DER RITTER

Nach zwei Tagen mußte ich unwiderruflich zur Schule, und allmählich begann sich nun Jakob in unser Leben und in den Haushalt einzufügen. Ich weiß nicht, wie er es machte, er gab sich auch gar keine besondere Mühe, aber er brachte die ganze wohlgeölte Maschine dieses Haushalts aus den Fugen. Um ein weniges nur. Aber dieses wenige war wie ein erfrischender Lufthauch. Es war alles so wie sonst, aber es war doch nicht mehr das gleiche. Etwas strahlte von dem kleinen schwarzen Kobold aus, das hinter alle die gewohnten Verrichtungen ein winziges, lustiges Fragezeichen setzte.

Sein Tageslauf begann damit, daß Valeska die Decke von seinem Bauer nahm. Kurz darauf erschien auch ich. Gewöhnlich überraschte ich Valeska dabei, daß sie sich mit ihm unterhielt. Ich hatte damals noch kein Verständnis für die innere Einsamkeit eines solchen Menschen, der mit ein paar anderen in engster Gemeinschaft lebt und doch nicht zu ihnen gehört und der nur so wenige Stunden für sich selbst hat. Während Jakob den Kopf aus den Federn holte, das zweite Bein aus dem Bauchflaum in Betrieb nahm, gähnte und erst den einen, dann den anderen Flügel reckte, schüttete sie ihm ihr Herz aus. Besonders an Montagen, wenn sie am Vortage mit ihrem Freund, dem zwei Meter großen Möbelpacker, zum Tanz gewesen war.

»...und da habe ich ihm gesagt«, hörte ich sie erzählen, »du brauchst gar nicht der Elli solche Augen zu machen, du dummer Kerl, die will gar nichts von dir wissen! Und da hat Mieze gesagt — du kennst sie ja, Jakob, die von drüben mit den gefärbten Haaren — du bist dumm, hat sie gesagt, laß dir doch ruhig von dem Kerl noch ‘n Glas spendieren, wenn er will. Nimm, was du kriegst, hat sie gesagt, und darauf habe ich gesagt...«

Sie brach ab, wenn ich in Erscheinung trat. Ich klopfte sie gewöhnlich auf den Arm, und manchmal gab ich ihr auch einen Kuß, denn ich hatte sie gern, wenn sie auch immer brummig tat. Wir standen dann versunken nebeneinander und beobachteten, wie Jakob seinen Tageslauf fortsetzte.

Der Verschluß seines Käfigs bestand aus einem kleinen Drahthaken, dessen eines Ende in das Bauer hineinragte. Er hatte sehr schnell herausbekommen, daß er dieses Drahtende nur herumzudrehen brauchte, um außen den Riegel aufzuheben. Auf diese Weise öffnete er sozusagen seine Haustür selbst. Im übrigen machte er sie, wenn er ins Bauer zurückging, gewissenhaft wieder hinter sich zu. Nachdem er sie also jetzt geöffnet hatte, klomm er an den Gitterstäben oben auf das Bauer, wo schon sein Badewasser bereitstand, planschte sich ab, trocknete sich und sprang dann auf den Rand des offenen Fensters, von wo er zunächst mit langem Hals den Hof musterte, ein von vier gewaltigen grauen Mauern umstandenes Viereck, in dessen Mitte eine >Schmuck-Anlage< ihr schwindsüchtiges Dasein führte.

Sodann begann er das, was wir das >Schulmeister-Spiel< nannten. Auf der gleichen Etage mit uns wohnte nämlich ein alter, grantiger Mann namens Schulmeister. Er hatte einen kleinen grauen Spitzbart, trug auch in der Wohnung ein schwarzes Käppchen, weil er Angst vor Zugluft hatte, und schimpfte über alles. Uns Kindern hatte er Jahre hindurch das Leben schwergemacht, wenn wir unten zwischen den Kellereingängen und Müllkästen und den drei verstaubten Büschen der >Schmuck-Anlage< unsere bescheidenen Großstadtspiele abwickelten.

