Er führ­te ein Le­ben vol­ler Kom­pli­ka­tio­nen. Sei­ne Frau war nur zeit­wei­se ei­ne Frau – und er war nur zeit­wei­se ein Mann!

 

Philip K. Dick
Wenn man ein Blobel ist …

 

 

Er steck­te das Zwan­zig­dol­lar­stück aus Pla­tin in den da­für vor­ge­se­he­nen Schlitz, und kur­ze Zeit spä­ter war der Psy­cho­the­ra­peut be­triebs­be­reit. Sei­ne Au­gen glüh­ten vor müh­sam un­ter­drück­tem Ta­ten­drang. Er zog den Stuhl nä­her an sei­nen Schreib­tisch her­an, nahm einen No­tiz­block zur Hand, setz­te den Blei­stift an und sag­te:

»Gu­ten Mor­gen, Sir. Sie kön­nen gleich an­fan­gen, wenn es Ih­nen recht ist.«

»Gu­ten Mor­gen, Dr. Jo­nes. Ich neh­me an, daß Sie nicht der glei­che Dr. Jo­nes sind, der die be­rühm­te Freud­bio­gra­phie ver­faßt hat; das liegt be­reits hun­dert Jah­re zu­rück.« Er lach­te ner­vös. Da er in be­schei­dens­ten Um­stän­den le­ben muß­te, war er an den Um­gang mit den neu­en ho­möo­sta­ti­schen Psy­cho­the­ra­peu­ten nicht ge­wöhnt. »Äh … wo soll ich an­fan­gen?« er­kun­dig­te er sich un­si­cher. »Wol­len Sie zu­erst mei­nen Le­bens­lauf? Oder an­de­re In­for­ma­tio­nen?«

»Viel­leicht be­gin­nen Sie am bes­ten da­mit, daß Sie mir sa­gen, wer Sie sind, und wes­halb Sie zu mir ge­kom­men sind.«

»Ich hei­ße Ge­or­ge Muns­ter und woh­ne in dem San Fran­zis­ko Kon­do­mi­ni­um, das 1996 er­baut wor­den ist – Ge­bäu­de WEF-395, Auf­gang vier.«

»Sehr er­freut, Mr. Muns­ter.« Dr. Jo­nes streck­te die Hand aus, und Ge­or­ge Muns­ter schüt­tel­te sie. Er stell­te fest, daß die Hand sich an­ge­nehm weich und warm an­fühl­te. Der Hän­de­druck war je­doch durch­aus männ­lich fest.

»Wis­sen Sie«, fuhr Muns­ter fort, »ich bin ein ehe­ma­li­ger GI, ein Kriegs­teil­neh­mer. Des­halb ha­be ich das Ap­par­te­ment in WEF-305 über­haupt be­kom­men. Ve­te­ra­nen wer­den bei der Wohn­raum­zu­tei­lung be­vor­zugt.«

»Ja, rich­tig«, stimm­te Dr. Jo­nes zu und tick­te lei­se, wäh­rend er den Lauf der Zeit nach Se­kun­den maß. »Der Krieg mit den Blo­bels.«

»Ich ha­be drei Jah­re lang dar­an teil­ge­nom­men«, be­rich­te­te Muns­ter und fuhr sich ner­vös durch die spär­li­chen schwar­zen Haa­re. »Ich haß­te die Blo­bels und mel­de­te mich des­halb frei­wil­lig. Ich war erst neun­zehn und hat­te ei­ne gu­te Stel­lung – aber der Kreuz­zug zur Ver­trei­bung der Blo­bels aus un­se­rem Son­nen­sys­tem war mir wich­ti­ger als al­les an­de­re.«

»Hmmm«, mein­te Dr. Jo­nes ti­ckend und ni­ckend.

Ge­or­ge Muns­ter er­zähl­te wei­ter. »Ich war kein schlech­ter Sol­dat. Zwei Tap­fer­keits­aus­zeich­nun­gen und ei­ne Er­wäh­nung im Ta­ges­be­fehl. Un­ter­of­fi­zier. Weil ich ganz al­lein einen Be­ob­ach­tungs­sa­tel­li­ten her­un­ter­ge­holt hat­te, der vol­ler Blo­bels steck­te. Die ge­naue An­zahl ließ sich spä­ter nicht mehr fest­stel­len, weil die Blo­bels sich be­lie­big ver­ei­nen und wie­der tei­len, was äu­ßerst ver­wir­rend sein kann.« Er schwieg und ver­such­te sei­ner Er­re­gung Herr zu wer­den. Selbst die Er­in­ne­rung an den Krieg war fast zu schreck­lich. Er leg­te sich auf die Couch zu­rück, zün­de­te sich ei­ne Zi­ga­ret­te an und be­ru­hig­te sich all­mäh­lich.

Die Blo­bels stamm­ten ur­sprüng­lich aus ei­nem ganz an­de­ren Son­nen­sys­tem; ih­re Hei­mat war ver­mut­lich Pro­xi­ma. Vor ei­ni­gen Jahr­tau­sen­den hat­ten sie sich auf Mars und Ti­tan nie­der­ge­las­sen, wo sie idea­le Le­bens­be­din­gun­gen vor­ge­fun­den hat­ten. Sie wa­ren die Wei­ter­ent­wick­lung der ein­zel­li­gen Amö­ben, ziem­lich groß und mit ei­nem hoch­ent­wi­ckel­ten Ner­ven­sys­tem aus­ge­stat­tet, aber trotz­dem Amö­ben mit Pseu­do­po­di­en, Fort­pflan­zung durch Zell­tei­lung und an­de­ren Ei­gen­schaf­ten, die sie bei den ter­ra­ni­schen Ko­lo­nis­ten un­be­liebt mach­ten.

Der Krieg war aus­ge­bro­chen, als ge­wis­se öko­lo­gi­sche Ge­sichts­punk­te ent­schei­dend wur­den. Die Aus­lands­hil­fe­ab­tei­lung der Ver­ein­ten Na­tio­nen hat­te die At­mo­sphä­re auf dem Mars ver­än­dern wol­len, um die dor­ti­gen Le­bens­be­din­gun­gen für Ter­ra­ner zu ver­bes­sern. Die­se Än­de­rung be­droh­te je­doch den Fort­be­stand der Bio­bel­ko­lo­ni­en; so hat­te die Aus­ein­an­der­set­zung be­gon­nen.

Un­glück­li­cher­wei­se war es nicht mög­lich ge­we­sen, nur ei­ne Hälf­te der Mar­sat­mo­sphä­re zu ver­än­dern. Es dau­er­te kaum zehn Jah­re, bis die ge­sam­te At­mo­sphä­re die glei­che Zu­sam­men­set­zung an­ge­nom­men hat­te, wo­durch die Blo­bels Kör­per­schä­den er­lit­ten. Als Ver­gel­tungs­maß­nah­me ent­sand­ten sie ei­ne Ar­ma­da zur Er­de, die ei­ne An­zahl tech­nisch äu­ßerst kom­pli­zier­ter Sa­tel­li­ten in ei­ne Kreis­bahn brach­ten, von wo aus sie all­mäh­lich die Erdat­mo­sphä­re ver­än­dern soll­ten. Zu die­ser Ver­än­de­rung war es al­ler­dings nie ge­kom­men, denn der Ge­ne­ral­stab der Ver­ein­ten Na­tio­nen war selbst­ver­ständ­lich so­fort in Ak­ti­on ge­tre­ten; die Sa­tel­li­ten wa­ren durch Ra­ke­ten mit Atom­spreng­köp­fen zer­stört wor­den, und der Krieg war im Gan­ge.

»Sind Sie ver­hei­ra­tet, Mr. Muns­ter?« frag­te Dr. Jo­nes.

»Nein, Sir«, ant­wor­te­te Muns­ter. Er schloß ei­ne Se­kun­de lang ge­quält die Au­gen. »Sie wer­den den Grund da­für selbst er­ken­nen, wenn ich Ih­nen et­was mehr über mich er­zählt ha­be. Se­hen Sie, Dok­tor, ich will ganz of­fen sein. Ich war als Spi­on für die Er­de tä­tig. Das war mei­ne Auf­ga­be. Ich ha­be sie be­kom­men, weil ich tap­fer ge­we­sen war – ich hät­te mich nicht da­nach ge­drängt.«

»Aha«, sag­te Dr. Jo­nes. »Ich ver­ste­he.«

»Wirk­lich?« er­kun­dig­te Muns­ter sich mit ge­bro­che­ner Stim­me. »Wis­sen Sie tat­säch­lich, was da­mals un­er­läß­lich war, um aus ei­nem Ter­ra­ner einen er­folg­rei­chen Spi­on bei den Blo­bels zu ma­chen?«

Dr. Jo­nes nick­te. »Ja, Mr. Muns­ter«, gab er zu­rück. »Sie muß­ten Ih­re mensch­li­che Ge­stalt auf­ge­ben und die ei­nes Blo­bels an­neh­men.«

Muns­ter schwieg; er ball­te die Rech­te zu ei­ner Faust und öff­ne­te sie wie­der. Dr. Jo­nes tick­te bei­na­he un­hör­bar.

