Kapitel 13

Eric holte mich ein, als ich gerade in den Lincoln kletterte.

„Ich mußte Bill noch ein paar Anweisungen erteilen", sagte er, obwohl ich ihn gar nicht um eine Erklärung gebeten hatte. „Er soll gefälligst das Chaos beseitigen, das er verursacht hat."

Eric fuhr für gewöhnlich einen Sportwagen und hatte von daher anfänglich etwas Probleme mit dem Lincoln.

„Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen", sagte er dann, als wir die Innenstadt Jacksons hinter uns gelassen hatten, „daß du die Tendenz hast fortzulaufen, wenn sich die Dinge zwischen dir und Bill schwierig gestalten? Versteh mich nicht falsch, ich habe nichts dagegen! Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr eure Beziehung beendet. Aber wenn dieses Fortlaufen bei Konflikten generell das Muster ist, mit dem du an deine romantischen Beziehungen herangehst, dann will ich das lieber jetzt gleich wissen."

Mir fiel einiges ein, was ich zu diesen Ausführungen zu sagen gehabt hätte! Ich verwarf die ersten paar Antworten, die mir spontan in den Kopf gekommen waren, weil meine Oma rote Ohren bekommen hätte, wenn sie die hätte mit anhören müssen. Dann holte ich tief Luft.

„Erstens, Eric: Was zwischen mir und Bill ist, das geht dich verdammt noch mal gar nichts an." Das ließ ich erst einmal ein paar Sekunden wirken. „Zweitens: Die Beziehung mit Bill ist meine erste. Ich wußte von einem auf den anderen Tag nicht, wie ich mich verhalten sollte, von einem Muster kann also wahrlich keine Rede sein, ich bin ja noch gar nicht dazu gekommen, eins zu entwickeln!" Dann mußte ich eine Pause einlegen, denn meinen nächsten Satz wollte ich so klar und sorgfältig wie irgend möglich formulieren: „Drittens bin ich mit euch allen fertig. Ich habe es gründlich satt, all diese kranken Sachen mit ansehen zu müssen. Ich habe es satt, immer tapfer zu sein und Dinge zu tun, vor denen ich Angst habe, und es hängt mir einfach zum Halse heraus, mich mit bizarren und übernatürlichen Wesen herumtreiben zu müssen. Ich bin eine ganz normale Frau und will einfach mit ganz normalen Leuten beisammen sein und mich auch in solche verlieben. Oder doch zumindest in Leute, die atmen."

Eric wartete ab, ob ich noch mehr zu sagen hätte. Ich warf ihm von der Seite einen Blick zu: Eine Straßenlaterne beleuchtete gerade sein klares Profil mit der messerscharfen Nase. Er lachte mich nicht aus, das war doch schon etwas. Er lächelte nicht einmal.

Auch Eric warf mir einen kurzen Seitenblick zu, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf den Verkehr richtete. „Ich habe mir angehört, was du zu sagen hast, und habe durchaus auch gemerkt, daß es dir ernst damit ist. Ich habe dein Blut getrunken; ich kenne deine Gefühle."

Die nächsten anderthalb Kilometer fuhren wir in völliger Dunkelheit. Es freute mich, daß Eric mich ernst nahm. Manchmal tat er das nämlich nicht, und dann wieder schien es ihm völlig gleichgültig zu sein, was er zu mir sagte.

„Für Menschen bist du verdorben", erklärte Eric dann plötzlich, wobei sein leichter ausländischer Akzent deutlicher ausgeprägt schien als sonst.

„Das mag sein. Aber ich sehe nicht, warum das für mich ein großer Verlust sein soll, da ich vorher überhaupt kein Glück bei Männern hatte." Es ist schwer, sich mit jemandem zusammenzutun, wenn man genau weiß, was er denkt. Kennt man wirklich genau die Gedanken eines Mannes, mit dem man einen romantischen Abend verbringt, dann führt das oft zum Absterben jeglicher Begierde, das kann ich Ihnen sagen. Manchmal hat man den Betreffenden hinterher noch nicht einmal mehr gern. „Aber ohne einen Mann wäre ich jedenfalls glücklicher, als ich es jetzt bin."

Das sagte ich, weil ich gerade an die alte Faustregel hatte denken müssen, die Ann Landers in ihrer beliebten Ratgeberkolumne so oft zitiert hatte. 'Wägen Sie genau ab', hatte sie unzähligen Frauen geraten, 'ob es Ihnen ohne ihn besser geht oder mit ihm.' Als Jason und ich heranwuchsen, hatten er, meine Oma und ich jeden Tag Ann Landers' Kolumne studiert und ausführlich alle Antworten erörtert, die die populäre Briefkastentante ihren Lesern auf deren Anfragen erteilte. Eine Menge ihrer Ratschläge waren an Frauen gerichtet, die es mit Typen wie Jason zu tun hatten und sollten diesen helfen, solche Männer besser zu verstehen und souveräner mit ihnen umzugehen. Jasons Beiträge zu unseren Diskussionen waren von daher immer sehr aufschlußreich gewesen und hatten eine interessante Sichtweise beigesteuert.

Jetzt in diesem Moment war ich ohne Bill besser dran als mit ihm Das wußte ich genau, sogar verdammt genau. Bill hatte mich benutzt, mißbraucht, betrogen, ausgelutscht.

Ebenso hatte er mich verteidigt, mich gerächt, mich mit seinem Körper verehrt und sich stundenlang unkritisch meiner Gesellschaft erfreut - ein wahrer Segen.

Nun, ich hatte meine Waagschalen gerade nicht dabei. Was ich hatte, das waren ein Herz voller Schmerzen und eine Mitfahrgelegenheit nach Hause. So flogen wir durch die finstere Nacht, Eric und ich, jeder von uns in seine eigenen Gedanken vertieft. Es herrschte wenig Verkehr, aber wir waren auch nicht allein auf der Straße, denn immerhin fuhren wir auf der Autobahn, und das hieß, daß von Zeit zu Zeit außer unserem Lincoln auch noch andere Fahrzeuge zu sehen waren.

Ich hätte beim besten Willen nicht sagen können, woran Eric in jenem Moment dachte und das war ein wunderbares Gefühl. Vielleicht beschäftigte er sich gedanklich gerade damit, wie es wohl wäre, mal eben auf dem Seitenstreifen zu halten, um mir den Hals umzudrehen oder fragte sich, welche Einnahmen das Fangtasia diese Nacht wohl machen mochte. Ich hätte mich gefreut, wenn Eric mit mir geredet hätte. Ich wünschte, er würde mir erzählen, wie sein Leben gewesen war, ehe er Vampir wurde, aber das war für die meisten Vampire ein wahrhaft heikles Thema, das ich wirklich nicht ausgerechnet in dieser Nacht zwischen uns aufs Tapet bringen wollte.