Sein Schlafzimmerfenster stieß in schrägem Winkel gegen unser Küchenfenster, und schon in den ersten Tagen, wenn Jakob sein Repertoire aufsagte, hatte der Alte das Fenster geöffnet und energisch um Ruhe gekrächzt. Daraufhin war Jakob mehrfach erklärt worden, er solle ruhig sein, Herr Schulmeister verlange das. Er hatte sich das mit schiefem Kopf gewissenhaft angehört und offenbar ganz korrekt den Alten mit der Einschränkung seiner freien Meinungsäußerung in Verbindung gebracht. Ein paar Tage lang übte er mit großen Zungenverrenkungen an einem Wort, und schließlich kam es klar, und er schmetterte es triumphierend das erstemal heraus: »Schul-mei-ster!« Es lag etwas unerhört Aufreizendes und Höhnisches in der Art seiner Akzentuierung.

Beim ersten Male fuhr der bärtige Kopf des Alten aus dem Fenster: »Hat mich jemand gerufen?«

»Schul-mei-ster!« schmetterte Jakob. Der Alte lief rot an und schmiß das Fenster zu. Ich kniff Valeska vor Vergnügen in den Arm, daß sie quietschte. Jakob jedoch war nun nicht mehr zu bremsen. Er ließ das ganze Repertoire los: »Kakao — Armleuchter — Hansemännchen — Tschack-tschack — Paulchen — Kraaaoooh — Mäckemäckemäckemäckemäckemäckemäckemäckemäcke« und zum Schluß wieder »Schul-mei-ster!« Es war eine Kaskade, eine Geräuschorgie, bis endlich das Fenster drüben wieder aufging und der bärtige Kopf erschien: »Verdammte Krähe, ich bringe dich um!«

»Hahahaha!« lachten Valeska und ich, und »Hahahaha!« machte Jakob uns nach. Dann drehte er sich auf dem Fensterrahmen um, ließ etwas fallen und sprang in das Bauer zurück.

Dies trieb er jeden Morgen. Schulmeister rannte auf die Polizei. Da es aber weder nächtliche Ruhestörung noch Berufsbehinderung war, weil er nämlich keinen Beruf nachweisen konnte, mußte er Jakobs Sprachübungen hinter seiner Scheibe erdulden, bis es ihm an der Zeit schien, »Verdammte Krähe!« zu schreien, worauf sich Jakob mit dem üblichen Klecks von ihm verabschiedete.

Anschließend frühstückte Jakob mit uns, bekam seinen Teil von den Brötchen ab und kehrte, wenn ich den Schulranzen aufschnallte und die Tür hinter mir zufiel, in die Küche zurück. Dort machte er sich, wie mir Valeska erzählte, auf seine Weise nützlich, indem er Fleisch stahl, Späne aus dem Fußboden hackte oder in Valeskas Zimmer Haarnadeln sammelte und sie — wenn irgend möglich — in die Suppe fallen ließ, die auf dem Herd dem Mittag entgegenkochte.

Wenn ich von der Schule heimkehrte, sah ich schon von fern auf unserem Balkongeländer eine kleine schwarze Gestalt, die dort aufgeregt herumturnte. Jakob hatte sehr bald herausgefunden, daß er meine Heimkehr vom Balkon aus beobachten könne. Dieser Balkon war ein an die Hauswand geklebter, für heutige Begriffe scheußlich langer Blechkasten, mit Blumenkästen besetzt, deren Erde nach Aussage des Gärtners, der im Frühjahr die Blumen pflanzte, seit Jahren hätte erneuert werden müssen. Statt dessen wurde sie von der sparsamen Großmutter nur mit Kunstdünger bestreut und entlud sich pflichtgemäß in Petunien, die von Generation zu Generation kümmerlicher ausfielen.

