Tabulae anatomicae

 

 

 

»Lass Lovisa nicht wissen, dass ich dir erlaube, in diese Bücher zu schauen!« Hampus lächelte verschwörerisch. »Hier sind die Organe besonders schön abgebildet. Und in diesem Buch dort findest du die Skelettdarstellungen und die Muskelmänner.«

Behutsam zog der Student ein Buch zu sich heran. De humani corporis fabrica, entzifferte Elin den Titel.

Hampus schlug es auf und deutete auf einen Holzschnitt, der einen ganzen Menschen darstellte allerdings ohne Haut. Muskeln hüllten ihn ein und hingen an einigen Stellen wie aufgeklappte Lappen vom Körper. Fräulein Ebba hätte sich bei diesem Anblick sicherlich bekreuzigt.

»In diesem zweiten Buch beschäftigt er sich fast nur mit der Muskulatur. Und hier hast du das Adernetz und die Eingeweide.« Sobald er über Medizin sprach, verschwand Hampus Fröhlichkeit. Elin musste lächeln, wenn sie ihn so konzentriert sah. In einigen Jahren würde er seine Patienten als ausgebildeter Arzt mit diesem besorgten Ausdruck im Gesicht das Fürchten lehren.

Elin griff nach einem anderen Buch und blätterte in den anatomischen Tafeln. Es waren Kostbarkeiten, die hier auf dem Tisch lagen. Herr Freinsheim hatte Hampus die Folianten nur in die Hand gegeben, nachdem der Student feierlich geschworen hatte, sie nicht zu beschädigen. Der Anatomist und Chirurg Andreas Vesalius hatte die Bücher vor mehr als hundert Jahren drucken lassen. Elin kannte inzwischen die Namen der meisten Organe und wusste um die Beschaffenheit der vier Flüssigkeiten, die das Temperament eines jeden Menschen bestimmten. Bei Frauen überwogen die feuchten und kühlen Elemente, bei Männern dagegen Trockenheit und Hitze. Elin wusste auch, dass sich diese Elemente bei der Königin laut Doktor van Wullen nicht im Einklang befanden, was sie so männlich und unbeherrscht erscheinen ließ. Die Analyse des Arztes war verwirrend, aber dennoch logisch bis auf die Tatsache, dass sich Elin fragte, ob ihre eigenen Anlagen auch im Ungleichgewicht waren, denn die meisten von Kristinas Gefühlsregungen konnte sie sehr gut nachvollziehen.

Hampus rückte näher an Elin heran und beugte sich mit ihr zusammen über das Buch. Im Licht der tief stehenden Nachmittagssonne glänzte sein rotbraunes, glattes Haar wie Kupfer. Elin betrachtete verstohlen sein Profil. Ihre Schultern berührten sich leicht, als sich Hampus nach vorne beugte und auf ein Bild zeigte.

»Das wolltest du dir doch ansehen, oder? So sieht ein menschliches Herz aus.« Elin betrachtete konzentriert das Organ. Das hier sollte in Emilias und ihrer Brust schlagen?

»Es sieht nicht viel anders aus als ein Schweineherz«, meinte sie enttäuscht.

»Was dachtest du denn?« Hampus lachte verschmitzt. »Dass es aussieht wie die Zeichnung unter einem Liebesgedicht? Das menschliche Herz ist kein romantisches Organ, es besteht aus Muskeln, Adern und Nerven. Rene Descartes hat sogar Klappen darin entdeckt.«

»Klappen? Wofür?«

»Kennst du die Entdeckung von William Harvey? Er hat anhand der Blutmenge, die täglich durch das Herz fließt, berechnet, dass das Blut nicht ständig neu gebildet wird, sondern nur in einer bestimmten Menge vorhanden ist und in einem Kreis durch den Körper fließt. Auch Monsieur Descartes verfolgt diese These vom großen Blutkreislauf. Die Klappen dienen zur Unterstützung des Pumpens.«

»Meinst du Descartes, den Philosophen? Die Königin unterhält eine Korrespondenz mit ihm. Sie diskutieren viel über philosophische Fragen. Aber dass er Mediziner ist, wusste ich nicht.«

»Oh, er beschäftigt sich mit vielen Disziplinen. Er würde sagen, das Herz ist eine Maschine, ein kleines Teil des Räderwerks, das unseren Körper antreibt.«

»Dann kann man das Herz ja wie eine kaputte Maschine wieder instand setzen«, murmelte Elin. Die Vorstellung war faszinierend.

»Gib es zu, Elin du willst das nur wissen, weil du dir immer noch Sorgen um diese finnische Magd machst! Dabei hat mir Erik aus Uppsala geschrieben und versichert, dass sie noch lebt. Und das nicht schlecht, seit du sie unterstützt.«

Überrascht sah Elin ihn an.

