Kapitel 2

Um halb fünf konnten wir wieder aufmachen. Zu dem Zeitpunkt waren wir alle schon so gelangweilt, daß es nicht mehr feierlich war. Ich schämte mich dafür - immerhin war ein Mensch gestorben, den wir gut gekannt hatten -, aber es ließ sich nicht leugnen, wir waren einfach ziemlich erpicht darauf, endlich wieder einmal jemand anderen zu Gesicht zu bekommen als unser kleines Team. Den Tag über hatten wir das Lager aufgeräumt, Sams Büro gründlich entrümpelt und einige Runden Karten gespielt, wobei Sam fünf Dollar und noch einen Haufen Kleingeld gewonnen hatte - all das, was man eben so tut, wenn man der eigentlichen Arbeit nicht nachgehen kann. Als Terry Bellefleur, Andys Vetter, durch die Hintertür trat, ein Mann, der oft bei uns als Tresenbedienung oder Koch aushalf, waren wir alle froh, ihn zu sehen.

Terry dürfte meiner Schätzung nach Ende fünfzig sein. Er ist Vietnam-Veteran und hat anderthalb Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht. Terry hatte ein paar auffällige Narben im Gesicht, und meine Freundin Arlene wußte zu erzählen, daß die Narben an seinem Körper sogar noch drastischer seien. Terry war ein Rotschopf - allerdings sah es aus, als wolle er mit jedem Monat grauer werden.

Ich persönlich habe Terry immer gemocht. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, nett zu mir zu sein - außer, er hatte gerade einen seiner dunklen Tage. Wenn Terry sich in einem seiner schwarzen Löcher befand, dann durfte man ihm nicht zu nahe treten, das wußte jeder. Terrys dunkle Tage folgten unausweichlich auf Nächte, in denen er von Alpträumen heimgesucht worden war, wovon all seine Nachbarn ein Lied singen konnten. In den Nächten, in denen mein Kollege schlecht träumte, waren seine Schreie in der ganzen Nachbarschaft zu hören.

In Terrys Gedanken las ich nie, wirklich nie.

An diesem Tag hatte es den Anschein, als ginge es Terry gut. Seine Schultern wirkten entspannt, und seine Blicke schossen nicht wild in der Gegend umher. „Wie geht es dir, meine Süße?“ erkundigte er sich teilnahmsvoll und klopfte mir besorgt auf die Schulter.

„Danke, es geht. Ich bin traurig wegen Lafayette.“

„Ja. Er war wirklich in Ordnung.“ Das war aus Terrys Mund ein riesiges Kompliment. „Hat seine Arbeit gemacht, war immer pünktlich, hielt die Küche sauber. Hat nie schlecht über Leute geredet.“ So zu funktionieren war Terrys ganz großer Ehrgeiz. „Dann geht er einfach hin und stirbt in Andys Buick!“

„Ich fürchte, Andys Auto ist ein wenig ...“ Verzweifelt durchforstete ich mein Hirn nach dem neutralsten Ausdruck für das, was ich sagen wollte.

„Er sagt, es läßt sich saubermachen.“ Terry wollte das Thema so schnell wie möglich beenden.

„Hat er dir gesagt, was Lafayette zugestoßen ist?“

„Es sieht aus, als habe ihm irgendwer den Hals gebrochen, sagt Andy, und allem Anschein nach war er auch ... na ja, an ihm war herumgemacht worden.“ Terrys braune Augen flackerten, und er mochte mich nicht ansehen, was zeigte, daß er sich bei der Unterhaltung sehr unwohl fühlte. „Herumgemacht“ - das bedeutete in Terrys Sprachgebrauch etwas Gewalttätiges, Sexuelles.

„Wie schrecklich!“ Hinter mir waren Danielle und Holly aufgetaucht, und nun ließ sich auch Sam blicken, auf dem Weg zum Müllcontainer hinter dem Haus, in der Hand einen weiteren Sack voll Gerümpel, das er aus seinem Büro geräumt hatte.

„Er sah nicht allzu ...“, fuhr ich stockend fort, „eigentlich sah der Wagen nicht sehr ... nicht so ...“

„Nicht aus, als hätten die Polster viele Flecken abbekommen?“

„Genau!“

„Andy denkt, er sei woanders umgebracht worden.“

„Igitt“, sagte Holly. „Laßt uns von etwas anderem reden. Mir wird ganz anders.“

Terry warf über meine Schulter hinweg einen Blick auf die Frauen. Er konnte weder Danielle noch Holly leiden und machte auch keine Anstalten, sein Verhältnis zu den beiden zu verbessern. Woran das lag, wußte ich nicht. Ich gab mir wirklich viel Mühe, den Menschen eine gewisse Privatsphäre zu lassen, besonders, seit ich mein Talent besser im Griff hatte. Nachdem Terry die beiden ein paar Sekunden lang unverwandt angeschaut hatte, hörte ich, wie sie sich wieder entfernten.

„Portia kam letzte Nacht und hat Andy abgeholt?“ fragte er.

„Ja, ich rief sie an. Er konnte nicht mehr fahren. Ich wette, er wünscht jetzt, ich hätte ihn fahren lassen.“ Ich würde es nie schaffen, die Nummer eins auf Andys Beliebtheitsskala zu werden!

„Hatte sie Probleme, ihn ins Auto zu kriegen?“

„Bill half ihr.“

„Vampirbill? Dein Liebster?“

„Genau.“

„Ich hoffe, das hat sie nicht zu Tode erschreckt“, meinte Terry nachdenklich. Er schien sich nicht mehr daran zu erinnern, daß ich auch noch da war.

Sofort spürte ich, wie sich mein Gesicht verzog. „Es gibt keinen Grund, warum Bill Portia Bellefleur zu Tode erschrecken sollte“, sagte ich spitz, und die Art, wie ich das sagte, drang wohl durch den Nebel privater Reflektionen, in dem Terry gefangen war.

„Portia ist gar nicht so zäh, wie alle immer denken“, erklärte er. „Du dagegen, du bist von außen ein süßer kleiner Sahnehappen, aber innen drin bist du ein Bullterrier.“

„Jetzt weiß ich nicht, ob ich mich gebauchpinselt fühlen oder dir lieber eins auf die Nase geben soll!“

„Da siehst du! Wie viele Frauen - und Männer - wagen schon, so etwas einem Verrückten ins Gesicht zu sagen?“ Terry lächelte - wie ein Gespenst wohl lächeln würde. Ich hatte bis zu diesem Augenblick nicht gewußt, wie sehr sich mein Kollege des Rufs bewußt war, in dem er stand.

Ich reckte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm zum Zeichen dafür, daß ich keine Angst vor ihm hatte, einen Kuß auf die zernarbte Wange. Aber kaum hatte ich mich wieder auf die Hacken zurückfallen lassen, da mußte ich mir auch schon eingestehen, daß das eigentlich so gar nicht stimmte. Unter bestimmten Umständen würde ich mich vor diesem so tief verletzten Mann nicht nur enorm in acht nehmen, ich würde mich vielleicht sogar sehr vor ihm fürchten.

Terry band sich die weiße Kochschürze um und machte sich daran, die Küche zu eröffnen. Wir anderen gingen an die Arbeit. Ich würde allerdings nicht lange an den Tischen bedienen können, denn gegen sechs wollte ich die Arbeit beenden, um mit Bill nach Shreveport zu fahren. Ein wenig unangenehm war es mir schon, daß Sam mich für all die Stunden würde bezahlen müssen, die ich mehr oder weniger nur im Merlottes herumgehangen und darauf gewartet hatte, endlich an die Arbeit gehen zu können. Aber wenigstens hatten wir es geschafft, Sams Büro zu entrümpeln und das Lager aufzuräumen und das zählte doch auch etwas.

