2050 die Nichtweißen die Mehrheit der Amerikaner stellen, und damit sind vor allem Hispanics gemeint.

Von El Paso aus führt eine einsame Bahnlinie der alten Southern Pacific Railroad nach Lordsburg, über die Grenze zu Arizona, durch Tucson, Maricopa und Yuma bis nach Los Angeles, zum Pazifischen Ozean. Ganze drei Mal pro Woche bummelt hier ein Zug entlang, der von New Orleans kommt, er teilt das Gleis mit ein paar Dutzend Güterzügen, wo bis zu hundert Wagen hinter einer Diesellok herzuckeln. Die Gleise liegen nur ein paar Meilen nördlich der Grenze. Der Zug fährt parallel zur Interstate 10, einer sechsspurigen, autobahnartigen Verbindungsstraße.

Die I-10 führt durch eine staubige Wüste, vorbei an den Bergen, wo die Silver Mountain Apache wohnen, und an dem Reservat der Chiricahua, das teils in New Mexico, teils in Arizona und in Mexiko liegt. Auf einem Abstecher nach Süden gelange ich zur Cowboystadt Tombstone. Hier lieferten sich Doc Holliday und Wyatt Earp eine legendäre Schießerei am O.K. Corral, bei der ein halbes Dutzend Revolverhelden auf offener Straße aufeinander ballerten (das Ereignis wird heute für Touristen nachgestellt). Es geht weiter zur Goldgräbersiedlung Bisbee, wo Kupfer geschürft wurde.

Kurz vor Bisbee warten drei Polizeiwagen am Straßenrand, deren Dachlichter rot und blau blinken. Mehrere Polizisten stehen davor und winken alle vorbeifahrenden Autos heraus, auch mich. Hier ist ein Checkpoint. Nach dem Senate Bill 1070 muss die Polizei in Arizona alle, die irgendwie unamerikanisch aussehen, überprüfen, ob sie sich legal im Land aufhalten. Mehr noch: Ein Ausländer, der keine Papiere, also keinen Pass mit Visum bei sich trägt, begeht ein Verbrechen, das mehrere Wochen Knast einbringen kann. Die Polizei ist zu dieser Überprüfung sogar verpflichtet, Bürger können Polizisten, die nicht genug kontrollieren, vor Gericht bringen. Ich bin sofort als Ausländerin zu erkennen: Aufkleber der Mietwagenfirma am Kofferraum, ein Stapel aufgeblätterte Straßenkarten auf dem Beifahrersitz, davon ein Teil in Deutsch, gepackte Reisetasche auf dem Rücksitz, deutscher Akzent, außerdem bin ich zu schnell gefahren. Einer der Polizisten wirft einen sekundenkurzen Blick in mein Auto und winkt mich dann weiter, ohne auch nur nach meinem Führerschein zu fragen.

Südwestlich von Bisbee, kurz vor der Grenze, liegt Hereford, ein Kaff in der Wüste. Hier hat im April 2010 Thomas Kelley, ein weißer Farmer, seinen Nachbarn Juan Daniel Varela getötet. Die beiden waren in Streit über den Senate Bill 1070 geraten, der damals noch im Senat debattiert wurde. Schließlich hatte Kelley eine 44er Magnum gezogen, gebrüllt: »Du wetback« – nasser Rücken, ein Schimpfwort für Mexikaner –, »geh doch dahin zurück, von wo du gekommen bist.« Dann schoss er. Varela kam aus Phoenix, Arizona. Er hinterließ eine Frau und eine 13-jährige Tochter.

Das ist ein extremer Fall, doch haben hate groups, die gegen Immigranten und ethnische Minderheiten hetzen, immens zugenommen, sagt Mark Potok vom Southern Poverty Law Center in Alabama. Das Center hat zuletzt 2145 solcher Gruppen gezählt, mit zusammen einer Viertelmillion Mitglieder, drei Mal so viel wie im Jahr 2000. Alleine seit der Wahl von Barack Obama habe sich deren Zahl mehr als verdoppelt. Und ihre Feindbilder hätten sich verändert, sagt Potok. »In den sechziger Jahren, als die Bürgerrechtsbewegung für die Abschaffung der Rassentrennung kämpfte, wandten sich hate groups gegen Schwarze, Juden und Schwule.« Heute würden sie mexikanische Immigranten als faul, drogensüchtig und gefährlich beschimpfen, das aber vor allem aus taktischen Gründen. »Offen rassistisch oder antisemitisch zu sein, ist heutzutage nicht mehr opportun, aber drei Viertel der Amerikaner sind gegen Immigration, auch wegen der anhaltenden Arbeitslosigkeit«, sagt Potok. »Deshalb glauben Neonazis, dass sie mit dieser Botschaft die Massen hinter sich bringen können.«

Wenige Monate nach der Bluttat, im Sommer 2010, kam Russell Pearce, der Präsident des Senats von Arizona, zusammen mit Joe Arpaio, dem Sheriff von Phoenix und Maricopa County, nach Hereford. Arpaio ist knorrig und gedrungen, der fast 80-Jährige wird der »schärfste Sheriff von Amerika« genannt. Routinemäßig organisiert er Schleppnetzfahndungen in Vierteln, wo Latinos und Indianer wohnen. Rund 15 000 Illegale lässt er jedes Jahr festnehmen, und er behandelt Gefangene ausgesucht schlecht: Er lässt sie angekettet in Zelten in der glühenden Wüste hausen, und es kommt vor, dass Gefangene sterben, weil sie keine ärztliche Hilfe erhalten, wie etwa Deborah Braillard, eine Diabetikerin, die kein Insulin bekam.