Wir waren noch ungefähr eine Stunde von Bon Temps entfernt, als Eric kurz von der Autobahn abbog. Wir hatten nicht mehr genug Benzin im Tank, und noch dazu mußte ich dringend auf die Toilette. Als es mir endlich gelungen war, meinen zerschundenen Körper vorsichtig aus dem Auto zu schälen, hatte Eric bereits begonnen vollzutanken. Ich hatte mich erboten, selbst die Zapfsäule zu betätigen, war aber mit einem höflichen 'nein danke' abgewiesen worden. Außer unserem wurde noch ein einziges weiteres Auto betankt. Die Frau, die es fuhr, war eine Blondine mit wasserstoffsuperoxydgebleichtem Haar ungefähr in meinem Alter. Als ich aus dem Lincoln kroch, hängte sie gerade den Schlauch wieder in die Zapfsäule ein.

Bis auf diese junge Frau, die stark geschminkt war und einen dicken Steppmantel um sich gewickelt hatte, befand sich um diese Tageszeit - wir hatten ein Uhr morgens - so gut wie niemand auf der Raststätte. Ich entdeckte nur noch einen ziemlich zerbeulten alten Toyota Pick-up, der dicht neben den Zapfsäulen geparkt stand. Das war der einzige Ort auf der Raststätte, der im Schatten lag. Zwei Männer, schwer in eine hitzige Debatte vertieft, hockten in der Fahrerkabine des Pick-up.

„Eigentlich ist es doch wirklich zu kalt, um hier draußen in einem Pick-up zu sitzen", sagte die Blondine mit den dunklen Haaransätzen am Scheitel, als wir zusammen durch die Glastür den Laden der Raststätte betraten. Bei diesen Worten zog sie die Schultern hoch und tat so, als klapperten ihr vor Kälte die Zähne.

„Sollte man meinen", kommentierte ich. Ich hatte den hinteren Gang des Ladens bereits zur Hälfte durchquert, als der Angestellte, der auf einer erhöhten Plattform hinter einem hohen Tresen an der Kasse saß, seinen Blick von seinem kleinen Fernseher löste, um sich der Blondine zu widmen, die ihre Tankfüllung bezahlen wollte.

Die Tür zur Toilette schloß nur schwer, denn die Türschwelle war aufgequollen. Irgendwann einmal hatte es in den Waschräumen wohl eine ziemliche Überschwemmung gegeben. Ich glaube sogar, die Tür schloß gar nicht ganz hinter mir, denn ich hatte es eilig und achtete nicht weiter darauf, sie ganz ranzuziehen. Die Tür zur Klokabine jedoch schloß nicht nur, sie ließ sich sogar verriegeln, und das Klo selbst war recht sauber. Ich hatte es nicht besonders eilig, zurück zum Auto und somit zum schweigsamen Eric zu gelangen; also ließ ich mir Zeit. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel. Ich warf einen Blick hinein, geistig bereits darauf vorbereitet, welch schrecklicher Anblick sich mir bieten würde, und es kam genau, wie ich gedacht hatte: Mein Spiegelbild wurde all meinen Erwartungen gerecht; ich sah einfach beschissen aus.

Die Wunde an meinem Hals wirkte mit ihren zerfransten Rändern wirklich widerlich - als hätte mich ein Hund an der Gurgel erwischt. Ich säuberte sie rasch mit etwas Seife und nassen Papiertüchern, während ich über das Vampirblut nachdachte, das ich zu mir genommen hatte. Hatte mir dieses Blut sozusagen ein bestimmtes Quantum an Stärke und Extragesundheit zukommen lassen, das irgendwann einmal wieder verbraucht sein würde? Oder wirkte das Blut über einen bestimmten Zeitraum hinweg wie eine Kapsel, die sich mit der Zeit auflöste und ihre Wirkstoffe freisetzte? Oder wie hatte ich mir die Wirkungsweise sonst vorzustellen? Nachdem ich Bills Blut getrunken hatte, war es mir mehrere Monate lang einfach phantastisch gegangen.

Ich hatte weder Kamm noch Bürste noch sonst etwas dabei, sah aber aus wie etwas, was die Katze von draußen hereingeschleppt hat. Als ich versuchte, mein Haar mit allen zehn Fingern zu bändigen, machte ich die Sache damit nur noch schlimmer. Resigniert beließ ich es dabei, mir Gesicht und Hals zu waschen; dann trat ich wieder hinaus in den grell beleuchteten Laden. Nur ganz am Rande bekam ich mit, daß die Toilettentür sich auch diesmal nicht richtig hinter mir schloß, sondern erneut auf der aufgequollenen Schwelle hängenblieb, ohne dabei das geringste Geräusch zu machen. Ich trat hinter dem letzten langen Gang hervor, dessen Regale sich unter all den Lebensmitteln förmlich bogen, unter all den CornNuts und Lays Chips und Moon Pies und Scotch Snuff und Prince Albert in Dosen ...

Dann gab es da noch, bei der Plattform des Kassierers, direkt an der Tür zu seiner kleinen Kabine, zwei bewaffnete Räuber.

Heilige Scheiße! Warum ziehen die den armen Kassierern auf diesen Raststätten nachts nicht gleich ein T-Shirt mit Zielscheibe drauf an? Das war mein erster Gedanke, als ich die beiden sah, und er schwebte ziemlich losgelöst da im Raum, gar nicht so, als bezöge er sich auf eine reale Situation, sondern als sähe ich mir gerade einen Film an, in dem zwei bewaffnete Banditen den Laden auf einer Autobahnraststätte überfallen. Dann kehrte ich mit einem Schlag wieder ins Hier und Jetzt zurück - das angespannte Gesicht des Kassierers hatte mich wieder zur Besinnung kommen lassen. Er war so schrecklich jung, dieser Kassierer, ein magerer, pickliger Teenager, und er sah sich mit zwei riesigen Typen konfrontiert, die beide eine Pistole in der Hand hielten. Der Junge hatte die Hände hochgehoben und er war so wütend, wie man nur sein konnte. Ich hätte ja gedacht, in einer solchen Situation bricht man zusammen und fleht um sein Leben oder stottert irgend etwas Unverständliches vor sich hin, aber weit gefehlt: Dieser Junge hier war stocksauer.