 

Am glei­chen Abend saß Muns­ter in der win­zi­gen Kü­che sei­nes Ap­par­te­ments in Ge­bäu­de WEF-395 und ent­kork­te ei­ne Fla­sche Whis­ky. Er trank aus ei­ner Tas­se oh­ne Hen­kel, weil er zu er­schöpft war, um auf­zu­ste­hen und sich ein Glas aus dem Wand­schrank über dem Aus­guß zu ho­len.

Wel­chen Ge­winn hat­te er aus sei­nem Be­such bei Dr. Jo­nes ge­zo­gen. Kei­nen, wenn er gründ­lich dar­über nach­dach­te. Und das Ho­no­rar hat­te ein tie­fes Loch in sein fast lee­res Por­te­mon­naie ge­ris­sen. Er muß­te sehr spar­sam le­ben, weil …

Weil er je­den Tag zwölf Stun­den lang wie­der die Ge­stalt ei­nes Blo­bels an­nahm, ob­wohl er selbst und die Mi­li­tärärz­te nichts un­ver­sucht ge­las­sen hat­ten. Er ver­wan­del­te sich in ei­ne form­lo­se ein­zel­li­ge Mas­se – mit­ten auf dem Fuß­bo­den sei­nes Ap­par­te­ments.

Sei­ne ein­zi­ge Ein­nah­me­quel­le be­stand aus ei­ner küm­mer­li­chen Pen­si­on. Er konn­te kei­ne Ar­beit an­neh­men, weil die da­mit ver­bun­de­ne Auf­re­gung es un­wei­ger­lich mit sich brach­te, daß er vor al­ler Au­gen zu ei­nem Blo­bel wur­de.

Das Ver­hält­nis zu sei­nen Kol­le­gen wur­de da­durch nicht un­be­dingt bes­ser.

Auch jetzt wie­der, um acht Uhr abends, spür­te er deut­lich die kom­men­de Ver­wand­lung. Er trank has­tig die Tas­se aus, setz­te sie auf den Tisch – und spür­te, daß er zu ei­nem form­lo­sen Klum­pen zu­sam­mensank. Das Te­le­phon klin­gel­te.

»Ich ha­be kei­ne Zeit«, rief er. Das Mi­kro­phon nahm den un­deut­lich ge­mur­mel­ten Satz auf und gab ihn an den An­ru­fer wei­ter. Un­ter­des­sen war Muns­ter zu ei­ner durch­sich­ti­gen, gal­lert­ar­ti­gen Mas­se ge­wor­den, die in der Mit­te des Tep­pichs ruh­te. Er wälz­te sich auf das Te­le­phon zu, das noch im­mer klin­gel­te, und streck­te mit großer Mü­he ein Pseu­do­po­di­um aus, um den Hö­rer ab­zu­he­ben. Dann form­te er sei­ne plas­ti­sche Kör­per­mas­se zu ei­ner Art Stim­m­or­gan, das dumpf und ge­preßt klang. »Ich bin be­schäf­tigt«, mur­mel­te er in die Sprech­mu­schel. »Ru­fen Sie spä­ter an.« Am bes­ten erst mor­gen früh, wenn ich wie­der ein rich­ti­ger Mensch bin, hät­te er bei­na­he hin­zu­ge­fügt.

Dann herrsch­te wie­der Ru­he.

Muns­ter schlän­gel­te sich durch den Raum zu ei­nem Fens­ter hin­über, von dem aus man weit über die Dä­cher von San Fran­zis­ko sah. Ei­ne licht­emp­find­li­che Stel­le an sei­ner Kör­pero­ber­flä­che er­setz­te die Au­gen zwar nur un­zu­läng­lich, aber trotz­dem er­kann­te er zu­min­dest in großen Um­ris­sen die Bucht, die Gol­den Ga­te Bridge und Al­ca­traz Is­land.

Der Teu­fel soll al­les ho­len, dach­te er re­si­gniert. Warum kann ich nicht ein nor­ma­les Le­ben füh­ren, wie es Mil­lio­nen Ame­ri­ka­ner tun?

 

Als er den Auf­trag an­ge­nom­men hat­te, war er völ­lig ah­nungs­los ge­we­sen, daß die­ser Dau­er­ef­fekt zu­rück­blei­ben wür­de. Man hat­te ihm ge­sagt, daß er nur »ei­ne ge­wis­se Zeit lang« als Blo­bel le­ben müs­se. Ei­ne ge­wis­se Zeit lang! dach­te Muns­ter wü­tend. Jetzt ist es schon elf Jah­re her. Und die psy­cho­lo­gi­schen Pro­ble­me hat­ten sich als im­mer schwie­ri­ger er­wie­sen. Des­halb hat­te er heu­te Dr. Jo­nes auf­ge­sucht, sich Hil­fe er­hof­fend.

Das Te­le­phon klin­gel­te wie­der.

»Okay«, sag­te Muns­ter laut und kroch müh­sam dar­auf zu. »Wenn Sie un­be­dingt mit mir spre­chen wol­len, dann sol­len Sie mich so­gar se­hen kön­nen.« Er drück­te auf den Knopf, der die Auf­nah­me­ka­me­ra in Be­trieb setz­te. »Ma­chen Sie die Au­gen gut auf«, emp­fahl er und prä­sen­tier­te sich in sei­ner gan­zen amor­phen Schön­heit.

Dr. Jo­nes war am Ap­pa­rat. »Tut mir leid, daß ich Sie zu Hau­se stö­ren muß, Mr. Muns­ter, be­son­ders da Sie sich au­gen­blick­lich in die­ser – äh – miß­li­chen Ver­fas­sung be­fin­den.« Der ho­möo­sta­ti­sche The­ra­peut mach­te ei­ne kur­ze Pau­se. »Aber ich ha­be mich aus­führ­lich mit Ih­rem Pro­blem be­schäf­tigt und glau­be, daß ich zu­min­dest ei­ne Teil­lö­sung ge­fun­den ha­be.«

»Was?« mein­te Muns­ter über­rascht. »Wol­len Sie da­mit sa­gen, daß die me­di­zi­ni­sche Wis­sen­schaft jetzt einen Weg ge­fun­den hat …«

»Nein, nein«, un­ter­brach Dr. Jo­nes ihn has­tig. »Die rein phy­si­ka­li­schen Aspek­te fal­len nicht in mein Ge­biet; dar­an müs­sen Sie im­mer den­ken, Mr. Muns­ter. Es han­delt sich eher um die psy­cho­lo­gi­sche An­pas­sung, die in Ih­rem Fall …«

»Am bes­ten kom­me ich gleich zu Ih­nen, Dok­tor«, schlug Muns­ter auf­ge­regt vor. Aber dann fiel ihm ein, daß das un­mög­lich war, denn in sei­ner jet­zi­gen Form hät­te er Ta­ge ge­braucht, um sich bis zu der Pra­xis des Arz­tes durch die Stadt zu schlän­geln. »Dr. Jo­nes«, sag­te er ver­zwei­felt, »Sie se­hen selbst, wie ich dar­un­ter lei­de. Von un­ge­fähr acht Uhr abends bis ge­gen sie­ben Uhr mor­gens bin ich in die­sem ver­damm­ten Ap­par­te­ment ge­fan­gen. Ich kann nicht ein­mal …«

»Be­ru­hi­gen Sie sich doch, Mr. Muns­ter«, warf Dr. Jo­nes ein. »Wis­sen Sie ei­gent­lich, daß Sie nicht der ein­zi­ge sind, der die­sen Zu­stand er­tra­gen muß?«

Muns­ter seufz­te. »Na­tür­lich. Ins­ge­samt wur­den drei­un­dacht­zig Ter­ra­ner wäh­rend des Kriegs in Blo­bels ver­wan­delt. Ein­und­sech­zig von ih­nen über­leb­ten, und jetzt gibt es ei­ne Ver­ei­ni­gung, die Ve­te­ra­nen un­na­tür­li­cher Krie­ge heißt, der fünf­zig von die­sen Über­le­ben­den an­ge­hö­ren. Ich üb­ri­gens auch. Wir tref­fen uns zwei­mal im Mo­nat und ver­wan­deln uns ge­mein­sam …« Er woll­te auf­hän­gen. Das war al­so al­les, was er für sein Geld be­kom­men hat­te – die­se ent­täu­schen­de Nach­richt. »Auf Wie­der­se­hen, Dok­tor«, mur­mel­te er.

