Kapitel 3
Widerwillig öffnete ich die Augen. Ich fühlte mich, als hätte ich im Auto übernachtet oder auf einem harten Stuhl mit steifer Rückenlehne meinen Mittagsschlaf gehalten, als sei ich an einem völlig unpassenden, unbequemen Ort eingeschlafen. Ich fühlte mich zerschlagen, und jeder einzelne Knochen tat mir weh. Dicht neben mir auf dem Boden sah ich Pam sitzen, die großen blauen Augen unverwandt auf mich gerichtet.
„Es hat funktioniert!“ stellte die blonde Vampirin fest. „Dr. Ludwig hatte recht.“
„Na toll.“
„Ja, es wäre schade gewesen, dich zu verlieren, ehe wir etwas von dir hatten.“ Welch schockierend pragmatische Sichtweise der Dinge! „Viele Menschen haben mit uns zu tun“, fuhr sie vergnügt fort. „Die Mänade hätte sich ruhig einen von denen aussuchen können. Die sind leichter zu ersetzen.“
„Danke für deine liebevolle Anteilnahme, Pam“, murmelte ich finster. Ich fühlte mich so elend und schlecht, wie man sich überhaupt nur fühlen kann. Mir war, als hätte mich jemand in einen riesigen Bottich Schweiß getaucht und danach durch den Staub gerollt. Selbst meine Zähne fühlten sich an, als seien sie mit einem schmierigen Pelz überzogen.
„Gern geschehen!“ erwiderte Pam munter, wobei es fast schien, als lächle sie. Also ging Pam der Sinn für Humor doch nicht gänzlich ab, was bei Vampiren häufig vorkam. Es gab keine Vampir-Komiker, und Menschenwitze ließen Vampire einfach kalt. Ha ha. Späße, die sie selbst machten, konnten einem aber schon einmal eine Woche lang Alpträume bescheren.
„Was habt ihr mit mir angestellt?“
Pam schlang die Arme um die Knie. „Was Dr. Ludwig gesagt hat. Wir haben uns abgewechselt, Bill, Eric, Chow und ich. Als du fast blutleer warst, begannen wir mit der Transfusion.“
Das mußte ich erst einmal verdauen. Ich dachte ein Weilchen darüber nach, froh, mich in die Bewußtlosigkeit abgemeldet zu haben, so daß ich die ganze Prozedur nicht hatte miterleben müssen. Bill trank immer von mir, wenn wir uns liebten, weshalb ich es mit dem Höhepunkt unserer erotischen Aktivitäten verband. Es wäre mir unheimlich peinlich gewesen, hätte ich bewußt miterleben müssen, wie ich so vielen Leuten Blut 'spendete'. „Wer ist denn Chow?“ fragte ich dann.
„Versuch mal, dich aufzusetzen“, schlug Pam vor. „Chow ist unser neuer Barkeeper. Ein wahres Kunstwerk.“
„Inwiefern?“
„Tätowierungen!“ verkündete Pam, wobei sie einen Moment lang fast menschlich klang. „Für einen Asiaten ist er ziemlich groß gewachsen und hat wunderbare - nun, Tätowierungen eben.“
Ich versuchte, mich interessiert zu zeigen. Ich stemmte mich hoch, spürte dabei jedoch eine gewisse Empfindlichkeit, die mich sehr vorsichtig werden ließ. Es war, als sei mein Rücken mit eben verheilten Wunden übersät, die wieder aufbrechen würden, sollte ich mich ungeschickt verhalten. Pam bestätigte mir dann, daß auch genau das der Fall war.
Außerdem trug ich kein Hemd und auch sonst nichts - oberhalb der Gürtellinie. Unterhalb derselben steckte ich immer noch im meiner Jeans, die unversehrt, wenn auch beeindruckend verdreckt und völlig eklig war.
„Dein Hemd war so zerfetzt, daß wir es dir vom Körper reißen mußten“, sagte Pam, wobei sie nun ganz unverhohlen lächelte. „Wir hatten dich abwechselnd auf dem Schoß. Du wurdest sehr bewundert. Bill war fuchsteufelswild.“
„Fahr zur Hölle“, war die einzige Antwort, die mir einfiel.
„Nun, was das betrifft, wer weiß?“ Pam zuckte die Achseln. „Ich wollte dir ein Kompliment machen. Du mußt eine bescheidene Frau sein.“ Sie stand auf und öffnete den Schrank, der im Zimmer stand. Dort hingen einige Oberhemden; Erics Ersatzkleidung, wie ich annahm. Pam nahm eins vom Bügel und warf es mir zu. Ich reckte mich, und es gelang mir, das Hemd zu fangen. Die Bewegung fiel mir leichter, als ich für möglich gehalten hatte.
„Habt ihr hier eine Dusche?“ Ungern wollte ich mir das blütenweiße Hemd über den verdreckten Körper streifen.
„Hinten im Lagerraum. Neben dem Klo für die Angestellten.“
Das Badezimmer war primitiv, es gab dort aber wirklich eine Dusche sowie Seife und ein Handtuch. Man war allerdings gezwungen, aus der Dusche direkt in den Lagerraum zu treten - für die Vampire wahrscheinlich völlig in Ordnung, denn Sittsamkeit spielt für sie keine Rolle. Pam erklärte sich bereit, an der Tür Wache zu stehen. Ich bat sie auch gleich noch um weitere Hilfe, und mit vereinten Kräften gelang es uns, mich aus meiner Jeans, den Socken und der Unterhose zu schälen. Das ganze schien ihr Spaß zu machen - etwas zuviel, für meinen Geschmack.
Noch nie in meinem Leben war eine Dusche so angenehm gewesen.
Ich war gezwungen, mich langsam und vorsichtig zu bewegen, denn ich fühlte mich zittrig wie nach einer langen, schweren Krankheit, als hätte ich gerade eine heftige Lungenentzündung oder eine fiebrige Grippe überstanden. Etwas Ähnliches war ja auch der Fall. Pam öffnete die Tür weit genug, um mir Unterwäsche durch den Spalt schieben zu können. Eine angenehme Überraschung - bis ich mich dann abgetrocknet hatte und versuchen mußte, mich in diese Unterwäsche zu zwängen. Das Höschen war winzig und derart spitzenbesetzt, daß es den Namen Unterhose kaum verdiente. Wenigstens war es sauber. Als ich mich bei dem Wunsch ertappte, mir in irgendeinem Spiegel anzusehen, welchen Eindruck ich machte, wußte ich, daß es mir schon ein wenig besser ging. Ich zog das Höschen und das weiße Oberhemd an; mehr brachte ich nicht über mich. Dann trat ich barfuß aus der Dusche. Pam hatte inzwischen meine Jeans und alles andere zusammengerollt und in eine Plastiktüte gestopft, damit ich die Sachen mitnehmen und waschen konnte. Meine Sonnenbräune wirkte im Kontrast zu dem blütenweißen Hemd extrem braun. Ganz langsam machte ich mich auf den Weg zurück in Erics Büro, wobei ich in meiner Handtasche nach meiner Bürste suchte. Ich hatte gerade angefangen, mir die verfilzten Haarsträhnen auszukämmen, als Bill eintrat und mir die Bürste aus der Hand nahm.
