Kapitel 7

Mühsam drehte ich mich um und spähte nach dem beleuchteten Zifferblatt des Weckers auf meinem Nachttisch. Noch war die Dämmerung nicht da, aber sie würde bald kommen. Bill lag bereits in seinem Sarg; der Sargdeckel war zu. Was mochte mich geweckt haben? Nachdenklich lag ich da, bis es mir einfiel.

Es gab etwas, was ich dringend tun mußte, so dringend, daß ein Teil meiner selbst sich darüber wunderte, wie der Rest meines Bewußtseins so dumm hatte sein können, das zu vergessen. Rasch zog ich mir Shorts und ein T-Shirt an und schlüpfte in ein Paar Sandalen. Ich befürchtete, daß ich im Spiegel noch schrecklicher aussehen würde als am Abend zuvor, also warf ich meinem Spiegelbild nur einen flüchtigen Blick zu und kämmte mich mit dem Rücken zum Spiegel. Zu meiner Verwunderung und Freude thronte auf dem Tisch im Wohnzimmer der Suite meine Handtasche. Jemand hatte sie wohl letzte Nacht aus der Zentrale der Bruderschaft mitgenommen und hergebracht. Ich steckte meine Keycard in die Handtasche und dann machte ich mich, humpelnd und innerlich stöhnend, auf den Weg den stillen Korridor hinab.

Barry war nicht mehr im Dienst. Der Kollege, der ihn abgelöst hatte, war viel zu wohlerzogen, um mich zu fragen, warum in aller Welt ich herumlief wie etwas, daß hinter einem Zug hergeschleift worden war. Er rief mir ein Taxi und ich teilte dem Taxifahrer mit, wohin ich gebracht werden wollte. Der Fahrer beäugte mich skeptisch im Rückspiegel. „Wollen Sie nicht lieber ins Krankenhaus?“ fragte er dann besorgt.

„Nein“, erwiderte ich. „Da war ich schon.“ Das schien ihn aber auch nicht zu beruhigen.

„Wenn die Vampire Sie so schlecht behandeln, warum hängen Sie dann hier rum?“

„Mein Aussehen verdanke ich Menschen, nicht Vampiren“, sagte ich. „Menschen haben mir das angetan.“

Wir fuhren los. Es war zwei Uhr früh an einem Sonntag morgen; der Verkehr war lange nicht so dicht wie tagsüber, weswegen ich schon nach fünfzehn Minuten wieder dort angelangt war, wo ich mich auch in der vergangenen Nacht schon befunden hatte: auf dem Parkplatz der Zentrale der Bruderschaft der Sonne.

„Würden Sie wohl bitte auf mich warten?“ bat ich meinen Taxifahrer, einen hageren, verhärmten Mann um die sechzig, dem vorn im Mund ein Zahn fehlte und der ein kariertes Hemd mit Druckknöpfen trug.

„Ich denke schon, daß ich das kann“, antwortete er, zog unter seinem Sitz einen Western von Louis L'Amour hervor, schaltete die Innenbeleuchtung seines Wagens ein und fing an zu lesen.

Der Parkplatz zeigte im grellen Licht einiger Natriumdampflampen keinerlei Spuren der Ereignisse der vergangenen Nacht. Hier standen nur noch wenige Fahrzeuge herum, und ich nahm an, daß diese am Vorabend einfach stehengelassen worden waren, als ihre Besitzer die Flucht ergriffen hatten. Einer der Wagen würde wohl Gabe gehören. Ich fragte mich, ob Gabe Familie gehabt haben mochte, wiewohl ich hoffte, das möge nicht der Fall gewesen sein. Zum einen war der Mann ein solcher Sadist gewesen, daß er jeder Familie unter Garantie das Leben zur Hölle gemacht hatte, und zum anderen würde sich seine Familie, sollte er denn eine gehabt haben, nun bis ans Ende ihrer Tage fragen müssen, wie und warum er gestorben war. Wie es für Sarah und Steve wohl weitergehen mochte? Hatte die Bruderschaft noch genügend Mitglieder, um weiterarbeiten zu können? Die Lebensmittelvorräte und Waffen waren wohl immer noch in der Kirche; davon ging ich zumindest aus. Vielleicht hatte die Gemeinde sie ja gehamstert, um sich auf die Apokalypse vorzubereiten.

Nun löste sich aus den finsteren Schatten der Kirche eine Gestalt. Godfrey. Er ging wie stets mit freiem Oberkörper, sein Gesicht wirkte nach wie vor wie das saubere, einfache Gesicht eines Sechzehnjährigen. Nur die Fremdartigkeit seiner Tätowierungen und der Ausdruck in seinen Augen schimpften das, was der Rest seines Körpers darstellte, Lügen.

Als er dicht neben mir stand, sagte ich: „Ich bin gekommen, um zuzusehen.“ 'Um Zeugnis abzulegen', hätte ich eigentlich sagen sollen, denn das hätte die Sache weitaus besser getroffen.