Das war nun schon das vierte Mal, daß man ihn überfiel, konnte ich brühwarm in seinem Kopf lesen. Zum dritten Mal mit vorgehaltener Pistole. Er wünschte sich aus tiefstem Herzen, es wäre ihm irgendwie möglich, an das Gewehr heranzukommen, das sich unter dem Sitz seines Pick-up befand, den er hinter dem Laden geparkt hatte. Dann würde er diesen beiden Hurensöhnen nämlich das Hirn aus dem Kopf pusten.

Keiner der drei schien mitzubekommen, daß ich auch noch im Raum war; sie schienen es einfach nicht zu wissen.

Nicht, daß ich mich darüber beschweren wollte!

Mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewisserte ich mich, daß die Toilettentür nach wie vor an der Türschwelle festhakte und nicht plötzlich zuschlagen und mich verraten konnte. Das Beste für mich würde sein, mich zur Hintertür des Gebäudes zu schleichen (gesetzt den Fall, ich fand sie), um das Haus herumzulaufen und Eric dazu zu bringen, die Polizei zu rufen.

Moment - jetzt, wo mir Eric wieder einfiel: Wo war der eigentlich? Warum war er nicht in den Laden gekommen, um unser Benzin zu bezahlen?

Mich überkam eine schlimme Vorahnung, womöglich noch schlimmer als die, die ich angesichts des gerade stattfindenden bewaffneten Raubüberfalls ohnehin verspürte. Wenn Eric noch nicht gekommen war, um zu bezahlen, würde er jetzt gar nicht mehr kommen. Vielleicht hatte er ja einfach beschlossen abzuhauen. Mich zu verlassen. Mich im Stich zu lassen.

Hier.

Allein.

Genau so, wie Bill dich verlassen hat! wußte mein Kopf hilfreich zu ergänzen. Vielen Dank auch, Kopf!

Vielleicht hatten sie ihn ja auch erschossen? Mit einer Kopfwunde ... und wenn ein Herz direkt von einer großkalibrigen Kugel getroffen worden war, dann gab es auch keine Möglichkeit, es zu heilen.

Es brachte mich jedoch keinen einzigen Schritt voran, wenn ich weiterhin einfach herumstand und mir den Kopf über Eric zerbrach.

Ich befand mich in einem Laden, der so aufgebaut war, wie es für die Einkaufsläden auf Autobahnraststätten eigentlich allüberall typisch ist: Einen solchen Laden betritt man vorn durch eine Tür, und der Kassierer befindet sich dann rechts auf einer kleinen Plattform hinter einem langen Tresen. Die ganze linke Wand nehmen die Kühlschränke mit den Kaltgetränken ein, und wenn man durch die Tür in den Laden trat, sah man sich drei langen Gängen gegenüber, die die gesamte Breite des Ladens entlangliefen. Dazu kamen auch hier die verschiedenen Aufbauten mit Sonderangeboten; all die Stapel mit Isolierbechern, Holzkohle und Vogelfutter. Ich befand mich ganz hinten im Laden. Über die Lebensmittel hinweg konnte ich problemlos den Angestellten an der Kasse sehen und gerade so eben auch noch die Gangster. Ich mußte so schnell es ging raus aus dem Gebäude, und zwar nach Möglichkeit unbemerkt. Weiter hinten an der Rückwand erspähte ich nun eine schäbige Holztür mit der Aufschrift 'Nur für Angestellte'. Diese Tür lag noch weiter hinten als der Tresen, hinter dem der Kassierer stand. Zwischen Wand und Tresenende befand sich eine Lücke. Wenn ich nun meinen hinteren Gang verließ, würde ich ungeschützt sein, bis ich den Tresen erreichte.

Warten half da allerdings auch nicht weiter.

Also ließ ich mich auf die Knie fallen, um auf allen Vieren voranzurobben, und zwar so langsam, daß ich gleichzeitig noch hören konnte, was um mich herum gesagt wurde.

„Hast du was Blondes hier reinkommen sehen, ungefähr so groß?" fragte der untersetztere der beiden Räuber, und mit einem Mal wurde mir ganz anders.

Etwas Blondes - wer konnte damit gemeint sein? Eric? Ich? Oder die Wasserstoffblondine? Ich sah nicht, welche Größe der Mann andeutete - ob sie wohl eher nach einem Vampir suchten oder nach einer Telepathin? Oder aber - ich war schließlich nicht die einzige Frau, die in Schwierigkeiten geraten konnte.

„Blonde Frau. Kam hier vor ungefähr fünf Minuten rein und hat Zigaretten gekauft", gab der junge Angestellte mißmutig Auskunft. Gut gemacht, Junge!

„Nee, die meinen wir nicht, die ist schon wieder weggefahren. Wir wollen die, die mit dem Vampir zusammen war."

Ja, das war dann ja wohl ich.

„Eine andere Frau habe ich nicht gesehen", erklärte der Kassierer. Ich warf einen schrägen Blick in die Höhe, direkt dorthin, wo sich Licht in einem Spiegel brach, der ganz oben in der einen Ecke des Ladens angebracht worden war. Es handelte sich um einen Überwachungsspiegel, mit dessen Hilfe der Verkäufer Ladendiebe entdecken sollte. Er sieht, daß ich hier kauere, dachte ich. Er weiß, daß ich hier bin.

Was für ein guter Junge: Er tat sein Bestes, um mich zu schützen. Also mußte auch ich mein Bestes tun, um ihm zu helfen, und wenn wir beide dabei noch vermeiden konnten, uns erschießen zu lassen, dann wäre das eine ganz prima Sache, oder? Aber wo zum Teufel steckte Eric?

In Gedanken lobte ich innig die Trainingshose und die Hausschuhe, die Bernhard mir geborgt hatte, denn beide Kleidungsstücke waren weich und machten keinerlei Lärm, als ich nun fest entschlossen auf die zerkratzte Holztür zukroch, auf der 'Zutritt nur für Angestellte' stand. Besorgt fragte ich mich, ob diese Tür nicht vielleicht knarrte. Die beiden Banditen redeten immer noch auf den Kassierer ein, aber ich blendete ihre Stimmen aus, weil ich mich ganz darauf konzentrieren wollte, die Tür zu erreichen.