Auch in diesen Ablauf brachte Jakob eine Wandlung. Er erlöste die Blumen von ihrem Kunstdüngerleiden, indem er sie kurzerhand abhackte, um das nötige Sichtfeld zu bekommen. Krächzend und flügelschlagend saß er dann in der selbstgeschaffenen Dschungelöffnung und bekundete auf jede Weise, daß er sich unsinnig freue, mich wiederzusehen. Ich konnte mich in der Schule noch so sehr geärgert haben — und meist hatte ich das auch —, sobald ich dieses Wesen sah, meinen geliebten Freund, für den ich genauso Mittelpunkt des Lebens war wie er für mich, war alles wie weggeblasen.

Valeska, die mir die Wohnungstür öffnete, mußte vorsichtig sein, daß sie Jakob nicht trat, denn er stand schon im dunklen Flur hinter der Tür, flatterte sofort auf meine Schulter und berichtete mit wilden Wortkaskaden, was er alles getrieben, was ihn im besonderen augenblicklich bewegte und was er als Programm für den Rest des Tages vorschlage.

Beim Mittagessen war er selbstverständlich dabei und bekam von allem seine Häppchen ab. Während der verdammten Schularbeiten, die von der Mama durch häufige Blicke über meine Schulter kontrolliert wurden, saß er auf der Lehne meines Pultes und schlief. Nur gelegentlich griff er ein, indem er eine Seite aus einem Schulbuch riß oder den Federhalter zerhackte oder auch den Schnabel ins Tintenfaß steckte und dann empört die Tinte nach allen Seiten schüttelte. Manchmal setzte er sich auch auf meine Schulter und steckte mir mit sanftem Brummeln ganz vorsichtig den Schnabel ins Ohr. Das alles waren willkommene Unterbrechungen, die auch der Mama gegenüber zu verantworten waren, bis sie plötzlich hinter meinem Rücken vorlangte, in der Grammatik die nächste Seite umschlug und sagte: »Na, nun mal weiter!«

Nach den Schularbeiten erhielt er erst eine Portion aus dem Mehlwurmtopf, und dann ging es hinunter auf die Straße. Dort gab es zwei schwindsüchtige Gärten mit ein paar Quadratmetern verstaubter Grasnarbe und ein paar ebenso verstaubten Rhododendron-Büschen. Das Ganze war mit weißen Kachelmauern und eingesetzten dicken Eisenstäben wie Kostbarkeiten eingefriedet.

Ich setzte Jakob in einen dieser Gärten, ermahnte ihn, artig zu sein und nach Würmern zu suchen, und trat dann mit den Kollegen und Kolleginnen aus den Nachbarhäusern in Verhandlungen über das gemeinsame Spiel.

Sehr oft spielten wir Seeräuber, wobei sich eine frühreife Zehnjährige aus dem Porzellangeschäft nebenan von mir mit Vorliebe >aus der Brandung retten und in die Höhle< schleppen ließ. De facto bedeutete dies, daß ich sie huckepack durch einen dunklen Kellergang in den hinteren Hof tragen mußte. Ich fluchte innerlich über die >süße Last< und hätte lieber einen Kartoffelsack getragen, der hätte mich wenigstens nicht unterwegs im Genick gekitzelt und mir am Schluß einen ebenso intensiven wie feuchten Kuß als >Belohnung< gegeben. Ich nahm ihn hin, weil es so in dem Buch >Der Rote Pirat< stand, kehrte aber so bald wie möglich in den Vorgarten oder vielmehr auf die Kommandobrücke meines Schiffes zurück, die in einer Ausbuchtung des Kachelwalles bestand, und musterte von dort aus mit einem Fernrohr, das ich mir aus den ineinandergesteckten Pappkernen unserer Toilettenpapierrollen konstruiert hatte, den Ozean.

