Er führte ein Leben voller Komplikationen. Seine Frau war nur zeitweise eine Frau – und er war nur zeitweise ein Mann!
Philip K. Dick
Wenn man ein Blobel ist …
Er steckte das Zwanzigdollarstück aus Platin in den dafür vorgesehenen Schlitz, und kurze Zeit später war der Psychotherapeut betriebsbereit. Seine Augen glühten vor mühsam unterdrücktem Tatendrang. Er zog den Stuhl näher an seinen Schreibtisch heran, nahm einen Notizblock zur Hand, setzte den Bleistift an und sagte:
»Guten Morgen, Sir. Sie können gleich anfangen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Guten Morgen, Dr. Jones. Ich nehme an, daß Sie nicht der gleiche Dr. Jones sind, der die berühmte Freudbiographie verfaßt hat; das liegt bereits hundert Jahre zurück.« Er lachte nervös. Da er in bescheidensten Umständen leben mußte, war er an den Umgang mit den neuen homöostatischen Psychotherapeuten nicht gewöhnt. »Äh … wo soll ich anfangen?« erkundigte er sich unsicher. »Wollen Sie zuerst meinen Lebenslauf? Oder andere Informationen?«
»Vielleicht beginnen Sie am besten damit, daß Sie mir sagen, wer Sie sind, und weshalb Sie zu mir gekommen sind.«
»Ich heiße George Munster und wohne in dem San Franzisko Kondominium, das 1996 erbaut worden ist – Gebäude WEF-395, Aufgang vier.«
»Sehr erfreut, Mr. Munster.« Dr. Jones streckte die Hand aus, und George Munster schüttelte sie. Er stellte fest, daß die Hand sich angenehm weich und warm anfühlte. Der Händedruck war jedoch durchaus männlich fest.
»Wissen Sie«, fuhr Munster fort, »ich bin ein ehemaliger GI, ein Kriegsteilnehmer. Deshalb habe ich das Appartement in WEF-305 überhaupt bekommen. Veteranen werden bei der Wohnraumzuteilung bevorzugt.«
»Ja, richtig«, stimmte Dr. Jones zu und tickte leise, während er den Lauf der Zeit nach Sekunden maß. »Der Krieg mit den Blobels.«
»Ich habe drei Jahre lang daran teilgenommen«, berichtete Munster und fuhr sich nervös durch die spärlichen schwarzen Haare. »Ich haßte die Blobels und meldete mich deshalb freiwillig. Ich war erst neunzehn und hatte eine gute Stellung – aber der Kreuzzug zur Vertreibung der Blobels aus unserem Sonnensystem war mir wichtiger als alles andere.«
»Hmmm«, meinte Dr. Jones tickend und nickend.
George Munster erzählte weiter. »Ich war kein schlechter Soldat. Zwei Tapferkeitsauszeichnungen und eine Erwähnung im Tagesbefehl. Unteroffizier. Weil ich ganz allein einen Beobachtungssatelliten heruntergeholt hatte, der voller Blobels steckte. Die genaue Anzahl ließ sich später nicht mehr feststellen, weil die Blobels sich beliebig vereinen und wieder teilen, was äußerst verwirrend sein kann.« Er schwieg und versuchte seiner Erregung Herr zu werden. Selbst die Erinnerung an den Krieg war fast zu schrecklich. Er legte sich auf die Couch zurück, zündete sich eine Zigarette an und beruhigte sich allmählich.
Die Blobels stammten ursprünglich aus einem ganz anderen Sonnensystem; ihre Heimat war vermutlich Proxima. Vor einigen Jahrtausenden hatten sie sich auf Mars und Titan niedergelassen, wo sie ideale Lebensbedingungen vorgefunden hatten. Sie waren die Weiterentwicklung der einzelligen Amöben, ziemlich groß und mit einem hochentwickelten Nervensystem ausgestattet, aber trotzdem Amöben mit Pseudopodien, Fortpflanzung durch Zellteilung und anderen Eigenschaften, die sie bei den terranischen Kolonisten unbeliebt machten.
Der Krieg war ausgebrochen, als gewisse ökologische Gesichtspunkte entscheidend wurden. Die Auslandshilfeabteilung der Vereinten Nationen hatte die Atmosphäre auf dem Mars verändern wollen, um die dortigen Lebensbedingungen für Terraner zu verbessern. Diese Änderung bedrohte jedoch den Fortbestand der Biobelkolonien; so hatte die Auseinandersetzung begonnen.
Unglücklicherweise war es nicht möglich gewesen, nur eine Hälfte der Marsatmosphäre zu verändern. Es dauerte kaum zehn Jahre, bis die gesamte Atmosphäre die gleiche Zusammensetzung angenommen hatte, wodurch die Blobels Körperschäden erlitten. Als Vergeltungsmaßnahme entsandten sie eine Armada zur Erde, die eine Anzahl technisch äußerst komplizierter Satelliten in eine Kreisbahn brachten, von wo aus sie allmählich die Erdatmosphäre verändern sollten. Zu dieser Veränderung war es allerdings nie gekommen, denn der Generalstab der Vereinten Nationen war selbstverständlich sofort in Aktion getreten; die Satelliten waren durch Raketen mit Atomsprengköpfen zerstört worden, und der Krieg war im Gange.
»Sind Sie verheiratet, Mr. Munster?« fragte Dr. Jones.
»Nein, Sir«, antwortete Munster. Er schloß eine Sekunde lang gequält die Augen. »Sie werden den Grund dafür selbst erkennen, wenn ich Ihnen etwas mehr über mich erzählt habe. Sehen Sie, Doktor, ich will ganz offen sein. Ich war als Spion für die Erde tätig. Das war meine Aufgabe. Ich habe sie bekommen, weil ich tapfer gewesen war – ich hätte mich nicht danach gedrängt.«
»Aha«, sagte Dr. Jones. »Ich verstehe.«
»Wirklich?« erkundigte Munster sich mit gebrochener Stimme. »Wissen Sie tatsächlich, was damals unerläßlich war, um aus einem Terraner einen erfolgreichen Spion bei den Blobels zu machen?«
Dr. Jones nickte. »Ja, Mr. Munster«, gab er zurück. »Sie mußten Ihre menschliche Gestalt aufgeben und die eines Blobels annehmen.«
Munster schwieg; er ballte die Rechte zu einer Faust und öffnete sie wieder. Dr. Jones tickte beinahe unhörbar.
