Dies war das ewi­ge Pro­blem al­ler Raum­schiffs­kö­che: Sie hat­ten den Leu­ten mor­gen das vor­zu­set­zen, was ges­tern ge­ges­sen wur­de!

 

Allen Kim Lang
Gourmet

 

Män­ner, weit­ab vom Schuß, was den Ba­se­ball be­trifft, und fer­ner noch der Wei­ber­rö­cke, Män­ner auf Schif­fen al­so, sie den­ken nur an eins, re­den nur über eins, mau­len nur über eins: ihr Es­sen. Es stimmt, das The­ma »Frau« bleibt Ge­gen­stand be­sinn­li­chen Stu­di­ums, doch ver­mag die Er­ör­te­rung ei­ner Kunst nie­mals die prak­ti­sche Aus­übung zu er­set­zen. Das Es­sen hin­ge­gen ist ei­ne Her­aus­for­de­rung, der Fah­rens­leu­te drei­mal pro Tag ins Au­ge se­hen, und von so emi­nen­ter Be­deu­tung für sie, daß ei­ne Ver­pfle­gungs­lis­te Auf­schluß über ein gan­zes Ka­pi­tel Schif­fahrts­ge­schich­te ge­ben kann.

Der­einst, bei­spiels­wei­se, als See­fah­rer noch In­seln kar­to­gra­phier­ten und auf Rob­ben­fang gin­gen, nann­ten sich die Män­ner der Back­schaft »Labs­kau­ser«, ein­ge­denk des breii­gen Misch­maschs, der zur da­ma­li­gen Zeit füh­rend war un­ter den See­manns­ge­rich­ten. Der »Li­mey« wie­der be­kam sei­nen Na­men vom Zi­trus­saft, der zur Skor­but­ver­hü­tung in sei­ne Kost ge­träu­felt wur­de, und zwar aus ei­ner Frucht, die wir nur als Gar­nie­rung für un­se­ren Gin-and-To­nic ken­nen. Und heut­zu­ta­ge wer­den wir Mars­leu­te »Schleim­köp­fe« ge­nannt, zu Eh­ren der Chlo­rel­la- und Sce­ne­des­mus-Al­gen, die, in­dem sie die klei­ne­ren Räu­me drin­nen ver­stop­fen, das Tor öff­nen zum grö­ße­ren Raum drau­ßen.

Soll­te ir­gend­ein Ebener­di­ger die ge­schicht­li­che Be­deu­tung von Ma­gen­fül­lern zur Dis­kus­si­on stel­len – lie­ge sie nun dar­in, daß die Wal­fi­sche aus­ge­rot­tet wur­den; oder die Fi­dschi-In­su­la­ner Be­kannt­schaft mit der Sy­phi­lis mach­ten; oder aber das aus­tra­li­sche Küs­ten­land nun von Kreu­zun­gen aus Midd­le­sex und Hamps­hi­re förm­lich wimm­le –, so sei er hin­ge­wie­sen auf das hun­dert­un­ders­te Ka­pi­tel von Mo­by Dick, ei­nem Buch, das spu­len­wei­se in den Ver­gnü­gungs­tanks al­ler Raum­er vor­liegt. Doch will ich stark an­neh­men, daß kein Mars­mann ma­so­chis­tisch ge­nug ist, die­ses Re­per­toire er­fri­schen­der Köst­lich­kei­ten durch­zua­ckern; nicht, ehe un­ser Land­gang vor der Tür steht, al­len­falls in der letz­ten Wo­che. Die Lek­tü­re ei­nes Ka­ta­logs über Dut­zen­de Fleisch- und Kä­se­sor­ten wür­de je­der­mann schwer im Ma­gen lie­gen, der da­zu ver­ur­teilt ist, sich mit Chlo­rel­la-Kul­tu­ren ab­zu­fin­den. Die Mann­schaft der Pe­quod aß wurm­sti­chi­gen Zwie­back und Gepö­kel­tes; Ni­mitz’ Leu­te kämpf­ten an­ge­füllt mit Boh­nen und Speck; die Tri­ton mach­te ih­re Un­ter­was­ser-Erd­um­schif­fung, und das bei ei­ner Kom­bü­se voll Piz­za und kon­zen­trier­tem Ap­fel­saft. Dann aber, als die Schif­fer Mee­re ge­gen Him­mel ein­tausch­ten, be­gann der große Ab­stieg.

Wel­che An­nehm­lich­keit des ebener­di­gen Da­seins zu­al­ler­erst ge­stri­chen wer­den soll­te, lag auf der Hand: ver­nünf­ti­ges Es­sen! Die Pio­nie­re des Va­ku­ums schlürf­ten Pro­te­in­säf­te aus Alu­mi­ni­um­tu­ben – und über­glück­lich kehr­ten sie heim zu Mut­ters Kochtöp­fen.

 

Lan­ge be­vor ich auf der Uni war und es mich da­nach juck­te, durch ein Bull­au­ge ins All zu bli­cken, hat­te die Kom­bü­sen­wis­sen­schaft das Ex­or­di­um von Je­sa­ja 36I12 er­füllt, näm­lich den Schleim­köp­fen zum heu­ti­gen Früh­stück das auf­zu­ti­schen, was Vor­vor­ges­terns Tel­ler­res­te und Ab­wasch­was­ser wa­ren.

Der Schiffs­koch, je­ner Mann, der das täg­li­che Wun­der voll­bringt, Ab­fall zu Eß­ba­rem zu ver­wan­deln, ist in vie­ler­lei Hin­sicht die wich­tigs­te Per­son an Bord ei­nes Raum­ers. Er kann für ge­sun­de Mo­ral sor­gen oder aber ei­ne Meu­te­rei an­fa­chen. Sei­ne Macht ist enorm. Schleim­köp­fe er­in­nern sich noch gut des Fias­kos, bei­spiels­wei­se, auf dem Schiff Ih­rer Ma­je­stät, Ajax, wo ein Kom­bü­sen­jun­ge sei­ne Chlo­rel­la-Tanks mit schwe­rem Was­ser von der Ab­schir­mung des Schif­fes ni­vel­lier­te … Vier Of­fi­zie­re und ein­und­zwan­zig Mann­schaf­ten wur­den im tie­fen Raum aus der Ajax ge­bor­gen, halb tot durch Deu­te­ri­um­ver­gif­tung. Auch wis­sen wir um die Ben­jo Ma­ru-Af­fä­re, aus­ge­löst von ei­nem Schiffs­koch, der zuließ, daß sein Al­gen-Le­bens­brot mit ei­nem rasch wu­chern­den Sac­cha­ro­my­co­des-Pilz ver­seucht wur­de … Der ja­pa­ni­sche Raum­er tor­kel­te nach zwan­zig­wö­chi­ger Trun­ken­heit zu sei­ner Ram­pe in Pia­no West: der frem­de Pilz war an Bord des Schif­fes in al­ler Ma­gen ge­langt, wo er je­den dar­auf­fol­gen­den Bis­sen zu hoch­gra­di­gem Sa­ke gor. Und als drit­te Fuß­no­te zur ur­al­ten Fest­stel­lung »Gott schickt das täg­lich’ Brot, der Teu­fel die Kö­che« wer­den Mars­leu­te sich des­sen ent­sin­nen, was an Bord mei­nes ei­ge­nen Schif­fes pas­sier­te, der Charles Part­low Sä­le …