Immer aber irrte dabei mein Blick in Richtung auf das Jaköble ab, das seinen >Garten< gravitätisch durchmaß, ab und zu den Schnabel in die Erde bohrend oder eilig hinter einer Fliege herschießend. Manchmal auch wieder drehte er den Kopf ganz auf die Seite, und sein Auge folgte einem Vogel, der hoch oben irgendwo im Blau kreiste. Sehnte er sich nach Freiheit? Es schien nicht so, denn gleich darauf sah er mich wieder so richtig nett an und sagte beiläufig: »Tschack-tschack — laß dich nicht aufhalten, ich habe zu tun!«

Einmal, als ich wieder auf der Kommandobrücke stand und wir gerade die spanische Silberflotte unter der Bewachung von dreihundertkanonigen Linienschiffen gesichtet hatten, bemerkte ich folgendes:

Vor dem Garten, in dem Jakob >weidete<, waren sich zwei Hunde begegnet, ein Dackel und ein glatthaariger Terrier. Offensichtlich waren sie sich wenig sympathisch, sie standen sich Schnauze an Schnauze gegenüber, die Oberlippen über den Zähnen gerafft, und zwischen beiden wanderte ein Knurren hin und her, das wohl über kurz oder lang in eine solenne Beißerei übergegangen wäre.

Jakob, der gerade wie ein Huhn die ersten trockenen Herbstblätter beiseite gescharrt hatte, wurde aufmerksam, sprang auf die Kachelsteine und beobachtete die Situation zunächst durch die Gitterstäbe. Zwischendurch blickte er zu mir herüber: »Siehst du die blöden Kerle da?« Dann flatterte er auf das Gitter, ohne daß ihn die verbiesterten Feinde bemerkt hätten, und besah sich die Lage von oben aus. Schließlich, ehe ich es verhindern konnte, sprang er hinter dem Dackel auf die Erde, sah sich einen Moment sachverständig den waagerecht weggestreckten Dackelschwanz an und kniff dann nach Herzenslust hinein, in das äußerste Ende, wo es am wehesten tut. Heulend entschwand der so unvermutet und hinterrücks Attackierte, das gekniffene Angriffsziel zwischen die Beine geklemmt.

Der Terrier blieb mit steifen Ohren verdutzt auf der Szene. Sein Gegner hatte sich unbegreiflich verwandelt: statt des Dackels saß da plötzlich ein kohlschwarzes Federvieh, das ihn aus hellgrauen Augen boshaft anfunkelte. Jakob besah ihn sich abschätzend und die Überraschung des anderen offenbar genießend. Dann holte er weit und mit aller Kraft aus, zu der Sorte von Hieb, die eine Nuß spaltete, und haute ihm den Schnabel genau auf die Nase. Der Terrier schrie auf und entstob in sinnloser Flucht. »Schulmeister!« schrie Jakob triumphierend hinter ihm her. Dann wurde er von mir ergriffen und in Sicherheit gebracht.

Um seine Streiche einigermaßen in Grenzen zu halten, hatte ich zwei Formen der Zurechtweisung entwickelt. Die eine war rein moralischer Art. Wenn ich ihn anschrie: »Büßen!« sträubte er das Gefieder, senkte den Schnabel auf die Brust und verharrte reumütig in dieser Stellung, mit den Augen vorsichtig zu mir heraufschielend, bis ich sagte: »Na, ist ja gut!«

In schwereren Fällen packte ich ihn, stellte ihn köpf und haute ihm mit einem kleinen Stückchen, das ich mir geschnitzt hatte, den Popo voll. Er schrie entsetzlich, bestimmt nicht aus Schmerz, denn die Federn fingen die Streiche des winzigen Stückchens sicher ab, als vielmehr aus Wut über die Entwürdigung, die diese Zurechtweisung für einen erwachsenen Vogel darstellte, der schon längst keinen gelben Rand mehr um den Schnabel hatte und einen völlig ausgewachsenen Schwanz besaß.