Dr. Jo­nes summ­te ver­är­gert. »Mr. Muns­ter, ich ha­be nichts von Ter­ra­nern ge­sagt. Mei­ne Er­kun­di­gun­gen ha­ben er­ge­ben, daß wäh­rend des Krie­ges fünf­zehn Blo­bels in Pseu­do-Ter­ra­ner ver­wan­delt wur­den, um für die an­de­re Sei­te zu spio­nie­ren. Ver­ste­hen Sie das?«

»Nicht rich­tig«, sag­te Muns­ter nach ei­ner Pau­se.

»Sie wol­len sich nur nicht hel­fen las­sen«, warf Dr. Jo­nes ihm vor. »Aber hö­ren Sie mir trotz­dem zu. Ich möch­te, daß Sie mich mor­gen früh um elf Uhr auf­su­chen. Dann kön­nen wir noch ein­mal dar­über spre­chen. Gu­ten Abend.«

»Ent­schul­di­gen Sie bit­te, Dok­tor«, bat Muns­ter. »Wenn ich mich in einen Blo­bel ver­wan­delt ha­be, den­ke ich im­mer et­was lang­sa­mer. Gut, ich kom­me mor­gen.« Er leg­te auf. So, dann gab es al­so fünf­zehn Blo­bels, die im Au­gen­blick auf Ti­tan her­um­lie­fen und ih­re mensch­li­che Ge­stalt nicht los­wer­den konn­ten. Und was hat­te er da­von?

Viel­leicht er­hielt er die Ant­wort mor­gen um elf.

 

Als er am nächs­ten Mor­gen das War­te­zim­mer des Psy­cho­the­ra­peu­ten be­trat, fiel sein Blick auf ei­ne au­ßer­ge­wöhn­lich at­trak­ti­ve jun­ge Da­me, die in ei­nem der Ses­sel saß. Sie las in der neues­ten Aus­ga­be des Ma­ga­zins For­tu­ne.

Er wähl­te in­stink­tiv einen sol­chen Ses­sel, von dem aus er sie be­ob­ach­ten konn­te, wäh­rend er an­geb­lich eben­falls ei­ne Zeit­schrift las. Ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hob sie je­doch plötz­lich den Kopf und er­wi­der­te sei­nen Blick mit ei­nem fros­ti­gen Lä­cheln.

»Die War­te­rei ist im­mer ziem­lich lang­wei­lig, fin­den Sie nicht auch?« mur­mel­te Muns­ter.

»Kom­men Sie oft zu Dr. Jo­nes?« er­kun­dig­te sich die jun­ge Frau.

»Nein«, gab er zu. »Heu­te erst das zwei­te Mal.«

»Ich bin auch noch nie bei ihm ge­we­sen«, sag­te sein Ge­gen­über. »Aber ges­tern abend rief mein Psy­cho­the­ra­peut – Dr. Bing in Los An­ge­les – mich an und emp­fahl mir, heu­te mor­gen hier­her zu flie­gen und Dr. Jo­nes auf­zu­su­chen. Ist er gut?«

»Hmm«, mein­te Muns­ter. »Ver­mut­lich.« Das wer­den wir bald er­fah­ren, dach­te er. Ge­nau das kön­nen wir näm­lich noch nicht be­ur­tei­len.

 

Die Tür des Sprech­zim­mers öff­ne­te sich, und Dr. Jo­nes wur­de sicht­bar. »Miß Ar­ras­mith«, sag­te er und nick­te der jun­gen Frau zu. »Mr. Muns­ter.« Dies­mal wur­de Ge­or­ge mit ei­nem Kopf­ni­cken be­dacht. »Kom­men Sie doch gleich bei­de her­ein.«

»Wer be­zahlt denn dann die zwan­zig Dol­lar?« woll­te Miß Ar­ras­mith wis­sen, als sie sich er­hob.

Aber der Psy­cho­the­ra­peut schwieg; er hat­te sich aus­ge­schal­tet.

»Ich zah­le«, er­klär­te Miß Ar­ras­mith und such­te in ih­rer Hand­ta­sche nach dem Por­te­mon­naie.

»Nein, nein«, wi­der­sprach Muns­ter. »Las­sen Sie mich das er­le­di­gen.« Er hol­te ein Zwan­zig­dol­lar­stück aus der Ta­sche und steck­te es in den Schlitz. »Sie sind ein Ka­va­lier, Mr. Muns­ter«, sag­te Dr. Jo­nes so­fort. Er führ­te sie lä­chelnd in sein Sprech­zim­mer. »Set­zen Sie sich doch, bit­te. Miß Ar­ras­mith, darf ich Mr. Muns­ter Ih­re – äh – et­was pre­kä­re La­ge er­läu­tern?« Sie nick­te stumm. »Miß Ar­ras­mith ist ein Blo­bel«, fuhr Dr. Jo­nes zu Muns­ter ge­wandt fort.

Muns­ter starr­te die jun­ge Frau sprach­los an.

»Al­ler­dings«, sprach Dr. Jo­nes wei­ter, »im Au­gen­blick in mensch­li­cher Form. Für Miß Ar­ras­mith ist das ein un­frei­wil­li­ger Zu­stand, über den sie kei­nes­wegs er­freut ist. Wäh­rend des Kriegs war sie als Spio­nin auf der Er­de, wur­de ge­fan­gen­ge­nom­men und vor Ge­richt ge­stellt. In der Zwi­schen­zeit war je­doch der Krieg zu En­de ge­gan­gen, so daß es zu kei­ner Ver­ur­tei­lung mehr kam.«

»Sie ha­ben mich da­mals ent­las­sen«, sag­te Miß Ar­ras­mith mit müh­sam be­herrsch­ter Stim­me. »Ich blieb dann hier, weil ich mich schäm­te. Ich konn­te in die­sem Zu­stand ein­fach nicht mehr zu­rück …«

»Für je­den Blo­bel ist die­se Ver­wand­lung äu­ßerst be­schä­mend«, warf Dr. Jo­nes er­klä­rend ein.

Miß Ar­ras­mith nick­te und fuhr sich mit ei­nem win­zi­gen Ta­schen­tuch über die Au­gen. »Rich­tig, Dok­tor. Schließ­lich brach­te ich es doch über mich, kurz­zei­tig in mei­ne Hei­mat zu­rück­zu­keh­ren, um mich ei­ner Be­hand­lung zu un­ter­zie­hen. Die bes­ten Ärz­te be­müh­ten sich um mich, konn­ten aber nur ei­ne teil­wei­se Bes­se­rung her­bei­füh­ren. Ein Vier­tel des Ta­ges be­fin­de ich mich in mei­ner rich­ti­gen Ge­stalt, aber die an­de­ren drei Vier­tel …« Sie senk­te den Kopf.

»Hö­ren Sie, da ha­ben Sie aber Glück!»‹ pro­tes­tier­te Muns­ter. »Der mensch­li­che Kör­per ist dem ei­nes Blo­bels in je­der Be­zie­hung über­le­gen. Ich muß es schließ­lich wis­sen. Als Blo­bel kann man sich nur krie­chend fort­be­we­gen. Man gleicht ei­ner großen Qual­le, weil das stüt­zen­de Kno­chen­ge­rüst fehlt. Und Zell­tei­lung – was ist das schon im Ver­gleich mit der mensch­li­chen Form … Sie wis­sen schon. Fort­pflan­zung, mei­ne ich.« Er wur­de rot.

Dr. Jo­nes tick­te lei­se vor sich hin.

»Un­ge­fähr sechs Stun­den pro Tag sind Sie bei­de gleich­zei­tig Men­schen«, stell­te er fest. »Und et­wa ei­ne Stun­de lang Blo­bels. Ins­ge­samt er­gibt das sie­ben Stun­den von vier­und­zwan­zig, in de­nen Sie glei­che Kör­per­for­men be­sit­zen.« Er spiel­te mit sei­nem Blei­stift. »Mei­ner Mei­nung nach sind sie­ben Stun­den gar nicht so übel, wenn Sie ver­ste­hen, was ich da­mit sa­gen will.«

Miß Ar­ras­mith über­leg­te. »Aber Mr. Muns­ter und ich sind doch na­tür­li­che Fein­de«, wand­te sie dann ein.

»Das ist schon Jah­re her«, mein­te Muns­ter.

»Rich­tig«, stimm­te Dr. Jo­nes zu. »Sie be­fin­den sich bei­de in ei­ner ähn­li­chen La­ge, ob­wohl Miß Ar­ras­mith ei­gent­lich ein Blo­bel ist, wäh­rend Sie, Mr. Muns­ter, im Grun­de ge­nom­men Ter­ra­ner sind. Die­ser Zu­stand wird sich im Lauf der Zeit als so un­trag­bar er­wei­sen, daß Sie ge­müts­krank wer­den – falls Sie sich nicht auf ir­gend­ei­ne Wei­se ge­gen­sei­tig hel­fen.« Er tick­te wei­ter­hin lei­se und schwieg.