„Warum?“

„Das schulde ich Ihnen.“

„Ich bin eine Kreatur des Bösen.“

„Ja.“ Um diese Erkenntnis führte nun einmal kein Weg herum. „Aber als Sie mich vor Gabe retteten, haben Sie eine gute Tat vollbracht.“

„Der Mord an einem weiteren Menschen soll eine gute Tat gewesen sein? Mein Gewissen kennt kaum mehr den Unterschied. Es gab so viele Morde. Zumindest konnte ich Ihnen die Entwürdigung ersparen.“

Der Ausdruck in seiner Stimme traf mich mitten ins Herz. Noch glomm das Licht am Horizont schwach, noch hatte sich die Notbeleuchtung auf dem Parkplatz nicht abgeschaltet. Im Schein der Notbeleuchtung betrachtete ich nun aufmerksam dies junge, ach so junge Gesicht vor mir.

Da mußte ich plötzlich weinen - absurd, ich weiß!

„Wie schön“, meinte Godfrey, doch seine Stimme klang bereits unendlich weit entfernt. „Am Ende weint doch jemand um mich. Damit hatte ich kaum gerechnet.“ Er trat zurück, um zwischen sich und mir einen sicheren Abstand zu schaffen.

Dann ging die Sonne auf.

* * *

Als ich wieder bei meinem Taxi ankam, verstaute mein Fahrer seine Lektüre sofort unter dem Fahrersitz.

„Hat's dort gebrannt?“ wollte er wissen. „Ich dachte, ich hätte Rauch gesehen. Fast wäre ich gekommen, um nachzusehen, was das denn sein könnte.“

„Das Feuer ist jetzt aus“, sagte ich.

* * *

Wir fuhren los, und noch eine ganze Weile mußte ich mir immer wieder mit dem Taschentuch über das Gesicht fahren, um meine Tränen zu trocknen. Als wir dann etwa anderthalb Kilometer zurückgelegt hatten, schaffte ich es, aus dem Fenster zu schauen und zuzusehen, wie immer mehr von der Stadt aus dem Dunkel auftauchte.

Im Hotel fuhr ich sofort hoch in den dritten Stock, zurück in mein Zimmer. Ich zog die Shorts aus, legte mich auf mein Bett und hatte mich gerade resigniert damit abgefunden, wohl noch eine Weile schlaflos dort liegen zu müssen, als ich auch schon tief und fest schlief.

Bei Sonnenuntergang weckte mich Bill auf die Art und Weise, die er am liebsten hat: Ich spürte, wie mein T-Shirt hochgeschoben wurde und mir Bills dunkles Haar die Brust streichelte. Als erwache man, wenn die Reise sozusagen schon halb vorbei ist, so zärtlich saugten Bills Lippen an der einen Hälfte des Busens, der seiner Meinung nach der schönste der Welt war. Bills Fangzähne waren voll ausgefahren, aber er sah sich sehr vor. Nicht nur die Fangzähne bezeugten, daß mein Liebster ziemlich erregt war. „Fühlst du dich danach, Sookie?“ flüsterte er hoffnungsvoll direkt an meinem Ohr. „Meinst du, es würde dir Spaß machen? Wenn ich ganz, ganz vorsichtig bin?“

„Wenn du mich behandelst, als sei ich aus Glas, schon“, murmelte ich schläfrig, denn ich wußte genau, daß er dazu auch in der Lage war.

„Das hier fühlt sich aber gar nicht an wie Glas“, kommentierte er, wobei sich seine Hand ganz sanft bewegte. „Es fühlt sich warm an. Warm und feucht.“

Ich schnappte nach Luft.

„Ja? Gut? Oder tue ich dir weh?“ fragte er, wobei sich seine Hand rascher und rascher bewegte.

Alles, was ich sagen konnte, war sein Name! „Bill“, hauchte ich, schloß die Lippen um seinen Mund, und seine Zunge nahm den Rhythmus auf, der mir nun schon so sehr vertraut war.

„Leg dich auf die Seite“, flüsterte er. „Ich kümmere mich um alles.“

Genau das tat er dann auch.

* * *

„Warum hattest du dich halb angezogen?“ wollte er viel später wissen. Er war aufgestanden, um sich aus dem Kühlschrank im Wohnzimmer eine Flasche Blut zu holen und diese in der Mikrowelle aufzuwärmen. Aus Rücksicht auf meinen geschwächten Zustand hatte er von meinem Blut nichts genommen.

„Ich bin hingefahren und habe zugesehen, wie Godfrey starb.“

Bills Augen weiteten sich überrascht, als er auf mich herabsah. „Was?“

„Godfrey ist in die Morgendämmerung gegangen“. Diese Formulierung, die ich noch vor kurzem als peinlich und melodramatisch empfunden hatte, erschien mir inzwischen angemessen und kam mir ohne Stocken über die Lippen.

Daraufhin herrschte ziemlich lange Schweigen.

„Woher wußtest du, daß er es tun würde?“ fragte Bill dann endlich. „Woher wußtest du, wo er es tun würde?“

Ich zuckte die Achseln, soweit das eben möglich ist, wenn man im Bett liegt. „Ich ging einfach davon aus, daß er an seinem ursprünglichen Plan festhalten würde. Er schien ihm sehr wichtig. Godfrey hatte mir das Leben gerettet. Seinen endgültigen Tod zu bezeugen schien mir das mindeste, was ich für ihn tun konnte.“

„Hat er Mut gezeigt?“

Ich sah Bill direkt in die Augen. „Er starb tapfer. Er war erpicht darauf zu gehen.“

Was Bill daraufhin durch den Kopf ging, hätte ich nicht sagen können. „Wir müssen zu Stan“, sagte er. „Wir werden es ihm mitteilen.“

„Warum müssen wir denn noch einmal zu Stan?“ wollte ich wissen, und wenn ich keine so durch und durch erwachsene Frau gewesen wäre, dann hätte ich nun geschmollt, das können Sie mir glauben. Auch so warf Bill mir einen seiner unergründlichen, leicht tadelnden Blicke zu.