Am Nachmittag baute ich gewöhnlich in der Bibliothek meine Soldaten auf. Dafür besaß ich, genau wie Opapa, eine große Holzplatte, die über mehrere Stühle gelegt wurde. Zunächst wurde eine Landschaft darauf entworfen. Zu diesem Zweck legte ich Papptafeln auf, die in ihrer Zusammensetzung Flüsse, Wege und Wiesen ergaben, darauf kamen Höhenzüge aus Pappmache, Bäume, Häuser, Brücken, und dann ließ ich darin meine Heere aufmarschieren, meine Batterien auffahren oder auch meine gepanzerten Ritter oder Indianerstämme manövrieren.

In der anderen Ecke der Bibliothek war Opapa mit der gleichen Tätigkeit beschäftigt, falls ihn die Geschäfte nicht fernhielten. Im Gegensatz zu meiner frei schweifenden Phantasie ging es bei ihm streng wissenschaftlich-historisch her. So baute er beispielsweise mit einem dickleibigen Wälzer auf den Knien die Schlacht von Austerlitz nach. Wenn der Aufbau vollendet war und sich die tiefgegliederten Bataillone gegenüberstanden, während hinter ihnen auf den Feldherrnhügeln die Generäle auf springenden Rossen und mit Federhüten paradierten, steckte er sich eine Pfeife oder Zigarre an und blies — wie ich schon schilderte — die Rauchschwaden zwischen die Zinnfiguren, so daß man sich tatsächlich in den Pulverdampf der großen Schlacht hineinträumen konnte.

Es herrschte eine feierliche Stille im Raum, nur ab und zu hörten wir tipp-tipp-tipp Jakobs kleine Krallenfüßchen, wenn sie über das Parkett wanderten. Dann kamen wir gegenseitig auf Besuch. Opapa kritisierte meinen Aufmarsch, und dann gingen wir zu ihm hinüber, und er erklärte mir die Situation seiner Schlacht. Wenn ich mich ganz sicher glaubte, daß uns niemand von dem Weibervolk überraschen würde, kletterte ich ihm auch manchmal noch auf sein Knie und lehnte mein Gesicht an seine Bartstoppeln. Die Stille wurde dann noch tiefer. Schweigend standen die beiden Ritterrüstungen in den Ecken.

Von diesen Inseln der Andacht wurde selbst Jakob ferngehalten, obwohl es ganz offenbar einer seiner Herzenswünsche war, an der Schlacht von Austerlitz auf seine Weise mitzuwirken. An einem dieser Tage war er besonders unternehmungslustig. Schon zweimal war es ihm gelungen, auf meine Platte heraufzuflattern, er war aber genauso schnell wieder heruntergeflogen, das zweitemal mit einem gestohlenen Baum im Schnabel, der ihm jedoch wieder abgejagt wurde. Dann hatte er unser stilles Beieinander von der gepanzerten Faust des einen Ritters aus beobachtet. Ganz offenbar war er auf unser trauliches Tête-à-tête eifersüchtig und tief beleidigt, daß man sich so wenig um ihn kümmerte. Er hatte sich schon mehrfach am Kopf gekratzt, ostentativ gegähnt und schließlich unter gewaltigem Rülpsen und Augenverdrehen einige jener scheußlichen Gewöllewürste aus seinem Schlund zutage gefördert, die in memoriam die unverdauten Reste seiner Mahlzeiten und einiges angesammelte Diebesgut enthielten. Er legte sie neben sich auf den Panzerhandschuh, besah sie mit schiefem Kopf, schüttelte sich, rückte angewidert davon ab und flatterte dann ein Stück höher auf die Schulter des Gewappneten. Er erreichte damit seinen Zweck, denn wir unterbrachen unsere militärische Andacht und begannen, ihn zu beobachten. Von der Schulter aus unternahm er, auf dem glatten Eisen mit seinen Krallen immer wieder ausrutschend, eine komplizierte Gebirgstour an das aufgeklappte Visier. Endlich hatte er es geschafft, faltete die Flügel wieder zusammen, kratzte sich abermals hinter dem Ohr und sagte ein dumpf widerhallendes »Jakob!« in den hohlen Ritterkopf. Das Echo erschreckte ihn einen Moment, er machte den Hals dünn und sah sich nach mir um, ob ich für den Notfall auch zur Stelle sei. Dann starrte er wieder in die dunkle Tiefe, führte einige gelangweilte Schnabelhiebe gegen das über ihm hängende Visier, wackelte von einem Fuß auf den anderen und sprang schließlich in den Ritterkopf hinein.

