Richard Richards erschien um Punkt elf Uhr. Über der dunkelgrünen Eingangstür des Cafés hing eine altmodische Messingglocke, die bimmelte, als er die Tür aufschob. Großer Auftritt Richard Richards!
Sein Blick schweifte über die grünen Holzstühle und die runden Tische mit den rot-weiß karierten Decken.
Sie winkte.
Er nickte ihr zu, um zu zeigen, dass er sie gesehen hatte, schaute sich aber weiter um. Mit aufmerksamen Augen musterte er die Einrichtung, die Tischgedecke und die drei Schiefertafeln mit dem Menü, die an der Wand hingen. Die mittlere Tafel war die größte. Hier standen die Hauptgerichte. Rechts und links davon waren auf den kleineren Tafeln die Vorspeisen und Desserts aufgelistet.
Honey fragte Richard Richards, ob die Dreharbeiten schon wieder angefangen hätten. Nein, antwortete er. Man hatte den Statisten gesagt, sie sollten nach Hause gehen, sodass man seinen Eintopf, die Pasteten und vegetarischen Alternativen nicht benötigte. Er war ziemlich pikiert darüber.
Er studierte die Speisekarte, ehe er sich endlich hinsetzte. »Aha, keine Steak-and-Kidney-Pastete«, kommentierte er laut. »Einen guten Koch kann man immer daran erkennen, dass er guten Pastetenteig macht. Wussten Sie das?«
Na klar. Smudger erzählte immer den gleichen Scheiß.
»Nein«, log sie und lächelte. Man musste Prioritäten setzen. Diesen Mann durfte sie auf keinen Fall vergrätzen. Chefköche waren sensible Pflänzchen und hatten überaus scharfe Messer.
»Haben Sie Ihre Liste dabei?«
»Sicher«, antwortete er und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl, um mit einer seiner Pranken in die rechte Hosentasche zu fassen.
Honey zuckte zusammen, als er ein buntes Notizbuch herauszog. Richard war nicht der Typ, dem sie ein solches Buch zugetraut hätte – dazu noch mit einem rosa Bleistift. Doch inzwischen wunderte sie beinahe gar nichts mehr.
Ihr knurrte der Magen. Wenn sie diese Sache mit klarem Kopf angehen wollte, musste sie sich konzentrieren. Und da würde es helfen, wenn sie vorher was in den Magen bekam.
»Was möchten Sie denn gern essen?«, fragte sie fröhlich.
Mit gerümpfter Nase studierte er die Speisekarte. »Mir würde man Dreck wie das Zeug hier nicht durchgehen lassen«, sagte er laut, als gerade ein Kellner vorbeikam, der auf einem Teller ein Baguette mit duftender, schmelzender Knoblauchbutter und Krabben an ihnen vorübertrug.
Der Geruch ließ Honey das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Ich glaube, ich nehme die Krabben«, sagte Honey.
Richards knurrte irgendetwas Unverständliches, ehe er mit seiner vernichtenden Kritik der Speisekarte fortfuhr. »Wildschweinwürstchen mit Confit von roten Zwiebeln. Fertig gekauft, möchte ich wetten.«
»Das glaube ich nicht …«
»Hummer aus Cornwall mit Erbsensuppe. Pah! Aus der Dose. Und wenn sie nicht aus der Dose ist, dann schmeckt sie bestimmt nicht so gut wie meine. Catherine Zeta Jones war ganz verrückt nach meiner Erbsensuppe, o ja. Hat mich sogar nach dem Rezept gefragt.«
»Damit sie die zu Hause für Michael Douglas kochen konnte?«
»Genau!«
»So!«, sagte Honey, ehe er auch noch die Desserts niedermachte. »Zeit für unser kleines Gespräch. Was haben Sie mir mitgebracht? Wer sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Verdächtigen?« Sie schaute demonstrativ auf das Notizbuch.
