Den Mond in ei­ne be­wohn­ba­re Welt zu ver­wan­deln, bot kei­ne großen tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten!Es gab nur ei­ne Men­ge Leu­te, die da­ge­gen wa­ren ..

 

Poul Anderson
Problem Luna

 

Plötz­lich schi­en die Ebe­ne zu ex­plo­die­ren. Ei­ne Dampf­säu­le schoß zum Him­mel hin­auf; vor der Dun­kel­heit und den Ster­nen im Hin­ter­grund stand ei­ne el­fen­bein­far­be­ne Wol­ke, die mit rot­glü­hen­den Me­tall­bro­cken durch­setzt war. Tei­le des zer­stör­ten Bohr­turms wir­bel­ten durch den Dampf, prall­ten vom Bo­den ab und ras­ten wie tod­brin­gen­de Ge­schos­se über ki­lo­me­ter­wei­te Ent­fer­nun­gen. Um das Bohr­loch her­um öff­ne­ten sich Spal­ten, die zu me­ter­brei­ten Schluch­ten wur­den, wäh­rend sie strah­len­för­mig nach au­ßen lie­fen. Das Loch ver­wan­del­te sich in einen tie­fen Kra­ter, der Asche und Fels­bro­cken spuck­te. Dann ver­schwand der Dampf­strahl in ei­ner Rauch­wol­ke und dem Staub, der von der er­be­ben­den Ober­flä­che auf­stieg.

Don Se­vi­gny hat­te sich blitz­schnell zu Bo­den ge­wor­fen und war dort un­be­weg­lich lie­gen­ge­blie­ben, als der Aus­bruch be­gann. Er krall­te sich mit ge­schlos­se­nen Au­gen an den Fel­sen fest, fühl­te die Erd­stö­ße un­ter sich und hör­te die glü­hen­den Ei­sen­split­ter vor­über­zi­schen, die frü­her ein­mal Ma­schi­nen ge­we­sen wa­ren. In sei­nem Mund hat­te er den Ge­schmack von Blut. Poy, dach­te er, Erich, bei­de wa­ren zu­letzt am Bohr­turm ge­we­sen! Was war schief­ge­gan­gen?

Die Ex­plo­sio­nen ver­stumm­ten. Von den Steil­wän­den des Kau­ka­sus­ge­bir­ges roll­ten dump­fe Echos über die Ebe­ne, wur­den all­mäh­lich schwä­cher und gin­gen in dem Grol­len und Zi­schen des neu­ge­bo­re­nen Vul­kans un­ter. Der Bo­den beb­te noch im­mer, aber die ers­ten hef­ti­gen Stö­ße wa­ren ab­ge­klun­gen. Se­vi­gny sprang auf. Staub­wol­ken nah­men ihm die Sicht, er war von sei­nen Män­nern ab­ge­schnit­ten, von der Er­de und dem Mond, al­lein in der lärm­durch­tos­ten Nacht.

»Mel­dung!« rief er. »Nach Num­mern!«

Ein Na­me nach dem an­de­ren er­klang. Eins, Aarons, zwei, Bergs­ma, drei, Branch, vier … nie­mand, Erich De­cker mel­de­te sich nicht … fünf, Gour­mont, sechs …

»… zwölf«, er­klang es ble­chern aus R’Kus Vo­ka­li­sa­tor.

Youk­han­nan be­schloß die Auf­zäh­lung mit der Num­mer zwan­zig. Bis auf De­cker und Leong, die bei­de wei­ter­hin schwie­gen, war die Mann­schaft voll­zäh­lig.

 

Als der auf­ge­wir­bel­te Staub sich lang­sam wie­der setz­te, er­kann­te Se­vi­gny sei­ne Um­ge­bung wie­der. In et­wa zwei Ki­lo­me­ter Ent­fer­nung stie­gen die Fels­wän­de des Kau­ka­sus­ge­bir­ges über­gangs­los aus der Ebe­ne auf, die Ster­ne stan­den un­be­weg­lich über den Gip­feln und be­leuch­te­ten die Um­ris­se von Män­nern und Ma­schi­nen. Er wand­te sich um und woll­te zu dem Bohr­loch hin­über­se­hen, aber die Er­de, die dicht über dem süd­li­chen Ho­ri­zont stand, zog sei­nen Blick auf sich. Die weiß­lich blaue Hel­lig­keit, die von ihr aus­ging, blen­de­te ihn einen Au­gen­blick lang.

Der strah­len­de Glanz ver­schwand, als er das Licht­schutz­fil­ter sei­nes Helms her­un­ter­klapp­te. Nun sah er den schwar­zen Gey­sir, der aus dem zer­klüf­te­ten Bo­den auf­stieg. In fünf­hun­dert Me­ter Hö­he brei­te­te er sich pilz­för­mig aus. Gleich­zei­tig ver­än­der­te die Far­be sich im Erd­schein zu ei­nem fah­len Blau – ein Schirm aus Eis­kris­tal­len, die bei ei­ner Tem­pe­ra­tur von mi­nus fünf­und­zwan­zig Grad Cel­si­us kon­den­sier­ten. Die Wol­ke war nicht über­mä­ßig groß; sie schmolz be­reits an den Aus­läu­fern und wur­de von dem schwa­chen Wind zer­streut, der ost­wärts in Rich­tung auf die Son­ne zu weh­te.

Für Angst war jetzt kei­ne Zeit. Zwei Män­ner hat­ten sich in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des Ex­plo­si­ons­herds be­fun­den.

Viel­leicht leb­ten sie noch. Aber bald wür­de La­va aus dem Kra­ter drin­gen.

Se­vi­gny rann­te auf das nächs­te Mond­fahr­zeug zu. »Ich brau­che noch drei Män­ner!« rief er. »Viel­leicht kön­nen wir Poy und Erich recht­zei­tig ber­gen!«

Trotz der nied­ri­gen Mond­schwer­kraft be­hin­der­te ihn sein Schutz­an­zug, als er zu dem er­höh­ten Füh­rer­sitz hin­auf­klet­ter­te. Er beug­te sich ei­ni­ge Se­kun­den lang keu­chend über die In­stru­men­te, be­vor er be­merk­te, daß kein ein­zi­ger Ter­ra­ner oder Mar­sia­ner ihm ge­folgt war.

Warum nicht?

Das Dach des Fahr­zeugs stand of­fen, so daß der Füh­rer­sitz der ei­si­gen Käl­te aus­ge­setzt blieb. Das La­ger war be­reits vor ei­ni­ger Zeit er­rich­tet wor­den. Nach­dem die kli­ma­ti­sier­ten Schutz­kup­peln mit Mond­staub ge­gen die Hit­ze und die Strah­lung ab­ge­deckt wor­den wa­ren, die nach Son­nen­auf­gang ein­set­zen wür­den, war es über­flüs­sig, die Fahr­zeu­ge un­ter Druck zu hal­ten oder ih­re Ab­schirm­ge­ne­ra­to­ren in Be­trieb zu las­sen. Se­vi­gny brauch­te sich nur über den Rand zu leh­nen und zu ru­fen: »He, was ist denn mit euch los? Ich brau­che drei Män­ner, ha­be ich ge­sagt!«

Ei­ni­ge Se­kun­den ver­stri­chen, in de­nen nur das To­sen des Vul­kans zu hö­ren war. Dann ant­wor­te­te Branch, der sein Helm­funk­ge­rät auf höchs­te Laut­stär­ke ein­ge­stellt hat­te. »Bist du über­ge­schnappt? Die bei­den sind doch schon längst tot!«

»Viel­leicht auch nicht«, schnauz­te Se­vi­gny. »Wir müs­sen nach ih­nen se­hen.«

»Und da­bei vier wei­te­re Men­schen­le­ben aufs Spiel set­zen? Der Kra­ter kann je­der­zeit flüs­si­ges Ge­stein spu­cken!«

Einen Au­gen­blick lang be­griff Se­vi­gny über­haupt nichts mehr. Er starr­te sprach­los vor sich hin und hat­te das Ge­fühl, er er­le­be einen schlech­ten Traum.

Sei­ne schwe­ren Schutz­hand­schu­he schlos­sen sich so fest um den Rand des Fahr­zeugs, daß die Heiz­dräh­te sich ver­bo­gen. »Ihr …« Dann fand er plötz­lich das rich­ti­ge Wort, das sei­ne Ge­füh­le aus­drück­te. »Ihr Erd­lin­ge!«

»Rich­tig, Boß, du hast völ­lig recht!« Aarons kam in lan­gen Sät­zen über die Ebe­ne her­an­ge­eilt. Sei­ne Stie­fel wir­bel­ten klei­ne Staub­wol­ken auf. Die üb­ri­gen folg­ten nach­ein­an­der.

Se­vi­gny konn­te sie in dem herr­schen­den Halb­dun­kel nur an den Leucht­zah­len auf ih­ren An­zü­gen er­ken­nen.

»Youk­han­nan und Na­ka­ji­ma!« rief Se­vi­gny. »Ihr seid am nächs­ten. Die an­de­ren schaf­fen in­zwi­schen un­ser Zeug von hier fort.« Der müh­sam un­ter­drück­te Är­ger stieg wie­der in ihm auf, des­halb schloß er ab­sicht­lich mit ei­nem Be­fehl, der den Stolz der Män­ner ver­let­zen muß­te. »R’Ku, du über­nimmst das Kom­man­do.«

»Wird ge­macht, Boß.« Der Mar­sia­ner hat­te sich nicht be­wegt. Aber jetzt han­del­te er blitz­schnell – ei­ni­ge ra­sche Sprün­ge, wie sie kein Mensch ge­schafft hät­te, ein kur­z­er Blick zur Ori­en­tie­rung und knap­pe, über­leg­te Be­feh­le.