Ich hatte schon oft in meinem Leben Angst gehabt, reichlich oft sogar, aber die Szene hier im Laden ließ sich nahtlos bei den furchteinflößendsten Minuten meines Lebens einreihen. Mein Vater war jagen gegangen, und auch mein Bruder Jason ging mit seinen Kumpels auf die Jagd, und in Dallas war ich Zeugin eines Massakers geworden. Ich wußte, was Kugeln anrichten können. Nun hatte ich das Ende meines Ganges erreicht, weshalb mir gleich schon keine Deckung mehr zur Verfügung stehen würde.

Vorsichtig schielte ich um die Ecke des Verkaufsregals. Ich würde etwa einen Meter zwanzig überwinden müssen, um in den partiellen Schutz des langen Tresens vor der Kasse zu gelangen. Lag diese freie Fläche erst einmal hinter mir, dann würde ich mich besser verstecken können und aus der Perspektive der beiden Gangster nicht mehr zu sehen sein.

„Ein Auto kommt", sagte der Kassierer, woraufhin sich beide Gangster ganz automatisch nach dem Fenster aus Sicherheitsglas umdrehten, um nachzusehen, wer da vorgefahren sein mochte. Wenn ich nicht schon vorher auf telepathische Art und Weise mitbekommen hätte, was der junge Mann vorhatte, hätte ich vielleicht zu lange gezögert. So jedoch hechtete ich schneller, als ich je für möglich gehalten hätte, über den Streifen Linoleum, der von allen Seiten gut einzusehen war.

„Ich sehe kein Auto!" sagte der weniger untersetzte der beiden großen Männer.

„Ich dachte, ich hätte die Klingel gehört, die ertönt, wenn ein Auto über die entsprechende Schnur fährt", entschuldigte sich der Verkäufer.

Da streckte ich auch schon die Hand aus und drückte die Türklinke herunter. Lautlos öffnete sich die Tür.

„Manchmal geht die Klingel auch, wenn niemand da ist", fuhr der Junge geschwätzig fort, und mir wurde klar, daß er möglichst viel Lärm machen und die Aufmerksamkeit der beiden Gangster auf sich ziehen wollte, damit ich sicher aus dem Laden käme. Gott segne ihn!

Sanft stieß ich die Tür noch ein Stück weiter auf und watschelte dann im Entengang hindurch. Dann befand ich mich in einem engen Gang, an dessen Ende eine weitere Tür auf mich wartete, die höchstwahrscheinlich zum Hof hinter dem Ladengebäude führte. In ihrem Schloß steckte ein Schlüsselbund. Die Hintertür wurde also intelligenterweise verschlossen gehalten. In die Wand des Ganges, ganz in der Nähe der Tür, war eine Reihe von Nägeln eingeschlagen, und an einem dieser Nägel hing eine schwere Militärjacke in Tarnfarben. Ich steckte meine Hand in die rechte Seitentasche dieser Tarnjacke, und als ich sie wieder herauszog, hielt ich die Schlüssel des Jungen in der Hand. Ich hatte einfach per Zufall richtig geraten. Nahm ich an. Das passierte schon mal von Zeit zu Zeit. Ich hielt den Schlüsselbund fest umklammert, damit die Schlüssel nicht aneinander klirrten, öffnete die Hintertür und trat nach draußen.

Dort gab es nichts weiter zu sehen als einen zerbeulten Pick-up und einen stinkenden Müllcontainer. Die Außenbeleuchtung war schwach, aber vorhanden. Der Asphalt, der den Hof bedeckte, war voller Risse, aus denen Unkraut wuchs, im Winter jetzt vertrocknet und ausgeblichen. Als ich zu meiner Linken ein leises Geräusch hörte, sprang ich vor Schreck einen guten halben Meter in die Höhe. Dann rang ich nach Luft, am ganzen Körper zitternd. Aber rasch stellte sich heraus, daß das Geräusch von einem riesigen alten Waschbären verursacht worden war, der langsam aus einem kleinen Waldstück hinter dem Laden herbeigetrottet kam.

Immer noch am ganzen Leibe bebend atmete ich wieder aus. Dann zwang ich mich, mich ganz auf den Schlüsselbund zu konzentrieren. Leider hingen mehr als zwanzig Schlüssel daran - dieser Junge bunkerte mehr Schlüssel als ein Eichhörnchen Eicheln horten kann! So viele Schlüssel, dachte ich verzweifelt, kann doch um Himmels Willen niemand wirklich im Alltag brauchen! Resigniert ging ich sie alle einzeln durch und entschied mich dann für einen, auf dessen schwarzem Plastikrand „GM" eingestanzt war. Dann entriegelte ich die Fahrertür und griff in das schummrige Innenleben der Fahrerkabine, in der es stark nach Hund und nach Zigarettenrauch roch. Das Gewehr lag wirklich unter dem Sitz. Ich klappte es auf und prüfte die Läufe: Beide waren geladen. Gott sei Dank hielt Jason viel von Selbstschutz. Er hatte mir beigebracht, wie man sein neues Benelli lud und abfeuerte.

Obwohl ich mich nun ja notfalls würde verteidigen können, war ich nach wie vor so verängstigt, daß ich wirklich nicht wußte, ob ich es schaffen würde, mich bis zum Vordereingang des Ladens durchzuschlagen. Aber es ging nicht anders, ich mußte die Lage peilen und zudem herausfinden, was mit Eric passiert war. Folglich schlich ich an der Seite des Gebäudes entlang, an der ich den Toyota hatte parken sehen. Er stand immer noch da. Auf seiner Ladefläche war jedoch bis auf einen kleinen Fleck, in dem sich gerade ein winziger, verirrter Lichtstrahl spiegelte, nichts zu entdecken. Ich klemmte mein neues Gewehr unter einen Arm und streckte den anderen aus, um mit dem Finger den Fleck zu überprüfen.

Frisches Blut. Plötzlich fühlte ich mich alt und kalt. Eine Weile stand ich einfach nur da, den Kopf gebeugt - dann aber riß ich mich zusammen und richtete mich auf alles ein, was da kommen möge.

Erst einmal blickte ich durch das Fenster an der Fahrerseite und konnte feststellen, daß die Fahrerkabine nicht abgeschlossen war. Das war ja der reine Glückstag! Leise öffnete ich die Fahrertür. Auf der Sitzbank entdeckte ich einen recht großen, flachen, offenen Karton, und als ich mir dessen Inhalt ansah, rutschte mir das Herz derart tief in die Hose, daß ich befürchten mußte, es werde mir gleich unten bei den Schuhsohlen wieder herauskommen. Laut Aufdruck 'Inhalt: zwei' hätten sich in der Schachtel zwei Netze aus Silberdraht befinden müssen, nun lag nur noch eins darin. Diese Netze wurden in letzter Zeit immer häufiger in 'Söldnerzeitschriften' angeboten, und zwar wurden sie dort immer als 'vampirsicher' angepriesen.

