LIEBES PATENTAMT

 

Samstagmorgen. Der Baum klopft an mein Fenster. Die Sonne blitzt.

Ich springe aus dem Bett. Wir werden wach. Flo geht nach Hause.

Ich will noch meinen Bach üben. Ich schätze, dass ich heute Vorsingen muss. Singen macht Spaß. Echt Spaß. Besonders samstags, wenn auch die Männerstimmen dabei sind. Bach-Kantaten mag ich besonders. Aber das darf ich keinem erzählen aus meiner Klasse. Die gucken dann alle, als wenn ich eine Glatze hätte oder ein Stinktier wäre. Ich hab mal Knut von Bach erzählt, da sagte der, aus dem Babyalter, wo er am Bach spielte, wäre er raus. Das weiß der noch nicht mal, dass Bach ein Komponist ist! Dabei ist Bach toll. Einfach toll. Ich möchte das erklären, warum. Aber man kann Musik so schlecht in Worte übersetzen. Musik ist eben Musik und Worte sind Worte. Obwohl: Man hört ja beides! Und beides kommt aus dem Kopf und in den Kopf. Sensoren!

 

Als ich vom Chor zurückkomme, sagt meine Mutter, Flo hätte schon viermal angerufen.

Ich rufe sofort zurück. »Hallo, Kumpel«, sagt er, »ich hab was Saugutes gefunden. Kannst du zu mir kommen zum Schlafen?«

»Wir müssten auch endlich wieder mal eine Denkclub-Sitzung machen«, sag ich.

Ich frag Mama. Aber Pa und Ma sind heute eingeladen. Da muss ich auf Kitty aufpassen. Alter Saumist!

Doch Flo darf zu mir kommen. »Aber dass ihr mir nicht wieder tausend Sachen anwerft!«, sagt Papa. Wir versprechen es ihm hoch und heilig und bei den sieben Geistern der Unterwelt. Papa legt seine doppelte Denkfalte ein.

»Und um zwölf Uhr wird geschlafen«, sagt Mama. Wir schauen Mama in die Augen und versprechen es. Mama lacht.

Danach überlegen wir uns, wie wir erst mal zu Geld kommen. Wir sind ja superblank.

»Wir machen eine Tombola«, sagt Flo. Flo ist klasse. Er kratzt sich am Kopf.

»Na ja«, sagt er. »Hauptgewinn eine Baggerfahrt durch den Harz oder für die Hausfrau eine aufblasbare Waschmaschine für hundert Gummipunkte.«

»Spinner«, sag ich.

Wir raufen. Wir veranstalten ein Ritterturnier im Keller. Flo siegt. Er stößt mich vom Pferd. Das Pferd ist ein alter Wäschekorb. Als Belohnung darf er Kitty zur Frau haben. Aber Kitty schreit fürchterlich, als sie mit auf das Pferd soll. Sie ist eben keine echte Rittersfrau, sondern ein Pampersbaby.

Meine Eltern scheinen endlich fertig zu sein zum Ausgehen.

»Könnt ihr nicht gehen?«, sag ich zu Papa.

 

Eltern nerven total, wenn sie eigentlich gehen wollen, aber dann tausend Minuten zu spät fertig werden.

Papa trägt wieder seinen Pullover mit dem Krokodil drauf. Ich erzähl ihm den Ägyptenkrokodilswitz (schon alt):

»Ehepaar Reich macht eine Nildampferfahrt. Kommen von allen Seiten Krokodile. Schreit Frau Reich: >Ralf-Eduard, ist das nicht entzückend, dass Lacoste hier auch Reklame macht ?<«

Papa legt wieder eine Doppeldenkfalte ein, das heißt, dass er den nicht so gut findet. Da kommt Mama. Endlich. Sie gehen. Küsschen, Küsschen. Noch ein Blick in die Augen. Die Haustür fällt zu.

Wir gehen in mein Zimmer. Feierlich. Wir setzen uns an den Tisch. Flo gibt mir einen Zettel. »Patentamt« steht da. »Und was soll ich mit einer Patentante oder so machen?«

Flo zeigt auf das Wort. »Patentamt«, liest er vor. »Patent-Amt.«

»Und was ist das?«

»Du Döskopp«, sagt Flo. Ich bin ziemlich beleidigt. Ich sag nichts mehr. Aber Flo zieht noch einen Zettel aus der Tasche, liest vor: »Patentamt, staatliche Verwaltungsbehörde, untersteht dem Bundesjustizminister; Sitz: München. Das Patentamt ist zuständig für die Erteilung von Patenten, für die Eintragung und Löschung von Warenzeichen, in Ausnahmefällen auch für die Eintragung von Gebrauchsmustern. Seit 1978 gibt es das Europäische Patentamt in München.« Flo schaut mich an. »Jetzt weißt du’s«, beschließt er seine Rede.

»Nix weiß ich«, sag ich. »Was ist denn ein Patent?«

Flo seufzt. »Du schnallst es wieder mal nicht.«

Ich seufze. Vielleicht bin ich ja doch ein bisschen doof.

Flo klopft wieder auf seine Tasche und zieht einen dritten Zettel heraus. »Tröste dich«, sagt er. »Ich hab auch erst alles nachgeguckt.« Und dann liest er: »Patent: vom Patentamt ausgestellte Bescheinigung, die dem Erfinder einer technischen Neuheit, zeitlich befristet (meist 20 Jahre), das alleinige Recht sichert, seine Erfindung wirtschaftlich zu nutzen.«

Flo schaut auf. »Und wirtschaftlich nutzen heißt«, fährt er fort, »dass wir unsere Erfindung als Alarmanlage >Schwesternschreck< an eine Firma verkaufen und dann Geld bekommen.«

»Mensch, affenstark, und dann richten wir uns ein Erfinder- und Forschungslabor davon ein - und erfinden und forschen immer und ewig, ich schwör es bei den sieben Geistern der Unterwelt«, sag ich.

