Black & White: Politik, Geschichte und Rassismus

Von der Schlacht am Lookout Mountain in Chattanooga, Tennessee, spricht man im Süden heute noch. Die Armee der Union, der Nordstaaten, lagerte im Herbst 1863 in Chattanooga, 40 000 Soldaten hatten sich in die Kleinstadt am Tennessee River zurückgezogen. Sie wollten sich von einer der schwersten Niederlagen im Bürgerkrieg erholen, der Schlacht am Chickamauga, dem »Fluss des Todes«, wo Tausende Tote zurückgeblieben waren. Die Konföderierten jedoch, die Südstaatenarmee, belagerten Chattanooga. Sie schnitten der Union den Nachschub ab und postierten 1200 Soldaten auf dem Lookout Mountain, einem Hochplateau, das einen weiten Blick bis hinein nach Georgia bietet.

Aber Ulysses S. Grant, der Befehlshaber der Union, schickte Verstärkung über den Tennessee River. Am 24. November 1863, morgens um drei, stürmten mehr als 10 000 Unionssoldaten den Lookout Mountain. Die Verteidiger wurden überrascht, weil die Hänge so steil waren, dass sie die hochkletternden Feinde, die Yankees, nicht bemerkten. Die Schlacht dauerte den ganzen Tag, Tausende starben; endlich eroberte die Nordarmee den Berg. Die Union schaffte es auch, die Belagerung von Chattanooga zu brechen. Von nun an kontrollierten die Yankees den Tennessee River und den Zugverkehr nach Nashville und Memphis (Tennessee), Atlanta (Georgia) sowie nach Bridgeport (Alabama). Nicht einmal anderthalb Jahre später sollte der Süden die Waffen strecken und sich ergeben.

Tennessee liegt zwischen den Staaten des Old South, die zu den ursprünglich 13 Kolonien gehörten, und dem Deep South mit den großen Baumwollplantagen, in denen die Mehrheit der Sklaven lebte, vor allem in Mississippi und Alabama. Die Hauptstadt ist Nashville. Memphis, die Stadt von Elvis Presley, befindet sich an der unteren westlichen Spitze von Tennessee am Mississippi. In Tennessee ist es warm im Sommer, die feuchte Hitze des Südens. Der Staat hat etwas Kleinstädtisches, »Uramerikanisches«, wie Springfield in der TV-Serie ›The Simpsons‹.

Den Lookout Mountain fährt heute eine schwindelerregend steile Zahnradbahn hoch. Ganz oben liegt der Point Park mit einem Denkmal der Schlacht und gleich daneben das Battles-for-Chattanooga-Museum, hier wird die Schlacht in einem saalgroßen Diorama nachgestellt. Zum Museum gehört ein Souvenirshop mit Pfeilspitzen, Postkarten, Silberlöffeln sowie Büchern. In ihnen steht, wie der Bürgerkrieg für den Süden hätte gewonnen werden können, was die Lehrer den Schulkindern im Geschichtsunterricht leider nicht über den Bürgerkrieg beibringen und warum der Süden doch irgendwie im Recht war. In einem Regal stapeln sich T-Shirts mit der amerikanischen Flagge, aber auch solche mit der Südstaatenflagge (einem rechteckigen blauen Kreuz mit weißen Sternen auf rotem Grund), sowie Klapperschlangenflaggen der Tea Party und vielen anderen Tea-Party-Motiven. Ja, die kaufen die Leute gerne, sagt die Frau hinter dem Tresen, die selbst für amerikanische Verhältnisse erstaunlich schadhafte Zähne hat. Sie lächelt. Ob die Tea Party hier viele Anhänger habe? Absolutely.

Am Abend fahre ich nach Whitwell, das Dorf ist 35 Meilen von Chattanooga entfernt. In einer weiß gekalkten ehemaligen Kirche aus der »guten alten Zeit« vor dem Bürgerkrieg spielt das Civil War Dinner Theatre. Eine südliche Version des Bürgerkriegs wird dargeboten, genauer gesagt dozieren zwei kostümierte Menschen darüber, nämlich das Ehepaar Steve und Allison Gipson. Sie stellen Geschwister dar, sie unterstützt den Süden, er den Norden. Das Stück basiert auf Tagebüchern und anderen Aufzeichnungen aus dieser Zeit, die Steve Gipson ausgewertet hat. Dazu wird ein authentisches Dinner serviert, Hühnchen, Kartoffelbrei und Apfelkuchen, Rezepte aus dem Kochbuch von Varina Davis, der Frau des Südstaatenpräsidenten Jefferson Davis, die Kellnerinnen tragen historische Kostüme. Der hohe, helle Raum ist mit Schülern gefüllt. Das Theaterstück ist, darauf wird hingewiesen, für christliche Zuschauer geeignet.

Steve Gipson ist ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit einem Vollbart, und die Geschichte, die er erzählt, ist wahrhaft alternativ. Im Bürgerkrieg, sagt er, sei es gar nicht um die Sklaverei gegangen, denn der Norden habe wenige Jahre zuvor noch selbst Sklaven gehalten. Nach dem Verbot der Sklaverei habe der Norden seine Sklaven nicht etwa freigelassen, sondern in den Süden verkauft. In Wirklichkeit sei es um states’ rights gegangen, die Rechte der Bundesstaaten, die Abraham Lincoln verletzt habe. »Lincoln hat beide Seiten angelogen«, meint Gipson. Dabei habe es in den USA immer schon Sezessionsbestrebungen einzelner Staaten gegeben. Die Bundesstaaten seien der Union freiwillig beigetreten und sie könnten auch wieder austreten, wenn sie das wollten.

Aber der eigentliche Grund für den Einmarsch des Nordens in den Süden seien die Staatsfinanzen gewesen. Damals, sagt Gipson, habe es keine Einkommenssteuern gegeben, sondern nur Ein- und Ausfuhrzölle. Und der Süden, mit seiner blühenden Wirtschaft und seinen vielen Häfen (wo Sklaven importiert und Baumwolle exportiert wurden), habe siebzig Prozent der Staatseinnahmen erwirtschaftet, die nach Washington gingen. Diese seien mit dem Austritt der Südstaaten weggefallen. »Im Prinzip war das ein Wirtschaftskrieg«, sagt Gipson. Auch dem Süden sei es um die Erhaltung seiner Wirtschaftskraft gegangen. »Ein Sklave war damals viel wert, um die 2000 Dollar, das wären heute gut 20 000 Dollar«, sagt Gipson. »Die Aufhebung der Sklaverei, das war eine Enteignung im Milliardenwert, das konnten sich die Plantagenbesitzer nicht gefallen lassen.«

Glaubt er ernsthaft, dass Schwarze auf Dauer Sklaven, also »Besitz« hätten bleiben können? »Natürlich nicht«, sagt er. Aber die Lage sei damals nicht so eindeutig gewesen. »Einige Schwarze und auch Indianer haben sogar Sklaven gehalten.« Und die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß seien im Süden viel besser, viel familiärer gewesen, als das heute dargestellt werde. »Es gab auch Schwarze, die für die Armee der Konföderierten gekämpft haben, weil sie ihre Heimat verteidigen wollten.« Er klingt nun wie eine Südstaatenversion von Michele Bachmann. Das eigentliche Problem seien sowieso die irischen Einwanderer gewesen, fährt er fort. »Die Iren, die vor der Kartoffelfäule flohen, waren bereit, für sehr wenig Geld zu arbeiten.« Aber die Iren wollten nicht im heißen Süden leben, die blieben im Norden. »Plötzlich war es für den Norden billiger, Iren anzustellen, als für den Süden, Sklaven zu kaufen, das brachte die ganze Wirtschaft durcheinander.« Als letzter Kämpfer im Bürgerkrieg habe sich übrigens Stand Watie ergeben, ein Häuptling der Cherokee und Brigadegeneral der Konföderiertenarmee.

