Kapitel 9
Wir hatten nicht zum ersten Mal Streit. Ich hatte es bereits vorher schon manchmal gründlich satt gehabt, war es leid gewesen, den ganzen Vampirkram lernen und mich danach richten zu müssen, hatte Angst gehabt, noch tiefer in die Sache hineingezogen zu werden. Manchmal hatte ich auch einfach nur ausschließlich mit Menschen zusammensein wollen.
Dazu hatte ich nun mehr als drei Wochen lang ausgiebig Gelegenheit. Ich rief Bill nicht an - und er mich auch nicht. Daß er aus Dallas zurück war, wußte ich, denn er hatte mir meinen Koffer auf die vordere Veranda gestellt. Als ich ihn auspackte, fand ich in einer der Seitentaschen ein kleines schwarzes Schmuckkästchen mit dem Namen eines Juweliers. Ich wäre gern stark genug gewesen, das Kästchen gar nicht erst aufzumachen, aber natürlich konnte ich nicht widerstehen. Das Schmuckkästchen enthielt zwei Ohrringe aus Topas, zusammen mit einem Kärtchen: 'Sie passen zu deinem braunen Kleid'. Womit wohl das mausgraue Strickkleid gemeint war, das ich im Hauptquartier der Vampire von Dallas getragen hatte. Ich streckte dem Kästchen die Zunge heraus und fuhr noch am selben Tag zu Bills Haus hinüber, um es dort im Briefkasten zu versenken. Endlich war er mal losgezogen, um mir ein Geschenk zu kaufen, und schon sah ich mich gezwungen, diese Gabe zurückgehen zu lassen!
Ich unternahm gar nicht erst den Versuch, die Angelegenheit gründlich, bis zum Ende sozusagen, zu durchdenken. Irgendwann, versicherte ich mir, würde mein Kopf sich schon wieder beruhigen. Dann würde ich alles klarer sehen und auch wieder wissen, was ich tun sollte.
Wohl las ich gründlich die Zeitungen. Die Vampire von Dallas waren nun Märtyrer, was Stan Davis wahrscheinlich mehr als recht war. In allen Berichten wurde das Mittemachtsmassaker von Dallas als typisches rassistisches Verbrechen bezeichnet. Politiker sahen sich genötigt, alle möglichen Gesetze und Verordnungen zu diskutieren, von denen dann letztlich nicht ein einziger Paragraph wirklich den Weg in die Gesetzbücher fand. Die Debatte allein aber hatte viel dazu beigetragen, die Gemüter zu beruhigen, indem sie den Menschen das Gefühl gab, es geschähe etwas. So wurde zum Beispiel diskutiert, ob man nicht alle Gebäude, in denen Vampire lebten, unter den Schutz von Bundesbehörden stellen könnte. Es wurden Überlegungen laut, Vampiren die Kandidatur für öffentliche Ämter zu gestatten (auch wenn niemand es wagte, so weit zu gehen, auch ihren Einzug in den Senat und das Repräsentantenhaus zu fordern). In der gesetzgebenden Versammlung von Texas wurde sogar formell gefordert, einen Vampir zum Henker zu bestellen. Ein gewisser Senator Garza begründete den entsprechenden Antrag folgendermaßen: „Soweit man weiß, ist ein Vampirbiß nicht schmerzhaft, und dem vollstreckenden Vampir käme der Akt als Nahrungsaufnahme zugute.“
Da irrte Garza, was ich ihm leicht hätte erklären können! Vampirbisse waren nur angenehm, wenn der Vampir das so wollte. Hatte dieser sein Opfer nicht vorher bezirzt, dann tat ein richtiger Vampirbiß (im Gegensatz zum zarten Beißen beim Liebesakt) sogar höllisch weh.
Ich hätte gern gewußt, ob Senator Garza wohl mit Luna verwandt war. Sam erklärte mir jedoch, der Name Garza komme bei Amerikanern lateinamerikanischer Abstammung ungefähr so häufig vor wie der Name Smith bei Amerikanern mit englischen Vorfahren.
Wie ich dazu gekommen war, mir Fragen über mexikanische Nachnamen zu stellen, wollte Sam gar nicht wissen. Dieses Desinteresse bekümmerte mich; ich fühlte mich etwas verloren, denn inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt, für Sam wichtig zu sein. Aber mein Chef schien dieser Tage sehr mit anderen Dingen beschäftigt, sowohl bei der Arbeit als auch in seiner Freizeit. Arlene war der festen Überzeugung, er treffe sich mit jemandem, was ja, soweit wir das beurteilen konnten, ein komplettes Novum gewesen wäre. Aber wer diese angebliche Flamme sein mochte, fanden wir nicht heraus, denn wir bekamen sie nie zu Gesicht. Auch das war für sich genommen ziemlich merkwürdig. Ich hatte versucht, Sam von den Gestaltwandlern in Dallas zu berichten, aber er hatte nur gelächelt und eine Ausrede gefunden, warum er mich unbedingt stehen lassen und etwas Wichtiges erledigen mußte.
An einem dieser Tage kam Jason mich zu Hause besuchen, um mit mir Mittag zu essen. So, wie es zu Lebzeiten meiner Oma gewesen wäre, fiel das Essen natürlich nicht aus, denn Oma pflegte die Hauptmahlzeit - ein richtiges, warmes Essen - mittags auf den Tisch zu bringen, und abends aßen wir dann belegte Brote. Jason war oft zu uns zum Mittagessen gekommen, als Oma noch lebte; die alte Dame war aber auch eine ganz ausgezeichnete Köchin gewesen. An jenem Tag hatte ich es geschafft, Jason Frikadellenbrote mit Kartoffelsalat vorzusetzen (daß der Salat aus dem Laden stammte, verriet ich ihm natürlich nicht). Zudem hatte ich Pfirsichtee gekocht, was sich als Glücksfall erwies.
„Was ist denn nun mit Bill und dir?“ fragte mein Bruder geradeheraus, nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte. Als er mich in jener Nacht vom Flughafen abgeholt hatte, um mich nach Hause zu fahren, war er sehr lieb und nett gewesen und hatte mir keine Fragen gestellt.
„Ich habe mich über ihn aufgeregt.“
„Warum?“
„Er hat ein Versprechen gebrochen, das er mir gegeben hatte“, erwiderte ich. Jason gab sich wirklich Mühe, sich wie ein fürsorglicher großer Bruder zu benehmen; ich sollte versuchen, seine Aufmerksamkeit einfach hinzunehmen, ohne gleich sauer zu werden. Nicht zum ersten Mal wurde mir klar, daß ich offenbar ein ziemlicher Hitzkopf war, nicht immer, aber manchmal, unter bestimmten Bedingungen, auf jeden Fall. Nun hielt ich meinen sechsten Sinn standhaft unter Verschluß, denn ich wollte nur hören, was Jason auch laut sagte.
„Bill wurde drüben in Monroe gesehen.“
Ich holte tief Luft. „Mit jemand anderem?“
„Ja.“
„Mit wem?“
„Du wirst es kaum glauben: mit Portia.“
Wenn Jason mir erzählt hätte, Bill sei mit Hilary Clinton liiert, hätte mich das nicht stärker erstaunen können (und dabei ist Bill Anhänger und Wähler der Demokraten). Sprachlos starrte ich meinen Bruder an, als hätte dieser verkündet, er sei Satan persönlich. Die einzigen Dinge, die Portia und ich gemeinsam hatten, waren unser Geburtsort, weibliche Geschlechtsorgane und langes Haar. „Na ja“, sagte ich völlig verdattert. „Soll ich jetzt einen Wutanfall kriegen oder einen Lachkrampf? Was hältst du denn davon?“
Denn wenn sich irgendwer in den Geschichten, die sich zwischen Männern und Frauen abspielen können, auskannte, dann mein Bruder - zumindest, was die Seite der Männer angeht.
„Sie ist das genaue Gegenteil von dir“, sagte Jason nachdenklicher, als ich angebracht fand. „In allem. Sie ist gebildet, sie stammt aus einer Familie, die man wohl getrost als aristokratisch bezeichnen kann, sie ist Anwältin. Andy ist Bulle. Sie hören sich Symphoniekonzerte an und so.“
In meinen Augen brannten Tränen: Ich wäre ja gern mit Bill in ein Symphoniekonzert gegangen, wenn er mich je dazu eingeladen hätte.