Kein Wun­der, daß er sich nicht frei­wil­lig ge­mel­det hat, dach­te Se­vi­gny. Er hät­te oh­ne­hin nichts aus­rich­ten kön­nen, weil das vie­le Was­ser auf sei­ner Haut ihn ge­lähmt hät­te; und Mar­sia­ner ha­ben nichts für ro­man­ti­sche Ges­ten üb­rig. Aber die üb­ri­gen – wer hät­te ge­dacht, daß sie sol­che Feig­lin­ge sind!

Dann fiel ihm je­doch ein, daß die Ter­ra­ner sich nicht ge­gen­sei­tig durch Ban­de in­ner­halb ei­nes Klans ver­pflich­tet fühl­ten, wie es bei den Cy­the­rea­nern der Fall war. Die ers­ten Ve­nus­ko­lo­nis­ten hat­ten die­sen Na­men an­ge­nom­men. Wä­re er selbst nur ein ein­fa­ches Mit­glied der Mann­schaft ge­we­sen, hät­te er viel­leicht auch ge­zö­gert, be­vor er sein Le­ben für einen an­de­ren ris­kier­te, mit dem er nicht durch einen Eid ver­bun­den war. Als Boß be­fand er sich je­doch in ei­ner an­de­ren La­ge.

Aarons, Youk­han­nan und Na­ka­ji­ma er­reich­ten das Fahr­zeug, klet­ter­ten auf die La­de­flä­che und klam­mer­ten sich dort an den Sei­ten­wän­den fest. Se­vi­gny ließ sich in den Füh­rer­sitz glei­ten und star­te­te den rech­ten Mo­tor. Der da­zu be­nö­tig­te Strom kam aus den un­ter­halb lie­gen­den Ak­ku­mu­la­to­ren. Das Fahr­zeug dreh­te sich, bis die stump­fe Na­se auf den Gey­sir zeig­te. Se­vi­gny schal­te­te auch den Back­bord­mo­tor ein. Acht rie­si­ge Un­ter­druck­rei­fen roll­ten durch den Staub.

Ein Spalt hat­te sich zwi­schen ih­nen und dem Bohr­loch ge­öff­net. Se­vi­gny hielt das Fahr­zeug nicht erst an, um die Ent­fer­nun­gen zu schät­zen. Nach ei­nem Jahr auf dem Mond hat­ten sei­ne Au­gen sich auf die hie­si­gen Ver­hält­nis­se ein­ge­stellt. Als er das Ge­fühl hat­te, daß jetzt der rich­ti­ge Au­gen­blick ge­kom­men sei, leg­te er einen Schal­ter um. Zwei Aus­le­ge­ar­me ho­ben das zur Aus­rüs­tung des Fahr­zeugs ge­hö­ren­de Brücken­stück aus sei­ner Ver­an­ke­rung und über das Dach hin­weg, bis es den Spalt über­deck­te. Auf der fes­ten Un­ter­la­ge roll­te das schwe­re Fahr­zeug si­cher hin­über. Als die Brücke nicht mehr be­las­tet wur­de, nah­men die Aus­le­ge­ar­me sie wie­der auf.

Der schwa­che Wind wir­bel­te die Asche auf und trieb sie in dich­ten Schwa­den ge­gen das Fahr­zeug. Se­vi­gny hör­te die win­zi­gen Teil­chen ge­gen sei­nen Helm pral­len. Das Fahr­zeug wühl­te sich nur lang­sam durch den tie­fen Schlamm, der aus dem Bohr­loch ge­drun­gen war. Er lehn­te sich nach vom und starr­te an­ge­strengt hin­aus, wäh­rend sei­ne Hän­de me­cha­nisch die nö­ti­gen Hand­grif­fe vor­nah­men. Dort drü­ben … Er steu­er­te den dunklen Schat­ten am Kra­ter­rand an, er­reich­te ihn und trat auf die Brem­sen.

Das an­de­re Mond­fahr­zeug lag halb von Fels­bro­cken be­gra­ben auf der rech­ten Sei­te. Ein Teil des Bohr­ge­stän­ges war aus dem Loch ge­schleu­dert wor­den und hat­te die elek­tri­sche Win­de un­brauch­bar ge­macht. Dicht da­ne­ben lag der um­ge­stürz­te Kom­pres­sor, an den die För­der­pum­pe an­ge­schlos­sen ge­we­sen war. Er sah kei­ne mensch­li­che Ge­stalt. Das schwa­che Ge­räusch des Win­des konn­te sich ge­gen den brül­len­den Vul­kan nicht durch­set­zen.

Er stell­te sein Funk­ge­rät auf höchs­te Laut­stär­ke. »Seht ihr je­mand?« er­kun­dig­te er sich.

»Nein, kei­nen Men­schen«, ant­wor­te­te Youk­han­nan mit ei­nem star­ken Ak­zent in der Stim­me. »Wahr­schein­lich lie­gen sie ir­gend­wo un­ter den Trüm­mern be­gra­ben.«

»Nehmt Schau­feln mit und seht nach«, be­fahl Se­vi­gny. »Ich su­che die Um­ge­bung des Fahr­zeugs ab.«

Er ver­zich­te­te auf die Lei­ter, schwang sich über den Rand des Füh­rer­sit­zes und sank lang­sam zu Bo­den. Die von dem Kra­ter auf­stei­gen­de Hit­ze drang durch sei­nen Schutz­an­zug. Der Ther­mo­stat schal­te­te auf Küh­lung um. Er stol­per­te über die ver­kohl­ten Fel­sen vor­wärts.

Un­ter dem Vor­der­teil des Fahr­zeugs rag­te ein Stie­fel her­aus! Se­vi­gny ließ sich auf die Knie nie­der und grub has­tig mit bei­den Hän­den, bis ihm der Schweiß in großen Trop­fen über die Stirn und in die Au­gen lief. Mi­nu­ten spä­ter beb­ten die Fel­sen wie­der, und aus dem Kra­ter stieg ei­ne Asche­wol­ke auf, von der die Ster­ne ver­dun­kelt wur­den.

Se­vi­gny leg­te bei­de Bei­ne frei, er­hob sich lang­sam und at­me­te tief, be­vor er mit al­ler Kraft dar­an zerr­te. Noch ein kräf­ti­ger Ruck, dann lös­te der Kör­per sich so plötz­lich aus den Fels­bro­cken, daß Se­vi­gny losließ und ei­ni­ge Schrit­te nach hin­ten tau­mel­te. Er kam wie­der zu­rück, schal­te­te sei­nen Hand­schein­wer­fer ein und beug­te sich über die leb­lo­se Ge­stalt. Es war Leong. Aus ei­nem Riß in sei­nem An­zug drang ei­ne leich­te Dampf­wol­ke, aber ei­ni­ge Blut­bläs­chen um den Mund un­ter dem Helm schie­nen sich noch zu be­we­gen. Se­vi­gny nahm den an­de­ren auf die Ar­me, rich­te­te sich müh­sam auf und stol­per­te zu dem Fahr­zeug zu­rück.

 

Ein dump­fes Grol­len lei­te­te die ers­te Mag­mae­rup­ti­on ein. Se­vi­gny hob Leong auf die La­de­flä­che und such­te in den Au­ßen­ta­schen sei­nes An­zugs nach dem selbst­kle­ben­den Ab­dich­ter. Dann ström­te kein Dampf mehr aus. Se­vi­gny er­hob sich mit zit­tern­den Kni­en und schal­te­te den star­ken Such­schein­wer­fer des Fahr­zeugs ein. Das hät­te ich schon längst tun sol­len. Wie kön­nen die an­de­ren mich sonst fin­den? Daß ich nicht dar­an ge­dacht ha­be! In dem Schein­wer­fer­strahl er­kann­te er den Kom­pres­sor, der nur we­ni­ge Me­ter von ihm ent­fernt stand. Aus ei­ner plötz­li­chen Ein­ge­bung her­aus schwenk­te er den Aus­le­ge­arm des Krans, senk­te ihn über das Ge­rät und ließ die Grei­fer zu­pa­cken. Das Fahr­zeug neig­te sich un­ter der schwe­ren Last, rich­te­te sich aber au­to­ma­tisch wie­der auf.

Die La­va ström­te wie ein dun­kel­glän­zen­der Glet­scher nä­her. Se­vi­gny ließ sich in sei­nen Sitz fal­len. »Na­ka­ji­ma!« schrie er. »Youk­han­nan! Aarons! Zu­rück­kom­men! Be­eilt euch!« Einen Au­gen­blick lang über­leg­te er, ob er sie nicht zu­rück­las­sen soll­te. Si­cher konn­ten sie auch zu Fuß recht­zei­tig flie­hen … Nein. Je­mand muß­te sich um Leong küm­mern, sonst war er tot, be­vor sie das La­ger er­reich­ten.