Die Schulkinder hängen gebannt an Gipsons Lippen. Er lächelt eines der Mädchen an, eine vielleicht zwölfjährige Schwarze mit sehr langen krausen Haaren. »Du bist Halbindianerin, Chickasaw, ursprünglich aus Mississippi, stimmt’s?«, fragt er. »Das sehe ich an deinen Wangenknochen.« Seine eigenen Kinder, erklärt er mir später, werde er selbst erziehen und sie nicht in staatlichen, unchristlichen Schulen verderben lassen. Solange er das noch dürfe. Im Übrigen – er klingt immer mehr wie ein Tea Partier – sei auch ObamaCare illegal, davon stehe nämlich nichts in der Verfassung. »Die Regierung darf uns nicht zwingen, eine Krankenversicherung abzuschließen.« Ich weise ihn darauf hin, dass in der Verfassung auch nichts von einer Begrenzung der Einwanderung steht, da wird er ungehalten. »Ja, aber die Verfassung kann durch Gesetze ergänzt werden. Wir sind ein Land der Gesetze.« Dann beschwert er sich über die Medien, die seien alle schwer links. »Die Einzigen, die ausgewogen berichten, sind Fox News.« Von anderen Sendern würden die Konservativen immer verzerrt dargestellt: »Beispielsweise waren es die Dixiecrats, die Demokraten des Südens, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Konföderiertenfahne auf dem Pick-up herumgefahren sind«, sagt Steve Gipson. »Und nun tun die Liberalen so, als sei die Fahne ein Symbol der Republikaner.«

Vom »Marsch durch Georgia« zu segregierten Blutbanken: Der amerikanische Bürgerkrieg und die Folgen

Steve Gipson ist mit seinen Ansichten nicht alleine. Der Bürgerkrieg wird im Süden weiter ausgetragen, in Büchern, in Zeitungen, im Fernsehen. Noch immer schreiben Südstaatler die Geschichte um, und viele sind den Yankees gram. Und auch die Tea Party ist zu einem guten Teil eine »Anti-Yankee«-Bewegung. Kein Wunder: In keinem Krieg sind so viele Amerikaner umgekommen wie während des Bürgerkriegs. Von damals rund dreißig Millionen Amerikanern starben insgesamt 625 000 Soldaten sowie eine unbekannte Zahl an Zivilisten in den Südstaaten. Die Unionsarmee unter General William Tecumseh Sherman zerstörte Atlanta, Richmond, Columbia und andere Städte bis auf die Grundmauern. Beim »Marsch durch Georgia« schlugen Unionssoldaten eine Schneise der Verwüstung, brannten jedes Dorf und jedes Feld nieder, stahlen Pferde und rissen Bahngleise aus der Erde. Unionssoldaten vergewaltigten Frauen und sperrten Kinder ein. Allerdings ging es auf Seiten der Südstaatler nicht zivilisierter zu: Auch sie richteten Massaker an – beispielsweise unter Zivilisten in grenznahen Staaten, die entlaufene Sklaven versteckt hatten.

In einigen Punkten hat Gipson recht: Der Norden hielt selbst lange Zeit Sklaven und ließ entlaufene Sklaven auch nach dem Verbot der Sklaverei in den Süden deportieren. In New York etwa, das gegen den Bürgerkrieg gestimmt hatte, herrschte mehr als 200 Jahre Sklaverei. Schwarze Sklaven bauten das erste Rathaus und das Fort am Battery Park sowie den Befestigungswall gegen Indianer, entlang der heutigen Wall Street. New Yorker Zeitungen druckten Anzeigen für Sklavenauktionen, im Hafen von New York lagen Schiffe, deren menschliche Fracht in den Süden geschafft wurde, und der Sklavenhandel wurde von New Yorker Banken finanziert. Dem Norden, der nach der Industrialisierung keine Verwendung für Sklaven mehr hatte, ging es auch darum, die verhassten Briten von der preiswerten Baumwolle der Südstaaten abzuschneiden. Immerhin hatte der Kongress noch 1854 beschlossen, es den Territorien im Westen – Kansas, Nebraska, Utah, Arizona – freizustellen, Sklaven zu halten. Die Geschichte der Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen betrifft ganz Amerika und nicht nur den Süden.

Der Bürgerkrieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die Bürgerrechtsbewegung rund hundert Jahre später haben das Parteiensystem der USA zwei Mal vollständig umgewälzt. Die originären Demokraten und erst recht die Dixiecrats des Südens haben mit der Tea Party sehr viel mehr Ähnlichkeit als die ursprünglichen Republikaner unter Abraham Lincoln.

Die Demokraten wurden um 1800 von zwei der Founding Fathers gegründet: Thomas Jefferson und James Madison, die damals schon »zurück zur Verfassung« wollten. Sie glaubten, dass Alexander Hamilton, ebenfalls ein Gründungsvater, der seinerseits der kurzlebigen Federal Party angehörte, davon abgewichen sei. Hamilton, der Schatzmeister von George Washington, trat für einen starken Bundesstaat ein und er gründete die erste Zentralbank der USA.

Ursprünglich hieß die Demokratische Partei »Democratic-Republican Party«; in »Democratic Party« wurde sie erst 1812 umbenannt. Das war das Jahr, in dem Madison, der inzwischen Präsident war, Großbritannien den Krieg erklärte. Die USA wollten eine britische Seeblockade auf dem Atlantik brechen, aber auch unterbinden, dass Kanada – damals eine britische Kolonie – entlaufene Sklaven aufnahm und indianische Stämme gegen die USA unterstützte. Großbritannien hatte zudem 1807 zum Ärger der Amerikaner den transatlantischen Sklavenhandel verboten.

Der Krieg begann, als die USA in Kanada einmarschierten. Die Kanadier wehrten den Angriff zwar ab, aber die USA eroberten halb Ontario, um die Gründung eines Indianerstaats unter Häuptling Tecumseh zu verhindern. Derweil gelang es den Briten, Washington, D.C., zu besetzen und das Weiße Haus niederzubrennen. Um New Orleans zu erobern, sandten sie eine Flotte in den Golf von Mexiko. Aber Generalmajor Andrew Jackson, der schon als 13-Jähriger im Unabhängigkeitskrieg gedient hatte, schlug die Briten 1815 in der berühmten Schlacht um New Orleans zurück. Danach verjagte er sie aus New York und Washington. In den Kriegen dieser Jahre vertrieb Jackson auch die Seminole aus Florida und die Creek aus Alabama.

Andrew Jackson lebte in Tennessee, in der Nähe von Nashville, wo er eine Plantage mit 44 Sklaven besaß, und er war einer der Gründer von Memphis. 1822 ging er nach Washington, wo er Tennessee als Senator vertrat. Sechs Jahre später wurde der Populist zum ersten demokratischen Präsidenten der USA gewählt. Und erst mit ihm wurden die Demokraten zu der Partei, wie man sie heute kennt: als die Interessenvertretung der armen Einwanderermassen, die damals aus Irland, Schottland und Deutschland kamen. Jacksons Eltern waren Scotch-Irish Americans, protestantische Schotten, die über Nordirland nach Amerika gelangt waren.

Jackson wurde von Bauern und Soldaten glühend verehrt, die ihn als ihren Mann gegen die Elite in Washington sahen. War Jackson in dieser Hinsicht also der erste Tea Partier? Ein Musical in New York, ›Bloody, Bloody Andrew Jackson‹, lässt den General-Präsidenten und seine Anhänger in Tea-Party-Manier singen: »Take the country back!« Immerhin: Jackson trat gegen die korrupte Washingtoner Elite an, brachte – als einziger Präsident – die Staatsschulden auf null und schaffte die Nationalbank der USA, die Hamilton gegründet hatte, wieder ab, da er glaubte, sie diene nur den Interessen einer Handvoll reicher Familien (das muss Ron Paul erst einmal nachmachen). In der Folge brach eine längere Wirtschaftskrise aus. 1864, nach Jacksons Tod, schuf Abraham Lincoln wieder eine Nationalbank.

Jacksons bitterstes Erbe ist der trail of tears, der Pfad der Tränen: Der Präsident vertrieb mithilfe des Militärs fünf indianische Stämme aus Georgia, Alabama und Tennessee – die Cherokee, die Creek, die Seminole, die Choctaw und die Chickasaw. Bei einer monatelangen Internierung und einem Gewaltmarsch im bitterkalten Winter starb etwa die Hälfte der Indianer. Jackson handelte auf Drängen seiner Wähler in Tennessee, die sich das Indianerland aneignen wollten.

Die Republican Party, die GOP, wurde 1854 von Sklavereigegnern der Whigs gegründet, einer Partei, die sich gegen den »diktatorischen« Andrew Jackson gebildet hatte, sowie von »Free Soilers«, deren Ziel es war, die Ausbreitung der Sklaverei in dem neugewonnenen Wilden Westen zu verhindern. Abraham Lincoln war Parteichef der Whigs in Illinois; er wurde der erste republikanische Präsident. Schon zuvor hatte es die American-Republican Party gegeben, besser bekannt als »Know Nothings«. Das war ein nativistischer Geheimbund, der nur protestantische Männer englischen Ursprungs aufnahm und gegen die Immigration von Katholiken aus Deutschland und Irland kämpfte, auch mit Gewalt. Aber wenn sie gefragt wurden, was ihre Partei eigentlich so tue, sagten sie, »I know nothing«, ich weiß nichts. Die GOP war zunächst eine Konkurrenz zu den Know Nothings, aber die zerstritten sich kurz nach deren Gründung. Der Anti-Sklaverei-Flügel der Know Nothings im Norden schloss sich der GOP an, während der Pro-Slaverei-Flügel der Südstaaten demokratisch wurde. Noch heute werden Tea Partier von Liberalen gerne mit Know Nothings verglichen (wobei die Insinuation natürlich ist, diese hätten von nichts eine Ahnung).