Arpaio und Pearce, die beide der Tea Party nahestehen, sprechen vor ein paar Hundert bewaffneten Tea-Party-Anhängern, die fordern, dass Washington mehr für die Grenzsicherheit tun müsse. Mit dem Grenzzaun ist die Zahl der Illegalen, die im Grenzgebiet festgenommen werden, zwar deutlich gesunken; auf eine knappe halbe Million, schätzt die ›Los Angeles Times‹. Aber viele Amerikaner, vor allem in Arizona, glauben, dass immer noch viel zu viele durchkommen. Die Illegalen graben sich nun unter dem Zaun durch oder sie warten, bis keine Patrouille da ist, und legen eine Leiter an. Arpaio bestärkt die Farmer. Die US-Grenztruppen müssten rechtlich in der Lage sein, Illegale bereits auf mexikanischem Gebiet abzufangen, sagt er. »Wenn hier TV-Kameras wären, dann würde ich selber über den Zaum klettern, nur um zu zeigen, wie einfach es ist.« Der Sheriff, der aus Massachusetts stammt, wurde schon fünf Mal wiedergewählt. Er lässt sich nicht von der Presse beeindrucken oder davon, dass das Justizministerium gegen ihn wegen racial profiling ermittelt, der Verfolgung von Verdächtigen aufgrund ethnischer Merkmale. »Ihr seid das Volk, gebt nicht auf«, donnert er. »Ihr kämpft für das großartigste Land der Welt. Die ganze Welt muss erfahren, was südlich der Grenze passiert! Sendet eine Nachricht an das Weiße Haus, damit die aufwachen!« Arpaio ist wichtig: Alle Politiker der Tea Party, allen voran Bachmann, aber auch Perry und sogar Romney, suchen seine Unterstützung.

Noch entschiedener gegen Immigranten eingestellt ist Pearce, der auch die Unterstützung der Waffenlobby NRA, National Rifle Association, hat. Es wurmt ihn, dass Washington mit allen Rechtsmitteln versucht, den Senate Bill 1070 zu Fall zu bringen. Ein Teil davon wurde vom Supreme Court, dem Obersten Gericht der USA, bereits kassiert. »Mit Obama hat sich das erste Mal ein Präsident mit einem ausländischen Regime verbündet, um seine eigenen Bürger zu verklagen«, meinte Pearce auf der Tea Party Conference in Phoenix. Seiner Meinung nach verhalten sich die Gegner des Senate Bill 1070 ungesetzlich, indem sie sanctuary cities schaffen, wo Illegale geduldet werden. Aber er werde denen nicht nachgeben, die billige Arbeitskräfte und Stimmvieh wollten. »Wir werden den Senate Bill 1070 durchsetzen«, sagt er. »Wir lassen niemanden aus dem Gefängnis frei, bevor wir nicht wissen, ob es sich um einen Staatsbürger handelt. Wir sind das großzügigste Land der Welt, aber so kann es nicht weitergehen. Wir geben jedes Jahr Milliarden für Medicare und Medicaid für illegale Ausländer aus, dazu kommen die Kosten für die Gefängnisse, die Polizei, die Grenze.« Und das Dramatischste sei die Kriminalität. »Jedes Jahr werden 9000 Amerikaner von illegalen Ausländern umgebracht, was muss noch passieren, damit wir aufwachen?«

Die Mordrate in den USA liegt bei etwa 16 000 Fällen pro Jahr, sodass die Zahl von 9000 Morden alleine durch Illegale unwahrscheinlich ist. Aber Pearce trifft einen Nerv. Die Position der Tea Party in der Immigrationspolitik ist mehrheitsfähig. Nach einer Umfrage des TV-Senders CBS fanden 57 Prozent der Amerikaner den Senate Bill 1070 in Arizona richtig, 17 Prozent meinten sogar, das Gesetz gehe nicht weit genug. Pearce und Arpaio werden von Organisationen wie FAIR (Federation for American Immigration Reform) unterstützt, einem Verein, der Immigration, auch legale, radikal einschränken will. Allein FAIR hat 250 000 Mitglieder in den USA. Und so ist es nicht überraschend, dass inzwischen auch andere Bundesstaaten Gesetze erlassen haben, die noch strenger sind als die von Arizona, darunter Utah, Indiana, Florida, Alabama und Georgia. In Georgia und Alabama müssen Lehrer nun prüfen, ob Schüler legal in den USA sind; nun gehen dort manche Kinder gar nicht mehr zur Schule, Amerikaner machen sich strafbar, wenn sie einen Illegalen beschäftigen, ihm eine Wohnung vermieten oder ihn auch nur mit dem Auto irgendwohin fahren. Das gilt selbst dann, wenn es sich um einen Verwandten oder Ehepartner handelt. Dabei fährt die Obama-Regierung eine viel härtere Linie gegen Immigranten, als es die Tea-Party-Rhetorik vermuten lässt: Die Bundesregierung lässt jedes Jahr eine halbe Million illegale und kriminelle Immigranten abschieben.