»Nein«, meinte sie. »Das heißt ja ich will wissen, was es für Herzkrankheiten gibt. Emilia sagte, ihr Herz sei vor Kummer vernarbt und schmerze deshalb, ich dagegen denke, sie leidet an etwas, das man heilen kann. Als ich sie das letzte Mal sah, hatte sie Fieber und ein Stechen hier. Ich schicke ihr Geld, damit sie sich Medizin kaufen und ein wenig ausruhen kann. Aber wenn ich wusste, was mit ihrem Herzen ist, könnte ich ihr sagen, was sie tun muss.«

Hampus Augen waren braun wie die von Henri aber von einem wärmeren Braun, ein bisschen wie das Harz, das seine Tante zur Fixierung der Schwanenfedern verwendete.

»Schreib mir auf, was für Symptome sie noch hatte. Ich werde Doktor van Wullen fragen, was man ihr raten könnte.« Mit diesen Worten zog er das Buch, in dem das Herz abgebildet war, zu sich heran. Versehentlich berührte er dabei Elins Arm. Vor Schmerz zog sie die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. Hampus wich erschrocken zurück.

»Schon wieder eine Prellung?«

Elin rieb sich den Arm und lächelte verschämt.

»Enhörning denkt immer noch, ein Reiter sei etwas, das man einfach an einem Baum abstreifen kann. Aber zumindest hat er verstanden, dass ich mich nicht mehr so leicht abwerfen lasse.«

»Zeig her«, sagte Hampus sanft. Ohne zu zögern löste Elin das Schleifenband an ihrem Ärmel und schob den Stoff ein Stück zurück. Beim Anblick der blauroten Stelle oberhalb des Ellenbogens verzog Hampus das Gesicht. Behutsam umfasste er mit der linken Hand ihren Unterarm und strich mit der rechten über die Prellung.

»Ich könnte dir ein Pflaster zurechtmachen«, murmelte er.

Jemand räusperte sich im Raum und beide blickten erschrocken hoch. Herr Freinsheim war ins Zimmer eingetreten gefolgt von Kristina.

Sofort ließ Hampus Elins Arm los und sie streifte sich den Ärmel wieder bis zum Handgelenk hinunter.

»Es hat seine Vorteile, Medizin zu studieren«, sagte Hampus und machte eine tiefe Verbeugung. »So darf man die jungen Damen berühren.«

»Das sehe ich«, erwiderte Kristina trocken. »Wenn Fräulein Elin nur halb so viel Begeisterung für ihre Schreibübungen aufbringen würde wie für dich, Hampus …«

»Oh, Sie haben sie noch nicht durchschaut«, erwiderte Hampus. »Es ist nicht die Liebe zu mir, sondern ausschließlich die Liebe zur Medizin, die sie an meinen Tisch lockt. Ich habe den Verdacht, sie will heimlich mit mir studieren.«

»Natürlich! Weswegen sollte man sich sonst mit Hampus an einen Tisch setzen?«, warf Elin ein. Freinsheim und die Königin verstanden ihren Humor. Freinsheim erlaubte sich sogar ein flüchtiges Lächeln. Hampus Gesicht dagegen verdüsterte sich und Elin tat ihre vorlaute Art wieder einmal Leid. Es war einfacher, wenn auch gefährlicher, mit Kristina zu scherzen bei Hampus fühlte sie sich oft so, als hätte sie beim Versuch, ihm einen scherzhaften Klaps zu geben, ohne Absicht eine tiefe Wunde geschlagen. Abrupt wandte er sich dem Tisch zu und stapelte die Bücher auf seine Arme.

»Sie entschuldigen, Majestät«, murmelte er. Elin senkte den Kopf und warf Kristina einen zerknirschten Blick zu. Die Königin grinste und ging zu dem Regal mit den Werken der Physik. Der Bibliothekar folgte ihr, jedoch nicht ohne Elin zuvor zu ermahnen, ihre Schreibübungen fortzusetzen. Elin liebte das Lesen, aber das Schreiben fiel ihr nach wie vor schwer. Dafür lernte sie umso eifriger Deutsch und saß abends über den unendlich scheinenden Listen, auf denen die Namen der schwedischen Soldaten erfasst waren. Kristina hatte sich erbarmt und einige der Akten aus dem alten Schloss in Uppsala nach Stockholm schaffen lassen. Aber mehr als den Namen ihres Vaters und die Stationen seines Kriegswegs, die ihn von der Insel Usedom über unzählige Schlachtfelder und schließlich bis nach Nördlingen geführt hatten, hatte Elin nicht erfahren. Es gab keinerlei Aufzeichnungen über sie oder ihre Mutter. Kein einziges Dokument über eine Eheschließung, keinen Anhaltspunkt, nichts. Auch der Kurier, den Kristina wegen einer anderen Angelegenheit nach Uppsala schickte und der bei den Gudmunds nachgefragt hatte, brachte keine neuen Nachrichten.

Die Königin trieb in diesen Monaten die Verhandlungen in Deutschland mit aller Macht voran. Die Nächte verbrachte sie nicht selten zusammen mit Elin in der Bibliothek. Kristina las die Schriften des Philosophen Descartes und schrieb Briefe an ihn, die sie Elin vorlas. Sie handelten vom Wesen der Liebe, von der Trennung von Geist und Materie und der Existenz und Beschaffenheit der Seele.