Nach dem Bürgerkrieg wurde der Süden zum Armenhaus. Der Norden verordnete die Reconstruction. Yankees kamen in den Süden und bereicherten sich; nach ihren Koffern, die aus gebrauchten Teppichen gemacht waren, nannte man sie carpetbaggers – im Süden wurde das Wort zu einem Synonym für »fremde Plünderer«. Einige der carpetbaggers kauften billig Plantagen auf, andere sorgten dafür, dass die früheren Sklaven Posten in Rathäusern und Staatsregierungen bekamen. Derweil rotteten sich unzufriedene Weiße im Ku-Klux-Klan zusammen. Unter den Männern mit den weißen Hauben, die Schwarze mit Gewalt, Mord und Totschlag einschüchterten, waren viele konföderierte Veteranen. Rund 5000 Menschen wurden in den Folgejahren gelyncht, darunter mehr als 3500 Schwarze. (In Margaret Mitchells Südstaatenepos ›Vom Winde verweht‹, das in Georgia spielt, sind alle Männer Klan-Mitglieder, auch der romantische Ashley.)

Die Republikaner sahen sich fortan als Partei der Bildungselite der Ostküste, während die Demokraten als die Partei der barfüßigen Südstaatenfarmer galt. Noch lange nach dem Bürgerkrieg sollten die Republikaner in Washington regieren. Aber ganz so eilig hatte es der Norden nicht, für gleiche Rechte zu sorgen. Selbst Lincoln – der 1865 ermordet wurde – unterstützte lieber eine Initiative, Sklaven nach Afrika zu schicken. 1870 verabschiedete zwar der Kongress den 15. Verfassungszusatz, der verbot, Wähler aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren. Aber die Südstaaten, wo die Demokraten nach und nach wieder an die Macht kamen, unterliefen dieses Gesetz. Sie verabschiedeten die Jim Crow Laws, wonach nur wählen durfte, wer lesen konnte, Steuern zahlte oder wessen Großvater schon gewählt hatte.

Das schloss viele Schwarze von der Wahl aus – und damit auch von dem Recht, als Politiker oder Sheriff gewählt zu werden oder als Geschworener in einer Jury zu sitzen. Gleichzeitig wurden überall Gesetze erlassen, welche die Rassentrennung in Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, Restaurants, Bussen, Bahnen, bei der Eisenbahn und bei Greyhound, in öffentlichen Toiletten und sogar bei Trinkbrunnen vorschrieben. Schulen und Kliniken für Schwarze waren von minderer Qualität. Auch das Militär war bis 1948 segregiert. Noch im Zweiten Weltkrieg durften schwarze Soldaten keine Bluttransfusionen von weißen Soldaten bekommen und umgekehrt. Ehen zwischen Schwarz und Weiß waren verboten, in vielen Staaten auch die Ehe zwischen Weißen und Asiaten, Mulatten oder Indianern. Aber diese Gesetze beschränkten sich nicht auf den Süden: Auch in Nordstaaten wie Maine oder westlichen Territorien wie Arizona und Utah galten Jim Crow Laws.

Mit dem Bürgerkrieg hat sich Amerika aber auch religiös entzweit. Im Zuge der zunehmenden Spannungen zwischen dem Süden und dem Norden begannen die im Süden verbreiteten Baptisten – anders als die Kirchen im Norden –, die Slaverei zu verteidigen. Das führte letztlich zu einer Trennung innerhalb der Baptisten: Im Süden spalteten sich um 1845 die »Southern Baptists« ab, eine damals rein weiße Kirche. Heute sind sie die zweitstärkste Konfession in den USA nach dem Katholizismus. Mit dieser neuen Kirche, zu der auch viele Katholiken und Anglikaner konvertierten, hatte der weiße Süden eine gemeinsame religiöse und damit auch kulturelle Identität gefunden. Southern Baptists gehören zu den Evangelikalen oder den »Born Agains«, sind getaufte Christen, die als Erwachsene ein neuerliches Erweckungserlebnis als Christ erlebt haben (oder, soweit es sich um Politiker handelt, wenigstens so tun). Die meisten von ihnen sind konservativ, auch bibeltreue Christen sind darunter.

Aber auch im Norden änderte sich einiges. Es gab eine nichtprotestantische Masseneinwanderung von Italienern, Juden und Slawen, vor allem in die Großstädte des Nordens – New York, Chicago, Detroit –, und diese schlossen sich größtenteils den Demokraten an. Das führte letztlich dazu, dass die Demokraten des Nordens für viele Jahrzehnte zu einer ganz anderen Partei wurden als die des Südens. Derweil gewannen die Republikaner Wähler in den ländlichen, protestantisch-pietistischen Staaten des Nordwestens, wo Skandinavier und deutsche Protestanten siedelten.

Neben diesen beiden großen gibt es kleinere Parteien wie die Progressiven; diese wurden gleich drei Mal gegründet: von Theodore Roosevelt, von Robert La Follette und noch einmal 1948 durch Henry Wallace, den Vizepräsidenten von Franklin D. Roosevelt. Es gibt die Sozialisten, die Libertären und die Conservative Party, die 2009 gegründet wurde und zurück zur originalen Konstitution will. Sie richtet sich an Wähler, denen die Republikaner »zu links« sind. Sowohl die Libertarians als auch die Conservative Party reklamieren die Anhänger der Tea Party für sich, aber beide haben in der Bewegung noch nicht so recht Fuß gefasst. Dazu kommt eine Unzahl von kleinen Parteien für bestimmte Interessengruppen: für Nazis, Grüne, Frauen, Vegetarier, Puerto Ricaner und Afroamerikaner (Black Panther); sogar Royalisten gibt es, die glauben, die Revolution gegen England sei ein Fehler gewesen.

Die meisten dieser Parteien sind kurzlebig und regional begrenzt, ihre Politiker erreichen kaum mehr als ein oder zwei Prozent der Stimmen – wenn überhaupt. Die einzigen Ausnahmen waren Ross Perot und Theodore Roosevelt. Roosevelt trat 1912 für die Progressiven an und landete auf dem zweiten Platz, aber er war immerhin schon einmal Präsident gewesen. Der Libertäre Ross Perot gewann 1992 knapp zwanzig Prozent, bekam aber keinen einzigen Wahlmann des Electoral College. Denn die USA haben wegen des Mehrheitswahlrechts zwar nicht de jure, aber doch de facto ein Zwei-Parteien-System: Nur Senatoren und Abgeordnete, die mehr als fünfzig Prozent der Stimmen in ihrem Wahlkreis bekommen, dürfen nach Washington.

»Alle sollen vor uns zittern«: Mike Huckabee und seine Fans in Georgia

Südlich von Chattanooga, Georgia, liegt die Kleinstadt Rome. Im Bürgerkrieg war Rome von Unionssoldaten besetzt. Auch General Sherman kreuzte Rome auf seinem Marsch durch Georgia: Seine Soldaten schleiften das Fort, zerstörten die Krankenhäuser, demontierten die Bahnlinien und setzten die Stadt in Brand, bevor sie nach Atlanta weiterzogen.

Davon ist heute wenig zu sehen. Am Riverbend Market Place von Rome erstreckt sich eine dieser Malls mit endlosen Parkplätzen und immergleichen Geschäften, darunter eine Filiale von Barnes&Noble, der größten und inzwischen einzigen Buchhandelskette der USA. Hier liest Mike Huckabee, der frühere Gouverneur von Arkansas, der heute als Country-Musiker und Moderator auf Fox News auftritt. Huckabee hatte sich 2008 um die Nominierung für die Republikaner beworben, aber gegen John McCain verloren, obwohl er die Unterstützung der Evangelikalen gegen McCain hatte. Huckabee stellt sein neues Buch vor: ›A Simple Government – Twelve Things We Really Need from Washington (and a Trillion That We Don’t!)‹; zwölf Dinge, die wir wirklich von Washington brauchen (und eine Billion, die wir nicht brauchen). Es geht hauptsächlich darum, wie wichtig die Familie und das Christentum seien. Das Buch könnte eine Art »Bibel« der Tea Party werden, hofft Huckabee. Erschienen ist es bei Penguin, einer Tochter der britischen Mediengruppe Pearson, die die ›Financial Times‹ herausgibt.

Arkansas, wo Huckabee lebt, ist ein mittelgroßer Staat westlich des Mississippi. Er gehört zum Bible Belt und ist eine Bastion der Southern Baptists, für die Huckabee lange als Pastor tätig war. Im Bürgerkrieg gehörte Arkansas zu den Konföderierten, aber große Kämpfe spielten sich hier erst zur Zeit der Reconstruction ab. Radical Republicans, eine Fraktion der Republikaner, wollten damals gleiche Rechte für Schwarze durchsetzen, wurden aber bald vom Ku-Klux-Klan vertrieben, der den Schwarzen das Wählen verbot. Bis in die sechziger Jahre war Arkansas eine Domäne der Demokraten.

