Follow the Money: Wie zwei Milliardäre die Tea Party finanzieren

In Madison, Wisconsin, fegt ein eiskalter, stürmischer Schneeregen über den State Capitol Square hinweg. Mitten auf dem steinernen, viereckigen Platz ragt das Capitol auf, wo die Staatsregierung tagt, erhöht auf einem Hügel, wie in Rom, nur leicht eingeschneit. Es ist ein imposantes Bauwerk aus weißem Marmor mit griechischen Säulen, klassizistischen Figuren und einer weißen Kuppel. Oben auf der Kuppel, hoch über der Stadt, steht eine goldene Statue, die einer Pallas-Athene-Darstellung ähnelt, jedoch »Wisconsin« heißt. Vom State Capitol Square führen sternförmig mehrere Boulevards in alle Richtungen. Auf dem Platz liegen zwei- und dreistöckige Bürgerhäuser, etwas älter, aber durchaus stattlich.

Doch der biedere Eindruck täuscht: Madison hat noch den Geist aus der Revolution von 1848 bewahrt, als viele Deutsche hierherkamen. Vor dem Bürgerkrieg war Madison eine Bastion der Abolitionisten, die die Sklaverei abschaffen wollten. 1924 wurde hier die Progressive Party von Robert La Follette sen. gegründet, dessen Sohn Robert La Follette jr. Wisconsin noch lange danach regierte. Madison ist eine linke Insel im konservativen Meer Wisconsin (das aber wiederum nicht allzu konservativ ist: 2008 haben die Leute aus Wisconsin für Obama gestimmt). Berühmte Linke kommen aus Wisconsin: so zum Beispiel Russ Feingold, der einzige Senator, der gegen den Patriot Act stimmte, oder der Filmregisseur, Schauspieler und Schriftsteller Orson Welles, der Architekt Frank Lloyd Wright und die spätere israelische Premierministerin Golda Meir. Wisconsin ist für seine Landwirtschaft bekannt, vor allem Kartoffeln, und für seinen Käse.

Auch die University of Wisconsin liegt in Madison, an einem der vier Seen, die die Stadt umgeben. Das Universitätsgelände ist ein klassisch amerikanischer Campus im Grünen mit roten Ziegelbauten. 230 000 Menschen leben in dieser Stadt, der zweitgrößten Wisconsins, ein knappes Viertel davon sind Studenten oder Mitarbeiter der Universität.

Das Capitol mit seiner weißen Kuppel ist ein Ehrfurcht gebietender Bau; das kalte Aprilwetter und die neblige Luft nehmen ihm jedoch einiges von seiner Wirkung. Trotz des schlechten Wetters haben sich ein paar Tausend Leute auf dem großen Platz versammelt. Der Tax Day steht unmittelbar bevor, und die Tea Party hat zu einer Rally aufgerufen. Unterstützt wird sie von Americans for Prosperity, einer Organisation, die von den Milliardären Charles und David Koch gesponsert wird. Americans for Prosperity hat einen Star einfliegen lassen, der zur Menge spricht: Sarah Palin.

»Hallo, Wisconsin«, ruft Palin von der Bühne herab: »Madison, ich bin stolz, hier zu sein, an der Frontlinie des Kampfes in unserem Land … als Steuerzahlerin, als frühere Gewerkschaftlerin, als Frau eines Gewerkschaftlers, als Tochter von Lehrern ...« Palin ist schwer zu verstehen, nicht nur wegen des zugig kalten Windes, sondern weil die meisten der dick eingemummten Demonstranten aus vollem Hals brüllen, pfeifen, kreischen, buhen: »Shame!« und »Go home!«, schreien sie. Manche schwenken Plakate, auf denen »Fox News will lie about us!«, Fox News wird über uns Lügen erzählen, und »We love Tina Fey!« steht. Andere blasen in Tröten. Amerikanische Fahnen wehen und fliegende Händler verkaufen T-Shirts, auf denen neben einer geballten Arbeiterfaust Solidarität mit Wisconsin gefordert wird.

Scott Walker und Sarah Palin gegen den Mob

Sarah Palin ist in Madison nicht sonderlich beliebt, denn sie ist gekommen, um Gouverneur Scott Walker zu unterstützen. Der Republikaner Walker, der der Tea Party zugerechnet wird und der seit Januar 2011 im Capitol regiert, versucht, die staatlichen Gewerkschaften kleinzukriegen. Er will ihnen das gesetzlich verankerte Recht wegnehmen, über Tarifverträge zu verhandeln. Damit ist er nur einer von mehreren konservativen Gouverneuren, die gegen Gewerkschaften vorgehen. Seit Monaten gibt es Zoff zwischen Walker und den Gewerkschaften, die von Studenten und Professoren der Universität unterstützt werden. Viele Studenten sind hier, aber auch übergewichtige Gewerkschaftler im Overall. Das Capitol hat schon viele Demonstrationen gesehen, aber schon lange keine mehr mit so vielen Menschen, wie jetzt gegen Walker auf die Straßen gehen.

Palin wird von dem rechten Medienmogul Andrew Breitbart auf die Bühne begleitet, der nachher den Protestierenden zurufen wird, sie sollten doch zur Hölle fahren. Hier kommt Palin nicht mit ihrem Trick durch, sich als die »bessere Amerikanerin« aus dem heartland zu präsentieren. Das hier ist das heartland. So versucht sie es mit fürsorglicher Umarmung. »Gouverneur Scott Walker geht es doch nur darum, dass die Bundesstaaten zahlungsfähig bleiben, er will den Gewerkschaften nicht schaden. Er will eure Jobs und eure Pensionen sichern.« Die Menge buht und ruft wieder: »Shame! Shame!«

Palin, in einem schicken weißen Mantel für das Dreckswetter gänzlich unpassend gekleidet, sieht aus, als friere ihr Gesicht gleich ein. »Die Tea Party steht für echte Solidarität, echte Integrität, echten Mut, euer Gouverneur hat den Mut, trotz Todesdrohungen das Richtige zu tun«, versucht sie es noch mal. Die Menge schreit nun »Lie! Lie!«, Lüge. Palins Stimme wird, um gegen den Lärm anzukommen, hoch und kreischend, sie nennt die Menge einen »gewalttätigen, bestellten Mob«. Das bringt ihr einen noch lauteren Pfeifchor ein. Nun appelliert Palin an ein paar Parteivertreter auf der Bühne: »Das Establishment der GOP sollte uns beistehen«, ruft sie. »Wir werden kämpfen und gewinnen, weil Amerika gewinnt, wir werden nicht lediglich die Liegestühle auf der Titanic neu aufstellen, wie Obama, der das Defizit verdreifacht hat, aber wenn die GOP gar nicht kämpfen will, sollte ich vielleicht das Hockey-Team der Frauen fragen.«