Kurz nach Pfingsten gab sich Karl Gustav endlich geschlagen und legte in der Kirche seinen Eid als Generalissimus ab. Mit blassem Gesicht und sichtlich abgemagert kniete er vor Kristinas Baldachin und sprach den Schwur, den Axel Oxenstierna ihm vorlas. Elin, die in der hintersten Reihe stand, versuchte bei Kristina eine Regung zu entdecken, aber im Gegensatz zu Karl Gustav, der einen durch und durch unglücklichen Eindruck machte, wirkte Kristina kühl und nahm seinen Handkuss gnädig entgegen. Eine ganz andere Kristina platzte am selben Abend in Elins Gemach und wedelte freudestrahlend mit einem Brief.

»Wir haben Prag!«, rief sie. »Mein General Königsmarck hat die Kleinseite von Prag erobert. Und weißt du, was sich im Schloss befindet?«

»Schätze?«

»Und was für welche! Bilder, Skulpturen und Kuriositäten! Vom großen Kaiser Ludwig zusammengetragen, unglaubliche Kostbarkeiten aus ganz Europa! Oh, wir werden eine Bilderkammer einrichten, wie Schweden sie noch nie gesehen hat!«

 

Seit Elin mit Kristinas Unterstützung in Deutschland nach Informationen über ihre Eltern forschen ließ, hielt sie sich in der Hoffnung auf Postsendungen oft am Hafen Skeppsbron und bei der Schleuse zur Südstadt auf. Gemeinsam mit Hampus passierte sie die Landungsstege, die unzähligen Bootshäuser und atmete den Duft von gerösteten Heringen ein. Die verschiedensten Güter wurden von den Mälarschiffen auf die Ostseeschiffe umgeladen und umgekehrt. Durch Kristinas Verhandlungen und neue Zollverordnungen, die im Reichstag beschlossen worden waren, bekam der Überseehandel Aufwind. In allen möglichen Sprachen wurden Geschäfte abgeschlossen, Elin hörte Verhandlungen auf Dänisch, Flämisch und auch viele französische Sätze. Einmal vernahm sie eine sanfte Stimme und drehte sich überrascht um. Aber es war nicht Henri.

Immer wieder schwemmte die Ostsee Kriegsheimkehrer aus Deutschland an abgerissene, vom Krieg gezeichnete Männer, nach Pfeifentabak und Schweiß riechend, viele von ihnen Krüppel mit ausdruckslosen Augen, die nichts so sehr herbeisehnten wie ein langweiliges, ruhiges Leben in ihrer Kate. Elin ertappte sich dabei, wie sie die Gesichter dieser Männer eingehend studierte und sich vorstellte, ob ihr Vater ebenso ausgesehen hatte.

»Woran denkst du?«, flüsterte Hampus ihr zu, als sie zu einem Schiff aus Deutschland unterwegs waren. »Gefällt dir etwa dieser schwarzhaarige Soldat, den du so anstarrst?« Elin gab Hampus einen Stoß in die Seite. Sie ärgerte sich, dass sie errötete, denn nun hatte der Soldat das Gespräch bemerkt und schenkte ihr ein überraschtes, hoffnungsvolles Lächeln.

Mit Elin und Hampus strömten unzählige Menschen zum Hafen. Das riesige Transportschiff hatte die Rahsegel auf Halbmast gesetzt und lief langsam auf die Anlegestelle zu. Möwenschreie hallten über das Wasser. Trauben von Menschen hatten sich an der Reling versammelt und winkten den am Ufer Stehenden zu. Kaufleute warteten auf ihre bestellte Ware, Arbeiter standen bereit, die Güter auf die Mälarboote umzuladen. Die ersten Listen wurden gezückt. Hampus zog Elin näher zu sich heran und bahnte mit seiner Schulter einen Weg durch die Menge.

»Das ist doch Monsieur Chanut!«, rief er. »Monsieur Chanut!«

Auf seinen Ruf hin drehte sich der französische Botschafter um. Elin freute sich, den liebenswürdigen Herrn zu sehen. Kristina lud den Diplomaten oft ins Schloss ein, und sogar Axel Oxenstierna schätzte ihn. Neben ihm stand Pater Villon, der Hauskaplan der französischen Botschaft, ein ruhiger Mann mit Pockennarben im Gesicht. Chanut lächelte und winkte Hampus zu sich heran.

»Ah, der junge Freund von Descartes!« Galant nahm er Elins Hand und deutete eine Verbeugung zu einem Handkuss an. »Und Mademoiselle Elin, welch ein Zufall.«

»Suchen Sie jemanden?«, fragte Hampus.