Ei­ne dunkle Ge­stalt tauch­te aus dem Aschen­re­gen auf, dann folg­ten in kur­z­en Ab­stän­den zwei wei­te­re. Dann hat­ten sie al­so Erich nicht ge­fun­den. Se­vi­gny schal­te­te den An­trieb ein und war­te­te, bis die an­de­ren an Bord ge­klet­tert wa­ren, be­vor er los­fuhr.

»Ei­ner von euch holt Poy hier her­ein und be­han­delt ihn. Die bei­den an­de­ren hal­ten sich fest!« sag­te er.

In die­sem Ge­län­de durf­te er nicht mit höchs­ter Ge­schwin­dig­keit fah­ren, ob­wohl das Ma­re Se­re­ni­ta­tis sich je­den Au­gen­blick un­ter ih­nen öff­nen konn­te. Wie we­nig die­ser Na­me jetzt zu­traf! Er kon­zen­trier­te sich so sehr auf die Steue­rung des Fahr­zeugs, daß er gar nicht be­merk­te, was um ihn her­um vor­ging. Als er wie­der si­che­ren Bo­den vor sich sah, stell­te er zu sei­ner Über­ra­schung fest, daß die Ka­bi­ne luft­dicht ver­schlos­sen und un­ter Druck ge­setzt wor­den war.

Er warf einen Blick nach hin­ten. Leong trug kei­nen Schutz­an­zug mehr, son­dern ruh­te in ei­nem leich­ten Baum­woll­tri­kot auf der rück­wär­ti­gen Sitz­bank. Sei­ne Au­gen wa­ren ge­schlos­sen, er at­me­te un­re­gel­mä­ßig. Aarons, der ne­ben ihm knie­te, hat­te Helm und Schutz­hand­schu­he ab­ge­legt.

»Was fehlt ihm?« frag­te Se­vi­gny.

»Na­tür­lich De­kom­pres­si­on«, er­klär­te ihm Aarons. »Wahr­schein­lich ein Schock, ei­ne Ge­hirn­er­schüt­te­rung und viel­leicht so­gar ei­ni­ge Kno­chen­brü­che.« Er hol­te ei­ne In­jek­ti­onss­prit­ze aus dem Ers­te-Hil­fe-Kas­ten. »Ich ge­be ihm jetzt vor­beu­gend zwan­zig Ku­bik­zen­ti­me­ter ADR, aber es sieht so aus, als hät­test du ihn recht­zei­tig ge­fun­den. Wo lag er denn?«

»Un­ter sei­nem Fahr­zeug. Ich neh­me an, daß er ein­fach her­aus­ge­rutscht sein muß, als es um­stürz­te. Erich muß fort­ge­schleu­dert wor­den sein.«

Aarons dreh­te sich um und sah zu der Rauch­wol­ke und der aus­strö­men­den La­va zu­rück. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Trotz­dem brau­chen wir nicht mehr nach ihm zu su­chen.« Er schwieg ei­ni­ge Zeit, be­vor er wei­ter­sprach. »Ich bin froh, daß du uns mit­ge­nom­men hast, Boß – ob­wohl wir nicht viel aus­ge­rich­tet ha­ben.«

Se­vi­gny mach­te ei­ne ab­weh­ren­de Hand­be­we­gung.

 

Die vier un­be­schä­digt ge­blie­be­nen Fahr­zeu­ge – die bei­den Wohn­wa­gen, der Bull­do­zer und der Schau­fel­la­der – stan­den in ei­ni­ger Ent­fer­nung bei­ein­an­der. Die Män­ner hat­ten sich in ih­rer Nä­he ver­sam­melt, aber R’Ku hielt sich ab­seits. Das Erd­licht schim­mer­te auf sei­ner bläu­li­chen Haut. Sein merk­wür­di­ger Schä­del schi­en einen Kranz aus Ster­nen zu tra­gen.

Der Mar­sia­ner be­weg­te sich erst, als Se­vi­gny den Wohn­wa­gen er­reicht hat­te, der ei­ni­ge Kran­ken­bet­ten ent­hielt. Ein ein­zi­ger Sprung ge­nüg­te, um ihn an das Fahr­zeug her­an­zu­brin­gen. Im Flug wirk­te sei­ne in­sek­ten­haf­te Ge­stalt nicht mehr steif oder gro­tesk, son­dern zeig­te sich in ih­rer gan­zen gra­zi­ösen Be­weg­lich­keit. Als er lan­de­te, be­fand sich sein Kopf auf Se­vi­gnys Au­gen­hö­he, ob­wohl der Fah­rer­sitz fast zwei Me­ter über dem Bo­den an­ge­bracht war.

R’Kus star­rer Blick be­un­ru­hig­te den Cy­the­rea­ner schon längst nicht mehr, aber frü­her hat­ten ihn die rie­si­gen dun­kel­grü­nen Au­gen fast er­schreckt. Das läng­li­che Ge­sicht war ihm schon im­mer apart er­schie­nen. Im Au­gen­blick war es al­ler­dings hin­ter dem Schutz­helm kaum zu er­ken­nen. Die Mondat­mo­sphä­re war un­ter­des­sen be­reits so dicht, daß die Mar­sia­ner kei­ne Schutz­an­zü­ge mehr be­nö­tig­ten, aber die Zu­sam­men­set­zung stimm­te nicht ganz. Nicht ge­nü­gend Stick­stoff, zu­viel Me­than und Am­mo­ni­ak; und ob­wohl sie Was­ser brauch­ten, wie die Ter­ra­ner Vit­ami­ne ha­ben muß­ten, war die At­mo­sphä­re doch zu was­ser­hal­tig für sie.

»Was habt ihr er­reicht?« er­kun­dig­te sich R’Ku. Die Wor­te klan­gen ble­chern und me­cha­nisch. Se­vi­gny hat­te sich schon oft ge­fragt, ob die Mar­sia­ner nicht nur des­halb als ge­fühl­los be­kannt wa­ren, weil sie Vo­ka­li­sa­to­ren be­nüt­zen muß­ten, wenn sie sich ver­stän­di­gen woll­ten. An­de­rer­seits lie­ßen ih­re Be­we­gun­gen nur sel­ten Auf­re­gung er­ken­nen …

»Wir ha­ben Leong ge­bor­gen«, ant­wor­te­te er. »Das Ver­bin­dungs­rohr muß aus­ge­fah­ren wer­den, da­mit wir ihn in den Wohn­wa­gen brin­gen kön­nen.«

R’Ku er­teil­te ei­ni­ge kur­ze An­wei­sun­gen. Vier Män­ner be­gan­nen mit der Ar­beit. Sie sa­hen nicht zu Se­vi­gny hin­über.

»Du hast den Kom­pres­sor mit­ge­bracht«, stell­te R’Ku fest.

»Rich­tig. Viel­leicht hat er ver­sagt. Wir müs­sen ihn in das Haupt­quar­tier zu­rück­brin­gen. Hier kön­nen wir oh­ne­hin nichts mehr aus­rich­ten. Und Poy muß ins Kran­ken­haus.«

»Dann ist er al­so noch zu ret­ten?«

»Ich hof­fe es we­nigs­tens.« Se­vi­gny stell­te noch ei­ne Fra­ge. »Was wür­dest du denn mit ihm an­fan­gen, wenn er ge­stor­ben wä­re?«

»Ich ha­be ge­hört, daß die To­ten bei euch be­gra­ben wer­den.«

»Auf dem Mars, mei­ne ich.«

»Das hängt ganz von der je­wei­li­gen Kul­tur ab. Wir in der Großen Kon­fö­de­ra­ti­on wür­den die Lei­che pul­ve­ri­sie­ren und in den Wind streu­en. Aber in Il­lach wür­de sie dem bio­lo­gi­schen Kreis­lauf zu­ge­führt wer­den; K’nea wür­de Vieh­fut­ter dar­aus her­stel­len; Hs’ach …«

»Dan­ke, das ge­nügt.« Se­vi­gny sank mü­de in sei­nem Sitz zu­sam­men und be­merk­te erst jetzt, wie aus­ge­pumpt er ei­gent­lich war.

 

Seit sei­ner An­kunft auf Port Kep­ler hat­te er sich noch nie so ein­sam ge­fühlt. Da­mals war er ein in­tel­li­gen­ter jun­ger In­ge­nieur, dem die Li­ma Cor­po­ra­ti­on ei­ne Stel­lung an­ge­bo­ten hat­te, ob­wohl er nur über drei Jah­re Be­rufs­er­fah­rung ver­füg­te. Seit­dem hat­te er sich aus­schließ­lich mit sei­ner Ar­beit und den da­mit ver­bun­de­nen Pro­ble­men be­schäf­tigt, bis er schließ­lich Boß ei­ner Tief­bohr­mann­schaft ge­wor­den war. Aber wie we­nig wuß­ten die Klans auf der Ve­nus doch von an­de­ren Wel­ten – wie iso­liert wa­ren sie auf ih­rem wol­ken­ver­han­ge­nen Pla­ne­ten!

Ein Mann lag jetzt tot un­ter dem ge­schmol­ze­nen Ge­stein, weil sein Bohr­loch au­ßer Kon­trol­le ge­ra­ten und ex­plo­diert war …

Er schüt­tel­te sich. »Los, schnel­ler«, be­fahl er mit hei­se­rer Stim­me. »Seht zu, daß das Ver­bin­dungs­stück an­ge­schlos­sen wird, da­mit Poy in den Wohn­wa­gen kommt!«

 

Der Buf­fa­lo leg­te sei­ne Zi­gar­re in den alt­mo­di­schen Aschen­be­cher und wand­te sich sei­nem Be­su­cher zu. »Sehr er­freut. Sie hei­ßen Se­vi­gny? Zu­erst dach­te ich, Sie sei­en der leib­haf­ti­ge Zorn Got­tes.«

»Ich kom­me mir aber eher wie das Er­geb­nis vor«, mur­mel­te Se­vi­gny.