„Laß mich das machen, Schatz“, sagte er zärtlich. „Wie geht es dir? Zieh doch das Hemd aus, damit ich mir deinen Rücken ansehen kann.“ Etwas nervös kam ich seiner Bitte nach, wobei ich inständig hoffte, im Büro würden sich keine Überwachungskameras befinden. An sich hätte mir das ja egal sein können - eingedenk des Berichts, den Pam mir über meine Heilung geliefert hatte.
„Wie sieht es aus?“ fragte ich Bill.
„Es werden wohl Narben bleiben“, erwiderte mein Freund kurz angebunden.
„Das dachte ich mir schon.“ Narben auf dem Rücken - das war wohl besser als vorne. Genau wie es besser war, Angst zu haben als tot zu sein.
Ich streifte mir das Hemd wieder über, und Bill widmete sich meinem Haar. Es war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Sehr rasch wurde ich müde und mußte mich hinsetzen. Ich sank in Erics Sessel, und Bill baute sich hinter mir auf.
„Warum hat sich die Mänade wohl ausgerechnet mich ausgesucht?“
„Sie wartete wohl einfach auf den ersten Vampir, der des Weges kam. Daß du bei mir warst, war einfach nur ein Bonus für sie - du warst leichter zu verwunden als ich.“
„Ist sie auch dafür verantwortlich, daß wir uns gestritten haben?“
„Nein. Meiner Meinung nach war das Zufall. Ich verstehe immer noch nicht, warum du so wütend warst.“
„Ich bin viel zu müde, um dir das zu erklären. Wir reden morgen, ja?“
Dann kam Eric, zusammen mit einem fremden Vampir. Ich nahm an, es handle sich bei diesem Fremden um Chow, und mir war sofort klar, warum der neue Barkeeper viel Kundschaft anzog. Chow war der erste asiatische Vampir, den ich zu Gesicht bekam, und außergewöhnlich attraktiv dazu. Von oben bis unten tätowiert - zumindest die Teile, die ich sehen konnte -, und zwar mit einem ausgeklügelten Muster von dem ich gehört hatte, es werde von den Mitgliedern der Yakuza bevorzugt. Aber ob Chow zu Lebzeiten ein Gangster gewesen war oder nicht, jetzt wirkte er auf jeden Fall unheimlich. Wenig später glitt auch Pam durch die Tür. „Vorne ist alles zu“, sagte sie. „Auch Dr. Ludwig ist weg.“
Also hatte das Fangtasia für diese Nacht seine Tore geschlossen. Das hieß, es war gegen zwei Uhr morgens. Bill kämmte mich. Ich saß in Erics Sessel, hielt die Hände auf die Oberschenkel gestützt und war mir nur allzu peinlich meiner spärlichen Bekleidung bewußt. Andererseits - Eric war so groß, daß sein Hemd, wenn ich es recht bedachte, mehr von meinem Körper bedeckte als manche meiner Kombinationen aus Shorts und T-Shirt. Ich glaube, es war das unglaublich knappe Höschen, weswegen ich mich so unbehaglich fühlte, und ich trug keinen BH, was niemand übersehen konnte, denn Gott hat es in Sachen Busen sehr gut mit mir gemeint.
Auch wenn meine Kleidung mehr von meinem Körper zeigte, als mir im Moment lieb war, auch wenn alle Anwesenden vor nicht allzu langer Zeit mehr von meinen Titten zu Gesicht bekommen hatten, als sie jetzt sehen konnten - es ging nicht an, daß ich mich schlecht benahm.
„Ich möchte mich bei euch allen dafür bedanken, daß ihr mir das Leben gerettet habt“, sagte ich. Warm und herzlich klang mein Dank nicht, das schaffte ich einfach nicht, aber ich hoffte, die Vampire würden trotzdem hören können, daß er ernst gemeint war.
„Keine Ursache! Es war mir ein wirkliches Vergnügen“, erwiderte Chow mit einem unmißverständlich lüsternen Unterton in der Stimme. Er sprach mit leichtem Akzent, aber ich bin mit den verschiedenen asiatischen Sprachen nicht vertraut genug, um sagen zu können, aus welchem Land er ursprünglich stammen mochte. Sicher war „Chow“ auch nicht sein vollständiger Name, aber keiner der anwesenden Vampire sprach ihn mit einem anderen an. „Ohne das Gift“, fuhr er fort, „wäre die Sache perfekt gewesen.“
Ich spürte, wie sich Bill hinter mir verspannte. Er legte mir die Hände auf die Schultern, und ich langte hoch, um ihm besänftigend die Finger zu streicheln.
„Dein Blut war es wert, auch das Gift zu sich zu nehmen!“ Eric küßte sich die Fingerspitzen, als wolle er das Bouquet meines Blutes in den höchsten Tönen preisen. Igitt.
Pam lächelte. „Jetzt du, Bill“, forderte ich und ließ meinen Kopf zurücksinken, bis er Bills Körper berührte.
„Es war mir eine besondere Ehre“, sagte Bill, wobei es kaum gelang, seine Wut zu unterdrücken.
„Ihr hattet euch gestritten, ehe Sookie den Zusammenstoß mit der Mänade hatte?“ wollte Eric nun wissen. „Habe ich das richtig verstanden? Bezog sich Sookies Frage, als wir hereinkamen, auf diesen Streit?“
„Das ist unsere Privatangelegenheit“, fuhr ich ihn an, woraufhin die drei Vampire einander zulächelten. Das mißfiel mir sehr. „Warum hast Du uns eigentlich für heute abend hierher zitiert?“ fragte ich schnippisch, wobei ich hoffte, mit dieser Frage vom Thema Bill und Sookie ablenken zu können.
„Erinnerst du dich noch an das Versprechen, das du mir gegeben hast? Du hast versprochen, deine geistigen Fähigkeiten in meinen Dienst zu stellen und mir bei gewissen Dingen behilflich zu sein, so lange ich einwillige, die beteiligten Menschen am Leben zu lassen.“
„Natürlich erinnere ich mich.“ Ich vergesse nie ein Versprechen, schon gar nicht eins, das ich einem Vampir gegeben habe.
„Seit Bill als Ermittler für den fünften Bezirk arbeitet, sind hier nicht mehr viele Dinge passiert, die hätten aufgeklärt werden müssen. Aber im sechsten Bezirk, in Texas, wird dein spezielles Talent gebraucht. Also haben wir dich an die Vampire dort ausgeliehen.“
Man hatte mich ausgeliehen wie eine Kettensäge oder eine Hacke! Ob die Vampire in Dallas wohl eine Bürgschaft hatten hinterlegen müssen für den Fall, daß Beschädigungen an mir auftraten?
„Ich gehe nicht ohne Bill.“ Ich schaute Eric ruhig in die Augen. Bills Hand schloß sich leicht um meine Schulter. Da wußte ich, daß ich das Richtige gesagt hatte.