1954 gelangte Arkansas in die nationalen Schlagzeilen. Der Supreme Court hatte die Staatsregierung verpflichtet, neun schwarze Schüler in eine weiße Schule in der Hauptstadt Little Rock aufzunehmen. Doch Gouverneur Orval Faubus, auch er ein Demokrat, weigerte sich. Mehr noch, er ließ die Nationalgarde auffahren, um das zu verhindern. Daraufhin schickte Präsident Dwight D. Eisenhower – ein Republikaner – tausend Soldaten der 101st Airborne, der Luftlandedivision, um die schwarzen Schüler zu eskortieren (wohl auch deswegen halten Konservative des Südens Eisenhower für einen Kommunisten). Der Gouverneur gab nach, ließ danach die Schule aber einfach schließen. Aber letztlich setzte sich die desegregation, die Aufhebung der Rassentrennung, in Arkansas durch.

Als sich Mike Huckabee an die Spitze seines Staates setzte, löste er als Republikaner eine lange Reihe von demokratischen Gouverneuren ab, darunter auch Bill Clinton. Aber Huckabee ist kein gewendeter Dixiecrat. Schon früh distanzierte er sich vom Council of Conservative Citizens, einer weißen Organisation von supremacists, die gegen desegregation kämpft und seine Wahl unterstützt hatte. »Alle Menschen sind Gottes Kinder«, sagt er gerne. Als er noch auf der Kanzel der Immanuel Baptist Church stand, überzeugte er seine ausschließlich weiße Gemeinde, auch Schwarze aufzunehmen.

Huckabee ist kein erklärter Tea Partier, sondern ein Evangelikaler, aber für die Anhänger der Tea Party im Süden ist er ein Hoffnungsträger. Er spricht die Sprache der Leute, denen er southern pride, den Stolz des Südens attestiert. Wohl deshalb hat er viele Fans in Rome. Hunderte von Menschen warten zwischen den Bücherregalen von Barnes&Noble, manche sind seit Stunden hier, um einen guten Platz in der Schlange zu bekommen und das Buch signieren zu lassen. Alle, wirklich alle, sind weiß, obwohl ein Drittel der Einwohner schwarz ist. Ich frage einen Lokalreporter, ob es in Rome keine Afroamerikaner gebe, er grinst. »Nicht hier.«

Huckabee signiert tatsächlich jedes einzelne Buch und spricht mit jedem in der Schlange ein paar persönliche Worte, lässt einen Scherz oder ein aufmunterndes Wort fallen. Gerne posiert er auch für ein Foto – am liebsten, wenn Kinder oder Rollstuhlfahrer mit ihm ins Bild wollen. »Ich trete sehr gerne in kleinen Städten auf, da kommen so viele Fans wie sonst nie«, sagt er. Eine blondlockige Frau, bestimmt über sechzig, die in der Schlange wartet, hat eine Schleife in den Farben der amerikanischen Flagge ans Revers gesteckt: »Die trage ich seit 9 / 11«, sagt sie. Sie wolle, dass Obama, der keinen Finger rühre, aus dem Weißen Haus geworfen werde, und dass ein Mann ins Weiße Haus einziehe, der die Wirtschaft ankurbelt. Wie Huckabee eben. Eine Frau neben ihr, jünger, aber genauso bieder gekleidet, hofft gleichfalls, dass Huckabee als Präsident kandidiert. »Ich finde ihn gut, weil er ehrlich und authentisch ist und für konservative Familienwerte steht, und weil er in Washington etwas für uns tun wird«, sagt sie. Beide sympathisieren mit der Tea Party.

Huckabee wehrt Fragen nach seiner politischen Zukunft ab, aber er kritisiert Obama. »Obama liegt falsch, wenn er sagt, dass keiner vor Amerika Angst haben soll. Im Gegenteil, alle sollen vor uns zittern. Wir brauchen ein starkes Militär. Das ist wichtig für unsere Außenpolitik.« Nun kommt, die Schlange ist schon so gut wie abgearbeitet, tatsächlich ein junger Schwarzer, ein Angestellter von Barnes&Noble, der auch ein Buch signiert haben will. Huckabee ist begeistert und nimmt sich noch einmal extra Zeit, seine Hand zu schütteln und nach seinem Befinden zu fragen. Ein paar Wochen später wird er auf Fox News erklären, er habe lange darüber nachgedacht, aber er werde nicht als Präsidentschaftskandidat antreten.

Brennende Kirchen, geifernde Hunde: Der Kampf gegen die Rassentrennung

In den fünfziger und sechziger Jahren geschah die zweite große Umwälzung im Parteienspektrum der USA, die letztlich im Zweiten Weltkrieg wurzelt, wo sich die Lage der Afroamerikaner beträchtlich verbessert hatte: Als die Industrie auf Hochtouren lief, bekamen viele von ihnen gut bezahlte Jobs in den Rüstungsfabriken des Nordens, und nach dem Krieg kehrten schwarze Soldaten als hochdekorierte Veteranen zurück. Aber danach kam es zu einem Rollback, sie wurden wieder diskriminiert. Das Gesetz G.I. Bill of Rights, das helfen sollte, Soldaten durch Jobs und Immobilienkredite wieder einzugliedern, galt für Schwarze nur eingeschränkt. Der Ku-Klux-Klan, der nun eine neue Blüte erlebte, lynchte sogar schwarze Veteranen, von denen vermutet wurde, sie hätten in Europa mit weißen Frauen geschlafen. Ein besonders schreckliches Verbrechen geschah in Mississippi: Hier wurde der 14-jährige Emmett Till, ein schwarzer Junge aus Chicago, von Klan-Männern gefoltert und erschlagen, weil er einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte.

Aber nach den Erfahrungen im Krieg wollten sich Schwarze das nicht länger gefallen lassen. Damals entstand das Civil Rights Movement, eine Bewegung schwarzer Bürgerrechtler und Organisationen wie der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), angeführt von schwarzen Pfarrern; der bekannteste von ihnen ist der Republikaner Martin Luther King jr. Liberale Weiße aus dem Norden unterstützten das Civil Rights Movement. Der Protest kam ins Rollen, nachdem sich Rosa Parks, eine Aktivistin aus Montgomery, Alabama, am 1. Dezember 1955 geweigert hatte, ihren Platz im Bus für eine weiße Frau zu räumen. Parks wurde verhaftet. Darauf bestreikten alle Schwarzen die Busse und Martin Luther King rief zu Sitzblockaden auf. Die Polizei hetzte Hunde auf die Streikenden, und eine Welle des Protestes erschütterte über Jahre das ganze Land, vor allem den Süden. Nicht nur die Polizei wurde gewalttätig: Um den Widerstand der Schwarzen zu brechen, brachten Weiße, darunter viele Klan-Mitglieder, schwarze Führer um oder warfen Brandbomben auf deren Wohnhäuser und Kirchen.

Im August 1963 marschierte Martin Luther King nach Washington, D.C., wo er am Lincoln Memorial vor Hunderttausenden seine berühmte ›I have a Dream‹-Rede hielt. Er forderte Gleichberechtigung für Schwarze. Im September warfen Klan-Mitglieder kurz vor dem Gottesdienst eine Bombe in eine Baptistenkirche in Birmingham, Alabama. Vier schwarze Mädchen verbrannten, es war ein Verbrechen, an das heute noch erinnert wird. Alabama war, neben Mississippi, das größte »Schlachtfeld« der Bürgerrechtsbewegung. Beide Staaten gehören zum Deep South, wo Schwarze nach dem Bürgerkrieg in manchen Städten die Mehrheit erlangt hatten.

Der Gouverneur von Alabama war damals George Wallace. Der Demokrat, der im Zweiten Weltkrieg Luftwaffenpilot gewesen war, sollte den Staat (mit Unterbrechungen) bis 1987 regieren. Wallace, ein entschiedener Befürworter der Rassentrennung, hielt bei seiner Amtseinführung eine Rede, die sich heute so anhört, als rede ein Tea Partier: »Im Namen des großartigsten Volkes, das jemals auf der Erde gewandelt ist, werfe ich der Tyrannei den Fehdehandschuh vor die Füße und sage: Segregation heute, Segregation morgen, Segregation für immer. Lasst uns diese Botschaft nach Washington senden!« Bei diesen Worten stand er auf den Stufen des State Capitol in Montgomery, dort, wo Jefferson Davis, der erste und einzige Konföderierten-Präsident, 102 Jahre zuvor vereidigt worden war.

Wallace beließ es nicht bei Worten: Er stellte sich selbst vor das Tor der University of Alabama und vor Schulen, um schwarzen Kindern den Eintritt zu verwehren, bis er von Federal Marshalls abgeführt wurde. Er hielt Martin Luther King für einen Kommunisten und John F. Kennedy, den jungen katholischen Präsidenten, der die Bürgerrechtsbewegung unterstützte, für einen Verräter. Er hatte sogar vor, Kennedy als Präsidentschaftskandidat herauszufordern, für die Demokraten. Aber dazu kam es nicht. Kurz nach dem Brandanschlag von Birmingham wurde Kennedy in Dallas erschossen. Das Land stand unter Schock, und die Rassisten der Südstaaten, die Kennedy bekämpft hatten, wurden nun vorübergehend stiller.