Chanut blickte über seinen Kopf hinweg zur Reling und sein Gesicht hellte sich auf. »Und da habe ich ihn auch schon gefunden! Monsieur Tervué. Die Königin wird ihn noch heute empfangen.«

Die Passagiere verließen nun über Holzplanken das Schiff. Der Mann, der Chanut zugewunken hatte, war beleibt. Seine Wangen zitterten bei jedem Schritt. Elin war verwirrt. Warum hatte Kristina ihr nichts davon gesagt, dass sie Besuch aus Frankreich erwartete? Noch dazu von einem Katholiken! Ob er zu den Gelehrten gehörte, die Kristina aus aller Welt zu sich lud, um die Wissenschaften im Schloss zu etablieren? Der Kaplan und Chanut begrüßten Tervué und auch Elin und Hampus wurden kurz vorgestellt. So freundlich das Lächeln des Gastes war, so kritisch war der Blick, mit dem er Elin musterte ihr Haar, ihr Dekolletee und den Abstand zwischen ihr und Hampus, der ihm offenbar als zu gering erschien. Seine Augen waren von einem kalten Grün.

»Ich freue mich darauf, noch heute die gelehrteste Frau Schwedens und vielleicht sogar Europas kennen zu lernen«, sagte er zu Chanut. »Man sagt, sie habe alles gelesen.«

»Und dennoch wird sie Sie überraschen«, erwiderte Chanut launig. »Nichts, was man sich über sie erzählt, wird ihr nur annähernd gerecht.«

Mit gemischten Gefühlen betrachtete Elin die Kutsche, in die die drei Männer einstiegen.

»Da drüben kommen die Postsäcke und die Unterhändler!«, rief Hampus. Gemeinsam kämpften sie sich den Weg zu den beiden Männern frei, die gerade an Land gingen, kaum beachtet von den Kaufleuten.

»Nachrichten für das Schloss?«, rief Elin dem älteren der beiden Händler zu. »Es muss ein Brief für Elin Asenban dabei sein!« Der Mann warf einen Blick auf die Gardisten, die unweit von Elin Position bezogen hatten, dann öffnete er den Reisebeutel, den er über der Schulter trug. Papier knisterte, dann, nach einer Ewigkeit, zog er endlich einen Packen an Briefen heraus und ging sie durch. Elin konnte sich nicht beherrschen und spähte über seine Schulter. Da waren ein Schreiben von Rene Descartes an die Königin, mehrere Briefe von anderen Stellen und schließlich ein Schreiben, auf dem als Empfänger Elin Asenban vermerkt war! Beinahe hätte sie den Brief fallen lassen, aber es gelang ihr, ihn höflich entgegenzunehmen und in ihren Ärmel zu schieben. Dann drehte sie sich um und lief zurück zu Enhörning und zu Hampus Pferd. Ihr Streitross zerrte ungeduldig am Zügel, den der Gardist hielt. Längst verwunderte es kaum jemanden am Hafen, Elin in ihren Männersattel steigen zu sehen. Hampus erregte viel mehr Aufmerksamkeit, als sein Pferd vor einem Kalb scheute, das sich losgerissen hatte, und beinahe ein Heringsfass umwarf.

Wenig später passierten Elin und Hampus die Kutsche von Monsieur Chanut. Aus den Augenwinkeln sah Elin ein rundes Gesicht am Kutschenfenster und als sie sich noch einmal umdrehte, erkannte sie Monsieur Tervué, der empört und fassungslos betrachtete, wie sie im Männersitz an der Kutsche vorbeiritt.

In schnellem Trab ließen Elin und Hampus die Gassen hinter sich und ritten auf den Brunkeberg hinauf, bis sie fast nur noch grünes Land sahen. Als die ersten Windmühlen und der Feuerturm in Sicht kamen, zügelte Elin Enhörning und sprang ab, bevor das Pferd zum Stehen kam. Der Brief in ihrer Hand fühlte sich heiß an. »Mach ihn auf«, sagte Hampus leise. Gemeinsam setzten sie sich ins Gras und blickten auf das Dokument. Schließlich nahm sich Elin ein Herz und brach das Siegel. Heute schienen die Worte vor ihr zu fliehen. Sie konnte sich kaum einen Reim machen auf die Buchstaben, die irgendwo, weit weg in Deutschland, ein Botschafter auf das Papier geschrieben hatte.

»… konnten keinen Namen und keinerlei Auskunft bekommen«, las Hampus fast flüsternd vor. Elin blinzelte und reckte das Kinn in die Höhe. Mit zusammengepressten Lippen blickte sie aufs Wasser. Sie würde nicht weinen. Nicht heute. An diesem Tag war der Himmel so klar, dass man von hier oben sogar die Schären sehen konnte Lovisa hatte ihr erzählt, dass es tausende solcher Inseln gab, manche nur wenige Bootslängen voneinander entfernt, felsig und nackt oder mit kleinen Wäldchen, ein zerklüfteter Archipel. Es war aussichtslos, sie zu zählen, aber immer noch einfacher als die Aufgabe, eine fremde Frau mit weißblondem Haar zu finden, die irgendwann, vor sechzehn Jahren, am Rand eines Schlachtfelds das Kind eines schwedischen Soldaten zur Welt gebracht hatte.