Dann feuert sie noch, verbissen, über die immer lauter werdenden Rufe »Shame!« und »Shut up!!« hinweg: »Die Tea Party gäbe es gar nicht ohne Obama! Und, was ich den Medien noch sagen will: Wir rufen hier nicht zur Gewalt auf. Wir sind hier, wir sind klar, gewöhnt euch an uns!«

Walker selbst hat heute offenbar keine Lust, sich schon wieder ausbuhen zu lassen, dafür tritt Kim Simac auf, eine Republikanerin, die für den Senat von Wisconsin kandidiert. Sie richtet den Blick auf das, was der Grundstein Amerikas sei und was diese Protestler, Gewerkschaftler, Meuterer zerstören wollten: die großen Konzerne. Aber während Amerika wirtschaftlich zu kämpfen habe, blühten andere Länder auf – und zwar solche ohne Bürokratie und ohne Regulierungen. Sie meint offenbar China. Oder den Stadtstaat Singapur. In der Menge ist John Nichols, Korrespondent für die linke Zeitschrift ›The Nation‹, deren Niederlassung sich in New York befindet. Er arbeitet auch für die örtliche ›Capital Times‹. Nichols wird später schreiben, dass die Leute aus Wisconsin es nicht mögen, wenn Lobbys aus dem beltway – das heißt aus Washington – ihnen die Agenda von Konzernen aufdrängen wollen.

Nach der Demo treffe ich mich mit Brendan Fischer im Restaurant »The Oldfashioned« am State Capitol Square. Hier gibt es, mit Blick auf die goldene »Wisconsin«-Statue, Kaffee in dicken Keramikpötten und Bisonburger mit einer doppelten Portion Pommes frites. Am Tresen werden Käsestücke verkauft, die die Form des Staates Wisconsin haben. Fischer, blond und hochgewachsen, angehender Anwalt, arbeitet beim Center for Media and Democracy und dessen Online-Ableger Media Matters: eine gemeinnützige Organisation, die investigativen Journalismus betreibt und von mehreren Stiftungen unterstützt wird, darunter George Soros’ Open Society Institute und die Rockefeller Family Foundation. Fischer hat den Kampf zwischen Walker und den Gewerkschaften tagtäglich mitgefochten. »Bei einer Demonstration gegen Walker waren hier einige Hunderttausend Menschen«, sagt er.

 

Wisconsin ist der »deutscheste« Staat in ganz Amerika. Das Land, geringfügig größer als Iowa, liegt im Norden, zwischen Minnesota, Iowa und den Großen Seen. Sechs Millionen Menschen leben hier, davon anderthalb Millionen im Großraum Milwaukee am Lake Michigan. Milwaukee, eine Gründung französischer Pelzjäger, trägt einen indianischen Namen und galt einmal als das »deutsche Athen«. Nach der gescheiterten Märzrevolution immigrierten hierher Zehntausende von Deutschen, die Turnvereine, Bibliotheken und Parteien gründeten. Noch heute sind »Schmidt« und »Schmitt« die häufigsten Nachnamen. Milwaukee hatte, einmalig in der Geschichte der USA, drei sozialistische Bürgermeister; sie waren ebenfalls deutschstämmig. 1912 versuchte hier ein Immigrant aus Bayern, den Präsidentschaftskandidaten Theodore Roosevelt zu erschießen. Auch Victor Luitpold Berger lebte hier, der Gründer der Sozialistischen Partei Amerikas, die in Milwaukee mehr Stimmen als irgendwo sonst in Amerika hatte. Der Deutschlehrer war Chefredakteur des ›Social Democratic Herald‹ und des ›Vorwärts‹, einer seiner Genossen war Eugene Debs, Gewerkschaftler und Gründer der Organisation Industrial Workers of the World, der »Wobblies«. Die beiden hatten sich kennengelernt, als Berger dem Gewerkschaftler ein handsigniertes Exemplar von ›Das Kapital‹ ins Gefängnis sandte. Debs saß im Knast, weil er einen Streik gegen die Eisenbahngesellschaften organisiert hatte. Als Berger gegen den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg protestierte, wurde er als Spion verurteilt. 1929 überfuhr ihn eine Straßenbahn.

Der berühmteste Linke von Wisconsin ist jedoch Robert La Follette, genannt »Fighting Bob«, der 1901 als Gouverneur ins Madisoner Capitol einzog. Er focht für Frauenrechte und soziale Sicherheit, gegen Eisenbahnbosse, die er stärker besteuern wollte, gegen Großkonzerne, gegen Kinderarbeit, gegen den US-Imperialismus in Südamerika und gegen den Kriegseintritt der USA. Das war 1917, als La Follette bereits Senator in Washington war. Das machte ihn zum meistgehassten Mann Amerikas, fast verlor er seinen Senatssitz. Zeitweise wurde sogar das First Amendment, die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit, für Kriegsgegner ausgesetzt. La Follette kämpfte auch dagegen, aber vergebens. 1924 kandidierte La Follette für die Präsidentschaft der USA. Den Republikanern hatte er sich entfremdet, so versuchte er es mit der neu gegründeten Progressive Party. Wisconsin stimmte für La Follette, aber es reichte nicht für eine bundesweite Mehrheit. Die Familie sollte jedoch in Wisconsin noch lange den Ton angeben. Roberts Sohn Philip, ebenfalls ein Progressiver, regierte zwölf Jahre lang während des New Deal, wo er Franklin D. Roosevelts Sozialreformen noch vor der Bundesregierung umsetzte. Sein ältester Sohn, der ebenfalls Robert hieß, übernahm 1925 den Senatorensitz seines Vaters in Washington, nachdem dieser gestorben war. Er stand dem La Follette Civil Liberties Committee vor, das ermittelte, wie Konzerne mit Drohungen und Bespitzelung verhindern wollten, dass sich Arbeiter organisierten: darunter Bethlehem Steel, Dupont, General Electric, General Motors und Standard Oil, der Ölfirma der Rockefellers. Er wollte verhindern, dass Amerika in den Zweiten Weltkrieg eintrat. 1946 löste sich die Progressive Party auf und La Follette jr. wurde wieder Republikaner. Aber er verlor seinen Senatssitz an Joseph McCarthy, auch aus Wisconsin. McCarthy sollte bald in Washington einen Kampf beginnen gegen das, was er als die »kommunistische Infiltration« Amerikas ansah.

Scott Walker sieht sich also konfrontiert mit einer langen, streitbaren Tradition in Wisconsin, bei der es um Gewerkschaften geht und um Freiheit. Der 44-jährige Sohn eines Baptistenpfarrers aus Colorado und frühere Pfadfinder ist Berufspolitiker, von einem kurzen Job beim Roten Kreuz abgesehen. Er löste einen Demokraten als Gouverneur ab. Die Helden des ultrakonservativen Tea Partiers sind, wie er gerne sagt, Tommy Thompson und Ronald Reagan. Thompson war einer seiner Vorgänger, der Sozialprogramme kürzte. Walker gewann mit dem Versprechen, die Gewerbesteuern und die Steuern auf Kapitalerträge zu senken und den Staatshaushalt zu verschlanken – von 300 Millionen Dollar Sparpotenzial in zwei Jahren war die Rede. Durch die Steuersenkungen wollte er eine Viertelmillion Jobs im privaten Sektor schaffen.