„Du mußt ihm deine Version der Geschichte erzählen, damit er sich davon überzeugen kann, daß wir ganze Arbeit geleistet haben. Dann ist da auch noch die Sache mit Hugo.“

Der Gedanke an Hugo Ayres verdarb mir vollends die Stimmung. Die bloße Vorstellung, mehr Kleidung als nötig über meine zerschundene Haut ziehen zu müssen, war mir so zuwider, daß mir fast übel geworden wäre; also schlüpfte ich lediglich in ein langes, ärmelloses, maulwurfgraues Kleid aus einem ganz weichen Strickmaterial, stieg vorsichtig in ein Paar Sandalen, und das war es auch schon. Bill kämmte mir das Haar und steckte mir Ohrringe in die Ohren, denn es war extrem anstrengend und schmerzhaft für mich, die Arme zu heben. Dann fand er, ein Goldkettchen sollte ich mir unbedingt auch noch umhängen, und zum Schluß sah ich aus, als wolle ich auf eine Party im Frauenhaus gehen. Bill rief bei der Rezeption an und bat, seinen Mietwagen vorzufahren. Wann dieser Mietwagen wohl in der Tiefgarage des Hotels aufgetaucht war? Ich wußte es nicht; ich hatte noch nicht einmal mitbekommen, wer die Anmietung arrangiert hatte. Bill setzte sich ans Steuer. Ich blickte kaum aus dem Fenster. Ich hatte gründlich die Nase voll von Dallas.

Das Haus machte, als wir dort ankamen, denselben ruhigen Eindruck, den es auch zwei Nächte zuvor gemacht hatte. Aber sobald man uns eingelassen hatte, mußte ich feststellen, daß es drinnen von Vampiren nur so wimmelte und es auch recht lautstark zuging. Offenbar waren wir mitten in die Party geraten, mit der Farrels Rückkehr gefeiert wurde. Den Heimgekehrten selbst trafen wir im Wohnzimmer, wo er, den Arm um einen hübschen Jungen gelegt, der keinen Tag älter als achtzehn sein konnte, Hof hielt. Farrell hielt eine Flasche TrueBlood Null negativ in der Hand, der Junge eine Cola, und der Vampir sah fast so rosig aus wie sein Gefährte.

Farrell hatte mich zuvor nie zu Gesicht bekommen, weswegen er sich hocherfreut zeigte, meine Bekanntschaft zu machen. Er war von Kopf bis Fuß in Cowboykleidung gehüllt, weshalb ich, als er sich über meine Hand beugte, fast erwartete, Hacken schlagen und Sporen klirren zu hören.

„Wie wunderschön du bist!“ verkündete er großzügig, wobei er die Flasche mit synthetischem Blut in der Luft herumschwenkte. „Du würdest eine Woche lang auf meine ungeteilte Aufmerksamkeit rechnen können, wenn ich mit Frauen schliefe. Ich weiß, daß dir die blauen Flecken und Prellungen peinlich sind, aber laß dir versichern: Sie machen dich letztlich nur noch schöner.“

Da konnte ich nicht anders, ich mußte lachen. Schöner! Ich ging wie eine Achtzigjährige, und mein Gesicht war auf der linken Seite blau und schwarz!

„Bill Compton, du alter Vampir, du hast vielleicht Schwein gehabt!“ sagte Farrell zu Bill.

„Dessen bin ich mir durchaus bewußt“, erwiderte mein Liebster, wobei er lächelte, wenn auch leicht unterkühlt.

„Hübsch ist sie und mutig noch dazu!“

„Herzlichen Dank. Wo ist Stan?“ Ich wollte diesen unablässigen Strom an mich gerichteter Lobeshymnen unterbrechen. Nicht nur wurde Bill langsam kribbelig, Farrells junger Begleiter wirkte immer neugieriger. Einmal noch wollte ich meine Geschichte erzählen, ein einziges Mal, mehr nicht!

„Im Eßzimmer“, sagte ein junger Vampir, den ich schon einmal gesehen hatte, denn er war derjenige gewesen, der damals, vor zwei Tagen, die arme Bethany zur Befragung ins Eßzimmer gebracht hatte. Das mußte dann wohl Joseph Velasquez sein. Der Vampir war etwa einen Meter fünfundsiebzig groß. Seiner lateinamerikanischen Herkunft verdankte er eine Hautfarbe, die an gebackenes Toastbrot erinnerte und dunkelglühende Augen, die einem spanischen Grande zur Ehre gereicht hätten. Daß er nun Vampir war, verlieh ihm die Fähigkeit, jedermann ohne mit der Wimper zu zucken niederstarren zu können und die ständige Bereitschaft, Schaden anzurichten. Josephs Blick wanderte auf der Suche nach Ärger unablässig im Zimmer umher. Er war wohl für das Nest so etwas wie der Unteroffizier vom Dienst. „Stan wird sich freuen, euch zu sehen“, erklärte er.