In diesem Augenblick passierte es. Das durch die Schnabelhiebe gelockerte Visier klappte schnarrend zu. Im Innern war es für einen Augenblick still, und dann begann ein fürchterliches Getobe, Gekrächze, Flügelschlagen, der Ritter wackelte mit dem Kopf, und wir, die wir mit offenem Mund hinter der Schlacht von Austerlitz saßen, sahen, wie sich schließlich der ganze Helm neigte, herunterfiel und mit mächtigem Plauz und Getöse vor unsere Füße rollte. Ich sprang so hastig auf, daß ein österreichisches Bataillon in sich zusammenfiel, und riß das Visier hoch, dem mit schrillem Angstschrei ein sehr dünner und gerupfter Jakob entflog. Ein paar abgebrochene Schwungfedern ragten aus seinem Körper, als hätten ihn Indianer mit Pfeilen gespickt. Omama, die Mama und Valeska kamen aus der Küche gesaust, Jakob schoß zwischen ihren Füßen hindurch, und wir beiden bezogen aufs Geratewohl zunächst eine Gardinenpredigt der Omama darüber, daß wir nicht aufgepaßt hätten (worauf?). »Ihr habt doch nun wirklich nichts weiter zu tun!«

»Aber, Paulchen...«, sagte Opapa, und dann verstummte er und sah auf den heruntergefallenen Helm, aus dem ein ganzes Sammelsurium von Gegenständen gekollert war. Da gab es einen Krönungstaler aus seiner Münzsammlung, ein halbes Dutzend papierne Zigarrenspitzen mit den Aufschriften verschiedener Hotels, einen von mir seit langem vermißten Indianerhäuptling, eine ganze Kollektion von Druckknöpfen, Zahnpastenverschlüssen, eine Augenbrauenbürste der Omama, abgerissene Teppichquasten und etwas golden Schimmerndes — Omamas Busennadel mit der kleinen Perle, die sie seit zwei Wochen vermißte und auf einer Gesellschaft verloren zu haben glaubte. Opapa hob sie auf und überreichte sie seiner Frau in gekränktem Schweigen.

»Danke dir, Mäxchen!« sagte sie versöhnt und tätschelte ihm die Wange. »Und wieder so schlecht rasiert!« fügte sie umgehend mit ihrer tiefen Stimme hinzu. Dann wandte sie sich zu Valeska um: »Holen Sie eine Müllschaufel, kehren Sie das weg, und sehen Sie auch den anderen Helm nach, vielleicht hat er dort auch ein Depot angelegt. Wo ist er denn?«

Während Opapa schnell seine Zigarrenspitzen vor Valeskas Müllschaufel in Sicherheit brachte, hoben die anderen erschrocken die Füße, es lag aber kein zertretener Jakob darunter.

»Er ist zwischen euren Füßen durchgesaust«, sagte ich schließlich, »vielleicht ist er in der Küche.«

Dort war er auch, er hatte sich in sein Bauer geflüchtet und die Tür hinter sich zugeriegelt. Als ich näher kam, sträubte er unaufgefordert die Tolle, senkte den Schnabel auf die Brust und büßte. Offenbar wollte er sich auf diese Weise um die Popohaue drücken. Es gelang ihm.