 

Die I-10 führt weiter nach Tucson, der zweitgrößten Stadt von Arizona. Hier, auf dem Parkplatz eines Supermarktes, überlebte Anfang 2011 die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords einen Anschlag nur knapp, sechs Menschen kamen dabei ums Leben, darunter ein Kind. Was den Mörder, den 22-jährigen Studenten Jared Lee Loughner, getrieben hat, weiß bis heute keiner. Man nimmt an, er sei psychisch verwirrt gewesen. Loughner las das ›Kommunistische Manifest‹ sowie Bücher von Ayn Rand, und er fürchtete, dass die New World Order bevorstehe, eine totalitäre Weltregierung mit einer globalen Weltwährung. Loughner glaubte aber auch, dass die US-Regierung hinter dem Anschlag auf das World Trade Center stecke und dass die NASA die Mondlandung inszeniert habe. Er beschuldigte sein College, die amerikanische Verfassung zu verletzen, und er forderte, dass der Dollar wieder an die Goldreserven gekoppelt werden solle. Kurz, er vertrat ein wirres Gemisch aus rechts- und linksradikalen Verschwörungstheorien. Für Amerikas Liberale war der Anschlag auf Giffords ein Fanal. Nicht nur hatte Loughner, trotz einer Drogenvorgeschichte, eine halbautomatische Pistole bei Wal-Mart kaufen können; Sarah Palin hatte zudem zuvor eine Karte veröffentlicht, auf der demokratische Politiker im Fadenkreuz zu sehen waren, darunter auch Gabby Giffords – versehen mit dem Kommentar: »Gib nicht nach, lade nach.« Nach dem Anschlag postete Palin Beileidsbekundungen auf ihrer Facebook-Seite. Ihre Sympathisanten erklärten, es habe sich nicht um Fadenkreuze gehandelt, sondern um Markierungen von Landvermessern. Und: Loughner sei ein Linker.

Bei Casa Grande biege ich südlich auf die I-8 ab, die deutlich weniger befahren ist als die I-10. Ein paar Lastwagen, ab und zu ein Auto. Schilder warnen, das Tempolimit von 75 Meilen pro Stunde einzuhalten, denn das werde vom Polizeihubschrauber aus überwacht. Die I-8, deren Mittelstreifen mehrere Hundert Meter breit ist, führt am Stammesland der Tohono O’odham vorbei und an Naturparks. Auch bei der nächsten Polizeikontrolle am Gila River werde ich wieder durchgewunken. Mein Auto nähert sich Yuma, der letzten Stadt in Arizona vor der Grenze zu Kalifornien, die am Colorado River liegt, der hundert Meilen weiter südlich in den Golf von Kalifornien mündet. Yuma ist eine saubere, aufgeräumte Kleinstadt in rosa Granit, mit weiß gekalkten Fassaden, gepflegten Gehsteigen und ein paar Palmen, die in der Mittagshitze gewässert werden. Die Hauptstraße führt durch die Historic Downtown. Hier liegen zwei Saloons, ein Kasino, ein Kino, das auch als Kulturzentrum dient, ein paar Läden, deren Angebot von Antiquitäten nahtlos zu Ramsch übergeht, ein Stand mit Power-Fruchtshakes und ein diner. Eine Ecke weiter gibt es ein bayrisches Restaurant, weiß und blau beflaggt, mit Schweinebraten und Semmelknödeln, neben einer irischen Bar. San Luis Río Colorado, die mexikanische Grenzstadt, ist nur wenige Meilen entfernt.

Yumas größte Arbeitgeber sind die US Army, die eine Air-Force-Basis für die marines mit einem Waffentestgelände unterhält, und die Gefängnisse. Yuma hat das älteste Gefängnis des »Wilden Westens«, das Yuma Territorial Prison von 1879, heute ein Museum. Das eigentliche, moderne Gefängnis ist der Arizona State Prison Complex, eine befestigte, fensterlose Zementburg, vor der Polizisten mit der MP im Anschlag Wache stehen. Hier sind mehrere Tausend Gefangene untergebracht, darunter auch viele illegale Einwanderer, die auf die Abschiebung nach Mexiko warten. Dass Arizona die Front im Kampf gegen die Immigration bildet, ist kein Zufall. Arizona ist ein »Wildwest-Staat«, zu dessen Legenden Cowboys, Sheriffs und Outlaws zählen, die gegen die Apachen gekämpft haben. Von hier stammt auch der Vater der Konservativen, auf den sich die Tea Party – allen voran Pearce – beruft: Barry Goldwater, Airforce-Pilot, General der Nationalgarde und langjähriger Senator aus Phoenix, der im Senat zum Vorsitzenden des Intelligence Committee und des Armed Services Committee sowie zum Elder Statesman aufstieg. Goldwater war in den fünfziger Jahren Verbündeter des berüchtigten Kommunistenjägers Joseph McCarthy. Er kämpfte gegen die Gewerkschaften, den Sozialstaat und Franklin D. Roosevelts New Deal, der Amerika aus der Großen Depression geholfen hat. Er setzte sogar durch, den Roosevelt Lake, einen Stausee am Gila River, in Theodore Roosevelt Lake umzubenennen, damit die Namensgebung nicht als Ehre für den ungeliebten Weltkriegspräsidenten missverstanden werden konnte.

In den sechziger Jahren kandidierte Goldwater gegen Lyndon B. Johnson, den demokratischen Präsidenten und Amtsinhaber. Ayn Rand unterstützte ihn. Er verlor, aber sein Einfluss prägt die GOP bis heute. »Goldwater hat die Republikaner von einer Partei für Ostküsteneliten zur Geburtsstätte für die Wahl von Ronald Reagan umgeformt«, meinte sein Nachfolger John McCain. In der Tradition steht heute das Goldwater Institute in Phoenix, das für das Recht auf Privateigentum, niedrige Steuern und eine möglichst große Regierungsferne eintritt. Das Institut hat einen Etat von zwei Millionen Dollar, der von Sponsoren kommt, darunter der Grundbesitzerverein von Arizona und die Stiftung des Milliardärs Charles G. Koch.