Auf dem Weg ins Eßzimmer musterte ich aufmerksam all die Vampire um mich herum sowie die paar Menschen, die sich heute hier zum Feiern eingefunden hatten. Eric sah ich nicht. Ob er wohl nach Shreveport zurückgekehrt war? „Wo ist Isabel?“ erkundigte ich mich ganz leise bei Bill.

„Isabel wird bestraft“, antwortete Bill, so leise, daß ich ihn fast nicht gehört hätte. Offenbar wollte er laut über dieses Thema nicht reden, und wenn Bill es für richtig befand zu flüstern, dann wußte ich, daß ich besser daran tat, den Mund zu halten. „Sie hat einen Verräter ins Nest geschleppt“, fuhr Bill fort. „Dafür muß sie nun büßen.“

„Aber ...“

„Psst.“

Wir waren im Eßzimmer angekommen und mußten nun feststellen, daß die Vampire sich dort ebenso sehr drängten wie im Wohnzimmer. Stan saß auf dem Stuhl, auf dem er auch vor zwei Nächten gesessen hatte. Er trug auch fast noch dieselben Sachen wie in jener Nacht. Als wir eintraten, erhob er sich, wobei ich an der Art, wie er das tat, ablesen konnte, daß er durch sein Verhalten unseren Status als wichtige Personen hervorheben wollte.

„Miß Stackhouse!“ begrüße er mich förmlich, während er mir äußerst vorsichtig die Hand schüttelte. „Bill.“ Prüfend musterte mich der Fürst von Dallas von oben bis unten; dem Blick seiner verwaschenen blauen Augen entging keine einzige meiner Verletzungen. Seine Brille war entzwei gegangen und mit Tesafilm repariert worden. Stans Tarnung war perfekt, das ließ sich nicht anders sagen. Zu Weihnachten würde ich ihm Ärmelschoner schenken!

„Erzählen Sie uns bitte, was Ihnen gestern alles widerfahren ist und lassen Sie keine Einzelheit aus“, bat Stan.

Sofort mußte ich an Archie Goodwin denken, wie er Nero Wolfe Bericht erstattet. „Für Bill wird das langweilig sein“, gab ich zu bedenken, in der Hoffnung, meinen Vortrag so ein wenig abkürzen zu können.

„Bill hat bestimmt nichts dagegen, sich einmal ein Weilchen zu langweilen.“

Es führte wohl kein Weg daran vorbei. Seufzend begann ich damit, wie Hugo mich im Silent Shore abgeholt hatte. Barrys Namen ließ ich unerwähnt, denn ich wußte nicht, wie er es gefunden hätte, wenn er den Vampiren von Dallas namentlich bekannt geworden wäre. Ich bezeichnete ihn daher nur als 'Pagen im Hotel'. Wenn sie es darauf anlegten, konnten die Vampire natürlich herausfinden, um welchen Pagen es sich dabei handelte.

Als ich erzählte, wie Gabe Hugo zu Farrell in die Zelle gesteckt und dann versucht hatte, mich zu vergewaltigen, verzogen sich meine Lippen zu einem angespannten Grinsen. Mein Gesicht spannte so sehr, daß ich dachte, es würde reißen.

„Warum tut sie das?“ fragte Stan Bill, als sei ich selbst gar nicht im Raum.

„Wenn sie angespannt ist...“, erwiderte Bill.

„Ach so.“ Stan betrachtete mich noch nachdenklicher. Ich langte hoch und fing an, meine Haare zum Pferdeschwanz zusammenzufassen. Bill reichte mir ein Gummiband, das er in der Tasche hatte, und mit einiger Mühe und unter Schmerzen faßte ich mein Haar so zusammen, daß ich das Gummi dreimal darum schlingen konnte.

Als die Rede auf die Gestaltwandler kam, die mir so sehr geholfen hatten, beugte Stan sich aufmerksam vor. Offenbar hätte er gern mehr erfahren, als ich zu erzählen bereit war, aber ich würde ihm auf keinen Fall irgendwelche Namen nennen. Stan wirkte nachdenklich, als ich berichtete, wie ich vor dem Hotel abgesetzt worden war. Mir war nicht klar, ob es richtig war, Eric zu erwähnen oder nicht, also ließ ich ihn lieber außen vor, und zwar vollständig. Hier dachte man ohnehin, er sei ein Vampir aus Kalifornien. Also änderte ich meine Erzählung dahingehend, daß ich vorgab, bei meiner Rückkehr ins Hotel allein auf mein Zimmer gegangen zu sein, um dort auf Bill zu warten.

Dann erzählte ich Stan von Godfrey.

Stan schien nicht zu verstehen, daß und wie Godfrey gestorben war, was mich sehr verwunderte. Er bat mich, meinen Bericht zu wiederholen, wobei er seinen Stuhl so drehte, daß er mir den Rücken zuwandte, während ich sprach. Da Stan es nicht sehen konnte, streichelte Bill mich beruhigend. Als der Obervampir sich uns wieder zuwandte, wischte er sich mit einem rotgefleckten Taschentuch die Augen. Es war also wahr, Vampire konnten weinen. Genau wie es stimmte, daß ihre Tränen blutig waren.