Was ungefähr dasselbe war wie einen Haikäfig als gutes Mittel gegen Übergriffe durch Haie anzupreisen.

Wo Eric wohl sein mochte? Rasch sah ich mich in der unmittelbaren Umgebung des Toyota um, konnte aber keine weiteren Spuren entdecken. Auf der Autobahn rauschte der Verkehr vorbei, hier auf dem Parkplatz jedoch herrschte tiefe Stille.

Als nächstes fiel mein Blick auf ein Taschenmesser, das auf dem Armaturenbrett des Pick-up lag. Heureka! Vorsichtig legte ich mein Gewehr auf der Sitzbank des Toyota ab, schnappte mir das Messer, klappte es auf und hielt es so, daß ich es problemlos gleich in den nächsten Reifen versenken konnte. Dann überlegte ich es mir anders. Wenn ich die Reifen allesamt und gezielt zerstörte, dann war das der sichere Beweis dafür, daß jemand hier draußen am Wagen gewesen war, während die beiden Banditen drinnen im Laden den Kassierer bedrohten. Unter Umständen wollte ich ja gar nicht, daß das so klar wurde. Also begnügte ich mich damit, ein kleines Loch in einen der Reifen zu bohren. Einfach nur ein Löchlein, das durch viele verschiedene Umstände hätte verursacht worden sein können. Wenn die zwei damit losfuhren, würden sie irgendwann irgendwo an der Straße Halt machen müssen. Nach vollbrachter Tat steckte ich das Messer ein - langsam, aber sicher entwickelte ich mich zu einer professionellen Diebin - und kehrte zurück in den Schattenrand, der das Ladengebäude umgab. Meine Expedition hatte beileibe nicht so lange gedauert, wie sich der Bericht darüber anhören mag, aber dennoch waren mehrere Minuten vergangen, seit ich erstmals drinnen im Laden die Situation hatte verdauen müssen.

Der Lincoln stand immer noch bei den Zapfsäulen. Der Tank war zu, also wußte ich, daß Eric zu Ende getankt hatte, ehe ihm etwas zugestoßen war. Langsam, immer eine Hand an der Mauer, bog ich um die Ecke des Ladengebäudes. Die Vorderseite, fand ich rasch heraus, bot ausgezeichneten Schutz: Ich konnte mich erst einmal in dem Winkel verstecken, der durch die Eismaschine einerseits und andererseits durch die Vorderseite des Ladens gebildet wurde. Dort riskierte ich es sogar, mich so weit auf die Zehenspitzen zu recken, daß ich oben über die Maschine gucken konnte.

Die Gangster hatten sich mittlerweile auf die Plattform begeben, auf der sich auch der junge Kassierer befand und waren gerade dabei, den Jungen zusammenzuschlagen.

Aber hallo! Das mußte jetzt aber mal ein Ende haben! Da prügelten die beiden auf den Jungen ein, weil sie wissen wollten, wo ich mich versteckt hielt! Davon ging ich zumindest aus, und ich war keineswegs bereit zuzulassen, daß meinetwegen jemand zusammengeschlagen wurde.

„Sookie!" ertönte direkt hinter mir eine leise Stimme.

Gerade wollte ich losschreien, da legte sich auch schon eine Hand auf meinen Mund.

„Tut mir leid, tut mir leid!" flüsterte Eric. „Ich hätte mir etwas Besseres einfallen lassen müssen, um dir mitzuteilen, daß ich hier bin."

„Eric!" stieß ich hervor, sobald ich überhaupt wieder in der Lage war, etwas zu sagen und nachdem Eric, der wohl gespürt haben mußte, daß ich mich beruhigt hatte, die Hand von meinem Mund genommen hatte. „Wir müssen ihn retten!"

„Warum?"

Manchmal versetzen Vampire mich einfach in Erstaunen. Na ja - Menschen ebenso, aber in dieser Nacht war es eben ein Vampir, der mich in Erstaunen versetzte.

„Weil er unseretwegen zusammengeschlagen wird, weil sie ihn danach höchstwahrscheinlich umbringen werden und weil das dann unsere Schuld sein wird!"

„Die beiden haben den Laden überfallen", teilte Eric mir mit. Offenbar war ich in seinen Augen etwas unterbelichtet. „Sie hatten auch ein neues Vampirnetz dabei und dachten, sie könnten es an mir mal ausprobieren. Sie wissen es noch nicht, aber das Netz hat nicht funktioniert. Letztlich sind diese beiden aber nur opportunistischer Abschaum."

„Sie sind auf der Suche nach uns beiden!" erklärte ich wütend.

„Dann erzähl mir, was du weißt", bat Eric flüsternd, und ich erzählte es ihm.

„Gib mir das Gewehr", befahl er daraufhin.

Ich klammerte mich nur noch stärker an dem Gewehr fest. „Weißt du denn überhaupt, wie man mit diesen Dingern umgeht?" wollte ich wissen.

„Wahrscheinlich ebensogut wie du", gab er zurück, machte dabei jedoch keinen besonders überzeugten Eindruck.

„Siehst du, da irrst du dich", teilte ich ihm mit, und da ich mich nicht auf eine längere Auseinandersetzung einlassen wollte, derweil mein Held des Tages innere Verletzungen erlitt, rannte ich gebückt um die Eismaschine herum, dann um einen Tank mit Propangas und verschwand durch den Vordereingang im Laden. Die kleine Glocke über dem Ladeneingang läutete wie verrückt, als ich hineinstürmte. Die beiden Gangster waren jedoch viel zu sehr damit beschäftigt, den Teenager an der Kasse zusammenzuschlagen. Erst als ich einen Schuß abfeuerte, der direkt über ihnen in die Decke einschlug und Kacheln, Staub und Isoliermaterial auf ihre Häupter rieseln ließ, hörten sie genau hin.

Um ein Haar hätte mich der Rückstoß des Gewehrs umgeworfen, aber glücklicherweise nur um ein Haar. Hierauf legte ich an und zielte auf die beiden Gangster. Sie standen vollkommen erstarrt da, wie bei dem alten Kinderspiel, wo man einander herumschleudert, und sobald der eine losläßt, muß der andere stocksteif so verharren, wie er gerade ist. Aber eins war anders als früher beim Spielen: Das Gesicht des armen, pickligen Kassierers war blutüberströmt, und ich war mir sicher, daß sie ihm das Nasenbein gebrochen und ein paar Zähne gelockert hatten.