Der Buf­fa­lo lach­te. »Na, kom­men Sie her­ein und la­den Sie Ih­re Küm­mer­nis­se bei mir ab. Brin­gen Sie Ih­ren schwar­zen Freund mit. Ich möch­te ihn gern ein­mal aus der Nä­he se­hen.«

Se­vi­gny starr­te ihn er­staunt an. »Sie mei­nen Os­car? Wo­her wis­sen Sie, daß …«

»Ich ha­be im Vor­zim­mer ein Fern­se­h­au­ge in­stal­lie­ren las­sen.« Der Buf­fa­lo deu­te­te auf den klei­nen Bild­schirm ne­ben der Ge­gen­sprech­an­la­ge. »Ich se­he mir die Leu­te gern an, de­nen mei­ne Se­kre­tä­rin sagt, daß ich bei ei­ner Be­spre­chung bin.« Sein brei­tes Ge­sicht ver­zog sich zu ei­nem Lä­cheln. »Ich kann ihr auch von hier aus An­wei­sun­gen ge­ben. Über einen win­zi­gen Kopf­hö­rer; des­we­gen tra­gen mei­ne Mäd­chen ih­re Haa­re lang. Falls ich ein­mal aus­nahms­wei­se nicht bei ei­ner Be­spre­chung sein soll­te. Au­ßer­dem«, füg­te er ge­dan­ken­voll hin­zu, »se­he ich lan­ge Haa­re bei Frau­en gern.«

Se­vi­gny sah ein, daß er schär­fer be­ob­ach­tet wor­den war, als er für mög­lich ge­hal­ten hät­te. Un­will­kür­lich nä­her­te er sei­ne rech­te Hand dem Griff der Pis­to­le, die er stän­dig trug. Auf sei­nem Hei­mat­pla­ne­ten griff man im all­ge­mei­nen nur nach der Waf­fe, wenn ein Kampf un­mit­tel­bar be­vor­stand. Er er­in­ner­te sich dar­an, daß er sich auf dem Mond be­fand. Trotz­dem konn­te und woll­te er den na­tür­li­chen Stolz sei­nes Klans nicht un­ter­drücken.

»Wie Sie wol­len«, ant­wor­te­te er kurz und ging zur Tür, oh­ne dem an­de­ren noch einen Blick zu gön­nen. Auf der Milchglas­schei­be stand in großen schwar­zen Buch­sta­ben:

 

BRU­NO NOR­RIS

EIN­SATZ­LEI­TER

 

Er riß die Tür auf, streck­te sei­nen Kopf in das Vor­zim­mer hin­aus und pfiff schrill. Os­car sprang vom Stuhl her­ab, auf dem er ge­schla­fen hat­te, rann­te durch die of­fe­ne Tür und er­reich­te Se­vi­gnys Schul­ter mit ei­nem ein­zi­gen Satz.

Die Se­kre­tä­rin warf dem jun­gen Mann einen über­rasch­ten Blick zu. Er sah aus­ge­spro­chen gut aus: ein kräf­ti­ger, hoch­ge­wach­se­ner Mann mit mar­kan­ten Ge­sichts­zü­gen, dich­ten Au­gen­brau­en und sand­far­be­nem Haar, das nicht über­mä­ßig or­dent­lich ge­kämmt war. Aber die Son­ne hat­te ihn ge­bräunt, und er hielt sich auf­recht wie ein Sol­dat. Auch die lan­ge Tu­ni­ka mit dem Klans-Ab­zei­chen, die sei­ne Knie freiließ, und die wei­chen Schaft­s­tie­fel wa­ren be­mer­kens­wert, wenn man sie mit der im Au­gen­blick auf der Er­de mo­der­nen Klei­dung – rus­si­sche Ka­sacks und Pumpho­sen – ver­glich.

Se­vi­gny er­wi­der­te den Blick des Mäd­chens mit un­ver­hoh­le­nem In­ter­es­se. Es schi­en tat­säch­lich zu stim­men, daß der Buf­fa­lo die hüb­sche­s­ten Mäd­chen auf dem Mond als sei­ne Se­kre­tä­rin­nen ein­stell­te.

Ein we­nig be­dau­ernd, aber gleich­zei­tig in we­sent­lich bes­se­rer Stim­mung ließ er die Tür ins Schloß fal­len und dreh­te sich wie­der um. Der grau­haa­ri­ge Rie­se hin­ter dem brei­ten Schreib­tisch wies auf einen Ses­sel. »Set­zen Sie sich end­lich. Zi­gar­re?«

»Nein, dan­ke, ich rau­che nicht.« Se­vi­gny ließ sich auf dem äu­ßers­ten Ses­sel­rand nie­der.

»Was ist denn mit Ih­nen los, wol­len Sie ewig le­ben? Wie steht es mit ei­nem klei­nen Drink? Ich schät­ze, daß die Son­ne eben ver­schwun­den ist. Wir kön­nen ja nach­se­hen.« Er griff nach ei­nem Schal­ter und ließ den Wand-zu-Wand-Bild­schirm auf­leuch­ten.

 

Die Fern­seh­ka­me­ra tas­te­te die Mond­ober­flä­che ab und ließ das Ge­wirr von un­ter­ir­di­schen Räu­men und Ver­bin­dungs­gän­gen un­be­rück­sich­tigt, aus de­nen Port Kep­ler zu neun­zig Pro­zent be­stand. Der Bo­den des Kra­ters er­streck­te sich un­be­rührt bis zu dem auf­ra­gen­den Ring­wall, aber in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des Raum­ha­fens wur­den Ein­stieg­tür­me, Ra­dar­ge­rä­te, Kon­troll­zen­tren, Bahn­glei­se und gan­ze Rei­hen von Son­nen­bat­te­ri­en sicht­bar. Die Er­de stand als schma­le Si­chel am Him­mel, über den hel­le Wol­ken­schlei­er zo­gen.

Das ro­te Ge­sicht ver­zog sich zu ei­nem ver­schmitz­ten Lä­cheln. »Hmm«, mein­te der Buf­fa­lo, »an­schei­nend müs­sen wir das Ach­ter­deck et­was er­hö­hen, denn die Son­ne steht noch ziem­lich hoch.« Aus ei­ner Schreib­tisch­schub­la­de hol­te er ei­ne Fla­sche Co­gnac und zwei Glä­ser, aus der an­de­ren Eis­wür­fel und So­da­was­ser, die dort ge­kühlt auf­be­wahrt wur­den.

»Ich weiß nicht recht, Mr. Nor­ris.« Se­vi­gny zö­ger­te. »Schließ­lich han­delt es sich doch um ei­ne sehr erns­te An­ge­le­gen­heit …«

»Großer Gott, Mann! Ha­ben Sie denn gar kei­ne Las­ter?«

»Oh … in Ord­nung. Dan­ke.« Der Cy­the­rea­ner muß­te un­will­kür­lich lä­cheln.

Die brau­ne Flüs­sig­keit er­goß sich in die bei­den Glä­ser. Os­car setz­te sich neu­gie­rig auf, so daß sein dunkles sei­den­wei­ches Fell Se­vi­gny am Hals kit­zel­te.

»Auf un­ser ge­mein­sa­mes Wohl!« Der Buf­fa­lo stürz­te sein Glas mit ei­nem Zug hin­un­ter und zün­de­te sich ei­ne neue Zi­gar­re an. »Ich ge­be auf.

Wie heißt das ko­mi­sche Tier, das Sie da ha­ben?«

»Dir­rel. Sie hän­gen sehr an ih­ren Be­sit­zern, des­halb muß­te ich ihn mit­brin­gen.« Das klang noch im­mer zu fri­vol. »In den Shaws, wo ich auf­ge­wach­sen bin, hält sich fast je­der einen. Man ver­irrt sich sonst zu leicht in der Wild­nis, wenn man kei­nen Füh­rer hat, der die höchs­ten Bäu­me er­klet­tern kann. Au­ßer­dem sind sie gu­te Spu­ren­su­cher und er­set­zen den bes­ten Jagd­hund.«

»Ich dach­te im­mer, daß die Ve­nus zum größ­ten Teil aus Wüs­ten be­ste­he.«

»Das trifft schon lan­ge nicht mehr zu, denn ei­ni­ge Land­stri­che er­wie­sen sich als äu­ßerst frucht­bar, als sie be­wäs­sert wur­den. Der Bo­den ent­hielt be­reits al­le not­wen­di­gen Nähr­stof­fe, und als die ers­ten Pflan­zen ein­ge­setzt wur­den, ver­mehr­ten sie sich rasch.«

»Hmm … ja, jetzt er­in­ne­re ich mich wie­der. Das war ver­mut­lich auch der Grund für die häu­fi­gen Feh­den zwi­schen den Klans? Strei­tig­kei­ten we­gen ei­nes be­stimm­ten Ge­biets, das oh­ne grö­ße­ren Ar­beits­auf­wand be­sie­delt wer­den konn­te. Und wo stammt Ihr klei­ner Freund her?«

Se­vi­gny zuck­te mit den Schul­tern. »Ich weiß es selbst nicht ge­nau. Ei­ne Art Na­ge­tier. Sie er­rei­chen ein Ge­wicht von et­wa sie­ben bis acht Ki­lo­gramm, ent­wi­ckeln kräf­ti­ge Hän­de und ver­fü­gen über ein ganz brauch­ba­res Ge­hirn. Os­car kann sich so­gar mit mir un­ter­hal­ten – al­ler­dings nur in sei­ner Spra­che.« Er strich dem Tier mit der Hand über den Kopf. Os­car rich­te­te sich auf und be­weg­te sei­nen bu­schi­gen Schweif.