»Ich fin­de, daß wir Glück ge­habt ha­ben, Mr. Muns­ter«, be­gann Miß Ar­ras­mith lei­se. »Wie Dr. Jo­nes eben sag­te, stim­men wir sie­ben Stun­den pro Tag mit­ein­an­der über­ein. Das ist we­sent­lich bes­ser als un­se­re ge­gen­wär­ti­ge Iso­la­ti­on.« Sie lä­chel­te ihn hoff­nungs­voll an und steck­te das Ta­schen­tuch wie­der fort.

Muns­ter starr­te sie an und über­leg­te.

»Las­sen Sie ihm et­was Zeit«, riet Dr. Jo­nes der jun­gen Frau. »Ich weiß, daß er sich schließ­lich zu dem rich­ti­gen Ent­schluß durch­rin­gen wird.«

Miß Ar­ras­mith war­te­te lä­chelnd.

 

Ei­ni­ge Jah­re spä­ter klin­gel­te das Te­le­phon auf Dr. Jo­nes’ Schreib­tisch. Er ant­wor­te­te wie ge­wohnt: »Bit­te, Sir oder Ma­dam, wer­fen Sie zwan­zig Dol­lar ein, wenn Sie mit mir spre­chen möch­ten.«

Ei­ne männ­li­che Stim­me drang aus dem Hö­rer. »Hier spricht die Rechts­ab­tei­lung der Ver­ein­ten Na­tio­nen, und wir ge­ben kei­nen Cent aus, wenn wir mit je­mand spre­chen wol­len. Le­gen Sie den Schal­ter um, Jo­nes.«

»Ja­wohl, Sir«, sag­te Dr. Jo­nes und be­tä­tig­te den klei­nen He­bel hin­ter sei­nem rech­ten Ohr, der das Zähl­werk aus­schal­te­te.

»Ha­ben Sie im Jah­re 2037 ei­nem Paar den Rat er­teilt, es sol­le so rasch wie mög­lich hei­ra­ten?« er­kun­dig­te sich der Ju­rist. »Ei­nem Ge­or­ge Muns­ter und ei­ner Vi­vi­an Ar­ras­mith, jetzt Mrs. Muns­ter?«

»Ja, na­tür­lich«, ant­wor­te­te Dr. Jo­nes, nach­dem er sei­nen Zah­len­spei­cher über­prüft hat­te.

»Ha­ben Sie sich da­mals we­gen der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten kei­ne Ge­dan­ken ge­macht?«

»Hmm, das fällt nicht un­ter mei­ne Zu­stän­dig­keit«, mein­te Dr. Jo­nes.

»Sie kön­nen aber be­straft wer­den, wenn Sie Maß­nah­men emp­feh­len, die mit den be­ste­hen­den Ge­set­zen un­ver­ein­bar sind.«

»Ich ken­ne kein Ge­setz, das ei­ne Ehe zwi­schen Blo­bels und Ter­ra­nern ver­bie­tet.«

»Schon gut, Dok­tor«, lenk­te der an­de­re ein. »Ich bin auch mit ei­nem Blick auf Ih­re Auf­zeich­nun­gen über die­sen Fall zu­frie­den.«

»Das kann ich auf gar kei­nen Fall zu­las­sen«, pro­tes­tier­te Dr. Jo­nes. »Als Arzt bin ich ver­pflich­tet, kei­ne und wenn noch so …«

»Dann er­wir­ken wir eben ei­ne einst­wei­li­ge Ver­fü­gung und be­schlag­nah­men das Zeug«, droh­te der Rechts­ex­per­te.

»Bit­te, ver­su­chen Sie es ru­hig.« Dr. Jo­nes woll­te sich ab­schal­ten.

»War­ten Sie einen Au­gen­blick. Viel­leicht in­ter­es­siert es Sie, daß die Muns­ters jetzt vier Kin­der ha­ben. Und nach den re­vi­dier­ten Men­del­schen Ge­set­zen ist das Ver­hält­nis ge­nau eins zu zwei zu eins. Ein Blo­bel­mäd­chen, ein hy­bri­der Jun­ge, ein hy­bri­des Mäd­chen, ein Ter­ra­ner­jun­ge. Die An­ge­le­gen­heit wird da­durch kom­pli­ziert, daß die Obers­te Rats­ver­samm­lung das Mäd­chen als Staats­bür­ge­rin des Ti­tan an­sieht und gleich­zei­tig be­haup­tet, daß auch ei­ner der bei­den Hy­bri­den die ti­ta­ni­sche Staats­bür­ger­schaft er­hal­ten müs­se.« Der Ju­rist mach­te ei­ne be­deu­tungs­vol­le Pau­se. »Se­hen Sie, mit der Ehe der Muns­ters ist nicht mehr al­les in Ord­nung. Sie wol­len sich schei­den las­sen, und wir sol­len ein Gut­ach­ten dar­über er­stel­len, wel­che Ge­set­ze auf sie und ih­re ge­mein­sa­men Kin­der zu­tref­fen.«

»Das ist be­stimmt nicht ein­fach«, gab Dr. Jo­nes zu. »Warum ist die Ehe über­haupt aus­ein­an­der­ge­gan­gen?«

»Ich weiß es nicht, und au­ßer­dem ist es mir auch gleich­gül­tig. Wahr­schein­lich ha­ben sie die dau­ern­den Ver­wand­lun­gen nicht mehr er­tra­gen. Wenn Sie glau­ben, daß Sie ih­nen hel­fen kön­nen, ru­fen Sie doch ru­hig ein­mal bei ih­nen an.« Der Mann von der Rechts­ab­tei­lung leg­te auf. Dr. Jo­nes über­leg­te, ob er tat­säch­lich einen Feh­ler ge­macht hat­te, als er den bei­den zur Ehe riet. Soll­te er sie nicht doch an­ru­fen? Viel­leicht war er ih­nen zu­min­dest das schul­dig.

Er schlug das Te­le­phon­buch von Los An­ge­les auf und such­te un­ter dem Buch­sta­ben M nach.

Für die Muns­ters wa­ren die ver­gan­ge­nen sechs Jah­re nicht leicht ge­we­sen.

Zu­nächst war Ge­or­ge von San Fran­zis­ko nach Los An­ge­les um­ge­zo­gen. Vi­vi­an und er hat­ten nur un­ter großen Mü­hen ein Kon­do­mi­ni­um-Ap­par­te­ment mit drei Räu­men aus­fin­dig ge­macht, in dem sie sich wohn­lich ein­rich­te­ten. Nach­dem Vi­vi­an acht­zehn Stun­den pro Tag mensch­li­che Ge­stalt be­saß, hat­te sie ei­ne gu­te Stel­lung be­kom­men; sie ar­bei­te­te in der In­for­ma­ti­on des Flug­ha­fens Los An­ge­les – in al­ler Öf­fent­lich­keit. Ge­or­ge je­doch …

Sei­ne Pen­si­on be­trug nur ein Vier­tel des Ge­halts, das sei­ne Frau er­hielt, und er war sich die­ser Tat­sa­che pein­lich be­wußt. Auf der Su­che nach ei­ner zu­sätz­li­chen Ver­dienst­mög­lich­keit hat­te er in ei­ner Zeit­schrift fol­gen­de An­zei­ge ent­deckt:

WOL­LEN SIE IN KÜR­ZES­TER ZEIT VIEL GELD IN IH­REM EI­GE­NEN KON­DO VER­DIE­NEN? ZÜCH­TEN AUCH SIE UN­SE­RE RIE­SE­NOCH­SEN­FRÖSCHE VOM JU­PI­TER, DIE BIS ZU ZWAN­ZIG ME­TER WEIT SPRIN­GEN! AUS­GE­ZEICH­NET FÜR WETT­BE­WER­BE! GE­EIG­NET UND …

Im Jah­re 2038 hat­te er al­so ein Paar Rie­se­noch­sen­frösche er­wor­ben und hat­te mit der Auf­zucht in ei­ner Kel­le­r­e­cke be­gon­nen, die Leo­pold, der ho­möo­sta­ti­sche Haus­meis­ter, ihm aus Ge­fäl­lig­keit zur Ver­fü­gung ge­stellt hat­te. Wie zu er­war­ten ge­we­sen war, en­de­te das Un­ter­neh­men mit ei­nem völ­li­gen Fias­ko, als sich her­aus­stell­te, daß in Wirk­lich­keit kei­ner­lei In­ter­es­se für Wett­be­wer­be im Froschweit­sprin­gen be­stand.