„Du hingegen bist hübsch, gescheit und bereit, dich mit Bills kleinen Eigenheiten abzufinden“, fuhr Jason fort, wobei ich nicht wußte, was er mit 'kleinen Eigenheiten' wohl meinen mochte, es aber klüger fand, nicht nachzufragen. „Aber zur Aristokratie gehören wir beide nun gerade nicht. Du arbeitest als Kellnerin, und dein Bruder ist Straßenbauer.“ Er warf mir ein schiefes Lächeln zu.
„Wir leben schon genauso lange hier in der Gegend wie die Bellefleurs“, sagte ich, wobei ich versuchte, nicht allzu erbost und beleidigt zu klingen.
„Du weißt das, und ich weiß es auch, und Bill - der weiß es sogar ganz sicher, denn er hat damals ja gelebt.“ Richtig!
„Wie steht es mit den Ermittlungen gegen Andy?“ wollte ich nun wissen.
„Anklage ist gegen ihn noch nicht erhoben worden, aber die Gerüchteküche in der Stadt läuft auf Hochtouren, was diese Sexclub-Geschichte angeht. Lafayette war wohl ganz aus dem Häuschen, weil er dorthin eingeladen worden war; anscheinend hatte er das vielen Leuten gegenüber erwähnt. Man munkelt, Lafayette sei um die Ecke gebracht worden, weil er gegen die erste und wichtigste Regel des Clubs verstoßen hatte: Klappe halten.“
„Wie siehst du das?“
„Wenn irgendwer vorgehabt hätte, einen Sexclub für Bon Temps und Umgebung aufzumachen, dann hätte er mir als erstes Bescheid gesagt, so sehe ich das“, erwiderte mein Bruder, und es war ihm todernst damit.
„Da hast du recht“, sagte ich, wieder einmal erstaunt darüber, wie klarköpfig und vernünftig Jason sein konnte. „Du hättest auf jeder Gästeliste ganz oben gestanden!“ Warum war ich darauf nicht schon selbst gekommen? Jason stand schließlich nicht nur im Ruf, schon viele Betten erfolgreich gewärmt zu haben; er war noch dazu äußerst attraktiv und unverheiratet.
„Das einzige, was gegen diese These spricht“, sagte ich dann langsam und nachdenklich, „ist die Tatsache, daß Lafayette, wie du ja weißt, schwul war.“
„Na und?“
.Vielleicht nimmt dieser Club, sollte er denn wirklich existieren, ja nur Leute auf, denen so etwas nichts ausmacht.“
„Da könntest du unter Umständen recht haben“, pflichtete Jason mir bei.
„Na klar, du Inbegriff der Homophobie!“
Lächelnd zuckte Jason die Achseln. „Jeder hat nun mal so seine Schwächen“, verteidigte er sich. „Außerdem gehe ich seit einiger Zeit ziemlich fest mit Liz. Jeder, der nur einen Funken Grips hat, weiß genau, daß Liz keine Frau ist, mit der man sich eine Serviette teilen kann - geschweige denn einen Liebhaber.“
Womit wiederum Jason recht hatte; in Liz' Familie befolgte man den Leitsatz 'Bei Geld hört die Freundschaft auf' wirklich extrem genau.
„Du bist schon eine Marke, Bruderherz!“ sagte ich nun, wobei ich mich auf Jasons eigene Mängel bezog, nicht auf die im Verhalten von Liz' Familie. „Ein Typ kann weiß Gott so viel Schlimmeres sein als schwul!“
„Ach ja?“
„Ein Dieb, Verräter, Mörder, Vergewaltiger ...“
„Schon gut, schon gut, ich verstehe ja, worauf du hinaus willst.“
„Das hoffe ich“, sagte ich. Unsere Meinungsverschiedenheiten taten mir immer weh, aber ich liebte Jason sehr. Einzig er war mir verblieben.
In derselben Nacht sah ich Bill mit Portia. Ich erhaschte einen Blick auf die beiden, als Bills Wagen, in dem sie saßen, gerade die Claiborne Street hinabfuhr. Portia hatte Bill das Gesicht zugewandt und redete, er selbst sah unverwandt auf die Straße, seine Miene war starr und unergründlich, soweit ich das sehen konnte. Keiner von beiden hatte bemerkt, daß ich sie gesehen hatte. Ich kam gerade vom Geldautomaten und war auf dem Weg zur Arbeit.
Etwas zu hören und es mit eigenen Augen zu sehen sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Ich fühlte einen unbändigen Zorn in mir aufsteigen, und da verstand ich, wie Bill sich gefühlt hatte, als er hatte mitansehen müssen, wie seine Freunde starben. Ich wollte nur zu gern jemanden umbringen! Ich wußte nur nicht, wen.
An diesem Abend saß Andy an einem von Arlenes Tischen. Ich freute mich über seinen Anblick, denn er sah einfach elend aus. Er war längst nicht so glattrasiert wie sonst; seine Kleidung war zerknittert.
Als er aufbrach, um zu gehen, kam er zu mir herüber. Ich roch, daß er getrunken hatte. „Nimm ihn bloß wieder zurück!“ sagte Andy, wobei seine Stimme vor Wut ganz belegt klang. „Nimm ihn zurück, diesen verdammten Vampir, damit er meine Schwester in Ruhe läßt.“
Ich wußte nicht, was ich Andy Bellefleur darauf hätte erwidern sollen. Ich starrte ihn einfach nur wortlos an, bis er aus der Bar stolperte. Dabei schoß mir durch den Kopf, daß die Leute wohl nun nicht mehr so erstaunt wären zu hören, in seinem Auto sei eine Leiche gefunden worden, wie sie es noch vor ein paar Wochen gewesen waren.
In der nächsten Nacht hatte ich frei, und die Temperaturen sanken auf einmal ganz erheblich. Es war Freitag abend; ich hatte es plötzlich satt, allein zu Hause herumzuhocken. Also beschloß ich, mir in der High School das Footballspiel anzusehen. Das ist ein Zeitvertreib, in dem sich ganz Bon Temps ergeht: Jeden Montag morgen wird in sämtlichen Geschäften der Stadt das Spiel vom Freitag davor ausführlich erörtert. Unser lokaler Fernsehsender schneidet jedes Spiel mit und zeigt die Aufzeichnungen jeweils zweimal. Jeder, der auch nur annähernd Talent zeigt, mit einem schweinsledernen Ball umgehen zu können, wird behandelt wie das Mitglied einer königlichen Familie, was vielen von ihnen nicht bekommt und von daher eine ziemliche Schande ist.
Beim Spiel taucht man nicht völlig abgehalftert auf.
Ich kämmte mir die Haare zurück, faßte sie mit einem Haarband zu einem kleinen Wasserfall zusammen und brannte mir Locken in den Rest meiner Mähne, die mir daraufhin malerisch um die Schultern wogte. Von meinen Prellungen und Hautabschürfungen war nichts mehr zu sehen. Ich legte das volle Programm an Schminke auf und zog mir sogar die Lippen in zwei verschiedenen Schattierungen nach. Dann warf ich mich in eine schwarze Strickhose und einen roten Pullover, stieg in meine schwarzen Lederstiefel, hängte mir riesige goldene Ohrringe in die Ohren, und als letztes steckte ich mir eine schwarzrote Fliege ins Haar, um das Gummiband zu verdecken. (Raten Sie mal, was unsere Schulfarben sind.)
„Ziemlich gut“, sagte ich, als ich mir das Resultat meiner Bemühungen im Spiegel ansah. „Eigentlich sogar verdammt gut.“ Daraufhin schnappte ich mir meine schwarze Jacke, nahm meine Handtasche und machte mich auf den Weg in die Stadt.
Als ich in der Schule ankam, saßen überall auf den Zuschauertribünen schon Leute, die ich kannte. Von allen Seiten wurde mir etwas zugerufen, ein gutes Dutzend Leute versicherten mir, wie gut ich aussähe. Mein Problem war nur, daß ich mich miserabel fühlte. Sobald mir das klar war, heftete ich mir entschlossen ein strahlendes Lächeln auf die Lippen und suchte mir jemanden, neben den ich mich setzen konnte.
„Sookie! Sookie!“ Tara Thornton, eine meiner wenigen wirklich guten Freundinnen aus der High School, saß hoch oben auf einer der Tribünen und rief nach mir, während sie mir stürmisch zuwinkte, ich solle doch hochkommen. Ich lächelte ihr zu und machte mich auf den Weg nach oben, mußte mich unterwegs jedoch noch mit einer Menge Leute unterhalten. Mike Spencer war da, der Bestattungsunternehmer, in seiner Lieblingskluft, dem Westernoutfit; dann sah ich noch Maxine Fortenberry, eine gute Freundin meiner Großmutter, zusammen mit ihrem Enkel Hoyt, der ein Kumpel Jasons war. Dick eingemummelt hockte Sid Matt Lancaster, der alte Anwalt, neben seiner Frau auf einer der Holzbänke.