Am gleichen Abend saß Munster in der winzigen Küche seines Appartements in Gebäude WEF-395 und entkorkte eine Flasche Whisky. Er trank aus einer Tasse ohne Henkel, weil er zu erschöpft war, um aufzustehen und sich ein Glas aus dem Wandschrank über dem Ausguß zu holen.
Welchen Gewinn hatte er aus seinem Besuch bei Dr. Jones gezogen. Keinen, wenn er gründlich darüber nachdachte. Und das Honorar hatte ein tiefes Loch in sein fast leeres Portemonnaie gerissen. Er mußte sehr sparsam leben, weil …
Weil er jeden Tag zwölf Stunden lang wieder die Gestalt eines Blobels annahm, obwohl er selbst und die Militärärzte nichts unversucht gelassen hatten. Er verwandelte sich in eine formlose einzellige Masse – mitten auf dem Fußboden seines Appartements.
Seine einzige Einnahmequelle bestand aus einer kümmerlichen Pension. Er konnte keine Arbeit annehmen, weil die damit verbundene Aufregung es unweigerlich mit sich brachte, daß er vor aller Augen zu einem Blobel wurde.
Das Verhältnis zu seinen Kollegen wurde dadurch nicht unbedingt besser.
Auch jetzt wieder, um acht Uhr abends, spürte er deutlich die kommende Verwandlung. Er trank hastig die Tasse aus, setzte sie auf den Tisch – und spürte, daß er zu einem formlosen Klumpen zusammensank. Das Telephon klingelte.
»Ich habe keine Zeit«, rief er. Das Mikrophon nahm den undeutlich gemurmelten Satz auf und gab ihn an den Anrufer weiter. Unterdessen war Munster zu einer durchsichtigen, gallertartigen Masse geworden, die in der Mitte des Teppichs ruhte. Er wälzte sich auf das Telephon zu, das noch immer klingelte, und streckte mit großer Mühe ein Pseudopodium aus, um den Hörer abzuheben. Dann formte er seine plastische Körpermasse zu einer Art Stimmorgan, das dumpf und gepreßt klang. »Ich bin beschäftigt«, murmelte er in die Sprechmuschel. »Rufen Sie später an.« Am besten erst morgen früh, wenn ich wieder ein richtiger Mensch bin, hätte er beinahe hinzugefügt.
Dann herrschte wieder Ruhe.
Munster schlängelte sich durch den Raum zu einem Fenster hinüber, von dem aus man weit über die Dächer von San Franzisko sah. Eine lichtempfindliche Stelle an seiner Körperoberfläche ersetzte die Augen zwar nur unzulänglich, aber trotzdem erkannte er zumindest in großen Umrissen die Bucht, die Golden Gate Bridge und Alcatraz Island.
Der Teufel soll alles holen, dachte er resigniert. Warum kann ich nicht ein normales Leben führen, wie es Millionen Amerikaner tun?
Als er den Auftrag angenommen hatte, war er völlig ahnungslos gewesen, daß dieser Dauereffekt zurückbleiben würde. Man hatte ihm gesagt, daß er nur »eine gewisse Zeit lang« als Blobel leben müsse. Eine gewisse Zeit lang! dachte Munster wütend. Jetzt ist es schon elf Jahre her. Und die psychologischen Probleme hatten sich als immer schwieriger erwiesen. Deshalb hatte er heute Dr. Jones aufgesucht, sich Hilfe erhoffend.
Das Telephon klingelte wieder.
»Okay«, sagte Munster laut und kroch mühsam darauf zu. »Wenn Sie unbedingt mit mir sprechen wollen, dann sollen Sie mich sogar sehen können.« Er drückte auf den Knopf, der die Aufnahmekamera in Betrieb setzte. »Machen Sie die Augen gut auf«, empfahl er und präsentierte sich in seiner ganzen amorphen Schönheit.
Dr. Jones war am Apparat. »Tut mir leid, daß ich Sie zu Hause stören muß, Mr. Munster, besonders da Sie sich augenblicklich in dieser – äh – mißlichen Verfassung befinden.« Der homöostatische Therapeut machte eine kurze Pause. »Aber ich habe mich ausführlich mit Ihrem Problem beschäftigt und glaube, daß ich zumindest eine Teillösung gefunden habe.«
»Was?« meinte Munster überrascht. »Wollen Sie damit sagen, daß die medizinische Wissenschaft jetzt einen Weg gefunden hat …«
»Nein, nein«, unterbrach Dr. Jones ihn hastig. »Die rein physikalischen Aspekte fallen nicht in mein Gebiet; daran müssen Sie immer denken, Mr. Munster. Es handelt sich eher um die psychologische Anpassung, die in Ihrem Fall …«
»Am besten komme ich gleich zu Ihnen, Doktor«, schlug Munster aufgeregt vor. Aber dann fiel ihm ein, daß das unmöglich war, denn in seiner jetzigen Form hätte er Tage gebraucht, um sich bis zu der Praxis des Arztes durch die Stadt zu schlängeln. »Dr. Jones«, sagte er verzweifelt, »Sie sehen selbst, wie ich darunter leide. Von ungefähr acht Uhr abends bis gegen sieben Uhr morgens bin ich in diesem verdammten Appartement gefangen. Ich kann nicht einmal …«
»Beruhigen Sie sich doch, Mr. Munster«, warf Dr. Jones ein. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie nicht der einzige sind, der diesen Zustand ertragen muß?«
Munster seufzte. »Natürlich. Insgesamt wurden dreiundachtzig Terraner während des Kriegs in Blobels verwandelt. Einundsechzig von ihnen überlebten, und jetzt gibt es eine Vereinigung, die Veteranen unnatürlicher Kriege heißt, der fünfzig von diesen Überlebenden angehören. Ich übrigens auch. Wir treffen uns zweimal im Monat und verwandeln uns gemeinsam …« Er wollte aufhängen. Das war also alles, was er für sein Geld bekommen hatte – diese enttäuschende Nachricht. »Auf Wiedersehen, Doktor«, murmelte er.