Die Sä­le star­te­te Mit­te Au­gust von Bra­dy Sta­ti­on, plan­mä­ßi­ge An­kunft in Pia­no West An­fang Mai. Wir nah­men, zu­mal nicht son­der­lich in Ei­le, die ener­gie­spar­sa­me Rou­te zum Mars – ein Weg, zeit­lich ge­se­hen et­wa so lan­ge wie die mensch­li­che Schwan­ger­schafts­pe­ri­ode. Un­se­re La­dung be­stand zum größ­ten Teil aus Ti­en-Shen-Tan­nen­setz­lin­gen und meh­re­ren Ton­nen ei­ner ark­ti­schen Gras­saat – wel­che für die ma­ria be­stimmt wa­ren, um die dort hei­mi­schen blau­en Wan­zen­bee­renre­ben aus­zu­rot­ten. An Bord hat­ten wir das Re­gis­trie­rungs-Mi­ni­mum von sechs Mann und drei Of­fi­zie­ren. Schiffs­arzt war ich selbst, Paul Vila­no­va. Den Cap­tain stell­te Wil­li Win­kel­mann, der här­tes­te Bur­sche im gan­zen All und ver­mut­lich auch der fet­tes­te. Als Schiffs­koch fun­gier­te Pe­ter Mor­gan.

Das Ko­chen an Bord ei­nes Raum­ers ist ein Job, der ei­nem al­les ab­ver­langt, Bio­che­mie, an­ge­wand­te My­ko­lo­gie, Eil­zug­stem­po-Land­wirt­schaft, Diä­te­tik und Ka­la­ni­sa­ti­ons­leh­re zu­sam­men­ge­nom­men. Der Koch hat dar­auf zu ach­ten, daß je­der Mann an Bord nicht we­ni­ger als fünf Pfund Was­ser, zwei Pfund Sau­er­stoff und an­dert­halb Pfund Tro­cken­nah­rung be­kommt. Dies be­sagt nicht nur ein Pa­ra­graph im Ge­werk­schafts­ver­trag; es ist zu­gleich die Auf­stel­lung von dem Min­dest­maß an Fut­ter, das ein Mensch braucht, um le­ben zu kön­nen.

Zwölf Ton­nen Was­ser, Sau­er­stoff und Nah­rungs­mit­tel hät­ten die La­deräu­me zum Bers­ten an­ge­füllt – und da­mit ei­nem klei­nen Schiff wie der C. P. Sä­le jeg­li­chen Grund ge­nom­men, die Na­se nach dem Mars zu stre­cken. Da­durch aber, daß man ei­ner Kul­tur von Chlo­rel­la-Al­gen un­se­re ver­brauch­te Luft, un­ser Was­ser und die an­de­ren Aus­schei­dun­gen über­ließ, wür­den uns drei Ton­nen Stoff­wech­sel­pro­duk­te von Bra­dy Sta­ti­on nach Pia­no West und zu­rück brin­gen. Re­zy­klie­ren hieß die Lo­sung. Je­des ein­zel­ne Koh­le­hy­drat-, Fett-, Ei­weiß- oder Mi­ne­ral­mo­le­kül, das die Mann­schaft nicht nähr­te, nähr­te die Al­gen. Und die­se nähr­ten uns.

Jeg­li­cher Ab­fall wur­de dar­auf ver­wen­det, un­se­ren flüs­si­gen Hu­mus zu dün­gen. Selbst die Bart­stop­peln von un­se­ren 2,680 Ra­su­ren und die Res­te von un­se­ren 666 Haar­schnit­ten en rou­te und re­tour wür­den den Al­gen in den Chlo­rel­la-Tanks zum Fraß vor­ge­wor­fen wer­den: das mensch­li­che Haar ist reich an Ami­no­säu­ren.

Die Al­gen – vom Koch ge­trock­net, hier­auf mit Me­thyl­al­ko­hol ge­rei­nigt, um den Ge­ruch zu til­gen und den Rück­stand ver­dau­li­cher zu ma­chen, schließ­lich auf hun­der­ter­lei Ar­ten mas­kiert und ge­würzt – dienten als Scha­blo­ne für ein Fleisch-Kar­tof­fel-Ge­richt, das nie ganz aus­ging. Un­se­re Luft und un­ser Was­ser wa­ren glei­cher­ma­ßen un­s­terb­lich. Je­des ein­zel­ne 5au­er­stoff­mo­le­kül wä­re am En­de un­se­rer Rei­se ver­traut mit den Zahn­höh­len al­ler Män­ner an Bord. Je­der ein­zel­ne Was­ser­trop­fen hät­te vor der Lan­dung un­se­res Schif­fes mit den Ge­fäß­knäu­eln aber auch al­ler Nie­ren in in­ti­mer Be­zie­hung ge­stan­den. Ebener­di­ge Po­li­ti­ker spre­chen von uns zu Recht als ei­nem ganz ei­ge­nen Schlag … Wir sind Leu­te, die sich nicht den Lu­xus von Zim­per­lich­keit leis­ten kön­nen.

 

Ob­wohl ich an Bord als Schiffs­arzt ein­ge­tra­gen bin, grei­fe ich im All nur sel­ten nach dem Mes­ser. Mei­ne Ar­beit äh­nelt mehr der ei­nes Mäd­chens für al­les. So ge­hört es zu mei­nen Pflich­ten, als Kla­ge­mau­er, Mo­ralapo­stel, Hü­ter des me­di­zi­ni­schen Whis­kys und Ver­eit­ler ge­gen­sei­ti­gen Mord- und Tot­schlags zu fun­gie­ren. Für ge­wöhn­lich ist der Koch der­je­ni­ge, der den zwei­fel­haf­ten Ruf ge­nießt, an Bord das po­pu­lärs­te Mor­dop­fer zu sein. Dies­mal aber war der Cap­tain »der-Mann-den-man-lie­bend-gern-um­brin­gen-möch­te«.