Tara saß neben ihrem Verlobten Benedict Tallie. Benedict hatte natürlich unweigerlich und bedauerlicherweise den Spitznamen Eggs verpaßt bekommen; niemand nannte ihn je anders. Neben den beiden saß JB du Rone, Benedicts bester Freund. Beim Anblick JBs hob sich meine Laune schlagartig, und dasselbe geschah auch mit meiner unterdrückten Libido. Ein Bild JBs hätte den Schutzumschlag jedes Liebesromans zieren können, so umwerfend sah der Mann aus. Leider Gottes hatte er keinen Funken Verstand in der Birne, wie ich hatte feststellen müssen, als ich ein paar Mal mit ihm ausgegangen war. Ich hatte oft gedacht, beim Zusammensein mit JB bräuchte ich mich um mein geistiges Visier nicht zu scheren, denn in seinem Kopf befand sich kein einziger Gedanke, also konnte ich dort auch nichts lesen.
„Hallo, ihr drei, wie geht's, wie steht's?“
„Prima“, sagte Tara, die ihr Partygesicht aufgesetzt hatte, „und dir? Dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht zu Gesicht bekommen.“ Taras dunkles Haar war zum kurzen Pagenkopf geschnitten. Ihr Lippenstift war so heiß, man hätte ihn glatt als Grillanzünder verwenden können. Meine Freundin hatte sich mattweiß und schwarz gekleidet und trug einen roten Schal, um Mannschaftsgeist zu zeigen. Sie und Eggs teilten sich einen Drink aus einem der Pappbecher, die im Stadion verkauft wurden. Er war aufgepeppt; ich konnte den Bourbon deutlich riechen. „Rück ein Stück, JB“, sagte ich, während ich das Lächeln erwiderte. „Dann kann ich neben dir sitzen.“
„ Aber gern“, erwiderte JB, der sich wirklich darüber zu freuen schien, mich zu sehen. Darin lag ein Teil des Charmes, über den dieser junge Mann in solchem Übermaß verfügte. Dazu kamen strahlendweiße Zähne, eine absolut gerade Nase, ein maskulines Gesicht, das aber gleichzeitig so hübsch war, daß man sich bei seinem Anblick stets bemüßigt fühlte, die Hand auszustrecken und JB die Wange zu tätscheln, breite Schultern und eine schmale Taille. Vielleicht war die Taille nicht mehr ganz so schmal, wie sie einst gewesen war, aber das zeigte doch nur, daß auch JB nur ein Mensch war, eine sehr gute Sache meiner Meinung nach! Ich machte es mir zwischen JB und Eggs bequem, woraufhin sich Eggs mit leicht schiefem Grinsen zu mir umwandte.
„Möchtest du was trinken?“
Ich trinke wirklich nur selten, denn ich sehe jeden Tag im Lokal, was Alkohol mit den Leuten macht. „Nein danke“, antwortete ich. „Wie ist es dir ergangen in letzter Zeit, Eggs?“
„Gut!“ erwiderte er, nachdem er ein wenig über meine Frage hatte nachdenken müssen. Eggs hatte schon viel mehr Alkohol intus als Tara. Er hatte zu viel Alkohol intus, viel zu viel.
Bis zum Spielbeginn unterhielten wir uns über alle möglichen Freunde und Bekannten; danach drehte sich alles nur noch um das Spiel selbst, um DAS SPIEL, in Großbuchstaben sozusagen. Jedes einzelne Footballspiel der vergangenen fünfzig Jahre ist nämlich so fest im kollektiven Bewußtsein von Bon Temps verankert, daß man das jeweils stattfindende Spiel mit allen vergangenen vergleichen kann, die Spieler der aktuellen Saison mit allen, die vor ihnen gespielt haben. Inzwischen, seit ich die Kontrolle über meine Gabe derart perfektioniert hatte, konnte ich dieses Gemeinschaftsereignis sogar genießen, da ich getrost so tun konnte, als seien die Menschen rings um mich wirklich das, was sie zu sein vorgaben. Ich hörte keinem einzigen von ihnen im Kopf zu.
Nachdem JB mich mit Komplimenten über meine Frisur und meine Figur überschüttet hatte, rückte er näher an mich heran. JBs Mutter hatte ihren Sohn gut erzogen und ihm frühzeitig beigebracht, daß es eine Frau glücklich macht, wenn sie merkt, daß man sie schätzt. Eine einfache, aber treffende Maxime, die nun auch schon ziemlich lange dafür gesorgt hatte, daß JB den Kopf immer über Wasser behielt.
„Erinnerst du dich an die Ärztin aus dem Krankenhaus?“ fragte er mich im zweiten Viertel.
„Ja. Dr. Sonntag. Witwe.“ Sie war für eine Witwe jung gewesen, und daß sie fertige Ärztin war, hatte man ihr noch weniger angesehen. Ich hatte sie JB vorgestellt.
„Wir waren eine Weile zusammen. Ich und eine Ärztin!“ JB schien das jetzt noch zu wundern.
„Das ist ja toll.“ Etwas Ähnliches hatte ich mir erhofft, als ich die beiden einander vorgestellt hatte. Dr. Sonntag, so war es mir vorgekommen, konnte gut gebrauchen, was JB zu bieten hat, und JB ... nun, der konnte jemanden gebrauchen, der sich um ihn kümmerte.
„Aber dann wurde sie nach Baton Rouge versetzt“, fuhr er ziemlich betroffen fort. „Ich glaube, sie fehlt mir.“ Ein privater Gesundheitsdienstleister hatte unser Krankenhaus gekauft, weswegen die Ärzte, die in der Notfallaufnahme tätig waren, aus anderen Krankenhäusern stammten und nur für jeweils vier Monaten nach Bon Temps versetzt wurden. JB schlang den Arm um meine Schultern. „Aber es ist wirklich wunderbar, dich wiederzusehen!“ verkündete er.
Gepriesen sollte er sein für seine netten Worte! „JB, du könntest nach Baton Rouge fahren und Dr. Sonntag besuchen“, schlug ich vor. „Warum tust du das nicht einfach?“
„Sie ist Ärztin. Sie hat wenig freie Zeit.“
„Wenn du da wärst, würde sie sich Zeit nehmen.“
„Meinst du?“
„Es sei denn, sie ist eine komplette Vollidiotin!“ versicherte ich ihm.
„Dann tue ich das vielleicht. Neulich Abend habe ich sie angerufen; da hat sie gesagt, sie wünschte, ich wäre bei ihr.“
„Ein Wink mit dem Zaunpfahl!“
„Meinst du?“
„Na und ob ich das meine.“
Das schien ihn aufzumuntern. „Morgen fahre ich dann wohl nach Baton Rouge!“ sagte er und drückte mir ein Küßchen auf die Wange. „Sookie, du hast wirklich dafür gesorgt, daß ich mich besser fühle!“
„Danke gleichfalls.“ Ich küßte ihn auf die Lippen, aber wirklich nur ganz kurz.
Dabei sah ich Bill, der zu mir herüberstarrte, als wolle er mich mit seinen Blicken durchbohren.
Portia und er hockten auf der Zuschauertribüne direkt neben der unsrigen, allerdings viel weiter unten. Bill hatte sich umgedreht und sah zu mir herauf.
Besser hätte die Sache nicht laufen können, selbst wenn ich sie geplant hätte. Was für eine Gelegenheit, ihm klipp und klar zu zeigen, was er mich mal konnte!
Schon war der Augenblick ruiniert.
Ich war nämlich einfach nur scharf auf Bill!
Ich löste meinen Blick von ihm, um JB zuzulächeln, aber die ganze Zeit über wollte ich mich nur mit Bill unter der Zuschauertribüne treffen, um es dort an Ort und Stelle mit ihm zu treiben. Er sollte mir das Höschen zerreißen und mich von hinten nehmen. Ich wollte, daß er mich zum Stöhnen brachte.
Ich war derart schockiert über meine eigenen Gefühle, daß ich nicht wußte, wie ich mich verhalten sollte. Ich spürte, wie sich tiefe Röte in mein Gesicht schlich. Nun war ich nicht einmal mehr in der Lage, so zu tun, als würde ich lächeln.