„Bill wird auf jeden Fall bei dir sein. Wir haben mit denen aus Dallas zähe Verhandlungen geführt!“ Eric grinste zufrieden. Das hatte eine ziemlich verunsichernde Wirkung auf mich, denn irgend etwas schien ihn sehr zu erfreuen, weswegen seine Fangzähne ausgefahren waren. „Für uns bestand natürlich die Gefahr, daß sie dich einfach behalten oder ermorden würden, also war von Anfang an klar, daß keine Abmachung zustande kommen würde, wenn sie nicht einer Begleitperson zustimmten, und wer käme da eher in Frage als Bill? Sollte irgendein unvorhergesehener Faktor auftreten und Bill nicht mehr in der Lage sein, dich zu beschützen, schicken wir dir umgehend einen anderen Begleiter. Die Vampire in Dallas haben sich außerdem einverstanden erklärt, dir einen Wagen mit Chauffeur zur Verfügung zu stellen. Sie sorgen selbstverständlich auch für Unterkunft und Verpflegung, und eine hübsche Bezahlung ist ebenfalls vorgesehen. Davon steht Bill ein Prozentsatz zu.“
Wieso das, wo ich doch die Arbeit machte? „Deine finanziellen Regelungen mit Bill mußt du selbst treffen“, fuhr Eric aalglatt fort, als wüßte er, was mir gerade durch den Kopf gegangen war. „Sicher wird er dich für den Lohnausfall entschädigen, der dir entsteht, wenn du nicht in deinem Lokal arbeiten kannst.“
Hatte sich Knigge je mit dem Thema „Wenn Ihr Liebster Ihr Manager wird“ befaßt?
„Warum eine Mänade?“ fragte ich, und da waren sie alle sehr erstaunt. Ich konnte nur hoffen, das Wort richtig ausgesprochen zu haben. „Niaden gehören zum Wasser und Dryaden zu den Bäumen, habe ich recht? Warum da draußen im Wald also eine Mänade? Waren die Mänaden nicht Frauen, die Dionysos in den Wahnsinn getrieben hatte?“
„Sookie, du verfügst ja über ungeahnte Tiefen!“ sagte Eric nach einer bedeutsamen Pause. Daß meine Kenntnisse aus einem Kriminalroman stammten band ich ihm natürlich nicht auf die Nase. Sollte er ruhig denken, ich läse die klassische griechische Literatur im Original! Schaden konnte das auf keinen Fall.
Chow sagte: „Dionysos ist in manche Frauen so vollständig eingedrungen, daß auch sie dadurch unsterblich wurden oder zumindest einen Zustand erreichten, der der Unsterblichkeit sehr nahe kommt. Dionysos war natürlich der Gott der Traube, also interessieren sich die Mänaden sehr stark für Bars. Ihr Interesse, wenn man so sagen kann, ist derart intensiv, daß sie es wirklich nicht gern sehen, wenn sich andere Geschöpfe der Dunkelheit überhaupt mit dem Alkoholausschank befassen. Mänaden finden, das Gewaltpotential, das sich entwickelt, wenn Alkohol getrunken wird, gehöre ausschließlich ihnen. Nun, da niemand mehr offiziell Dionysos anbetet, ernähren sie sich von diesem Gewaltpotential, und wo sie Stolz wittern, da fühlen sie sich angezogen.“
Da fiel bei mir der Groschen. Hatten nicht Bill und ich beide in dieser Nacht deutlich unseren Stolz zu spüren bekommen?
„Wir hatten nur gerüchteweise gehört, daß sich eine in der Gegend aufhält“, sagte Eric. „Bis Bill dich herbrachte.“
„Wovor warnte sie euch? Was will sie?“
„Tribut“, sagte Pam. „Wir glauben zumindest, daß sie das will.“
„Was für eine Art Tribut?“
Pam zuckte die Achseln. Wie es aussah, würde ich keine weiteren Antworten mehr bekommen.
„Oder wen als Tribut?“ bohrte ich weiter. Die Antwort war Schweigen. Wortlos starrten die Vampire mich an. Ich stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Was tut sie, wenn ihr ihr keinen Tribut zahlt?“
„Dann schickt sie ihren Wahnsinn.“ Bill klang besorgt.
„In die Bar? Ins Merlottes?“ Es gab allerdings auch noch genügend andere Bars in der Gegend.
Die Vampire sahen einander an.
„Oder in einen von uns“, sagte Chow. „Das kam schon vor. Das Halloween-Massaker in St. Petersburg 1876.“
Alle drei nickten. Sie wirkten sehr ernst. „Ich war da“, sagte Eric. „Zwanzig von uns mußten anrücken, um aufzuräumen. Wir sahen uns gezwungen, Gregory zu pfählen; dazu waren wir allesamt vonnöten. Danach hat die Mänade, Phryne, ihren Tribut bekommen, das kannst du mir glauben.“
Die Dinge mußten ziemlich ernst gewesen sein, wenn die Vampire einen der ihren gepfählt hatten. Einmal hatte Eric einen Vampir gepfählt, der ihn bestohlen hatte, und Bill hatte mir hinterher erzählt, Eric habe für diese Tat eine erhebliche Strafe zahlen müssen. An wen, das hatte Bill mir nicht erzählt. Es gab Dinge, die ich nicht wissen wollte. Es war mir einfach lieber so.
„Ihr werdet also Tribut an die Mänade zahlen?“
Die vier tauschten sich gedanklich aus, das spürte ich deutlich. „Ja“, erwiderte Eric dann. „Es ist besser so.“
„Mänaden sind schwer zu töten“, sagte Bill, und in seiner Stimme lag ein fragender Unterton.
Eric erschauderte. „Ja“, sagte er. „Oh ja.“
* * *
Auf der Fahrt zurück nach Bon Temps wechselten Bill und ich nur wenige Worte. Ich hatte unzählige Fragen, die den vergangenen Abend betrafen, aber ich war einfach hundemüde und fühlte mich immer noch wie zerschlagen.
„Sam sollte davon erfahren“, sagte ich schließlich, als wir bereits vor meinem Haus standen.
Bill ging um das Auto herum, um mir die Beifahrertür zu öffnen. „Warum?“ Damit reichte er mir die Hand, um mich aus dem Wagen zu ziehen, denn er wußte, daß ich immer noch kaum laufen konnte.
„Weil...“ Dann hielt ich inne. Zwar wußte Bill, daß Sam ein übernatürliches Wesen war, aber ich wollte ihn nur ungern daran erinnern. Sam besaß eine Bar, und als uns die Mänade angehalten hatte, waren wir näher an Bon Temps gewesen als an Shreveport.
„Sam hat zwar eine Bar, aber eigentlich dürfte ihm nichts geschehen“, erklärte Bill, und das klang im Grunde auch ganz vernünftig. „Außerdem sagte die Mänade, ihre Botschaft sei für Eric bestimmt.“
Das stimmte.
„Du denkst zu viel über Sam nach. Das paßt mir nicht“, fuhr Bill fort, woraufhin ich mit offenem Mund zu ihm hinaufstarrte.
„Bist du etwa eifersüchtig?“ wollte ich wissen. Bill war es ganz und gar nicht recht, wenn sich andere Vampire für mich zu interessieren schienen, aber bisher hatte ich angenommen, hier handle es sich um eine Frage des Reviers. Mir war nicht klar, was ich von dieser neuen Entwicklung halten sollte. Noch nie war jemand meinetwegen eifersüchtig geworden.
Bill schwieg auf eine sehr unhöfliche Art und Weise.