Dr. Jones summte verärgert. »Mr. Munster, ich habe nichts von Terranern gesagt. Meine Erkundigungen haben ergeben, daß während des Krieges fünfzehn Blobels in Pseudo-Terraner verwandelt wurden, um für die andere Seite zu spionieren. Verstehen Sie das?«
»Nicht richtig«, sagte Munster nach einer Pause.
»Sie wollen sich nur nicht helfen lassen«, warf Dr. Jones ihm vor. »Aber hören Sie mir trotzdem zu. Ich möchte, daß Sie mich morgen früh um elf Uhr aufsuchen. Dann können wir noch einmal darüber sprechen. Guten Abend.«
»Entschuldigen Sie bitte, Doktor«, bat Munster. »Wenn ich mich in einen Blobel verwandelt habe, denke ich immer etwas langsamer. Gut, ich komme morgen.« Er legte auf. So, dann gab es also fünfzehn Blobels, die im Augenblick auf Titan herumliefen und ihre menschliche Gestalt nicht loswerden konnten. Und was hatte er davon?
Vielleicht erhielt er die Antwort morgen um elf.
Als er am nächsten Morgen das Wartezimmer des Psychotherapeuten betrat, fiel sein Blick auf eine außergewöhnlich attraktive junge Dame, die in einem der Sessel saß. Sie las in der neuesten Ausgabe des Magazins Fortune.
Er wählte instinktiv einen solchen Sessel, von dem aus er sie beobachten konnte, während er angeblich ebenfalls eine Zeitschrift las. Einige Minuten später hob sie jedoch plötzlich den Kopf und erwiderte seinen Blick mit einem frostigen Lächeln.
»Die Warterei ist immer ziemlich langweilig, finden Sie nicht auch?« murmelte Munster.
»Kommen Sie oft zu Dr. Jones?« erkundigte sich die junge Frau.
»Nein«, gab er zu. »Heute erst das zweite Mal.«
»Ich bin auch noch nie bei ihm gewesen«, sagte sein Gegenüber. »Aber gestern abend rief mein Psychotherapeut – Dr. Bing in Los Angeles – mich an und empfahl mir, heute morgen hierher zu fliegen und Dr. Jones aufzusuchen. Ist er gut?«
»Hmm«, meinte Munster. »Vermutlich.« Das werden wir bald erfahren, dachte er. Genau das können wir nämlich noch nicht beurteilen.
Die Tür des Sprechzimmers öffnete sich, und Dr. Jones wurde sichtbar. »Miß Arrasmith«, sagte er und nickte der jungen Frau zu. »Mr. Munster.« Diesmal wurde George mit einem Kopfnicken bedacht. »Kommen Sie doch gleich beide herein.«
»Wer bezahlt denn dann die zwanzig Dollar?« wollte Miß Arrasmith wissen, als sie sich erhob.
Aber der Psychotherapeut schwieg; er hatte sich ausgeschaltet.
»Ich zahle«, erklärte Miß Arrasmith und suchte in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie.
»Nein, nein«, widersprach Munster. »Lassen Sie mich das erledigen.« Er holte ein Zwanzigdollarstück aus der Tasche und steckte es in den Schlitz. »Sie sind ein Kavalier, Mr. Munster«, sagte Dr. Jones sofort. Er führte sie lächelnd in sein Sprechzimmer. »Setzen Sie sich doch, bitte. Miß Arrasmith, darf ich Mr. Munster Ihre – äh – etwas prekäre Lage erläutern?« Sie nickte stumm. »Miß Arrasmith ist ein Blobel«, fuhr Dr. Jones zu Munster gewandt fort.
Munster starrte die junge Frau sprachlos an.
»Allerdings«, sprach Dr. Jones weiter, »im Augenblick in menschlicher Form. Für Miß Arrasmith ist das ein unfreiwilliger Zustand, über den sie keineswegs erfreut ist. Während des Kriegs war sie als Spionin auf der Erde, wurde gefangengenommen und vor Gericht gestellt. In der Zwischenzeit war jedoch der Krieg zu Ende gegangen, so daß es zu keiner Verurteilung mehr kam.«
»Sie haben mich damals entlassen«, sagte Miß Arrasmith mit mühsam beherrschter Stimme. »Ich blieb dann hier, weil ich mich schämte. Ich konnte in diesem Zustand einfach nicht mehr zurück …«
»Für jeden Blobel ist diese Verwandlung äußerst beschämend«, warf Dr. Jones erklärend ein.
Miß Arrasmith nickte und fuhr sich mit einem winzigen Taschentuch über die Augen. »Richtig, Doktor. Schließlich brachte ich es doch über mich, kurzzeitig in meine Heimat zurückzukehren, um mich einer Behandlung zu unterziehen. Die besten Ärzte bemühten sich um mich, konnten aber nur eine teilweise Besserung herbeiführen. Ein Viertel des Tages befinde ich mich in meiner richtigen Gestalt, aber die anderen drei Viertel …« Sie senkte den Kopf.
»Hören Sie, da haben Sie aber Glück!»‹ protestierte Munster. »Der menschliche Körper ist dem eines Blobels in jeder Beziehung überlegen. Ich muß es schließlich wissen. Als Blobel kann man sich nur kriechend fortbewegen. Man gleicht einer großen Qualle, weil das stützende Knochengerüst fehlt. Und Zellteilung – was ist das schon im Vergleich mit der menschlichen Form … Sie wissen schon. Fortpflanzung, meine ich.« Er wurde rot.
Dr. Jones tickte leise vor sich hin.
»Ungefähr sechs Stunden pro Tag sind Sie beide gleichzeitig Menschen«, stellte er fest. »Und etwa eine Stunde lang Blobels. Insgesamt ergibt das sieben Stunden von vierundzwanzig, in denen Sie gleiche Körperformen besitzen.« Er spielte mit seinem Bleistift. »Meiner Meinung nach sind sieben Stunden gar nicht so übel, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
Miß Arrasmith überlegte. »Aber Mr. Munster und ich sind doch natürliche Feinde«, wandte sie dann ein.
»Das ist schon Jahre her«, meinte Munster.
»Richtig«, stimmte Dr. Jones zu. »Sie befinden sich beide in einer ähnlichen Lage, obwohl Miß Arrasmith eigentlich ein Blobel ist, während Sie, Mr. Munster, im Grunde genommen Terraner sind. Dieser Zustand wird sich im Lauf der Zeit als so untragbar erweisen, daß Sie gemütskrank werden – falls Sie sich nicht auf irgendeine Weise gegenseitig helfen.« Er tickte weiterhin leise und schwieg.