Hat­te der Koch nicht Kum­mer ge­nug mit den che­mi­schen und psy­chi­schen Auf­ga­ben sei­nes Am­tes, so sorg­te Win­kel­mann für Aus­gleich. Cap­tain Wil­li Win­kel­mann war ei­ner von de­nen, die, wenn sie schon ins Weltall hin­aus muß­ten, am bes­ten al­lein ge­hen soll­ten. Hät­ten die Preu­ßen über ein Ma­ri­ne­korps ver­fügt, wä­re Win­kel­mann im Nu der be­rüch­tigts­te Schlei­fer ge­we­sen. Sein Herz klirr­te ei­sig wie ein Stahl­split­ter, sei­ne Stim­me troff vor ät­zen­dem Sar­kas­mus. Der Pla­net Er­de war kaum groß ge­nug, um ei­ne so läs­ti­ge Wan­ze wie Wil­li Win­kel­mann zu be­her­ber­gen. Tag für Tag zu­sam­men­ge­pfercht mit uns in ei­nem strom­li­ni­en­för­mi­gen Ge­häu­se von der Grö­ße ei­nes Pull­man­wa­gens, ent­pupp­te sich un­ser Cap­tain sehr rasch als Ekel. Des Cap­tains er­klär­tes Op­fer war – wie könn­te es auch an­ders sein? – Mor­gan, der Koch. Win­kel­mann be­wies gleich zu An­fang sei­ne Fin­dig­keit; kaum er­blick­te er die Ein­tra­gung »Mor­gan, Pe­ter« im Heu­er­ver­trag, wuß­te er sie auch schon hu­mo­ris­tisch aus­zu­wer­ten: so­fort tauf­te er un­se­ren un­glück­se­li­gen Schiffs­ka­me­ra­den »Ma­gen­bit­ter« … Win­kel­mann war es, der über die ho­he Kunst des Ko­chens und über die Vor­zü­ge von ed­len Wei­nen sprach, wäh­rend wir un­se­re »Al­gae­bur­ger« kau­ten und Kaf­fee schlürf­ten, der nach Nutz­was­ser schmeck­te. Und Cap­tain Wil­li Win­kel­mann war es, der, be­zog er sich auf das Al­ler­hei­ligs­te des Schif­fes, nur das Wort »Gu­lasch­ka­no­ne« ge­brauch­te.

Mor­gan gab sich al­le Mü­he, uns nach ebener­di­gen Stan­dards zu ver­kö­s­ti­gen. Er über­tünch­te den Ge­schmack syn­the­ti­schen Me­thion­ins – ei­ner Ami­no­säu­re, nicht künst­lich her­ge­stellt aus Chlo­rel­la –, in­dem er un­se­re Al­gen­ge­rich­te mit Pri­sen von Ori­ga­no und Thy­mi­an würz­te. Auch färb­te er die blaß­grü­nen Chlo­rel­la-Bro­cken ro­sa, kne­te­te die Al­gen­mas­se zur Fes­tig­keit von »Ham­bur­gers« und rös­te­te die Fla­den auf ein de­li­ka­tes Braun, in dem sinn­lo­sen, aber von Ver­zweif­lung ge­trie­be­nen Un­ter­fan­gen, dar­aus Pseu­dofleisch zu ma­chen. Zum Nach­tisch ser­vier­te er dann ei­ne Bä­cke­rei, her­ge­stellt aus der Trau­ben­zucker­pas­te des Koh­le­hy­drat-Re­zy­k­lors. Die Mann­schaft dank­te ihm. Der Cap­tain nicht. »Ma­gen­bit­ter«, sag­te er, sein Ton fros­tig wie herbst­li­cher Wind auf der Nord­see, »Sie tä­ten bes­ser dar­an, die­ses Zeug wie­der durch die Tanks lau­fen zu las­sen. In mei­ner Hei­mat gibt es das Wort­spiel: ›Der Mensch ist, was er ißt‹. Ich hal­te es für ei­ne Un­ver­schämt­heit, mir zu­zu­mu­ten, ich sol­le die­ser Saufraß wer­den, den Sie mir da vor­set­zen.« Cap­tain Win­kel­mann wisch­te sich mit der Ser­vi­et­te übers Kinn, hiev­te sei­nen Wanst vom Stuhl und klet­ter­te die Lei­ter hin­auf.

 

»Doc, kön­nen Sie Win­kel­mann lei­den?« frag­te mich der Koch.

»Nicht be­son­ders«, sag­te ich. »Das schöns­te Ge­schenk, das der Cap­tain sei­ner al­ten Da­me ma­chen kann, ist es wohl, sie am Mut­ter­tag al­lein zu las­sen. Aber was hilft’s, wir sind auf ihn an­ge­wie­sen. Schließ­lich weiß er mit ei­nem Schiff um­zu­sprin­gen.«

»Ich wünsch­te, auch mit ei­nem Koch«, sag­te Mor­gan. »Das fet­te Schwein!«

»Sei­ne Lei­bes­fül­le ist als un­be­wuß­tes Kom­pli­ment für Ih­re Koch­kunst zu wer­ten, Mor­gan«, er­wi­der­te ich. »Er zeigt großen Ap­pe­tit. Wie wir al­le. Ich ha­be schon an Bord vie­ler Raum­er ge­ges­sen und kann je­der­zeit be­zeu­gen, daß Sie ei­ne un­über­trof­fe­ne Kü­che füh­ren.«

Mor­gan fisch­te ei­ne Hand­voll ge­trock­ne­ter Chlo­rel­la aus ei­nem Bot­tich und streck­te mir das Zeug ent­ge­gen. Es war grün, roch nach Pfuhl und sah ap­pe­tit­an­re­gend aus wie ein De­ku­bi­tus. »Mit so et­was muß ich ar­bei­ten«, sag­te er ver­ächt­lich. Er warf die Al­gen an die Wand des Bot­tichs. »Da­heim in Ohio wür­de man bei An­we­sen­heit von Da­men so einen Dreck höf­lich­keits­hal­ber ›Roß­ap­fel‹ nen­nen.«

»Sie wer­den Win­kel­mann nie zu­frie­den­stel­len«, sag­te ich. »Selbst der gleich­zei­ti­ge Tod al­ler üb­ri­gen mensch­li­chen We­sen könn­te ihn kaum zum Lä­cheln brin­gen. Aber neh­men Sie es nicht zu tra­gisch; Sie ma­chen Ih­re Sa­che gut, und wenn Sie da­bei blei­ben, wird der Cap­tain nichts von sei­nem Fett ver­lie­ren.«