Gut eine Minute später gelang es mir, mich auf die komischen Aspekte der Sache zu konzentrieren. Ich war so konventionell erzogen worden, wie es nur ging - in Anbetracht meiner Behinderung, meine ich. Natürlich hatte ich schon früh mitbekommen, was Frauen und Männer miteinander tun; immerhin konnte ich Gedanken lesen (und hatte als Kind noch überhaupt keine Kontrolle über das, was ich aufschnappte). Ich hatte die Sache mit dem Sex immer recht interessant gefunden, selbst dann noch, als dieselbe Behinderung, die dafür gesorgt hatte, daß ich über Sexualität theoretisch bestens Bescheid wußte, ganz praktisch verhindert hatte, daß ich diese Theorie in die Praxis umsetzte. Es ist unendlich schwer, sich wirklich auf Sex einzulassen, wenn man weiß, daß der Partner wünscht, man wäre Tara Thornton, zum Beispiel, oder wenn er hofft, man hätte daran gedacht, ein Kondom mitzubringen oder wenn er an einzelnen Körperteilen, mit denen er sich gerade befaßt, etwas auszusetzen hat. Wenn man erfolgreichen, guten Sex haben will, muß man sich ganz auf das konzentrieren, was der Partner tut, darf sich auf keinen Fall ablenken lassen durch das, was er denkt.
Bills Gedanken konnte ich nie hören, kein einziges Wörtchen, und er hatte so unendlich viel Erfahrung, er war so fähig, so geschickt, so absolut ehrlich daran interessiert, es richtig zu machen. Offenbar war ich schon ebenso süchtig wie Hugo in Dallas.
Den Rest des Spiels über hockte ich einfach nur da, nickte und lächelte, wenn es angebracht schien, versuchte, nicht nach links unten zu schielen und mußte, als die Showeinlage nach der ersten Halbzeit vorbei war, feststellen, daß ich von den Musikstücken, die die Band gespielt hatte, nicht ein einziges gehört hatte. Auch das Solo von Taras Cousine als Tambourmajorette hatte ich verpaßt. Nachdem Bon Temps mit 28:18 gewonnen hatte und die Zuschauermenge sich langsam Richtung Parkplatz schob, erklärte ich mich bereit, JB nach Hause zu fahren. Eggs war inzwischen etwas nüchterner, weswegen ich davon ausging, Tara und ihm würde schon nichts passieren, aber ich war erleichtert, als ich mitbekam, daß Tara sich ans Steuer setzte.
JB wohnte in einer Doppelhaushälfte in Innenstadtnähe. Sehr lieb bat er mich, doch noch ein bißchen mit ins Haus zu kommen, aber ich erklärte ihm, ich müsse heim. Dann umarmte ich ihn und riet ihm, Dr. Sonntag anzurufen. Wie die Frau mit Vornamen hieß, wußte ich immer noch nicht.
JB versprach mir, dies zu tun, aber bei ihm kann man nie wissen.
Dann mußte ich noch bei unserer einzigen Tankstelle, die die ganze Nacht geöffnet hat, halten, um zu tanken. Dort hatte ich eine lange Unterhaltung mit Arlenes Vetter Derek (der tapfer genug war, dort die Nachtschicht zu übernehmen), weswegen ich etwas später nach Hause kam, als ich eigentlich geplant hatte.
Bill trat aus der Finsternis, als ich gerade die Haustür aufschließen wollte. Ohne ein Wort zu sagen packte er mich beim Arm, drehte mich zu sich herum und küßte mich. Eine Minute später standen wir an die Tür gedrückt, wobei er seinen Körper rhythmisch an meinem rieb. Ich langte hinter mich und fummelte so lange am Türschloß herum, bis sich der Schlüssel endlich im Schloß drehte. Wir stolperten ins Haus. Bill drehte mich so, daß ich mit dem Gesicht zur Couch stand, ich klammerte mich an der Couch fest, und dann riß er mir, genau wie ich es mir vorgestellt hatte, das Höschen entzwei und war in mir.
Ich gab einen heiseren Ton von mir, wie ich ihn noch nie aus meiner Kehle gehört hatte. Bill gab ebenso primitive Geräusche von sich. Ich glaube nicht, daß ich ein einziges Wort zustande gebracht hätte. Seine Hände waren unter meinem Pulli, und sofort ging mein BH entzwei. Er war unbarmherzig. Nachdem ich das erste Mal gekommen war, brach ich fast zusammen. „Nein!“ knurrte er, als ich schlapp zu machen drohte und stieß einfach immer weiter zu. Er erhöhte sein Tempo, bis ich nur noch schluchzen konnte; dann zerriß mein Pullover, und Bills Zähne fanden meine Schulter. Er gab einen tiefen, schrecklichen Laut von sich. Nach ein paar Sekunden, die mir unendlich lang erschienen, war alles vorbei.
Ich keuchte, als sei ich mindestens anderthalb Kilometer gerannt, und auch Bill zitterte. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Kleider zu ordnen, sondern beugte sich statt dessen über meine Schulter, um die kleine Wunde dort zu lecken. Als sie aufgehört hatte zu bluten, zog er mir alles aus, was ich am Leibe trug, ganz langsam. Unten machte er mich sauber, oben küßte er mich.
„Du riechst nach ihm“, war alles, was er sagte. Er machte sich daran, diesen Geruch auszumerzen und durch seinen zu ersetzen.
Nun waren wir im Schlafzimmer. Einen Moment lang hatte ich Zeit, mich zu freuen, daß ich am Morgen frisches Bettzeug aufgezogen hatte, dann war Bills Mund wieder auf meinem.
Wenn ich noch Zweifel gehabt hatte, dann vergingen sie mir nun ein für alle Mal: Bill schlief nicht mit Portia. Ich wußte nicht, was genau er mit ihr im Schilde führte, aber eine Beziehung hatten die beiden nicht. Bill schob die Arme unter mich und drückte mich an sich, so fest ich es ertrug. Mit den Lippen liebkoste er meinen Hals, er knetet meine Hüften, er ließ die Finger an meinen Schenkeln entlang gleiten, küßte meine Kniekehlen. Er badete in mir. „Komm, mach die Beine breit“, flüsterte er mit seiner kalten, dunklen Stimme. Ich kam seiner Bitte nach. Er war schon wieder steif und bereit und benutzte sein Ding grob und rücksichtslos, als wolle er irgend etwas beweisen.
„Sei zärtlich“, waren meine ersten Worte.
„Ich kann nicht. Es ist zu lange her; beim nächsten Mal werde ich zärtlich sein, das schwöre ich“, erwiderte er und fuhr mir mit der Zunge an meiner Kinnlade entlang. Seine Fänge streiften meinen Hals. Fänge, Zunge, Mund, Finger, Männlichkeit: Mir war, als würde ich vom tasmanischen Teufel geliebt. Er war überall, und überall war er in Eile.
Als er auf mir zusammenbrach, war ich erschöpft. Bill rollte sich von mir herunter und lag nun neben mir, ein Bein über das meine geschlagen, ein Arm lag über meiner Brust. Ebenso gut hätte er ein Brandeisen zücken können, das hätte es auch getan, aber ich bezweifle, daß es mir auch nur halb so viel Spaß gemacht hätte.
„Alles klar?“ murmelte er.
„Bis auf den Umstand, daß ich ein paar Mal gegen eine Mauer gelaufen bin“, erwiderte ich kaum hörbar.
Danach schliefen wir beide eine Weile, wonach Bill als erster wieder erwachte, wie er es in der Nacht unweigerlich tat. „Sookie!“ rief er leise. „Schatz! Wach auf.“
„Oh“, sagte ich und kam langsam wieder zu Bewußtsein. Zum ersten Mal seit Wochen erwachte ich in dem unbestimmten Gefühl, die Welt sei in Ordnung. Dann jedoch erinnerte ich mich langsam, aber mit wachsender Bestürzung daran, daß die Welt mitnichten in Ordnung war. Ich öffnete die Augen. Bills Augen waren direkt über mir.
„Wir müssen reden“, sagte er und strich mir das Haar aus dem Gesicht.
„Dann rede.“ Jetzt war ich wach. Ich bereute nicht den Sex, sondern daß wir jetzt die Dinge erörtern mußten, die zwischen uns standen.
„In Dallas habe ich mich hinreißen lassen.“ Bill kam zur Sache. „Vampire tun das nun mal, wenn sich ihnen die Gelegenheit zur Jagd so offen bietet. Wir waren angegriffen worden. Wir haben das Recht, diejenigen aufzuspüren, die uns töten wollen.“
„Das ist ein Rückfall in die Tage der Gesetzlosigkeit“, sagte ich.