Direkt hinter meinen Augen loderte glutroter Zorn auf und entlud sich in einem mächtigen Wutanfall. „Lassen Sie den jungen Mann sofort laufen!" befahl ich knapp und deutlich.

„Was denn - willst du uns wirklich umlegen, Mädchen?"

„Worauf du deinen Arsch verwetten kannst", sagte ich.

„Wenn sie nicht trifft, dann kriege ich euch", ergänzte Erics Stimme hinter und über mir. Ein großer Vampir, der hinter einem steht, macht viel her und gibt eine prima Rückendeckung ab.

„Sonny, der Vampir ist los!" Der das sagte, war ein eher dünner Mann mit dreckigen Händen und fettglänzenden Stiefeln.

„Das sehe ich selbst", sagte Sonny, der schwerere der beiden. Er war auch dunkler als sein Gefährte, dessen Kopf ein Haarschopf in jener Nicht-Farbe zierte, die die Leute 'braun' nennen, weil sie ihr ja irgendeinen Namen geben müssen.

Der junge Kassierer schüttelte entschlossen Angst und Schmerz ab und kam so rasch aus seiner Kabine herausgeschossen, wie er sich nur bewegen konnte. Mein Schuß gegen die Decke hatte bewirkt, daß sich weißer Staub in das Blut auf seinem Gesicht gemischt hatte. Der Junge sah grauenhaft aus.

„Wie ich sehe, haben Sie mein Gewehr gefunden", begrüßte er mich, als er an mir vorbeiging, wobei er sehr darauf achtete, nicht zwischen die bösen Jungs und die auf sie gerichteten Gewehrläufe zu geraten. Dann zog er sein Handy aus der Tasche, und ich hörte die leisen Piepstöne, mit denen er eine Nummer eingab. Gleich darauf war seine mürrische Stimme zu vernehmen, die eine leicht abgehackte Unterhaltung mit der Polizei führte.

„Ehe die Polizei hier eintrifft, Sookie", gab Eric nun zu bedenken, „müssen wir herausfinden, wer diese beiden Schwachköpfe hierher geschickt hat." Wenn ich in den Schuhen der beiden Gangster gesteckt hätte, dann hätte allein der Ton, in dem Eric das sagte, mich zu Tode erschreckt, und so erging es den beiden denn auch: Sie schienen sich durchaus im klaren darüber zu sein, wozu ein wütender Vampir fähig ist. Eric trat so weit vor, daß ich sein Gesicht sehen konnte. Ein feines Netz aus Brandblasen überzog seine Haut, wie wütend angeschwollene Striemen nach einem Kontakt mit Giftsumach. Eric konnte sich glücklich schätzen, daß lediglich sein Gesicht nackt gewesen war - ich bezweifelte jedoch sehr, daß er in diesem Moment wirklich glücklich war.

„Komm runter da", sagte Eric, und seine Augen fingen Sonnys Blick ein.

Gehorsam und umgehend kletterte Sonny von der Plattform des Kassierers und kam um den Tresen herum auf uns zu, während sein Gefährte ihm mit offenem Mund dabei zusah.

„Bleib du stehen", befahl Eric nun, und der farblose Mann kniff verzweifelt die Augen zusammen, um Eric nicht ansehen zu müssen. Als er den Vampir aber einen Schritt näher auf sich zutreten hörte, öffnete er die Augen einen Spalt breit und schon war es geschehen. Hat man selbst keine übersinnlichen Fähigkeiten, dann darf man einem Vampir um Himmels Willen nie in die Augen schauen. Denn sonst kriegt der dich ran, wenn er das will.

„Wer hat euch hergeschickt?" fragte Eric sanft.

„Einer der Höllenhunde", entgegnete Sonny mit flacher, tonloser Stimme.

Eric wirkte verwundert. „Ein Mitglied der Rockerbande 'Höllenhunde'", erklärte ich, wobei ich genau auf meine Wortwahl achtete, denn immerhin hatten wir einen menschlichen Zuhörer, und der hörte auch wirklich zu, mit allen Anzeichen äußerster Neugierde. Ich persönlich hörte alle Antworten noch einmal verstärkt in den Köpfen der Betroffenen.

„Was haben die euch zu tun befohlen?"

„Sie haben gesagt, wir sollen an der Autobahn warten. Da sind noch mehr unterwegs und warten an anderen Tankstellen."

Sie hatten ungefähr vierzig Schurken zusammengetrommelt - dafür hatten sie gewiß eine Menge Schotter hinblättern müssen.

„Wonach solltet ihr Ausschau halten?"

„Nach einem großen dunklen Mann und einem großen blonden Mann mit einer blonden Frau, sehr jung, mit hübschen Titten."

Erics Hand war so schnell, daß ich zuerst nicht recht mitbekam, was sie getan hatte. Erst als ich das Blut sah, das Sonny aus der Nase tropfte, wußte ich, daß Eric sich wirklich bewegt hatte.

„Du sprichst von meiner zukünftigen Liebsten. Bemüh dich um Respekt. Warum habt ihr nach uns Ausschau gehalten?"

„Wir sollten euch schnappen. Zurück nach Jackson verfrachten."

„Warum?"

„Die Gang hatte den Verdacht, ihr könntet was mit Jerry Falcons Verschwinden zu tun haben. Sie wollten euch ein paar Fragen stellen. Einer von denen, der ein Wohnhaus überwachte, hat euch in einem weißen Lincoln rausfahren sehen und dafür gesorgt, daß jemand euch einen Teil der Strecke nachfuhr. Der dunkle Typ war nicht bei euch, aber die Frau war die richtige, und so haben wir angefangen, euch zu verfolgen."

„Haben die Vampire in Jackson irgend etwas von diesem Plan mitbekommen?"

„Nein. Die Gang dachte, das sei allein ihr Problem. Aber sie hatten gleichzeitig auch noch eine Menge anderer Probleme: Ein Gefangener war abgehauen und so, und eine Menge Leute hatte sich krank gemeldet. So kam eben eins zum anderen, und sie haben ein paar von uns rekrutiert, um zu helfen."

„Was sind das für Männer?" wollte Eric von mir wissen.