Die Polizei hatte die Absperrung unseres Parkplatzes aufgehoben, und sofort setzte ein stetiger Kundenstrom ein, so stetig, wie man ihn in Bon Temps überhaupt erleben kann. Andy und Portia waren unter den ersten, die kamen, und ich sah, wie Terry seine Cousine und seinen Vetter durch die Durchreiche zur Küche hindurch beobachtete. Die beiden winkten ihm zu, und er hob seinen Kochlöffel, um ihren Gruß zu erwidern. Wie war eigentlich der genaue Verwandtschaftsgrad der drei? Ein Vetter ersten Grades war Terry für Portia und Andy gewiß nicht, das wußte ich genau. Bei uns ist es aber durchaus üblich, jemanden Vetter oder Onkel oder Tante zu nennen, auch wenn Blutsbande nur sehr dünn oder manchmal auch überhaupt nicht vorhanden sind. Als meine Eltern durch eine plötzliche Flutwelle, die ihren Wagen von einer Brücke fegte, ums Leben kamen, hatte die beste Freundin meiner Mutter alle Anstrengungen unternommen, mich jede oder wenigstens jede zweite Woche im Haus meiner Großmutter zu besuchen und mir ein kleines Geschenk zu bringen. Für mich ist diese Frau mein Leben lang Tante Patty gewesen.

Ich beantwortete die Fragen der Kunden, die auf mich einstürzten, soweit ich Zeit hatte. Außerdem servierte ich Salat und Hamburger und Putengeschnetzeltes und Hühnerbrüstchen, bis mir ganz schwindelig war. Als ich irgendwann einmal auf die Uhr sah, war es auch schon Zeit für mich zu gehen. Ich begab mich in den Waschraum der Damen, um mich ein wenig frisch zu machen, und fand dort die Kollegin vor, die für mich arbeiten sollte, meine Freundin Arlene. Arlenes flammendrotes Haar (in diesem Monat noch zwei Farbstufen röter als sonst) war kunstvoll auf ihrem Kopf aufgetürmt, und ihre engsitzenden Hosen teilten aller Welt mit, daß sie sieben Pfund abgenommen hatte. Arlene war bereits viermal verheiratet gewesen und befand sich auf der Suche nach Ehemann Nummer fünf.

Wir unterhielten uns kurz über den Mord, und ich brachte sie auf den aktuellsten Stand, was die Situation an meinen Tischen betraf. Dann holte ich meine Handtasche aus Sams Büro und verschwand durch die Hintertür. Es war noch nicht dunkel, als ich vor meinem Haus vorfuhr. Ich wohne ungefähr vierhundert Meter vom Merlottes entfernt in einem kleinen Wäldchen, durch das eine wenig befahrene Landstraße führt. Mein Haus ist alt, einzelne Teile datieren aus einer Zeit, die über hundertvierzig Jahre zurückliegt. Es ist aber so oft umgebaut und verändert worden, daß es nicht wirklich als Haus aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg zählen kann. Es ist ohnehin nur ein einfaches Bauernhaus. Meine Oma, Adele Hale Stackhouse, hatte es mir hinterlassen, und ich liebte es sehr. Bill sprach oft davon, daß ich lieber in sein Haus ziehen sollte, das auf der anderen Seite des alten Friedhofs auf einem kleinen Hügel stand, aber es widerstrebte mir, mein eigenes Reich zu verlassen.

Rasch zog ich meine Kellnerinnentracht aus und stellte mich vor den geöffneten Kleiderschrank. Wenn wir in Vampirangelegenheiten nach Shreveport fuhren, wollte Bill in der Regel, daß ich mich hübsch machte. Warum, das hatte ich noch nicht herausgefunden. Er wollte ja beileibe nicht, daß mir irgendwer anderes den Hof machte; gingen wir aber ins Fangtasia, dann sollte ich besonders hübsch aussehen. Das Fangtasia war eine Bar in Shreveport, die sich im Besitz von Vampiren befand und im wesentlichen von Touristen besucht wurde.

Männer!

Ich sah mich unfähig zu entscheiden, was ich anziehen sollte, also sprang ich statt dessen erst einmal unter die Dusche. Mir war nicht wohl zumute, wenn ich ans Fangtasia dachte, irgend etwas in mir zog sich dann immer zusammen. Die Vampire, denen die Bar gehörte, waren ein wichtiger Bestandteil der internen Machtstruktur der Vampirkreise. Ich war für sie so etwas wie ein begehrenswerter Neuerwerb, seit sie mein einzigartiges Talent entdeckt hatten. Nur die Tatsache, daß sich Bill beherzt Zugang zu den Selbstverwaltungsstrukturen der Vampirwelt verschafft hatte und nun dort eine Funktion bekleidete, sorgte für meine Sicherheit. Das bedeutete, ich durfte wohnen, wo ich wollte und weiterhin meinem erwählten Beruf nachgehen. Im Austausch für diese Zugeständnisse hatte ich aufzutauchen, wenn ich gerufen wurde und mußte meine telepathischen Fähigkeiten in den Dienst der Vampire Shreveports stellen. Vampire, die bürgerlich leben und Teil der amerikanischen Gesellschaft sein wollten, konnten ihre Belange nicht mehr wie früher durch Folter und Terror durchsetzen; sie mußten sich gemäßigtere Methoden einfallen lassen.

Ich stand unter der Dusche, das heiße Wasser prasselte mir auf den Rücken, und ich spürte, wie ich mich mehr und mehr entspannte und mich wohler zu fühlen begann.

„Soll ich mich zu dir gesellen?“

„Scheiße!“ Mein Herz klopfte so rasch und heftig, daß ich mich gegen die Wand der Duschkabine lehnen mußte, um nicht umzukippen.

„Entschuldige! Hast du denn die Badezimmertür nicht aufgehen hören?“

„Nein, verdammt. Warum rufst du nicht einfach 'Schatz, hier bin ich' oder so was, ehe du auftauchst?“

„Entschuldigung!“ wiederholte Bill, aber es klang nicht sehr ernst gemeint. „Brauchst du jemanden, der dir den Rücken schrubbt?“

„Nein danke!“ zischte ich. „Ich bin nicht in der Stimmung, mir den Rücken schrubben zu lassen.“

Bill grinste, wobei ich sehen konnte, daß seine Fangzähne nicht ausgefahren waren. Gehorsam zog er den Duschvorhang zu.

Wenig später trat ich aus dem Bad, ein großes Handtuch mehr oder weniger züchtig um meinen Körper geschlungen. Bill lag auf meinem Bett, die Schuhe fein säuberlich auf dem kleinen Teppich vor meinem Nachtschränkchen nebeneinander postiert. Er trug ein langärmliges dunkelblaues Hemd, Jeans und Socken, die farblich auf das Hemd abgestimmt waren. Seine flachen Halbschuhe waren blankgeputzt. Er trug das dunkelbraune Haar nach hinten gekämmt, und seine langen Koteletten sahen eindeutig nach Nostalgielook aus.

Nun zeugten sie ja auch von der Mode einer vergangenen Zeit - nur daß den meisten Menschen wohl nicht klar war, wie weit die Zeit zurücklag, in der Bills Koteletten Mode gewesen waren.