Ich schloß mich Stan an und weinte nun ebenfalls. Godfrey hatte den Tod verdient; er hatte jahrelang Kinder mißhandelt und ermordet. Wie viele Menschen wohl für Verbrechen, die er begangen hatte, im Gefängnis sitzen mochten? Aber andererseits hatte Godfrey uns auch geholfen, und zudem hatte er den größten Berg an Trauer und Schuldgefühlen mit sich herumtragen müssen, der mir in meinem ganzen Leben je untergekommen war.

„Welche Entschiedenheit, welcher Mut!“ bemerkte Stan bewundernd. Es war also. gar nicht Trauer gewesen, die ich an ihm hatte beobachten können - vielmehr hatte er sich in der Bewunderung für einen anderen Vampir verloren. „Das bringt mich wirklich zum Weinen.“ Das sagte er so, daß ich wußte, seine Tränen waren als große Ehrung gedacht. „Ich habe Nachforschungen angestellt“, fuhr er fort, „nachdem Bill Godfrey neulich Nacht hat identifizieren können. Dabei habe ich festgestellt, daß Godfrey zu einem Nest in San Francisco gehörte. Seine Nestgefährten werden sehr bekümmert sein, wenn sie von seinem endgültigen Hinscheiden erfahren, und natürlich auch von seinem Verrat an Farrell. Aber sein Mut, einen einmal gefaßten Plan unter allen Umständen auszuführen, ein einmal gegebenes Wort auch zu halten ...“ Stan wirkte immer noch sehr erschüttert.

Mir tat alles weh, weswegen ich in meiner Handtasche nach meinem Fläschchen Tylenol kramte und mir zwei der kleinen Schmerztabletten in die Hand gleiten ließ. Auf einen Wink Stans hin brachte mir der junge Vampir Joseph ein Glas Wasser, wofür ich mich bedankte, was ihn sehr zu wundern schien.

„Vielen Dank für Ihre gute Arbeit“, bemerkte Stan mit einem Mal wie aus heiterem Himmel, als habe er sich gerade, durch mein Beispiel angeregt, seiner guten Manieren entsonnen. „Die Dinge, für die wir Sie eingestellt hatten, haben Sie alle erledigt und noch einige weitere darüber hinaus. Wir verdanken es Ihnen, daß wir Farrell rechtzeitig finden und befreien konnten. Es tut mir sehr leid, daß Sie einen so großen Schaden erlitten haben, während Sie in unseren Diensten standen.“

Das hörte sich ganz so an, als sei ich entlassen. „Entschuldigen Sie“, sagte ich, wobei ich auf die Stuhlkante vorrückte. Bill machte hinter mir eine plötzliche Bewegung, aber ich schenkte ihm keine Beachtung.

Erstaunt über meine Kühnheit zog Stan eine Braue hoch. „Ja? Ihr Scheck wird an Ihren Repräsentanten in Shreveport geschickt werden, wie vereinbart. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie heute nacht bei uns blieben und mit uns gemeinsam die Rückkehr unseres Freundes Farrell feierten.“

„Wenn ich einen Menschen befrage und herausfinde, daß er sich eines Vergehens schuldig gemacht hat, dann wird dieser Mensch nicht von euch Vampiren bestraft, sondern der Polizei übergeben, damit sich die Gerichte mit ihm befassen können - so war es abgemacht. Wo ist Hugo?“

Stans Augen wanderten von meinem Gesicht zu dem Bills, der dicht hinter mir stand. Seine Augen schienen Bill verwundert und lautlos zu fragen, warum er seinen Menschen nicht besser im Griff hatte.

„Hugo und Isabel sind beisammen.“ Stans Antwort klang sehr kryptisch.

Was das bedeutete, wollte ich eigentlich aus ganzem Herzen gar nicht so genau wissen. Aber ich war es meiner Ehre schuldig, die Sache hier bis zum Ende durchzustehen. „Sie werden sich also nicht an die mit mir getroffene Vereinbarung halten?“ erkundigte ich mich höflich, wohl wissend, daß eine solche Behauptung für Stan eine ungeheure Herausforderung war.

'Stolz wie ein Spanier' - das Sprichwort sollte man ändern: 'Stolz wie ein Vampir' war viel treffender. Sie sind alle stolz, und ich hatte Stan in diesem Punkt schwer getroffen. Die Unterstellung, er habe vor, sich unehrenhaft zu verhalten, ließ ihn fuchsteufelswild werden. Schlagartig wirkte seine Miene so bedrohlich, daß ich um ein Haar einen Rückzieher gemacht hätte. Einige Sekunden lang hatte er nichts Menschliches mehr an sich. Er bleckte die Zähne, die Fangzähne fuhren aus, sein ganzer Körper krümmte sich und schien dabei immer länger zu werden.