Aber schon kurz nach der Wahl brach Streit aus. Nachdem Walker den Unternehmen 117 Millionen Dollar an Steuern erlassen hatte, erfuhren die Wähler, wo das Geld eingespart werden sollte: bei Lehrern, Sozialarbeitern, Waldhütern, Straßenbauarbeitern und anderen staatlichen Angestellten. Walker wollte deren Gehälter, Zuschüsse zur Krankenversicherung und Pensionen kürzen, aber auch Stellen streichen. »Dabei hat Wisconsin gerade mal 200 000 Staatsbedienstete, nur noch halb so viel wie vor zwanzig Jahren«, sagt Brendan Fischer vom Center for Media and Democracy. Vor allem wollte Walker den Gewerkschaften das Recht nehmen, über Manteltarifverträge zu verhandeln und über Lohnerhöhungen, was Robert La Follette sen. durchgesetzt hatte. Und er wollte die Regelung ändern, dass die Gewerkschaftsbeiträge der staatlichen Angestellten direkt vom Lohn abgezogen werden, was in Amerika üblich ist. »Nur die Feuerwehr und die Polizei waren davon ausgenommen«, sagt Fischer. »Angeblich aus Gründen der inneren Sicherheit, aber welcher Gouverneur legt sich schon gerne mit der Polizei an?« Auch bei Schulbauten und Universitäten will Walker sparen. Er weigerte sich sogar, einen Zuschuss von 800 Millionen Dollar aus Washington für den Bau eines Hochgeschwindigkeitszuges von Milwaukee nach Madison anzunehmen. Er wolle nicht, sagte er, dass der Staat womöglich den laufenden Betrieb der Bahn subventionieren müsse.

Madison erlebte daraufhin einen Aufruhr, der seinesgleichen suchte. Im bitterkalten Februar belagerten Zehntausende von Gewerkschaftlern das Capitol, darunter viele Lehrer. »Wir standen wochenlang in der Kälte und im Schneetreiben«, sagt Fischer. Die Demokraten im Senat von Wisconsin weigerten sich, dem Gesetzesentwurf zuzustimmen. Zwischendurch verließen 14 demokratische Senatoren sogar den Staat und passierten die Grenze nach Illinois; sie wollten, dass bei der Abstimmung nicht die notwendige Mindestzahl an Abgeordneten vertreten war. Walker drohte, ihnen das FBI hinterherzuschicken, was dann doch nicht geschah. Aber auch die staatlichen Gewerkschaften weigerten sich, ihre Tarifrechte aufzugeben. Letztlich stimmten die Republikaner einfach alleine ab. Die Demokraten gingen dagegen vor Gericht; und es gibt nun auch Klagen gegen einzelne Senatoren, ob sie überhaupt rechtmäßig gewählt wurden. Alles Weitere hänge jetzt vom Supreme Court in Wisconsin ab, sagt Fischer. Das könne noch etwas dauern.

Bei dem Kampf zwischen Gewerkschaften und Scott Walker geht es nicht nur um Wisconsin. Der Staat am Lake Michigan ist nur der Vorreiter in einem amerikaweiten Kampf gegen gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer, der von Industriellen finanziell unterstützt wird. »Und der richtet sich nicht nur gegen die Gewerkschaften, sondern noch mehr gegen die Demokraten«, sagt Fischer. »Die meisten Konzerne unterstützen heute den Wahlkampf von Republikanern, deshalb sind die Gewerkschaften die letzte Bastion, nur sie können aus ihren Beiträgen noch größere Spenden an die Demokraten abführen.« Ähnlich hat es der abtrünnig gewordene Demokrat Dick Morris auf der Tea Party Convention in Phoenix formuliert: »Die Lehrergewerkschaften sind das Rückgrat der Demokratischen Partei – und wir werden dieses Rückgrat brechen.«

Milliardäre im Hintergrund: Die Koch-Brüder

Die wichtigsten Industriellen, die Scott Walker, aber auch andere der Tea Party nahestehende Politiker unterstützen, sind die Brüder Charles und David Koch mit ihrer Firma Koch Industries. Das Unternehmen sitzt in Wichita, Kansas, und ist in der Chemie-, Energie-, Kunststoff- und Ölbranche tätig; der Konzern besitzt Ölraffinerien, Pipelines und Fabriken. Mit hundert Milliarden Dollar Jahresumsatz sind Koch Industries laut dem Wirtschaftsmagazin ›Forbes‹ das zweitgrößte Unternehmen der USA in Privatbesitz, das also nicht börsennotiert ist. Bis vor Kurzem kannten nur Insider die Koch-Brüder, obwohl sie seit Jahrzehnten konservative, libertäre und businessfreundliche Politiker, Vereine, Lehrinstitute und Think-Tanks unterstützen. Mehr als hundert Millionen Dollar haben sie dafür ausgegeben. Charles Lewis vom Center for Public Integrity sagte zum ›New Yorker‹, er arbeite seit Watergate in Washington, aber er habe noch nie eine derartige Ballung von Ungesetzlichkeit, politischer Manipulation und Vertuschung erlebt. »Die Kochs«, so schreibt ›New Yorker‹-Autorin Jane Mayer, »waren schon immer Libertäre, die glauben, Steuern müssten drastisch gesenkt werden, für die Armen reiche minimale Wohlfahrt und für die Industrie solle es viel weniger Regulierungen geben, vor allem im Umweltbereich.« Greenpeace zufolge hat noch nicht einmal der Ölkonzern ExxonMobil so viel Geld ausgegeben wie Koch Industries, um Klimaschutzgesetze zu verhindern. Das ist kein Zufall: Nach einer Studie der University of Massachusetts zählen Koch Industries zu den zehn größten Luftverschmutzern Amerikas.

Auch in Wisconsin sind sie tätig: Koch Industries besitzen hier eine Kohlegesellschaft mit vier Minen, sechs Holzfabriken und mehrere Pipelines, und es könnten noch mehr werden. Walker hat durchgesetzt, dass der Staat seine Elektrizitätswerke privatisieren darf – und zwar ohne öffentliche Ausschreibung. Dafür zeigten sich die Kochs erkenntlich. Walker, so berichtete die linke Organisation Common Cause, habe vom Koch-Industries-PAC 43 000 Dollar für seinen Wahlkampf bekommen. Zudem habe der PAC der Republican Governors Association eine Million Dollar überlassen. Die Association reichte davon 65 000 Dollar an Walker weiter und investierte insgesamt 3,4 Millionen Dollar in TV-Werbung für Walker. Und das soll so beibehalten werden: »Wir sind fest entschlossen, weiterhin für Politiker wie Scott Walker zu spenden, die für einen Sparkurs eintreten, und öffentlich für sie einzustehen«, erklärte Charles Koch im ›Wall Street Journal‹.