Ein dreiviertel Jahr später, im Juli, wurde der Civil Rights Act of 1964 verabschiedet, der die Rassentrennung aufhob und verbot, Schwarze als Wähler zu diskriminieren. Es war ein harter Kampf gewesen: 18 demokratische und ein republikanischer Senator hatten 54 Tage lang gegen das Gesetz »filibustert« – was hieß, sie hielten ununterbrochen Reden, um eine Abstimmung zu verhindern. Am heftigsten kämpfte Strom Thurmond dagegen, der sagte, die Aufhebung der Rassentrennung verstoße gegen die Verfassung der USA. Thurmond war ein damals noch demokratischer Senator aus Colorado, später wurde er Republikaner. Nach seinem Tod im Jahr 2003 stellte sich heraus, dass er eine uneheliche Tochter mit dem schwarzen Dienstmädchen seiner Eltern hatte. Aber letztlich konnte Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson den Civil Rights Act unterzeichnen.

In den sechziger Jahren wandelten sich die Demokraten. Viele Dixiecrats, die für Rassentrennung kämpften, liefen zu den Republikanern über – was die Democratic Party zu der liberalen großstädtischen Partei werden ließ, als die sie heute bekannt ist. Aber auch die Republikaner änderten ihren Kurs: Sie sahen die Umwälzung bei den Demokraten als Chance, im Süden Land zu gewinnen. 1964, als Lyndon B. Johnson für die Wiederwahl kandidierte, stellte die GOP einen Gegenkandidaten auf, der für die Rassentrennung eintrat und der, so hoffte man, im Süden Stimmen sammeln konnte: Barry Goldwater aus Arizona. Goldwater führte einen Wahlkampf gegen den Civil Rights Act; nicht, weil er Rassist war – in Arizona gab es damals ohnehin kaum Schwarze –, sondern weil er glaubte, dass Washington damit die states’ rights aushebeln würde. So brachte er erstmals seit dem Bürgerkrieg die Südstaaten wieder in das Lager der Republikaner.

Aber Präsident wurde Goldwater nicht, denn Johnson manövrierte ihn aus: Johnson stellte Goldwater in der TV-Werbekampagne, die im Norden ausgestrahlt wurde, als Ku-Klux-Klan-Anhänger dar, während er ihn in der Wahlwerbung im Süden als Wendehals porträtierte, der sich erst für, dann gegen die desegregation gestellt habe, als er in den Wahlkampf zog. Obwohl Goldwater von führenden Konservativen unterstützt wurde, gelang Johnson ein Erdrutschsieg.

Die Kämpfe um die Rassentrennung waren aber noch lange nicht zu Ende. Viele weiße Politiker in den Südstaaten weigerten sich, den Civil Rights Act of 1964 umzusetzen, der Widerstand der Schwarzen wurde gewalttätig und mischte sich mit den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Städte wie Newark und Detroit oder Watts, das Ghetto von Los Angeles, brannten. Radikalere Gruppen wie die Black Panther und die Nation of Islam versuchten, die politische Macht an sich zu reißen. Letztere hatte einen Führer vorzuweisen, der so bekannt war wie Martin Luther King: Malcolm X. Er wurde 1965 erschossen – von seinen eigenen Anhängern. Als King 1968 in Memphis ermordet wurde, brachen Aufstände in mehr als hundert Städten aus, darunter Chicago, Baltimore und Washington. Sie dauerten tagelang an. Wenige Wochen später fiel auch Robert F. Kennedy einem Attentat zum Opfer – nur knapp fünf Jahre nach seinem Bruder John F. Kennedy.

Einer aber gab nicht auf: George Wallace. Er verließ die Demokraten, um 1968 für die American Independent Party als Präsident zu kandidieren, eine neue rechte Partei, die eigens für ihn gegründet wurde und die sich später in mehrere kleine Parteien zersplitterte. Das blieb erfolglos. Aber nach einer extrem rassistischen Kampagne wurde er als Gouverneur von Alabama wiedergewählt. Vier Jahre später versuchte er nochmals, die Nominierung für das Präsidentenamt zu erlangen – diesmal wieder für die Demokraten. Aber seine Kampagne war jäh beendet, als ihn ein Attentäter niederschoss. Wallace landete im Rollstuhl, wurde »wiedergeborener« Christ und entschuldigte sich bei schwarzen Gemeindeführern.

Amerika sollte letztlich doch wieder einen konservativen Rollback erleben, als 1981 ein Republikaner ins Weiße Haus einzog: Ronald Reagan. Er ist heute der Held der Tea Party, nicht George Wallace. Das hat eine gewisse Ironie. »Reagan hat sich in libertärer Rhetorik geübt, aber tatsächlich hat er einen starken Staat, big government, praktiziert«, sagt Jake Shannon, libertärer Radiomoderator und Politiker aus Utah. Reagan habe nicht nur die Steuern erhöht, unter ihm seien auch die Miltärausgaben und die staatliche Schuldendecke gestiegen – Letztere sogar 17 Mal. »Außerdem hat Reagan den kostspieligen ›Krieg gegen Drogen‹ geführt, der hat überhaupt erst die Probleme mit den Schmugglern an der Grenze geschaffen.« Aber Reagans siegreicher Kampf gegen die Welfare Queens aus dem schwarzen Ghetto von Chicago reichte offenbar aus, um ihn zum Liebling der Tea Party zu machen.

 

Die Downtown von Birmingham ist ein bisschen alte Pracht, mit Art-déco-Bauten wie der Alabama Jazz Hall of Fame, außerdem gibt es ein paar moderne Hochhäuser, aber auch abgewrackte, halb leere Blocks. Am Sonntagnachmittag sitzen hier nur ein paar junge schwarze Männer herum; kein einziger Weißer. Neben einem kleinen Park wurde 1992 das Birmingham Civil Rights Institute eröffnet, das wichtigste Museum der Bürgerrechtsbewegung. Im Park erinnert ein Denkmal an diese Zeit; in der Mitte der Fußweg, rechts und links zwei Betonmauern, aus denen drei geifernde Polizeihunde aus Stahl und Beton hervorbrechen. Man spürt sofort den Schrecken, den solche Hunde damals verbreitet haben müssen.

Beim Civil Rights Institute arbeitet Washington Booker, ein dunkelhäutiger Mann mit geflochtenen Haaren, dem man das Alter nicht ansieht. Als der Kampf gegen die Rassentrennung anfing, war er 14. »Der Süden war extrem segregiert«, sagt er. »Es gab nur Schwarz oder Weiß, keine Mexikaner, keine Asiaten, keine Mulatten.« Nach dem Brandbombenangriff auf die Baptist Church, als die vier Mädchen starben, sei Birmingham explodiert. »Wir haben alle weißen Geschäfte – und alle Geschäfte in den schwarzen Vierteln gehörten Weißen – geplündert und niedergebrannt. Es war ein richtiger Aufstand. Die Polizei setzte Hunde ein und schlug Kinder zusammen. Wir haben Steine geworfen, und als wir sahen, wie schwarze Bürgerrechtler freiwillig ins Gefängnis gingen, dachten wir, die sind verrückt. Aber dann mobilisierten die Bürgerrechtler die Kinder in den Schulen, und bald waren alle Gefängnisse voll mit schwarzen Kindern.«

Verglichen damit sei es heute viel besser, wenn auch noch nicht perfekt. »Bis in die sechziger Jahre gab es für Schwarze keine Notaufnahme, und es konnte passieren, dass sie vor dem Krankenhaus verblutet sind.« Heute gebe es immerhin Krankenhäuser für Schwarze, auch wenn die für Weiße besser seien. Und auch in den Schulen sei die Rassentrennung nun aufgehoben. »Aber de facto sind sie noch getrennt: Weiße Kinder gehen in private Schulen in den Vororten, schwarze Kinder in öffentliche Schulen in der Stadt.« In den siebziger Jahren wurde busing versucht, da wurden schwarze Kinder in weiße Schulen gefahren, aber das sei eingeschlafen, als die Weißen in die Privatschulen auswichen. »Deshalb fördern die Republikaner heute die Privatschulen und die public schools verkommen.«

Obama als Schimpansenbaby: Rassismus und die Tea Party

Bis heute ist die Kluft in Amerika zwischen Schwarz und Weiß nicht ganz verschwunden, wenngleich ungeheure Fortschritte gemacht wurden. Doch mit der Wahl von Barack Obama hat der Rassismus erneut sein hässliches Haupt erhoben. Es gab Demonstrationen der Tea Party, bei denen schwarze Politiker bespuckt wurden, Plakate, die Obama als »Buschneger« zeigten, sowie verbale Ausfälle von Tea-Party-Politikern. So hat Mark Williams, der Pressesprecher des Tea-Party-Express-PAC, der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) vorgeworfen, dass sie heute mit der Instrumentalisierung von Rassenproblemen mehr Geld verdiene, als jemals beim Sklavenhandel geflossen sei. Und er schickte einen fiktiven Brief an Abraham Lincoln hinterher, den er mit »Ben Jealous« unterschrieb, das ist der Name des Präsidenten der NAACP. In dem Brief hieß es: »Lieber Herr Lincoln, wir Farbigen haben beschlossen, dass wir dieses ganze Emanzipations-Dings nicht baumwollen. Freiheit heißt für uns, dass wir tatsächlich arbeiten, selber denken und die Konsequenzen dafür tragen müssen, anstatt Geld von der Wohlfahrt zu bekommen. Das kann man von uns Farbigen nicht verlangen – und wir fordern, dass es aufhört.«