Nach einer Weile stand Stan auf und gab mir mit einem kurzen Nicken zu verstehen, ich möge ihm folgen. Bill half mir auf die Beine, und wir zockelten hinter dem wütenden Vampir her, der sich tiefer in die Villa hineinbegab. Das Haus hatte sechs Schlafzimmer, deren Türen sämtlich geschlossen waren. Hinter der einen Tür erklangen unmißverständlich die Geräusche von Sex; an dieser Tür gingen wir jedoch zu meiner großen Erleichterung vorbei. Dann stiegen wir eine Treppe hinauf, was mir schwerfiel. Stan sah sich kein einziges Mal nach uns um, wurde kein einziges Mal langsamer. Die Treppe bewältigte er in demselben Tempo, das er auch auf dem Boden vorgelegt hatte. Vor einer Tür, die aussah wie alle anderen, blieb er dann stehen. Er schloß auf, trat beiseite und forderte mich mit einer Handbewegung auf, das Zimmer zu betreten.

Das war so ungefähr das letzte, was ich tun wollte! Ich hätte auf den Anblick, der sich mir in diesem Zimmer bieten mochte, wirklich gern verzichtet. Aber das ging nicht, ich mußte dort hinein. Ich trat einen Schritt vor.

Bis auf den dunkelblauen Teppichboden war das Zimmer leer. Isabel hatte man an eine Zimmerwand gekettet - mit Silber, versteht sich. Hugo hing an der gegenüberliegenden Wand, ebenfalls angekettet. Sowohl der Mensch als auch die Vampirin waren wach, und beide blickten natürlich zur Tür.

Isabel war nackt; dennoch nickte sie mir ganz beiläufig zu, so, als würden wir uns gerade in einem Einkaufszentrum begegnen. Man hatte ihr die Hand- und Fußgelenke gepolstert, damit die Haut dort nicht verbrannte, aber dennoch waren die Silberketten in der Lage, sie zu schwächen.

Auch Hugo Ayres war nackt und schaffte es nicht, den Blick von Isabel zu lösen. Er hatte lediglich einmal ganz flüchtig zu mir herübergesehen, als ich ins Zimmer getreten war, dann hatten sich seine Augen sofort wieder auf sein Gegenüber geheftet. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, denn unter den gegebenen Umständen schien mir das eine eher kleinliche Beobachtung am Rande, aber ich konnte dennoch nicht umhin, ich mußte mir eingestehen, daß ich hier zum ersten Mal in meinem Leben einen nackten Erwachsenen sah. Außer Bill, versteht sich.

„Sie kann nicht von ihm trinken, mag sie auch noch so hungrig sein“, erklärte Stan. „Er kann keinen Sex mit ihr haben und ist doch süchtig danach. Monatelang so auszuharren ist ihre Strafe. Was würde ein Gerichtshof der Menschen mit Hugo tun?“

Darüber mußte ich erst nachdenken. Was hatte Hugo getan, wofür konnte man ihn vor Gericht bringen?

Er hatte die Vampire getäuscht, als er sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Nest eingeschlichen hatte. Isabel liebte er zwar, Isabels Gefährten jedoch hatte er verraten. Hm. Es gab keinen Paragraphen, der hierfür zutraf.

„Er hat in eurem Eßzimmer eine Wanze angebracht“, sagte ich schließlich. Das war illegal, oder? Zumindest nahm ich an, so etwas sei illegal war.

„Wie lang käme er dafür ins Gefängnis?“ fragte Stan.

Gute Frage. Lange würde Hugo dafür nicht sitzen müssen, das war mir klar. Menschliche Geschworene wären unter Umständen sogar zu der Ansicht gelangt, es sei gerechtfertig, die Behausungen von Vampiren abzuhören. Ich seufzte. Für Stan war das Antwort genug.

„Was gibt es sonst noch, wofür Hugo rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt würde?“ bohrte er weiter.

„Er hat mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Zentrale der Bruderschaft gelockt... legal. Er ... nun ...“

„Genau.“

Hugo wandte den vernarrten Blick nicht eine Sekunde von Isabel.

Hugo hatte dafür gesorgt, daß Böses geschehen konnte und hatte Böses getan, das stand ebenso fest wie die Tatsache, daß Godfrey Böses getan hatte.

„Wie lange werden Sie die beiden hierbehalten?“ fragte ich.

Stan zuckte die Achseln. „Drei Monate, vielleicht vier. Hugo bekommt zu essen. Isabel nicht.“

„Was dann?“

„Dann lösen wir seine Ketten. Er bekommt einen Tag Vorsprung.“

Bills Hand schloß sich um mein Handgelenk. Er wollte nicht, daß ich weitere Fragen stellte.

Isabel sah mich an und nickte. Sie schien mir vermitteln zu wollen, daß sie die Regelung als gerecht empfand. „Na denn!“ sagte ich und streckte beide Handflächen vor, um zu signalisieren, daß ich die Diskussion nicht fortsetzen wollte. „In Ordnung.“ Daraufhin drehte ich mich um, um langsam und vorsichtig die Treppe wieder hinunterzuklettern.

Wahrscheinlich hatte ich gerade einen Teil meiner Reinheit und Unschuld aufgegeben, aber ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, wie ich mich anders hätte verhalten sollen. Je mehr ich über die Sache nachdachte, desto stärker verwirrte sie mich. Ich bin es nicht gewohnt, moralische Fragen dieser Art bis zum Ende zu durchdenken. Entweder etwas ist schlecht, dann ist es auch schlecht, es zu tun, oder es ist nicht schlecht und es ist in Ordnung, es zu tun.