In der Original Constitution, zu der die Tea Party zurückwill, steht aber kein Wort von einer Begrenzung der Einwanderung, sondern nur, dass sie ermöglicht werden soll. In Artikel 1, Sektion 8, heißt es, der Kongress der USA solle die Macht haben, ein uniform rule of naturalization zu etablieren, ein Gesetz, wie die Staatsbürgerschaft erlangt werden kann. An eine Begrenzung dachte damals niemand – das Land wollte Leute anlocken. Und wer sich die Geschichte der Immigration ansieht, wird feststellen, dass die Debatten und Befürchtungen, die heute aufkommen, sich im Lauf der Geschichte bereits mehrmals wiederholt haben.

Einwanderung und Integration: Wie Amerika immer weißer wurde

Das erste Immigrationsgesetz der USA wurde 1790 verabschiedet, 14 Jahre nach der Staatsgründung, als die USA noch aus den 13 ursprünglichen Kolonien in Neuengland und dem alten Süden bestanden. Es gab jeder »free white person of good character«, die sich zwei Jahre in den USA aufgehalten hatte, die Staatsbürgerschaft. Lange blieb es dabei, dass nur Weiße Amerikaner werden durften, das aber war damals einfach und unkompliziert. 1803, als die USA von Frankreich die Ländereien am Mississippi im Louisiana Purchase erwarben, bis hinauf zu den Großen Seen, bekam jeder Weiße, der dort lebte, die Staatsbürgerschaft. 1819 wurde Florida annektiert und in drei langen Kriegen die Seminole-Indianer vertrieben, auch das geschah, um Platz für Weiße zu schaffen. Und 1848, als die USA nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg den Südwesten von Texas bis Kalifornien annektierten, bekamen alle Weißen (allerdings auch hellhäutige Mexikaner) sofort die Staatsbürgerschaft, Indianer und Schwarze aber nicht. Denen wurde erst 1868 mit dem 14th Amendment, also dem 14. Zusatzartikel zur Verfassung, die Staatsbürgerschaft zugestanden; und Indianer erhielten die vollen Bürgerrechte erst nach und nach im 20. Jahrhundert.

1875 wurde das erste Gesetz erlassen, das die Immigration einschränkte, der Page Act, der sich gegen Chinesen richtete. Damals waren Hunderttausende Chinesen ins Land gekommen, um die Eisenbahnlinien quer durch den Kontinent zu bauen, ihnen wurde die Staatsbürgerschaft verwehrt und die weitere Zuwanderung verhindert. 1882 wurde Chinesen im Chinese Exclusion Act unter Androhung der Deportation die Zuwanderung verboten.

Während die USA an Größe und Einwohnern zunahmen, wurden sie immer weißer. 1776 hatte es 2,5 Millionen Amerikaner gegeben, davon waren rund zwanzig Prozent versklavte Schwarze. Der größte Teil des Kontinents war jedoch von Indianern bewohnt – man rechnet mit bis zu zwanzig Millionen. Knapp hundert Jahre später, nachdem der Norden den Bürgerkrieg gewonnen hatte, waren nur noch der Südwesten und die Prärien Indianerland. Es gab 35 Millionen Amerikaner, davon waren 4,4 Prozent schwarz. Viele Europäer waren zugewandert, obwohl es mühsam und gefährlich war, auf einem Segelschiff den Atlantik zu überqueren. Aber das änderte sich rapide um das Jahr 1880 herum, als die Hochsee-Dampfschifffahrt aufkam. Nun waren es jedes Jahr Millionen. Alleine 1892, als Ellis Island, die Insel vor New York, zum Sammelplatz für Einwanderer erklärt wurde, landeten zwölf Millionen weiße Immigranten in den USA an. Jeder von ihnen bekam nach einer Gesundheitsprüfung die Staatsbürgerschaft und dabei meist auch einen englischen Namen. Allerdings wurden rund 200 000 Neuankömmlinge wieder zurück nach Europa gesandt, weil sie nicht fit genug waren, 3000 starben in dem Inselhospital.

Das Land wurde nicht nur immer weißer, auch immer mehr Einwanderer schafften es, als weiß zu gelten. Amerika ist nicht durch Klassen-, sondern durch Rassenzugehörigkeit definiert, schreibt Nell Irvin Painter in ihrem Buch ›The History of White People‹. Dieses Leitmotiv gehe auf Thomas Jefferson, einen der Gründerväter, zurück. Jefferson glaubte, dass nur protestantische Angelsachsen, Engländer also, zur »weißen nordischen Herrenrasse« gehörten, die Amerika regieren sollte, nicht aber andere Europäer, vor allem Deutsche. Er wollte sogar Hengist und Horsa in das Siegel der USA aufnehmen, die angelsächsischen Urväter, die um 500 vor Christus aus dem heutigen Niedersachsen nach England gekommen waren. Deutschen wurde damals von anglophilen Amerikanern unterstellt, sie seien keine richtigen Teutonen, sondern hätten »keltisches Blut«. Kelten galten als dunkle, kleinwüchsige, minderwertige Menschen, anders als die großen, blonden, blauäugigen Angelsachsen. Engländer sahen nur die Skandinavier als gleichwertig.