»Ich finde, daß wir Glück gehabt haben, Mr. Munster«, begann Miß Arrasmith leise. »Wie Dr. Jones eben sagte, stimmen wir sieben Stunden pro Tag miteinander überein. Das ist wesentlich besser als unsere gegenwärtige Isolation.« Sie lächelte ihn hoffnungsvoll an und steckte das Taschentuch wieder fort.
Munster starrte sie an und überlegte.
»Lassen Sie ihm etwas Zeit«, riet Dr. Jones der jungen Frau. »Ich weiß, daß er sich schließlich zu dem richtigen Entschluß durchringen wird.«
Miß Arrasmith wartete lächelnd.
Einige Jahre später klingelte das Telephon auf Dr. Jones’ Schreibtisch. Er antwortete wie gewohnt: »Bitte, Sir oder Madam, werfen Sie zwanzig Dollar ein, wenn Sie mit mir sprechen möchten.«
Eine männliche Stimme drang aus dem Hörer. »Hier spricht die Rechtsabteilung der Vereinten Nationen, und wir geben keinen Cent aus, wenn wir mit jemand sprechen wollen. Legen Sie den Schalter um, Jones.«
»Jawohl, Sir«, sagte Dr. Jones und betätigte den kleinen Hebel hinter seinem rechten Ohr, der das Zählwerk ausschaltete.
»Haben Sie im Jahre 2037 einem Paar den Rat erteilt, es solle so rasch wie möglich heiraten?« erkundigte sich der Jurist. »Einem George Munster und einer Vivian Arrasmith, jetzt Mrs. Munster?«
»Ja, natürlich«, antwortete Dr. Jones, nachdem er seinen Zahlenspeicher überprüft hatte.
»Haben Sie sich damals wegen der gesetzlichen Vorschriften keine Gedanken gemacht?«
»Hmm, das fällt nicht unter meine Zuständigkeit«, meinte Dr. Jones.
»Sie können aber bestraft werden, wenn Sie Maßnahmen empfehlen, die mit den bestehenden Gesetzen unvereinbar sind.«
»Ich kenne kein Gesetz, das eine Ehe zwischen Blobels und Terranern verbietet.«
»Schon gut, Doktor«, lenkte der andere ein. »Ich bin auch mit einem Blick auf Ihre Aufzeichnungen über diesen Fall zufrieden.«
»Das kann ich auf gar keinen Fall zulassen«, protestierte Dr. Jones. »Als Arzt bin ich verpflichtet, keine und wenn noch so …«
»Dann erwirken wir eben eine einstweilige Verfügung und beschlagnahmen das Zeug«, drohte der Rechtsexperte.
»Bitte, versuchen Sie es ruhig.« Dr. Jones wollte sich abschalten.
»Warten Sie einen Augenblick. Vielleicht interessiert es Sie, daß die Munsters jetzt vier Kinder haben. Und nach den revidierten Mendelschen Gesetzen ist das Verhältnis genau eins zu zwei zu eins. Ein Blobelmädchen, ein hybrider Junge, ein hybrides Mädchen, ein Terranerjunge. Die Angelegenheit wird dadurch kompliziert, daß die Oberste Ratsversammlung das Mädchen als Staatsbürgerin des Titan ansieht und gleichzeitig behauptet, daß auch einer der beiden Hybriden die titanische Staatsbürgerschaft erhalten müsse.« Der Jurist machte eine bedeutungsvolle Pause. »Sehen Sie, mit der Ehe der Munsters ist nicht mehr alles in Ordnung. Sie wollen sich scheiden lassen, und wir sollen ein Gutachten darüber erstellen, welche Gesetze auf sie und ihre gemeinsamen Kinder zutreffen.«
»Das ist bestimmt nicht einfach«, gab Dr. Jones zu. »Warum ist die Ehe überhaupt auseinandergegangen?«
»Ich weiß es nicht, und außerdem ist es mir auch gleichgültig. Wahrscheinlich haben sie die dauernden Verwandlungen nicht mehr ertragen. Wenn Sie glauben, daß Sie ihnen helfen können, rufen Sie doch ruhig einmal bei ihnen an.« Der Mann von der Rechtsabteilung legte auf. Dr. Jones überlegte, ob er tatsächlich einen Fehler gemacht hatte, als er den beiden zur Ehe riet. Sollte er sie nicht doch anrufen? Vielleicht war er ihnen zumindest das schuldig.
Er schlug das Telephonbuch von Los Angeles auf und suchte unter dem Buchstaben M nach.
Für die Munsters waren die vergangenen sechs Jahre nicht leicht gewesen.
Zunächst war George von San Franzisko nach Los Angeles umgezogen. Vivian und er hatten nur unter großen Mühen ein Kondominium-Appartement mit drei Räumen ausfindig gemacht, in dem sie sich wohnlich einrichteten. Nachdem Vivian achtzehn Stunden pro Tag menschliche Gestalt besaß, hatte sie eine gute Stellung bekommen; sie arbeitete in der Information des Flughafens Los Angeles – in aller Öffentlichkeit. George jedoch …
Seine Pension betrug nur ein Viertel des Gehalts, das seine Frau erhielt, und er war sich dieser Tatsache peinlich bewußt. Auf der Suche nach einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit hatte er in einer Zeitschrift folgende Anzeige entdeckt:
WOLLEN SIE IN KÜRZESTER ZEIT VIEL GELD IN IHREM EIGENEN KONDO VERDIENEN? ZÜCHTEN AUCH SIE UNSERE RIESENOCHSENFRÖSCHE VOM JUPITER, DIE BIS ZU ZWANZIG METER WEIT SPRINGEN! AUSGEZEICHNET FÜR WETTBEWERBE! GEEIGNET UND …
Im Jahre 2038 hatte er also ein Paar Riesenochsenfrösche erworben und hatte mit der Aufzucht in einer Kellerecke begonnen, die Leopold, der homöostatische Hausmeister, ihm aus Gefälligkeit zur Verfügung gestellt hatte. Wie zu erwarten gewesen war, endete das Unternehmen mit einem völligen Fiasko, als sich herausstellte, daß in Wirklichkeit keinerlei Interesse für Wettbewerbe im Froschweitspringen bestand.