Bill hat wunderschön geschwungene Brauen und eine kühn gebogene Nase. Sein Mund ist von der Art, wie man sie von griechischen Statuen kennt - zumindest von denen, die ich schon einmal auf Bildern bewundern konnte. Bill war ein paar Jahre nach dem Bürgerkrieg gestorben (nach dem Aggressionskrieg der Nordstaaten, wie Oma zu sagen pflegte).

„Was steht heute abend auf dem Programm?“ fragte ich. „Sind wir geschäftlich unterwegs oder zum Vergnügen?“

„Es ist immer ein Vergnügen, mit dir zusammen zu sein“, erwiderte Bill.

„Warum fahren wir nach Shreveport?“ beharrte ich, denn ich kann eine ausweichende Antwort durchaus als solche erkennen.

„Wir sind hinzitiert worden“, mußte er zugeben.

„Von wem?“ wollte ich wissen.

„Eric natürlich.“

Seit sich Bill um das Amt des Ermittlers für den 5. Bezirk beworben und die Wahl gewonnen hatte, unterstand er Eric, wurde aber auch von Eric beschützt. Wie Bill mir erklärt hatte, hieß das, daß jeder, der Bill angriff, es auch mit Eric zu tun bekam und daß Bills Besitztümer Eric heilig waren. Zu diesen Besitztümern gehörte auch ich. Das stimmte mich nicht besonders froh, war aber deutlich besser als ein paar andere Alternativen.

Ich stand vor dem Spiegel und verzog mißmutig das Gesicht.

„Du hast eine Abmachung mit Eric.“

„Das stimmt“, mußte ich eingestehen. „Ich habe eine Abmachung mit Eric.“

„An die mußt du dich auch halten.“

„Genau das habe ich auch vor.“

„Zieh die enge Jeans an, die, die an der Seite geschnürt wird“, schlug Bill vor.

Die Hose war keine echte Jeans, denn sie war nicht aus festem Leinen, sondern aus einem Stretchstoff. Sie saß mir ziemlich weit unten auf der Hüfte, und Bill sah mich sehr gern darin. Mehr als einmal hatte ich mich gefragt, ob Bill sich wohl in Britney-Spears-Phantasien erging, was meine Person betraf. Aber ich wußte, wie gut mich die Hose kleidete, also zog ich sie an. Dazu eine blauweiß karierte Bluse, die vorn geknöpft wurde und ungefähr vier Zentimeter unter meinem BH endete. Um ein wenig Unabhängigkeit zu demonstrieren (Bill sollte nicht vergessen, daß ich eine eigenständige Frau bin), trug ich das Haar nicht offen, wie er es gern hatte, sondern faßte es hoch oben am Kopf zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ich schlang eine blaue Schleife um das Gummiband, das den Pferdeschwanz zusammenhielt, und legte dann rasch ein wenig Make-up auf. Ein- oder zweimal warf Bill einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr, aber ich nahm mir die Zeit, die ich brauchte. Wenn es ihm so wichtig war, daß ich einen guten Eindruck auf seine Vampirfreunde machte, dann mußte er eben auf mich warten.

Kaum saßen wir im Auto auf dem Weg nach Shreveport, da verkündete Bill: „Ich konnte heute eine Geschäftsidee realisieren.“

Ehrlich gesagt fragte ich mich schon die ganze Zeit, woher Bills Geld wohl stammte. Er wirkte nicht reich, arm aber auch nicht, und arbeitete nie, es sei denn, er tat es in den Nächten, die wir nicht zusammen verbrachten.

Ich wußte wohl, daß jeder Vampir, der sein Geld wert war, problemlos reich werden konnte, eine Tatsache, die mich ziemlich verunsicherte. Wer in der Lage ist, die Köpfe von Menschen in gewissem Maße zu kontrollieren, dem fällt es nicht schwer, jemanden davon zu überzeugen, sich von seinem Geld zu trennen. Oder er bringt andere dazu, ihm Börsengeheimnisse anzuvertrauen und Aktientips zu geben. Ehe ihnen offiziell das Recht zu existieren zugestanden worden war, hatten Vampire auch keine Steuern zahlen müssen. Selbst die US-Regierung hatte eingestehen müssen, daß man Tote nicht besteuern kann. Gab man ihnen Rechte, wie zum Beispiel das Wahlrecht - so hatte der Kongreß irgendwann einmal logisch geschlußfolgert dann konnte man sie auch dazu verpflichten, Steuern zu zahlen.

Als den Japanern die Entwicklung synthetischen Bluts gelungen war, was den Vampiren die Möglichkeit gab zu Leben, ohne menschliches Blut zu sich nehmen zu müssen, da hatten die Vampire aus ihren Särgen kriechen dürfen. „Wir müssen keine Menschen zu Opfern machen“, konnten sie nun sagen. „Wir sind keine Bedrohung.“

Doch ich wußte, daß es für Bill den Höhepunkt der Ekstase bedeutete, von mir trinken zu dürfen. In der Hauptsache nährte er sich von Lebenssaft (ein beliebtes Markenprodukt im Bereich synthetisches Blut), aber es war ihm weitaus lieber, an meinem Hals zu nippen. Er hatte keine Probleme damit, in einer dicht besetzten Bar vor allen Leuten eine Flasche A positiv zu leeren. Wollte er sich jedoch einen Mund voll Sookie einverleiben, dann war es weiß Gott angebracht, das in der Privatatmosphäre unserer eigenen Häuser zu tun, denn die Wirkung war eine ganz andere. Ein Weinglas Lebenssaft barg keinerlei erotische Reize für Bill.

„Was hast du denn da in die Wege geleitet?“ wollte ich wissen.

„Ich habe das kleine Einkaufszentrum bei der Autobahn gekauft. Das, in dem sich auch das LaLaurie befindet.“

„Wem hast du es abgekauft?“

„Das Land gehörte den Bellefleurs. Sie hatten Sid Matt Lancaster beauftragt, sich um Bebauung und Vermietung zu kümmern.“

Sid Matt war einmal für meinen Bruder anwaltlich tätig gewesen. Er arbeitete schon seit Urzeiten in unserer Gegend, und sein Name hatte weitaus mehr Gewicht bei uns als der Portias.

„Schön für die Bellefleurs. Sie versuchen seit Jahren, den Komplex zu verkaufen. Sie brauchen dringend Bargeld. Hast du das Land und das Einkaufszentrum erworben? Wie groß ist das Grundstück?“

„Nur ein knapper Hektar“, erklärte Bill, „aber die Lage ist hervorragend.“ Er klang wie ein Geschäftsmann. So hatte ich ihn noch nie reden hören.

„Das ist doch das Einkaufszentrum, in dem sich außer dem LaLaurie auch noch ein Friseur und Taras Togs befinden, nicht?“ Außer dem Country Club war das LaLaurie das einzige Restaurant für gehobene Ansprüche in Bon Temps. Hierhin führte man seine Ehefrau aus, wenn es die Silberhochzeit zu feiern galt; hierhin ging man mit seinem Chef, wenn man befördert werden wollte, und ins LaLaurie führten junge Männer ihre Damen, wenn sie einmal wirklichen Eindruck schinden wollten. Aber ich hatte gehört, es liefe nicht gut.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie man ein Geschäft führt oder wie man Geschäfte macht. Ich war mein Leben lang nie wirklich arm, aber immer nur ein oder zwei Schritt von der Armut entfernt. Meine Eltern hatten das Glück gehabt, auf ihrem Land auf eine kleine Ölquelle zu stoßen und hatten das Geld, das ihnen diese Quelle eingebracht hatte, gut angelegt, ehe diese ihr Sprudeln wieder einstellte - was ziemlich rasch geschah. Ohne diesen Extragroschen hätten Jason, Oma und ich immer von der Hand in den Mund leben müssen. Auch so waren wir in den Jahren, in denen Oma uns großzog, ein- oder zweimal kurz vor dem Punkt gewesen, an dem wir Haus und Grundstück meiner Eltern hätten verkaufen müssen, um das Haus meiner Oma halten und Steuern zahlen zu können.