Der 76-jährige Charles de Ganahl Koch lebt mit seiner Familie in Wichita, inmitten der spärlich besiedelten Prärien des heartland. Wie viele Libertäre ist er ein Fan des liberalen Ökonomen Ludwig von Mises. Er findet, dass Lohnerhöhungen, die nur wegen steigender Lebenshaltungskosten gewährt werden, »destruktiv« seien, schrieb das ›New York Magazine‹ in einem Koch-Porträt. Charles’ Bruder hingegen, der 72-jährige David Hamilton Koch, lebt im urdemokratischen Manhattan, allerdings standesgemäß: Er besitzt eine Maisonette-Wohnung im berühmten Apartmenthaus 740 Park Avenue, das der Literat Tom Wolfe im ›Fegefeuer der Eitelkeiten‹ abbildet. Vor dem Haus demonstrierten im Oktober 2011 die Aktivisten von Occupy Wall Street. Zu Kochs Nachbarn zählen Milliardäre wie Ronald Lauder, aber auch der deutsche Konsul. Auch David Rockefeller lebte einst hier. Zuvor hatte Koch an der Fifth Avenue residiert, im früheren Apartment von Jacqueline Kennedy Onassis – aber das war ihm für seine 23 Jahre jüngere Frau, seine drei Kinder, deren Kindermädchen und seine Schwiegermutter zu klein geworden.

Die beiden Kochs sind laut Forbes zusammen fünfzig Milliarden Dollar schwer, das macht David Koch zum reichsten Mann New Yorks (vor George Soros, Bürgermeister Michael Bloomberg und Rupert Murdoch). David Koch wird von den Kultur-, Bildungs- und Forschungsinstitutionen der Ostküste sehr geschätzt: Immerhin hat er hundert Millionen Dollar für das Lincoln Center for the Performing Arts gespendet sowie zwanzig Millionen für das American Museum of Natural History; dem berühmten Massachusetts Institute of Technology gab er hundert Millionen Dollar für die Krebsforschung, nachdem er selbst an Prostatakrebs erkrankt war, der Johns Hopkins University in Baltimore zwanzig Millionen Dollar. Zudem sitzt er in mehreren Aufsichtsräten kultureller Einrichtungen, darunter dem des American Ballet Theatre, und er war Ehrengast bei der jährlichen Gala des Metropolitan Museum of Art. Er hat einmal sogar der Bürgerrechtsorganisation ACLU Geld gegeben, das war zu George W. Bushs Zeiten.

David Koch ist durchaus kein Reaktionär. Er unterstützt Stammzellenforschung, ist für die Schwulenehe und war sogar gegen den Irakkrieg, wenngleich nur leise. 1980 machte er seinen ersten Ausflug in die Politik, als running mate (Kandidat für die Vizepräsidentschaft) für den libertären Kandidaten Ed Clark. Die beiden traten mit dem Wahlversprechen an, die Rente abzuschaffen, die Sozialhilfe, den Mindestlohn, auch Unternehmenssteuern und Agrarsubventionen; dafür wollten sie Prostitution und weiche Drogen legalisieren. Auch wollten sie die US-Notenbank Federal Reserve abschaffen, das FBI, die CIA, die Börsenaufsicht SEC und die Umweltschutzbehörde EPA. Sie bekamen ein Prozent der Stimmen. Danach trat Koch den Republikanern bei und beschränkte sich darauf, zusammen mit seinem Bruder Charles jene Institute zu fördern, die ihre Politik verbreiteten. Das wichtigste davon ist das libertäre und heute noch einflussreiche Cato Institute, das 1977 gegründet wurde.

Das Cato Institute liegt an der Massachusetts Avenue im nordwestlichen Teil des Washingtoner Regierungsviertels, nahe der K-Street, wo sich so viele Lobbygruppen, Think-Tanks und Anwaltskanzleien sammeln, dass George Clooney und Stephen Soderbergh der Straße einmal eine ganze (wenngleich kurzlebige) Serie gewidmet haben. Das Institut tritt für weniger Steuern, weniger Wohlfahrt und weniger Umweltschutz ein. Unter Bush wollte das Cato Institute die Rente privatisieren, allerdings vergebens. Cato wird, wie der medienkritische Verein FAIR feststellte, von der Tabakindustrie, der Pharmaindustrie, Energiekonzernen und Wall-Street-Banken gesponsert, auch von Volkswagen. Im Aufsichtsrat sitzen Rupert Murdoch, John Malone (Vorstand von Liberty Media) und David Koch. Die Kochs spendeten dem Cato Institute insgesamt elf Millionen Dollar.

Doch Cato ist nicht das einzige Institut, das ihre Unterstützung erfährt. Die 1980 gegründete Charles G. Koch Charitable Foundation listet auf ihrer Website mehrere Dutzend Think-Tanks und Stiftungen als Partnerorganisationen auf, darunter auch die Heritage Foundation. Heritage, ein wenig älter und konservativer als Cato, formulierte die Reagan Doctrine, worin die Unterstützung antikommunistischer Bewegungen von Nicaragua bis Afghanistan proklamiert wurde, und plädierte für Reagans »Star-Wars-Programm«. Personell ist Heritage prominent aufgestellt: Chairman ist der JP-Morgan-Banker Thomas A. Saunders III; im Aufsichtsrat sitzen Richard Mellon Scaife (Verleger der ›Tribune-Review‹) und Steven Forbes (Verleger des ›Forbes Magazine‹). Der mittlerweile verstorbene Gründer von Heritage war der Bierbrauer Joseph Coors, der zu Reagans Küchenkabinett gehörte und von seinem privaten Geld einmal ein Frachtflugzeug für die Contras in Nicaragua kaufte. Heritage gibt jedes Jahr den ›Index of Economic Freedom‹ heraus; an dessen Spitze stand 2011 das chinesische Hongkong. Der größte Unterschied zwischen Cato und Heritage ist, dass Letztere für eine interventionistische Außenpolitik eintritt.

Mitte der achtziger Jahre gründeten die Kochs einen weiteren Think-Tank in Washington, das Mercatus Center. Es gehört zur George Mason University, der die Kochs dafür dreißig Millionen Dollar gaben. Mercatus ist der »wichtigste Think-Tank, von dem Sie noch nie gehört haben«, meinte das ›Wall Street Journal‹. »Das Mercatus Center ist der Ground Zero der Deregulationspolitik in Washington«, sagte der demokratische Stratege Rob Stein dem ›New Yorker‹. Mercatus’ wichtigstes Anliegen ist es, den schädlichen Einfluss von Umweltschutzgesetzen auf die Wirtschaft anzuprangern. So veröffentlichte Mercatus 1997 eine Studie, in der neue Gesetze zur Smog-Bekämpfung attackiert wurden, denn weniger Smog, so hieß es, bedeute mehr Hautkrebs.