„Na ja“, sagte ich nachdenklich. „Na ja!“ Dabei grinste ich vor mich hin, während Bill mir aus dem Auto und die Stufen hinauf half. Dann begleitete er mich fürsorglich durch mein altes Haus bis in mein Zimmer. Mein Zimmer war das, in dem so viele Jahre lang meine Großmutter geschlafen hatte. Jetzt waren die Wände in einem freundlichen Pastellgelb gestrichen. Fensterrahmen und Panelen hatte ich mattweiß lackiert, und auch die Vorhänge waren mattweiß, mit vielen Blumen. Die Tagesdecke auf dem Bett paßte zu den Vorhängen.
Ich ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen und ein, zwei andere unbedingt notwendige Dinge zu erledigen. Dann trat ich, immer noch mit Erics Hemd bekleidet, wieder ins Schlafzimmer.
„Zieh das aus“, sagte mein Liebster.
„Bill, hör zu, normalerweise wäre ich ja bestimmt genauso scharf wie du, aber heute ...“
„Ich mag dich nur nicht in dem Hemd sehen.“
Na, na, na! Daran könnte ich mich ja glatt gewöhnen. Andererseits - sollte Bill diese Eifersucht wirklich bis ins Extrem ausleben wollen, dann konnte das unter Umständen auch ganz schön anstrengend werden!
„Na gut“, sagte ich mit einem tiefen, unüberhörbaren Seufzer. „Dann ziehe ich das olle Hemd eben aus.“ Ganz langsam machte ich mich an den Knöpfen zu schaffen, wobei mir nicht entging, daß Bill jeder einzelnen Bewegung meiner Finger ganz genau folgte. Immer weiter ging es die Knopfleiste herunter, immer weiter klafft das Hemd vorn auseinander. Schließlich ließ ich es fallen. Nackt, nur mit Pams blütenweißer Unterhose bekleidet, stand ich vor Bill.
„Oh!“ keuchte er. Das war Tribut genug für mich. Die Mänade konnte getrost zur Hölle fahren. Allein der Anblick von Bills Gesicht sorgte dafür, daß ich mir vorkam wie eine Göttin.
Vielleicht sollte ich an meinem nächsten freien Tag einmal das „Foxy Femme“, den Dessousladen in Ruston, aufsuchen? Unter Umständen führte ja auch der neue Laden, den Bill gekauft hatte, schicke Unterwäsche.
* * *
Sam zu erklären, warum ich unbedingt nach Dallas reisen mußte, war nicht ganz einfach. Sam hatte sich wunderbar verhalten, als meine Großmutter ums Leben gekommen war, und ich sah mittlerweile einen guten Freund in ihm, einen wunderbaren Chef ohnehin. Manchmal spielte er sogar (wirklich nur von Zeit zu Zeit) in meinen sexuellen Phantasien mit. Letztlich teilte ich ihm dann lediglich mit, ich würde ein paar Tage Urlaub nehmen. Um Urlaub hatte ich noch nie zuvor gebeten. Es war Sam gelungen, ganz allein darauf zu kommen, was ich vorhatte und worin meine Abmachung mit den Vampiren bestand. Die Sache schien ihm nicht zu gefallen. Mit glühenden Augen saß er vor mir, das Gesicht wie in Stein gemeißelt. Selbst seine rotgoldenen Haare schienen mißbilligend zu lodern. Er wollte das Thema nicht ansprechen, hatte sich in der Frage praktisch selbst einen Maulkorb verpaßt, aber es war ganz offensichtlich so, daß Sam dachte, Bill hätte in die Pläne seiner Kollegen nicht einwilligen, nicht zulassen dürfen, daß ich nach Dallas fuhr. Aber die Umstände, auf denen meine Beziehung zu den Vampiren beruhte, waren Sam nicht im einzelnen vertraut. Umgekehrt verhielt es sich ebenso: Von den Vampiren, die ich kannte, wußte nur Bill, daß Sam ein Gestaltwandler war. Allerdings bemühte ich mich stets, Bill nicht noch extra an diese Tatsache zu erinnern; ich wollte nicht, daß Bill mehr über Sam nachdachte, als er es ohnehin schon tat. Sonst kam er womöglich noch auf die Idee, in Sam einen Feind zu sehen und sich entsprechend zu verhalten. Das wollte ich ganz und gar nicht. Wenn man Bill zum Feind hatte, dann bedeutete das, man hatte einen wirklich furchterregenden Feind.
Nach all den Jahren, in denen ich ununterbrochen unerwünschte Informationen aus den Köpfen anderer Leute hatte aufschnappen müssen, beherrschte ich die Kunst, Geheimnisse zu wahren und mir nichts anmerken zu lassen wirklich meisterhaft. Aber ich muß zugeben, daß es mir sehr schwerfiel, Sam und Bill säuberlich voneinander getrennt zu halten.
Sam lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück, nachdem er sich einverstanden erklärt hatte, mir ein paar Tage frei zu geben. Er trug an diesem Tag ein riesiges, eisvogelblaues T-Shirt mit dem Logo des Merlottes, das kaum etwas von seinem muskulösen Oberkörper sehen ließ, dazu alte, aber saubere Jeans und uralte Stiefel mit dicken Sohlen. Ich hockte auf der Kante des Besucherstuhls vor Sams Schreibtisch. Die Bürotür in meinem Rücken war zu. Ich wußte, daß dahinter unmöglich jemand stehen und unserer Unterhaltung zuhören konnte. Im Lokal ging es wie stets laut zu. Die Musikbox spielte Zydeco, Leute, die alle schon etwas getrunken hatten, unterhielten sich in voller Lautstärke. Aber wenn man von Mänaden spricht, dann will man trotzdem rein instinktiv die Stimme senken, und so beugte ich mich vor und legte die Unterarme auf Sams Schreibtisch.
Unwillkürlich tat Sam es mir nach und beugte sich nun auch vor. Ich legte ihm die Hand auf den Arm und flüsterte: „Sam, draußen auf der Straße nach Shreveport ist eine Mänade.“ Einen Moment lang wirkte er völlig verblüfft. Dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Er brauchte mindestens drei Minuten, um sich von seinem Anfall zu erholen. In der Zeit wurde ich ordentlich wütend. „Es tut mir leid, es tut mir leid“, wiederholte Sam ständig, aber das half auch nichts, er prustete gleich danach immer wieder los. Können Sie sich vorstellen, wie nervtötend so ein Lachkrampf ist, wenn man selbst der Auslöser ist? Sam stand auf und kam um den Tisch herum, wobei er sich immer noch sichtlich zusammenreißen mußte, um nicht gleich wieder loszukichern. Da er nun stand, stand auch ich auf, aber ich schäumte vor Wut. Er packte mich bei den Schultern. „Es tut mir wirklich leid, Sookie“, beteuerte er noch einmal. „Ich habe noch nie eine Mänade gesehen, aber von dem, was man so hört, sind sie ziemlich gräßlich. Was aber hat das mit dir zu tun? Die Mänade, meine ich.“
„Weil sie nicht besonders glücklich ist, was du leicht selbst feststellen könntest, würdest du einen Blick auf die Narben auf meinem Rücken werfen“, zischte ich, und schlagartig verging Sam das Lachen.