Und dann kam ihr erstes Kind auf die Welt – ein vollblütiges Blobelmädchen, das vierundzwanzig Stunden am Tag aus einer gelatineartigen Masse bestand. George beobachtete es vergeblich; das Kind nahm keine Sekunde lang menschliche Gestalt an.
Als Vivian und er wieder einmal gemeinsam Menschen waren, machte er ihr deswegen heftige Vorwürfe.
»Wie kann ich dieses Wesen überhaupt als mein Kind ansehen?« fragte er sie. Er war entmutigt und zugleich erschreckt. »Dr. Jones hätte das vorhersehen müssen. Vielleicht ist es dein Kind – es sieht dir jedenfalls ähnlich.«
Vivians Augen füllten sich mit Tränen. »Du meinst das verletzend.«
»Und wie! Schließlich haben wir euch damals den Kampf angesagt. Für uns wart ihr nicht besser als ganz gewöhnliche Quallen.« Er zog sich den Mantel an. »Ich gehe jetzt in das Versammlungslokal der Veteranen unnatürlicher Kriege«, teilte er seiner Frau mit. Kurze Zeit später saß er mit seinen alten Kameraden bei einem Glas Bier zusammen und freute sich, daß er aus dem Appartementhaus heraus war.
Das Gebäude, das die VUK für sich gemietet hatten, stand in einem der ältesten Bezirke von Los Angeles, war halb zerfallen und hätte dringend einen neuen Anstrich gebraucht. Aber die VUK verfügten nur über sehr beschränkte Mittel, weil die meisten Mitglieder von beschämend kleinen Pensionen leben mußten. George ging gern dorthin, um ein Glas Bier zu trinken und mit seinen Freunden Schach zu spielen – entweder als Mensch oder als Blobel; in diesen Räumen wurden beide ohne weiteres akzeptiert.
An diesem Abend saß er mit Pete Ruggles zusammen, einem Kameraden, der ebenfalls eine Frau hatte, die sich wie Vivian zeitweise in einen Blobel verwandelte.
»Pete, so kann es mit mir nicht mehr lange weitergehen. Ich habe mir immer Kinder gewünscht – und was habe ich jetzt? Ein komisches Wesen, das wie eine Qualle aussieht.«
Pete – auch er befand sich gerade in menschlicher Gestalt – trank nachdenklich einen Schluck Bier. »Mein Gott, George, ich gebe zu, daß du es nicht leicht hast. Aber du mußt doch gewußt haben, was dich erwartete, als du sie geheiratet hast. Und das nächste Kind …«
George schüttelte den Kopf und unterbrach ihn. »Ich wollte sagen, daß ich keinerlei Respekt mehr vor meiner eigenen Frau empfinde. Das ist der springende Punkt. Ich sehe sie als Ding an. Und mich selbst ebenfalls. Wir sind beide Dinge.« Er leerte sein Glas mit einem Zug.
Pete sah ihn von der Seite an. »Aber vom Standpunkt eines Blobels aus gesehen …«
»Hör zu, auf welcher Seite stehst du eigentlich?« wollte George wissen.
»Schrei mich nicht an«, sagte Pete.
Einen Augenblick später befanden sie sich mitten in der schönsten Rauferei. Glücklicherweise verwandelte Pete sich vor Aufregung in einen Blobel, so daß niemand zu Schaden kam. Er kroch fort, und George bestellte sich noch ein Bier.
Ich muß zu Vivian zurück, beschloß er. Was sollte ich sonst tun? Ein Glück, daß ich sie überhaupt habe; sonst wäre ich nur einer von diesen Saufbolden hier, die den Kummer über ihr verpfuschtes Leben in Bier zu ertränken versuchen.
Er hatte einen neuen Plan, mit dem er viel Geld zu verdienen hoffte. Dabei handelte es sich um ein Versandgeschäft von seinem Appartement aus; er hatte bereits folgende Anzeige in der Saturday Evening Post aufgegeben:
ZAUBERKRISTALLE, DIE GLÜCK IN ALLEN LEBENSLAGEN BRINGEN. AUS EINEM BISHER NICHT ZUGÄNGLICHEN SONNENSYSTEM IMPORTIERT!
Die winzigen Kristalle stammten von Proxima, von wo er sie durch Vivians Vermittlung bei ihren Leuten bezogen hatte. Aber bisher hatten nur wenige Interessenten die zwei Dollar eingeschickt.
Glücklicherweise erwies sich das nächste Kind, das im Winter des Jahres 2039 auf die Welt kam, als hybrid. Zwölf Stunden pro Tag nahm es menschliche Gestalt an, und so hatte George endlich ein Kind, das – wenigstens gelegentlich – seiner eigenen Rasse angehörte.
Er feierte gerade die Geburt des Kindes, das den Namen Maurice erhalten hatte, als eine Delegation von Nachbarn aus dem Gebäude QEK-604 erschien und an die Tür klopfte.
»Wir haben eine Unterschriftensammlung veranstaltet«, erklärte ihm der Anführer der Leute und trat dabei verlegen von einem Fuß auf den anderen, »weil wir alle dafür sind, daß Sie und Mrs. Munster ausziehen.«
»Aber warum denn nur?« fragte George verblüfft. »Bisher hat sich doch noch nie jemand über uns beschwert.«
»Wir möchten nicht, daß unsere Kinder später mit Ihrem Jüngsten …«
George schlug ihnen wütend die Tür vor der Nase zu.
Aber trotzdem spürte er eine feindselige Einstellung der Nachbarn seiner Familie gegenüber, die ihn auf Schritt und Tritt zu verfolgen schien. Und dabei habe ich für diese Leute gekämpft, dachte er. So sieht also der Dank des Vaterlandes aus!
Einige Tage später saß er in dem VUK-Gebäude mit seinem Freund Sherman Downs zusammen, der ebenfalls eine Blobel geheiratet hatte.