„Aber Vampire jagen, Sookie. Das liegt in unserer Natur“, sagte er sehr ernst. „Wie bei Leoparden; wie bei Wölfen. Wir sind keine Menschen. Wir können so tun, als seien wir menschlich, wenn wir versuchen, mit Menschen zusammenzuleben ... innerhalb eurer Gesellschaft. Wir erinnern uns vielleicht manchmal, wie es war, unter euch zu weilen, einer von euch zu sein. Aber wir gehören nicht derselben Rasse an. Wir sind nicht aus demselben Holz geschnitzt.“
Das mußte ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Neu war mir dieser Gedanke nicht: Bill hatte mir das gleiche, wenn auch immer wieder in anderen Worten, schon oft gepredigt, seit wir miteinander gingen.
Oder vielleicht hatte Bill mich wirklich erkannt, seit wir zusammen waren. Vielleicht war es ihm gelungen, mich zu sehen, wie ich war - umgekehrt jedoch hatte ich ihn nicht erkannt, hatte ihn nicht wirklich gesehen, nicht wirklich wahrgenommen als der, der er war. Egal wie oft ich gemeint hatte, mit seiner Andersartigkeit meinen Frieden geschlossen zu haben - jetzt mußte ich feststellen, daß ich eigentlich die ganze Zeit trotzdem noch erwartet hatte, er würde sich letztendlich nicht anderes verhalten als JB du Rone oder Jason oder der Pastor meiner Kirchengemeinde.
„Ich glaube, langsam verstehe ich, was du mir da immer sagst“, stellte ich fest. „Aber du mußt auch wissen, daß es Zeiten geben wird, wo ich diese deine Andersartigkeit nicht werde leiden können. Ich werde manchmal einfach gehen müssen, um mich zu beruhigen. Ich werde es aber ernsthaft versuchen. Ich liebe dich.“ Nun hatte ich ihm das Versprechen gegeben, ihm auf halbem Wege entgegenzukommen; es war Zeit, an meinen eigenen Groll zu erinnern. Ich packte Bill bei den Haaren, drehte ihn so, daß ich mich auf ihn legen und auf ihn herunterschauen konnte und sah ihm von oben direkt in die Augen.
„Nun sag mir, was du mit Portia treibst.“
Während Bill es mir erklärte, ruhten seine großen Hände auf meinen Hüften.
„Portia kam zu mir, als ich aus Dallas zurück war, gleich in der ersten Nacht. Sie hatte in der Zeitung gelesen, was passiert war und wollte von mir wissen, ob ich jemanden gekannt hatte, der an diesem Abend dabei gewesen war. Als ich ihr sagte, ich selbst sei dort gewesen - deinen Namen habe ich nicht erwähnt -, berichtete Portia, sie habe Informationen erhalten, denen zufolge einige der beim Angriff verwendeten Waffen aus einem Laden in Bon Temps stammten, aus Sheridan's Sport Shop nämlich. Ich wollte wissen, wieso sie darüber Bescheid wisse, worauf sie entgegnete, sie könne als Anwältin ihre Quellen nicht preisgeben. Danach fragte ich sie, warum die Sache sie so sehr bekümmere, ob es noch mehr gäbe, was sie mir sagen wolle. Sie sei eine gute Bürgerin, erwiderte sie da, und es passe ihr nicht, wenn andere Bürger verfolgt würden. Daraufhin fragte ich, warum sie mit der Geschichte ausgerechnet zu mir gekommen sei, woraufhin sie antwortete, ich sei der einzige Vampir, den sie kenne.“
Das glaubte ich ebenso wenig, wie ich glaubte, daß Portia eigentlich heimlich Bauchtänzerin war.
Mit zusammengekniffenen Augen ging ich das eben Gehörte Punkt für Punkt noch einmal durch. „Portia schert sich nicht die Bohne um die Rechte von Vampiren“, sagte ich dann. „Vielleicht will sie dir an die Wäsche, aber sie schert sich einen Dreck um die rechtlichen Belange von Vampiren!“
„'Mir an die Wäsche'? Was für eine Ausdrucksweise.“
„Oh, den Spruch hörst du doch bestimmt nicht zum ersten Mal!“ gab ich ein wenig verschämt zurück.
Bill schüttelte den Kopf, und seine Augen glitzerten vor Vergnügen. „Will mir an die Wäsche“, wiederholte er und ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. „Ich würde dir sofort an die Wäsche gehen, wenn du welche an hättest!“ Um seine Worte zu untermalen, fuhr er mit beiden Händen an meinem Körper auf und ab.
„Laß das!“ sagte ich. „Ich versuche zu denken.“
Daraufhin preßte er die Hände gegen meine Hüften und schob mich sacht vor und zurück. Ich bekam allmählich Schwierigkeiten beim Formulieren meiner Gedanken.
„Hör auf, Bill“, sagte ich. „Hör mal, ich glaube, Portia will mit dir gesehen werden, weil sie hofft, daß man sie dann bittet, diesem Sexclub beizutreten, den es hier in Bon Temps angeblich geben soll.“
„Sexclub?“ fragte Bill interessiert, hörte aber nicht auf, mich hin und her zu schaukeln.
„Ja, habe ich dir nicht ... oh Bill! Nein! ... Bill! ... Bill! Ich bin noch ganz fertig vom letzten Mal. Oh. Oh.“ Erst hatten mich seine starken Hände gepackt und gezielt genau auf seine steil aufgerichtete Männlichkeit plaziert, und nun fing er wieder an, mich hin und her zu schaukeln. „Oh“, sagte ich, im Augenblick verloren. Farben tauchten auf und schwebten vor meinen Augen; rascher und immer rascher wurde ich geschaukelt, bis ich meine eigenen Bewegungen gar nicht mehr mitbekam. Diesmal kamen wir gemeinsam, wonach wir uns ein paar Minuten lang keuchend aneinander klammerten.
„Wir sollten uns nie wieder trennen“, sagte Bill.
„Das kann ich so nicht sagen - die Nacht jetzt macht es fast wert, sich getrennt zu haben!“
Ein kleines Nachbeben erschütterte Bills Körper. „Nein“, sagte er. „Das war alles ganz wunderbar, aber viel lieber würde ich einfach für ein paar Tage die Stadt verlassen, als mich noch einmal mit dir zu streiten.“ Er öffnete die Augen weit. „Hast du Eric eine Kugel aus der Schulter gesaugt?“
„Ja! Er sagte, ich müßte sie rausholen, ehe sich das Fleisch darüber wieder schließt.“
„Hat er dir auch gesagt, daß in seiner Hosentasche ein Taschenmesser war?“
Das brachte mich aus der Fassung. „Nein. Er hatte ein Messer? Warum er mir das wohl verschwiegen hat?“
Bill hob die Brauen, als hätte ich gerade etwas höchst Lächerliches gesagt.
„Dreimal darfst du raten!“ sagte er.
„Damit ich an seiner Schulter sauge? Das kann nicht dein Ernst sein.“
Bill blickte einfach weiter skeptisch drein.
„Oh Bill. Ich bin drauf reingefallen. Moment mal - er wurde doch aber angeschossen! Die Kugel hätte mich treffen können, statt dessen traf sie ihn. Er hat mich beschützt.“ „Wie?“
„Indem er sich auf mich legte ...“
„Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.“ In diesem Moment hatte Bill nichts Altmodisches an sich, bis auf seinen Blick. Der war dafür reichlich altmodisch.
„Aber Bill - meinst du wirklich, er ist so durchtrieben?“
Erhobene Brauen waren die einzige Antwort, die ich erhielt.
„Auf mir zu liegen ist keine so große Sache“, protestierte ich, „daß man dafür eine Kugel in Kauf nehmen sollte. Jesses. Das ist bescheuert!“
„Aber nun hast du etwas von Erics Blut in dir.“
„Nur ein oder zwei Tropfen. Den Rest habe ich ausgespuckt“, sagte ich.
„Ein Tropfen oder zwei reichen, wenn man so alt ist wie Eric.“
„Wozu?“
„Er weiß jetzt Dinge über dich.“
„Was für Dinge? Meine Kleidergröße?“
Bill lächelte, was nicht immer ein beruhigender Anblick ist. „Nein. Wie du dich fühlst. Wütend, geil, zärtlich.“
Ich zuckte die Achseln. „Was soll er davon schon haben?“
„Wahrscheinlich ist es nicht wichtig. Aber sei von nun an ein wenig auf der Hut“, warnte Bill, womit es ihm sehr ernst zu sein schien.