Und dann kam ihr ers­tes Kind auf die Welt – ein voll­blü­ti­ges Blo­bel­mäd­chen, das vier­und­zwan­zig Stun­den am Tag aus ei­ner ge­la­ti­ne­ar­ti­gen Mas­se be­stand. Ge­or­ge be­ob­ach­te­te es ver­geb­lich; das Kind nahm kei­ne Se­kun­de lang mensch­li­che Ge­stalt an.

Als Vi­vi­an und er wie­der ein­mal ge­mein­sam Men­schen wa­ren, mach­te er ihr des­we­gen hef­ti­ge Vor­wür­fe.

»Wie kann ich die­ses We­sen über­haupt als mein Kind an­se­hen?« frag­te er sie. Er war ent­mu­tigt und zu­gleich er­schreckt. »Dr. Jo­nes hät­te das vor­her­se­hen müs­sen. Viel­leicht ist es dein Kind – es sieht dir je­den­falls ähn­lich.«

Vi­vians Au­gen füll­ten sich mit Trä­nen. »Du meinst das ver­let­zend.«

»Und wie! Schließ­lich ha­ben wir euch da­mals den Kampf an­ge­sagt. Für uns wart ihr nicht bes­ser als ganz ge­wöhn­li­che Qual­len.« Er zog sich den Man­tel an. »Ich ge­he jetzt in das Ver­samm­lungs­lo­kal der Ve­te­ra­nen un­na­tür­li­cher Krie­ge«, teil­te er sei­ner Frau mit. Kur­ze Zeit spä­ter saß er mit sei­nen al­ten Ka­me­ra­den bei ei­nem Glas Bier zu­sam­men und freu­te sich, daß er aus dem Ap­par­te­ment­haus her­aus war.

Das Ge­bäu­de, das die VUK für sich ge­mie­tet hat­ten, stand in ei­nem der äl­tes­ten Be­zir­ke von Los An­ge­les, war halb zer­fal­len und hät­te drin­gend einen neu­en An­strich ge­braucht. Aber die VUK ver­füg­ten nur über sehr be­schränk­te Mit­tel, weil die meis­ten Mit­glie­der von be­schä­mend klei­nen Pen­sio­nen le­ben muß­ten. Ge­or­ge ging gern dort­hin, um ein Glas Bier zu trin­ken und mit sei­nen Freun­den Schach zu spie­len – ent­we­der als Mensch oder als Blo­bel; in die­sen Räu­men wur­den bei­de oh­ne wei­te­res ak­zep­tiert.

An die­sem Abend saß er mit Pe­te Rug­gles zu­sam­men, ei­nem Ka­me­ra­den, der eben­falls ei­ne Frau hat­te, die sich wie Vi­vi­an zeit­wei­se in einen Blo­bel ver­wan­del­te.

»Pe­te, so kann es mit mir nicht mehr lan­ge wei­ter­ge­hen. Ich ha­be mir im­mer Kin­der ge­wünscht – und was ha­be ich jetzt? Ein ko­mi­sches We­sen, das wie ei­ne Qual­le aus­sieht.«

Pe­te – auch er be­fand sich ge­ra­de in mensch­li­cher Ge­stalt – trank nach­denk­lich einen Schluck Bier. »Mein Gott, Ge­or­ge, ich ge­be zu, daß du es nicht leicht hast. Aber du mußt doch ge­wußt ha­ben, was dich er­war­te­te, als du sie ge­hei­ra­tet hast. Und das nächs­te Kind …«

 

Ge­or­ge schüt­tel­te den Kopf und un­ter­brach ihn. »Ich woll­te sa­gen, daß ich kei­ner­lei Re­spekt mehr vor mei­ner ei­ge­nen Frau emp­fin­de. Das ist der sprin­gen­de Punkt. Ich se­he sie als Ding an. Und mich selbst eben­falls. Wir sind bei­de Din­ge.« Er leer­te sein Glas mit ei­nem Zug.

Pe­te sah ihn von der Sei­te an. »Aber vom Stand­punkt ei­nes Blo­bels aus ge­se­hen …«

»Hör zu, auf wel­cher Sei­te stehst du ei­gent­lich?« woll­te Ge­or­ge wis­sen.

»Schrei mich nicht an«, sag­te Pe­te.

Einen Au­gen­blick spä­ter be­fan­den sie sich mit­ten in der schöns­ten Rau­fe­rei. Glück­li­cher­wei­se ver­wan­del­te Pe­te sich vor Auf­re­gung in einen Blo­bel, so daß nie­mand zu Scha­den kam. Er kroch fort, und Ge­or­ge be­stell­te sich noch ein Bier.

Ich muß zu Vi­vi­an zu­rück, be­schloß er. Was soll­te ich sonst tun? Ein Glück, daß ich sie über­haupt ha­be; sonst wä­re ich nur ei­ner von die­sen Sauf­bol­den hier, die den Kum­mer über ihr ver­pfusch­tes Le­ben in Bier zu er­trän­ken ver­su­chen.

Er hat­te einen neu­en Plan, mit dem er viel Geld zu ver­die­nen hoff­te. Da­bei han­del­te es sich um ein Ver­sand­ge­schäft von sei­nem Ap­par­te­ment aus; er hat­te be­reits fol­gen­de An­zei­ge in der Sa­tur­day Eve­ning Post auf­ge­ge­ben:

ZAU­BER­KRIS­TAL­LE, DIE GLÜCK IN AL­LEN LE­BENS­LA­GEN BRIN­GEN. AUS EI­NEM BIS­HER NICHT ZU­GÄNG­LI­CHEN SON­NEN­SYS­TEM IM­POR­TIERT!

Die win­zi­gen Kris­tal­le stamm­ten von Pro­xi­ma, von wo er sie durch Vi­vians Ver­mitt­lung bei ih­ren Leu­ten be­zo­gen hat­te. Aber bis­her hat­ten nur we­ni­ge In­ter­es­sen­ten die zwei Dol­lar ein­ge­schickt.

 

Glück­li­cher­wei­se er­wies sich das nächs­te Kind, das im Win­ter des Jah­res 2039 auf die Welt kam, als hy­brid. Zwölf Stun­den pro Tag nahm es mensch­li­che Ge­stalt an, und so hat­te Ge­or­ge end­lich ein Kind, das – we­nigs­tens ge­le­gent­lich – sei­ner ei­ge­nen Ras­se an­ge­hör­te.

Er fei­er­te ge­ra­de die Ge­burt des Kin­des, das den Na­men Mau­ri­ce er­hal­ten hat­te, als ei­ne De­le­ga­ti­on von Nach­barn aus dem Ge­bäu­de QEK-604 er­schi­en und an die Tür klopf­te.

»Wir ha­ben ei­ne Un­ter­schrif­ten­samm­lung ver­an­stal­tet«, er­klär­te ihm der An­füh­rer der Leu­te und trat da­bei ver­le­gen von ei­nem Fuß auf den an­de­ren, »weil wir al­le da­für sind, daß Sie und Mrs. Muns­ter aus­zie­hen.«

»Aber warum denn nur?« frag­te Ge­or­ge ver­blüfft. »Bis­her hat sich doch noch nie je­mand über uns be­schwert.«

»Wir möch­ten nicht, daß un­se­re Kin­der spä­ter mit Ih­rem Jüngs­ten …«

Ge­or­ge schlug ih­nen wü­tend die Tür vor der Na­se zu.

Aber trotz­dem spür­te er ei­ne feind­se­li­ge Ein­stel­lung der Nach­barn sei­ner Fa­mi­lie ge­gen­über, die ihn auf Schritt und Tritt zu ver­fol­gen schi­en. Und da­bei ha­be ich für die­se Leu­te ge­kämpft, dach­te er. So sieht al­so der Dank des Va­ter­lan­des aus!

Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter saß er in dem VUK-Ge­bäu­de mit sei­nem Freund Sher­man Downs zu­sam­men, der eben­falls ei­ne Blo­bel ge­hei­ra­tet hat­te.