Mor­gan nick­te düs­ter. Ich hol­te ei­ne Fla­sche Rye aus dem Arzneischrank und bot ihm einen Drink an, so­zu­sa­gen als Me­di­zin. Der Koch wies mein Prä­sent zu­rück. »Nicht jetzt, Doc«, ent­geg­ne­te er. »Ich über­le­ge ge­ra­de, was ich mor­gen zum Es­sen ser­vie­ren soll.«

Das Pro­dukt sei­ner Ge­hirn­tä­tig­keit zier­te tags dar­auf den Mes­se­tisch. Wir er­hiel­ten je ein Stück Kopf­sa­lat, zu­be­rei­tet mit ei­nem ver­blüf­fen­den Er­satz für Es­sig und Öl, ge­würzt mit klei­nen Pim­per­nell­blät­tern. Wie Mor­gan die­se syn­the­ti­schen Sa­lat­köp­fe her­ge­stellt hat­te, kann ich nur ra­ten, all die Stun­den, die er dar­auf ver­wen­det ha­ben muß­te, ei­ne grü­ne Chlo­rel­la-Pas­te zu be­rei­ten, je­des ein­zel­ne künst­li­che Blatt zu rol­len und zu trock­nen und zu for­men, und schließ­lich neun Sa­lat­glo­cken in­ein­an­der­zu­fü­gen wie die Stei­ne ei­nes zer­brech­li­chen drei­di­men­sio­na­len Puzz­le­spiels. Das piè­ce de ré­si­stan­ce hieß wie­der »Ham­bur­ger Steak«; dies­mal je­doch war die Al­gen­mas­se, aus der es be­stand, ver­steckt in ei­ner köst­li­chen, di­cken Bra­tensau­ce von nur schwa­chem grü­nen An­strich. Die Stea­k­es­senz in je­nen Chlo­rel­la-Ko­te­let­tes hat­te er aufs groß­zü­gigs­te ge­würzt; und Knob­lauch do­mi­nier­te. »Es ist so zart«, scherz­te der Fun­ker, »daß ich kaum glau­ben kann, ein wirk­li­ches Steak vor mir zu ha­ben.«

Mor­gan starr­te hin­über zu Win­kel­mann, im stil­len fle­hend, der Cap­tain mö­ge sein Meis­ter­stück gut­hei­ßen. Die ro­sa Ba­cken des großen Man­nes hüpf­ten und spran­gen beim Kau­en. Dann schluck­te er den Bis­sen. »Ma­gen­bit­ter«, sag­te Win­kel­mann, »es wä­re mir lie­ber ge­we­sen, Sie hät­ten die­se Schrau­benal­ge roh ser­viert, an­statt sie mit syn­the­ti­schen Zwie­beln und Zy­k­lor-Salz to­tal zu ver­sau­en!«

»Im­mer­hin schei­nen Sie Mor­gans Fut­ter ganz gut hin­un­ter­zu­brin­gen, Cap­tain«, sag­te ich. Ich warf einen Blick auf Win­kel­mann, schmer­bäu­chig und krö­ten­haft vor über­mä­ßi­ger Schlem­me­rei.

»Ja, es­sen tue ich’s«, mein­te der Cap­tain, und wäh­rend er noch mit vol­lem Mund sprach, pack­te er von neu­em zu. »Aber nur so, wie je­mand Wür­mer und Heu­schre­cken frißt, wenn er nicht ver­hun­gern will.«

»Sir, was um Him­mels wil­len er­war­ten Sie von mir?« fleh­te Mor­gan.

»Nur gu­tes Es­sen«, brumm­te Win­kel­mann, den Mund voll ge­tarn­ter Al­gen. Er tupf­te sich mit dem Fin­ger an den Kopf. »Das da – das Hirn, das die­ses Schiff lei­tet – kann nicht funk­tio­nie­ren, wenn es Och­sen­dreck in der Ver­klei­dung von Ka­vi­ar vor­ge­setzt be­kommt. Leuch­tet Ih­nen das ein, Ma­gen­bit­ter?«

Mor­gan, die Fäus­te krampf­haft ge­gen die Schen­kel ge­preßt, nick­te. »Ja, Sir. Aber ich weiß wirk­lich nicht, wie ich Sie zu­frie­den­stel­len soll.«

»Sie sind Raum­fah­rer und Schiffs­koch, nicht aber ei­ne über­ge­schnapp­te Haus­frau«, sag­te Win­kel­mann. »Ich er­war­te von Ih­nen kei­ne Hys­te­rie, kei­ne Kol­ler oder Wein­krämp­fe. Le­dig­lich … Him­mel, ist es denn so schwer zu ver­ste­hen? – Le­dig­lich ein Es­sen, das mei­nen Ma­gen be­sänf­tigt und mein Hirn funk­ti­ons­fä­hig hält.«

»Ja, Sir«, sag­te Mor­gan, sein Ge­sicht ein deut­li­ches Bild des­sen, was man als ge­kränk­ten Stolz be­zeich­nen kann. Win­kel­mann er­hob sich und klet­ter­te hin­auf zum Na­vi­ga­ti­ons­raum. Ich folg­te ihm über die Lei­ter nach. »Cap­tain«, sag­te ich, »Sie trei­ben es mit Mor­gan zu weit. Sie ver­lan­gen von ihm, Zie­gel oh­ne Lehm zu ma­chen.«

Win­kel­mann sah mich aus sei­nen fahlblau­en Au­gen an. »Sie fin­den al­so, Dok­tor, mei­ne Här­te Ma­gen­bit­ter ge­gen­über sei auf die Gal­len­be­schwer­den ei­nes schon leicht mit­ge­nom­me­nen Man­nes zu­rück­zu­füh­ren?«

»Ehr­lich ge­stan­den, Ih­re Hal­tung ist mir über­haupt un­be­greif­lich«, sag­te ich.