„Ich kann immer noch nicht glauben, daß sich jemand absichtlich in eine Lage bringt, in der er unter Umständen eine für mich bestimmte Kugel abbekommen könnte, nur in der Hoffnung, daß ich dann einen Tropfen von seinem Blut schlucke, wenn ich ihm die Kugel raushole!
Das ist doch komplett lächerlich. Weißt du, mir kommt es vor, als hättest du das Thema nur aufgebracht, damit ich aufhöre, dich wegen Portia zu nerven. Aber da hast du dich getäuscht, ich nerve weiter. Ich denke, Portia glaubt, wenn sie mit dir ausgeht, wird sie früher oder später gebeten, diesem Sexclub beizutreten, denn wer willens ist, einen Vampir zu vögeln, der schreckt vor nichts zurück. Das denken die!“ fügte ich hastig hinzu, als ich sah, wie Bills Gesicht sich verfinsterte. „Portia hat sich ausgerechnet, daß sie Sachen herausfinden kann, wenn sie in den Sexclub geht. Daß sie in Erfahrung bringen kann, wer Lafayette umgebracht hat - und dann ist Andy aus dem Schneider.“
„Das ist eine reichlich komplizierte These“, wandte Bill ein.
„Kannst du sie widerlegen?“ Ich war stolz darauf, das Wort widerlegen gebrauchen zu können: Ich hatte es auf meinem Kalender entdeckt, mit dessen Hilfe man jeden Tag ein neues Wort lernen kann.
„Das kann ich tatsächlich nicht.“ Bill schien zu erstarren, wobei seine Augen jedoch reglos und ohne zu blinzeln geradeaus blickten und seine Hände sich entspannten. Da Bill nicht atmete, lag er nun völlig unbeweglich da.
Nach einer ganzen Weile blinzelte er. „Es wäre besser gewesen, sie hätte mir von Anfang an die Wahrheit gesagt.“
„Wehe, du schläfst mit ihr“, erwiderte ich, womit ich endlich zugab, daß die bloße Möglichkeit, Bill könne mit Portia schlafen, mich vor Eifersucht fast blind hatte werden lassen.
„Ich hatte mich schon gefragt, wann du endlich darauf zu sprechen kommst“, sagte Bill. „Als würde ich je mit einer Bellefleur ins Bett steigen. Portia hat nicht das geringste Bedürfnis danach, mit mir zu schlafen. Es fällt ihr sogar schwer, mir vorzuspielen, sie würde es irgendwann einmal tun wollen. Portia ist eine schlechte Schauspielerin. Wenn wir uns treffen, dann nimmt sie mich die meiste Zeit mit auf irgendeine wilde Irrjagd nach diesen Waffenverstecken, die die Bruderschaft hier angeblich unterhält, wobei sie behauptet, alle Mitglieder der Bruderschaft hielten Waffen versteckt.“
„Warum hast du überhaupt mitgemacht?“
„Diese Portia hat etwas Ehrenhaftes an sich. Außerdem wollte ich sehen, ob es dich eifersüchtig macht.“
„Verstehe, und was denkst du jetzt?“
„Jetzt denke ich, es wäre besser, wenn ich dich nie wieder so nah bei diesem hübschen Idioten sehe.“
„JB? Ich bin für ihn wie eine Schwester“, sagte ich.
„Du vergißt, daß du mein Blut getrunken hast und daß ich mitbekomme, was du fühlst“, sagte Bill. „Ich glaube nicht, daß du ihm gegenüber wie eine Schwester empfindest.“
„Das würde auch erklären, warum ich hier mit dir im Bett liege, was?“
„Du liebst mich.“
Ich lachte gegen seine Kehle.
„Der Morgen graut“, sagte Bill. „Ich muß gehen.“
„Gut.“ Ich lächelte zu ihm empor, während er seine Kleider zusammensuchte. „Halt: Du schuldest mir einen Pulli und einen BH. Zwei BHs. Gabe hat einen zerrissen, der Verlust dieses Kleidungsstücks steht in direktem Zusammenhang mit unserer Arbeit, und du privat hast diese Nacht auch einen BH zerrissen, und meinen Pullover dazu.“
„Darum habe ich ja auch ein Geschäft für Damenbekleidung gekauft“, konterte Bill. „Damit ich reißen kann, wenn ich will.“
Ich lachte und legte mich wieder hin. Ich konnte noch ein paar Stunden schlafen. Ich lächelte immer noch, als Bill mein Haus verließ, und am nächsten Morgen erwachte ich mit einer großen Leichtigkeit im Herzen, die ich schon sehr lange nicht mehr verspürt hatte. Zumindest kam es mir vor, als sei mir schon lange nicht mehr so leicht ums Herz gewesen. Ich mußte auf dem Weg zum Bad, wo ich mir die Wanne mit heißem Wasser vollaufen ließ, um mich genußvoll hineinzulegen, noch etwas vorsichtig gehen. Als ich anfing, mich zu waschen, spürte ich etwas in meinen Ohrläppchen, erhob mich und sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Im Schlaf hatte mir Bill die Topasohrringe angesteckt.
Er hatte gern das letzte Wort.
* * *
Da geheim geblieben war, daß Bill und ich uns wieder versöhnt hatten, war ich die erste, die aufgefordert wurde, den Sexclub zu besuchen. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, daß man ausgerechnet mich einladen könnte, aber als es geschehen war, schien es mir mit einem Mal auch ganz logisch. Wenn schon Portia gedacht hatte, man würde sie einladen, wenn sie sich mit einem Vampir zeigte, dann war ich ja so etwas wie ein Filetstückchen für den Club.
Ich war überrascht und schockiert, daß ausgerechnet Mike Spencer mir gegenüber das Thema zur Sprache brachte. Mike war der Bestattungsunternehmer und amtliche Leichenbeschauer von Bon Temps; unser Verhältnis war nicht immer durch und durch herzlich gewesen. Aber ich kannte den Mann dennoch schon mein ganzes Leben lang und war es gewöhnt, ihm mit Respekt zu begegnen, eine Gewohnheit, die abzulegen mir schwerfiel. Mike trug an dem Abend, als er ins Merlottes kam, seine Berufskleidung, denn an diesem Tag hatten die Menschen in seinem Institut von Mrs. Cassidy Abschied nehmen können. Mike trug also einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd, eine gestreifte Krawatte in gedeckten Farben und blankpolierte Lackschuhe, wodurch er wie ein ganz anderer Mann wirkte, denn für gewöhnlich trug er am liebsten Lederkrawatten und spitze Cowboystiefel.
Da Mike mindestens zwanzig Jahre älter war als ich, hatte ich ihn immer wie einen der Älteren behandelt. Ich war so entsetzt, daß es mir fast die Sprache verschlug, als er an diesem Abend mit seinem Anliegen an mich herantrat. Er hatte allein gesessen, was an und für sich schon so ungewöhnlich war, daß es mir gleich auffiel. Ich brachte ihm einen Burger und ein Bier. Beim Zahlen sagte er: „Sookie, ein paar von uns treffen sich morgen abend im Strandhaus von Jan Fowlers unten am See. Wir haben uns gefragt, ob wir dich bewegen könnten, dich uns anzuschließen.“
Nun habe ich ja das große Glück, über gut trainierte Gesichtszüge zu verfügen, denn ich fühlte mich, als hätte sich direkt vor meinen Füßen ein Abgrund aufgetan. Mir war richtig schlecht. Ich verstand sofort, wie Mike seine Einladung gemeint hatte, aber ich wollte es einfach nicht für möglich halten. So öffnete ich mein Visier, um Mike zuzuhören, während ich gleichzeitig fragte: „Ein paar von uns? Wer denn, Mr. Spencer?“
„Warum nennst du mich nicht Mike, Sookie?“ Ich nickte, schaute aber die ganze Zeit über in seinen Kopf. Oh Himmel hilf, igitt! „Ein paar von deinen Freunden werden auch da sein“, erklärte Mike. „Eggs, Portia, Tara und die Hardaways.“
Tara und Eggs - das schockierte mich wirklich.
„Was passiert denn auf diesen Partys? Es wird getrunken, ein wenig getanzt?“ Es wunderte Mike nicht weiter, daß ich diese Frage stellen mußte; ganz egal, wie viele Menschen wissen, daß mir nachgesagt wird, Gedanken lesen zu können - so richtig glauben tut das niemand, trotz aller Beweise. Also glaubte auch Mike nicht daran, daß ich die Bilder und gedanklichen Konzepte, die in seinem Kopf herumschwebten, empfangen konnte.