»Sherman, es hat keinen Sinn. Wir sind unerwünscht; wir müssen auswandern. Vielleicht versuchen wir es auf Vivians Heimatplaneten.«
»Unsinn«, protestierte Sherman. »Ich hätte nie gedacht, daß du so schnell aufgibst, George. Ist denn dein elektromagnetischer Schlankheitsgürtel kein geschäftlicher Erfolg?«
Seit einigen Monaten beschäftigte George sich mit dem Vertrieb einer komplizierten elektronischen Apparatur, die er mit Vivians Hilfe gebaut hatte; im Prinzip handelte es sich dabei um ein von den Blobels benutztes Gerät, das aber auf der Erde noch nicht bekannt war. Das Geschäft ließ sich nicht schlecht an. George hatte bereits zahlreiche Bestellungen entgegengenommen. Aber …
»Mir ist etwas Schreckliches passiert, Sherman«, vertraute er seinem Freund an. »Neulich war ich in einer Drogerie, wo ich einen größeren Auftrag über Schlankheitsgürtel bekam, und darüber war ich so aufgeregt …« Er zuckte mit den Schultern. »Du kannst dir ja denken, was dann geschah. Ich verwandelte mich in aller Öffentlichkeit in einen Blobel. Und als der Drogist das sah, zog er seine Bestellung zurück. Du hättest sehen sollen, wie entsetzt er war!«
»Warum stellst du nicht jemand ein, der das Zeug für dich verkauft?« schlug Sherman vor. »Einen vollblütigen Terraner, meine ich.«
»Ich bin ein vollblütiger Terraner«, sagte George mit heiserer Stimme. »Vergiß das gefälligst nicht!«
»Ich meinte nur …«
»Ich weiß genau, was du gemeint hast«, unterbrach ihn George. Er holte zu einem Schlag gegen Sherman aus. Glücklicherweise traf er ihn nicht, und in der Aufregung verwandelten beide sich in Blobels. Sie krochen wütend aufeinander zu, aber die anderen Veteranen brachten sie wieder auseinander.
»Ich bin ein ebenso guter Terraner wie jeder andere«, teilte George Sherman auf telepathischem Wege mit, denn alle Blobels verständigten sich auf diese Weise untereinander. »Und ich verpasse jedem einen Kinnhaken, der etwas anderes behauptet.«
Als Blobel konnte er nicht mehr nach Hause; er mußte Vivian anrufen, damit sie ihn abholte. Das war beschämend.
Selbstmord, entschloß er sich. Die einzig richtige Lösung.
Wie ließ sich dieses Vorhaben verwirklichen? Als Blobel empfand er keine Schmerzen, deshalb war das der beste Zeitpunkt. Bestimmte chemische Mittel lösten jeden Blobelkörper auf … er brauchte sich zum Beispiel nur in das mit Chlor versetzte Wasser des Schwimmbeckens in dem Appartement Gebäude QEK-604 zu stürzen.
Vivian – in menschlicher Form – entdeckte ihn eines Abends, als er zögernd am Rand des Schwimmbeckens entlangkroch.
»George, ich bitte dich – du mußt noch einmal zu Dr. Jones gehen!«
»Nein«, erklang es dumpf durch den Stimmapparat, den er aus einem Teil seiner Körpermasse formte. »Es hat keinen Sinn mehr, Vivian. Ich will einfach nicht mehr weiterleben.’‹ Jeder Tag machte das Unglück deutlicher. Andererseits konnte ein letzter Versuch nicht schaden.
»Schön, ich werde mich morgen noch einmal erkundigen«! entschloß er sich. »Vielleicht gibt es eine neue Methode, mit deren Hilfe ich mich stabilisieren lassen kann.«
»Aber was wird aus mir, wenn du als Terraner stabilisiert wirst?« wollte Vivian wissen.
»Dann hätten wir achtzehn Stunden pro Tag gemeinsam!«
»Aber du würdest bestimmt nicht mit mir verheiratet bleiben wollen, George. Dann könntest du dir eine Frau suchen, die immer ein Mensch ist.«
Das wäre ihr gegenüber nicht fair, überlegte er sich. Deshalb ließ er den Gedanken fallen.
Im Frühjahr des Jahres 2041 kam ihr drittes Kind auf die Welt – ein Mädchen, das wie Maurice eine Hybride war. Es war nachts eine Blobel und tagsüber ein Mensch.
Unterdessen hatte George eine Lösung für einige seiner Probleme gefunden. Er hatte sich eine Geliebte genommen und fühlte sich glücklich dabei.
Nina Glaubman und er trafen sich regelmäßig in einem schäbigen Hotel im Herzen von Los Angeles, wo sie sicher sein konnten, daß niemand ihre Anwesenheit zur Kenntnis nahm. George hatte es unterdessen zu einer kleinen Fabrik mit fünfzehn Angestellten gebracht und hätte ein wohlhabender Mann sein können, wenn die Steuern etwas niedriger gewesen wären. Er überlegte sich gelegentlich, wie hoch sie auf den von Blobels bewohnten Planeten sein mochten – auf Io, zum Beispiel.
Eines Abends unterhielt er sich mit Reinholt in der Bar des VUK-Gebäudes darüber. Reinholt Glaubman war Ninas Mann.
»Reinholt«, sagte George in sein Bierglas hinein, »ich habe große Pläne. Dieser Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre-Sozialismus, den die Vereinten Nationen eingeführt haben – das ist nichts für mich. Er beengt mich zu sehr. Der Munster-Gürtel ist auf die Dauer zu teuer, als daß man ihn auf der Erde herstellen könnte. Verstehst du, was ich sagen will?«
Reinholt sah ihn kalt an. »Aber, George, du bist doch ein Terraner. Wenn du deine Fabrik auf einen Blobelplaneten verlegst, verrätst du dein …«
»Hör zu«, unterbrach George ihn. »Ich habe ein Blobelkind, zwei Mischlinge, und ein viertes ist unterwegs. Ich fühle mich mit diesen Leuten dort draußen auf Titan und Io gefühlsmäßig verbunden.«
»Du bist ein Verräter«, stellte Reinholt fest und schlug ihm ins Gesicht. »Und nicht nur das«, fuhr er fort, während er George einen Magenschlag versetzte, »du treibst dich auch mit meiner Frau herum. Am liebsten möchte ich dich auf der Stelle umbringen.«
George verwandelte sich rasch in einen Blobel; Reinholts Boxhiebe drangen tief in die gallertartige Masse ein, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Dann verwandelte auch Reinholt sich und kroch auf George zu, als wolle er dessen Zellkern zerstören.
Glücklicherweise rissen die übrigen die beiden auseinander, bevor Reinholt seinen Plan verwirklichen konnte.