„Wie funktioniert das dann?“ wollte ich wissen. „Dir gehören die Gebäude, in denen sich die drei Betriebe befinden, und die zahlen Miete an dich?“

Er nickte. „Wenn du also irgendwas mit deinen Haaren anstellen willst, dann gehst du in Zukunft ins Clip and Curl.“

Ich war in meinem ganzen Leben nur ein einziges Mal beim Friseur gewesen. Wenn meine Haarspitzen fransig wurden und sich spalteten, ging ich hinüber zum Wohnwagen meiner Freundin Arlene, und sie schnitt sie mir wieder zurecht. „Meinst du denn, ich muß zum Friseur?“ fragte ich verunsichert.

„Nein. Dein Haar ist wunderschön.“ Bill sagte das im Brustton der Überzeugung, und ich nahm es ihm ab. „Aber solltest du mal hingehen wollen - im Clip and Curl machen sie auch Maniküre und verkaufen Haarpflegeprodukte.“ Das Wort Haarpflegeprodukte sprach er aus, als stamme es aus einer Fremdsprache. Mühsam unterdrückte ich ein Lächeln.

„Außerdem“, fuhr er fort, „kannst du jetzt jederzeit jemanden ins LaLaurie ausführen, ohne zahlen zu müssen.“

Ich drehte mich so, daß ich Bill entgeistert anstarren konnte.

„Tara weiß auch, daß sie jedes Kleidungsstück auf meine Rechnung setzen soll, das du bei ihr kaufst.“

Ich spürte meinen Geduldsfaden: Er wurde überdehnt, dann riß er. Leider bekam der arme Bill das gar nicht mit. „Mit anderen Worten“, sagte ich langsam, stolz darauf, wie unbeteiligt meine Stimme klang, „alle wissen, daß sie sich gut um die Mätresse des neuen Besitzers zu kümmern haben.“

Da schien Bill zu verstehen, daß er einen Fehler gemacht hatte. „Sookie ...“, hob er an, aber das wollte ich mir gar nicht erst gefallen lassen. Mein Stolz hatte sich aufgebäumt und mir voll ins Gesicht geschlagen. Ich verliere nicht oft die Geduld, aber wenn meine Nerven mit mir durchgehen, dann mache ich keine halben Sachen.

„Warum kannst du mir nicht irgendwelche verdammten Blumen schicken, wie die Freunde anderer Frauen das tun? Oder mal eine Schachtel Pralinen? Ich mag Pralinen! Schick mir doch einfach mal eine Grußkarte, das wäre doch mal was! Oder ein Kätzchen oder ein schönes Halstuch!“

„Ich wollte dir doch etwas schenken“, sagte Bill vorsichtig.

„Du hast es so weit gebracht, daß ich mir vorkomme wie eine ausgehaltene Frau, und du hast auf jeden Fall dafür gesorgt, daß die Leute, die in diesen Geschäften arbeiten, denken, du würdest mich aushalten!“

So weit ich das im schwachen Licht der Armaturenbeleuchtung feststellen konnte, arbeitete Bill hart daran zu verstehen, warum das, was ich von ihm wollte, denn so anders sein sollte als das, was er mir angeboten hatte. Wir waren gerade an der Autobahnausfahrt zum Mimosa Lake vorbei; auf der Seite der Straße, auf der sich der See befand, sah ich im Licht der Scheinwerfer von Bills Wagen die Bäume, die als dichter Wald den See umstanden.

Zu meiner großen Verwunderung beschloß das Auto, an genau dieser Stelle einmal kurz zu husten und dann stehenzubleiben. Ich nahm das als Zeichen.

Hätte Bill geahnt, was ich vorhatte, dann hätte er wohl die Türen verriegelt; so konnte er nur erschrocken zusehen, wie ich aus dem Auto kletterte und zum Wald hinüberstolzierte, dessen Bäume gleich neben der Straße in den Himmel ragten.

„Sookie, komm sofort zurück!“ Endlich war auch Bill wütend. Das hatte ja lange genug gedauert.

Ich zeigte ihm einen Vogel und trat in den Wald hinein.

Ich wußte genau, daß ich Bill nicht würde daran hindern können, mich zurück in den Wagen zu befördern, wenn er das wirklich wollte. Mein Freund ist wohl zwanzigmal stärker und schneller als ich. Nachdem ich ein paar Sekunden durch die Finsternis gestapft war, wünschte ich fast, er würde mich holen kommen. Aber dann bäumte sich mein Stolz erneut auf; ich wußte einfach, daß das, was ich getan hatte, vollkommen richtig gewesen war. Bill war sich offenbar über die Art unserer Beziehung immer noch nicht im klaren, und ich wollte ein für alle Mal Klarheit schaffen. Sollte er seinen Arsch ruhig nach Shreveport bewegen, um seinem Vorgesetzten Eric meine Abwesenheit zu erläutern. Dann würde er endlich mal kapieren, welche Auswirkungen sein Verhalten nach sich ziehen konnte.

„Sookie?“ rief Bill nun von der Straße her. „Ich gehe zur nächsten Tankstelle und hole einen Mechaniker!“

„Na dann viel Glück!“ murmelte ich leise und vergnügt. Eine rund um die Uhr geöffnete Tankstelle mit festangestelltem Mechaniker? Da hatte Bill wohl die 50er Jahre oder irgendeine andere historische Epoche im Sinn!

„Du führst dich auf wie ein Kind“, rief Bill. „Ich könnte dich holen kommen, aber damit verschwende ich nicht meine Zeit. Wenn du dich beruhigt hast, komm bitte zurück zum Auto, setz dich rein und verriegele die Türen von innen. Ich gehe jetzt.“ Auch Bill hatte seinen Stolz.

Mit gemischten Gefühlen, einerseits erleichtert, andererseits aber auch besorgt, hörte ich bald darauf, wie Bill mit Vampirgeschwindigkeit die Straße entlang rannte. Er war wirklich gegangen.

Wahrscheinlich dachte er, er würde mir eine Lehre erteilen - wo doch genau umgekehrt ein Schuh daraus wurde! Ich war es, die ihm eine Lehre erteilte - das wiederholte ich mir im Kopf wieder und wieder, und gleich würde er ja auch zurück sein, da war ich mir ganz sicher. Ich mußte lediglich darauf achten, daß ich nicht zu tief in den Wald ging und am Ende noch in den See fiel.

Es war wirklich sehr finster hier zwischen den Kiefern. Der Mond war noch nicht ganz voll, aber wir hatten eine sternenklare Nacht; alle freien Flächen leuchteten kühl und matt, und im Gegensatz dazu warfen die Bäume pechschwarze Schatten.