»Sie wer­fen mir vor, daß ich je­man­den an­trei­be, Zie­gel oh­ne Lehm zu ma­chen«, sag­te Win­kel­mann. »Na gut, Dok­tor. Es ist mei­ne fes­te Über­zeu­gung, daß die Kin­der Is­raels, hät­te der Ober­auf­se­her des Pha­ra­os mei­ne Ziel­stre­big­keit be­ses­sen, sehr wohl im­stan­de ge­we­sen wä­ren, Zie­gel oh­ne Lehm zu ma­chen. Die Not, Dok­tor, ist die Mut­ter der Er­fin­dungs­ga­be … Ich bin Mor­gans Not! Mei­ne Sti­che­lei­en sind ihm un­an­ge­nehm, kein Zwei­fel. Aber ich nö­ti­ge ihn da­durch, zu ex­pe­ri­men­tie­ren, zu im­pro­vi­sie­ren, die Gren­zen sei­ner Fin­dig­keit zu er­wei­tern. Und das sa­ge ich Ih­nen – er wird aus den Chlo­rel­la-Tanks ein gu­tes Es­sen be­rei­ten! Ir­gend­wie muß es ihm ein­fach ge­lin­gen.«

»Aber Sie drän­gen ihn zu sehr, Sir«, warf ich ein. »Er wird da­bei zer­bre­chen.«

»Es er­war­tet ihn ei­ne Heu­er von rund fünf­zig­tau­send Dol­lar, wenn wir in Bra­dy Sta­ti­on lan­den«, sag­te Cap­tain Win­kel­mann. »Für ei­ne sol­che Stan­ge Geld nimmt man vie­le Un­an­nehm­lich­kei­ten in Kauf. Das wä­re al­les, Dok­tor Vila­no­va.«

»Aber die Mo­ral an Bord …«, be­gann ich.

»Das wä­re al­les, Dok­tor Vila­no­va«, wie­der­hol­te Cap­tain Win­kel­mann.

 

Mor­gan wur­de im­mer schweig­sa­mer, wäh­rend wir ent­lang der el­lip­ti­schen Bahn zum Mars un­se­res Weges zo­gen. Je­de ein­zel­ne Mahl­zeit, die er zu­be­rei­te­te, stell­te einen neu­er­li­chen Ver­such dar, den Cap­tain für sich und sei­ne Lecker­bis­sen zu ge­win­nen. Aber je­des ein­zel­ne der­ar­ti­ge An­ge­bot wur­de von die­sem herz­lo­sen Mann igno­riert oder ver­dammt und ab­ge­kan­zelt. In der Fol­ge war Mor­gan be­strebt, den Cap­tain zu den Es­sens­zei­ten zu mei­den, doch wuß­te Win­kel­mann dies tun­lichst zu durch­kreu­zen. »Über­mit­teln Sie dem Kü­chen­chef mein Kom­pli­ment«, moch­te der Cap­tain bei­spiels­wei­se ei­nem sei­ner Leu­te auf­tra­gen, »und bit­ten Sie ihn, doch einen Sprung hier vor­bei­zu­schau­en.« Und da wür­de der Koch freud­los im Mes­se­ab­teil er­schei­nen, um von neu­em zu hö­ren, wie sei­ne ku­li­na­ri­schen Fä­hig­kei­ten auf ät­zen­de Wei­se in Fra­ge ge­stellt wur­den.

Ich per­sön­lich, ich zweifle kei­ne Se­kun­de dar­an, daß Mor­gan der bes­te Koch war, der sich je­mals im All be­fand. Je­des sei­ner Ge­rich­te setz­te der bril­lan­ten Kom­bü­sen­kunst einen wei­te­ren Mark­stein. So be­ka­men wir, zum Bei­spiel, einen Trut­hahn-Er­satz ers­ter Gü­te ser­viert. Die Kä­se­sau­ce war na­he­zu un­faß­bar, das Chlo­rel­la-Trut­hahn­fleisch ein Ge­dicht, so weiß und zart. Mor­gan war­te­te zu die­ser De­li­ka­tes­se mit ei­nem kör­ni­gen, in der Tat köst­li­chen »Mais­brot« auf, und über­dies war es ihm ge­lun­gen, sei­nen Al­gen ein fett­ähn­li­ches But­ter­sub­sti­tut zu ent­lo­cken, das auf heißem »Brot« zer­lief und die­ses mil­chig duf­ten ließ. »Groß­ar­tig, Mor­gan!« sag­te ich.

»Wir sind kei­nes­wegs hin­ge­ris­sen«, brumm­te Cap­tain Win­kel­mann, wäh­rend er ei­ne zwei­te Por­ti­on von dem Pseu­do-Trut­hahn in Emp­fang nahm. »Sie ver­bes­sern sich, Ma­gen­bit­ter, aber nur arith­me­tisch. Ih­re ers­ten Be­mü­hun­gen um ei­ne geo­me­tri­sche Qua­li­täts­stei­ge­rung wa­ren der­ma­ßen fürch­ter­lich, daß es ge­ra­de noch zu dem zwei­fel­haf­ten Prä­di­kat ›ge­nieß­bar‹ reich­te. Ich hof­fe je­doch, Sie wer­den nach ei­ni­ger Zeit ge­lernt ha­ben, mit der Kom­pe­tenz ei­nes Neu­lings auf der Haus­hal­tungs­schu­le über Löf­fel und Koch­topf zu re­gie­ren. Das wär’s, Mor­gan.«

Die Mann­schaft und mei­ne Of­fi­ziers­kol­le­gen fan­den Win­kel­manns Sti­che­lei­en amüsant; im üb­ri­gen freu­te es sie, daß die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen ih­rem Cap­tain und dem Koch da­zu diente, sie so gut zu ver­kö­s­ti­gen. Die meis­ten Raum­schif­fer tre­ten ei­ne län­ge­re Rei­se recht be­hä­big und schwer­fäl­lig an, zu­mal sie sich in den letz­ten paar Ta­gen die Bäu­che voll­ge­schla­gen ha­ben, um auf die­se Wei­se et­li­che hun­dert Ka­lo­ri­en und recht, recht vie­le lu­kul­li­sche Er­in­ne­run­gen an Bord zu schmug­geln. Je­den­falls hat­te wäh­rend der ers­ten vier Mo­na­te im lee­ren Raum kei­ner von den Män­nern Ge­wicht ver­lo­ren. Ja, Win­kel­mann schi­en so­gar zu­ge­nom­men zu ha­ben. Die Uni­form war an sei­ner plum­pen Kehrsei­te zum Plat­zen ge­spannt, und er keuch­te auch schon ein we­nig, wenn er die Lei­tern hin­auf­klet­ter­te. Ich er­wog al­len Erns­tes, un­se­rem Cap­tain vor­zu­schla­gen, er mö­ge sein Es­sen aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den et­was ein­schrän­ken – ein Rat­schlag, der wohl ein­ma­lig in den An­na­len der Raum­me­di­zin ge­we­sen wä­re –, als Win­kel­mann zur größ­ten Be­lei­di­gung über­haupt für un­se­ren Koch aus­hol­te.