Gut, auch für mich gab es da Grauzonen! Darunter fiel einiges: daß ich mit Bill schlief zum Beispiel, obwohl wir nicht verheiratet waren. Oder wenn ich Arlene sagte, ihr Kleid sei schön, wenn sie in Wirklichkeit darin ganz schrecklich aussah. Was die Sache mit Bill und heiraten betraf: Wir konnten gar nicht heiraten, es war illegal. Andererseits war es ja nun auch nicht so, als hätte er mich gefragt ...

Meine Gedanken zogen leicht zittrige Kreise um das unglückselige Pärchen in dem Zimmer da oben. Isabel tat mir wesentlich stärker leid als Hugo, was mich wunderte. Aber dann mußte ich mir sagen, daß Hugo aktiv begangener böser Taten schuldig war, während Isabel sich nur Nachlässigkeit hatte zuschulden kommen lassen.

Danach bekam ich reichlich Zeit, endlos allen möglichen Gedankengängen nachzuhängen, die allesamt in einer Sackgasse endeten. Bill amüsierte sich nämlich prima auf dieser Party. An einem gemischten Fest - bei dem sowohl Vampire als auch Menschen anwesend waren - hatte ich bisher erst ein- oder zweimal teilgenommen. Selbst jetzt, wo doch Vampire seit zwei Jahren legal waren, fühlte sich eine solch gemischte Gesellschaft irgendwie bedrohlich an. Offenes Trinken - Blutsaugen am Menschen - war streng verboten, und ich kann Ihnen versichern, daß man sich im Hauptquartier der Vampire von Dallas strikt an das entsprechende Gesetz hielt. Von Zeit zu Zeit bekam ich mit, daß ein Pärchen eine Weile nach oben verschwand, doch der jeweilige menschliche Teil erfreute sich bei der Rückkehr stets bester Gesundheit. Ich weiß das, denn ich habe mir das alles genau angesehen und mitgezählt.

Bill hatte jetzt so viele Monate lang ein bürgerliches Leben unter Menschen geführt, daß es für ihn offenbar ein richtiges Fest war, wieder einmal mit anderen Vampiren zusammensein zu dürfen. Ununterbrochen fand ich ihn in die Unterhaltung mit diesem oder jenem Vampir vertieft; es ging vielleicht um wehmütige Erinnerungen an das Chicago der 20er Jahre oder um Investitionsmöglichkeiten bei rein von Vampiren kontrollierten Firmen irgendwo auf unserem Globus. Ich fühlte mich derart angeschlagen, daß es mir völlig reichte, auf einer weichen Couch zu sitzen, dem Treiben um mich her zuzusehen und von Zeit zu Zeit an meinem Screwdriver zu nippen. Am Tresen bediente ein sehr netter junger Mann, mit dem ich mich ein Weilchen über Bars unterhielt. Eigentlich hätte ich meinen Urlaub vom Kellnern ja genießen sollen, aber ich mußte feststellen, daß ich mich nur zu gern in meine Uniform geschmissen und ein paar Bestellungen aufgenommen hätte. Ich war nicht daran gewöhnt, die Routine meines Alltags zu sehr zu unterbrechen.

Irgendwann ließ sich eine Frau neben mich auf das Sofa plumpsen, die ein wenig jünger sein mochte als ich selbst. Wie sich herausstellte, war sie mit dem Vampir zusammen, der hier den Unteroffizier vom Dienst gab, mit Joseph Velasquez also, der die Nacht zuvor mit Bill zusammen in die Zentrale der Bruderschaft geeilt war. Die junge Frau hieß Trudi Pfeiffer. Sie hatte tiefrote Strähnchen im Haar, Piercings in Zunge und Nase und war recht makaber geschminkt: Unter anderem trug sie schwarzen Lippenstift. Stolz teilte sie mir mit, die Farbe ihres Lippenstifts heiße 'Grabesmoder'. Trudis Jeans saßen so tief auf den Hüften, daß ich mich fragte, wie die junge Frau es wohl fertigbrachte, aufzustehen und sich zu setzen. Wahrscheinlich trug sie diese Jeans, damit jeder den Ring bewundern konnte, der ihren Nabel schmückte. Ihr kurzärmliges Stricktop war ebenfalls recht knapp bemessen. Im Vergleich dazu waren die Sachen, die ich in der Nacht getragen hatte, als die Mänade mich erwischt hatte, blaß und harmlos. Von Trudi, das konnte man sagen, bekam man allerhand zu sehen.

Unterhielt man sich jedoch mit der jungen Frau, dann stellte man rasch fest, daß sie bei Weitem nicht so bizarr war, wie sie sich nach außen hin den Anschein gab. Trudi war Studentin. Ich fand - durch absolut legitimes Zuhören - heraus, daß für sie die Beziehung mit Joseph das rote Tuch war, mit dem sie dem Bullen vor der Nase herumwedelte, um ihn fuchsteufelswild zu machen. Der Bulle waren in Trudis Fall ihre Eltern.

„Denen wäre es sogar lieber, ich wäre mit einem Schwarzen liiert!“ verkündete sie mir ganz stolz. Ich versuchte, angemessen schockiert zu schauen. „Deine Eltern haben wohl etwas gegen die Totenszene, was?“ fragte ich.