Wesentlich mehr aber als die Deutschen wurden die Iren diskriminiert, die lange brauchten, um als weiß zu gelten. Und irische Einwanderer gab es viele. 1850, auf dem Höhepunkt der Hungersnot in Irland, der eine Million Menschen zum Opfer fielen, gab es in Amerika fast eine Million irische Immigranten, weitere Millionen sollten kommen. Die »Nativisten«, die englisch-stämmigen Amerikaner, warfen den Iren vor, sie überschwemmten das Land mit ihren vielen Kindern und drückten die Löhne, anglophile Zeitungen beschimpften Iren als faule Trunkenbolde, »Gewürm«, »Ungeziefer«, »Kriminelle aus den Armenhäusern Europas« und spotteten über die »Black Irish«. Dabei brachen auch hier uralte Rivalitäten zwischen Angelsachsen und Kelten durch, meint Painter. Irischen Katholiken wurde unterstellt, dass sie dem Papst gehorchten und nicht dem Präsidenten der USA. In Massachusetts wurden Iren gezwungen, Steuern an protestantische Kirchen zu zahlen. In Philadelphia brannte ein anti-katholischer Mob Kirchen nieder. In anderen Städten wurden irische Priester gelyncht. Mehrere Staaten wollten Gesetze erlassen, die Naturalisierung von Iren einzuschränken. Besser erging es den Scotch-Irish, protestantischen Iren aus Ulster, dem heutigen Nordirland, die ebenfalls in Massen kamen. Ursprünglich stammten sie aus Schottland und waren in vorausgegangenen Jahrhunderten in die Gegend um Belfast eingewandert. In den frühen Jahren Amerikas waren die Scotch-Irish eine der größten Immigrantengruppen und das Rückgrat der Armee.

In der amerikanischen Einwanderungspolitik gab es immer zwei Strömungen: Volksvertreter, die eine rasche, bruchlose Assimilierung an die dominante angloamerikanische Kultur forderten – das waren in der Regel englische, deutsche und skandinavische Protestanten –, und Politiker, welche die Partikularinteressen neuerer ethnischer Gruppen gegen »die da oben« verteidigten. Dazu zählen irische Parteibosse in Boston, dem »Dublin Amerikas«, italienische Politiker in Chicago, die Allianzen mit Griechen und Polen schmiedeten, und jüdische Gewerkschaftsführer in New York, die Mitglieder unter russischen und polnischen Juden rekrutierten.

Die Integration der Iren, Italiener und anderer neuerer Zuwanderer kam mit dem Bürgerkrieg von 1861 einen gewaltigen Schritt voran. Die Armee der Nordstaaten, der Union, bestand zum Großteil aus Immigranten in deutschen, irischen, schottischen und italienischen Bataillonen, während sich die Südstaaten als die »richtigen« Amerikaner verstanden und sich über die Nordarmee aus »Söldnern und Farbigen« mokierten, so Painter. Aber der Norden gewann. »Die Union sah ihren Sieg auch als einen Multikultisieg über die Nativisten«, meint Painter. Und die Iren galten von da an als weiß.

Viele Deutsche, die größte Einwanderergruppe überhaupt, ließen sich schon zuvor im German Triangle nieder, im ländlichen Mittleren Westen zwischen Cincinnati, St. Louis und Milwaukee, wo sie billig Farmland erwerben konnten. Etliche von ihnen stiegen sozial auf, wie Carl Schurz, der es zum Senator brachte, General Friedrich Wilhelm von Steuben, der Bierbrauer Adolphus Busch, der Ingenieur Johann August Roebling und Familien wie die Astors und die Rockefellers. Vereinzelte antideutsche Strömungen kamen nur kurz nach 1848 auf, als viele Deutsche nach der gescheiterten Märzrevolution nach Amerika flüchteten. Ihnen wurde unterstellt, sie seien Anarchisten.

Als Theodore Roosevelt 1901 Präsident wurde, griff er den Gedanken Jeffersons wieder auf, dass Amerika nicht durch Klassen, sondern durch Rassen geprägt sei, so Painter. Für Roosevelt waren inzwischen nicht nur Engländer, sondern auch Deutsche, Schotten, Skandinavier und sogar Iren »richtige« weiße Amerikaner. Das neue Feindbild waren nun die Einwanderer, die am Ende des 19. Jahrhunderts aus Süd- und Osteuropa gekommen waren, vornehmlich Polen, Sizilianer, Ungarn, Serben und vor allem russische Juden. Das Misstrauen wuchs, als 1905 sizilianische und jüdische Immigranten die Gewerkschaft der Industrial Workers of the World gründeten, die »Wobblies«, die auch Arbeiter aufnahmen, die nicht Englisch sprachen und die italienische und jiddische Zeitungen herausgaben. Deren klassenkämpferischer Ton wirkte fremd und antiamerikanisch in einem Land, dessen politischer Diskurs sich vor allem darum drehte, die Interessen verschiedener ethnischer Gruppen auszugleichen. Dass die Wobblies, zunehmend erfolgreich, zu Streiks aufriefen, machte ihnen noch weniger Freunde. Es kam vor, dass Wobblies verprügelt und gelyncht wurden.

Diese Konflikte verschärften sich mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, als streikende Arbeiter als Verräter galten. Zeitungen forderten, Einwanderer müssten »hundertprozentige Amerikaner« sein, was hieß: weiß und Englisch sprechend. Es gab Hearings im Senat gegen anarchistische und bolschewistische Umtriebe, wo russischen Juden vorgeworfen wurde, hinter der kommunistischen Revolution zu stecken. Dies gipfelte in Razzien, den nach dem damaligen Generalstaatsanwalt benannten Palmer Raids von 1919 und 1920, als Tausende von Sozialisten und Anarchisten eingesperrt und Hunderte deportiert wurden. Darunter war Emma Goldman, die vorbestraft war, weil sie zum Widerstand gegen die Wehrpflicht aufgerufen hatte, außerdem hatte sie Material zur Empfängnisverhütung verteilt. Eines der prägenden Ereignisse dieser Zeit ist das umstrittene Todesurteil gegen die beiden italienischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti.