An der Spitze des Think-Tanks steht der Koch-Vertraute Richard Fink. Fink und David Koch gründeten auch Citizens for a Sound Economy (CSE), in den Think-Tank steckten beide Kochs fast acht Millionen Dollar. Auch CSE kämpfte gegen Umweltgesetze – in den Neunzigern ging es in erster Linie um sauren Regen – und gegen Energiesteuern. Das geschah vor allem unter Bill Clinton, während sie Bush unterstützten, unter dem die Ölindustrie florierte. Aufgrund der Lobbyarbeit von CSE – so schreibt John Nichols in der ›Nation‹ – wurden die Bankenregulationsgesetze aus den dreißiger Jahren widerrufen.

2004 spaltete sich CSE nach einem internen Streit in zwei Organisationen: FreedomWorks und Americans for Prosperity (AFP); Letztere wurde lange von Nancy Pfotenhauer geführt, der Cheflobbyistin von Koch Industries. (Pfotenhauer wechselte 2008 in die Wahlkampftruppe von John McCain und wurde danach Kommentatorin für Fox News.) AFP unterstützte nicht nur die Rally von Palin in Wisconsin, sondern auch viele Aktivitäten, die gegen Gewerkschaften gerichtet waren. Chairman von FreedomWorks ist Dick Armey, der zusammen mit Newt Gingrich einer der Vordenker der »Republican Revolution« von 1994 war. Im Aufsichtsrat sitzt auch hier Steven Forbes. FreedomWorks geriet etwas in Verruf, als die ›Washington Post‹ Verträge mit privaten Krankenversicherern aufdeckte; wer bei diesen eine Versicherung abschloss, wurde automatisch zahlendes Mitglied bei FreedomWorks, allerdings ohne dass er vorher davon erfuhr. Präsident des Vereins ist Matt Kibbe; er hat, so sagt er, die Methoden von Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Saul Alinsky studiert.

»Wir haben lange über die Idee einer ›Boston Tea Party‹ nachgedacht, als Beispiel für einen gewaltlosen sozialen Umbruch«, erzählte Kibbe dem ›New Yorker‹. Man habe gelernt, dass man Leute brauche, um Ideen zu verkaufen. Folgerichtig stellte FreedomWorks achtzig Außendienstmitarbeiter ein, die zur Wahl von 2007 Wähler in 26 Staaten mobilisierten. Und das war auch nötig: »Das Problem der Libertären ist, dass sie nur Häuptlinge haben und keine Indianer«, meinte der konservative Wirtschaftshistoriker Bruce Bartlett, der für einen von Koch finanzierten Think-Tank arbeitet. Dem durchschnittlichen Wähler seien deren Ziele egal. Deswegen sei es auch so schwer für die Kochs, eine Volksbewegung zu schaffen. Aber das habe sich dank der Tea Party geändert. »Jetzt kann jeder sehen: Es gibt auch Indianer«, sagt Bartlett. Eben deshalb versuchten die Kochs, die populistische Tea Party zu kanalisieren.

Schon bald, nachdem Obama angetreten war, organisierte oder unterstützte AFP überall Rallys, sie richteten sich vornehmlich gegen das Stimulus-Paket aus Washington, das als Geldverschwendung dargestellt wurde. Tea Partier demonstrierten damals in Sacramento, Austin und Madison. AFP organisierte auch einen National Tea Party Tax Day in Washington, D.C. Und das Mercatus Center veröffentlichte gleichzeitig eine Studie, wonach der Stimulus vornehmlich demokratischen Bezirken zugutekomme. Das musste zwar später berichtigt werden; was aber Rush Limbaugh nicht davon abhielt, den Stimulus als »Obamas Krokodils-Fond« zu bezeichnen, als ob der illegitim wäre.

Am Tag nachdem sich Rick Santelli im April 2009 im Fernsehen über den Homeowners Affordability and Stability Plan echauffiert hatte, meldete AFP eine Website an, die für Sympathisanten »Tea Party Talking Points« auflistete. In North Carolina kreierte sie eine »Tea Party Finder«-Website. In Arizona schlugen AFP-Vertreter Wählern vor, Obama Teebeutel zu schicken, und in Missouri warben sie für Wählerregistrierung. Im Frühjahr 2010 organisierte Peggy Venable eine Veranstaltung in Austin, Texas. Venable arbeitet sowohl für AFP als auch für die Koch-Gründung Americans for Prosperity Foundation. Auf der Bühne huldigte sie der Tea Party: »Wir lieben das, was die Tea Party tut, denn so werden wir uns unser Amerika zurückholen«, rief sie den jubelnden Massen zu.

Die Liberty League und die Black Legion

Es ist durchaus nicht das erste Mal, dass amerikanische Industrielle eine »Freiheitsbewegung« gegen einen demokratischen Präsidenten ins Leben rufen. 1934 gründeten mehrere Wirtschaftsbosse die American Liberty League mit Sitz in New York, die Front gegen Franklin D. Roosevelts New Deal machen sollte, vor allem gegen die Einführung der Sozialversicherung. Der mächtige Mann dahinter war Irénée du Pont, Erbe des Konzerns »E. I. du Pont de Nemours and Company«, kurz: DuPont (DuPont ist, wie Koch Industries, ein Chemiegigant und stellt auch Sprengstoff her). In ihrer Hochzeit hatte die Liberty League 36 000 Mitglieder. Sie kämpfte gegen den New Deal und gegen Gewerkschaften. So wollte sie den National Labor Relations Act, den Roosevelt 1935 unterzeichnet hatte und in dem es um das Streik- und Organisationsrecht ging, wieder abschaffen. Aber sie scheiterte damit vor dem Supreme Court, dem Verfassungsgericht.

Irénée du Pont, einer der zwanzig reichsten Männer Amerikas, war ein Mussolini-Anhänger; er behauptete, Roosevelt sei ein Kommunist, der von Juden kontrolliert werde. Er und seine Brüder Pierre und Lammot finanzierten die Liberty League mit mehr als einer halben Million Dollar, damals eine beträchtliche Summe. Außerdem gab du Pont auch Geld an die Crusaders und die Black Legion, die dem Ku-Klux-Klan nahestand. Beides waren Bürgerwehren, die gelegentlich Gewerkschaftler überfielen. Anfang 1934 planten die Du-Pont-Brüder gar einen Putsch gegen Roosevelt, zusammen mit dem Präsidenten von General Motors und einem J.-P.-Morgan-Banker. Lammot du Pont fragte Smedley Butler, General im Ersten Weltkrieg und ein bekannter Gegner des New Deal, ob er den Putsch anführen wolle. Der aber weihte Roosevelt ein und die Pläne gelangten an die Presse, du Pont stritt daraufhin ab, dass irgendetwas an diesen Putschgerüchten wahr sei. Als Roosevelt 1936 wiedergewählt wurde, löste sich die Liberty League auf.