„Du bist verletzt? Wie ist das passiert?“
Also erzählte ich ihm die Geschichte, wobei ich mir Mühe gab, die Dramatik des Geschehens abzuschwächen und den Beitrag, den die Vampire von Shreveport zu meiner Heilung geleistet hatten, herunterzuspielen. Trotzdem beharrte Sam darauf, die Narben zu sehen. Ich wandte ihm also den Rücken zu, und er hob mein T-Shirt an, allerdings nicht weiter als bis zu meinem BH. Sam gab keinen Laut von sich, aber ich spürte eine leise Berührung auf der Haut, und eine Sekunde später wurde mir klar, daß mein Chef mich gerade auf den Rücken geküßt hatte. Ich erzitterte. Er zog das T-Shirt wieder über die Narben und drehte mich um.
„Sookie, es tut mir wirklich sehr leid!“ murmelte er, und von seinem Lachkrampf war keine Spur mehr vorhanden. Sam stand ganz nah bei mir, schrecklich nah, ich konnte praktisch die Hitze spüren, die von seiner Haut ausging, die Elektrizität, die in den feinen Härchen auf seinen Unterarmen knisterte.
Ich holte tief Luft. „Ich befürchte, sie könnte irgendwann auch auf dich aufmerksam werden“, erklärte ich. „Was für einen Tribut fordern Mänaden?“
„Sie lieben stolze Männer - das zumindest pflegte meine Mutter meinem Vater zu predigen.“ Einen Augenblick lang dachte ich, Sam mache sich über mich lustig - aber dann sah ich ihn an und stellte fest, daß dem nicht so war. „Sie lieben es, den Stolz eines stolzen Mannes zu brechen und ihn sozusagen kleinzukriegen, das ist ganz wörtlich gemeint.“
„Igitt!“ sagte ich. „Was verschafft ihnen sonst noch Befriedigung?“
„Großwild. Bären, Tiger, so was.“
„Tiger sind in Louisiana schwer aufzutreiben. Vielleicht könnten wir einen Bären auftun, aber wie schaffen wir den dann ins Revier der Mänade?“ Ich dachte eine Weile darüber nach, mir wollte aber keine Lösung einfallen. „Sie will das Wild wohl lebend, nehme ich an“, sagte ich mit einem fragenden Unterton in der Stimme.
Sam, der gar nicht über das Problem nachgedacht, sondern statt dessen mich betrachtet zu haben schien, nickte; dann beugte er sich vor, um mich zu küssen.
Ich hätte es kommen sehen müssen!
Wie warm er war - ganz anders als Bill, dessen Körper nie ganz warm wird. Lauwarm, ja, aber richtig warm nie. Sams Lippen dagegen waren heiß; seine Zunge ebenso. Sein Kuß war lang, intensiv und so unerwartet - sehr aufregend! Als würde einem etwas geschenkt, von dem man nicht gewußt hatte, daß und wie sehr man es sich wünscht.
Sams Arme schlossen sich um mich; meine eigenen schlossen sich um ihn; wir beide legten alles in diesen Kuß - bis ich mit einem Plumps zur Erde zurückkehrte. Ich entzog mich ihm ein wenig, und Sam hob ganz langsam sein Gesicht von meinem.
„Dann wird es ja wirklich Zeit, daß ich mal für ein paar Tage die Stadt verlasse!“ sagte ich.
„Es tut mir wirklich leid, Sookie, aber das wollte ich schon seit ein paar Jahren tun.“
Darauf hätte ich einiges zu erwidern gehabt! Ich riß mich aber zusammen und entschied mich, mich ehrenvoll aus der Affäre zu ziehen. „Sam, du weißt doch, ich bin ...“
„... in Bill verliebt“, vollendete er den Satz.
Ich war nicht ganz sicher, ob ich in Bill verliebt war, aber ich liebte ihn und hatte mich auf eine feste Beziehung mit ihm eingelassen. Um die Sache nicht unnötig kompliziert zu machen, nickte ich nur.
Sams Gedanken konnte ich nie deutlich lesen, denn er war ja ein übernatürliches Wesen. Ich hätte jedoch eine komplette Vollidiotin sein müssen, eine telepathische Null, wenn ich die Wellen der Frustration und Sehnsucht, die von ihm ausgingen, nicht aufgefangen hätte.
„Was ich eigentlich hatte sagen wollen“, meinte ich nach einer Weile - wir hatten uns inzwischen voneinander gelöst und waren ein paar Schritte auseinandergetreten -, „ist folgendes: Wenn diese Mänade ein besonderes Interesse an Bars hat, dann muß man bedenken, daß unsere Bar nicht irgendeine ist. Sie wird, genau wie die Erics in Shreveport, nicht von einem Menschen geleitet. Es wäre also gut, wenn du dich ein wenig in acht nehmen würdest.“
Daß ich ihn warnen wollte, schien Sam aufzumuntern; er schien Hoffnung daraus zu schöpfen. „Ich danke dir, daß du mir von der Sache erzählt hast, Sookie“, sagte er. „Wenn ich mich das nächste Mal wandle, werde ich im Wald auf der Hut sein.“
Auf die Idee, Sam könnte bei einem seiner gestaltwandlerischen Abenteuer mit der Mänade zusammentreffen, war ich noch gar nicht gekommen. Als ich mir ausmalte, wie eine solche Begegnung verlaufen könnte, mußte ich mich ganz schnell wieder setzen.
„Oh nein“, sagte ich vehement. „Wandle dich erst einmal gar nicht mehr.“
„In vier Tagen ist Vollmond“, sagte Sam nach einem Blick in den Kalender. „Dann muß ich es tun. Ich habe schon mit Terry vereinbart, daß er in der Nacht für mich einspringt.“
„Was sagst du Terry, wenn du so etwas mit ihm ausmachst?“
„Ich sage ihm, ich wolle mit einer Frau ausgehen. Er hat noch nie in den Kalender geschaut und nachgerechnet, daß ich ihn jedes Mal bei Vollmond bitte, am Tresen für mich einzuspringen.“
„Das ist ja immerhin etwas. War die Polizei nochmal wegen Lafayette hier?“
„Nein.“ Sam schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Freund Lafayettes eingestellt, Khan.“
„Wie in Shirkan?“
„Wie in Chaka Khan.“
„Gut, aber kann er auch kochen?“
„Er hat auf einem Krabbenkutter gearbeitet, aber die haben ihn gefeuert.“
„Warum?“
„Seines künstlerischen Temperamentes wegen, wenn ich recht verstanden habe“, meinte Sam.
„Davon kann er hier aber auch nicht viel gebrauchen“, erwiderte ich, die Hand schon auf der Türklinke. Ich war froh, noch etwas mit Sam über ganz normale Alltagsdinge geplaudert zu haben, so hatte sich die so plötzliche, aufgeladene Stimmung zwischen uns beiden ein wenig legen können. Wir hatten einander bei der Arbeit noch nie umarmt und uns überhaupt nur ein einziges Mal geküßt: als Sam mich vor einigen Monaten nach unserer einzigen Verabredung heimgebracht hatte. Sam war mein Chef. Es ist nie gut, mit dem Chef etwas anzufangen. Wenn man jedoch noch dazu mit einem Vampir liiert ist, ist es noch weniger gut, mit dem Chef etwas anzufangen, dann kann es unter Umständen sogar fatal sein. Es war an der Zeit, daß Sam eine Frau fand. Möglichst rasch.