„Na ja, es geht eher etwas wild zu, könnte man wohl sagen. Wir haben an dich gedacht, weil du dich doch von deinem Freund getrennt hast. Bei uns kannst du ein wenig die Sau rauslassen.“
„Ich werde es mir überlegen, und vielleicht komme ich ja“, erwiderte ich zurückhaltend, denn ich wollte mich nicht gleich allzu erpicht zeigen. „Wann geht es los?“
„So gegen zweiundzwanzig Uhr morgen abend.“
„Danke für die Einladung“, sagte ich, als hätte ich mich gerade wieder an meine guten Manieren erinnert. Dann schlenderte ich mit meinem Trinkgeld von dannen, um die wenigen Minuten, die mir noch bis Schichtende verblieben, angestrengt nachzudenken.
Was konnte ich erreichen, wenn ich dort hinging? Würde es mir gelingen, etwas herauszufinden? Etwas, was zur Aufklärung der Umstände von Lafayettes Tod beitrug? Eigentlich konnte ich Andy ja nicht leiden, und Portia gefiel mir mittlerweile noch weniger, aber es wäre nicht fair, wenn Andy wegen einer Sache, an der er keine Schuld trug, vor Gericht stehen müsse und seinen guten Ruf einbüßte. Andererseits würde mir wohl keiner der Partygäste im Strandhaus irgendwelche dunklen Geheimnisse anvertrauen, wenn ich nicht regelmäßiger Gast ihrer Treffen wurde. Das war nur logisch, aber ich wußte genau, daß ich es nicht schaffen würde, dort häufiger hinzugehen. Mir war noch nicht einmal klar, ob ich eine einzige Party würde durchstehen können. Zuzusehen, wie meine Nachbarn und Freunde 'die Sau' rausließen, war ungefähr das letzte, was ich wollte. Weder die Sau wollte ich sie rauslassen sehen noch irgend etwas anderes!
„Was ist denn?“ fragte plötzlich Sam so dicht hinter mir, daß ich vor Schreck einen kleinen Satz tat.
Ich sah ihn an, wobei ich mir sehr wünschte, ich könnte ihn fragen, was ihm selbst gerade durch den Kopf ging. Sam war stark, zäh und sehr klug. Die Buchhaltung, die Bestellungen, alle Reparaturarbeiten, die Planung der Arbeit im Merlottes, das alles schien ihm nie etwas auszumachen. Sam war ein durch und durch eigenständiger Mann, der sein Leben allein meisterte. Ich mochte ihn sehr und vertraute ihm.
„Ich stecke in der Klemme“, sagte ich. „Was läuft bei dir so?“
„Ich bekam gestern einen interessanten Telefonanruf.“
,Ja? Wer hat denn angerufen?“
„Eine Frau aus Dallas mit einer quietschenden Stimme.“
„Ach ja?“ Ich lächelte, ein richtiges Lächeln, nicht das Grinsen, das ich aufsetze, wenn ich nicht will, daß andere mitbekommen, wie nervös ich bin. „Könnte sie mexikanischer Herkunft gewesen sein?“
„Ich glaube schon. Dein Name fiel auch.“
„Sie ist recht lebhaft“, sagte ich.
„Sie hat viele Freunde.“
„Sind das Freunde, die du auch gern hättest?“
„Ich habe schon ein paar sehr gute Freunde“, sagte Sam und drückte mir kurz die Hand. „Aber es ist immer gut, Leute zu kennen, mit denen einen gemeinsame Interessen verbinden.“
„Dann fährst du also nach Dallas?“
„Könnte sein. Erst einmal hat sie mir die Namen von ein paar Leuten in Ruston genannt, die auch ...“
Jedesmal bei Vollmond ihre Erscheinung ändern, vollendete ich den Satz im Geiste.
„Wie hat sie dich denn gefunden? Ich hatte ihr deinen Namen nämlich absichtlich nicht verraten, weil ich nicht wußte, ob dir das recht wäre.“
„Dich hat sie gefunden“, antwortete Sam. „Dann hat sie herausgefunden, wo du arbeitest und wer dein Chef ist. Mit Hilfe hiesiger ... Leute.“
„Wie kommt es, daß du dich nie von dir aus mit denen in Verbindung gesetzt hast?“
„Mir ist jetzt klar, daß es noch sehr viele Dinge gibt, die ich lernen muß, nachdem du mir von der Mänade erzählt hattest“, sagte Sam.
„Sam! Du hast dich doch nicht etwa mit der Mänade herumgetrieben?“
„Ich habe ein paar Abende mit ihr im Wald verbracht. Als Sam und in meiner anderen Haut.“
„Aber sie ist doch so böse!“ sprudelte es aus mir heraus.
Sam versteifte sich. „Sie ist ein übernatürliches Wesen, wie ich“, sagte er ruhig. „Sie ist weder gut noch böse, sie ist einfach nur.“
„Blödsinn!“ Ich konnte es nicht fassen, daß ich mir aus Sams Mund solche Worte anhören mußte. „Wenn sie dir einen solchen Unsinn eintrichtert, dann will sie was von dir.“ Mir fiel wieder ein, wie schön die Mänade gewesen war - wenn einem die Blutflecken nichts ausmachten. Sam als Gestaltwandler scherte sich wohl nicht um derlei. „Oh!“ rief ich dann, denn mit einem Mal war mir alles klar. Sams Gedanken konnte ich zwar nicht klar und deutlich lesen, denn er war ja ein übernatürliches Wesen, aber einen Blick auf seinen Gefühlszustand erhaschte ich schon: Sam war beschämt und geil, ungehalten und - geil!
„Oh“, wiederholte ich ein wenig steif. „Entschuldige, Sam, ich wollte nicht schlecht von jemandem reden, den du ... du ... na...“, 'vögelst' konnte ich ja wohl kaum sagen, egal wie treffend das Wort war. „Mit der du Zeit verbringst“, beendete ich also etwas lahm meinen Satz. „Ich glaube dir gern, daß sie wunderbar ist, wenn man sie erst einmal kennengelernt hat. Natürlich mag mein Vorurteil ihr gegenüber auch daher rühren, daß sie mir den Rücken in Fetzen gehauen hat. Ich werde mich bemühen, zukünftig weniger voreingenommen zu sein.“ Dann stolzierte ich davon, um eine Bestellung aufzunehmen und ließ Sam einfach so mit offenem Mund dastehen.
Ich sprach eine Nachricht auf Bills Anrufbeantworter. Da ich nicht wußte, was Bill in Bezug auf Portia vorhatte, ging ich davon aus, daß möglicherweise jemand bei ihm war, wenn er seine Nachrichten abhörte, also sagte ich: „Bill, bin morgen zu einer Party eingeladen. Sag mir bitte Bescheid, ob ich deiner Meinung nach hingehen sollte oder nicht.“ Ich nannte keinen Namen, denn Bill würde meine Stimme erkennen. Unter Umständen hatte Portia ja eine identische Nachricht hinterlassen! Der bloße Gedanke macht mich ganz fuchsig.
Halb hoffte ich, als ich in dieser Nacht nach Hause fuhr, Bill würde mir erneut in erotischer Manier auflauern, um mich hinterrücks zu überfallen, aber Haus und Garten lagen still und stumm da. Meine Stimmung besserte sich erst wieder, als ich sah, daß das Lämpchen an meinem AB blinkte.
„Sookie“, sagte Bills weiche Stimme, „geh nicht in den Wald. Unser Tribut hat der Mänade nicht gefallen. Eric wird morgen nacht in Bon Temps sein, um mit ihr zu verhandeln, und vielleicht holt er dich dazu. Die - anderen Menschen - aus Dallas, die dir geholfen haben, verlangen eine unverschämte Entschädigung von den Vampiren dort, also fliege ich mit Anubis rüber, um mich mit ihnen zu treffen. Stan Davis wird auch bei dem Treffen dabeisein. Du weißt ja, wo ich absteige.“
Mist! Bill würde nicht in Bon Temps sein, um mir notfalls zu helfen, und ich konnte ihn auch nicht erreichen. Oder doch? Es war ein Uhr morgens. Ich wählte die Nummer des Silent Shore Hotels, die ich mir in meinem Adreßbuch notiert hatte. Bill war jedoch leider noch nicht eingetroffen, auch wenn man seinen Sarg (der Empfangschef sprach diskret von Bills 'Gepäck') schon auf sein Zimmer geschafft hatte. Ich hinterließ eine Nachricht, die ich aber aus Vorsicht so verschlüsselt formulierte, daß sie unter Umständen unverständlich war.
Nun war ich müde, denn ich hatte in der Nacht zuvor wenig Schlaf bekommen. Auf keinen Fall jedoch wollte ich allein auf diese Party im Strandhaus gehen, also stieß ich einen tiefen Seufzer aus und rief dann im Fangtasia an, der Vampir-Bar von Shreveport.