»Du wirst sie finden«, sagte Hampus leise. »Wenn der Krieg erst vorbei ist, wirst du reisen und dir selbst ein Bild machen können. So viele Aufzeichnungen sind im Krieg zerstört worden. Unzählige Kirchen haben gebrannt …«

»Ich weiß.« Elins Antwort klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte, aber diesmal war Hampus nicht gekränkt. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran.

»Du bist nicht allein, Elin«, murmelte er. »Du hast Kristina, du hast Lovisa und Herrn Freinsheim und du hast mich.«

»Dich? Du fährst doch demnächst für mehrere Wochen nach Uppsala zur Akademie.« Sie starrte das Gras zu ihren Füßen an. »Hampus würdest du mir einen Gefallen tun?«

»Jeden, Elin. Das weißt du doch.«

»Könntest du noch einmal bei den Gudmunds nachfragen? Sie haben gemeldet, dass sie nichts über meine Eltern wissen aber ich glaube es erst, wenn sie es auch dir gesagt haben. Und könntest du Emilia einen Brief und ein paar Riksdaler bringen?«

»Das sind aber zwei Gefallen.«

»Bitte!«

Hampus lächelte ihr besänftigend zu.

»Natürlich werde ich Emilia besuchen. Mach dir nicht so viele Sorgen.«

 

Die Flüssigkeit, in der sich die schwarzen Würmer wanden, war ganz gewöhnliches Teichwasser. Auf Elins Schreibtisch zwischen Pergament und Büchern wirkte das Glas jedoch einigermaßen seltsam.

»Hirudo medicinalis«, sagte Hampus geheimnisvoll. »Blutegel. Sie saugen das schlechte Blut aus dem Körper und schwächen den Kranken sehr viel weniger als ein Aderlass. Wenn die Theorie stimmt, dass in unserem Körper nur eine bestimmte Menge Blut im Kreis gepumpt wird, ist es eher schädlich, dem Körper viel Blut zu entziehen.« Er beugte sich näher zu Elin und senkte seine Stimme. »Bist du nicht auch erstaunt, wie sehr unsere glitschigen Freunde hier den Höflingen ähneln? Der dahinten heißt Johan Oxenstierna.« Elin kicherte.

»Hier wird nicht getuschelt«, fuhr Lovisas herrische Stimme dazwischen. Zu Elins Überraschung stand Hampus sofort auf und machte einen Schritt zur Seite.

»Entschuldigen Sie«, murmelte er verlegen. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«

»Das warst du aber«, sagte Lovisa. »Denke daran, du bist ein junger Mann und Fräulein Elin noch ein Mädchen. Ein anständiges Mädchen«, setzte sie mit Nachdruck hinzu.

»Ich stimme Ihnen vollkommen zu«, sagte Hampus galant. »Ich muss mich ohnehin verabschieden ich habe meiner Tante versprochen, sie zum Markt zu begleiten.«

Er verbeugte sich übertrieben tief erst vor der Hofdame, dann mit einem Zwinkern vor Elin, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und schnell den Raum verließ. Kopfschüttelnd sah Lovisa ihm nach.

»Es ist keine gute Idee, diesen Studenten in deinem Privatgemach zu empfangen.«

»Die Tür steht offen. Und außerdem ist er mein Freund!« Lovisa verschränkte die Arme. In den vergangenen Wochen hatte die Kammerfrau sich sehr verändert. Je heller die Sommersonne schien, desto düsterer wurde ihr Gemüt. Einmal hatte Elin sie dabei ertappt, wie sie im Ostflügel am Fenster stand und weinend auf das Wasser blickte, aber Lovisa wollte nicht verraten, was ihr Kummer bereitete.

»Freunde kannst du dir leisten, sobald du einen Ehemann hast«, knurrte sie jetzt. »Bis dahin bringt es dich nur in Verruf. Weißt du nicht, wie über dich getuschelt wird?«

»Lass die Gänse doch schnattern.«

»Du hast leicht reden. Herr Hampus hat schließlich keinen Ruf zu verlieren.«

»Aber ich schon?«

»Nein, du hast noch einen langen Weg vor dir, dir überhaupt erst einen Ruf zu erarbeiten!« Lovisa seufzte und wischte sich über die Stirn. »Aber das ist nicht der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin. Ein Bote ist gekommen mit einem Päckchen aus Deutschland für dich.«

Elin fuhr hoch. »Wo?«

»Im Kabinett der Königin. Du sollst es holen.«

Kristina blickte nicht von ihren Akten auf, als Elin in ihr Kabinett stürmte, sondern deutete nur mit einer vagen Geste auf einen Tisch bei der Tür. Elin stürzte sogleich dorthin und riss den Lederbeutel an sich. Etwas klirrte darin. Eine Kette? Vielleicht ein Erbstück?

»Vorsicht, Elin!«, hörte sie Ebbas Stimme neben sich. »Vielleicht ist etwas Zerbrechliches darin.« Erst jetzt bemerkte Elin die Freundin der Königin. Sie saß am Fenster und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien.