 

Je­der­mann an Bord ei­nes Raum­ers sind ne­ben sei­ner Uni­form – die nun zur Schiff­sein­rich­tung zählt – zehn Ki­lo­gramm per­sön­li­cher Ef­fek­ten ge­stat­tet. Dem Cap­tain steht die dop­pel­te Ra­ti­on zu, sei­nem Rang und sei­ner Ver­ant­wor­tung ge­mäß. So mag er denn vier­zig Pfund Bü­cher, Spiel­kar­ten, Strick­wol­le, Whis­ky oder was im­mer ihm hilft, die Stun­den zwi­schen den Pla­ne­ten tot­zu­schla­gen, mit an Bord neh­men. Mor­gan, das wuß­te ich si­cher, hat­te sein ge­sam­tes Ex­tra­ge­wicht da­für ge­op­fert, ei­ne Kol­lek­ti­on von Ge­wür­zen aufs Schiff zu brin­gen: Ma­jo­ran und Pfef­fer, Küm­mel, Lor­beer und Nel­ken, Pa­pri­ka, Thy­mi­an, Dill und noch ein Dut­zend mehr.

Cap­tain Win­kel­mann war al­les an­de­re als ei­ne Le­se­rat­te, folg­lich hat­te er auch kei­ne Bü­cher mit­ge­bracht. Das Kar­ten­spiel in­ter­es­sier­te ihn über­haupt nicht, zu­mal es ei­ne Ge­sel­lig­keit vor­aus­setzt, die ihm fremd war. Auch trank er nie an Bord ei­nes Schif­fes. Ich hat­te ur­sprüng­lich an­ge­nom­men, daß er sein Recht auf per­sön­li­ches Ef­fek­ten-Zu­satz­ge­wicht ge­gen hun­dert Dol­lar pro Ki­lo an die Ei­gen­tü­mer ab­ge­tre­ten ha­be. Um das ma­xi­ma­le Ex­tra­ge­wicht zu er­rei­chen, sind Raum­schif­fer be­kannt­lich schon split­ter­nackt an Bord ge­kom­men …

Doch dies war bei Win­kel­mann nicht der Fall. Sein per­sön­li­ches Ge­päck – ein un­be­schrie­be­ner Papp­kar­ton – tauch­te zur Abend­mes­se un­ter dem Tisch auf, als wir noch an die hun­dert Ta­ge von Pia­no West ent­fernt wa­ren. Win­kel­mann rück­te sich den Stuhl zu­recht, nahm Platz, stell­te die Fü­ße auf den mys­te­ri­ösen Kar­ton und knurr­te: »In wel­cher ekel­er­re­gen­den Form wird uns heu­te wie­der der Schiffs­müll vor­ge­setzt, Ma­gen­bit­ter?«

Mor­gan run­zel­te die Stirn, be­herrsch­te sich aber. »Ich be­faß­te mich mit dem Pro­blem ›Steak‹, Sir«, sag­te er. »Ich glau­be, ich ha­be den Ge­schmack aus­ge­merzt; den Rest soll ei­ne stil­ge­rech­te Ma­se­rung be­wir­ken. Sie ver­ste­hen, Sir?«

»Al­ler­dings«, brumm­te Win­kel­mann. »Sie wol­len, daß sich Ih­re neues­te ›Schöp­fung‹ im Mund nach Steak an­fühlt, und nicht nach Ba­by­nah­rung. Ha­be ich recht?«

»Ja, Sir«, sag­te Mor­gan. »Nun, ich preß­te das Steak-Sub­strat – Chlo­rel­la, na­tür­lich, mit al­len Ar­ten von spe­zi­el­len Ge­wür­zen – durch ein Sieb und brüh­te die Fa­sern in heißem Al­gen­öl. Dann zer­hack­te ich die ein­zel­nen Strän­ge und roll­te sie aus. Und dann hat­te ich et­was, was in sei­ner Ma­se­rung ech­tem Fleisch ziem­lich na­he­kam.«

»Gra­tu­lie­re, Mor­gan!« Ich war be­ein­druckt.

»Ich wür­de eher sa­gen, es verdirbt mir den Ap­pe­tit, wenn ich so hö­re, wie Sie mit un­se­rem Es­sen her­ump­fu­schen«, be­merk­te der Cap­tain, und sei­ne Kinn­la­den ver­scho­ben sich zu ei­nem Aus­druck des Wi­der­wil­lens. »Ich fin­de über­haupt nichts da­bei, wenn man Hum­mer ißt, bei­spiels­wei­se, aber zu­zu­schau­en, wie das ko­mi­sche Viech ge­kocht wird, da­nach ha­be ich nie Lust ver­spürt. Ein­zel­hei­ten sind der Mahl­zeit nur ab­träg­lich.«

Mor­gan lüf­te­te den De­ckel der elek­tri­schen Wärm­kas­se­rol­le und hob sach­te ein klei­nes »Steak« auf je­den Tel­ler. »Kos­ten Sie«, dräng­te er den Cap­tain.

Win­kel­mann schnitt ei­ne Ecke sei­nes Al­gens­teaks ab. Die Far­be zeug­te von ei­nem ex­zel­len­ten Halb­gar, der Duft war nach frisch­ge­schmor­tem Fleisch. Win­kel­mann biß zu, kau­te, schluck­te. »Nicht übel, Ma­gen­bit­ter«, sag­te er. Mor­gan grins­te und warf den Kopf hoch; die Hän­de hat­te er vor über­schweng­li­cher Freu­de ge­fal­tet. Da sah man wie­der ein­mal deut­lich, was al­les ein ein­zi­ges Wort be­wir­ken konn­te. »Aber es fehlt noch et­was … et­was – es liegt mir auf der Zun­ge …«, fuhr Win­kel­mann fort, wäh­rend er sich ein wei­te­res Stück von der duf­ten­den Chlo­rel­la ab­schnitt. »Ah, rich­tig! Ich hab’s!«

»Ja, Sir?« forsch­te Mor­gan.

»Das hier, Ma­gen­bit­ter!« Win­kel­mann lang­te un­ter den Mes­se­tisch und riß sei­nen Papp­kar­ton auf. Er hol­te ei­ne Fla­sche her­vor, de­ren Kap­pe er ab­schraub­te. »Ketch­up«, sag­te er und klecks­te den ro­ten Saft über Mor­gans Meis­ter­stück. »Die schar­lach­ro­te To­ten­mas­ke für die Ver­sa­ger der Kö­che.« Win­kel­mann führ­te einen Hap­pen des Steaks zum Mund, über­strö­mend vor Ketch­up, und be­gann zu kau­en. »Ge­nau das Rich­ti­ge!« Er grins­te.

»Zum Teu­fel mit Ih­nen!« brüll­te Mor­gan au­ßer sich.

Win­kel­manns Grin­sen erstarb, und sei­ne blau­en Au­gen blick­ten den Koch durch­boh­rend an.

»Sir«, füg­te Mor­gan hin­zu.