Dort meldete sich ein Tonband; ich erkannte Pams Stimme: „Sie sind mit dem Fangtasia verbunden, wo jede Nacht die Untoten lebendig werden.“ Pam war eine der Besitzerinnen des Fangtasia. „Wenn Sie unsere Öffnungszeiten erfragen wollen“, fuhr ihre Stimme fort, „dann drücken Sie bitte die eins. Reservierungen für Partys: Drücken Sie die zwei. Möchten Sie mit einem lebenden Menschen oder einem untoten Vampir sprechen, dann drücken Sie die drei. Wenn Sie uns einen Streich spielen wollen und eine alberne Nachricht auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen, dann sollten Sie bedenken, daß wir in der Lage sein werden, Sie zu finden.“
Ich drückte die drei.
„Fangtasia“, sagte Pam, als sei sie so gelangweilt wie noch niemand zuvor.
„Hi“, sagte ich betont süß, um ein Gegengewicht zu ihrem Ennui zu bilden. „Pam? Sookie hier. Ist Eric da?“
„Der bezaubert gerade das Gesindel“, erwiderte Pam. Ich verstand das so, daß Eric irgendwo im Hauptraum der Bar breitbeinig auf einem Stuhl thronte und wunderschön und höchst gefährlich aussah. Laut Bill gab es Vampire, die einen Vertrag mit dem Fangtasia hatten und sich dort quasi professionell ein- oder zweimal pro Woche blicken ließen. Sie waren verpflichtet, an diesen Abenden jeweils eine bestimmte Zeit zu bleiben. So sollte sichergestellt werden, daß Touristen im Fangtasia immer mit Vampiren rechnen konnten und ihr Kommen nicht einstellten. Eric als Besitzer war fast jeden Abend da. Außer dem Fangtasia existierte in Shreveport ein weiterer Treff für die Untoten, eine Bar, die die Vampire aufsuchten, ohne vertraglich dazu verpflichtet zu sein. In dieses Lokal jedoch würde nie ein Tourist seinen Fuß zu setzen wagen, und auch ich war noch nie dort gewesen. Ehrlich gesagt bekomme ich durch meine Arbeit genug Barleben mit.
„Würden Sie ihm vielleicht das Telefon bringen?“
Pam erklärte sich widerstrebend dazu bereit. „Wie ich höre, hast du in Dallas allerhand erlebt“, sagte sie, während sie sich mit dem Telefon in der Hand auf den Weg machte. Ihre Schritte hörte ich nicht, doch daß sie ging und nicht mehr saß, merkte ich daran, daß der Lärm, den ich im Hintergrund hörte, mal lauter, mal leiser wurde.
„Dallas war unvergeßlich.“
„Wie hat dir Stan gefallen?“
Was sollte ich darauf sagen? „Einen wie ihn gibt es wohl nur einmal.“
„Mir persönlich gefällt ja dieser Stubenhocker-, dieser Streberlook.“
Ich war froh, daß Pam nicht neben mir stand und den erstaunten Blick nicht mitbekam, den ich dem Telefonhörer zuwarf. Daß Pam auch Typen mochte, war mir bisher nicht klargewesen. „Eine feste Freundin schien er nicht zu haben“, meinte ich beiläufig.
„Aha. Na, dann mache ich vielleicht bald mal Urlaub in Dallas.“
Daß Vampire auch Interesse aneinander haben konnten, war mir ebenfalls neu. Ein Liebespaar, das aus zwei Vampiren bestand, hatte ich bislang noch nicht zu Gesicht bekommen.
„Hier bin ich“, meldete sich Eric.
„Hier bin ich“, entgegnete ich, ein wenig belustigt über Erics Art, sich zu melden.
„Sookie, meine kleine Kugellutscherin!“ rief der alte Vampir mit warmer, liebevoller Stimme.
„Eric, mein großer Verarscher.“
„Willst du etwas, mein Schatz?“
„Dein Schatz bin ich nicht, und das weißt du auch. Was das andere betrifft: Bill sagte, du würdest morgen abend herkommen?“
„Ja, ich soll den Wald nach der Mänade durchkämmen. Sie findet unseren Tribut aus Spitzenweinen und Jungbullen unangemessen.“
„Ihr habt der Mänade einen lebendigen Bullen zukommen lassen?“ Einen Moment lang vergaß ich, warum ich in Shreveport angerufen hatte, denn vor meinem geistigen Auge stieg ein Bild von Eric auf, wie er eine Kuh in einen Viehanhänger trieb, mit der Kuh hinaus zur Schnellstraße fuhr, dort auf dem Seitenstreifen hielt und das Tier dann in den Wald scheuchte.
„Ja, das haben wir in der Tat. Pam, Indira und ich.“
„Hat es Spaß gemacht?“
„Ja“, sagte er und hörte sich dabei an, als müsse er sich über sich selbst wundern. „Meine letzte Begegnung dieser Art mit Vieh war schon ein paar Jahrhunderte her. Pam ist ein Stadtmädel, Indira hatte zuviel Respekt vor dem Stier, um eine große Hilfe zu sein - wenn du willst, sage ich dir Bescheid, wenn ich das nächste Mal Vieh transportieren muß. Du kannst gern mitkommen.“
„Danke, das wäre toll“, sagte ich, denn ich war mir ziemlich sicher, daß ich einen solchen Anruf nie erhalten würde. „Eric, ich rufe an, weil du morgen mit mir auf eine Party gehen mußt.“
Es entstand eine lange Pause.
„Ist Bill nicht mehr dein Bettgefährte? Sind die Differenzen, die in Dallas zwischen euch beiden aufgetreten sind, permanenter Art?“
„Ich habe mich falsch ausgedrückt: Ich brauche morgen einen Leibwächter. Bill ist in Dallas.“ Ungeduldig schlug ich mir mit der offenen Hand an die Stirn. „Hör zu, das ist eine lange Geschichte, und ich kann sie dir unmöglich jetzt in aller Ausführlichkeit erklären, aber unter dem Strich geht es darum, daß ich wirklich unbedingt morgen abend auf eine Party gehen muß, bei der es sich in Wirklichkeit um so etwas wie eine - nun, wie eine Orgie handelt, könnte man wohl sagen. Ich brauche jemanden an meiner Seite, falls ... für den Fall der Fälle.“
„Faszinierend!“ meinte Eric, was sich anhörte, als sei er wirklich fasziniert. „Weil ich ohnehin bei euch in der Gegend bin, hast du gedacht, ich könnte dich begleiten? Auf eine Orgie?“
„Du bringst es fertig, fast wie ein Mensch auszusehen“, sagte ich.
„Dann soll die Orgie also unter Menschen stattfinden? Vampire sind nicht zugelassen?“
„Die Orgie wird unter Menschen stattfinden, und niemand weiß, daß auch ein Vampir kommt.“
„Je menschlicher ich aussehe, desto harmloser wirke ich?“
„Ja. Ich muß hin, um die Gedanken der Teilnehmer zu lesen. Sie auszuquetschen, mir zu holen, was ihre Hirne zu bieten haben. Wenn ich sie alle dazu gebracht habe, an eine bestimmte Sache zu denken, damit ich mir diesbezüglich ihre Gedanken anhören und mir ihr Wissen aneignen kann, können wir auch schon wieder gehen.“ Mir war eine prima Idee gekommen, wie ich die Partygäste dazu bringen konnte, an Lafayette zu denken. Jetzt war nur noch die Frage, wie ich das Eric vermitteln sollte.
„Du willst also, daß ich auf eine Orgie unter Menschen gehe, auf der ich nicht willkommen bin, und dann willst du, daß ich wieder abhaue, ehe ich dazu komme, mich zu amüsieren?“
„Ja“, sagte ich, wobei ich vor Anspannung fast quietschte. Wenn schon, denn schon. „Könntest du vielleicht so tun, als wärest du schwul?“
Wieder folgte eine lange Pause. „Wann soll ich da sein?“ fragte Eric dann sanft.
„Laß mich nachdenken. Halb zehn? Damit ich dich kurz instruieren kann?“
„Halb zehn bei dir zu Hause.“
„Ich trage das Telefon jetzt zurück“, teilte Pam mir mit. „Was hast du denn zu Eric gesagt? Er sitzt mit geschlossenen Augen da und schüttelt den Kopf.“
„Lacht er? Wenigstens ein ganz kleines Bißchen?“
„Sieht nicht so aus“, sagte Pam.