„Mann, das kann man laut sagen!“ Trudi nickte heftig und flatterte auf extravagante Weise mit ihren schwarzlackierten Fingernägeln. Sie trank Dos Equis. „'Kannst du dir nicht wenigstens jemanden suchen, der noch am LEBEN ist?' jammert meine Mama immer.“ Wir mußten beide lachen. „Wie läuft es mit dir und Bill?“ Dabei wackelte Trudi bedeutungsvoll mit den Augenbrauen, damit ich die Frage auch ja nicht mißverstand.

„Du meinst...?“

„Wie ist er im Bett? Joseph ist wirklich und wahrhaftig unglaublich.“

Ich kann nicht sagen, daß mich das überraschte, aber ein wenig betroffen war ich schon. Hektisch durchwühlte ich mein Gehirn nach einer passenden Antwort, bis mir eine einfiel: „Wie schön für dich!“ Wäre sie eine gute Freundin gewesen, wie Arlene, hätte ich vielleicht gelächelt oder ihr zugezwinkert, aber ich hatte nun wahrlich nicht vor, mein Sexleben mit einer völlig Fremden zu erörtern. Auch wollte ich nichts weiter über sie und Joseph wissen.

Trudi sprang auf, um sich noch ein Bier zu holen und blieb dann, in eine Unterhaltung mit dem Barkeeper vertieft, an der Bar hängen. Erleichtert und erschöpft schloß ich die Augen, bis ich spürte, wie die Couch neben mir einsackte, weil wieder jemand darauf Platz genommen hatte. Ich warf einen Blick nach rechts, um zu sehen, welcher neue Gefährte sich da zu mir gesellt hatte. Eric. Oh, toll.

„Wie geht es dir?“ wollte er wissen.

„Besser, als es aussieht“, erwiderte ich. Was nicht stimmte.

„Hast du Hugo und Isabel gesehen?“

„Ja.“ Ich blickte auf meine Hände, die ich im Schoß gefaltet hielt.

„Angemessen, findest du nicht?“

Ich nahm an, Eric wolle mich provozieren.

„Auf gewisse Weise ja“, sagte ich. „Wenn man sich darauf verlassen kann, daß Stan Davis zu seinem Wort steht.“

„Das hast du ihm hoffentlich nicht gesagt.“ Aber Eric wirkte nur amüsiert.

„Nein. Jedenfalls nicht direkt. Ihr seid ja alle so stolz.“

Eric wirkte überrascht. „Ja, ich schätze, das stimmt.“

„Sind Sie nur gekommen, um zu sehen, ob ich auch alles richtig mache?“

„Nach Dallas?“

Ich nickte.

„Ja.“ Eric zuckte die Achseln. Er trug ein Strickhemd mit einem hübschen Muster in Blau- und Brauntönen, und als er darin die Achseln zuckte, wirkten seine Schultern einfach riesig. „Wir leihen dich ja zum ersten Mal aus. Ich wollte, ohne in meiner offiziellen Funktion auftreten zu müssen, sehen, ob alles glatt läuft.“

„Glaubst du, Stan weiß, wer du bist?“

Er gab sich den Anschein, als sei diese Frage neu und interessant für ihn. „Unmöglich wäre das nicht.“

„Meinst du, du kannst mich jetzt einfach nach Hause gehen lassen und mich und Bill nicht mehr behelligen?“ wollte ich wissen.

„Nein“, erwiderte Eric. „Dafür bist du zu nützlich. Außerdem hoffe ich, du gewöhnst dich an mich, wenn du mich häufiger siehst.“

„Wie man sich an Kopfschmerzen gewöhnt?“

Daraufhin lachte er, aber sein Blick war in einer Art und Weise auf mich gerichtet, bei der mir nicht zum Lachen zumute war. Sein Blick war anzüglich und ließ keine Fragen offen. Verdammt.

„In diesem Strickkleid, ohne was darunter“, sagte Eric, „siehst du einfach besonders zauberhaft und verführerisch aus, Sookie! Wenn du Bill verließest und aus freien Stücken zu mir kämst, würde er das akzeptieren.“

„Das werde ich bestimmt nicht tun!“ erwiderte ich. Mehr konnte ich nicht sagen, denn nun nahm mein Bewußtsein, sozusagen ganz am Rande, etwas Außergewöhnliches wahr.

Eric wollte noch etwas sagen, aber ich legte ihm die Hand auf den Mund. Dann bewegte ich den Kopf hektisch von einer Seite auf die andere, um den besten Empfang zu bekommen. Anders kann ich es nicht ausdrücken.

„Hilf mir auf“, sagte ich.

Wortlos stand Eric auf und half mir sanft hoch. Ich spürte, wie sich meine Brauen zusammenzogen.

Sie waren überall. Sie hatten das Haus umstellt.

Ihre Hirne liefen auf Hochtouren, bis aufs äußerste gespannt. Hätte mich Trudi vorhin nicht so vollgeplappert, hätte ich sie bemerkt, während sie sich anschlichen, um das Haus zu umstellen.

„Eric“, sagte ich, während ich gleichzeitig versuchte, so viele Gedanken wie möglich aufzuschnappen. Da draußen lief ein Countdown! Mein Gott!

„Alle runter!“ schrie ich, so laut ich konnte.

Die Vampire gehorchten wie ein Mann.

So kam es, daß im wesentlichen Menschen ums Leben kamen, als die Bruderschaft das Feuer eröffnete.