»So ist’s bes­ser«, sag­te Win­kel­mann und biß von neu­em zu. Dann mein­te er nach­denk­lich: »Mit Um­sicht ge­nos­sen, und auch nur von mir selbst, dürf­te ich ge­nü­gend Ketch­up ha­ben bis zum Mars. Se­hen Sie bit­te da­zu, Ma­gen­bit­ter, daß die Fla­sche für al­le mei­ne künf­ti­gen Mahl­zei­ten hier be­reit­steht.«

»Aber, Sir …«, be­gann Mor­gan.

»Sie wer­den doch ein­se­hen, Ma­gen­bit­ter, daß ein dys­pep­ti­scher Cap­tain für das Wohl sei­nes Schif­fes ei­ne Be­dro­hung dar­stellt. Müß­te ich auch noch die nächs­ten hun­dert Ta­ge Ih­ren sur­rea­lis­ti­schen Fraß schlu­cken, oh­ne den schwa­chen Trost die­ser Sau­ce, die mit­zu­neh­men ich die Weit­sicht hat­te, wä­re ich kaum in der La­ge, uns si­cher zur Pia­no West-Ram­pe hin­un­ter­zu­brin­gen. Ist Ih­nen das klar, Ma­gen­bit­ter?«

»Es ist mir je­den­falls klar, daß Sie ein ganz un­dank­ba­rer, ab­scheu­li­cher, dick­schäd­li­ger, sa­dis­ti­scher …«

»Vor­sicht beim Haupt­wort«, mahn­te Win­kel­mann den Koch. »Ih­re Ad­jek­ti­ve sind schon auf­säs­sig ge­nug; Ihr Haupt­wort mag sich als ket­ze­risch er­wei­sen.«

»Cap­tain, Sie sind zu weit ge­gan­gen«, sag­te ich.

Mor­gan, die Hän­de zu Fäus­ten ge­ballt, war rot wie ei­ne To­ma­te; sein Brust­korb hob und senk­te sich vor Er­re­gung.

»Dok­tor, ich muß Sie dar­auf hin­wei­sen, daß es sich für den Schiffs­arzt nicht schickt, bei ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Cap­tain die Par­tei des Kochs zu er­grei­fen«, sag­te Win­kel­mann.

»Sir, Mor­gan hat sich al­le Mü­he ge­ge­ben, es Ih­nen recht zu ma­chen«, er­wi­der­te ich. »Die üb­ri­gen Of­fi­zie­re wie auch die Mann­schaft wa­ren mit sei­ner Ar­beit mehr als zu­frie­den.«

»Das läßt nur auf ei­ne Ver­küm­me­rung ih­rer Ge­schmacks­ner­ven schlie­ßen«, sag­te Win­kel­mann. »Dok­tor, Sie sind entschul­digt. Sie eben­falls, Ma­gen­bit­ter«, füg­te er hin­zu.

Mor­gan und ich klet­ter­ten ge­mein­sam aus dem Mes­se­ab­teil. Ich steu­er­te ihn hin­über zu mei­nem Quar­tier, wo die me­di­zi­ni­schen Vor­rä­te ge­la­gert wa­ren. Er setz­te sich auf mei­ne Ko­je und be­gann schlag­ar­tig zu heu­len, wäh­rend er mit den Fäus­ten ge­gen das me­tal­le­ne Schott häm­mer­te. »So, jetzt neh­men Sie die­sen Drink«, sag­te ich.

»Den Teu­fel wer­de ich …!« brüll­te er.

»Ich be­feh­le es Ih­nen!« Ich schenk­te uns bei­den je 50 ccm Rye ein. »Das ist Arz­nei, Mor­gan …«, sag­te ich. Er spül­te das schar­fe Zeug die Keh­le hin­un­ter, als hand­le es sich da­bei um Was­ser, und hielt mir stumm wie­der das Glas hin. Ich schenk­te nach.

Mi­nu­ten spä­ter hör­te er zu schluch­zen auf. »Tut mir leid, Doc«, sag­te er.

»Sie sind un­ter grö­ße­rem Druck ge­stan­den, als ihn die meis­ten an­de­ren er­tra­gen könn­ten«, ent­geg­ne­te ich. »Sie brau­chen sich des­halb nicht zu schä­men.«

 

»Er ist irr … Wel­cher ver­nünf­ti­ge Mensch wür­de von mir er­war­ten, daß ich Wie­ner Schnit­zel und Sau­er­kraut und Back­hendl nach süd­deut­scher Art aus ei­nem Al­gen­tank her­aus­ho­le? Zum Ko­chen ha­be ich für ihn nichts an­de­res als mi­kro­sko­pi­sches Un­kraut! – Aus­ge­laug­te Mo­le­kü­le von Haar­schnit­ten; pa­ke­tier­te Ami­no­säu­re mit Zu­sät­zen. Und er er­war­tet sich Ge­rich­te, die beim jähr­li­chen Fest­ban­kett der Freun­de Es­cof­fiers das Blaue Band da­von­tra­gen wür­den!«

»Es ist ein al­tes Lied, Mor­gan«, sag­te ich. »Zu­erst ra­ckert man sich halb tot beim Ko­chen, bis die Fin­ger zer­schnit­ten und ver­brannt sind, und dann bleibt jeg­li­che An­er­ken­nung aus … Aber mer­ken Sie sich: Sie sind nicht mit Win­kel­mann ver­hei­ra­tet! Ein Jahr noch, und Sie kön­nen heim. Fünf­zig­tau­send Dol­lar be­kom­men Sie … da­mit läßt sich et­was an­fan­gen; Sie wer­den in Ohio Ihr Re­stau­rant er­öff­nen, und bis da­hin ha­ben Sie un­se­ren fet­ten Flie­gen­den Hol­län­der längst ver­ges­sen.«

»Ich has­se ihn«, sag­te Mor­gan. Er griff nach der Fla­sche. Ich ließ ihn ge­wäh­ren. Manch­mal kann Al­ko­hol ein wirk­sa­mer Ver­bün­de­ter der Heil­kraft der Na­tur sein … Ei­ne hal­be Stun­de spä­ter schnall­te ich Mor­gan in sei­ner Ko­je an, da­mit er sich aus­sch­lief. Die­ser the­ra­peu­ti­sche Rausch schi­en ge­nau das Rich­ti­ge für ihn ge­we­sen zu sein.