In dieser Zeit wurde auch der Grundstein des Koch-Vermögens gelegt, erstaunlicherweise unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin. Fred Koch, der Vater von David und Charles, war der Sohn eines holländischen Immigranten, der nach der Jahrhundertwende nach Texas gekommen war. 1927 erfand Koch eine effizientere und preiswertere Art, aus Öl Benzin zu gewinnen. Aber die großen Ölgesellschaften der USA, allen voran Standard Oil, drängten den jungen Konkurrenten aus dem Markt. Koch ging in die Sowjetunion und lehrte dort bolschewikische Ingenieure, moderne Ölraffinerien zu bauen (während die Rockefellers von Standard Oil mit den Nazis kooperierten). Aber als Stalin anfing, seine Ingenieure in Gulags zu stecken, kehrte ein reuiger Fred Koch nach Wichita, Kansas, zurück und wandelte sich zum strammen Antikommunisten. 1958 gehörte Fred Koch zu den Gründungsmitgliedern der John Birch Society (JBS), führend war Robert Welch, der ihr erster Vorsitzender wurde. Die JBS, die ursprünglich in Indianapolis saß, kämpfte gegen einen Wohlfahrtsstaat, gegen Bürgerrechte für Schwarze sowie gegen »Rassenmischung« und eine Machtübernahme durch die Kommunisten. Sie trieb es so weit, dass sie in dem Stanley-Kubrick-Klassiker ›Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben‹ parodiert wurde. Welch glaubte, dass die USA und die Sowjetunion von demselben verschwörerischen Zusammenschluss aus Internationalisten, gierigen Bankern und korrupten Politikern kontrolliert werde. Dazu zählte er Roosevelt, Truman und Dwight D. Eisenhower, die Rockefellers und die »Bilderberger«. Die JBS, auch »Bircher« genannt, unterstützten Barry Goldwater als Präsidentschaftskandidaten gegen Richard Nixon, welcher ihnen zu links war. Fred Koch warnte damals davor, der »farbige Mann« spiele »im Plan der Kommunisten, Amerika zu übernehmen«, eine wichtige Rolle. Deren Geheimplan sei, dank der sozialen Wohlfahrt Schwarze vom Land in die Städte zu locken, wo sie dann Rassenkriege führen würden. »Die Kommunisten werden die USA so lange infiltrieren, bis auch der Präsident ein Kommunist ist, aber im Verborgenen«, meinte er. Er klingt wie ein Tea Partier von heute.

Die JBS gibt es heute noch. Mittlerweile sitzt sie in Wisconsin, in einem Vorort von Appleton, dem Geburtsort von Joe McCarthy. Noch immer warnen die Bircher vor der New World Order, die angeblich von den Vereinten Nationen, den Rockefellers, den Rothschilds, den Kommunisten und der übrigen Medienelite der Ostküste angestrebt wird. Eigentlich müsste David Koch mit seinen New Yorker Freunden eines ihrer Feindbilder sein. Die neueste Bedrohung ist, wie sie glauben, die Vereinigung von Mexiko, den USA und Kanada – dieser Plan sei schon vor 200 Jahren von den Illuminati ausgeheckt worden. Heutiger Präsident der Bircher ist John F. McManus, ein ultrakonservativer Katholik. Seine Lieblingsgegner sind die Freimaurer, die, sagte er einmal, von militanten Juden infiltriert worden seien und hinter den Illuminati steckten.

McManus klingt wie ein Funktionär der Tea Party auf Anabolika. Er imitiert auch gerne deren Verfassungs-Rhetorik: Er sagt, in der US-Verfassung stehe nichts von einer Demokratie, Amerika sei eine Republik. Das müsse auch so sein, denn die Demokratie sei die Herrschaft eines Mobs, der sich nicht an Gesetze halte. (Das Wort »Demokratie« kommt übrigens tatsächlich nicht in der Verfassung vor.) Die Bircher scheren Nazis und Kommunisten über einen Kamm und lehnen ein big government ab. Mit der Wahl von Obama hat die Organisation – die zwischendurch von der politischen Bildfläche verschwunden war neuen Zulauf bekommen. Die Mitgliederzahl habe sich verdoppelt, sagte JBS-Geschäftsführer Arthur Thompson der ›New York Times‹.

Auch bei den Tea Partiern, die auf den Straßen von Madison für Gouverneur Scott Walker demonstrieren, klängen manchmal rassistische Untertöne durch, meint Brendan Fischer vom Center for Media and Democracy. Wisconsin ist ein fast »weißer Staat«. Aber, so Fischer: »Es wandern immer mehr Hispanics zu, und in Milwaukee leben bereits ein paar Schwarze. Das beunruhigt manche. Außerdem fühlen sie sich eingeschüchtert von einem schwarzen Präsidenten.« Für das big business allerdings seien Rassisten und Verschwörungstheoretiker ein Klotz am Bein. Das sähen auch die Tea-Party-Funktionäre so: »Die haben schlaue Leute an der Spitze, die ein paar Schwarze ins Scheinwerferlicht stellen, aber von denen haben sie halt nicht viele«, sagt Fischer. Die großen Konzerne hätten auch nichts gegen Immigranten. »Die bedienen nur die Rhetorik der Nativisten.«

Warum lassen sich seiner Meinung nach so viele Bürger vor den Karren des big business spannen? »Die glauben an den Trickle-down-Effekt, daran, dass irgendetwas finanziell auch bei ihnen ankommt«, erklärt Fischer. Viele hielten es für realistisch, einmal mehr als eine Viertelmillion Dollar im Jahr zu verdienen – das ist die untere Einkommensgrenze für Besserverdienende, für die unter Bush die Steuern gesenkt wurden. »Dabei sind die meisten viel ärmer.« Und für freie Märkte seien Tea Partier auch nur im Inland. Im Außenhandel wollten sie durchaus Restriktionen und Strafzölle. »Die Industriellen sehen das natürlich anders, aber das erzählen sie den Tea Partiern auf der Straße nicht.«

Leibeigenschaft und Cocktails

Die Koch-Brüder selbst streiten ab, etwas mit der Tea Party zu tun zu haben. Vor allem David Koch ärgert sich darüber, dass er als Finanzier dieser »weißen, männlichen, wütenden Massen« dargestellt werde, wie er dem ›New York Magazine‹ anvertraute. »Ich war noch nie auf einer Tea-Party-Veranstaltung und niemand, der die Tea Party repräsentiert, hat mich jemals angesprochen«, versicherte er. »Das ist nur die radikale Presse, die gegen uns hetzt.« Inzwischen haben die Kochs Lobbyisten engagiert, die ihr negatives Bild in der Öffentlichkeit korrigieren sollen. Im rechten Internetmedium NewsMax erklärten die Kochs, es sei eine »Verschwörungstheorie«, dass Americans for Prosperity die Tea-Party-Bewegung finanziere. Tatsächlich würden sie mit ihren Stiftungen schon seit vierzig Jahren Organisationen fördern, die für freie Märkte eintreten. Außerdem seien die AFP und die Americans for Prosperity Foundation rechtlich getrennte Einheiten, und gegenwärtig gäben Koch-Stiftungen der AFP keine Gelder.