»Sher­man, es hat kei­nen Sinn. Wir sind un­er­wünscht; wir müs­sen aus­wan­dern. Viel­leicht ver­su­chen wir es auf Vi­vians Hei­mat­pla­ne­ten.«

»Un­sinn«, pro­tes­tier­te Sher­man. »Ich hät­te nie ge­dacht, daß du so schnell auf­gibst, Ge­or­ge. Ist denn dein elek­tro­ma­gne­ti­scher Schlank­heits­gür­tel kein ge­schäft­li­cher Er­folg?«

Seit ei­ni­gen Mo­na­ten be­schäf­tig­te Ge­or­ge sich mit dem Ver­trieb ei­ner kom­pli­zier­ten elek­tro­ni­schen Ap­pa­ra­tur, die er mit Vi­vians Hil­fe ge­baut hat­te; im Prin­zip han­del­te es sich da­bei um ein von den Blo­bels be­nutz­tes Ge­rät, das aber auf der Er­de noch nicht be­kannt war. Das Ge­schäft ließ sich nicht schlecht an. Ge­or­ge hat­te be­reits zahl­rei­che Be­stel­lun­gen ent­ge­gen­ge­nom­men. Aber …

»Mir ist et­was Schreck­li­ches pas­siert, Sher­man«, ver­trau­te er sei­nem Freund an. »Neu­lich war ich in ei­ner Dro­ge­rie, wo ich einen grö­ße­ren Auf­trag über Schlank­heits­gür­tel be­kam, und dar­über war ich so auf­ge­regt …« Er zuck­te mit den Schul­tern. »Du kannst dir ja den­ken, was dann ge­sch­ah. Ich ver­wan­del­te mich in al­ler Öf­fent­lich­keit in einen Blo­bel. Und als der Dro­gist das sah, zog er sei­ne Be­stel­lung zu­rück. Du hät­test se­hen sol­len, wie ent­setzt er war!«

»Warum stellst du nicht je­mand ein, der das Zeug für dich ver­kauft?« schlug Sher­man vor. »Einen voll­blü­ti­gen Ter­ra­ner, mei­ne ich.«

»Ich bin ein voll­blü­ti­ger Ter­ra­ner«, sag­te Ge­or­ge mit hei­se­rer Stim­me. »Ver­giß das ge­fäl­ligst nicht!«

»Ich mein­te nur …«

»Ich weiß ge­nau, was du ge­meint hast«, un­ter­brach ihn Ge­or­ge. Er hol­te zu ei­nem Schlag ge­gen Sher­man aus. Glück­li­cher­wei­se traf er ihn nicht, und in der Auf­re­gung ver­wan­del­ten bei­de sich in Blo­bels. Sie kro­chen wü­tend auf­ein­an­der zu, aber die an­de­ren Ve­te­ra­nen brach­ten sie wie­der aus­ein­an­der.

»Ich bin ein eben­so gu­ter Ter­ra­ner wie je­der an­de­re«, teil­te Ge­or­ge Sher­man auf te­le­pa­thi­schem We­ge mit, denn al­le Blo­bels ver­stän­dig­ten sich auf die­se Wei­se un­ter­ein­an­der. »Und ich ver­pas­se je­dem einen Kinn­ha­ken, der et­was an­de­res be­haup­tet.«

Als Blo­bel konn­te er nicht mehr nach Hau­se; er muß­te Vi­vi­an an­ru­fen, da­mit sie ihn ab­hol­te. Das war be­schä­mend.

Selbst­mord, ent­schloß er sich. Die ein­zig rich­ti­ge Lö­sung.

Wie ließ sich die­ses Vor­ha­ben ver­wirk­li­chen? Als Blo­bel emp­fand er kei­ne Schmer­zen, des­halb war das der bes­te Zeit­punkt. Be­stimm­te che­mi­sche Mit­tel lös­ten je­den Blo­bel­kör­per auf … er brauch­te sich zum Bei­spiel nur in das mit Chlor ver­setz­te Was­ser des Schwimm­be­ckens in dem Ap­par­te­ment Ge­bäu­de QEK-604 zu stür­zen.

Vi­vi­an – in mensch­li­cher Form – ent­deck­te ihn ei­nes Abends, als er zö­gernd am Rand des Schwimm­be­ckens ent­lang­kroch.

»Ge­or­ge, ich bit­te dich – du mußt noch ein­mal zu Dr. Jo­nes ge­hen!«

»Nein«, er­klang es dumpf durch den Stimm­ap­pa­rat, den er aus ei­nem Teil sei­ner Kör­per­mas­se form­te. »Es hat kei­nen Sinn mehr, Vi­vi­an. Ich will ein­fach nicht mehr wei­ter­le­ben.’‹ Je­der Tag mach­te das Un­glück deut­li­cher. An­de­rer­seits konn­te ein letz­ter Ver­such nicht scha­den.

»Schön, ich wer­de mich mor­gen noch ein­mal er­kun­di­gen«! ent­schloß er sich. »Viel­leicht gibt es ei­ne neue Me­tho­de, mit de­ren Hil­fe ich mich sta­bi­li­sie­ren las­sen kann.«

»Aber was wird aus mir, wenn du als Ter­ra­ner sta­bi­li­siert wirst?« woll­te Vi­vi­an wis­sen.

»Dann hät­ten wir acht­zehn Stun­den pro Tag ge­mein­sam!«

»Aber du wür­dest be­stimmt nicht mit mir ver­hei­ra­tet blei­ben wol­len, Ge­or­ge. Dann könn­test du dir ei­ne Frau su­chen, die im­mer ein Mensch ist.«

Das wä­re ihr ge­gen­über nicht fair, über­leg­te er sich. Des­halb ließ er den Ge­dan­ken fal­len.

Im Früh­jahr des Jah­res 2041 kam ihr drit­tes Kind auf die Welt – ein Mäd­chen, das wie Mau­ri­ce ei­ne Hy­bri­de war. Es war nachts ei­ne Blo­bel und tags­über ein Mensch.

Un­ter­des­sen hat­te Ge­or­ge ei­ne Lö­sung für ei­ni­ge sei­ner Pro­ble­me ge­fun­den. Er hat­te sich ei­ne Ge­lieb­te ge­nom­men und fühl­te sich glück­lich da­bei.

 

Ni­na Glaub­man und er tra­fen sich re­gel­mä­ßig in ei­nem schä­bi­gen Ho­tel im Her­zen von Los An­ge­les, wo sie si­cher sein konn­ten, daß nie­mand ih­re An­we­sen­heit zur Kennt­nis nahm. Ge­or­ge hat­te es un­ter­des­sen zu ei­ner klei­nen Fa­brik mit fünf­zehn An­ge­stell­ten ge­bracht und hät­te ein wohl­ha­ben­der Mann sein kön­nen, wenn die Steu­ern et­was nied­ri­ger ge­we­sen wä­ren. Er über­leg­te sich ge­le­gent­lich, wie hoch sie auf den von Blo­bels be­wohn­ten Pla­ne­ten sein moch­ten – auf Io, zum Bei­spiel.

Ei­nes Abends un­ter­hielt er sich mit Rein­holt in der Bar des VUK-Ge­bäu­des dar­über. Rein­holt Glaub­man war Ni­nas Mann.

»Rein­holt«, sag­te Ge­or­ge in sein Bier­glas hin­ein, »ich ha­be große Plä­ne. Die­ser Von-der-Wie­ge-bis-zur-Bah­re-So­zia­lis­mus, den die Ver­ein­ten Na­tio­nen ein­ge­führt ha­ben – das ist nichts für mich. Er be­engt mich zu sehr. Der Muns­ter-Gür­tel ist auf die Dau­er zu teu­er, als daß man ihn auf der Er­de her­stel­len könn­te. Ver­stehst du, was ich sa­gen will?«

Rein­holt sah ihn kalt an. »Aber, Ge­or­ge, du bist doch ein Ter­ra­ner. Wenn du dei­ne Fa­brik auf einen Blo­bel­pla­ne­ten ver­legst, ver­rätst du dein …«

»Hör zu«, un­ter­brach Ge­or­ge ihn. »Ich ha­be ein Blo­bel­kind, zwei Misch­lin­ge, und ein vier­tes ist un­ter­wegs. Ich füh­le mich mit die­sen Leu­ten dort drau­ßen auf Ti­tan und Io ge­fühls­mä­ßig ver­bun­den.«

»Du bist ein Ver­rä­ter«, stell­te Rein­holt fest und schlug ihm ins Ge­sicht. »Und nicht nur das«, fuhr er fort, wäh­rend er Ge­or­ge einen Ma­gen­schlag ver­setz­te, »du treibst dich auch mit mei­ner Frau her­um. Am liebs­ten möch­te ich dich auf der Stel­le um­brin­gen.«

Ge­or­ge ver­wan­del­te sich rasch in einen Blo­bel; Rein­holts Box­hie­be dran­gen tief in die gal­lert­ar­ti­ge Mas­se ein, oh­ne den ge­rings­ten Scha­den an­zu­rich­ten. Dann ver­wan­del­te auch Rein­holt sich und kroch auf Ge­or­ge zu, als wol­le er des­sen Zell­kern zer­stö­ren.

Glück­li­cher­wei­se ris­sen die üb­ri­gen die bei­den aus­ein­an­der, be­vor Rein­holt sei­nen Plan ver­wirk­li­chen konn­te.