Wenn ich Angst habe, lächle ich. Ich strahlte also über das ganze Gesicht, als ich munter verkündete, ich würde mich wieder an die Arbeit machen. Dann trat ich aus der Tür und zog sie hinter mir zu. Was die Dinge betraf, die gerade in Sams Büro geschehen waren, so waren meine Gefühle in höchstem Maße verwirrt. Resolut schob ich sie beiseite und konzentrierte mich darauf, Alkohol unter die Leute zu bringen.
Es war nichts Außergewöhnliches an den Gästen, die sich an diesem Abend im Merlottes drängten. An einem der Tische saß Hoyt Fortenberry, ein guter Freund meines Bruders, und trank mit einigen seiner Kumpel. Kevin Prior - den ich eher in seiner Polizeiuniform zu sehen gewohnt war als in Zivil - saß auch dort, aber es schien ihm an diesem Abend nicht allzugut zu gehen. Er sah aus, als säße er viel lieber neben Kenya, seiner Partnerin, im Streifenwagen. Nun kam auch mein Bruder Jason, am Arm Liz Barrett, die ihm in jüngster Zeit immer häufiger als Armschmuck diente. Liz wirkte stets so, als sei sie erfreut, mich zu sehen, versuchte aber nie, sich einzuschmeicheln. Das rechnete ich ihr hoch an. Meine Oma wäre froh gewesen zu wissen, daß Jason so viel mit Liz zusammen war. Jahrelang hatte sich Jason intensiv und ausschweifend in der Szene herumgetrieben, mit dem Resultat, daß die Szene ihn langsam satt hatte. Der Bestand an Frauen in Bon Temps und Umgebung ist begrenzt; zu lange hatte Jason ungehemmt darin gewildert. Nun war es an der Zeit, dafür zu sorgen, daß der Bestand sich erholen konnte.
Liz schien außerdem bereit, Jasons gelegentliche kleine Zusammenstöße mit dem Gesetz nicht weiter zu beachten.
„Meine kleine Schwester!“ begrüßte mein Bruder mich strahlend. „Bringst du mir und Liz je ein Seven und Seven?“
„Gern“, sagte ich lächelnd. Ich fühlte mich plötzlich so froh und optimistisch, da konnte ich nicht anders, ich hörte Liz einen Moment lang zu. Liz hoffte, Jason würde ihr bald die entscheidende Frage stellen. Je eher, desto besser, denn sie war ziemlich sicher, schwanger zu sein.
Wie gut, daß ich jahrelange Übung darin hatte, mir nichts anmerken zu lassen! Ich brachte den beiden ihre Cocktails, wobei ich mich sorgfältig gegen weitere Gedanken Liz' abschirmte, um nicht unwillentlich noch mehr mitzubekommen, als ich ohnehin schon gehört hatte. Statt dessen grübelte ich fieberhaft darüber nach, was ich nun tun sollte. Das ist eine der unangenehmsten Seiten der Telepathie: Die Dinge, die Menschen nur denken, über die sie aber nicht reden mögen, sind natürlich oft auch die, die andere Menschen (zu denen ich schließlich auch gehöre) nicht wissen wollen. Oder die wir anderen nicht erfahren sollen. Ich habe mehr Geheimnisse zu hören bekommen, als auf eine Kuhhaut gehen, und das können Sie mir gern glauben, nicht eines von ihnen hat mir je irgendwie zum Vorteil gereicht.
Ganz gleich, wer der Papa von Liz' Baby war: Sollte sie schwanger sein, dann war Alkohol das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die junge Frau, wobei ich mitbekam, daß sie an ihrem Glas nur nippte. Dann legte sie beide Hände darum, um es wenigstens teilweise vor eventuellen neugierigen Blicken zu schützen. Jason und Liz unterhielten sich miteinander. Dann wurde mein Bruder von Hoyt angesprochen, weswegen er sich auf seinem Barhocker umdrehte, um seinen alten Schulfreund ansehen zu können. Liz starrte in ihren Drink, als würde sie ihn sich am liebsten in einem Zug einverleiben. Rasch schob ich ihr ein neues Glas zu, das nur 7Up enthielt und ließ das Mixgetränk verschwinden.
Liz blickte erstaunt aus runden braunen Augen zu mir auf. „Cocktails sind nichts für dich“, sagte ich ruhig, woraufhin Liz' mattbraune Haut so weiß wurde, wie es ihr überhaupt nur möglich war. „Du bist vernünftig“, sagte ich. Wie schwierig es mir fiel zu begründen, warum ich mich überhaupt eingemischt hatte, wo es doch meinem persönlichen Verhaltenskodex widersprach, auf unter der Hand erhaltene Informationen in keiner Weise einzugehen. „Du bist vernünftig“, wiederholte ich. „Du kriegst das bestimmt hin.“
In diesem Augenblick drehte sich Jason wieder um, und von einem anderen Tisch riefen sie nach mir und verlangten nach einem weiteren Krug Bier. Ich trat hinter dem Tresen vor, um dem Ruf nach Bier zu folgen - da sah ich Portia in der Tür stehen. Sie sah sich suchend um, die Augen angestrengt zusammengekniffen, um im Halbdunkel, das im Lokal herrschte, überhaupt etwas erkennen zu können. Zu meiner großen Verwunderung stellte sich rasch heraus, daß ich diejenige war, nach der sie Ausschau gehalten hatte.
„Hast du vielleicht mal einen Augenblick Zeit für mich, Sookie?“ sprach sie mich an.
Die persönlichen Gespräche, die ich bisher mit Portia gehabt hatte, ließen sich problemlos an einer Hand abzählen - besser gesagt, fast an einem Finger, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Portia von mir wollte.
„Setz dich“, sagte ich und wies mit dem Kinn auf einen freien Tisch in meinem Bereich. „Ich bin gleich bei dir.“
„Gut. Dann sollte ich wohl auch etwas trinken. Ich hätte gern ein Glas Wein. Merlot.“
„Kommt sofort!“ Sorgfältig schenkte ich ein Glas Wein ein und stellte es auf ein Tablett. Ich ließ einen prüfenden Blick über den Rest meiner Tische gleiten, und als ich sicher sein konnte, daß all meine Gäste zufrieden waren, trug ich das Tablett hinüber zu Portias Tisch. Ich setzte mich auf den Stuhl, der ihr gegenüberstand, wobei ich mich allerdings nur auf die äußerste Kante hockte, so daß jeder, dessen Glas tendenziell zur Neige ging, sehen konnte, daß ich nicht lange sitzen bleiben, sondern gleich wieder aufspringen wollte.
„Was kann ich für dich tun?“ Ich hob unwillkürlich die rechte Hand, um verstohlen zu prüfen, ob mein Pferdeschwanz noch richtig saß. Die ganze Zeit über strahlte ich Portia an.
Die jedoch schien völlig in den Anblick ihres Weinglases versunken. Sie drehte es in den Fingern, hob es an den Mund, um einen Schluck zu trinken und stellte es dann genau auf der Mitte des Untersetzers wieder ab. „Ich muß dich um einen Gefallen bitten“, verkündete sie dann.
Na, Sherlock, das kam doch nicht wirklich unerwartet, oder? Da ich mit Portia noch nie eine zwanglose Unterhaltung geführt hatte, die aus mehr als zwei Sätzen bestand, hätte mir eigentlich gleich klar sein müssen, daß sie nur gekommen war, weil sie etwas von mir wollte.