Auch deutschstämmige Amerikaner fanden sich plötzlich im Fadenkreuz, als Amerika mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg von einer antideutschen Welle erfasst wurde. In Iowa wurde die deutsche Sprache verboten, in Ohio wurden deutsche Schulen geschlossen. Das Städtchen »Berlin« in Michigan wurde in »Marne« umbenannt. Deutsche Straßennamen wurden anglisiert und statt »Sauerkraut« hieß es nun »liberty cabbage«. Wagner wurde nicht mehr gespielt, deutsche Zeitungen, deutschsprachige Gottesdienste wurden verboten, ja sogar deutsches Bier. Rund 6000 deutsche und österreichische Immigranten wurden als »Spione« inhaftiert, einige davon zum Tode verurteilt oder auch gelyncht. Alleine in Montana erhielten 75 deutsche Immigranten teils lebenslängliche Haftstrafen, weil sie sich gegen den Kriegseintritt der USA ausgesprochen hatten. Viele anglisierten nun ihre Namen und behaupteten, Iren zu sein. Gleichzeitig wurde den Deutschen von den amerikanischen Eugenikern, deren Pseudowissenschaft damals auf ihrem Höhepunkt war, ihre »Weißheit« abgesprochen. »Deutsches Blut wurde von ›größtenteils nordisch‹ auf ›mehrheitlich alpin‹ herabgestuft«, erklärt Painter.

Die Hysterie legte sich nach dem Krieg. Die Feindseligkeit der Nativisten richtete sich nun wieder gegen Immigranten aus Süd- und Osteuropa. Denn diese stellten mittlerweile die Mehrheit. Jedes Jahr landeten Hunderttausende von russischen Juden in Ellis Island an, die vor den Pogromen geflohen waren, dazu Hunderttausende aus Polen, aus Sizilien, vom Balkan, aber auch aus Südasien, vor allem den Philippinen. 1920 gab es schon mehr als hundert Millionen Amerikaner, und es mehrten sich die Stimmen, die Immigration von Nicht-so-richtig-Weißen nun endlich zu unterbinden. Unter dem Druck von Wählern, die sich über einen nicht enden wollenden Strom »Krankheitskeime tragender Krimineller« beschwerten, schränkte der Kongress 1924 mit dem Johnson-Reed-Act erstmals die Einwanderung massiv ein.

Nach einem komplizierten System wurden Quoten erlassen, welche Einwanderer kommen durften. Engländer und Skandinavier, Iren und Deutsche waren willkommen, in wesentlich geringerem Maße galt das für Italiener, Slawen und Juden. Asiaten wurde die Immigration gänzlich untersagt. Das hatte Folgen. Waren bis 1924 noch 200 000 Italiener im Jahr ins Land gekommen, wurden danach nur noch knapp 4000 jährlich eingelassen, gut 2000 Russen und allenfalls ein paar Tausend Juden. Die höchste Quote hatten die Deutschen mit etwas mehr als 50 000 Zuwanderern. Erstmals fing die Polizei auch an, Illegale aufzugreifen und abzuschieben – das hatte es bisher nur gegeben, wenn diese straffällig oder politisch auffällig geworden waren. Damals wurde auch der Begriff »Immigrant« erstmalig rechtlich definiert und von dem des Ausländers abgegrenzt, der sich nur temporär in den USA aufhält.

Nach dem Schwarzen Freitag von 1929 und der Weltwirtschaftskrise sank die Bereitschaft, Immigranten aufzunehmen, noch weiter. Und ab Ende 1941, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, wurden die Schotten vollständig dicht gemacht; Immigranten aus Japan, Deutschland und Italien wurden sogar interniert. Alleine in Ellis Island waren mehr als 7000 enemy aliens eingesperrt. Spannungen zwischen englisch- und deutschstämmigen Amerikanern flackerten wieder auf, als anglophile Journalisten Stimmung gegen Deutschland machten, wenngleich bei Weitem nicht so dramatisch wie im Ersten Weltkrieg.

Der Zweite Weltkrieg schuf in den USA einen Assimilationsdruck, der genauso stark war wie der durch den Bürgerkrieg. Da mit dem Kriegseintritt Amerikas Millionen von Amerikanern den Wohnort wechseln mussten – zu einer Militärbasis oder zu einer Fabrik, wo sie gebraucht wurden –, gab es immer mehr Ehen zwischen Immigranten verschiedener Herkunft. Der Militärdienst sorgte ebenfalls für Integration, allerdings nur unter Weißen – noch waren die Bataillone in schwarze und weiße Soldaten segregiert.

Erst nach dem Krieg öffnete Amerika, das nunmehr 132 Millionen Einwohner hatte, die Tore wieder. 1946 wurde die Green Card eingeführt, ergänzt durch Arbeitsvisa. Soldaten wurde erlaubt, ihre Kriegsbräute aus England und Frankreich mitzubringen. Deutschen, auch deutschen Juden, wurde es ab 1951 wieder gestattet, in die USA zu reisen. Nun kamen viele Flüchtlinge aus dem Osten, Donauschwaben, Schlesier und Sudetendeutsche, auch Balten, Ukrainer und Ungarn. Mit dem McCarran-Walter-Act von 1952 wurde die Immigration für Osteuropäer jedoch wieder eingeschränkt, allerdings nicht für die, die vor den Russen geflohen waren, sondern für Kommunisten. Damals hatte eine antikommunistische Welle das ganze Land erfasst, der Kalte Krieg gegen die Sowjets, die gerade noch Verbündete gewesen waren, hatte begonnen. Der McCarran-Walter-Act wurde nun benutzt, um missliebige Intellektuelle fernzuhalten, darunter Gabriel García Márquez, Dario Fo, Graham Greene und Doris Lessing.

Erst mit der Bürgerrechtsbewegung setzte die »dritte Welle« der »Weißwerdung« Amerikas ein, wie Painter es nennt: Italiener, Polen und Juden erklagten sich in den fünfziger und sechziger Jahren Zutritt zu weißen Country Clubs, auch das Wohnrecht in besseren Apartmenthäusern. Mit John F. Kennedy wurde erstmals ein irischer Katholik Präsident.