Für Mark Williams sind derartige Affronts nichts Fremdes: Er hatte von Barack Obama und dem demokratischen Präsidenten Jimmy Carter als »Nazis« gesprochen, Carter eine »Schwuchtel« genannt sowie Obama einen »Rassisten« und »indonesischen Moslem, der sich vom Wohlfahrtsgauner zum Gesalbten gewandelt hat«. Zuletzt verglich er Obama mit Stalin und dem kambodschanischen Diktator Pol Pot. Aber erst mit dem Brief an Lincoln war das Fass übergelaufen: Williams musste als Pressesprecher des Tea Party Express zurücktreten. Er maulte daraufhin, seine Gegner hätten seine lediglich humoristisch gemeinten Worte instrumentalisiert, um der Tea Party zu schaden.

Ähnlich beleidigend wurde Marilyn Davenport, eine Tea-Party-Aktivistin aus Orange County. Orange County ist ein konservativer weißer Landkreis südlich von Los Angeles, wo auch Orly Taitz politisch aktiv ist, die »Königin der Birther«. Davenport verschickte eine E-Mail an andere Republikaner, mit einem Foto von Obama als Schimpansenbaby und dem Kommentar: »Jetzt wissen wir, warum es keine Geburtsurkunde gibt.« Als das Foto an eine breitere Öffentlichkeit gelangte, entschuldigte sie sich. Sie habe das schlicht amüsant gefunden; dass Obama halb schwarz sei, sei ihr gar nicht bewusst gewesen. Kaum hatte sich die Aufregung darüber gelegt, nannte Doug Lamborn, ein Republikaner aus Colorado, Obama ein »tar baby«, ein Teerbaby, das niemand anfassen wolle, aus Angst, kleben zu bleiben. (»Tar Baby« ist ursprünglich eine Figur aus einer Kindergeschichte, heutzutage wird dieser Begriff jedoch auch als rassistische Beleidigung gebraucht.)

Allerdings agiert nur eine kleine Minderheit der Tea Partier offen rassistisch. Was die meisten eher umtreibt, ist eine Abneigung gegen staatliche Sozialausgaben, zumal sie nach Ansicht vieler vornehmlich Afroamerikanern zugutekommt. Der Fox-News-Moderator John Stossel brachte die libertäre Meinung zu diesem Thema auf den Punkt, als er sagte, früher sei es gerechter zugegangen, als die koreanischen Immigrantenorganisationen für die Wohlfahrt der Koreaner gesorgt hätten, die irischen für die Wohlfahrt der Iren und die polnischen für die polnischen Immigranten, anstatt diese Fürsorge einem Zentralstaat zu überlassen.

Für manche Tea Partier ist aber nicht nur der Wohlfahrtsgedanke falsch, sondern bereits das mühsam erkämpfte Verbot der Diskriminierung. Zu diesen zählt Rand Paul, Senator von Kentucky, der im Mai 2010 erklärt hatte, die Rassentrennung in den Restaurants des Südens wäre besser mithilfe des freien Marktes abgeschafft worden anstatt mit Gesetzen. Zuvor hatte er geschrieben, zumindest private Betriebe müssten es sich aussuchen dürfen, ob sie Schwarze bedienten. Nach einem Aufschrei der Empörung ruderte er zurück. Nein, versicherte er der Presse, er wolle den Civil Rights Act of 1964 nicht außer Kraft setzen; denn die Situation in den Südstaaten sei nach 120 Jahren Rassentrennung ja doch so dramatisch gewesen, dass eine Intervention der Bundesregierung notwendig gewesen sei.

Manche konservative Weiße drehen den Spieß auch um und beschuldigen Afroamerikaner, Rassisten zu sein. Das macht besonders Glenn Beck gerne. Auf Fox News nannte er den Präsidenten einen Rassisten und fügte hinzu, Obama hasse Weiße, er hasse sogar seine weiße Großmutter. Der rechte Radiomoderator Rush Limbaugh beschuldigte Obama ebenfalls, ein Rassist zu sein, der die Amerikaner nötigen wolle, Reparationen an die Nachkommen der schwarzen Sklaven zu zahlen, als Rache für die Sklaverei. »Wenn die davon reden, dass sie ihr Land wieder zurückhaben wollen«, meint ›New York Times‹-Kolumnist Frank Rich, »dann sprechen sie in Wirklichkeit über die Privilegien der Weißen.«

Kristallelefanten im »Big Easy«

Von Birmingham aus fährt der Greyhound nach New Orleans, Louisiana. Wer diesen Bus nimmt, zählt zu den Ärmsten der Armen. Die meisten Passagiere haben Übergewicht und schlechte Zähne, viele sind schwarz, aber sie sind alle höflich und bemühen sich, ruhig zu sein. Nur zwei schwarze Frauen mit einem lange schreienden Baby zanken sich, aber auch das leise. Alle sehen ziemlich abgekämpft aus. Eine junge Frau erzählt mir, sie vertreibe Spielzeug und ziehe deshalb durch das Land. Ein Musikpromoter sucht für Bands Auftrittsmöglichkeiten. Beide hassen den Greyhound. Nicht nur sei das mühselig, manchmal fielen die Busse auch aus oder blieben am Wegesrand liegen. Es ist verwunderlich, wie viele Menschen mit dem Greyhound fahren, denn die Bahn kostet fast dasselbe und ist wesentlich bequemer. Der Bus macht in Montgomery eine halbstündige Pause, in einem Imbiss gibt es fettiges Essen. Die Kassiererin ruft sofort nach der Security, nur weil ein Mann sich etwas seltsam benimmt. Ich bekomme langsam das Gefühl, Teil eines Gefangenentransports zu sein, der in den nächsten Knast führt. Am frühen Morgen rollt der Bus hinter der Union Station in New Orleans ein.

Louisiana gehört ebenfalls zum Deep South, aber es ist anders als alle anderen Staaten, vielleicht aufgrund seiner langen Geschichte unter den Franzosen und den Spaniern. In dem Ölstaat, der für Korruption berüchtigt ist, gab es in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem demokratischen Gouverneur Huey Long eine populistische Bewegung. Der begnadete Redner, der noch linker war als Roosevelt, vertrat das Motto, »Share Our Wealth«, teilt unseren Wohlstand. Er wollte die Reichen exponentiell besteuern, um jedem Bürger ein garantiertes Grundeinkommen zu zahlen. Das ist eine No-go-Zone für die Tea Party, aber Rand Paul hält Huey Long trotzdem für ein Vorbild. Long, der sich mit dem antisemitischen Pfarrer Father Coughlin zusammentat, wurde 1935 erschossen.

New Orleans ist weniger segregiert als alle anderen Städte des Südens, im Big Easy leben Schwarz und Weiß in denselben Vierteln. Laut Nicholas Lemann von der Columbia School of Journalism, der aus New Orleans stammt, liegt das zwar eher daran, dass die weißen Hausbesitzer früher ihre schwarzen Sklaven in ihrer Nähe haben wollten. Trotzdem: In New Orleans gibt es eine gemeinsame Kultur, Weiße begeistern sich für Jazz und Blues, die in den Clubs gespielt werden, und auch die Schwarzen feiern den Mardi Gras, den Faschingsdienstag, mit seinen Umzügen und Bällen. Auch die kreolische Küche eint Schwarz und Weiß. New Orleans ist überhaupt anders als Amerika: Hier ist es legal, Alkohol auf der Straße zu trinken, an der Bourbon Street liegen Nachtclubs wie »Rick’s Cabaret«, wo halb nackte junge Mädchen vor der Tür eine Zigarettenpause machen (der Stripclub gehörte einst Jack Ruby, dem Mörder von Lee Harvey Oswald). Mit »Storyville« hatte die Stadt eines der berühmtesten Rotlichtviertel Amerikas. Und mit David Vitter hat sie einen Politiker, der mit einer Prostituierten erwischt wurde, dazu nur »Na, und?« sagte und trotzdem wiedergewählt wurde – als Garant einer »positiven, konservativen« Veränderung. Vitter ist ein Anhänger der Tea Party, die sei, sagte er, »der Sprit«, der die Republikaner antreibe.