»Oh. Rich­tig. Ich ver­ste­he. Sei­ne Vor­fah­ren – aber no Im­por­te. Ich freue mich, daß Sie mich auf­ge­sucht ha­ben«, sag­te der Buf­fa­lo. »Manch­mal seh­ne ich mich selbst aus die­sem Bü­ro fort und zu den Bohr­lö­chern zu­rück. Die meis­ten Mann­schaf­ten sind wirk­lich ei­ne ver­rück­te Mi­schung aus al­len mög­li­chen Men­schen­ty­pen. Ich er­in­ne­re mich noch an einen Ni­ge­ria­ner …«

Se­vi­gny stell­te sein Glas ab und rich­te­te sich in dem Ses­sel auf. »Ich neh­me an, daß Ih­re Zeit kost­bar ist, Mr. Nor­ris«, un­ter­brach er den an­de­ren. »Was woll­ten Sie mit mir be­spre­chen.«

»Das Un­glück … Blei­ben Sie ru­hig, jun­ger Mann. Kein Grund zur Auf­re­gung, denn Sie brau­chen sich ja nicht zu ver­tei­di­gen. Sie ha­ben ge­tan, was Sie konn­ten. Ich kann mir vor­stel­len, daß es einen Schock für Sie be­deu­tet hat, als der ers­te selb­stän­di­ge Auf­trag so in die Bin­sen ging. Aber Sie ha­ben mehr Über­le­gung be­wie­sen als vie­le Ve­te­ra­nen. Ich möch­te ei­ne aus­führ­li­che Schil­de­rung des Un­glücks von Ih­nen. Von An­fang bis zum En­de.«

»Sie ha­ben einen Be­richt von mir be­kom­men.«

»Neh­men wir ein­mal an, daß ich ihn noch nicht ge­le­sen ha­be. Neh­men wir wei­ter­hin an, daß ich kei­ne Ah­nung von Tief­boh­run­gen ha­be. Ich wer­de Ih­nen spä­ter den Grund da­für er­klä­ren, aber im Au­gen­blick sol­len Sie ein­fach er­zäh­len, wie sich die Sa­che zu­ge­tra­gen hat.«

Se­vi­gny run­zel­te die Stirn. Er wuß­te nicht, was er von die­sem ers­ten Zu­sam­men­tref­fen mit sei­nem höchs­ten Vor­ge­setz­ten hal­ten soll­te. Okay, dach­te er dann, Be­fehl ist Be­fehl.

»Wir er­reich­ten Bohr­loch IV im Ma­re Se­re­ni­ta­tis wie ge­plant kurz nach Son­nen­un­ter­gang«, be­gann er sei­nen Be­richt. »Wäh­rend der Bohr­turm er­rich­tet wur­de, schlug der Rest der Mann­schaft das La­ger auf. Bis et­wa 18.00 Uhr des zwei­ten Ta­ges schi­en al­les wie ge­wohnt zu ver­lau­fen. Wir eb­ne­ten das Ge­län­de um das Bohr­loch her­um ein und zo­gen Grä­ben, um das Was­ser auf­zu­fan­gen, nach­dem die Ver­mes­sungs­in­ge­nieu­re grö­ße­re Vor­kom­men fest­ge­stellt hat­ten. Als sich der Un­fall er­eig­ne­te, war es fast Zeit für einen Schicht­wech­sel. De­cker und Leong stan­den un­ter dem Bohr­turm, weil sie den Bohr­mei­ßel aus­wech­seln woll­ten. Die Erup­ti­on über­rasch­te sie. Wir konn­ten Leong ret­ten – sein Zu­stand hat sich be­reits er­heb­lich ge­bes­sert –, muß­ten aber die Su­che nach De­cker ein­stel­len, weil die La­va zu rasch vor­drang, bra­chen das La­ger ab und ka­men nach Port Kep­ler zu­rück. R’Ku, der ein­zi­ge Mar­sia­ner in un­se­rer Mann­schaft, blieb zu­rück, um das Bohr­loch zu be­ob­ach­ten. In sei­nem letz­ten Be­richt mel­de­te er, daß der Rand ein­ge­stürzt und der Aus­fluß ver­siegt sei. Ich ha­be ihm be­foh­len, daß er hier­her kom­men soll. Er müß­te bald ein­tref­fen.«

»Wor­auf ist der Un­fall Ih­rer Mei­nung nach zu­rück­zu­füh­ren?« woll­te der Buf­fa­lo wis­sen.

»Viel­leicht auf das Ver­sa­gen des Kom­pres­sors. Wir wuß­ten, daß wir in ei­ner be­stimm­ten Tie­fe mit ei­ner Schicht Eis in al­lo­tro­pi­scher Form rech­nen muß­ten. Als dann der Bohr­schlamm nicht mehr un­ter Druck stand, ver­än­der­te sich der Ag­gre­gat­zu­stand, und die frei­wer­den­de Ener­gie ver­dampf­te einen Teil des Ei­ses. Da­durch bil­de­te sich ei­ne Höh­le, in der das ge­schmol­ze­ne Ge­stein nach oben stei­gen konn­te.«

»Klingt durch­aus ein­leuch­tend. Gu­te Idee von Ih­nen, daß Sie den Kom­pres­sor mit­ge­nom­men ha­ben.«

»Ha­ben die Tech­ni­ker ei­ne Feh­ler­quel­le ent­deckt?«

»Ich ha­be einen aus­führ­li­chen Un­ter­su­chungs­be­richt er­hal­ten«, ant­wor­te­te der Buf­fa­lo. »In den Zy­lin­der­köp­fen wur­den kris­tal­li­sche Ab­la­ge­run­gen fest­ge­stellt. Das Me­tall ist an die­sen Stel­len ge­ris­sen.«

»Was?« Se­vi­gny fuhr so hef­tig auf, daß Os­car bei­na­he von sei­ner Schul­ter ge­fal­len wä­re. Der Dir­rel schnat­ter­te er­bost und hielt sich noch fes­ter als zu­vor.

»Aber … warum ist das in der Fa­brik bei den Kon­trol­len nicht be­män­gelt wor­den?« Se­vi­gny schüt­tel­te ver­wirrt den Kopf.

Der Buf­fa­lo schlug mit der ge­ball­ten Faust auf die Schreib­tisch­plat­te. »Das möch­te ich auch wis­sen«, sag­te er dann.

Er beug­te sich vor und füll­te die bei­den Glä­ser. »Jun­ger Mann«, fuhr er fort, »ich ha­be schwe­re Sor­gen. Des­halb woll­te ich Sie auch se­hen, um mir ein Ur­teil über Sie bil­den zu kön­nen. Die­ser Un­fall ist näm­lich kei­nes­wegs der ers­te, der nicht hät­te pas­sie­ren müs­sen.«

»Aber …« Se­vi­gny woll­te et­was ein­wen­den, schwieg je­doch.

»Ich ha­be sie bis­her ver­tuscht«, er­klär­te Nor­ris. »Aber wenn das so wei­ter­geht, kann ich das nicht mehr auf mei­ne Kap­pe neh­men. Na­tür­lich gibt es für je­den Un­glücks­fall ei­ne halb­wegs plau­si­ble Er­klä­rung. Das Dum­me ist nur, daß ich all­mäh­lich nicht mehr weiß, wem ich noch trau­en kann.«

Er seufz­te. Dann sah er dem Jün­ge­ren in die Au­gen. »Wie­viel wis­sen Sie über die po­li­ti­schen Hin­ter­grün­de die­ses Un­ter­neh­mens?« frag­te er.

»Nun … äh … die Lu­na Cor­po­ra­ti­on ist ei­ne in­ter­na­tio­na­le Ge­sell­schaft, an der die meis­ten Re­gie­run­gen be­tei­ligt sind.« Se­vi­gny dach­te an­ge­strengt nach. »Das ist al­les, was ich dar­über weiß«, gab er dann schul­ter­zu­ckend zu.

»Viel mehr ha­be ich auch nicht er­war­tet. Schließ­lich kom­men Sie von ei­nem Pla­ne­ten, auf dem der Klan die ein­zi­ge wirt­schaft­li­che und po­li­ti­sche Ein­heit dar­stellt. Und die Ve­nus hat kei­ne en­ge Ver­bin­dung mit der Er­de, weil die Han­dels­be­zie­hun­gen erst aus­ge­baut wer­den müs­sen. Macht nichts, ich wer­de Ih­nen die La­ge er­klä­ren.«

Se­vi­gny sah ihn er­war­tungs­voll an.