Einige Stunden später saß George mit Vivian in ihrem Achtzimmerappartement zusammen, das sie in dem neuerbauten Gebäude ZGF-900 bewohnten. Vielleicht war dies bereits ihr letzter gemeinsam verbrachter Abend, denn Reinholt würde natürlich Vivian von Georges Verhältnis mit Nina erzählen – und dann …
»Vivian«, sagte er, »du mußt mir glauben; ich liebe dich. Du und die Kinder – und die Gürtelfabrik, das versteht sich – sind mein ganzes Leben.« Er hatte eine verzweifelte Idee. »Warum wandern wir nicht auf der Stelle aus? Komm, wir packen unser Zeug ein, nehmen die Kinder mit und fliegen zum Titan!«
»Ich kann nicht«, antwortete Vivian. »Ich weiß, wie man uns dort behandeln würde. George, du kannst ja gehen. Verlege die Fabrik nach Io. Ich bleibe hier.« In ihren Augen standen Tränen.
»Das ist doch keine Ehe mehr«, protestierte George. »Und wer soll die Kinder bekommen?« Wahrscheinlich würden sie Vivian zugesprochen werden. Aber seine Firma verfügte über die besten Rechtsanwälte – vielleicht konnten sie ihm bei der Lösung dieses häuslichen Problems behilflich sein.
Die Blobels, die sich zu dieser Zeremonie versammelt hatten, brachen in lautlosen Beifall aus, den sie auf telepathischem Wege übertrugen.
»Dies ist der stolzeste Tag meines Lebens«, teilte George Munster ihnen mit und kroch auf seinen Wagen zu, in dem der Chauffeur auf ihn wartete, um ihn in sein Hotel in Io City zu fahren.
Eines Tages würde das Hotel ihm gehören. Er legte die Gewinne seiner Firma in Immobilien in Io City an. Das war nicht nur äußerst patriotisch, sondern auch erfreulich profitabel, hatte er von anderen Blobels erfahren.
»Endlich bin ich ein erfolgreicher Mann«, sagte George Munster zu allen denen, die nahe genug standen, um seine telepathisch vorgebrachten Worte aufnehmen zu können.
Der Beifall der Menge umrauschte ihn unhörbar, als er die Rampe zu seinem Wagen hinaufkroch.
Am folgenden Morgen erfuhr Vivian von seiner Affäre mit Nina. Und nahm sich selbst einen erstklassigen Rechtsanwalt.
»Hören Sie«, sagte George am Telephon zu seinem Anwalt, Dr. Henry Ramarau. »Verschaffen Sie mir die Vormundschaft über das vierte Kind; es wird bestimmt ein Terraner. Und wegen der beiden Hybriden werden wir einen Kompromiß schließen. Ich nehme Maurice, und sie kann Kathy behalten. Die Blobel – das sogenannte erste Kind – überlasse ich ihr mit Vergnügen.« Er legte den Hörer auf und wandte sich wieder an seine Direktoren. »Was hat also die eingehende Analyse der Steuergesetze auf Io ergeben?«
Im Laufe der nächsten Wochen wurde immer deutlicher, daß die geplante Verlegung der Fabrik vom geschäftlichen Standpunkt aus äußerst empfehlenswert war.
»Sehen Sie zu, daß Sie ein geeignetes Grundstück erwischen«, wies George seinen Vertreter Tom Hendricks an. »Und kaufen Sie es billig. Wir müssen die Sache gleich richtig aufziehen.«
Dann kam Miß Nolan, seine Sekretärin, herein und teilte ihm mit, daß ein gewisser Dr. Jones angerufen hatte, während George nicht gestört werden wollte, weil er sich mit Tom Hendricks unterhielt.
»Der Teufel soll mich holen«, meinte George überrascht, als er sechs Jahre zurückdachte. »Er müßte doch schon längst auf dem Schuttabladeplatz gelandet sein.« Er nickte Miß Nolan zu. »Rufen Sie Dr. Jones an und benachrichtigen Sie mich, wenn er am Apparat ist. Ich werde mir eine Minute frei nehmen, um mit ihm zu sprechen.« Er erinnerte sich an die gute alte Zeit in San Franzisko.
Kurze Zeit später hatte Miß Nolan die Verbindung hergestellt.
»Doktor«, sagte George, während er sich über den Schreibtisch lehnte, um an einer Orchidee zu riechen, »nett, daß Sie sich wieder einmal melden!«
Die Stimme des homöostatischen Therapeuten klang überrascht. »Mr. Munster, ich höre, daß Sie jetzt eine Sekretärin haben.«
»Richtig«, bestätigte George. »Ich bin Unternehmer geworden. Meine Firma stellt Schlankheitsgürtel her; sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Flohkragen, die man Katzen umlegt. Nun, was kann ich für Sie tun, Doktor?«
»Sie haben vier Kinder …«
»Eigentlich erst drei, aber das vierte ist unterwegs. Hören Sie, Doktor, das vierte Kind wird als Terraner auf die Welt kommen, und ich tue alles, um mir das Erziehungsrecht darüber zu sichern. Vivian – Sie erinnern sich noch an sie – ist auf und davon gegangen. Zu ihren Leuten zurück, wohin sie gehört. Und ich bezahle die besten Ärzte, damit sie mich endlich stabilisieren. Ich habe die ewigen Veränderungen satt; der Unsinn kostet zuviel Zeit.«
»Aus dem Ton Ihrer Stimme erkenne ich, daß Sie ein vielbeschäftigter Manager geworden sind, Mr. Munster«, fuhr Dr. Jones fort. »Ein steiler Aufstieg, seit ich Sie zum letzten Mal gesehen habe.«
»Kommen Sie endlich zur Sache, Doktor«, mahnte George recht ungeduldig.