Am nächs­ten Tag be­ka­men wir zum Früh­stück ei­ne Brü­he von be­mer­kens­wer­ter Scheuß­lich­keit … einen Ein­topf, oder auch Chlo­rel­la vul­ga­ris, der aus­sah und schmeck­te wie die Spu­cke ir­gend­ei­nes schlamm­fres­sen­den Seeun­ge­heu­ers. Mor­gan, rot­äu­gig und zitt­rig, ent­schul­dig­te sich mit kei­nem Wort; er starr­te nur Win­kel­mann an, als war­te er auf ei­ne Be­mer­kung. Der Cap­tain führ­te einen Löf­fel voll des ekel­er­re­gen­den Zeugs an sei­ne Lip­pen, schmatz­te laut und sag­te: »Ma­gen­bit­ter, end­lich ver­bes­sern Sie sich ein we­nig.«

Mor­gan nick­te. »Dan­ke viel­mals, Sir«, er­wi­der­te er und lä­chel­te.

Ich lä­chel­te eben­falls. Mor­gan hat­te sich über­wun­den. Sei­ne geis­ti­ge Ab­wehr war nun stark ge­nug, um selbst den hef­tigs­ten iro­ni­schen An­grif­fen des Cap­tains stand­zu­hal­ten. Un­ser Es­sen wür­de sich wahr­schein­lich für das rest­li­che Stück die­ser Fahrt ver­schlech­tern, aber das war ein Preis, den ich ger­ne zah­len woll­te, er­hielt ich doch die Ge­nug­tu­ung, zu se­hen, wie Wil­li Win­kel­manns Theo­rie, daß man einen Koch zwin­gen kön­ne, Zie­gel oh­ne Lehm zu ma­chen, am Bo­den zer­stört wur­de. Der Cap­tain hat­te es zu weit ge­trie­ben, kein Zwei­fel. Sei­nen Ketch­up wür­de er für die kom­men­den Mahl­zei­ten in der Tat brau­chen …

Das Mit­tages­sen war bei­na­he ge­nau­so fürch­ter­lich wie das Früh­stück. Der Kaf­fee schmeck­te nach Salz und blieb größ­ten­teils ste­hen. Die Män­ner pro­tes­tier­ten hef­tig und ga­ben dem Cap­tain – in des­sen Ab­we­sen­heit – die Schuld an dem Nie­der­gang ih­res ku­li­na­ri­schen Stan­dards. Mor­gan schi­en das Gan­ze nicht zu be­rüh­ren. Er ser­vier­te die »Al­gae­bur­ger« und be­eil­te sich, zu­rück in sei­ne Kom­bü­se zu kom­men, taub ge­gen­über den Vor­wür­fen sei­ner Ka­me­ra­den.

 

Da nur drei Sitz­ge­le­gen­hei­ten im Mes­se­ab­teil der Sä­le vor­han­den wa­ren, nah­men wir un­se­re Mahl­zei­ten in Schich­ten ein. Als ich an je­nem Abend die Lei­ter hin­ab­stieg zum Es­sen, füll­te ein durch­drin­gen­der Bra­ten­ge­ruch mei­ne Na­se, ein Duft, der au­to­ma­tisch Er­in­ne­run­gen wach­ruft an graue glo­sen­de Holz­koh­le im Pick­nick-Rost und an das Knal­len und Zi­schen beim öff­nen des Do­sen­biers … »Er hat’s ge­schafft, Doc!« rief ei­ner von der ers­ten Schicht. »Es schmeckt wirk­lich nach Es­sen!«

»Dann muß sich un­ser Cap­tain ge­schla­gen ge­ben«, sag­te ich.

»Der Hol­län­der wird die­se Steaks kaum mit Ketch­up ver­sau­en wol­len!«

Ich setz­te mich, brei­te­te die Ser­vi­et­te aus und blick­te vol­ler Hoff­nung auf die elek­tri­sche Wärmpfan­ne auf dem Tisch. Mor­gan ser­vier­te uns die klei­nen »Steaks«. Sie ent­hiel­ten je ein Pfund ge­trock­ne­ter Chlo­rel­la, schätz­te ich, wäh­rend ich die Stär­ke mei­nes ei­ge­nen Steaks mit der Ga­bel prüf­te. Aber sie wa­ren in ei­ne Bra­tensau­ce ge­tunkt, so saf­tig wie das Zeug, das Oma in ih­rer schwar­zen Ei­sen­kas­se­rol­le zu ma­chen pfleg­te, ge­pfef­fert und herz­haft mit Knob­lauch be­stückt. Ich schnitt ein Teil ab und kos­te­te es. Zu zart na­tür­lich; je­de Kunst hat ih­re Gren­zen. Aber der Schrau­benal­gen­ge­schmack war ver­schwun­den.

Mor­gan er­schi­en in der Kom­bü­sen­tür. Ich wink­te ihn her­bei. »Sie ha­ben’s ge­schafft, Mor­gan«, sag­te ich. »Je­der Schleim­kopf wird Ih­nen da­für dank­bar sein. Das hier ist wirk­lich gut!«

»Dan­ke, Doc«, sag­te Mor­gan.

Ich lä­chel­te und tat den nächs­ten Bis­sen. »Viel­leicht er­ken­nen Sie es nicht, Mor­gan … aber das ist auch ein Sieg für den Cap­tain. Er hat Sie zu die­sem Tri­umph an­ge­trie­ben; oh­ne ihn hät­ten Sie es nicht schaf­fen kön­nen.«

»Sie mei­nen, er hat das al­les nur ge­tan, da­mit ich bes­ser wer­de?« frag­te Mor­gan.

»Er zwang Sie, das Un­mög­li­che zu ver­su­chen«, sag­te ich, »und Sie ha­ben es wahr ge­macht. Un­ser Cap­tain mag ein har­ter Kerl sein, Mor­gan; aber er tat ge­nau das Rich­ti­ge, um sei­nen Schiffs­koch zu ei­ner Höchst­leis­tung an­zu­trei­ben.«

Mor­gan er­hob sich. »Mö­gen Sie Cap­tain Win­kel­mann, Dok­tor?«

Ich dach­te einen Au­gen­blick über die Fra­ge nach. Win­kel­mann ver­stand et­was von sei­nem Be­ruf. Er ar­bei­te­te mit fau­len Tricks, si­cher; aber nur zum Woh­le des Schif­fes und der Mann­schaft. »Ob ich Cap­tain Win­kel­mann mag?« sann ich, wäh­rend ich ein wei­te­res Stück mei­nes künst­li­chen Steaks mit der Ga­bel auf­spieß­te. »Mor­gan, ich fürch­te, ich muß Ih­nen ge­ste­hen, daß es so ist.«

Mor­gan lä­chel­te. Er hob ein zwei­tes Steak von der Pfan­ne auf mei­nen Tel­ler. »Dann es­sen Sie noch eins«, sag­te er.

 

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