„Laß mich raten. Dein Bruder hat dich geschickt. Ich soll den Leuten hier im Lokal ein wenig beim Denken zuhören. Ich soll etwas über die Orgie herausfinden, an der Lafayette teilgenommen hat.“ Das hatte ich kommen sehen!
Portia wirkte betreten, aber entschlossen, ihre Mission zu erfüllen. „Er würde dich nie um diesen Gefallen bitten, wenn er nicht in einer ernsthaften Patsche säße, Sookie.“
„Er hätte mich nie gebeten, weil er mich nicht leiden kann. Obwohl ich sein ganzes Leben lang nett und höflich zu ihm war! Nur jetzt, wo es nicht anderes geht, bringt er es über sich, mich zu bitten. Jetzt, wo er mich braucht.“
Portias helle Haut verfärbte sich auf sehr unschöne Weise und wurde dunkelrot. Eigentlich war es nicht recht, die Probleme, die ich mit ihrem Bruder hatte, an ihr auszulassen, was ich natürlich auch wußte, aber Portia hatte sich nun einmal darauf eingelassen, die Botin zu spielen! Wir alle wissen ja, wie es Boten ergeht. Ich dachte an meine eigene Botenrolle vom Abend zuvor und fragte mich, ob ich mich nicht einfach glücklich schätzen und großzügig sein sollte.
„Ich war dagegen“, murmelte Portia. Ihr widerstrebte es zutiefst, eine Kellnerin, noch dazu eine namens Stackhouse, um Hilfe bitten zu müssen; das ging ihr gegen den Stolz.
Niemand mochte meine 'Gabe'. Niemand mochte das Objekt sein, das mit ihrer Hilfe erforscht wurde. Aber alle wollten nur zu gern, daß ich etwas für sie herausfand. Es scherte sie wenig, wie es mir ging, wenn ich die oft unangenehmen und irrelevanten Gedanken von Gästen durchsieben sollte, um unter Umständen eine einzige relevante Information zu erhalten.
„Du hast wohl vergessen, daß Andy vor nicht allzu langer Zeit meinen Bruder wegen Mord verhaftet hat, was? Natürlich mußte er Jason wieder laufen lassen, aber immerhin!“
Wäre Portia noch stärker errötet, hätte sie mit ihren Wangen ein Feuer entfachen können. ,Vergiß die ganze Sache!“ sagte sie, wobei sie mühsam ihren letzten Rest Würde zusammenkratzte. „Wir brauchen überhaupt keine Hilfe von einer Mißgeburt wie dir.“
Ich hatte sie.bis ins Mark getroffen. Sonst war Portia immer höflich zu mir gewesen, wenn auch nicht gerade warmherzig und liebevoll.
„Hör zu, Portia. Ich werde mich umhören, aber nicht, um deinem Bruder zu helfen, sondern wegen Lafayette. Er war ein Freund von mir, und er war mir immer wesentlich lieber als du oder Andy.“
„Ich kann dich nicht leiden.“
„Das ist mir egal.“
„Gibt es ein Problem?“ fragte in diesem Moment eine kühle Stimme dicht hinter mir.
Bill. Ich ließ meine Sinne wandern und spürte die Stille, die ihn umgab, die für mich so unendlich entspannende Stille. In anderen Köpfen summte es ununterbrochen, wie Bienen in einem Glas. Bills Kopf war jedoch wie ein mit Luft gefüllter Globus. Es war wunderbar. Portia erhob sich so hastig, daß der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, um ein Haar nach hinten gekippt wäre. Sie hatte Angst, sich in Bills Nähe zu befinden - als sei mein Freund eine giftige Schlange oder so.
„Portia kam, um mich um einen Gefallen zu bitten“, erklärte ich, wobei mir mit einem Mal klar wurde, daß unser seltsames kleines Trio allmählich ein nicht unerhebliches Maß an Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Als Dankeschön für all die vielen lieben Dinge, die die Bellefleurs für dich getan haben?“ wollte Bill wissen. Da riß Portia der Geduldsfaden. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte hoch erhobenen Hauptes aus dem Lokal. Bill sah ihr nach, im Gesicht einen ganz merkwürdigen Ausdruck der Zufriedenheit.
„Nun sollte ich wohl herausfinden, was das gerade war!“ sagte ich und lehnte mich zurück, bis ich den Kopf an Bill lehnen konnte. Bill legte die Arme um mich und zog mich zu sich heran. Es war, als würde man von den starken Ästen eines Baumes umarmt.
„Die Vampire in Dallas haben die notwendigen Vorbereitungen getroffen“, erwiderte er. „Könntest du morgen abreisen?“
„Was ist mit dir?“
„Ich kann in meinem Sarg reisen, wenn du willens bist, dafür zu sorgen, daß sie mich auf dem Flughafen auch wieder ausladen. Dann haben wir die ganze Nacht, um herauszufinden, was die Vampire in Dallas wollen.“
„Heißt das, ich muß dich in einem Leichenwagen zum Flughafen schaffen?“
„Nein, Süße. Sorge nur dafür, daß du selbst hinkommst. Es gibt einen Transportservice, der sich um derlei kümmert.“
„Der Vampire bei Tageslicht von A nach B schafft?“
„Ja. Der Betrieb ist offiziell zugelassen und wird von der Zollbehörde kontrolliert.“
Da hatte ich wieder allerhand, worüber es nachzudenken galt. „Magst du ein Fläschchen Blut? Sam hat ein paar warmgestellt.“
„Ja bitte. Eine Flasche Null positiv.“
Meine Blutgruppe - wie süß! Ich warf Bill ein strahlendes Lächeln zu. Nicht mein gewöhnliches, ängstliches Lächeln, sondern ein echtes, das von Herzen kam. Ganz gleich, wie viele Probleme wir als Paar auch haben mochten, ich konnte mich glücklich schätzen, Bill an meiner Seite zu haben. Kaum zu glauben, daß ich einen anderen geküßt hatte, und ich verbannte den Gedanken daran sofort wieder aus meinem Kopf.
Bill lächelte zurück; kein ganz beruhigender Anblick, denn er freute sich sehr, mich zu sehen. „Wie bald kannst du hier weg?“ wollte er wissen, wobei er sich näher zu mir herunterbeugte.
Ich sah auf die Uhr. „In etwa einer halben Stunde“, konnte ich versprechen.
„Ich warte auf dich.“ Bill setzte sich an den Tisch, den Portia geräumt hatte, und ich brachte ihm tout de suite sein Blut.
Kevin kam herangetrabt, um ein wenig mit meinem Freund zu plaudern. Das endete damit, daß sich der Polizist zu Bill an den Tisch setzte. Ich kam nur zweimal nahe genug an den beiden vorbei, um Bruchstücke der Unterhaltung aufschnappen zu können. Sie unterhielten sich darüber, welche Verbrechen in unserer kleinen Stadt verübt wurden; sie sprachen über die Benzinpreise und darüber, wer die nächste Sheriffwahl gewinnen würde. Sie sprachen über ganz normale Dinge! Ich platzte fast vor Stolz. Als Bill angefangen hatte, ins Merlottes zu kommen, war die Atmosphäre jedesmal ziemlich angespannt gewesen. Nun kamen und gingen die Gäste ungezwungen, wenn er im Lokal war. Sie begrüßten Bill und plauderten mit ihm oder nickten ihm nur beiläufig zu, aber sie machten weder so noch so eine große Sache daraus, wenn er anwesend war. Vampire hatten sich mit so vielen legalen Problemen herumzuschlagen, da war es wirklich nicht notwendig, daß sich auch noch soziale Probleme dazugesellten.
