Kapitel 15

Es wurde dann noch ein sehr gemütlicher Abend. Meine Wenigkeit plus vier Vampire - nachdem Eric und Bill dann auch eingetroffen waren, getrennt voneinander, aber fast auf die Sekunde zeitgleich. Nur ich und meine Kumpels also, ein netter Abhängabend in meinem Wohnzimmer.

Bill bestand darauf, mir das Haar zu kämmen und zu flechten. Damit, nehme ich an, wollte er den anderen beweisen, wie gut er sich in meinem Haus und mit meinen Gewohnheiten auskannte, daß er genau wußte, wo ich im Bad die Schachtel mit dem Schnickschnack für die Haare aufbewahrte. Er plazierte mich unten auf die Ottomane, hockte sich hinter mich und machte sich daran, mein Haar zu bürsten und zu flechten. Ich hatte es immer als beruhigend empfunden, wenn Bill sich um mein Haar kümmerte. Unwillkürlich weckte der Vorgang in mir Erinnerungen an einen anderen Abend, den Bill und ich ebenfalls auf diese Art und Weise auf der Ottomane sitzend begonnen hatten, um dann später zu einem ganz phantastischen Finale zu gelangen. Natürlich wußte Bill ganz genau, daß er diese Erinnerungen aufwühlte.

Eric beobachtete uns aufmerksam, mit der Miene eines Mannes, der sich im Geiste Notizen macht, während Pam offen angewidert die Nase rümpfte. Ich gab mir alle Mühe, aber ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum die vier unbedingt alle auf einmal in meinem Wohnzimmer herumhocken wollten und warum sie einander - und mich - nicht einfach satt bekamen und sich davonmachten. Nun hatte ich schon mal Leute im Haus, und schon wenige Minuten nach deren Eintreffen sehnte ich mich danach, wieder allein zu sein. Wie hatte ich nur denken können, ich sei einsam? Bubba ging dann auch ziemlich bald, denn er wollte unbedingt noch ein bißchen jagen - was er jagen wollte, darüber wollte ich lieber nicht allzu genau nachdenken. Als er gegangen war, konnte ich den anderen Vampiren erklären, wie sich die Sache mit Jerry Falcon verhielt, was diesem Werwolf zugestoßen war.

Eric schien es nicht allzuviel auszumachen, daß Jerry Falcon hatte sterben müssen, weil er Bubba den Befehl erteilt hatte, auf mich achtzugeben. Auch ich war ja nicht recht in der Lage, mir die Sache zu Herzen zu nehmen, wie ich mir selbst schon hatte eingestehen müssen. Er oder ich, darauf war es letztlich hinausgelaufen - und ich fand mich netter als ihn. Bill war Jerrys Schicksal unter dem Strich ziemlich gleichgültig, und Pam fand die ganze Geschichte eigentlich ziemlich witzig.

„Da ist er dir also nach Jackson gefolgt - dabei bezogen sich Erics Befehle doch nur auf die Gegend hier und noch dazu auf eine einzige Nacht! Daß dieser Typ ganz einfach weiter dem einen Befehl gefolgt ist, ganz gleich, was sonst noch so los war!" Pam kicherte vergnügt. „Na, das ist eigentlich nicht wirklich Vampirart, aber Bubba gibt auf jeden Fall einen guten Soldaten ab."

„Es wäre besser gewesen, er hätte Sookie wissen lassen, was er getan hatte und warum", bemerkte Eric.

„Ach ja, eine kurze Nachricht wäre schon nett gewesen", sagte ich leicht spöttisch. „So ziemlich alles wäre besser gewesen, als beim Öffnen eines Wandschranks eine dort hineingestopfte Leiche zu entdecken."

Darauf bog Pam sich vor Lachen. Wunderbar: Anscheinend hatte ich die perfekte Methode gefunden, ihre Lachmuskeln zu reizen.

„Ich sehe dein Gesicht förmlich vor mir! Du machst den Wandschrank auf, und ...", Pam kicherte immer noch. „Du und dieser Wer, ihr mußtet dann die Leiche verschwinden lassen! Nein, das ist einfach zu köstlich."

„Ich wünschte nur, ich hätte die ganze Geschichte schon gekannt, als Alcide heute morgen hier war", sagte ich. Dann schloß ich die Augen, denn inzwischen hatte mich Bills gleichmäßige Beschäftigung mit meinem Haar vollständig entspannt. Aber auch die absolute Stille, die unversehens herrschte, trug zu meinem Wohlbefinden bei. Nun würde vielleicht zur Abwechslung einmal ich mich amüsieren können.

„Alcide Herveaux war hier?" fragte Eric vorsichtig.

„Ja, er wollte mir meine Reisetasche vorbeibringen. Er ist ein wenig geblieben und hat sich um mich gekümmert, nachdem er sehen mußte, wie zerschunden ich war ..."

Dann schlug ich die Augen auf, denn Bill hatte aufgehört, mein Haar zu bürsten. Mein Blick begegnete dem Pams. Sie zwinkerte mir zu. Ich erwiderte dieses Zwinkern mit einem ganz, ganz leisen Lächeln.