Zuerst suchte ich den Weg zurück zur Straße, dann holte ich tief Luft und marschierte fest entschlossen Richtung Bon Temps, genau die entgegengesetzte Richtung zu der, die Bill eingeschlagen hatte. Ich fragte mich, wie viele Kilometer wir wohl zurückgelegt haben mochten, ehe Bill mit der Unterhaltung anfing, die mich dann so wütend gemacht hatte. Ich versuchte, mich zu beruhigen, indem ich mir versicherte, allzuviele könnten es nicht gewesen sein. Dann beglückwünschte ich mich zu der Entscheidung, Turnschuhe statt hochhackige Sandalen angezogen zu haben. Leider hatte ich keinen Pulli dabei; langsam, aber sicher überzog eine Gänsehaut die bloße Haut zwischen meinem kurzen Oberteil und der tiefsitzenden Hose. Ich verfiel in einen gemäßigten Trab, immer den Parkstreifen neben der Straße entlang. Straßenbeleuchtung gab es keine - so wäre es mir wohl ziemlich übel ergangen, hätte der Mond nicht geschienen.

Just als mir durch den Kopf ging, daß sich hier draußen jemand herumtrieb, der Lafayette umgebracht hatte, hörte ich Schritte im Wald parallel zu meiner Laufstrecke.

Als ich stehenblieb, bewegte sich auch im Wald nichts mehr.

Ich wollte es lieber gleich wissen. „Wer ist da?“ rief ich. „Kommen Sie, wenn Sie mich fressen wollen. Bringen wir es hinter uns.“

Zwischen den Bäumen trat eine Frau hervor. Neben ihr ging ein Wildschwein. Weiß glänzten die Hauer des Tiers im Mondlicht. Die Frau trug in der Linken eine Art Stock oder Stab mit einem Federbusch oder etwas ähnlichem an der Spitze.

„Toll“, flüsterte ich mir selbst zu. „Das ist ja Klasse.“ Die Frau war ebenso furchterregend wie das Schwein. Eine Vampirin war sie nicht, da war ich mir ganz sicher, denn ich konnte ihr Bewußtsein vage spüren, aber ein übernatürliches Wesen war sie auf jeden Fall, was hieß, daß ich keine wirklich klaren, lesbaren Signale von ihr empfing. Den Grundton ihrer Gedanken vermochte ich aber wahrzunehmen. Irgend etwas schien sie zu amüsieren, und das hieß auf jeden Fall nichts Gutes.

Da konnte ich nur hoffen, zumindest das Schwein würde sich als friedlich erweisen. Diese Schweine zeigten sich nur sehr selten in der Gegend von Bon Temps, und lediglich Jäger bekamen wohl von Zeit zu Zeit eins von ihnen zu Gesicht. Gelang es einem von ihnen, ein solches Schwein zu erlegen, dann war das eine solch außergewöhnliche Sache, daß die Zeitungen davon berichteten und auch Bilder veröffentlichten. Dieses Schwein stank, es verbreitete einen ziemlich üblen, ziemlich eindeutigen Geruch.

Ich wußte nicht, welche der beiden Gestalten da vor mir ich ansprechen sollte. Immerhin konnte es gut angehen, daß das Schwein kein Wildschwein war, sondern ein Gestaltwandler. Vieles war möglich, soviel hatte ich in den letzten Monaten gelernt. Wie lange hatte man die Vampire in den Bereich der phantastischen Abenteuerliteratur verbannt, und nun stellte sich heraus, daß es sie wirklich gab. Ebenso gut konnte es auch noch zahlreiche andere Dinge wirklich geben, von denen man bisher geglaubt hatte, sie seien pure Fiktion.

Ich hatte wirklich Angst, also lächelte ich.

Sie hatte langes, verfilztes, dunkles Haar, aber den genauen Farbton konnte ich in dem unbeständigen Licht nicht sehen. Sie trug eine Art Bluse, zerrissen und voller Flecke. Sie war barfuß und lächelte zurück. Ich hätte schreien mögen; statt dessen wurde mein eigenes Lächeln noch breiter.

„Ich habe nicht vor, dich zu fressen“, sagte die Frau.

„Wie gut, das zu hören. Was ist mit Ihrem Freund?“

„Das Wildschwein?“ Als erinnere sie sich erst jetzt wieder daran, daß das Tier an ihrer Seite ging, bückte sich die Frau und kraulte das Schwein hinter den Ohren, wie ich einen freundlichen Hund streicheln würde. Die furchteinflößenden Hauer hüpften auf und ab. „Das tut, was ich ihm sage!“ erklärte die Frau dann beiläufig. Übersetzt bedeutete das eine deutliche Warnung - ich brauchte keine Dolmetscherin, um das zu verstehen. Ich bemühte mich, ebenso unbeteiligt zu wirken wie mein Gegenüber, während ich meine Blicke verstohlen über die Lichtung gleiten ließ, auf der ich stand, in der Hoffnung, einen Baum zu entdecken, den ich zur Not würde erklimmen können. Aber jeder Baum, der nah genug stand, um von mir im Notfall erreicht werden zu können, war unten kahl und ohne Äste. Hier standen Weihrauchkiefern, die in den Wäldern unserer Gegend überall wachsen und in der holzverarbeitenden Industrie verwendet werden. Bei diesen Kiefern setzen, wenn die Bäume ausgewachsen sind, die Zweige erst in ungefähr fünf Metern Höhe an.

Da wurde mir klar, was mir eigentlich auch vorher schon hätte klar sein können: Es war kein Zufall gewesen, daß Bills Auto eine Panne gehabt hatte. Vielleicht war noch nicht einmal der Streit zwischen Bill und mir Zufall gewesen.

„Wollten Sie irgend etwas mit mir besprechen?“ fragte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, wobei ich feststellen mußte, daß sie ein paar Meter näher zu mir herübergekommen war. Nun konnte ich auch ihr Gesicht besser erkennen, und was ich da sah, beruhigte mich in keiner Weise. Um ihren Mund war ein Fleck, und als sie den Mund nun auftat, sah ich, daß sich die unteren Ränder ihrer Zähne ebenfalls verfärbt hatten. Mein geheimnisvolles Fräulein hatte vor nicht allzu langer Zeit ein rohes Säugetier verspeist. „Zu Abend gegessen haben Sie schon, wie ich sehe“, plapperte ich nervös, wofür ich mir dann umgehend eine Ohrfeige hätte verpassen können.

„Mm-hmm!“ sagte sie. „Du bist also Bills Schoßtier?“

„Ja“, sagte ich. Zwar hatte ich gegen ihre Wortwahl etwas einzuwenden, aber ich war wohl kaum in der Lage, hier Einwände erheben zu können. „Bill wäre ziemlich wütend, wenn mir etwas zustieße.“

„Als scherte mich der Zorn eines Vampirs“, sagte sie beiläufig.

„Sie müssen schon entschuldigen, meine Dame, aber wenn Ihnen die Frage nichts ausmacht: Wer sind Sie?“

Sie lächelte erneut, und mir liefen Schauer über den Rücken. „Ganz und gar nicht! Ich bin eine Mänade.“

Das war irgend etwas Griechisches. Ich wußte nicht genau was, aber es war etwas Wildes, Weibliches und es lebte in der Natur, wenn mich mein Gedächtnis nicht trog und der erste Eindruck nicht täuschte.

„Sehr interessant!“ sagte ich und grinste, als hinge mein Leben davon ab, „und heute nacht sind Sie hier unterwegs, weil ...“

„Ich brauche jemanden, der Eric Northman eine Botschaft überbringt“, sagte sie und trat näher, wobei ich diesmal mitbekam, daß sie es tat. Das Schwein schlurfte ebenfalls ein paar Schritte vor, als sei es an die Frau gekettet. Der Gestank, der von dem Tier ausging, war unbeschreiblich. Ich starrte auf den kleinen, buschigen Schwanz des Schweins, der hektisch hin- und herzuckte, als sei das Tier höchst ungehalten und ungeduldig.