Heute sind es andere Einwanderer, die sich noch keine »weiße Identität« erkämpft haben: Zuwanderer aus dem Mittleren Osten – Türken, Pakistanis und Araber, ausgenommen die Israelis – und eben die Hispanics: Südamerikaner und Mexikaner. Die werden im U.S. Census, der regelmäßig stattfindenden Volkszählung, bis heute als »nicht-weiß« eingestuft, unabhängig davon, ob es sich um mexikanische Nachkommen von aztekischen Indios oder um blonde Chilenen mit deutschen Vorfahren handelt. Und Hispanics kommen viele. Etwa eine Million Mexikaner pro Jahr gelangt ganz legal über den Familiennachzug in die USA. Andere erhalten die Staatsbürgerschaft mithilfe der sogenannten anchor babies. Nach dem 1868 verabschiedeten 14. Verfassungszusatz ist jeder, der in den USA geboren wurde, Amerikaner, auch die Kinder von Illegalen. Das ist das birthright citizenship. Und wenn diese anchor babies achtzehn Jahre alt sind, können sie die Staatsbürgerschaft für ihre Eltern, Geschwister und Großeltern beantragen. Nach einer Studie des Pew Hispanic Center gab es im Jahr 2008 etwa 340 000 solcher anchor babies; die Tendenz ist steigend.

Die Tea Party und die Immigration

Die Tea Party ist dagegen, dass solche anchor babies die Staatsbürgerschaft bekommen. Arizonas Senatspräsident Russell Pearce glaubt, das birthright citizenship verstoße gegen den Geist der Verfassung. Er argumentiert, dass der 14. Verfassungszusatz nichts mit Immigration zu tun habe. Damals sei es darum gegangen, den Nachkommen schwarzer Sklaven die Staatsbürgerschaft zu geben, und nicht etwa, die Einwanderung zu erleichtern. Der 14. Zusatzartikel galt bis 1923 nicht einmal für Indianer. Deshalb, so Pearce, verpflichte er die USA nicht, Kinder von Illegalen zu Staatsbürgern zu machen. Manche Tea Partier fordern gar, anchor babies mitsamt ihren Familien abzuschieben.

Theoretisch haben Politiker wie Pearce zwar recht, tatsächlich aber hatten die Verfassungsgeber nur deshalb die Einwanderer nicht im Auge, weil das in den Zeiten der Founding Fathers überhaupt nicht zur Debatte stand. Damals war ja jeder Weiße, der aus Europa anlandete, automatisch Amerikaner, und jedes weiße Kind, das in Amerika geboren wurde, sowieso. Wenn Pearce also wirklich zu den Gründungsvätern zurückwollte, gäbe es nur noch weiße anchor babies. Das traut sich heute nicht einmal die Tea Party zu fordern, und verfassungsrechtlich hätte das ohnehin keinen Bestand.

Mit seinen Einwänden gegen das birthright citizenship steht Pearce allerdings nicht alleine da. Mehr als ein Dutzend Staaten erwägen inzwischen Gesetze, dieses abzuschaffen; dazu gehören Alabama, Delaware, Idaho, Indiana, Kansas, Michigan, Mississippi, Montana, Nebraska, New Hampshire, Oklahoma, Pennsylvania, Texas und Utah. Sie wollen die Staatsbürgerschaft daran knüpfen, dass mindestens ein Elternteil Amerikaner ist oder wenigstens eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Allerdings: Für das Einwanderungsrecht ist die Bundesregierung in Washington zuständig, nicht die Staaten.

Politisch sind solche Vorstöße durchaus zweischneidig, denn der Anteil an hispanischen Wählern in den USA wächst. Derzeit sind es zwölf Millionen oder acht Prozent der Wählerschaft, und da in den kommenden Jahren viele in den USA geborene Hispanics 18 Jahre alt werden, wird diese Zahl exponentiell steigen. Und Hispanics wählen überwiegend demokratisch – Obama bekam 67 Prozent ihrer Stimmen. Dies ist für die Republikaner problematisch, weil der Präsident nicht vom Volk als Ganzes gewählt wird, sondern von den Bundesstaaten. Das Electoral College, die Wahlmänner der Bundesstaaten, sind verpflichtet, der Partei, welche die einfache Mehrheit in ihrem Staat hat, hundert Prozent ihrer Stimmen zu geben. Nun blicken nervöse Parteistrategen auf Texas: Der Staat hat 34 Wahlmänner, damit liegt er an zweiter Stelle hinter Kalifornien. Bislang war Texas solide in der Hand der Republikaner. Wenn aber der Anteil der Hispanics dort fünfzig Prozent übersteigt – und er liegt heute bereits bei vierzig Prozent –, dann könnte Texas für die Republikaner vollständig verloren gehen. Damit wären die drei größten Staaten – Kalifornien, Texas und New York – in demokratischer Hand.

Deshalb stimmen Republikaner, denen ihre Karriere wichtiger ist als der Beifall der Tea Party, in diesen Chor nicht mit ein. Michele Bachmann betont in ihren Wahlversprechen, sie werde Jobs für Hispanics schaffen, während Rick Perry, der Gouverneur von Texas, sich gegen den Grenzzaun zu Mexiko ausgesprochen hat und auch den Kindern von illegalen Immigranten eine Schulbildung ermöglicht. Die Libertären haben ohnehin keine Probleme mit Einwanderung, solange die Immigranten nicht kriminell werden und keine Sozialleistungen beanspruchen. Nur Herman Cain will an der Grenze einen »Wall wie die Große Mauer in China und einen alligatorgefüllten Graben« anlegen.