In New Orleans findet im Juli 2011, in der glühenden, feuchten Hitze, die Leadership Conference der Republikaner statt; ein Schaulaufen für die Präsidentschaftswahlen. In den eisgekühlten Hallen des Hilton haben die üblichen Verdächtigen ihre Stände aufgebaut: die Heritage Foundation, die Liberty University (ein christliches College, gegründet von Jerry Falwell) und eine Anti-Abtreibungsgruppe, die Buttons mit Babyfüßchen darauf verteilt. FreedomWorks verschenkt schicke bunte Mappen, in denen erklärt wird, wie man in den social media die Botschaft verbreiten kann, dass Mitt Romney des Teufels ist. Es gibt T-Shirts, auf denen »Fox News Fan« und »Capitalism« im Schriftzug von Coca-Cola steht, auch solche mit Marx, Lenin und Obama. Ich könnte mir einen Ohrring aus rot-weiß-blauen Kristallen in Form eines Elefanten kaufen, dem Symbol der GOP, oder auch die Klapperschlangenfahne, Michele-Bachmann-DVDs im Dreierpack für 45 Dollar und, als Höhepunkt, Ronald Reagan als Ölgemälde, für zwei Riesen. Am Eingang befindet sich der Stand einer Werbefirma, die social-media-Kampagnen organisieren kann, falls einem das Talent dazu fehlt oder die Zeit.

Mittendrin signiert Rick Perry, der Gouverneur von Texas, sein Buch. Es heißt ›Fed Up!: Our Fight to Save America from Washington‹, Wir haben es satt! Unser Kampf zum Schutz vor Washington, und ist nicht zufällig eine Anspielung auf die Federal Reserve, aber auch auf das Federal Government, das die Tea Party ebenfalls satt hat. Das Vorwort hat Newt Gingrich geschrieben und Rush Limbaugh findet, jeder amerikanische Bürger sollte es lesen. In dem Buch fordert Perry, alles, was nicht der amerikanischen Verfassung entspreche, wieder abzuschaffen, eingeschlossen die Social Security, die Börsenaufsicht SEC und die Gesetze gegen Kinderarbeit. Immerhin hätten die früheren Kolonisten für die Freiheit gekämpft, während die Regierung uns heute vorschreiben wolle, wie viel Salz wir auf unser Essen streuen und auf welche Art wir beten dürfen.

Später findet auf der Konferenz eine straw poll statt, eine informelle Abstimmung. Ein junger Mann trägt ein Ron-Paul-T-Shirt und mehrere Ron-Paul-Buttons, auf seinem Rücken prangen Ron-Paul-Aufkleber. Er sieht aus wie eine wandelnde Litfaßsäule. Für wen wird er stimmen? Er grinst. »Ich denke noch darüber nach.« Die Ron-Paul-Anhänger sind hoffnungsfroh: »Romney hat mehr Geld aus Spenden, die ihm versprochen wurden, aber wir haben echtes Geld auf der Bank«, sagt einer. Hinter mir unterhalten sich zwei ältere Frauen über Paul. Die eine findet ihn gar nicht so schlecht. Die andere schüttelt den Kopf. »He has the chance of a Chinaman«, sagt sie: Ein Chinese habe die gleiche Chance, gewählt zu werden.

Neben dem Stand von FreedomWorks sammelt ein Verein Unterschriften, der sich »Pro Marriage« nennt, aber gegen die Schwulenehe ist. Ich frage die beiden ein wenig dicklichen weißen Männer, ob sie auch dagegen wären, wenn ein schwarzer Mann eine weiße Frau heiratet, und sie versichern mir, nein, nein, das sei schon seit 1967 in Louisiana legal. Und das solle auch so bleiben. Sowohl Mitglieder der Tea Party wie auch der Republikaner leisten sich zwar immer wieder Ausrutscher, aber die Parteiführung scheut das Label des Rassismus wie der Tour-de-France-Fahrer die Urinprobe. Deshalb fördern sie gerne »Vorzeige-Schwarze«. Einer davon kandidiert sogar als Präsident: Herman Cain, der ebenfalls in New Orleans auftritt.

 

Herman Cain stammt aus Atlanta, Georgia. Der Baptisten-Pfarrer, der früher im Vorstand der Federal Reserve Bank von Kansas war und eine Talkshow im Radio hatte, ist heute auch Kommentator bei Fox News (wo er seine Kandidatur sogar ankündigte) und schreibt eine Kolumne für mehrere Zeitungen. Lange Zeit war er auch Geschäftsführer von Godfather’s Pizza (benannt in Reminiszenz an den Mafiafilm) und davor Manager für Coca-Cola und Burger King. Nebenbei bekämpfte er als Lobbyist die Gesundheitsreform von Bill Clinton. Kurz: Cain ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, »genau das, was Amerika als Präsident braucht«, das hat er schon auf Dutzenden von Tea-Party-Rallys im ganzen Land erklärt. Und er ist ein Fan einfacher Lösungen: So will er, dass Gesetze nur noch drei Seiten haben dürfen.

Cain ist nicht nur schwarz, er ist richtig schwarz, anders als der hellhäutige Obama. Sein Auftritt gleicht einem Donnerhall, er predigt wie ein Pfarrer in einer schwarzen Baptistenkirche. Er klingt wie Bill Cosby, nur lauter und ungeschliffener. Schon im Februar 2011 ist Cain in Phoenix, Arizona, wie ein schwarzer Erlöser vor die Massen getreten und hat für Begeisterung gesorgt. »Die Liberalen, die Mainstream-Medien, die nennen euch Rassisten?«, donnerte er da von der Bühne herab. »Was glaubt ihr, was die mich erst nennen?« Der ganze Saal lachte befreit auf. »Amerika hat so viel durchgemacht, die Sklaverei, den Bürgerkrieg, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, die Depression, aber die Gründungsväter wollten immer, dass alle Menschen gleich sind.« Zumindest alle weißen amerikanischen Männer.

Auch in New Orleans wird Cain mit Jubel und »We love you«-Rufen empfangen. Für die Seele der als Rassisten verdächtigen Tea Partier ist er Balsam, so ähnlich wie der jüdische Sozialdemokrat Bruno Kreisky einst für das postfaschistische Österreich. Der in Memphis geborene Prediger fängt auch an wie weiland Martin Luther King. »I have a dream!«, donnert er und fährt fort: »Um genau zu sein, habe ich zwei Träume: Die Republikaner stellen 2012 die Mehrheit im Repräsentantenhaus sowie im Senat und ihr seht gerade den nächsten Präsidenten der USA!« Cain weiß, dass das Establishment der Republikaner ihm keine Chance gibt, und deshalb verkauft er sich als Underdog: »Bill O’Reilly, Mitt Romney und Karl Rove, der einen so großartigen Job für George W. Bush erledigt hat« – hier fängt seine Stimme an, vor Sarkasmus zu triefen –, »alle haben sie gesagt: ›Cain hat keine Chance und er ist nicht ernst zu nehmen.‹ Aber mir geht es wie der Hummel, von der sagen die Experten auch, sie könne gar nicht fliegen!« Und dann noch mal: »Ich bin die Hummel, man sagt mir, ich kann nicht fliegen, aber ich fliege!«

Cain setzt auf alles noch einen drauf, eben wie ein schwarzer Pfarrer bei einer Predigt. Er ist nicht nur gegen die Schwulenehe, nein, er glaubt, Homosexualität sei eine Sünde und Schwule kämen in die Hölle. Er will nicht nur die Scharia verbieten, er würde auch niemals einem Moslem in seiner Verwaltung einen Job geben und er will den Bau von Moscheen verhindern. Er hält nicht nur die übliche Pro-Israel-Rede, er sagt, Israel sei der einzige Freund, den Amerika in der Welt habe. »Und ich schwöre euch, wer Israel angreift, der greift auch die USA an.«

Aber am meisten Beifall bekommt er, wenn er den American Exceptionalism hochhält, die Theorie, dass Amerika das großartigste Land der Welt sei, in dem die großartigsten Menschen leben. Er spricht von der »Shining City on the Hill«, der leuchtenden Stadt auf dem Berg, wie Ronald Reagan Amerika in Anlehnung an die Bibel genannt habe, und wozu das Land wieder werden müsse. »Wir Amerikaner haben es satt, dass sich unser Präsident überall entschuldigt. Ich werde mich niemals entschuldigen. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass Amerika das großartigste Land der Welt ist. Und wenn ihr die richtige Person ins Weiße Haus wählt, moi, dann wird der American Exceptionalism wieder gelten.« Er schiebt hastig hinterher, dass er nur »moi« gesagt habe, weil wir hier im French Quarter von New Orleans seien, was nicht stimmt, das French Quarter ist eine halbe Meile entfernt. Aber er will natürlich nicht, dass das Publikum denkt, er habe Sympathien für die cheese eating surrender monkeys – die »Käse essenden Kapitulationsaffen« –, wie Amerikaner die Franzosen gerne nennen (die abwertende Phrase stammt aus der TV-Serie ›The Simpsons‹ und wurde zum geflügelten Wort). Dann sagt er noch: »Die Vereinigten Staaten werden nicht die Vereinigten Staaten von Europa werden, solange wir am Ruder sind.« Nun steht das Volk auf und Beifall bricht los.