Ich schloß die Augen und dachte ganz genau nach. „Nichts", sagte ich. „Diese Männer sind nichts." Sie waren weder Wandler noch Were noch sonst etwas. Meiner Meinung nach waren sie ja noch nicht einmal richtige Menschen - aber bis jetzt war noch niemand gestorben und hatte verkündet, ich sei Gott.

„Wir müssen hier weg", sagte Eric, eine Beobachtung, der ich nur aus ganzem Herzen zustimmen konnte. Die Nacht auf einer Polizeistation zu verbringen war nun wirklich das Letzte, was ich tun wollte, und was Eric betraf, so war es für ihn ohnehin unmöglich. Die nächste für Vampire geeignete, sichere Zelle befand sich in Shreveport. Die Polizeiwache in Bon Temps hinkte so weit hinter der Zeit her, daß sie erst vor ein paar Wochen überhaupt rollstuhlgerecht gemacht worden war.

Eric blickte Sonny tief in die Augen. „Wir waren nicht hier", sagte er. „Diese Dame und ich, wir waren nicht hier."

„Nur der Junge", pflichtete Sonny ihm bei.

Wieder versuchte der andere Räuber, die Augen krampfhaft geschlossen zu halten, aber Eric pustete ihm ins Gesicht, worauf der Mann die Augen öffnete und versuchte, sich zur Seite zu wenden, genau, wie ein Hund es tun würde. Innerhalb einer Sekunde hatte Eric seinen Blick aufgefangen und wiederholte die Prozedur, die auch der andere Gangster hatte mitmachen müssen.

Dann wandte der große Vampir sich an den Kassierer, um diesem das Gewehr zu übergeben. „Ich glaube, das gehört Ihnen", sagte er.

„Danke", erwiderte der Junge, die Augen unverwandt auf den Gewehrlauf gerichtet, mit dem er auf die beiden Gangster zielte. „Ich weiß, daß Sie nicht hier waren!" knurrte er, wobei er starr geradeaus blickte. „Ich werde der Polizei nichts sagen."

Eric legte vierzig Dollar auf den Tresen. „Für das Benzin", erklärte er. „Sookie, sehen wir zu, daß wir wegkommen."

„Ein Lincoln mit einem riesigen Loch im Kofferraumdeckel fällt aber auch wirklich ziemlich auf!" rief der Junge uns noch nach.

„Er hat recht!" Ich hatte mich gerade fertig angeschnallt und Eric gab Gas, da hörten wir, ziemlich in der Nähe bereits, Sirenen heulen.

„Ich hätte den Pick-up nehmen sollen!" sagte Eric, den unser Abenteuer, nun wo es vorbei war, eher zu amüsieren schien.

„Wie geht es deinem Gesicht?"

„Es wird schon besser."

Tatsächlich waren die Schwellungen schon längst nicht mehr so auffällig.

„Was ist passiert?" erkundigte ich mich, wobei ich hoffte, damit nicht schon wieder ein heikles Thema zur Sprache zu bringen.

Eric warf mir einen Seitenblick zu. Mittlerweile befanden wir uns wieder auf der Autobahn, und er hatte das Tempo gedrosselt, damit wir nicht Gefahr liefen, durch Übertretung der Geschwindigkeitsbegrenzung aufzufallen und irgendeinen der vielen Polizeiwagen, die sich nun auf die Tankstelle zubewegten, Anlaß zur Vermutung zu geben, wir würden uns auf der Flucht befinden.

„Während du dich deinen menschlichen Bedürfnissen gewidmet hast", erklärte mein Begleiter, „habe ich den Wagen vollgetankt. Ich hatte gerade den Schlauch wieder eingehängt und war schon fast an der Ladentür, als die beiden Typen aus dem Pick-up kletterten und mir ganz einfach ein Netz überwarfen. Es ist schon beschämend, daß sie das einfach so tun konnten - zwei Affen mit einem Silbernetz!"

„Bestimmt warst du in Gedanken irgendwo anders."

„]a", sagte er kurz angebunden. „Das war ich."

„Was geschah dann?" hakte ich nach, als es so schien, als wolle er von sich aus nicht mehr weiter reden.

„Dann hat mir der Größere mit dem Knauf seiner Pistole einen Schlag auf den Kopf gegeben, und ich habe eine Weile gebraucht, mich davon zu erholen."

„Ich habe das Blut gesehen, das du verloren hast."

Eric berührte eine Stelle an seinem Hinterkopf. „Stimmt, ich habe geblutet! Na ja, irgendwann hatte ich mich an den Kopfschmerz gewöhnt. Ich schaffte es, eine Ecke des Netzes an der Stoßstange des Pick-up festzuhaken, und dann konnte ich mich ganz einfach wegrollen. Was die Sache mit dem Netz anging, so haben sich die beiden als unfähig erwiesen. Beim Überfall ja letztlich auch. Das Netz hätten sie lediglich mit Silberketten verschließen müssen, dann hätte die Sache ein ganz anderes Resultat gehabt."

„Aber so hast du dich befreien können?"

„Der Schlag auf den Kopf erwies sich als größeres Problem, als ich anfangs gedacht hatte", erklärte Eric ein wenig steif. „Ich rannte an der Rückseite des Ladens entlang zu dem Wasserhahn, den ich dort gesehen hatte. Dabei hörte ich jemanden zur Hintertür herauskommen. Ich wartete, bis ich mich ganz erholt hatte. Dann folgte ich den Geräuschen, die ich hörte und traf auf dich." Als Eric seine Erzählung beendet hatte, schwieg er eine Weile, ehe er mich fragte, was denn genau im Laden passiert sei.

„Die beiden Ganoven hatten mich zuerst mit der Frau verwechselt, die zusammen mit mir den Laden betreten hatte und Zigaretten kaufte, während ich auf die Toilette ging", erklärte ich. „Offenbar hatten die beiden gar nicht mitbekommen, daß ich im Laden war. Der Verkäufer hat ihnen erzählt, es sei nur eine blonde Frau dagewesen, und die sei bereits wieder gegangen. Dann erfuhr ich, daß der Verkäufer in seinem Pick-up draußen vor der Hintertür ein Gewehr aufbewahrte - ich habe diese Informationen in seinem Kopf lesen können, du weißt schon. Also habe ich mich aufgemacht, um das Gewehr zu holen, und dabei habe ich den beiden noch ihren Wagen fahruntüchtig gemacht, und dann habe ich nach dir gesucht, denn ich war sicher, daß dir etwas zugestoßen war."

„Dann hattest du also vor, den Kassierer und mich zu retten?"