»Un­se­re au­gen­blick­li­che Si­tua­ti­on ist wirk­lich ei­gen­ar­tig«, be­gann Nor­ris. »Die Men­schen ha­ben es noch nicht rich­tig er­kannt, aber die fried­li­che Zeit nä­hert sich ih­rem En­de. Un­se­re kom­pli­zier­te Welt­ord­nung wur­de nur durch die völ­li­ge Er­schöp­fung nach dem letz­ten Welt­krieg mög­lich. Die Pro­ble­me wur­den da­mals nicht ge­löst, son­dern ein­fach un­ter den Tep­pich ge­kehrt, wäh­rend die füh­ren­den Staa­ten den Welt­raum er­ober­ten. Jetzt be­gin­nen die Men­schen wie­der un­ru­hig zu wer­den. Die Tat­sa­che, daß nie­mand pro­tes­tier­te, als die Cy­the­rea­ner ih­re Un­ab­hän­gig­keit er­klär­ten, wird all­ge­mein als Mus­ter­bei­spiel da­für an­ge­se­hen, wie sehr die Mensch­heit sich ge­bes­sert hat. Sie müs­sen ent­schul­di­gen, aber ich hal­te die­se Theo­rie für aus­ge­mach­ten Blöd­sinn. Wich­tig dar­an war näm­lich nicht, daß nie­mand der Un­ab­hän­gig­keits­er­klä­rung wi­der­sprach, son­dern daß Ih­re Leu­te über­haupt auf die Idee ka­men. Seit­dem hat das Sys­tem im­mer mehr Ris­se be­kom­men.«

Der Buf­fa­lo blies nach­denk­lich ei­ni­ge Rauch­rin­ge in die Luft. »Kei­ne Angst, jun­ger Mann, ich wer­de Ih­nen kei­nen Vor­trag über mei­ne po­li­ti­schen An­sich­ten hal­ten. Das war nur die Er­klä­rung da­für, daß das Pro­jekt ei­ner Ter­ra­for­mie­rung des Mon­des von An­fang an auf hef­ti­gen Wi­der­stand stieß. Die Grün­dung der Lu­na Cor­po­ra­ti­on wur­de not­wen­dig, weil die Öf­fent­lich­keit sonst zu­viel Ein­fluß ge­habt hät­te.«

Se­vi­gny nahm einen großen Schluck aus sei­nem Glas. »Das ver­ste­he ich nicht ganz«, wand­te er ein. »Das Ve­nuspro­jekt war doch we­sent­lich kost­spie­li­ger und be­stimmt we­ni­ger loh­nend …«

Der Buf­fa­lo schüt­tel­te den Kopf. »Stimmt nicht, jun­ger Mann. Die Kos­ten wa­ren da­mals ein­fach lä­cher­lich ge­ring, ob­wohl die Raum­schif­fe noch viel pri­mi­ti­ver und teu­rer als heut­zu­ta­ge wa­ren. Schließ­lich muß­ten die Al­gen nur ge­sät wer­den. Si­cher, auch spä­ter blieb noch ei­ne Men­ge zu tun. Die Ar­beit ist selbst nach so vie­len Jah­ren noch nicht ab­ge­schlos­sen. Aber sie wird nach und nach von Pri­vat­fir­men durch­ge­führt. So sind üb­ri­gens auch Ih­re Klans ent­stan­den. Au­ßer­dem ist die Ve­nus ein schö­nes Stück weit ent­fernt. Der Mor­gen- und Abends­tern, sonst nichts. Sie hängt nicht über der Er­de, sie steigt nicht wie ein Kür­bis hin­ter den Hü­geln auf, um sich wie­der in Er­in­ne­rung zu brin­gen.

Wahr­schein­lich wä­ren Sie über­rascht, wenn Sie wüß­ten, mit wel­cher Ener­gie man­che Men­schen da­ge­gen kämpf­ten, daß der Mond ver­wan­delt wer­den soll­te – aus rei­ner Sen­ti­men­ta­li­tät. Auf der Er­de le­ben ge­nü­gend äl­te­re Leu­te, die sich noch im­mer nicht da­mit ab­ge­fun­den ha­ben. Und wenn es sich au­ßer­dem um ei­ne Welt han­delt, auf der zu An­fang kei­ne At­mo­sphä­re vor­han­den ist … nun, Sie soll­ten ein­mal hö­ren, mit wel­chem Ge­jam­mer un­se­re fi­nan­zi­el­len For­de­run­gen be­wil­ligt wer­den. Aber vor al­lem gibt es Men­schen auf der Er­de, die sehr dar­an in­ter­es­siert sind, daß die­ses Pro­jekt nicht ver­wirk­licht wird.«

Se­vi­gny run­zel­te die Stirn. »Wol­len Sie da­mit sa­gen, daß es sich bei dem Un­glück um Sa­bo­ta­ge han­deln könn­te, Mr. Nor­ris?«

»Ich weiß es nicht. Wirk­lich nicht. Aber ei­ni­ge schwe­re Rück­schlä­ge wür­den doch po­li­ti­sche Mu­ni­ti­on ab­ge­ben, fin­den Sie nicht auch?«

Se­vi­gny schüt­tel­te den Kopf. »Tut mir leid, aber ich bin der Mei­nung, daß die Er­de sich fest­ge­legt hat. Ich mei­ne durch die rie­si­gen Be­trä­ge, die be­reits in die­sem Pro­jekt ste­cken – die kann man doch nicht ein­fach ab­schrei­ben. Oder doch?«

»Ei­nes un­se­rer bes­ten Ar­gu­men­te«, stimm­te Nor­ris zu. »Da fällt mir üb­ri­gens ein, daß ich Ih­nen ei­ni­ge Bü­cher mit­ge­ben woll­te, die Sie le­sen soll­ten. Al­le be­han­deln po­li­ti­sche The­men, sind aber trotz­dem durch­aus in­ter­essant.«

»Ich muß Ih­nen ehr­lich sa­gen, daß ich mich nie sehr um po­li­ti­sche Din­ge ge­küm­mert ha­be. Po­li­tik lang­weilt mich.«

»Das be­weist nur, daß Sie nicht ge­nug dar­über wis­sen, jun­ger Mann. Sie soll­ten sich wirk­lich da­mit be­fas­sen, be­vor Sie auf die Er­de kom­men.«

»Was? Aber ich hat­te doch gar nicht die Ab­sicht …«

»Ich kann im Au­gen­blick un­mög­lich von hier fort«, er­klär­te Nor­ris. »An­de­rer­seits weiß ich nicht mehr, wem ich noch trau­en darf. Aber Sie ge­hö­ren kei­ner der Par­tei­en an, sind in­tel­li­gent und ver­mut­lich ein har­ter Bur­sche. Und der Ver­trag von To­ron­to gibt Ih­nen das Recht, zu je­der Zeit und an je­dem Ort Waf­fen zu tra­gen. Ich möch­te nur, daß Sie den Kom­pres­sor, den Sie ge­bor­gen ha­ben, auf die Er­de in das Haupt­quar­tier des Welt­si­cher­heits­diens­tes brin­gen, da­mit er dort gründ­lich un­ter­sucht wer­den kann. Das kris­tal­li­sier­te Me­tall sieht näm­lich sehr nach Sa­bo­ta­ge aus. Ei­ne grö­ße­re Strah­len­do­sis könn­te die Ur­sa­che da­für sein, aber wie soll­te das zu­fäl­lig pas­siert sein? Sie fah­ren of­fi­zi­ell als mein Be­auf­trag­ter, der ei­ni­ge Kon­strukti­ons­än­de­run­gen be­spre­chen soll – da­mit nie­mand auf ko­mi­sche Ge­dan­ken kommt. Was hal­ten Sie da­von?«

 

»Oh!« rief die jun­ge Frau aus. »Ent­schul­di­gen Sie, bit­te.«

Se­vi­gny stütz­te sie, in­dem er sie am Ell­bo­gen fest­hielt, bis sie wie­der das Gleich­ge­wicht ge­fun­den hat­te. Ihr lan­ges Abend­kleid mit den Sil­ber­san­da­len zog die Bli­cke der Män­ner in der Ho­tel­hal­le auf sich.