Cain ist wirklich kein Kämpfer für die Bürgerrechtsbewegung. Als Martin Luther King nach Washington marschierte und vor Hunderttausenden seine berühmte Rede hielt, war er 18 Jahre alt, und er marschierte nicht mit: »Mein Vater hat mir gesagt, ich solle mich aus Schwierigkeiten heraushalten und keinen Ärger bekommen«, sagte er dazu. Anfangs wurden ihm wenig Chancen gegeben, aber er schaffte es, alle anderen Kandidaten in den Umfragen zu überholen, als er seinen 9 - 9 - 9-Steuerplan vorstellte; neun Prozent föderale Einkommenssteuer, neun Prozent föderale Mehrwertsteuer (die es bisher überhaupt nicht gibt) und neun Prozent Gewerbesteuer. Dafür soll die payroll tax wegfallen, aus der Medicare und die Rente finanziert werden. Es ist eine Steuererhöhung für die Armen, denn deren Grundfreibetrag fiele weg, und eine Steuererleichterung für die Reichen.

Der Plan ist eigentlich das Gegenteil von dem, was die Tea Party fordert; denn die zog bisher gegen den Verfassungszusatz zu Felde, der die föderale Einkommenssteuer erlaubt. Und hinter dem 9 - 9 - 9-Plan stehen auch keine Teebeutelwerfer, sondern ein bekanntes Brüderpaar: Charles und David Koch. Die Idee zu 9 - 9 - 9 stammt von Mark Block, einem Republikaner aus Wisconsin und Funktionär der Koch-Organisation Americans For Prosperity (AFP). Block, der mit Cain zeitweise durch die Lande zog und im Namen des AFP-Ablegers »Prosperity Expansion Project« für freie Märkte warb, ist heute Cains Wahlkampfmanager.

Als Nächster spricht ein Präsidentschaftskandidat aus Louisiana: Buddy Roemer, früherer Demokrat und Gouverneur des Staats, jetzt wiedergeborener libertärer Tea Partier. Die Konzerne, wettert Roemer, hätten noch nie so viel Profit gemacht wie heute, General Electric zahle keine Steuern, Wall-Street-Banken steckten Billionen an Steuergeldern ein – alleine Goldman Sachs verdiene sich eine goldene Nase! –, und die Pharmariesen zahlten Millionen an die Regierung, um die Gesundheitsreform zu verwässern. Er klingt wie Huey Long. Alle gucken verschreckt. Huh, ein Kommunist? Beifall bekommt Roemer erst, als er fordert, überall in Amerika Ölbohrungen zu erlauben, anstatt Öl bei den Scheichs zu kaufen oder die Armee zu schicken. Weil hier Louisiana ist, reden auch die nächsten Politiker über das Öl. Eine Republikanerin aus der Hauptstadt Baton Rouge meint, wir würden Waffen an die Länder des Mittleren Ostens verkaufen, um »unser Öl zu verteidigen ... äh, deren Öl«.

Dann folgt noch ein wortgewaltiger Redner: Haley Barbour, Gouverneur von Mississippi, der einen deutlichen Südstaatenakzent hat. Barbour ist ein großes Tier bei den Republikanern, er war Wahlhelfer von Ronald Reagan und Chairman des Republican National Committee; heute steht er der Republican Governors Association vor, doch im Herzen ist er ein Dixiecrat. »Unter Obama ist es das erste Mal, dass Leute Angst haben, ihre Kinder und Enkelkinder werden einmal in einem anderen Land leben als sie.« Wirklich? Barbour stammt aus Yazoo, wo in den fünfziger Jahren der White Citizens’ Council die schwarze Mehrheit unterdrückte. Im Mai 1970, als er noch studierte, ging die Staatspolizei von Mississippi mit Gewalt gegen mehr als hundert protestierende schwarze Studenten vor. Zwei starben dabei. Es ist unwahrscheinlich, dass Barbour nicht weiß, dass Amerika damals ganz anders aussah als heute. Andererseits, als CNN ihn einmal zur Geschichte des Südens befragte, meinte er, beim Gedenken die Sklaverei zu erwähnen, sei nicht so wichtig.

Barbour geht es darum, die Einheit der Republikaner zu beschwören, die Tea Partier sollen die Partei bloß nicht verlassen. Offenbar hat die Taktik der Tea Party, den Republikanern Angst einzuflößen, gewirkt. »Das Allerwichtigste ist zu gewinnen!«, ruft er. Man müsse sich in dem Kandidaten nicht zu hundert Prozent wiederfinden, entscheidend sei, dass dieser Obama schlagen kann. Die Tea Party dürfe nicht die gleichen Fehler machen wie Ross Perot und George Wallace. Sie solle keine dritte Partei bilden, sie müsse ihre Ziele innerhalb der Republican Party durchsetzen. Denn wenn sich die Stimmen splitten würden, würde das nur den Linken nutzen. »Obama betet, dass aus der Tea Party eine dritte Partei wird.«

Dann schimpft Barbour noch über die Wall Street, die im Süden noch nie beliebt war, und erinnert uns daran, dass das Benzin heute doppelt so teuer ist wie damals, als Obama gewählt wurde. Wie bitte? Eine kurze Suche ergibt Folgendes: Im Sommer 2008 lagen die Benzinpreise bei rund vier Dollar pro Gallone. Ende September stürzten sie von 3,85 Dollar auf 1,65 Dollar ab – innerhalb weniger Wochen, just zu dem Zeitpunkt, als in Amerika gewählt wurde. Direkt nach der Wahl zogen sie sofort zügig an, auf 2,70 Dollar pro Gallone, und haben nun ihren alten Wert wieder erreicht. Man könnte meinen, irgendwer habe an der Schraube gedreht.

Roemer hat natürlich keine Chance und Barbour will nicht kandidieren. Aber alle Zuhörer bleiben, weil sie auf den Star warten: Rick Perry. Endlich ist der Gouverneur von Texas mit dem Signieren fertig, er betritt den Saal. Die Leute springen von den Stühlen und jubeln. »Run!«, schreien sie, stürze dich in den Wahlkampf. Perry grinst breit, als er auf die Bühne stapft und dabei winkt. Trüge er einen Cowboyhut, er würde damit wedeln. »Ich grüße New Orleans«, sagt er mit leichtem, nicht übertriebenem texanischen Akzent, ähnlich wie George W. Bush. In dieser Stadt hätten die Bürger bewiesen, dass sie besser mit einer Katastrophe wie dem Hurrikan Katrina fertigwerden können als die Regierung. Aber Obama glaube tatsächlich, die Regierung könne so was besser, und das bedrohe unsere Freiheit!

Perry ist ein lauter, aber kein guter Redner. Er wirft alle Reizwörter in die Menge: Freiheit, Gründungsväter, liberale Medien, ausgeglichener Haushalt, große Nation, American Exceptionalism. Wir müssten aufhören, Geld auszugeben sowie uns zu entschuldigen. Wir bräuchten mehr Freiheit – und natürlich mehr Ronald Reagan. Bei jedem Stichwort bekommt er Beifall. Perry argumentiert mit den states’ rights. »Die Gründungväter wollten Dezentralisierung, deshalb müssen die Feds in Washington den Staaten mehr Rechte geben!«, ruft er. Der Beifall verstärkt sich, Perry fängt Feuer: »Wir brauchen den richtigen Führer für unser Land! Es gibt keine größere Zeit als das Jetzt, wir können das schaffen und wir werden es schaffen.« Er schließt mit einem Zitat: »If not now, when?«, Wann, wenn nicht jetzt?, dem Titel eines Romans von Primo Levi, in dem es um das Überleben von jüdisch-kommunistischen Partisanen in Russland geht. (Levi war von der Roten Armee in Auschwitz befreit worden.) Ein seltsames Zitat für einen Konservativen.

Interessanter ist, was Perry nicht sagt: kein Wort zur Immigration, weder zur legalen noch zur illegalen. Denn: Er kann es sich nicht leisten, hispanische Wähler zu verärgern, immerhin machen die ganze vierzig Prozent der Texaner aus. Sonst gründen die womöglich noch eine eigene Partei. Als Letzter spricht George P. Bush, der Neffe von George W. Bush, der das Publikum bittet, das neue Buch des früheren Präsidenten zu kaufen. Der Saal leert sich rascher, als er reden kann. Draußen wartet die »sündige Stadt«. Zum Schluss wird das Ergebnis der straw poll verkündet: Ron Paul hat gewonnen – die Michele-Bachmann- und Rick-Perry-Fans buhen.

Rick Perry wird ein paar Wochen später erklären, er werde als Präsident der USA kandidieren – als Republikaner, aber er geriert sich auch als Vertreter der Tea Party. Für Bachmann und Sarah Palin brechen damit harte Zeiten an.