ZAHNKLAMMERN

UND GEHEIME LIEBE

 

Ich habe die ganze Nacht von Liz geträumt. Am Morgen hüpfe ich aus dem Bett und will zur Schule eilen, zu Liz. Da sagt Mama mir, dass ich heute nicht zur Schule kann. Ich sage gleich, warum. Ich habe sofort Flo angerufen. Er soll Liz alles erklären. Aber jetzt zum Thema.

Zahnklammern sind Kinderquälerei! Seit heute Morgen hab ich eine feste Klammer und nach sieben Stunden habe ich das Gefühl, als könne ich jeden Zahn einzeln und jederzeit raus- und reintun. Die Zähne sind lose, Hilfe! Deswegen auch die tausend Drähte im Mund. Damit sie festgehalten werden. Und wenn ich allein in meinem Zimmer bin, muss ich noch so einen Bügel vorm Mund und ein Geschirr um den Kopf tragen. Da sehe ich aus, als wenn ich einen Maulkorb trüge, von hinten auf jeden Fall und von der Seite. Und von vorne sehe ich aus wie Graf Rotz von Schmotz mit Zwirbelschnurrbart.

Mit Sprechen ist es dann völlig aus und mit Küssen allemal - mit so einem Gestell im Mund.

Frage für mein Liebesheft: Kann man mit einer Zahnklammer mit einem Mädchen gehen? Ohne den Maulkorb, ist klar. Da kommst du ja noch nicht einmal nah an deine Freundin ran! Aber kann man? Oder ist das schlimm für die Freundin, einen verdrahteten, lispelnden, manchmal auch ein bisschen spuckenden Jo, genannt Felix, neben sich zu haben? Soll ich Liz fragen?

Da kommt Flo. Den werde ich als Ersten fragen.

Flo hat einen Stadtplan mitgebracht.

»Felix«, sagt er zu mir. Er ist übrigens der Einzige, der meine Namensänderung richtig ernst nimmt. »Felix«, sagt er, »wir müssen unsere Liebe immer noch völlig geheim halten. Vor allem vor den anderen Jungen.«

Dann pinnt Flo den Stadtplan an die Wand. Wir werden alle Straßen, wo jemand aus unserer Klasse wohnt, mit grünem Stift markieren. Und da, wo keiner wohnt, können wir mit Viola und Liz spazieren gehen. Für Flo bleibt nur der Weg um den Feuerwehrteich, für mich nur der Platz vor der Post und dem Bahnhof. Wir sind nämlich dreißig in der Klasse.

Mama ruft. Ich soll wieder mal die Spülmaschine ausräumen. Mütter, die einen mit häuslichen Arbeiten nerven, können einem sämtliche Liebesgedanken aus dem Kopf fegen.

Flo hilft mir. Während des Ausräumens frage ich Mama, welchen Namen sie besser findet, Liz oder Anna. Ich muss nämlich, seitdem ich die Klammer drinhabe, auf einmal auch wieder an Anna denken.

Aber Mama meint: »Jo, wenn du dich noch nicht entscheiden kannst, dann lass das doch. Du bist doch wirklich noch so jung.«

»Ich heiße Felix«, sage ich zu Mama und ziehe mich für heute endgültig in mein Zimmer zurück. Mit Flo natürlich.

Liz oder Anna? Es gibt Fragen, die kann man noch nicht mal mit seinem besten Freund besprechen. Weil sie für einen selbst fast geheim sind.

Liz oder Anna? Ich frage Flo. Ich frage Flo auch nach dem Problem mit meiner Klammer. Kann man trotz Klammer mit einer gehen? Flo meint, ja. Aber ansonsten ist Flo völlig vernagelt. Er hat nur Viola im Kopf.

 

Abends setze ich mich an meinen Schreibtisch und schreibe in mein Liebesheft:

»Wenn ich heiraten würde, dann müsste die

1. gerne Wackelpeter essen und Eis. Ich würde mit der im Wechsel jeden Tag Wackelpeter kochen. Ich grünen am ersten Tag, sie roten am zweiten Tag usw.

2. Sie müsste Bockspringen hassen wie ich. (Wenn ich mal bestimmen darf, verbiete ich als Erstes das Bockspringen an den Schulen. Bockspringen ist Kinderquälerei! Wie Zahnklammern.)

3. Sie müsste schöne Haare haben. Entweder solche wie Liz oder solche wie Anna. Ich glaube, ich mag Locken. Nein, ich mag auch glatte Haare. Denk ich an Anna, mag ich glatte Haare.

4. Sie müsste Zahnklammern hassen wie ich.

5. Und jetzt kommt der eigentliche Höhepunkt: Eine Frau, mit der ich zusammen sein möchte, mit der müsste man reden können. Und das ist das, was mich im Augenblick noch stört. Mädchen kichern zu viel. Aber wenn man mit denen richtig reden will über das Leben oder etwas Ähnliches, auch, warum man lebt (so wie Flo und ich in unseren Denkclubsitzungen), dann sind Mädchen oft doch richtig klasse. Auf jeden Fall bestimmte Mädchen.

Die nehmen das ernst, während Jungen meistens sagen: >Red nicht so ’nen Quatsch< und anschließend selber über irgendeinen Quatsch, der mir eigentlich egal ist, reden. Also quatschen Jungen auch. Aber anders.

Neue Erkenntnis von mir:

Ich glaube, bei einem Mädchen ist für mich das Innere (ich meine damit ihre Gedanken, Gefühle und das Sprechen) viel wichtiger, als ob sie Locken oder glatte Haare hat.«

Diese Geheimnotizen hefte ich zusammen, damit sie keiner sieht.

Danach bin ich sehr, sehr müde. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Aber ständig stört mein Mundgestell. Mich überschwemmen Liz-und-Anna-Multimixträume. Gut, dass wir noch nicht die Gedankenübertragungsmaschine erfunden haben. Es reicht schon so. Denn wenn ich jetzt auch noch Flos Violaträume im Kopf hätte, das wäre das ab-solute Chaos. Mein Hirn ist wie ein Schüttelkasten. Alles durcheinander. Ich will Ordnung schaffen. Schon wieder Ordnung. Aber wie schafft man Ordnung in seinen Gefühlen, wenn sie einem in Fetzen und in Blitzen und als Stechen dauernd kreuz und quer durch den Kopf und Bauch jagen und einen total fertig machen?