Der In­halt eben­falls. Die jun­ge Frau schi­en ei­ne Eu­ra­sie­rin zu sein, ob­wohl sie für die­sen Men­schen­typ un­ge­wöhn­lich groß war, und das tief aus­ge­schnit­te­ne Kleid saß wie ei­ne zwei­te Haut. »Kei­ne Ur­sa­che«, wehr­te Se­vi­gny ab. »Gern ge­sche­hen.«

Sie lach­te. »Ich wuß­te gar nicht, daß ein wil­der cy­the­rea­ni­scher Krie­ger ein so net­tes Kom­pli­ment ma­chen kann.« Se­vi­gny hät­te am liebs­ten eben­falls ge­lacht, aber in die­sem Fall muß­te er et­was zur Eh­ren­ret­tung sei­nes Klans sa­gen. »Ist das die hier all­ge­mein ver­brei­te­te An­sicht? Ein Irr­tum, Myla­dy. Wir ar­bei­ten hart und kämp­fen nur, wenn wir an­ge­grif­fen wer­den.«

»Stimmt.« Sie lä­chel­te ihn an. »Wie­der ei­ne Il­lu­si­on we­ni­ger. Sind Sie heu­te an­ge­kom­men? Wahr­schein­lich, denn sonst wä­ren Sie mir schon frü­her auf­ge­fal­len.«

»Ja, mit dem plan­mä­ßi­gen Raum­schiff vom Mond.«

»Vom Mond?« Ih­re dunklen Au­gen wei­te­ten sich er­staunt. »Dann ha­ben Sie be­stimmt et­was mit der Ter­ra­for­mie­rung zu tun?« Er nick­te. »Wie auf­re­gend! Wie lan­ge blei­ben Sie noch hier?«

»Nur noch bis mor­gen, Myla­dy. Ich bin in ei­ner drin­gen­den An­ge­le­gen­heit hier.«

Ur­sprüng­lich hat­te er von dem Raum­ha­fen im Pa­zi­fik so­fort nach Pa­ris wei­ter­flie­gen wol­len. Aber dann stell­te sich her­aus, daß in den nächs­ten Ta­gen kei­ne Ma­schi­ne ein­ge­setzt wur­de, die au­ßer den Pas­sa­gie­ren auch den schwe­ren Kom­pres­sor be­för­dern konn­te. Se­vi­gny war flu­chend mit ei­nem Schiff nach Ho­no­lu­lu ge­fah­ren und hat­te dort ei­ne Ma­schi­ne gechar­tert. Jetzt stand der Kom­pres­sor im Kel­ler des Ho­tels, und er hat­te einen Abend zur frei­en Ver­fü­gung.

Er brauch­te sich kei­ne Sor­gen zu ma­chen. Ge­gen ein gu­tes Trink­geld war der Por­tier da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen, daß Os­car im Kel­ler Wa­che hielt. Der Dir­rel konn­te über einen Kurz­wel­len­sen­der Alarm ge­ben, falls un­er­war­te­ter­wei­se Se­vi­gnys Ein­grei­fen not­wen­dig wer­den soll­te, denn sein Be­sit­zer trug den Emp­fän­ger bei sich.

»Scha­de«, mein­te die jun­ge Frau be­dau­ernd. Sie run­zel­te die Stirn. »Bit­te, hal­ten Sie mich nicht für auf­dring­lich. Auf Ih­rem Hei­mat­pla­ne­ten herr­schen viel­leicht ganz an­de­re Sit­ten. Aber … ha­ben Sie für heu­te abend schon et­was vor?«

»Nein. Ich woll­te ge­ra­de zum Es­sen ge­hen.« Se­vi­gnys Herz schlug ra­scher. »Wür­den Sie mir viel­leicht da­bei Ge­sell­schaft leis­ten, Myla­dy?«

»So­gar sehr gern. Sie dür­fen mich nicht falsch ver­ste­hen, aber al­les, was mit an­de­ren Wel­ten zu tun hat, fas­zi­niert mich ein­fach. Man hört so vie­le ver­schie­de­ne Mei­nun­gen und sieht Do­ku­men­tar­fil­me im Fern­se­hen – aber das sind al­les In­for­ma­tio­nen aus zwei­ter Hand. Sie sind der ers­te Mann, den ich ken­ne, der wirk­lich et­was dar­über weiß.«

Se­vi­gny be­herrsch­te sich sehr, um ihr nicht zu zei­gen, daß er sich über ih­re Zu­sa­ge freu­te. »Das über­rascht mich«, stell­te er fest. »Ich dach­te im­mer, daß die Men­schen in den obe­ren Ge­sell­schafts­schich­ten so ziem­lich je­den ken­nen.«

Sie sah lä­chelnd zu ihm auf. »Ich ge­hö­re aber nicht zu der obers­ten Ge­sell­schafts­schicht. Si­cher, mein Va­ter hat einen Hau­fen Geld, aber er hat es in der Ver­gnü­gungs­in­dus­trie ver­dient.« Sie blin­zel­te ihm lus­tig zu. »Dann ha­be ich al­so ein Ren­dez­vous mit ei­nem Mann, des­sen Na­men ich nicht ein­mal weiß. Ich hei­ße Mau­ra Soe­man­tri – ge­bo­ren in Dja­kar­ta, auf­ge­wach­sen in Chi­ca­go und hier zum Wel­len­rei­ten.«

»Do­nald Se­vi­gny, vom Klan Jä­ger in den Shaws, stets zu Ih­ren Diens­ten.« Er deu­te­te ei­ne Ver­beu­gung an.

Sie be­rühr­te sei­ne Hand einen Au­gen­blick lang, be­vor sie wie­der sprach. »Ich soll­te heu­te abend im Klub es­sen, aber Sie sind be­stimmt in­ter­essan­ter. Ich muß nur an­ru­fen, daß ich nicht kom­me. Ent­schul­di­gen Sie mich bit­te ei­ne Mi­nu­te. Ich bin gleich wie­der zu­rück.«

 

Se­vi­gny sah ihr be­wun­dernd nach. Er hat­te sich un­er­war­tet schnell an die hö­he­re Schwer­kraft auf der Er­de ge­wöhnt, aber erst jetzt fiel ihm auf, wie gra­zi­ös der Gang ei­ner Frau da­durch wur­de.

Dann über­leg­te er sich, wie die­se Zu­falls­be­kannt­schaft sich wei­ter­hin ent­wi­ckeln konn­te. Wahr­schein­lich wür­de der Abend mit Mau­ra kein bil­li­ges Ver­gnü­gen wer­den, weil sie be­stimmt erst­klas­si­ge Lo­ka­le be­vor­zug­te. An­de­rer­seits hat­te er über­reich­lich Geld zur Ver­fü­gung, das er nach Be­lie­ben aus­ge­ben durf­te, oh­ne spä­ter dar­über ab­rech­nen zu müs­sen. Warum al­so nicht? Ih­re Ge­sell­schaft ver­sprach amüsan­ter zu sein als ein ein­sam ver­brach­ter Abend. Und ih­rem Gang nach zu ur­tei­len, hat­te sie ihn si­cher nicht nur aus Ver­se­hen an­ge­sto­ßen!

Mau­ra kehr­te we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter zu­rück. Sie nahm sei­nen Arm und sah ihn er­war­tungs­voll an. »Ei­gent­lich müß­te ich jetzt ein Re­stau­rant vor­schla­gen«, sag­te er. »Aber als Frem­der in die­sem Auf­zug …«

»Ma­chen Sie sich des­we­gen kei­ne Sor­gen«, bat sie. »Hier auf der Er­de paßt ei­ne Uni­form im­mer – vom Im­pe­ri­al Sa­turn Ho­tel bis zur fins­ters­ten Ver­bre­cher­knei­pe. Und Ih­re Tu­ni­ka ist doch ei­ne Art Uni­form, nicht wahr? Das Dach­gar­ten­re­stau­rant hier im Haus ge­fällt mir fast am bes­ten. Die Aus­sicht ist herr­lich.«

»Be­stimmt«, mein­te Se­vi­gny und be­trach­te­te sie von der Sei­te.

Als die Fahr­stuhl­tür sich wie­der öff­ne­te, wur­den sie von ei­nem Ober im Frack emp­fan­gen und an einen Tisch an der Brüs­tung ge­lei­tet. Se­vi­gny hat­te sich längst ab­ge­wöhnt, noch dar­über zu stau­nen, wie vie­le Men­schen trotz der voll­au­to­ma­ti­sier­ten Le­bens­wei­se auf der Er­de noch ar­bei­te­ten. Was soll­te der Groß­teil der Be­völ­ke­rung denn an­de­res tun? Schließ­lich konn­ten nicht al­le In­ge­nieu­re wer­den. Er hat­te sich auch dar­an ge­wöhnt, daß er über­all an­ge­st­arrt wur­de. Hier ge­sch­ah das durch­aus un­auf­fäl­lig, aber Se­vi­gny wuß­te, daß er im Mit­tel­punkt der all­ge­mei­nen Auf­merk­sam­keit stand.

Mau­ra be­ob­ach­te­te ihn, wäh­rend er auf Ho­no­lu­lu hin­un­ter­sah, das sich wie ein Meer aus bun­ten Lich­tern bis zum Ho­ri­zont er­streck­te. »Ja«, stell­te sie dann fest, »die gu­te al­te Er­de ist wirk­lich schön, fin­den Sie nicht auch?«

»We­nigs­tens hier«, gab er zu­rück.

»Hmm … ich neh­me an, daß Sie Auf­nah­men und Sta­tis­ti­ken ge­se­hen ha­ben. Der größ­te Teil des Pla­ne­ten hat sich zum Nach­teil ver­än­dert. Zu vie­le Men­schen, zu we­nig Platz für al­le. Ih­re Vor­fah­ren hat­ten recht, als sie die Ve­nus be­sie­del­ten. Aber glau­ben Sie wirk­lich, daß es dort ei­nes Ta­ges wie hier aus­se­hen wird?«

»Viel­leicht.« Se­vi­gny dach­te einen Au­gen­blick lang sehn­suchts­voll an die wind­ge­peitsch­ten Wäl­der, die Früh­ne­bel über den Ber­gen und den fort­wäh­ren­den Kampf mit der Wild­nis zu­rück. »Hier und da ist ein Land­strich be­reits … nein, das läßt sich nicht mit­ein­an­der ver­glei­chen. Un­mög­lich. Aber wir ha­ben ge­nü­gend Raum.«

Er wies auf den Mond. Die künst­lich ge­schaf­fe­ne At­mo­sphä­re ließ die schar­fen Um­ris­se ver­schwin­den und ver­än­der­te das blei­che Leuch­ten zu ei­nem strah­len­den Glanz. »Ihr Ter­ra­ner braucht nur noch we­ni­ge Jahr­zehn­te Ge­duld zu ha­ben, dann ist dort oben ge­nü­gend Raum für euch«, er­klär­te er ihr.