Freilich: Die Brüder bestreiten nicht, dass sie gegen Obama sind, gegen ObamaCare, gegen Klimaschutzgesetze und gegen Regularien für die Wall Street sowie gegen den Dodd-Frank Act, der nach dem Beinahe-Crash der amerikanischen Banken von 2008 verabschiedet wurde, um die Finanzmärkte strenger zu kontrollieren. Im Oktober 2010 hielt David Koch eine Rede im Marriott Hotel in Arlington, Virginia, auf dem Defending the American Dream Summit. Zu diesem Treffen, das von der AFP Foundation organisiert worden war, kamen 2000 Teilnehmer. Der Festredner war Newt Gingrich. »Als wir diese Organisation vor fünf Jahren gegründet haben, hatten wir eine Massenbewegung vor Augen, bei der Hunderttausende von amerikanischen Bürgern von überall her sich erheben und für die Freiheit der Wirtschaft kämpfen, die unser Land zum wohlhabendsten in der Weltgeschichte gemacht hat«, sagte Koch. »Und zum Glück zeigen die Unruhen von Kalifornien bis Virginia, von Texas bis Michigan, dass immer mehr unserer Mitbürger die gleichen Wahrheiten erkennen wie wir.«

Die Kochs sind tatsächlich nicht alleine. Das liberale Blog ›ThinkProgress‹ veröffentlichte ein Memo, wonach sich im Juni 2010 rund hundert Konzernchefs, Banker und Ölmogule, Chefs von Unternehmen wie Merrill Lynch, Goldman Sachs, Blackstone, Gulfstream Aerospace und die Bechtel Group auf Einladung der Kochs getroffen haben. In Aspen, Colorado, wo David Koch eine seiner vier Sommerresidenzen hat, diskutierten die Industriellen zwei Tage lang über die beste Strategie, Obama loszuwerden. Programmpunkte wie ein Vortrag von Glenn Beck mit dem Titel »Ist Amerika auf dem Weg in die Leibeigenschaft«, lose basierend auf dem Buch von Friedrich Hayek, ›The Road to Serfdom‹, wechselten sich ab mit einem Cocktailempfang und mit Reden von Nancy Pfotenhauer, Richard Fink und Vorträgen von Experten des Cato Institute, des Mercatus Center, des American Enterprise Institute, der Charles G. Koch Charitable Foundation und AFP, die entlarvenderweise im Programm »front group« genannt wurde. Einer der Gäste war Eric O’Keefe, Buchautor und konservativer Aktivist aus Wisconsin.

Der Herr der Think-Tanks

O’Keefe ist ein dunkelblonder Naturbursche, der auf den ersten Blick sympathisch wirkt und gar nicht wie ein Erzkonservativer aussieht. Aber er steht im Mittelpunkt einer schwindelerregenden Zahl von Initiativen in Wisconsin, die alle sehr wirtschaftsfreundlich agieren und miteinander zusammenhängen. Darunter der Wisconsin Club for Growth, Americans for Limited Government und das Institute for Humane Studies, eine Schwesterorganisation des Mercatus Center, in dessen Aufsichtsrat Charles Koch sitzt.

O’Keefe – der bereits bei der Tea Party Convention im Februar 2011 in Phoenix auftrat – ist ein privater Investor, politischer Aktivist und Autor. 1999 erschien sein Buch ›Who Rules America‹. Darin spricht er sich gegen Berufspolitiker aus, die ihre Karriere über den Willen des Volkes stellen, und fordert, deren Amtszeit zu begrenzen. Milton Friedman von der University of Chicago, Reagan-Berater und einer der wichtigsten Fürsprecher freier Märkte (und damit Hassfigur der Linken), lobte das Buch.

Sieben Fähigkeiten müsse ein erfolgreicher Stratege haben, sagte O’Keefe zu dem neokonservativen ›Weekly Standard‹. Eine davon sei, Vorurteile in den »alten Medien« zu bekämpfen und in den »neuen Medien« präsent zu sein. In der Praxis heißt das, YouTube, Facebook und Wikipedia zu infiltrieren. Dazu hat O’Keefe die Sam Adams Alliance (SAM) mit Sitz in Chicago gegründet, benannt nach dem Founding Father Sam Adams.

Die Sam Adams Alliance organisiert sogenannte samspheres in verschiedenen Städten, wo sich Gleichgesinnte treffen. Außerdem unterhält sie mehrere Websites, die linken Sites wie MoveOn. org und DailyKos. com Konkurrenz machen sollen: Dazu gehört zum Beispiel die Website von Rightonline, einem Institut, das von der AFP finanziell unterstützt wird und das konservative Blogger in Google-Suchmaschinenoptimierung schult; außerdem die Website ›Blogivists‹, die rechte Blogger vernetzt, auch Websites, die sich als Gegengewicht zu Wikipedia verstehen, wie ›Judgepedia‹, ›Ballotpedia‹ und ›Sunshine Review‹. Eine weitere SAM-Gründung ist das Franklin Center for Government and Public Integrity, benannt nach dem Gründungsvater Benjamin Franklin, der Journalist war. Das Franklin Center, das in North Dakota sitzt, lehrt nach eigenen Angaben Journalisten, wie man »vorurteilsfrei« berichtet. Außerdem gibt es Studien in Auftrag, beispielsweise eine, wonach eine große Mehrheit der Bevölkerung Wisconsins hinter den Sparplänen ihres Gouverneurs stehe.

Präsident des Franklin Center ist Jason Stverak, der zuvor für die SAM gearbeitet hat, aber auch für Republikaner wie den New Yorker Law-and-Order-Bürgermeister Rudy Giuliani. Stverak will Politik und Journalismus trennen. Deshalb hat er es begrüßt, als der US-Kongress in Washington im Mai 2011 beschlossen hat, dem öffentlich-rechtlichen Radio NPR die Fördergelder zu entziehen. Das geschah, nachdem das Video des als Moslem auftretenden Aktivisten James O’Keefe (vermutlich nicht verwandt mit Eric O’Keefe, aber wer weiß?) die Runde auf konservativen Blogs und auf YouTube gemacht hatte. Neueste Projekte des Franklin Center sind die ›Statehouse News‹ und der ›Wisconsin Reporter‹, Online-Publikationen für Leser, denen die ›Capital Times‹ zu links ist. Der ›Wisconsin Reporter‹ enthüllte beispielsweise, dass die Gewerkschaften den Demokraten Millionen von Dollar für den Wahlkampf zuschießen.