Honey wartete geduldig. Sie lächelte interessiert und als hätte sie keine Eile. Nur ihre Hände hätten ihre wahren Gefühle verraten können, wenn Richard sich die Mühe gemacht hätte, sie zu betrachten. Aber Richard war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Nachdem er die rot-weiß karierte Serviette sorgfältig auseinandergefaltet hatte, stopfte er sie sich in den Hemdkragen. Als er damit endlich fertig war, nahm er das Notizbuch zur Hand und blätterte mit dem Daumen zur richtigen Seite. Er räusperte sich, als wäre er Pavarotti, der sich auf einen Auftritt vorbereitete.
»Sheherezade Parker-Henson.«
Honey ließ die Augen über die Speisekarte schweifen. »Ist das irgendein exotisches Gericht?«
»Das ist die Chef-Maskenbildnerin. Ich habe gesehen, wie sie in den Wohnwagen ging.«
»Ah! Da fragt man sich aber, warum sie nicht ihre Eltern umgebracht hat, die ihr einen solchen Namen verpasst haben. Na ja, egal.« Honey zog ihr Notizbuch hervor. »Wann ungefähr?«
»Sechs Uhr fünfundvierzig.«
»Sind Sie da sicher?«
»Ganz sicher. Zu dieser Uhrzeit habe ich die Haferkekse und die Blutwurst in den Ofen geschoben. Die bereite ich separat zu, getrennt von den Würstchen und dem Speck, die ich erst im Ofen gare und dann auf die Grillpfanne lege. So bleiben die Würstchen schön saftig«, erklärte er. »Das Geheimnis hervorragend gebratener Würstchen ist, dass man sie erst gut ansticht.«
Honey räusperte sich. »Habe ich auch schon mal gehört. Also, diese Sheherezade. Das ist ja ein ziemlich langer Name.«
»Die mit dem Bindestrich, das sind immer feine Leute, Mrs Driver.«
»Nennen Sie mich Honey.«
»Honey. Honey«, wiederholte er. Sie merkte, dass ihm der Name gefiel. Das war doch schon mal was.
»Eine sehr noble Familie. Landadel. Jede Menge Land und ein Herrenhaus in Shropshire. Da kommen gute Lebensmittel her, wissen Sie, aus Shropshire. Wenn Sie gute und frische Produkte wollen, dann kriegen Sie die in Shropshire. Ganz besonders Spargel. Sehr schönen Spargel haben die.«
»Sie ist wohl der Typ Frau, der mit Pferden aufgewachsen ist?«
»Das kann man so sagen.«
Das Essen wurde aufgetragen. Honey spachtelte los. Richard schaute die Schüssel mit der kremigen grünen Suppe misstrauisch an, ehe er voller Todesverachtung den Löffel in die Hand nahm.
»Hm, das war jetzt aber wirklich nötig«, sagte Honey zwischen zwei Bissen.
Richard rief den Kellner herbei.
»Garçon, ich bin bereit, Ihnen und diesem Etablissement den Schatz meiner reichen Erfahrung mit der gehobenen Küche zur Verfügung zu stellen.«
Honey sah mit einem Blick, dass der Kellner in Versuchung war, ihm mitzuteilen, er sollte sich gefälligst verpissen. Sie selbst hatte dieses Gefühl schon bei diversen Gelegenheiten verspürt.
Aber Richard war jetzt erst richtig in Schwung.
»Viele berühmte Menschen haben mich schon für meine kulinarischen Künste gepriesen. Ich habe mit meinem Catering bereits die Besten verköstigt: Sydney Sidon, den Quizmaster. Er mag ein Wurstbrot, aber das Chutney nur daneben.« Richard schwenkte warnend einen Finger. »Warten Sie bitte, während ich das hier koste.«
Honey beobachtete, wie Richard mit einer eleganten Bewegung seiner Pranke den Löffel in die Suppe tunkte. Grüne Suppe mit einem Stückchen Hummer wurde hinaufbefördert.
»Sieht nicht schlecht aus«, meinte Richard. »Das Auge isst ja immer mit«, informierte er Honey.