»Genau«, sagt Flo, mein Blutsbruder.

»Und wir kaufen uns ein eigenes Telefon... und tausend Maschinen.«

»Aber jetzt müssen wir erst einmal schreiben und zeichnen. Zack - Bum.« Flo kramt schon wieder in seinen Taschen. »Ich hab ein paar Musterbriefe mitgebracht«, sagt er. »Aus Papas Akten, heimlich natürlich. Nur ausgeliehen.«

Ich hole unsere Schreibmaschine. Flo zieht Papier aus der Tasche.

»Du, wir nehmen das von meinem Papa«, sag ich und hol schnell einen Bogen von oben. Den Vornamen brauchen wir noch nicht mal durchzustreichen. Der heißt auch Jochen. Flos Namen schreiben wir daneben. Datum rechts. Wir wissen ja Bescheid.

Ich lese einen von Flos Musterbriefen. »Betr., weißt du, was das heißt?«

»Das ist der Betreff, du Döskopp«, sagt Flo. Wenn wir nicht gerade unsere Erfindung anmelden wollten, würde ich ihn jetzt treten. Wir schreiben: »Betr.: Erfindung. Alarmanlage >Schwesternschreck<.«

»Sehr geehrte Damen und Herren«, liest Flo weiter vor.

»Das kannst du doch nicht schreiben«, sag ich. »Wir schreiben doch ans Patentamt. Also schreiben wir: Sehr geehrtes Patentamt.«

»Meinste echt?«, fragt Flo. »>Liebes Patentamt< finde ich besser.«

»Von mir aus.«Ich überlege schon den nächsten Satz. »Eigentlich sagt man doch erst was Nettes«, sag ich. »Wie geht es Ihnen, uns geht es gut. Weil, wir haben nämlich etwas erfunden und wollen das hiermit bei Ihnen anmelden.«

»Super«, sagt Flo. »Klingt, als würdest du so was jeden Tag machen.«

»Tun wir ja vielleicht bald«, sag ich, »wenn wir unser Forscher- und Erfinderlabor haben.«

»Wir würden uns freuen«, liest Flo aus seinem Musterbrief vor, »wenn Sie die Sache schnell und umgehend erledigen könnten.«

»Klasse«, sag ich, »noch einmal langsam zum Mitschreiben.«

»Und dann?«, fragt Flo.

»Hochachtungsvoll«, sag ich. »Das klingt echt saugut, und darunter unsere Namen.«

Der Brief ist fertig und wir schreiben »Erfinder« an unsere Namen. Wir gucken in den Geschäftsbriefen nach. Da steht auch immer was, der Titel oder die Abteilung oder der Name mit Schreibmaschine getippt und drüber die Unterschrift. Wir einigen uns auf »Erfinder«, denn unsere Namen, die kennt jetzt noch keiner. Wir werden ja erst berühmt!

»Vergiss die Anlagen nicht«, meint Flo. »Das steht da auch immer drunten.«

»Anlagen?«, frag ich.

»Das ist das, was man zu dem Brief dazulegt. Schreib: ziemlich viele«, sagt Flo.

Ich lese noch einmal den ganzen Brief vor:

Jochen Moser             Florian Fiel

Meisenweg 7              Albert-Einstein-Straße 26

Hannover                   Hannover

 

Betr: Erfindung. Alarmanlage »Schwesternschreck«

 

Liebes Patentamt,

wie geht es Ihnen, uns geht es gut. Weil, wir haben nämlich etwas erfunden und wollen das hiermit bei Ihnen anmelden.

Wir würden uns freuen, wenn Sie die Sache schnell und umgehend erledigen könnten.

 

Hochachtungsvoll

 

Flo Fiel, Erfinder  Jochen Moser, Erfinder

 

Anlagen: ziemlich viele

 

»Jetzt die Anlagen malen«, sagt Flo und kratzt sich am Kopf.

»Sollen wir nicht einfach alles hinschicken?«

»Geht nicht«, sagt Flo. »Du kriegst doch das Skelett nicht in einen Karton.«

Wir malen. Es wird ein irres Bild, echt. Unsere Alarmanlage.

Wir kleben fünfmal mit einem Tesastreifen Zettel dran. Der Totenkopf ist schwierig (er sieht aus wie ein Gespenst), und das Skelett auch. Zum Schluss malen wir einen elektrischen Schaltplan.

»Saugut«, sag ich. »Saugut.«

Wir sind um zwölf Uhr fertig, legen uns hin, reden noch ein bisschen über weitere Erfinderideen. Zwei gefallen uns besonders gut:

1. Mundvorsatz »Kinderglück«:

Er verwandelt jeden Fluch und jedes Schimpfen in Lob. Je dicker der Fluch, desto fetter das Lob. Sollte allen Eltern und Lehrern eingebaut werden!

2. Anrufbeantworter für Schüler:

Wenn ein Schüler gerade träumen will, aber trotzdem drankommt, meldet sich der Anrufbeantworter: »Der Teilnehmer ist im Augenblick nicht zu sprechen. Wenn Sie etwas sagen wollen, sprechen Sie bitte nach dem Piepton auf das Band. Der Teilnehmer meldet sich (wenn er die Lösung gefunden hat und Lust hat). Bestimmt!«

Die kommen dann an die Reihe, wenn wir das große Labor eingerichtet haben.