Seit Neuestem finanziert SAM ein politisches Trainingsinstitut namens »American Majority«, das ebenfalls einen dieser erkennbar orwellesken Namen trägt. Dieses Institut schult Politiker der Tea Party, wie sie am besten gegenüber der Presse und vor Fernsehkameras auftreten. Seinen Mitgliedern, also dem Fußvolk, bringen die Strategen von der Majority bei, wie sie das »liberale Meinungsmonopol« der mainstream media brechen: etwa, indem sie Bücher von liberalen Autoren bei Amazon kritisch rezensieren. Gegründet wurde das Institut von den Brüdern Drew und Ned Ryun, der eine ein Funktionär des Republican National Committee, der andere ein Redenschreiber von George W. Bush.

Auch die American Majority steht im Kampf um Wisconsin an vorderster Front. Am 19. Februar 2010 hatte die Majority über Facebook Anhänger der Tea Party mobilisiert, die mit Bussen zu einer Demonstration für Gouverneur Scott Walker nach Madison gebracht wurden. Zur Menge sprachen Herman Cain, der schwarze Pizzakönig und Präsidentschaftskandidat der Tea Party, sowie der rechte Internetmogul Andrew Breitbart. Walker, so ärgerten sich Tea Partier, schaffe es nicht, selbst genügend Leute zu aktivieren, die gegen »die vielen demonstrierenden Lehrer« auf die Straße gingen. Eine merkwürdige Einstellung von Leuten, die von sich sagen, sie verträten das Volk.

Wie nahe Scott Walker den Kochs wirklich steht, erfuhr Wisconsin, als ein Reporter des ›Daily Beast‹ (der Webpostille von ›Newsweek‹) beim Gouverneur anrief und sich als David Koch ausgab. Walker gab dem vermeintlichen Industriellen brav Auskunft. Er erzählte ihm, dass er den demokratischen Senatoren keine Schecks mehr schicke, die müssten sie nun selbst in seinem Büro abholen (in den USA wurde die Überweisung noch nicht erfunden); außerdem werde er ein paar Tausend Staatsangestellten die Kündigung zustellen, nur um sie einzuschüchtern; nebenbei erwähnte er seinen Baseballschläger, den er für politische Gegner in seinem Büro aufbewahre.

Brendan Fischer vom Center for Media and Democracy muss nun wieder in sein Büro. Er bringt mich noch zur »Memorial Union«, einem wuchtigen Universitätsbau von 1928. Hier sitzt das amerikanische Äquivalent des Studentenwerks: Es gibt eine Mensa, ein Café und einen »Rathskeller«, eine Kneipe in deutschem Stil. Vor der Memorial Union halten auch die Busse nach Chicago, Milwaukee und Dubuque. Einen Bahnhof hat Madison schon lange nicht mehr. Fischer arbeitet gerade an einer Studie über ALEC, den American Legislative Exchange Council. Das ist eine Lobbygruppe aus Industriellen sowie Abgeordneten und Senatoren aus mehreren Bundesstaaten und Washington. Diese Public Private Partnership formuliert Mustergesetze, um sie in den jeweiligen Staatskapitolen durchzusetzen. Die Lobby hat 2000 Mitglieder, viele davon sind Reaganites. Auch Scott Walkers Vorgänger Tommy Thompson gehörte dazu. Die Organisation wurde bereits 1973 gegründet, operierte aber bisher eher hinter den Kulissen.

Nun nicht mehr: Dem Center for Media and Democracy wurden rund 800 Gesetzesvorlagen zugespielt, die von ALEC formuliert wurden, und es hat diese, in Zusammenarbeit mit ›The Nation‹, ins Internet gestellt. Zu den Gesetzen, die auf ALEC-Vorlagen zurückgehen, zählen beispielsweise der Senate Bill 1070 in Arizona, der die Rechte von Ausländern einschränkt, außerdem Gesetze, die es Schülern leichter machen, von einer öffentlichen auf eine private Schule zu wechseln; aber auch die Anti-Gewerkschaftsgesetze von Walker. ALEC hat einen Etat von sieben Millionen Dollar aus Spenden der Industrie. Zu den Finanziers von ALEC gehören – es ist kaum nötig, das noch zu erwähnen – Koch Industries. Wie viel sie ALEC zugeschoben haben, weiß keiner, aber John Nichols von ›The Nation‹ schätzt den Betrag auf eine Million Dollar.

Nicht nur in Wisconsin spielt sich ein solcher Prozess ab. Bislang sind 19 Gouverneure dabei, ähnliche Gesetze gegen Gewerkschaften durchzusetzen, darunter die in Ohio, Michigan, New Hampshire und Florida, sagt Brendan Fischer. In Tennessee ist der Gesetzgeber sogar noch weiter gegangen: Dort wurde es den Lehrergewerkschaften verboten, für Parteien zu spenden. »Aber Konzerne dürfen weiter Geld in Wahlkämpfe stecken«, meint Fischer. »Und nicht nur das, der Supreme Court hat neulich geurteilt, dass Konzerne wie individuelle Spender behandelt werden müssen, sodass es für die nun praktisch keine Obergrenzen mehr gibt.« Die große Zeit der Gewerkschaften sei ohnehin vorbei, diagnostiziert Fischer, schon aufgrund der Globalisierung. »Deren Niedergang fing an, als Ronald Reagan den Streik der Gewerkschaft der Fluglotsen gebrochen hat.« Das war in den siebziger Jahren. Heute sind nur noch sieben Prozent der Amerikaner gewerkschaftlich organisiert. Und viele Staaten, vor allem im Süden, sind heute »Right-to-Work«-Staaten, was bedeutet, Konzerne sind nicht verpflichtet, Gewerkschaftler einzustellen.

Die Koch-Brüder haben sich noch nicht entschieden, wen sie in der kommenden Wahl finanziell unterstützen werden: Sie haben Michele Bachmann 25 000 Dollar gegeben, liebäugeln aber auch mit Sarah Palin; Rick Perry haben sie für seine Wiederwahl in Texas 76 000 Dollar gespendet; es kann auch sein, dass sie sich mit Mitt Romney oder Herman Cain anfreunden. Auch Rand Paul hat Koch-Spenden bekommen. Nur einen lassen sie links liegen: Ron Paul. Das ist verwunderlich, denn Paul ist der einzige echt Libertäre, der in den kommenden Wahlen antritt, und die Kochs teilen eigentlich seine Ansichten über Wirtschaftspolitik. Aber Paul ist der einzige Republikaner, der in Zukunft weniger Geld in das Pentagon und damit in die Rüstungsindustrie stecken will. Vielleicht sind die Koch-Brüder ja letztendlich doch waschechte Republikaner und keine Libertären.

Dass Charles Koch ideologisch flexibel ist, bewies er bereits 1973. Damals lud er Friedrich Hayek nach Kalifornien ein. Hayek aber lehnte ab: Er warte in Österreich auf eine von der Kasse bezahlten Gallenoperation. Nun riet Koch dem Wirtschaftsliberalen, er solle doch Medicare in Anspruch nehmen.