„Nun ... ja". Ich konnte den merkwürdigen Ton nicht deuten, in dem Eric die Frage gestellt hatte. „Ich hatte nicht das Gefühl, in dieser Sache großartig eine Wahl zu haben."

Die Schwellungen in Erics Gesicht waren mittlerweile so weit zurückgegangen, daß lediglich noch rosa Striemchen zu sehen waren.

Wir schwiegen, aber es war kein entspanntes Schweigen, das sich zwischen uns breitgemacht hatte. Wir waren etwa vierzig Minuten von zu Hause entfernt - ich war geneigt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber letztlich tat ich es dann doch nicht.

„Eric, du scheinst mit irgend etwas nicht zufrieden zu sein!" sagte ich, wobei mein Ton, ich gebe es zu, eindeutig ein wenig scharf klang, denn auch meine Stimmung hatte angefangen, an den Ecken ein wenig abzubröckeln. Mir war klar, daß ich die Unterhaltung in ganz falsche Bahnen lenkte; mir war ebenfalls klar, daß ich mich mit Erics Schweigen hätte zufrieden geben sollen, ganz gleich, wie mißgelaunt und bedeutungsschwanger mir dieses Schweigen erschien.

Eric verließ die Autobahn an der Ausfahrt Bon Temps und wandte sich gen Süden.

Manchmal biegt man ohne nachzudenken auf die Straße ab, auf der alle fahren, statt die zu nehmen, die weniger befahren ist.

„Kann es denn falsch sein, daß ich vorhatte, euch beide zu retten?" Wir fuhren schon durch Bon Temps. Nachdem die Häuser an der Main Street immer spärlicher und spärlicher geworden waren, um dann ganz zu verschwinden, bog Eric nach Westen ab. Wir fuhren am Merlottes vorbei, das immer noch geöffnet hatte und bogen dann nach Süden auf eine kleine Landstraße ein. Bald darauf holperten wir die Auffahrt zu meinem Haus hinauf.

Eric parkte den Lincoln direkt vor meinem Haus und stellte den Motor ab. „Ja", sagte er. „Es war etwas falsch daran. Warum zum Teufel sorgst du nicht endlich mal dafür, daß deine Auffahrt repariert wird?"

Da schlug die Spannung, die zwischen uns beiden geherrscht hatte, unvermittelt in Zorn um. Im Handumdrehen - schneller als die sprichwörtliche New Yorker Minute - war ich aus dem Wagen gesprungen, und das gleiche galt für Eric. Über das Dach des Lincoln hinweg funkelten wir einander an - auch wenn von mir zugegebenermaßen nicht sehr viel zu sehen war. Dann rannte ich um den Wagen herum und baute mich direkt vor dem großen blonden Vampir auf.

„Weil ich mir das nicht leisten kann, darum wird meine Auffahrt nicht repariert! Ich habe nämlich kein Geld, und ihr bittet mich ständig, Urlaub zu nehmen, weil ich für euch irgendwelche Sachen erledigen soll. Ich kann das nicht! Ich kann nicht mehr!" Ich war außer mir. „Ich kündige!" kreischte ich abschließend.

Es folgte eine ziemlich lange Pause, in der Eric mich prüfend musterte. Unter der geklauten Jacke hob und senkte sich meine Brust heftig. Irgend etwas drang störend in mein Unterbewußtsein - irgend etwas an der Art, wie mein Haus dalag, störte mich. Aber ich war viel zu erregt, um diesem Unwohlsein genauer nachzugehen.

„Bill ...", setzte Eric zögernd an, aber da ging ich erst recht los wie eine Rakete.

„Der? Der wirft all sein Geld den bescheuerten Bellefleurs in den Rachen!" verkündete ich, diesmal mit ganz leiser, giftiger Stimme, aber mindestens ebenso ernstgemeint wie zuvor. „Dem fällt es doch nicht mal im Traum ein, mir Geld zu geben, und wie könnte ich es auch annehmen? Dann wäre ich eine Mätresse, und das bin ich nicht. Ich bin nicht seine Hure, ich bin seine ... ich war seine Freundin."

Ganz tief und ziemlich zittrig holte ich Atem. Zu allem Elend würde ich gleich auch noch anfangen zu heulen. Da war ein neuerlicher Wutanfall viel besser, weswegen ich es lieber damit versuchte. „Was fällt dir eigentlich ein, denen zu sagen, ich sei deine 'zukünftige Liebste'? Wo kam der Spruch denn her?"

„Was ist mit dem Geld, das du in Dallas verdient hast?" wollte Eric nun wissen, wobei mich diese Frage völlig überrumpelte.

„Damit habe ich die Grundsteuer bezahlt."

„Ist dir eigentlich je in den Sinn gekommen, daß ich dir geben würde, worum du mich auch bittest, wenn du mir sagst, wo Bill sein Computerprogramm versteckt hält? Ist dir nicht klar gewesen, daß auch Russel höchst anständig dafür bezahlt hätte?"

Ich hielt die Luft an, denn nun war ich derart beleidigt, daß ich gar nicht mehr wußte, wo ich ansetzen sollte.

„Wie ich sehe, hast du an beides nicht gedacht."

„Aber ja doch, ich bin der reinste Engel!" Mir war wirklich keines der Dinge in den Sinn gekommen, die Eric da eben genannt hatte, und ich hatte fast das Gefühl, mich nun verteidigen zu müssen, weil ich solche Überlegungen nicht angestellt hatte. Ich zitterte vor Wut am ganzen Leib, und mein gesunder Menschenverstand löste sich in Luft auf. Hinter mir spürte ich fremde Hirne am Werk, und die Tatsache, daß sich irgend jemand in meinem Haus aufhielt, ließ mich nur noch zorniger werden. Mein Zorn tobte derart heftig, daß sich der rationale Teil meines Bewußtseins schlichtweg verabschiedete und in Wohlgefallen auflöste.

„In meinem Haus wartet jemand, Eric." Mit diesen Worten drehte ich mich um, stapfte über die vordere Veranda und fand im Handumdrehen den Haustürschlüssel, den ich unter einem Schaukelstuhl, den meine Großmutter besonders geliebt hatte, versteckt hielt. Ich schlug alles, was mein Verstand mir verzweifelt zu sagen versuchte, eiskalt in den Wind, ignorierte auch die Tatsache, daß Eric Anstalten machte, mir etwas zuzurufen, öffnete die Vordertür meines Hauses, und dann stürzte der Himmel über mir ein.