»Ach wirklich?«
Sie hätte hinzufügen können, dass auch der Geruch nicht ganz unerheblich war. Aber in solche Gespräche wollte sie sich lieber nicht verwickeln lassen. Sie war hier, um über Verdächtige und Tatmotive zu sprechen und darüber, wie viele Leute Richard in Martynas Wohnwagen hatte hineingehen sehen.
Richard schürzte die Lippen und begann leise zu schmatzen. Dabei verdrehte er die Augen zur Decke, dann schluckte er und verkündete sein Urteil.
»Passabel«, dröhnte er majestätisch. »Mein Kompliment an den Koch, und wenn ihm mal nichts einfällt, verweisen Sie ihn an mich. Ich habe schon für Costner gekocht, wissen Sie. Und für Michael Caine. Der ist ein echter Braten-Fan.«
Der Kellner wirkte erleichtert, weil er endlich gehen durfte.
»Also, diese Sheherezade«, sagte Honey, »welches Motiv hätte die gehabt, um Martyna umzubringen?«
»Ganz einfach«, antwortete Richard und wischte sich den Mund ab. »Martyna hat die kleine Courtney ganz schrecklich schikaniert. Schezzer hat ihr deswegen öfter die Meinung gegeigt.« Plötzlich grinste er. »Sheherezade ist ja wirklich ein ziemlich langer Name. Ihre Freunde nennen sie Schezzer.«
Offensichtlich zählte sich Richard zu diesen Freunden. Honey schnipste die Krümel von ihrem Notizbuch, die er draufgespuckt hatte.
»Das Verhältnis der beiden war also nicht besonders herzlich?«
»Martyna konnte gut schlechte Stimmung verbreiten«, antwortete er, legte den Löffel auf den Teller und verzog verächtlich das Gesicht. »Das reicht mir. Ich will ja niemanden beleidigen, aber ich habe wirklich sehr hohe Ansprüche.«
»Wie lang war sie in Martynas Wohnwagen?«
»Maximal zehn Minuten.«
Honeys Bleistift schwebte in der Luft. »Das reicht, um jemanden zu erstechen.«
Richards Aufmerksamkeit war bereits wieder auf die Schiefertafel gerichtet. »Die Desserts sehen für meinen Geschmack doch etwas sehr konventionell aus«, meinte er. »Ich habe ein echtes Händchen für Baiser, müssen Sie wissen. Für meine Eissplittertorte Alaska würden die Leute sterben.«
»Na, hoffentlich nicht«, meinte Honey trocken. Sie wollte ihn unbedingt fragen, wer sonst noch in Martynas Wohnwagen gegangen war, aber so leicht war er nicht vom Thema Essen abzubringen.
»Wie bitte?« Er bezog sich auf ihren Kommentar zu seiner Alaska-Torte.
»Ihre Alaska-Torte. Ich meinte, wir wollen doch nicht hoffen, dass jemand dafür stirbt.« Honey lachte. »Das sollte ein Witz sein.«
Er schaute völlig ungerührt drein.
»Ich finde das nicht komisch.«
Er schickte sich daran, aufzustehen.
»Richard, es war nur ein Witz! Schauen Sie mal, bleiben Sie doch hier! Ich brauche Ihre Informationen. Sie sind der Einzige am Set, der sehen konnte, wer in Martynas Wohnwagen hineinging und herauskam.
»Heute nicht.«
»Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Rufen Sie mich an, sobald Sie wieder zum Reden bereit sind.«
Er schien noch darüber nachzudenken, während er sein Notizbuch in die Tasche steckte.
»Hmph«, grunzte er schließlich.
Sie drängte ihm ihre Telefonnummer auf.
»Jederzeit, wann immer und wo immer. Ich habe mein Telefon überall dabei.«
Schließlich entspannten sich seine Züge und sackten in eine seinem Alter angemessene Form.
»Unter einer einzigen Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Beim nächsten Mal schleifen Sie mich in ein besseres Lokal als das hier.«