Behutsam tastete Elin nach dem Inhalt des Beutels und erschauerte, als ihre Fingerspitzen kaltes Metall und Leder berührten. Überrascht zog sie den Gegenstand heraus. Es war ein Zaumzeug mit einem schmalen Mundstück. Ein Kärtchen mit einer Empfehlung hing daran. Elin brauchte eine halbe Ewigkeit, um zu begreifen, von wem die Sendung stammte und warum sie aus Deutschland kam und nicht aus Frankreich.

»Monsieur Henri wurde von seinem Vater an die Front geschickt«, sagte Kristina. »Der arme Kerl steht auf einem Schlachtfeld in Zusmarshausen bei Augsburg. Ich nehme an, der Zaum ist eine kleine Erinnerung daran, dass du dein Pferd besser zügeln sollst. Eins muss man dem jungen Marquis lassen seinen Humor nimmt ihm so leicht niemand.« Sie lächelte müde und beugte sich wieder über die Akten. »Wie weit bist du mit der Katalogisierung der philosophischen und sprachwissenschaftlichen Studien für die Bibliothek?«

»Ich arbeite daran«, murmelte Elin. Tränen brannten in ihren Augen. Sie war plötzlich unglaublich wütend auf Henri. Wütend, dass er diese Hoffnung in ihr Herz gesetzt hatte. Und da war noch ein anderer Gedanke, der sie beunruhigte: Henri war auf einem Schlachtfeld. Seltsamerweise erinnerte sich Elin nicht an den hochmütigen Adligen, sondern an den Jungen in der Bibliothek, der mit sehnsüchtigem Blick die Sterne betrachtet hatte.

»Warum zum Teufel heulst du?«, fuhr Kristina sie an.

Ebba warf der Königin einen tadelnden Blick zu.

»Das wissen Sie genau!«, brachte Elin heraus.

»Ach richtig, du wartest ja immer noch auf den Brief, der dir bestätigt, dass deine Mutter eine Prinzessin war, die unstandesgemäß einen Soldaten geheiratet hat heimlich am Rand eines Schlachtfelds. Ach Elin, gib es endlich auf! Es ist bedeutungslos!«

»Für Sie schon!«

»Mein Gott, wir haben ganz andere Sorgen! Europa brennt! Es gibt Bürgerkriege und Aufstände. Meine Adligen setzen mir zu und du denkst an nichts anderes als die Vergangenheit. Du musst sie endlich ruhen lassen und in die Zukunft blicken. Ich für meinen Teil wäre froh, nicht zu wissen, wer meine Mutter ist.«

»Wie können Sie so etwas nur sagen!«

»Ich weiß, wovon ich rede. Du hast zumindest die Illusion, dass deine Mutter dich liebte. Ich hingegen habe meine Mutter an dem Tag verloren, an dem ich geboren wurde.« Kristina seufzte. »Alle dachten, ich sei ein Junge. Mein Vater soll gesagt haben: Sie wird klug werden, da sie uns so gut zu täuschen wusste. Nun, meine Mutter hat mir diese Täuschung nie verziehen.«

Elin hatte das Gefühl, dass dies nicht die ganze Wahrheit war.

Mit unbarmherziger Stimme fuhr Kristina fort: »Was würdest du tun, wenn du feststellen müsstest, dass deine Mutter dich ertränken wollte?«

»Das hätte sie nie getan«, gab Elin trotzig zurück. Ohne es zu wollen, hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte sie Kristina geohrfeigt.

»Es reicht, Kristina.« Ebbas Stimme klang so sanft wie immer. »Du urteilst über fremdes Leid«, fuhr sie noch leiser fort. »Und dabei müsstest gerade du wissen, dass du Elin damit unrecht tust.«

Kristina warf Ebba einen langen Blick zu, dem diese mühelos standhielt. Elin bewunderte die junge Hofdame für ihre Sanftmut und ihre Klarheit, die dennoch nicht darüber hinwegtäuschten, dass sich hinter dem hübschen Äußeren ein starker Wille verbarg. Kristina seufzte.

»Du hast Recht, Belle«, sagte sie nach einer Weile. »Entschuldige, Elin. Ich bin hart geworden. Aber selbst ich weiß, wie grausam es ist, jemandem die Hoffnung zu nehmen.«

Sie trat an Elin heran und legte den Arm um ihre Schulter. Irritiert zog sie die Brauen zusammen. »Hat Lovisa dich doch noch überredet, hohe Schuhe zu tragen?« Mit energischen Schritten ging sie um Elin herum, lüpfte respektlos ihre Röcke bis zum Knie und schüttelte beim Anblick der flachen Lederschuhe den Kopf. »Belle, sieh dir das an! Sie wagt es tatsächlich, auf ihre Königin herabzuschauen! Wer zum Henker hat dir erlaubt zu wachsen?« Kristinas Lachen war herzlich und rau zugleich. Wieder einmal war Elin verwirrt von der Sprunghaftigkeit ihres Gemüts. »Vor lauter Regieren und Studieren habe ich gar nicht bemerkt, wie hübsch du geworden bist. Du solltest in meinem Ballett tanzen! Du wärst eine wunderbare Jagdgöttin Diana!«