Bill schien ziemlich aufgekratzt, als er mich in dieser Nacht nach Hause fuhr. Ich konnte mir nicht erklären, woran das liegen mochte - aber dann wurde mir mit einem Mal klar, daß er sich auf den Besuch in Dallas freute.
„Hat dich das Reisefieber gepackt?“ fragte ich. Bills plötzliche Wanderlust machte mich neugierig, gefiel mir gleichzeitig aber nicht besonders.
„Jahrelang war ich nur auf Reisen“, erklärte er. „Die letzten Monate in Bon Temps waren wunderbar“ - mit diesen Worten griff er nach meiner Hand -, „aber natürlich besuche ich gern meinesgleichen, und die Vampire in Shreveport haben zuviel Macht über mich. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, kann ich nicht entspannen.“
„Als ihr Vampire noch nicht legal und öffentlich lebtet, wart ihr da auch schon so straff organisiert?“ Im allgemeinen bemühte ich mich, über die gesellschaftlichen Strukturen der Vampire keine Fragen zu stellen, denn ich war mir nie sicher, wie Bill auf solche Fragen reagieren würde. In diesem Fall überwog meine Neugierde.
„Nicht wie jetzt“, antwortete er ausweichend, woraufhin ich seufzte. Eine bessere Antwort würde ich nicht erhalten, das war klar. Der Herr der Geheimnisse! Immer noch achteten die Vampire darauf, bestimmte Grenzen zu ziehen und zu wahren. So durfte kein Arzt sie untersuchen, und man durfte von keinem Vampir erwarten, daß er sich den Streitkräften anschloß. Diese rechtlichen Zugeständnisse hatten ihren Preis gehabt: Die Amerikaner hatten verlangt, daß sämtliche Vampire, die als Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger gearbeitet hatten (und das waren nicht gerade wenige), ihr Stethoskop an den Nagel hängten. Das Mißtrauen gegenüber bluttrinkenden Beschäftigten im Gesundheitswesen war eben immer noch erheblich, und das, obwohl, soweit die Menschen das offizielle wußten, Vampirismus offiziell als extreme allergische Reaktion auf eine Kombination aus einer Vielzahl von Dingen dargestellt wurde, zu denen unter anderem auch Knoblauch und Sonnenlicht gehörten.
Auch ich war Mensch - obschon zugegebenermaßen ein ziemlich merkwürdiger -, auch ich hatte die offizielle Version oft gehört und lange geglaubt; ich war unvergleichlich glücklicher gewesen, als ich noch hatte annehmen dürfen, Bill litte unter einer von medizinischen Lehrbüchern genau definierten Krankheit. Nun aber hatte ich erfahren müssen, daß viele Wesen, die wir sicher im Bereich der Mythen und Legenden wägen, die unangenehme Angewohnheit besitzen, unerwartet real zu werden. Nehmen Sie nur die Mänade! Wer hätte geglaubt, daß eine uralte griechische Legende einfach so in den Wäldern des nördlichen Louisiana herumspazierte?
Vielleicht lebten ja wirklich Feen in unserem Garten. Meine Oma pflegte ein Lied zu singen, in dem das behauptet wurde. Sie hatte es gern gesungen, wenn sie draußen im Garten Wäsche aufhängte.
„Sookie?“ Bills Stimme klang liebevoll, aber drängend. „Ja?“
„Du hast konzentriert über irgend etwas nachgedacht.“
„Ich habe mir Gedanken über die Zukunft gemacht“, antwortete ich ausweichend, „und über den Flug. Du mußt mir noch genau erklären, welche Arrangements getroffen wurden und mir sagen, wann ich am Flughafen sein soll - und was soll ich zum Anziehen einpacken?“
Über den letzten Punkt dachte Bill nach, während wir in die Einfahrt zu meinem Haus einbogen. Ich wußte, er nahm meine Bitte um Beratung sehr ernst. Das war eine der vielen guten Seiten an Bill.
„Ehe du packst“, verkündete er und unter dem kühnen Schwung seiner Brauen leuchteten die dunklen Augen ganz ernst, „ehe du packst, müssen wir uns mit etwas anderem befassen.“
„Womit?“ Ich stand mitten im Schlafzimmer und starrte nachdenklich auf die geöffnete Schranktür, ehe ich überhaupt registriert hatte, das er etwas gesagt hatte.
„Entspannungstechniken!“ rief Bill.
Ich fuhr herum, die Hände an den Hüften. „Was zum Teufel meinst du damit?“
„Das hier!“ In einer klassischen Rhett-Butler-Geste hob er mich mit beiden Armen hoch. Obwohl ich Hosen trug und kein langes, rotes - Gewand? Negligé? -, schaffte er es, daß ich mir so schön, so unvergeßlich vorkam wie Scarlett O'Hara. Bill hatte mit mir als süßer Last in den Armen keine Treppenstufen zu bewältigen; mein Bett stand ganz nahe. An den meisten Abenden ließ sich Bill sehr viel Zeit mit allem, manchmal so viel, daß ich dachte, ich müßte schreien, wenn wir nicht bald zum Punkt kämen - sozusagen. Aber an diesem Tag war sein Tempo beschleunigt. Das mochte an der Vorfreude auf die Reise liegen. Gemeinsam gelangten wir am Ende des Tunnels an, und während wir noch beieinander lagen und die Nachbeben genossen, mit denen ein erfolgreicher Liebesakt sich verabschiedet, fragte ich mich, was die Vampire in Dallas wohl von unserer Beziehung halten mochten.
Ich war nur einmal in Dallas gewesen. Die Abschlußklasse unserer Oberschule hatte eine Klassenfahrt nach Six Flags unternommen. Ich hatte keine guten Erinnerungen daran. Ich war noch sehr unbeholfen darin gewesen, meinen Kopf gegen die nicht enden wollenden Übertragungen aus den Hirnen anderer Menschen zu schützen. Dann hatte es mich völlig unvorbereitet getroffen, daß meine damalige beste Freundin Marianne plötzlich mit einem Mitschüler namens Dennis zusammenkam und die beiden fürderhin als Pärchen agierten, und ich war noch nie zuvor von zu Hause fortgewesen.
Diesmal würde das anders sein, wies ich mich streng zurecht. Ich reiste auf Anfrage der Vampire von Dallas - ganz schön glamourös, oder? Ich wurde gebraucht, weil ich über einmalige Fähigkeiten verfügte. Ich sollte mich wirklich darauf konzentrieren, meine Fähigkeit nicht länger als Behinderung zu sehen! Ich hatte gelernt, kontrolliert mit der Telepathie umzugehen. Zumindest handhabte ich mein Talent weitaus präziser und vorhersehbarer als früher. Ich würde meinen Mann dabeihaben. Niemand würde mich im Stich lassen.
Trotzdem muß ich zugeben, daß ich, ehe ich einschlief, noch ein paar Tränen vergoß, weil für mich damals als Teenager alles so maßlos traurig gewesen war.