»Na, wie war’s?«
Honey saß gemütlich am Empfangstresen, das Kinn in eine Hand geschmiegt und den Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt. Gerade war Doherty zusammen mit einem Schwall kalter Luft hereingekommen. Er zerrte sich seinen schwarzen Schal vom Hals. Auf seine finstere Art sah er sehr sexy aus.
»Rasierst du dich eigentlich nie?«
Wieder das vertraute Raspelgeräusch, während er sich mit den knubbeligen Fingern übers Kinn strich. »Falsche Jahreszeit zum Rasieren. Viel zu kalt. Eigentlich überlege ich sogar, ob ich mir einen Bart stehen lassen soll.«
»Nein!«
»Magst du Bärte nicht?«
»Du bist doch nicht hergekommen, um dich über Bärte zu unterhalten? Du willst mit mir ausgehen. Stimmt’s?«
Er grinste. »Und nichts und niemand könnte mich davon abhalten.«
»He, Honey.«
Mary Jane kam die Treppe hinuntergeschwebt und tauchte im Empfangsbereich auf. Bei ihrem Anblick fiel Doherty die Kinnlade herunter.
»Sie ist gerade von einer Reise nach Edinburgh zurück«, versuchte Honey ihm zu erklären.
»Wow, was für ein tolles Karo!«, rief Doherty mit leicht übertriebener Begeisterung aus.
Mary Jane strahlte. »Ach, vielen Dank, Herr Kommissar. Das ist ein altes Stück, müssen Sie wissen. Der Verkäufer meinte, wahrscheinlich sei es schon bei der Schlacht von Bannockburn1 getragen worden.«
Dohertys Nasenflügel waren schmal geworden.
Mary Jane trug einen schottisch karierten Rock aus einem schweren Stoff, der infernalisch nach Kampfer stank. Wahrscheinlich war er jahrzehntelang eingemottet gewesen, wenn auch vielleicht nicht seit der Schlacht von Bannockburn. So lang hielt selbst der beste Harris-Tweed nicht.
Honey wollte wieder frei atmen können. Das erreichte sie am besten, indem sie dafür sorgte, dass Mary Jane samt der Kampferwolke bald wieder verschwand.
»Kann ich was für dich tun, Mary Jane?«
»Da bin ich mir sicher, meine Liebe. Sir Cedric hat vorgeschlagen, dass ich mehr unter die Leute gehen sollte. Ich habe mich immer nur an die Heizung gekuschelt. Er meinte, ich sollte mich mal zum Filmset begeben. Es macht mir nichts aus, wenn ich nur eine kleine Nebenrolle kriege. Ich möchte kein Star werden oder so. Was meinst du?«
Mary Janes Augen blitzten zwischen den vielen Fältchen hervor, die sie sich in ihrem langen Leben erworben hatte.
»Ich glaube, im Augenblick sind die Dreharbeiten unterbrochen«, erklärte Honey. »Hast du nicht gehört, dass man die Hauptdarstellerin ermordet hat?«
»Ja klar, aber Hollywood lässt sich doch durch nichts und niemanden aufhalten. Im Gegensatz zu dem, was du sagst, habe ich in Erfahrung gebracht, dass weitergedreht wird. In der Entertainment News steht, dass sie eine neue Hauptdarstellerin haben und zusätzliche Statisten brauchen. Ich habe mir überlegt, dass ich ganz schnell meinen Namen auf die Liste setzen werde.«
Mary Jane wandte sich an Doherty. »Derek, der Typ, der mit den Mikrofonen herumhantiert, der meinte, so jemanden wie mich könnten sie brauchen. Ich bin groß, aber mager.«
Derek war also der Schuldige!
Honey war heute schon in der Stadt gewesen. Sie war zu ihrer Mutter gegangen, um sich ihr antikes Korsett zurückzuholen. Aber Gloria hatte gute Gründe aufgeführt, warum sie es behalten wollte.
»Lass es mir noch eine Weile, Hannah, mein Schätzchen. Im Conservative Club habe ich einen netten Herren kennengelernt. Aber dessen Feuer muss noch ein bisschen angefacht werden – wenn du verstehst, was ich meine?«
O ja, Honey verstand das. Na ja, ein bisschen Romantik im Leben ihrer Mutter würde zumindest dafür sorgen, dass sie nicht wieder versuchte, einen potenziellen Ehemann für ihre verwitwete Tochter zu finden.
»Ich habe gehört, dass es ein großer Vorteil ist, mager zu sein«, sagte Doherty. Er warf Honey ein schiefes Lächeln zu. »Man hat mir erklärt, das läge daran, dass die Kamera einem mindestens zehn extra Pfunde auf die Hüften zaubert.«
»Das habe ich auch schon gehört«, bestätigte Mary Jane und nickte mechanisch.
Honey verdrehte die Augen. »Ich nehme an, Sir Cedric will nicht auch Statist werden.« Es sollte ein Scherz sein, aber Mary Jane nahm die Sache bierernst.