Ei­ni­ge Stun­den spä­ter saß Ge­or­ge mit Vi­vi­an in ih­rem Acht­zim­mer­ap­par­te­ment zu­sam­men, das sie in dem neu­er­bau­ten Ge­bäu­de ZGF-900 be­wohn­ten. Viel­leicht war dies be­reits ihr letz­ter ge­mein­sam ver­brach­ter Abend, denn Rein­holt wür­de na­tür­lich Vi­vi­an von Ge­or­ges Ver­hält­nis mit Ni­na er­zäh­len – und dann …

»Vi­vi­an«, sag­te er, »du mußt mir glau­ben; ich lie­be dich. Du und die Kin­der – und die Gür­tel­fa­brik, das ver­steht sich – sind mein gan­zes Le­ben.« Er hat­te ei­ne ver­zwei­fel­te Idee. »Warum wan­dern wir nicht auf der Stel­le aus? Komm, wir pa­cken un­ser Zeug ein, neh­men die Kin­der mit und flie­gen zum Ti­tan!«

»Ich kann nicht«, ant­wor­te­te Vi­vi­an. »Ich weiß, wie man uns dort be­han­deln wür­de. Ge­or­ge, du kannst ja ge­hen. Ver­le­ge die Fa­brik nach Io. Ich blei­be hier.« In ih­ren Au­gen stan­den Trä­nen.

»Das ist doch kei­ne Ehe mehr«, pro­tes­tier­te Ge­or­ge. »Und wer soll die Kin­der be­kom­men?« Wahr­schein­lich wür­den sie Vi­vi­an zu­ge­spro­chen wer­den. Aber sei­ne Fir­ma ver­füg­te über die bes­ten Rechts­an­wäl­te – viel­leicht konn­ten sie ihm bei der Lö­sung die­ses häus­li­chen Pro­blems be­hilf­lich sein.

Die Blo­bels, die sich zu die­ser Ze­re­mo­nie ver­sam­melt hat­ten, bra­chen in laut­lo­sen Bei­fall aus, den sie auf te­le­pa­thi­schem We­ge über­tru­gen.

»Dies ist der stol­zes­te Tag mei­nes Le­bens«, teil­te Ge­or­ge Muns­ter ih­nen mit und kroch auf sei­nen Wa­gen zu, in dem der Chauf­feur auf ihn war­te­te, um ihn in sein Ho­tel in Io Ci­ty zu fah­ren.

 

Ei­nes Ta­ges wür­de das Ho­tel ihm ge­hö­ren. Er leg­te die Ge­win­ne sei­ner Fir­ma in Im­mo­bi­li­en in Io Ci­ty an. Das war nicht nur äu­ßerst pa­trio­tisch, son­dern auch er­freu­lich pro­fi­ta­bel, hat­te er von an­de­ren Blo­bels er­fah­ren.

»End­lich bin ich ein er­folg­rei­cher Mann«, sag­te Ge­or­ge Muns­ter zu al­len de­nen, die na­he ge­nug stan­den, um sei­ne te­le­pa­thisch vor­ge­brach­ten Wor­te auf­neh­men zu kön­nen.

Der Bei­fall der Men­ge um­rausch­te ihn un­hör­bar, als er die Ram­pe zu sei­nem Wa­gen hin­auf­kroch.

Am fol­gen­den Mor­gen er­fuhr Vi­vi­an von sei­ner Af­fä­re mit Ni­na. Und nahm sich selbst einen erst­klas­si­gen Rechts­an­walt.

»Hö­ren Sie«, sag­te Ge­or­ge am Te­le­phon zu sei­nem An­walt, Dr. Hen­ry Ra­ma­rau. »Ver­schaf­fen Sie mir die Vor­mund­schaft über das vier­te Kind; es wird be­stimmt ein Ter­ra­ner. Und we­gen der bei­den Hy­bri­den wer­den wir einen Kom­pro­miß schlie­ßen. Ich neh­me Mau­ri­ce, und sie kann Ka­thy be­hal­ten. Die Blo­bel – das so­ge­nann­te ers­te Kind – über­las­se ich ihr mit Ver­gnü­gen.« Er leg­te den Hö­rer auf und wand­te sich wie­der an sei­ne Di­rek­to­ren. »Was hat al­so die ein­ge­hen­de Ana­ly­se der Steu­er­ge­set­ze auf Io er­ge­ben?«

Im Lau­fe der nächs­ten Wo­chen wur­de im­mer deut­li­cher, daß die ge­plan­te Ver­le­gung der Fa­brik vom ge­schäft­li­chen Stand­punkt aus äu­ßerst emp­feh­lens­wert war.

»Se­hen Sie zu, daß Sie ein ge­eig­ne­tes Grund­stück er­wi­schen«, wies Ge­or­ge sei­nen Ver­tre­ter Tom Hen­d­ricks an. »Und kau­fen Sie es bil­lig. Wir müs­sen die Sa­che gleich rich­tig auf­zie­hen.«

Dann kam Miß No­lan, sei­ne Se­kre­tä­rin, her­ein und teil­te ihm mit, daß ein ge­wis­ser Dr. Jo­nes an­ge­ru­fen hat­te, wäh­rend Ge­or­ge nicht ge­stört wer­den woll­te, weil er sich mit Tom Hen­d­ricks un­ter­hielt.

»Der Teu­fel soll mich ho­len«, mein­te Ge­or­ge über­rascht, als er sechs Jah­re zu­rück­dach­te. »Er müß­te doch schon längst auf dem Schuttabla­de­platz ge­lan­det sein.« Er nick­te Miß No­lan zu. »Ru­fen Sie Dr. Jo­nes an und be­nach­rich­ti­gen Sie mich, wenn er am Ap­pa­rat ist. Ich wer­de mir ei­ne Mi­nu­te frei neh­men, um mit ihm zu spre­chen.« Er er­in­ner­te sich an die gu­te al­te Zeit in San Fran­zis­ko.

Kur­ze Zeit spä­ter hat­te Miß No­lan die Ver­bin­dung her­ge­stellt.

»Dok­tor«, sag­te Ge­or­ge, wäh­rend er sich über den Schreib­tisch lehn­te, um an ei­ner Or­chi­dee zu rie­chen, »nett, daß Sie sich wie­der ein­mal mel­den!«

Die Stim­me des ho­möo­sta­ti­schen The­ra­peu­ten klang über­rascht. »Mr. Muns­ter, ich hö­re, daß Sie jetzt ei­ne Se­kre­tä­rin ha­ben.«

»Rich­tig«, be­stä­tig­te Ge­or­ge. »Ich bin Un­ter­neh­mer ge­wor­den. Mei­ne Fir­ma stellt Schlank­heits­gür­tel her; sie ha­ben ei­ne ge­wis­se Ähn­lich­keit mit den Floh­kra­gen, die man Kat­zen um­legt. Nun, was kann ich für Sie tun, Dok­tor?«

»Sie ha­ben vier Kin­der …«

»Ei­gent­lich erst drei, aber das vier­te ist un­ter­wegs. Hö­ren Sie, Dok­tor, das vier­te Kind wird als Ter­ra­ner auf die Welt kom­men, und ich tue al­les, um mir das Er­zie­hungs­recht dar­über zu si­chern. Vi­vi­an – Sie er­in­nern sich noch an sie – ist auf und da­von ge­gan­gen. Zu ih­ren Leu­ten zu­rück, wo­hin sie ge­hört. Und ich be­zah­le die bes­ten Ärz­te, da­mit sie mich end­lich sta­bi­li­sie­ren. Ich ha­be die ewi­gen Ver­än­de­run­gen satt; der Un­sinn kos­tet zu­viel Zeit.«

»Aus dem Ton Ih­rer Stim­me er­ken­ne ich, daß Sie ein viel­be­schäf­tig­ter Ma­na­ger ge­wor­den sind, Mr. Muns­ter«, fuhr Dr. Jo­nes fort. »Ein stei­ler Auf­stieg, seit ich Sie zum letz­ten Mal ge­se­hen ha­be.«

»Kom­men Sie end­lich zur Sa­che, Dok­tor«, mahn­te Ge­or­ge recht un­ge­dul­dig.