„Wie lautet diese Botschaft denn?“ Bei diesen Worten sah ich wieder zu der Frau hoch, um dann in der nächsten Sekunde blitzschnell herumzuwirbeln und so schnell wie irgend möglich das Weite zu suchen. Wenn ich zu Beginn des Sommers nicht ein wenig Vampirblut zu mir genommen hätte, wäre es mir wohl kaum gelungen, mich auch nur umzudrehen, und dann hätte der Schlag mich voll im Gesicht und an der Brust getroffen und nicht, wie es nun geschah, in den Rücken. Es fühlte sich an, als habe mich jemand mit einer riesigen Harke getroffen. Jede einzelne Spitze dieser Harke schien sich in meine Haut zu bohren und immer tiefer einzudringen. Dann wurde die Harke nach unten gezogen und bahnte sich ihren Weg meinen Rücken hinab.

Ich konnte mich nicht auf den Beinen halten. Ich stolperte und fiel auf den Bauch. Hinter mir hörte ich die Frau lachen, das Schwein schnüffeln, und dann wurde mir klar, daß beide gegangen waren. Gut eine Minute lang lag ich einfach nur da und weinte vor mich hin. Ich versuchte, nicht zu schreien und zu kreischen und stellte fest, daß ich hechelte, wie man es Frauen beibringt, bei denen die Geburt ihres Kindes bevorsteht, um meiner Schmerzen Herr zu werden. Mein Rücken tat einfach höllisch weh.

Ein letzter Rest Energie war mir verblieben - diesen Rest verwendete ich darauf, wütend zu werden. Ein lebendes schwarzes Brett war ich gewesen für diese Schlampe, diese Mänade, diese - was auch immer sie sein mochte. Ich kroch über Zweige und rauhen Boden, ich kroch über Kiefernnadeln und durch Dreck, und dabei wurde ich immer wütender und wütender. Ich zitterte am ganzen Körper, weil mir alles so wehtat und weil ich so wütend war. Ich kroch auf dem Bauch immer weiter, bis ich mich fühlte, als sei ich es nicht mehr wert, umgebracht zu werden, als sei ich ein so erbärmlicher Anblick, daß es niemanden mehr interessieren würde. Ich war in die Richtung gekrochen, in der Bills Auto stand, dorthin, wo er mich am ehesten würde finden können, aber als ich fast schon dort angekommen war, überlegte ich es mir noch einmal anders. Eigentlich wollte ich nirgends bleiben, wo man mich von allen Seiten her sehen konnte.

Ich hatte gedacht, die Straße würde mir Hilfe bringen, aber das war natürlich vollkommen falsch. Hatte ich nicht erst vor wenigen Minuten am eigenen Leibe erfahren müssen, daß nicht jeder, den ich hier traf, in der Stimmung war, mir zu helfen? Was, wenn ich einem Wesen begegnete, das hungrig war? Vielleicht hatte der Duft meines Blutes schon den Appetit eines Raubtiers geweckt? Man sagt ja, Haie, zum Beispiel, seien in der Lage, einen winzigen Blutstropfen im Wasser wahrzunehmen, und Vampire, das kann man doch wohl so sagen, sind in dieser Frage so etwas wie Haie, nur daß sie auf dem Land leben, nicht im Wasser.

Also kroch ich wieder auf die Baumlinie zu, statt auf der Straße zu bleiben, wo jeder mich sehen konnte. Ein würdevoller, bedeutungsschwangerer Ort zum Sterben war das hier nicht gerade. Weder Los Alamos noch die Thermopylen. Nur ein Fleckchen Vegetation im nördlichen Louisiana. Womöglich lag ich auch noch mitten in Giftefeu. Ich würde wahrscheinlich nicht mal lange genug am Leben bleiben, um davon Ausschlag zu bekommen!

Mit jeder Sekunde hoffte ich, der Schmerz würde endlich abnehmen, aber er wurde immer schlimmer. Nun konnte ich nicht mehr verhindern, daß mir die Tränen über beide Wangen liefen. Ich schaffte es gerade noch, nicht laut zu schluchzen, denn damit würde ich womöglich noch mehr Aufmerksamkeit auf mich lenken. Aber völlig still dazuliegen brachte ich auch nicht fertig.

Ich konzentrierte mich so sehr darauf, mich ruhig und still zu verhalten, daß ich Bill fast gar nicht wahrgenommen hätte. Er ging die Straße auf und ab, wobei er angestrengt zwischen den Bäumen Ausschau hielt. An der Art, wie er ging, erkannte ich, daß er mit Gefahren rechnete. Bill wußte, das etwas nicht stimmte.

„Bill“, flüsterte ich schwach, aber für seine Vampirohren klang es wie ein lauter Schrei.

Den Bruchteil einer Sekunde blieb er stocksteif stehen, und seine Augen prüften sorgsam die Schatten rings um mich. „Hier bin ich!“ sagte ich, wobei ich ein Aufschluchzen unterdrücken mußte. „Sei vorsichtig.“ Vielleicht diente ich ja nur als Köder.

Das Mondlicht ließ mich erkennen, wie ausdruckslos Bills Gesicht war. Ich wußte jedoch, daß mein Freund alles, was seiner harren mochte, ebenso sorgsam abwägte, wie auch ich es getan hatte. Einer von uns würde sich bewegen müssen. Bill würde mit Hilfe des Mondlichts wenigstens sehen können, ob mich etwas angriff, wenn ich aus den Schatten kroch.

Also streckte ich die Arme aus, griff in das Gras vor mir und zog. Ich schaffte es nicht, auf die Knie zu kommen, mich hinzuhocken und zu kriechen, schneller als jetzt auf dem Bauch würde ich mich nicht bewegen können. Ein wenig schob ich mit den Füßen nach, aber selbst diese kleine Belastung meiner Rückenmuskeln war schier unerträglich. Ich mochte Bill nicht ansehen, während ich auf ihn zukroch. Ich wollte nicht schwach werden angesichts seiner Wut, die fast körperlich greifbar war.

„Wer oder was hat dir das angetan, Sookie?“ fragte er sanft.

„Schaff mich ins Auto. Bring mich hier weg“, sagte ich, wobei ich weiter mein Bestes tat, nicht vollends zusammenzubrechen. „Wenn ich hier Lärm mache, kommt sie vielleicht zurück.“ Allein beim Gedanken daran zitterte ich am ganzen Leib. „Bring mich zu Eric“, fuhr ich fort, wobei ich mich anstrengte, meine Stimme nicht überschnappen zu lassen. „Sie hat gesagt, dies hier ist eine Botschaft für Eric.“

Bill hockte sich neben mich. „Ich muß dich hochheben“, sagte er.

Nein, nein, wollte ich sagen, es muß doch auch anders gehen! Aber ich wußte, anders ging es nicht. Ehe ich mich noch vor dem neuen Schmerz fürchten konnte, hatte Bill mir schon eine Hand unter die Schulter geschoben, legte die andere in meinen Schritt und warf mich wie einen nassen Sack über seine Schulter.

Ich schrie laut auf, bemühte mich dann aber, nicht auch noch zu weinen, damit Bill seine ganze Aufmerksamkeit auf einen sich eventuell nähernden Angreifer richten konnte. Ganz gelang mir das nicht. Bill rannte die Straße entlang und zurück zum Auto. Es lief bereits wieder; der Motor schnurrte friedlich vor sich hin. Bill riß die hintere Tür auf und versuchte, mich rasch, aber vorsichtig auf den Rücksitz des Cadillac zu schieben. Unmöglich, mir so nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen, aber er versuchte es zumindest.