»Sie wissen, dass ich nicht gerne tanze.«

»Eine Sünde. Du und meine Belle auf der Bühne was für ein wunderbarer Anblick wäre das! Aber hör zu, Elin ich möchte dir etwas schenken. Schönheit vergeht, die Kunst ist ewig. Deshalb schenke ich dir ein Porträt. Mein Hofmaler David Beck wird es anfertigen. Ein schönes, großes Gemälde für dich und ein kleines Porträt für mich. Damit ich mich, wo ich auch bin, immer an dich erinnere.«

Elin schnappte nach Luft. Ihr Zorn wich der Verzweiflung. In diesem Moment bedeutete ihr das Geschenk der Königin nichts. Schwer wie eine nicht eingelöste Schuld lag Henris Zaumzeug in ihrer Hand.

»Danke, Majestät«, murmelte sie und machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Noch nie war es ihr so tröstlich erschienen, die heubestäubten Gänge zu betreten und Enhörnings Atem in ihrer Hand zu spüren. Wie so oft stritt sie mit Lars darüber, dass sie alleine ausreiten wollte und gewann zu ihrer Überraschung das Wortgefecht. Der Reitmeister schüttelte den Kopf und warf resigniert die Arme in die Luft.

»Gut, Fräulein Scheuermagd«, wetterte er. »Wenn du meinst, dass du alles gelernt hast, dann fliege!«

Und Elin flog. Auf Enhörnings Rücken verschwammen die Bäume am Ufer zu einer verwaschenen Abfolge von Licht und Schatten und wirbelnden Sommerfarben. Der Wind kühlte ihr Gesicht. Zum ersten Mal ließ sie den Gedanken zu, dass sie ihre Mutter nie finden würde. Erst als sie Enhörning zum Stehen gebracht hatte, erkannte sie, wohin sie instinktiv geritten war: zu der Stelle, an der Henri sie festgehalten hatte.

 

David Beck, der Hofmaler, hatte so helle Wimpern und Brauen, dass Elin sie auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Wenn er malte, machte der Künstler einen spitzen Mund wie eine alte Dame, die an einem heißen Getränk nippte. Der Stoff seiner schwarzblauen Ärmel war geschlitzt, sodass bei jeder Bewegung, die er an der Staffelei ausführte, die weißen Wäscheärmel hervorblitzten. Und sie blitzten oft.

Gerade zog er einige Skizzenstriche und ließ seinen Blick immer wieder über Elins Züge wandern. Noch nie hatte jemand ihr Gesicht so lange und so unbarmherzig nach Schatten, Fältchen und Linien abgesucht.

»Sehen Sie etwas weiter nach rechts, Fräulein Elin. Ja, das ist besser, so kommt die Linie der Wange besser zur Geltung. Sie haben schöne Wangenknochen.«

Lovisa blickte von ihrer Stickerei auf und musterte den Maler wie ein Hofhund den Fuchs vor dem Hühnerstall. Elin verkniff sich nur mühsam ein Lächeln.

»Wenn wir mit dem Ölbild anfangen, können Sie sich entscheiden, was für ein Gewand Sie tragen wollen«, fuhr Beck fort. »Ihre Augen haben einen besonderen Farbton. Ein Grau, das grün oder blau schimmern kann je nachdem, welche Stofffarbe den Augen schmeichelt.«

»Wechselhaft wie ihr Gemüt«, bemerkte Lovisa trocken.

»Grün!«, rief Elin. »Ich möchte, dass meine Augen grün sind.«

»Ein Hündchen wäre passend«, meldete sich Lovisa wieder zu Wort. »Das biblische Symbol der Treue.«

»Ein Jagdhund!«, schlug Elin vor. »Die Königin wird begeistert sein, wenn einer ihrer Jagdhunde auf dem Porträt ist.«

»Ich dachte da eher an das weiße Schoßhündchen von Madame Chanut«, entgegnete die Kammerfrau. »Das passt auch auf die Miniaturen.« Sie nickte Herrn Beck zu und bat ihn fortzufahren. Den Rest der Sitzung fiel es Elin besonders schwer, ruhig zu sitzen. Kaum hatte Herr Beck seine Kohle zur Seite gelegt, sprang sie auf und folgte der Kammerfrau zu den Mädchenräumen.

»Lovisa!«, rief sie ihr hinterher. »Warte! Was für Miniaturen? Die Königin hat nur eine bestellt.«

»Eine für die Königin, eine für mich und eine als Geschenk für eine besondere Person«, sagte Lovisa geheimnisvoll. »Und nun muss ich sehen, dass ich für dich ein hellgrünes Kleid finde.« Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: »Schließlich sollst du Augen haben wie die Waldfeen aus den Märchen.«

Doch da war noch etwas, was Elin seit dem Streit mit Kristina auf der Seele lag.