»Ich – äh – ich dachte, ich könnte vielleicht Sie und Vivian wieder miteinander versöhnen.«
»Pah!« meinte George verächtlich. »Mit dieser Frau? Niemals. Hören Sie, Doktor, ich muß jetzt leider auflegen, weil ich bei einer wichtigen Besprechung anwesend sein muß.«
»Mr. Munster«, fragte Dr. Jones, »spielt in Ihren Überlegungen eine andere Frau eine Rolle?«
»Eine andere Blobel«, antwortete George, »falls Sie das gemeint haben sollten.« Er legte auf. »Zwei Blobels sind besser als gar keiner«, murmelte er vor sich hin. Und jetzt wieder zurück zum Geschäft. Er drückte auf einen Knopf, und Miß Nolan streckte ihren Kopf durch die Tür. »Verbinden Sie mich mit Dr. Ramarau, Miß Nolan«, ordnete George an. »Ich möchte herausbekommen, unter welchen Umständen …«
»Dr. Ramarau wartet auf dem zweiten Anschluß«, erklärte ihm seine Sekretärin. »Es sei dringend, sagt er.« George nahm den Hörer des zweiten Telephons auf. »Hallo, Ramarau«, begrüßte er den Rechtsanwalt. »Was gibt es denn?«
»Ich habe gerade entdeckt, daß Sie die titanische Staatsbürgerschaft annehmen müßten, wenn Sie Ihre Fabrik nach Io verlegen wollen.«
»Das dürfte sich doch arrangieren lassen«, meinte George.
»Aber jeder Staatsbürger muß …« Dr. Ramarau zögerte. »Ich will es Ihnen so schonend wie möglich beibringen, Mr. Munster. Sie müssen ein Blobel sein!«
»Verdammt nochmal, ich bin doch einer!« sagte George. »Wenigstens zeitweise. Genügt das nicht?«
»Nein«, antwortete Dr. Ramarau. »Ich habe mich darüber informiert, weil ich Ihren – äh – Zustand kenne, und Sie müßten tatsächlich ein hundertprozentiger Blobel sein. Tag und Nacht.«
»Hmmm«, machte George. »Das ist dumm. Aber irgendein Ausweg wird sich schon finden lassen. Hören Sie, Ramarau, ich fahre nachher zu Eddy Fullbright, meinem Hausarzt. Kann ich Sie dann noch einmal wegen dieser Sache anrufen?« Er legte auf und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Gut, wenn es unbedingt sein muß, entschied er sich. Tatsachen sind eben Tatsachen, und man darf sich nicht durch Nebensächlichkeiten abhalten lassen.
Er nahm den Telephonhörer ab und rief seinen Arzt Dr. Fullbright an.
Das Zwanzigdollarstück aus Platin fiel durch den Einwurfschlitz und schloß den Stromkreis. Dr. Jones begann zu summen, hob den Kopf und sah eine außergewöhnlich attraktive junge Frau vor sich. Nach einer kurzen Überprüfung seines Gedächtnisses erkannte er sie als Mrs. George Munster, ehemals Vivian Arrasmith. »Guten Morgen, Vivian«, begrüßte er sie herzlich. »Aber ich dachte, Sie seien schon nicht mehr auf der Erde.« Vivian fuhr sich mit einem Taschentuch über die Augen. »Dr. Jones, für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Mein Mann hat ein Verhältnis mit einer anderen Frau. Ich weiß nur, daß sie Nina heißt, und daß die Stammgäste im VUK-Gebäude sich schon darüber unterhalten. Angeblich soll sie eine Terranerin sein. Wir haben beide unsere Scheidung eingereicht. Und wir müssen uns vor Gericht wegen der Kinder auseinandersetzen.« Sie zog sich ihren leichten Mantel zurecht. »Ich erwarte noch eines. Unser viertes.«
»Das habe ich bereits erfahren«, sagte Dr. Jones. »Diesmal müßte es ein vollblütiger Terraner werden, wenn die revidierten Mendelschen Gesetze ihre Gültigkeit behalten haben – obwohl ich immer dachte, sie träfen nur auf Mehrlingsgeburten zu.«
Mrs. Munster seufzte. »Ich komme gerade von Titan zurück, wo ich mir bei allen möglichen Kapazitäten Rat geholt habe – bei Rechtsanwälten, Fachärzten und Erziehungsberatern. Jetzt bin ich wieder auf der Erde, kann aber George nicht mehr finden – er ist einfach verschwunden.«
»Ich würde Ihnen gern behilflich sein, Vivian«, versicherte ihr Dr. Jones. »Ich habe neulich mit Ihrem Mann gesprochen, aber er drückte sich nur sehr allgemein aus. Anscheinend ist er ein so vielbeschäftigter Manager geworden, daß er für alte Bekannte keine Zeit mehr hat.«
»Ich darf gar nicht daran denken, daß er die Idee von mir hat«, schluchzte Vivian.
»Die Ironie des Schicksals«, meinte Dr. Jones. »Aber wenn Sie Ihren Mann behalten wollen …«
»Das will ich unbedingt, Doktor. Deshalb habe ich mich auch der neuesten Behandlung unterzogen – weil ich ihn mehr als meine Leute oder meinen Heimatplaneten liebe.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte Dr. Jones verwundert.
»Ich habe mich stabilisieren lassen, Doktor. Jetzt bin ich vierundzwanzig Stunden pro Tag in menschlicher Gestalt. Ich habe meine natürliche Körperform abgelegt, um meine Ehe mit George zu retten.«
»Welches Opfer!« sagte Dr. Jones.
»Wenn ich ihn nur finden könnte, Doktor!«
Bei der Grundsteinlegung auf Io kroch George Munster auf die Schaufel zu, streckte ein Pseudopodium aus, ergriff damit den Stiel und warf etwas Erde in die offene Grube, wodurch die Formalitäten als erfüllt gelten konnten. »Heute ist ein großer Tag für uns alle«, dröhnte er dumpf mit Hilfe eines Stimmapparats, den er aus einem Teil seiner gelatineartigen Körpermasse geformt hatte.
»Richtig, Mr. Munster«, stimmte Henry Ramarau zu, der mit einer Dokumentenmappe neben ihm stand. Der ionische Staatsbeamte, der wie George aus einem durchsichtigen, formlosen Klumpen bestand, schlängelte sich zu Ramarau hinüber und nahm die Urkunden in Empfang. »Ich werde sie an die zuständigen Stellen weiterleiten«, dröhnte er. »Ich bin sicher, daß sie in bester Ordnung sind, Dr. Ramarau.«
»Dafür garantiere ich«, antwortete Ramarau. »Mr. Munster verwandelt sich nicht mehr in einen Terraner. Keine Sekunde lang, denn er hat die besten Ärzte aufgesucht, um sich in dieser Form stabilisieren zu lassen.«