„Sie war das!“ sagte ich, als ich wieder zusammenhängend reden konnte. „Sie hat dafür gesorgt, daß das Auto stehenblieb und ich ausstieg.“ Ob sie auch für unseren Streit als solchen verantwortlich gewesen war, wollte ich mir noch offenhalten.

„Darüber reden wir später“, sagte Bill, der in ziemlich hohem Tempo Richtung Shreveport fuhr, so schnell, wie er irgend konnte. Ich klammerte mich an den Sitzen fest und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Von dieser Fahrt ist mir wenig in Erinnerung geblieben - eigentlich nur, daß sie mindestens zwei Jahre dauerte.

Irgendwie schaffte mich Bill zur Hintertür des Fangtasia und trat dagegen, bis uns jemand aufmachte.

„Was ist los?“ Pam klang fast feindselig. Pam war eine hübsche blonde Vampirin, die ich bereits ein paarmal getroffen hatte, eine sehr scharfsinnige Person mit erstaunlich gutem Geschäftssinn. „Ach du bist es, Bill, was ist geschehen? Oh lecker, sie blutet!“

„Hol Eric“, sagte Bill

„Er wartet hier drinnen schon auf euch“, hob Pam an, aber Bill drängte sich ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei wobei er mich über der Schulter trug wie einen Sack mit noch blutendem, frisch erlegtem Wild. Ich war inzwischen so weggetreten, daß es mir nichts mehr ausgemacht hätte, hätte er mich auf den Tanzboden vorn in der Bar geschleppt, aber Bill stürmte statt dessen in Erics Büro, beladen mit meiner Wenigkeit und voller Zorn.

„Das geht auf deine Rechnung!“ zischte er wütend. Ich stöhnte, denn er schüttelte mich dabei, als wolle er so Erics Aufmerksamkeit auf mich lenken. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, daß Eric mich hätte übersehen können: Ich war eine ausgewachsene Frau und zudem in diesem Büro die einzige, die aus vielen Wunden blutete.

Liebend gern wäre ich in diesem Moment in Ohnmacht gefallen, hätte mich einfach von allen verabschiedet. Aber ich fiel nicht in Ohnmacht. Ich hing da, über Bills Schulter geworfen, und alles tat mir weh. „Fahr doch zur Hölle“, murmelte ich.

„Was hast du gesagt, Schatz?“

„Fahr zur Hölle!“

„Wir müssen sie aufs Sofa legen“, sagte Eric. „Auf den Bauch. Hier, laß mich ...“ Ich spürte, wie ein weiteres Händepaar mich bei den Beinen packte. Bill schaffte es irgendwie, sich unter mir zu drehen, dann legten die beiden mich langsam und vorsichtig auf der breiten Couch ab, die sich Eric gerade funkelnagelneu in sein Büro gestellt hatte. Sie roch sogar noch neu, und es war eine Ledercouch. Als sie mich nun aus knapp einem Zentimeter Entfernung anstarrte, war ich froh, daß Eric sich keine stoffbezogene Couch angeschafft hatte. „Pam, hol die Ärztin.“ Ich hörte Schritte, die sich entfernten. Dann bückte Eric sich, um mir ins Gesicht zu sehen. Das war ein ziemliches Unterfangen für diesen Vampir, denn Eric war groß, kräftig und sah genauso aus wie das, was er einst auch gewesen war: ein Wikinger.

„Was ist dir widerfahren?“ fragte er.

Ich funkelte ihn an, so außer mir, daß ich kaum sprechen konnte. „Ich bin eine Botschaft an dich“, flüsterte ich. „Diese Frau im Wald hat dafür gesorgt, daß Bills Wagen stehenblieb, und vielleicht hat sie auch dafür gesorgt, daß wir uns gerade stritten, und dann ist sie hinter mir her, zusammen mit diesem Wildschwein.“

„Ein Schwein?“ Eric hätte nicht erstaunter wirken können, wenn ich ihm erzählt hätte, die Frau habe im linken Nasenloch einen Kanarienvogel getragen.

„Grunz, grunz. Schwein. Wildschwein. Sie sagte, sie wolle dir eine Botschaft übermitteln, und ich konnte mich gerade noch rechtzeitig umdrehen, so hat sie mein Gesicht nicht erwischt, aber dafür hat es meinen Rücken voll getroffen, und dann ist sie gegangen.“

„Dein Gesicht. Sie hätte sonst dein Gesicht getroffen“, sagte Bill. Ich sah, wie er seine Hände auf Höhe der Oberschenkel zu Fäusten ballte, und dann sah ich seinem Rücken zu, wie er aufgeregt im Zimmer hin und her ging. „So tief sind die Einschnitte gar nicht. Was stimmt nicht mit Sookie?“

„Sookie?“ fragte Eric sanft. „Wie sah diese Frau aus?“

Erics Gesicht war dicht an meinem, sein goldenes Haar berührte fast meine Wange.

„Durchgeknallt sah sie aus, ich habe dir doch schon gesagt, wie sie aussah! Sie nannte dich Eric Northman.“

„Das ist der Nachname, den ich benutze, wenn ich mit Menschen zu tun habe“, sagte Eric. „Wenn du sagst, sie sah durchgeknallt aus, was meinst du damit? Inwiefern sah sie durchgeknallt aus?“

„Ihre Kleider waren ganz zerfetzt, und sie hatte Blut um ihren Mund und auf ihren Zähnen, als hätte sie gerade irgend etwas Rohes gegessen. Sie trug so eine Art Stab mit irgendwas an der Spitze ... ihr Haar war lang und verfilzt ... hör mal, wo wir gerade von Haar sprechen: Mein Haar klebt mir am Rücken fest!“ keuchte ich.

„Ja.“ Eric machte sich daran, vorsichtig meine langen Haarsträhnen aus den Wunden zu lösen, in denen sich gerinnendes Blut als erstklassiger Kleber betätigte.

Dann kam Pam mit der Ärztin. Wenn ich gehofft hatte, Eric hätte eine richtige Ärztin gemeint, eine mit Stethoskop und Zungenspachtel, dann sollte ich mich wieder einmal getäuscht haben. Diese Ärztin war eine Zwergin und brauchte sich kaum zu bücken, um mir in die Augen zu sehen. Zitternd vor Spannung harrte Bill direkt neben uns aus, während die kleine Frau meine Wunden untersuchte. Sie trug eine weiße Hose und einen ebenso weißen Kittel, genau wie Ärzte im Krankenhaus - ehe sie anfingen, die grünen Kittel zu tragen und die blauen oder was immer ihnen gerade als verrückte Farbe über den Weg lief. Im Gesicht der Frau dominierte die Nase; ihre Haut war mattbraun, das Haar goldbraun und widerborstig, unglaublich dicht und lockig. Sie trug es ziemlich kurz geschoren. Sie erinnerte mich an einen Hobbit - wer weiß, vielleicht war sie ja einer. Mein Begriff von Realität hatte in den letzten Monaten ein paar ziemlich heftige Schläge hinnehmen müssen.

„Was für eine Ärztin sind Sie?“ fragte ich. Es hatte gedauert, bis ich mich soweit zusammenreißen konnte, daß ich diese Frage zu stellen vermochte.

„Eine, die heilt“, erwiderte sie mit erstaunlich tiefer Stimme. „Sie sind vergiftet worden.“

„Ach, deshalb denke ich die ganze Zeit, ich müsse gleich sterben“, murmelte ich.