»Lovisa, kanntest du die Königin, als sie ein junges Mädchen war?«

»Ihre Tante kannte ich gut, die selige Katharina. Warum?«

»Was ist mit Kristinas Mutter?«

»Die Brandenburgerin«, murmelte Lovisa abfällig. »Gustav Adolf nannte sie sein Hauskreuz und er hatte Recht damit.« Sie trat näher an Elin heran. »Für Kristina ist es ein Segen, dass ihre Mutter vor sechs Jahren aus Schweden floh. Obgleich sie sich einen besseren Zufluchtsort als ausgerechnet unseren Erzfeind Dänemark hätte aussuchen können. Frage also besser nicht nach der Landesverräterin. Hier spricht man nicht über sie.« Lovisas Stimme wurde noch leiser. »Wahnsinnig ist Maria Eleonora. Sie hat sich in Gustav Adolf verbissen wie ein tollwütiger Hund und ihm das Herz aus der Brust gerissen. Und das meine ich wörtlich.«

Elin schauderte. Die anatomischen Lehrtafeln mit den hautlosen Menschen kamen ihr in den Sinn. Sie wagte nicht weiterzufragen, aber ein mulmiges Gefühl blieb. Und zu dem Gespenst der weißblonden Frau gesellte sich in den folgenden Nächten ein Nachtmahr, der ein bluttriefendes Herz in den Händen hielt.

Das Kleid, das Elin bei der nächsten Sitzung trug, war tief dekolletiert. Weiße Spitze bedeckte züchtig ihre Schultern. Ebbas Silberkreuz hing um ihren Hals. Aus den Augenwinkeln schielte Elin zu der Palette, auf der der Maler mit flinken Bewegungen eine Farbe anmischte.

»Berggrönt Berggrün, so wie die Farbe Ihres Kleides«, erklärte er, als er ihre Neugier bemerkte. »Es wird aus zerstoßenem Malachit gewonnen. Und für den Himmel im Hintergrund verwende ich Kopparblätt, das ist Azuritblau.«

»Wozu brauchen Sie so viel Schwarz?«, fragte sie gepresst. Es war anstrengend, in dieser starren Pose mit dem unnatürlich gestreckten Hals zu sprechen.

»Elfenbeinschwarz«, sagte Beck geheimnisvoll.

»Müsste es nicht Elfenbeinweiß heißen?«

»Das ist das Wundervolle an der Kunst. Hier wird Schwarz manchmal Weiß und Weiß Schwarz. Dieses hier wird aus dem Elfenbein von Pottwalzähnen hergestellt. Dafür zerreibt man es zu Pulver und brennt es in eisernen Töpfen. Das Schwarz, das dabei entsteht, bekommt in Kombination mit Bleiweiß einen wunderbaren Blaustich, ideal für Schatten und die Vorhänge, die ich am Bildrand malen werde.« Konzentriert tupfte David Beck den Pinsel in das zarte Grün und machte sich ans Werk. Maler und Modell waren so vertieft in ihre Arbeit, dass sie das Klopfen an der Tür gar nicht bemerkten. Erst als sie klickende Krallen auf dem Holzboden hörte, wurde Elin aufmerksam.

»Um Himmels willen«, murmelte Lovisa.

In der Tür stand Hampus. Um seine Hand gewickelt war eine lederne Leine, an der einer der Jagdhunde der Königin zerrte.

»Sie gestatten, Frau Lovisa. Es war Elins Wunsch, einen Jagdhund für das Porträt zu bekommen. Dieser hier ist der sanfteste und der geduldigste.«

Lovisa musterte Hampus von oben bis unten, dann gab sie ihren Widerstand erstaunlich schnell auf.

»Also gut.«

Hampus strahlte über das ganze Gesicht und wagte erst jetzt, sich Elin zuzuwenden. Bei ihrem Anblick entglitt ihm das höfliche Lächeln.

»Nicht lachen, Fräulein Elin«, beschwerte sich Herr Beck. »Lieblich und würdevoll! Würdevoll!«

Mühsam zog Elin die Mundwinkel nach unten und zwinkerte Hampus zu. Endlich fing er sich, schloss den Mund wieder und lächelte zurück.

»Na los«, befahl Lovisa. »Bringen Sie das Vieh zum Fräulein. Wenigstens ist der Hund von guter Rasse.«

Der Student schluckte und führte den Hund zu Elin. Sie fühlte seine Hand, die seltsamerweise ein wenig zitterte, und nahm die lederne Leine entgegen. Hampus befahl dem Hund, Platz zu nehmen, dann entfernte er sich rasch wieder in Richtung Tür.

»Bitte, Lovisa«, sagte Elin leise. »Lass Herrn Hampus eine Weile zusehen, wenn er möchte. Er studiert doch die Anatomie und den Sitz der Muskeln am menschlichen Körper. Als Studie ist ein solches Gemälde sicher interessant für ihn. Dabei kann er noch etwas lernen.«

»Das glaube ich gerne«, antwortete Lovisa sarkastisch. Elin unterdrückte ein weiteres Lächeln und konzentrierte sich wieder darauf, eine Statue zu sein.