»Ich habe ihn nicht gefragt«, antwortete sie. »Doch ich bezweifle, dass die Kameras ihn einfangen könnten.«
Das stimmte. Sir Cedric war angeblich das Hausgespenst im Green River Hotel, und es ist ja allgemein bekannt, wie kamerascheu Gespenster sind. Nur Mary Jane konnte ihn überhaupt sehen, und das aus gutem Grund. Sie waren nämlich miteinander verwandt – jedenfalls laut Mary Janes Aussage, die Expertin für derlei Dinge war. Sie war Professorin für das Paranormale und hatte an einem entsprechenden College ihr Studium absolviert, das natürlich in Kalifornien lag – wo sonst?
Doherty schaute besorgt drein. Seine Stirn war dann immer besonders tief zerfurcht. Es sah irgendwie attraktiv aus. Honey wollte die Hand ausstrecken und die Runzeln glattstreichen.
»Die sind aber schnell wieder bei der Arbeit«, murmelte Doherty.
Er meinte damit natürlich die Produktionsgesellschaft. Großes Geld, große Geschäfte, große Interessen. Kaum war die arme Martyna Manderley in ihrem eisgekühlten Fach in der Leichenhalle verschwunden, da machten sie schon ohne sie weiter.
»Die Show muss weitergehen«, zwitscherte Mary Jane. »Ich muss morgen früh um sechs Uhr da sein. Und du?«
Diese Frage war an Honey gerichtet.
»Klar«, meinte Honey. »Ich bin dabei. Arrangier das bitte mit Derek auch für mich, ja?«
Mary Jane versprach es und verschwand. Mit ihr der Mottenkugelduft.
Honey und Doherty atmeten beide tief auf.
»Das ist vielleicht eine«, meinte Honey.
»Mach schon. Hol deinen Mantel. Lass uns in den Zodiac Club gehen und ein bisschen Rauch einatmen.«
»Hmmm! Himmlisch«, seufzte Honey. »Immer noch besser als Kampfer.«
»Das war es also?«
»Sag mir bitte nicht, dass du geglaubt hast, das wäre Parfüm?«
Er schüttelte leicht verlegen den Kopf. »Na ja, du weißt doch, wie diese netten alten Damen sind. Lavendel, Kampfer, Feigensirup und so.«
Sie schaute ihn an und lachte laut los. »Feigensirup?«
»Die mögen doch solches Zeug«, antwortete er zu seiner Verteidigung.
Im Zodiac war viel los, wenn auch noch nicht so viel wie später gegen Mitternacht, wenn alle Hotelbesitzer und Gastwirte und Pensionsbesitzer, die bis tief in die Nacht hinein arbeiten mussten, hier hereinströmten, um über den Tag zu sinnieren und zu prahlen, wie viele Vorteile ihr Unternehmen verglichen mit allen anderen doch hatte. Oder sie kamen einfach her und betranken sich.
Clint – eigentlich Rodney – Eastwood war heute der Türsteher. Das Zodiac veranstaltete wieder einmal einen Themenabend. Heute Abend ging es um Cowboys und Indianer. Clint war als Mohikaner verkleidet, was besonders wegen seiner extravaganten Frisur bestens zu ihm passte.
»Schicke Haare«, lobte Doherty.
Obwohl er in einer Hand eine Streitaxt trug, fuhr sich Clint mit beiden Händen über die rasierten Seiten rechts und links seines schrillen Haarkamms. Honey vermutete, hoffte vielmehr, dass die Axt aus Gummi war.
Sie fügte noch ihr eigenes Lob hinzu. »Na, du bist ja perfekt für diese Rolle.«
Clints Outfit bestand im Wesentlichen aus einem Lendenschurz, einer Menge Holzperlen und einem Pulverhorn an einem Lederriemen. Rote und gelbe Kriegsbemalung wetteiferte mit seinen unzähligen Tätowierungen um Aufmerksamkeit.
Er strahlte voller Stolz. Trotz seines Aussehens war Clint im tiefsten Inneren kein schlechter Kerl. Oberflächlich betrachtet, war er ein wenig wild und nicht ganz ehrlich, aber im Geschirrspülen nahm es niemand mit ihm auf. Honey beschäftigte ihn immer, wenn Not am Mann war, das heißt, wenn sie sonst niemanden kriegen konnte und Clint das Geld dringend brauchte.
»Hier«, sagte Clint stolz. »Ich habe ein paar von denen hier zu verteilen.«
Er heftete Doherty einen Blechstern an die Brust.
»Da Sie ja ein Sheriff sind – sozusagen.«
Er murmelte ein paar entschuldigende Worte, warum Honey als Frau keinen Stern bekommen konnte.
»Es ist eine altbekannte Tatsache, dass Cowboys die schlimmsten Machos sind«, konterte sie.
Clint schaute verletzt drein. »Ich bin doch ein Mohikaner!«
»Mit einer sehr authentischen Frisur, Clint. Obwohl ich nicht glaube, dass die Mohikaner ihre Haare quietschgrün gefärbt haben.«