„Das werden Sie auch, ziemlich bald schon“, erwiderte sie munter.

„Danke vielmals, Doc. Was können Sie dagegen tun?“

„Viel Auswahl haben wir nicht. Haben Sie je vom Komodo-Waran gehört? In seinem Maul wimmelt es von Bakterien. Nun, Wunden, die Mänaden reißen, haben denselben toxischen Grad. Wenn ein Waran jemanden beißt, verfolgt er sein Opfer danach stundenlang und wartet einfach so lange, bis die Bakterien es getötet haben. Den Mänaden macht es Spaß, die Opfer nicht gleich umzubringen - wenn der Tod erst mit Verzögerung eintritt, mehrt das ihr Vergnügen. Beim Komodo-Waran - wer kann sagen, worum es ihm geht?“

Herzlichen Dank, Frau Doktor. Das war ein netter kleiner naturkundlicher Schlenker. „Was können Sie also für mich tun?“ fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

„Ich kann die offenen Wunden versorgen. Aber Sie haben eine Blutvergiftung, und von daher muß Ihr Blut entfernt und ersetzt werden. Das ist eine Aufgabe für Vampire.“ Die gute Frau schien begeistert von der Vorstellung, daß schon bald alle fröhlich gemeinsam arbeiten würden. An mir.

Sie wandte sich an die versammelten Vampire. „Wenn nur einer von Ihnen das vergiftete Blut zu sich nimmt, dann geht es ihm danach ziemlich schlecht. Das liegt an der Magie, die die Mänaden mit dem Gift übertragen. Der Biß eines Komodo-Warans wäre kein Problem für Typen wie euch.“ Sie begleitete ihre Worte mit einem herzhaften Lachen.

Ich haßte sie. Vor Schmerz rannen mir Tränen über die Wangen.

„Sobald ich hier fertig bin“, fuhr die Kleine munter fort, „kommt jeder von euch an die Reihe. Entnehmt aber jeweils nur eine kleine Menge Blut. Dann geben wir ihr eine Transfusion.“

„Menschenblut“, sagte ich, denn in dieser Frage wollte ich ganz sicher gehen. Ich hatte einmal Bills Blut trinken müssen, um eine böse Verletzung überleben zu können und einmal, um eine Art Examen zu überleben. Das Blut eines anderen Vampirs hatte ich rein per Zufall geschluckt, so unwahrscheinlich das auch klingen mag. Ich hatte deutliche Veränderungen an mir feststellen können, nachdem ich all das Vampirblut getrunken hatte, Veränderungen, die ich nun nicht noch verstärken mochte, indem ich mir eine weitere Dosis einverleibte. Bei den Reichen war Vampirblut zur Zeit die Modedroge Nummer eins, und wenn es nach mir ging, konnten sie es gern für sich behalten.

„Wenn Eric ein paar Beziehungen spielen lassen und Menschenblut besorgen kann“, sagte die Ärztin. „Etwas über die Hälfte der Transfusion kann mit synthetischem Blut bewerkstelligt werden. Ich bin übrigens Dr. Ludwig“, fügte sie hinzu.

„Ich kann das Blut besorgen, denn wir schulden ihr die Heilung“, sagte Eric. Ich war ungeheuer erleichtert darüber, daß er dies so sah und hätte viel dafür gegeben, in diesem Augenblick Bills Gesicht sehen zu können. „Was für eine Blutgruppe hast du, Sookie?“ wollte der große Vampir wissen.

„Null positiv“, sagte ich, froh, eine so weitverbreitete Blutgruppe zu haben.

Wieder ein Gefühl von Bewegung im Zimmer. Dr. Ludwig beugte sich vor und leckte mir den Rücken ab. Ich schrie auf.

„Sie ist Ärztin, Sookie“, sagte Bill. „So wird sie dich heilen.“

„Aber sie wird sich auch vergiften“, wandte ich ein, bemüht, eine Erklärung für meine Reaktion zu finden, die weder nach Homophobie klang, noch so, als hätte ich Vorurteile kleinwüchsigen Personen gegenüber. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht, daß irgendwer meinen Rücken ableckte - weder eine Zwergin noch ein Vampir.

„Sie ist die Heilerin, Sookie“, tadelte Eric. „Du mußt ihre Behandlungsmethode schon annehmen.“

„Schon gut, schon gut!“ sagte ich, wobei es mir gleichgültig war, wie sehr das nach Schmollen klang. „Im übrigen habe ich noch keine Entschuldigung von dir gehört.“ Das Gefühl, mir sei Unrecht geschehen, hatte meinen Überlebenstrieb außer Kraft gesetzt.

„Tut mir leid, daß die Mänade auf dir herumgehackt hat.“

Ich funkelte ihn an. „Das reicht nicht“, sagte ich, wobei ich mich mit aller Kraft daran klammerte, mich ganz auf diese Unterhaltung zu konzentrieren.

„Engelsgleiche Sookie, du Sinnbild der Liebe und Schönheit, ich bin am Boden zerstört, daß die böse, heimtückische Mänade deinem zarten, kurvenreichen Körper Gewalt angetan hat, und das nur, weil sie mir eine Botschaft zukommen lassen wollte.“

„Schon besser.“ Erics Worte hätten mir größere Befriedigung verschafft, wenn mich in diesem Moment nicht gerade wieder ein heftiger Schmerz durchzuckt hätte. Die Behandlung, die Frau Doktor mir zukommen ließ, konnte man nicht gerade als angenehm bezeichnen. Entschuldigungen sollen entweder von Herzen kommen oder wortreich sein, so gehört es sich. Da Eric, soweit ich das hatte feststellen können, kein Herz besaß, aus dem irgend etwas hätte kommen können, sollte er mich wenigstens mit wohlgesetzten Worten ablenken.

„Ich nehme an, die Botschaft bedeutet, sie will Krieg mit dir?“ fragte ich und versuchte, die Aktivitäten Dr. Ludwigs zu ignorieren. Ich schwitzte am ganzen Leib. Der Schmerz in meinem Rücken war schier unerträglich. Ich spürte deutlich die Tränen, die mir über die Wangen rannen. Im Zimmer schien sich gelber Nebel breitgemacht zu haben. Alles sah irgendwie krank aus.

Eric schien verwundert. „Eigentlich nicht“, antwortete er. „Pam?“

„Es ist auf dem Weg“, sagte sie. „Das sieht nicht gut aus.“

„Fangen wir an“, drängte Bill. „Sie verfärbt sich schon.“

Ich fragte mich, was für eine Farbe ich wohl angenommen haben mochte. Ich konnte den Kopf nicht mehr von der Couch heben, wie ich es die ganze Zeit über versucht hatte, um etwas wacher zu wirken. Ich legte die Wange auf den Lederbezug der Couch, und sofort sorgte mein Schweiß dafür, daß sie dort kleben blieb. Das brennende Gefühl, das, ausgehend von den Wunden auf meinem Rücken, auf meinen ganzen Körper ausstrahlte, wurde intensiver, und dann schrie ich, weil ich mich nicht mehr zusammenreißen konnte. Die Zwergin sprang von der Couch und leuchtete mir mit einem Lämpchen in die Augen.

Dann schüttelte sie den Kopf. „Wenn es noch Hoffnung geben soll...“, sagte sie, aber das hörte sich schon kilometerweit entfernt an. Sie hielt eine Spritze in der Hand. Das letzte, was ich mitbekam, war Erics Gesicht, das immer näher rückte und es schien mir, als zwinkere der riesige Vampir mir zu.