»Ich – äh – ich dach­te, ich könn­te viel­leicht Sie und Vi­vi­an wie­der mit­ein­an­der ver­söh­nen.«

»Pah!« mein­te Ge­or­ge ver­ächt­lich. »Mit die­ser Frau? Nie­mals. Hö­ren Sie, Dok­tor, ich muß jetzt lei­der auf­le­gen, weil ich bei ei­ner wich­ti­gen Be­spre­chung an­we­send sein muß.«

»Mr. Muns­ter«, frag­te Dr. Jo­nes, »spielt in Ih­ren Über­le­gun­gen ei­ne an­de­re Frau ei­ne Rol­le?«

»Ei­ne an­de­re Blo­bel«, ant­wor­te­te Ge­or­ge, »falls Sie das ge­meint ha­ben soll­ten.« Er leg­te auf. »Zwei Blo­bels sind bes­ser als gar kei­ner«, mur­mel­te er vor sich hin. Und jetzt wie­der zu­rück zum Ge­schäft. Er drück­te auf einen Knopf, und Miß No­lan streck­te ih­ren Kopf durch die Tür. »Ver­bin­den Sie mich mit Dr. Ra­ma­rau, Miß No­lan«, ord­ne­te Ge­or­ge an. »Ich möch­te her­aus­be­kom­men, un­ter wel­chen Um­stän­den …«

»Dr. Ra­ma­rau war­tet auf dem zwei­ten An­schluß«, er­klär­te ihm sei­ne Se­kre­tä­rin. »Es sei drin­gend, sagt er.« Ge­or­ge nahm den Hö­rer des zwei­ten Te­le­phons auf. »Hal­lo, Ra­ma­rau«, be­grüß­te er den Rechts­an­walt. »Was gibt es denn?«

»Ich ha­be ge­ra­de ent­deckt, daß Sie die ti­ta­ni­sche Staats­bür­ger­schaft an­neh­men müß­ten, wenn Sie Ih­re Fa­brik nach Io ver­le­gen wol­len.«

»Das dürf­te sich doch ar­ran­gie­ren las­sen«, mein­te Ge­or­ge.

»Aber je­der Staats­bür­ger muß …« Dr. Ra­ma­rau zö­ger­te. »Ich will es Ih­nen so scho­nend wie mög­lich bei­brin­gen, Mr. Muns­ter. Sie müs­sen ein Blo­bel sein!«

»Ver­dammt noch­mal, ich bin doch ei­ner!« sag­te Ge­or­ge. »We­nigs­tens zeit­wei­se. Ge­nügt das nicht?«

»Nein«, ant­wor­te­te Dr. Ra­ma­rau. »Ich ha­be mich dar­über in­for­miert, weil ich Ih­ren – äh – Zu­stand ken­ne, und Sie müß­ten tat­säch­lich ein hun­dert­pro­zen­ti­ger Blo­bel sein. Tag und Nacht.«

»Hmmm«, mach­te Ge­or­ge. »Das ist dumm. Aber ir­gend­ein Aus­weg wird sich schon fin­den las­sen. Hö­ren Sie, Ra­ma­rau, ich fah­re nach­her zu Ed­dy Full­b­right, mei­nem Haus­arzt. Kann ich Sie dann noch ein­mal we­gen die­ser Sa­che an­ru­fen?« Er leg­te auf und starr­te nach­denk­lich aus dem Fens­ter. Gut, wenn es un­be­dingt sein muß, ent­schied er sich. Tat­sa­chen sind eben Tat­sa­chen, und man darf sich nicht durch Ne­ben­säch­lich­kei­ten ab­hal­ten las­sen.

Er nahm den Te­le­phon­hö­rer ab und rief sei­nen Arzt Dr. Full­b­right an.

 

Das Zwan­zig­dol­lar­stück aus Pla­tin fiel durch den Ein­wurf­schlitz und schloß den Strom­kreis. Dr. Jo­nes be­gann zu sum­men, hob den Kopf und sah ei­ne au­ßer­ge­wöhn­lich at­trak­ti­ve jun­ge Frau vor sich. Nach ei­ner kur­z­en Über­prü­fung sei­nes Ge­dächt­nis­ses er­kann­te er sie als Mrs. Ge­or­ge Muns­ter, ehe­mals Vi­vi­an Ar­ras­mith. »Gu­ten Mor­gen, Vi­vi­an«, be­grüß­te er sie herz­lich. »Aber ich dach­te, Sie sei­en schon nicht mehr auf der Er­de.« Vi­vi­an fuhr sich mit ei­nem Ta­schen­tuch über die Au­gen. »Dr. Jo­nes, für mich ist ei­ne Welt zu­sam­men­ge­bro­chen. Mein Mann hat ein Ver­hält­nis mit ei­ner an­de­ren Frau. Ich weiß nur, daß sie Ni­na heißt, und daß die Stamm­gäs­te im VUK-Ge­bäu­de sich schon dar­über un­ter­hal­ten. An­geb­lich soll sie ei­ne Ter­ra­ne­rin sein. Wir ha­ben bei­de un­se­re Schei­dung ein­ge­reicht. Und wir müs­sen uns vor Ge­richt we­gen der Kin­der aus­ein­an­der­set­zen.« Sie zog sich ih­ren leich­ten Man­tel zu­recht. »Ich er­war­te noch ei­nes. Un­ser vier­tes.«

»Das ha­be ich be­reits er­fah­ren«, sag­te Dr. Jo­nes. »Dies­mal müß­te es ein voll­blü­ti­ger Ter­ra­ner wer­den, wenn die re­vi­dier­ten Men­del­schen Ge­set­ze ih­re Gül­tig­keit be­hal­ten ha­ben – ob­wohl ich im­mer dach­te, sie trä­fen nur auf Mehr­lings­ge­bur­ten zu.«

Mrs. Muns­ter seufz­te. »Ich kom­me ge­ra­de von Ti­tan zu­rück, wo ich mir bei al­len mög­li­chen Ka­pa­zi­tä­ten Rat ge­holt ha­be – bei Rechts­an­wäl­ten, Fachärz­ten und Er­zie­hungs­be­ra­tern. Jetzt bin ich wie­der auf der Er­de, kann aber Ge­or­ge nicht mehr fin­den – er ist ein­fach ver­schwun­den.«

»Ich wür­de Ih­nen gern be­hilf­lich sein, Vi­vi­an«, ver­si­cher­te ihr Dr. Jo­nes. »Ich ha­be neu­lich mit Ih­rem Mann ge­spro­chen, aber er drück­te sich nur sehr all­ge­mein aus. An­schei­nend ist er ein so viel­be­schäf­tig­ter Ma­na­ger ge­wor­den, daß er für al­te Be­kann­te kei­ne Zeit mehr hat.«

»Ich darf gar nicht dar­an den­ken, daß er die Idee von mir hat«, schluchz­te Vi­vi­an.

»Die Iro­nie des Schick­sals«, mein­te Dr. Jo­nes. »Aber wenn Sie Ih­ren Mann be­hal­ten wol­len …«

»Das will ich un­be­dingt, Dok­tor. Des­halb ha­be ich mich auch der neues­ten Be­hand­lung un­ter­zo­gen – weil ich ihn mehr als mei­ne Leu­te oder mei­nen Hei­mat­pla­ne­ten lie­be.«

»Wie soll ich das ver­ste­hen?« frag­te Dr. Jo­nes ver­wun­dert.

»Ich ha­be mich sta­bi­li­sie­ren las­sen, Dok­tor. Jetzt bin ich vier­und­zwan­zig Stun­den pro Tag in mensch­li­cher Ge­stalt. Ich ha­be mei­ne na­tür­li­che Kör­per­form ab­ge­legt, um mei­ne Ehe mit Ge­or­ge zu ret­ten.«

»Wel­ches Op­fer!« sag­te Dr. Jo­nes.

»Wenn ich ihn nur fin­den könn­te, Dok­tor!«

 

Bei der Grund­stein­le­gung auf Io kroch Ge­or­ge Muns­ter auf die Schau­fel zu, streck­te ein Pseu­do­po­di­um aus, er­griff da­mit den Stiel und warf et­was Er­de in die of­fe­ne Gru­be, wo­durch die For­ma­li­tä­ten als er­füllt gel­ten konn­ten. »Heu­te ist ein großer Tag für uns al­le«, dröhn­te er dumpf mit Hil­fe ei­nes Stimm­ap­pa­rats, den er aus ei­nem Teil sei­ner ge­la­ti­ne­ar­ti­gen Kör­per­mas­se ge­formt hat­te.

»Rich­tig, Mr. Muns­ter«, stimm­te Hen­ry Ra­ma­rau zu, der mit ei­ner Do­ku­men­ten­map­pe ne­ben ihm stand. Der io­ni­sche Staats­be­am­te, der wie Ge­or­ge aus ei­nem durch­sich­ti­gen, form­lo­sen Klum­pen be­stand, schlän­gel­te sich zu Ra­ma­rau hin­über und nahm die Ur­kun­den in Emp­fang. »Ich wer­de sie an die zu­stän­di­gen Stel­len wei­ter­lei­ten«, dröhn­te er. »Ich bin si­cher, daß sie in bes­ter Ord­nung sind, Dr. Ra­ma­rau.«

»Da­für ga­ran­tie­re ich«, ant­wor­te­te Ra­ma­rau. »Mr. Muns­ter ver­wan­delt sich nicht mehr in einen Ter­ra­ner. Kei­ne Se­kun­de lang, denn er hat die bes­ten Ärz­te auf­ge­sucht, um sich in die­ser Form sta­bi­li­sie­ren zu las­sen.«

 

 

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