„Ich habe deine Tasche für dich ausgepackt, Sookie", bemerkte Pam aalglatt. „Woher hast du nur diese wunderschöne Samtstola?"

Ich mußte die Lippen zusammenpressen, um nicht loszuprusten. „Die Abendstola, die ich ursprünglich mitgenommen hatte, wurde gleich am ersten Abend im Club ruiniert - im Josephine's, meine ich. Alcide ist daraufhin netterweise einkaufen gegangen und hat mir die andere besorgt. Am nächsten Abend, als wir wieder losziehen wollten, hat er mich damit überrascht. Er sagte, er fühle sich verantwortlich dafür, daß jemand in die andere ein Loch gebrannt hatte." Ich freute mich sehr darüber, daß ich wohl die Stola aus der Wohnung mitgenommen und im Lincoln auf den Vordersitz gelegt hatte, konnte mich allerdings nicht mehr daran erinnern, dies wirklich getan zu haben.

„Alcide hat einen guten Geschmack - dafür, daß er ein Wer ist", meinte Pam wohlwollend. „Wenn du mir mal dein rotes Kleid leihst, kannst du mir dazu auch die Stola borgen?"

Bis dahin hatte ich gar nicht gewußt, daß Pam und ich so intim miteinander waren, daß wir einander Kleider ausborgten. Offenbar führte meine Vampirfreundin irgend etwas im Schilde. „Klar doch", versicherte ich ihr.

Bald darauf verkündete Pam, sie würde nun gehen. „Ich glaube, ich laufe durch den Wald", sagte sie. „Mir ist danach, die Dunkelheit mit allen Sinnen auszukosten."

„Du willst den ganzen Weg bis nach Shreveport laufen?" erkundigte ich mich erstaunt.

„Das wäre nicht das erste Mal", bestätigte sie. „Ach - und Bill? Die Königin hat heute abend im Fangtasia angerufen. Sie wollte wissen, warum sich die Abgabe deines kleinen Extrajobs so verzögert. Sie hat dich jetzt schon ein paar Nächte lang nicht in deinem Haus erreichen können, sagt sie."

Bill machte sich wieder daran, mein Haar zu bürsten. „Ich rufe sie später an", gab er zurück. „Von daheim aus. Sie wird sich freuen zu hören, daß das Projekt abgeschlossen ist."

„Um ein Haar hättest du alles verloren!" sagte Eric wild, und dieser plötzliche Ausbruch erschreckte alle im Zimmer.

Nachdem Pam erst Bill, dann Eric aufmerksam gemustert hatte, schlüpfte sie rasch zur Vordertür hinaus. Das machte mir irgendwie Angst.

„Ja. Ich bin mir dessen durchaus bewußt." Bills Stimme, stets so kühl, stets so süß, klang plötzlich eiskalt. Eric dagegen klang wütend und unsicher.

„Du warst ein Narr, dich wieder mit dieser Teufelin einzulassen", zischte er.

„He, Jungs, ich sitze hier direkt neben euch", warf ich daraufhin ein.

Beide funkelten mich an. Sie schienen entschlossen, die Auseinandersetzung hier und jetzt zu führen und zu beenden, und ich gelangte zu der Einsicht, daß ich sie wohl kaum daran hindern konnte. Aber sie sollten das gefälligst draußen vor der Tür tun. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mich bei Eric für die Auffahrt zu bedanken und wollte das wirklich gern ganz bald tun, aber im Moment war einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

„Okay!" erklärte ich. „Ich hatte ja gehofft, das vermeiden zu können, aber ... Bill, ich widerrufe meine Einladung an dich. Du bist hier nicht willkommen." Sofort ging Bill rückwärts in Richtung Tür, einen hilflosen Blick in den Augen, meine Bürste immer noch in der Hand. Eric grinste triumphierend. „Eric", sagte ich, woraufhin das Lächeln im Gesicht des blonden Vampirs verblaßte, „ich widerrufe auch deine Einladung in dieses Haus." Auch Eric verließ gehorsam und rückwärts mein Zimmer, mein Haus, meine Veranda. Die Tür knallte hinter (oder vor?) den beiden zu.

Ich saß auf der Ottomane und empfand angesichts der plötzlich eingetretenen Stille eine Erleichterung, die ich unmöglich in Worte fassen kann. Dann schoß mir schlagartig durch den Kopf, daß sich das Computerprogramm, das die Königin von Louisiana so sehr begehrte, dasselbe Programm, das so viele Leute ihr Leben gekostet, das den Ruin meiner Beziehung zu Bill verursacht hatte - daß sich eben dieses Computerprogramm ja hier bei mir, in meinem Haus, befand. In einem Haus also, das weder Bill noch Eric noch die Königin von Louisiana betreten konnten, wenn ich es ihnen nicht gestattete.

So laut hatte ich seit Wochen nicht mehr gelacht!