Das Misstrauen der Tea Party richtet sich aber nicht nur gegen Mexikaner, sondern auch gegen Moslems, insbesondere gegen Araber – es ist kein Zufall, dass viele Tea Partier Obama für einen Moslem halten. Dabei ist das eigentlich erstaunlich. In den USA gibt es allenfalls um die drei Millionen moslemische Immigranten; gemessen an der Zahl der Bevölkerung ist das nur ein Viertel der Zahl der Moslems in Deutschland. Und diese sind überdies gut ausgebildet, gut integriert und werden selten straffällig, da sie meist aus der Ober- oder Mittelschicht ihres Landes stammen. Dazu kommen ein bis zwei Millionen arabische Christen, meistenteils aus Palästina.

Gleichwohl sagte Cain zu Beginn seiner Kampagne, er werde als Präsident keine Moslems in seiner Verwaltung einstellen oder allenfalls solche, die einen Eid auf die Verfassung ablegen (was ohnehin vorgeschrieben ist). Allen West, ein Tea Partier aus Florida, attackierte Keith Ellison, den einzigen moslemischen Abgeordneten in Washington. Mark Williams vom ›Tea Party Express‹ nannte Allah einen »Affengott«. Und Tim Pawlenty hat in Minnesota ein staatliches Programm abgeschafft, das Hypotheken zinsfrei und somit kompatibel mit islamischem Recht vergab – er wolle auf keinen Fall die Scharia unterstützen, sagte er.

Pawlenty ist nur einer von vielen: Mehr als ein Dutzend Staaten sind einer Gesetzesinitiative aus Oklahoma gefolgt, die Scharia zu verbieten – wobei die in diesen Staaten weder gilt noch eine nennenswerte Anzahl von Moslems dort leben. Das Gesetz wird von siebzig Prozent der Wähler in Oklahoma unterstützt, aber auch von Bundespolitikern. So sagte Newt Gingrich, das Verbot der Scharia müsse in Washington gesetzlich verankert werden. Und Tennessee will jedem, der islamisches Recht unterstützt, eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren androhen. Hinter solchen Gesetzen stecken knallharte Konservative, die ursprünglich mit der Tea Party wenig zu tun hatten.

Die juristische Vorlage für die »Anti-Scharia-Gesetze« wurde von David Yerushalmi formuliert, einem 56-jährigen chassidischen Anwalt aus Brooklyn. Yerushalmi, der mit konservativen Thinks-Tanks und Geheimdienstlern zusammenarbeitet, hat den Verein SANE (Society of Americans for National Existence) gegründet. Der verbreitet im Internet antiislamische Tiraden, greift aber auch säkulare Juden an. Auf der Website ›Intellectual Conservative‹, die vom Goldwater Institute unterstützt wird, schreibt er, dass diese ihre »Gastgeberländer wie ein tödlicher Parasit zerstören«. Er findet, die Founding Fathers hätten gute Gründe gehabt, Frauen und Schwarzen das Wählen nicht zu erlauben. Und er glaubt an genetische Unterschiede zwischen Rassen.

Yerushalmis Interesse am Dschihad hat der ›New York Times‹ zufolge am 11. September 2001 begonnen. Damals lebte er in einer Siedlung in der Westbank. Er zog nach Brooklyn und fing an, islamisches Recht zu studieren, das, so sagt er, autoritär sei und dazu auffordere, die Weltherrschaft anzustreben. Zunächst wandte er sich an die Regierung in Washington, aber die zeigte wenig Interesse. 2009, mit dem Aufkommen der Tea Party, entschied er sich, an die einzelnen Bundesstaaten zu appellieren, und dabei unterstützt ihn ein einflussreiches neokonservatives Netzwerk, zu dem unter anderem Frank J. Gaffney, James Woolsey und Daniel Pipes zählen, die schon zuvor als eifrige Befürworter des Irakkriegs bekannt waren.

Gaffney ist ein früherer Reagan-Beamter, der das Center for Security Policy in Washington, D.C. gegründet hat, für das Yerushalmi auch arbeitet. Gaffney hat Obama beschuldigt, in den USA die Scharia einführen zu wollen, er hält ihn für einen Moslem, der der ägyptischen Muslimbruderschaft nahesteht. Pipes ist ein proisraelischer Kreuzzügler, der das Middle East Forum und die Website ›Campus Watch‹ betreibt, die palästinenserfreundliche Professoren an den Pranger stellt. Und Woolsey, ein langjähriger Demokrat, war unter Clinton CIA-Direktor, heute berät er Michele Bachmann. Woolsey wandte sich in robocalls, automatischen Werbeanrufen, an Hunderttausende Haushalte und plädierte für ein Bundesgesetz gegen die Scharia. Alle vier haben sich zur American Public Policy Alliance zusammengeschlossen, die Amerika vor dem Einfluss ausländischer Gesetze schützen will.

Die Anti-Dschihadisten sind nicht alleine: Sie haben die Unterstützung von Politikern auch in Washington, wie Gingrich oder auch Sarah Palin, die sagte, die Scharia werde der Untergang Amerikas sein. Und Peter T. King, ein republikanischer Abgeordneter, veranstaltete im Mai 2011 Hearings in Washington, in denen es um die Gefahr ging, die Einwanderer aus dem moslemischen Raum darstellten. Viele von denen, glaubt er, seien Terroristen, die Amerika unterwandern wollen. Besondere Ironie: Der irischstämmige King hat lange die irische IRA und ihren bewaffneten Kampf gegen den »britischen Imperialismus« unterstützt. So bekämpfen heute die Kinder von irischen Immigranten, die einst selbst nicht als »richtige« Amerikaner galten, die Einwanderer von heute im Namen der Verfassung.