»Sind Sie da­von über­zeugt?«

»Selbst­ver­ständ­lich. Die Mond­ober­flä­che ent­spricht et­wa ei­nem Vier­tel der ge­sam­ten Land­flä­che der Er­de.«

Die Cock­tails wur­den ser­viert. Mau­ra lä­chel­te und stieß mit ihm an. »Ich fürch­te, Sie sind ein un­ver­bes­ser­li­cher Idea­list, Don. Trotz­dem – herz­lich will­kom­men auf der Er­de.«

Als ei­ne Stun­de spä­ter die letz­ten Tel­ler ab­ge­tra­gen wur­den – Mau­ra hat­te be­stellt, weil Se­vi­gny nichts mit den frem­den Na­men auf der Spei­se­kar­te an­fan­gen konn­te –, lehn­te Don sich zu­rück und sah nach­denk­lich zu ihr hin­über. »Ich muß mich bei Ih­nen be­dan­ken«, be­gann er, »denn oh­ne Ih­re freund­li­che Hil­fe sä­ße ich ver­mut­lich noch jetzt vor der Kar­te, oh­ne ein Wort da­von zu ver­ste­hen. Wie kann ich mich da­für er­kennt­lich zei­gen?«

»Zei­gen Sie mir Ih­ren Pla­ne­ten – wenn ich je ei­ne Flug­kar­te dort­hin er­wi­sche.«

»Sie müs­sen es un­be­dingt ver­su­chen, denn die Ge­le­gen­heit bie­tet sich so schnell nicht wie­der. Der Mond ist na­tür­lich von hier aus leich­ter zu er­rei­chen. Aber vor­läu­fig ist die Luft dort oben noch nicht atem­bar.«

»Wenn sie das über­haupt je­mals wird.«

Er sah sie über­rascht an. »Warum be­zwei­feln Sie das?«

»Oh … man hört und liest so vie­le Be­rich­te dar­über. Zum Bei­spiel, daß das Ma­gnet­feld der Er­de uns vor ei­nem Teil der Welt­raum­strah­lung schützt. Ist das nicht rich­tig? Und der Mond hat doch fast kein Ma­gnet­feld.«

»Die Ve­nus auch nicht. Wenn die At­mo­sphä­re dicht ge­nug ist, spielt das fast kei­ne Rol­le. Un­se­re ist we­sent­lich dich­ter als die der Er­de.«

»Aber der Mond ist doch so klein! Wie sol­len die Ga­se da an Ort und Stel­le blei­ben?«

»5ie ver­flüch­ti­gen sich nicht so schnell, wie man frü­her an­ge­nom­men hat. Nach den letz­ten Schät­zun­gen dau­ert es min­des­tens ei­ne hal­be Mil­li­on Jah­re, be­vor die Ver­lus­te kri­tisch zu wer­den be­gin­nen. Au­ßer­dem hat der Mond der Er­de die nied­ri­ge­re Schwer­kraft vor­aus. Bei ei­nem ge­plan­ten Luft­druck, der et­wa fünf­und­zwan­zig Pro­zent ge­rin­ger als der durch­schnitt­li­che Luft­druck auf der Er­de ist, er­streckt sich die At­mo­sphä­re bis in Hö­hen, wo hier der Welt­raum schon längst be­gon­nen hat. Elek­trisch ge­la­de­ne Teil­chen wer­den nicht sehr tief in den Luftraum ein­drin­gen, wäh­rend ak­ti­ni­sche Strah­len völ­lig ab­sor­biert wer­den.«

»Ich ha­be aber auch ge­le­sen, daß viel­leicht gar nicht ge­nug Gas zur Ver­fü­gung steht.«

»Die Se­le­no­lo­gen schwö­ren je­den Eid, daß ge­nü­gend vor­han­den ist. Selbst­ver­ständ­lich nicht be­reits in gas­för­mi­gem Zu­stand. Als Eis, als Kris­tall­was­ser, in Ver­bin­dun­gen mit Koh­len­stoff, Stick­stoff und Schwe­fel, die frei­ge­setzt wer­den kön­nen. Wir ver­su­chen mit Hil­fe von Tief­boh­run­gen und Atom­bom­ben na­tür­li­che Vul­ka­ne zu schaf­fen, um da­durch den glei­chen Pro­zeß ein­zu­lei­ten, dem sämt­li­che klei­ne­ren Pla­ne­ten ih­re At­mo­sphä­re ver­dan­ken. Al­ler­dings be­schleu­ni­gen wir den ge­sam­ten Ab­lauf so sehr, daß er nur noch Jahr­zehn­te statt Jahr­mil­lio­nen dau­ert.«

»Aber was ge­schieht, wenn die Be­rech­nun­gen sich als falsch er­wei­sen?«

»Auch für die­sen Fall ist be­reits vor­ge­sorgt. Man braucht ein­fach nur ein paar Ko­me­ten aus ih­rer Bahn ab­zu­len­ken und auf den Mond stür­zen zu las­sen, denn sie be­ste­hen zum größ­ten Teil aus ge­fro­re­nen Ga­sen.« Se­vi­gny lach­te. »Je­den­falls steht heu­te schon fest, daß die letz­te Pha­se des Un­ter­neh­mens äu­ßerst se­hens­wert sein wird – von der Er­de aus, weil man sich da in si­che­rer Ent­fer­nung be­fin­det.«

»Und was ha­ben Sie dann er­reicht?« er­kun­dig­te Mau­ra sich. »Gift­ga­se?«

So un­ge­bil­det kann sie doch un­mög­lich sein, über­leg­te er. Oder doch? Macht ver­mut­lich nur Kon­ver­sa­ti­on. Will mir Ge­le­gen­heit ge­ben, mein Wis­sen zu zei­gen. Auch recht.

»Auf der Ve­nus wa­ren die Ver­hält­nis­se nicht sehr viel bes­ser«, er­klär­te er ihr. »Stick­stoff, Koh­len­stoff­di­oxyd und Was­ser in den Wol­ken.

Aber die Al­gen, die sich durch Pho­to­syn­the­se er­nähr­ten, fan­den idea­le Le­bens­be­din­gun­gen vor. Zu­nächst wur­de da­durch Sau­er­stoff frei, wäh­rend die ab­ge­stor­be­nen Tei­le der Pflan­zen Koh­len­stoff und Was­ser ab­ga­ben. Die Treib­hau­stem­pe­ra­tu­ren san­ken stän­dig, bis es schließ­lich bei et­wa fünf­und­drei­ßig Grad Cel­si­us zu reg­nen be­gann – das al­ler­dings zehn oder elf Jah­re oh­ne Pau­se. Nach­dem ein­mal ge­nü­gend Was­ser vor­han­den war, setz­te der Urey-Pro­zeß ein, der Bo­den nahm einen Teil des Koh­len­stoff­di­oxyds auf, und all­mäh­lich ent­stand ei­ne At­mo­sphä­re, in der Men­schen le­ben konn­ten.« Er nahm einen Schluck aus sei­nem Glas. »Die ul­tra­vio­let­te Strah­lung er­wies sich als äu­ßerst nütz­lich, weil da­durch Was­ser­stoff­ver­bin­dun­gen ab­ge­baut wur­den. Da­mit wä­re al­so be­wie­sen, daß die Ter­ra­for­mie­rung durch ein schwa­ches Ma­gnet­feld be­güns­tigt wird.«

»Das al­les wol­len Sie al­so auch auf dem Mond er­rei­chen?«

»Was denn sonst? Selbst­ver­ständ­lich mit ge­wis­sen Ab­än­de­run­gen. Die Ver­hält­nis­se auf dem Mond las­sen sich nicht oh­ne wei­te­res mit de­nen ver­glei­chen, die frü­her auf der Ve­nus oder der Er­de herrsch­ten. Aber trotz­dem ha­ben wir ganz be­stimm­te Vor­stel­lun­gen von un­se­rer Ar­beit in­ner­halb der nächs­ten Jahr­zehn­te.« Er dach­te an De­cker, der un­ter den Trüm­mern des Bohr­turms be­gra­ben lag, und schloß einen Au­gen­blick lang die Au­gen.

»Was ha­ben Sie denn?« frag­te Mau­ra. »Nichts.« Se­vi­gny trank das Glas aus. »Ich ha­be eben nur an einen Un­fall ge­dacht, den wir vor ei­ni­gen Ta­gen hat­ten. Ich möch­te lie­ber nicht dar­über spre­chen.«

 

Im glei­chen Mo­ment wies der Ober zwei Män­nern den Ne­ben­tisch an. Se­vi­gny starr­te un­will­kür­lich hin­über. Wenn er in der Schu­le rich­tig auf­ge­paßt hat­te, muß­te der ei­ne aus In­di­en stam­men, der an­de­re je­doch Ara­ber sein. Dann be­sann er sich wie­der auf sei­ne gu­ten Ma­nie­ren. Au­ßer­dem war Mau­ra hüb­scher.

»Ich ha­be schon ge­hört, daß die Ar­bei­ten ziem­lich ge­fähr­lich sind«, sag­te sie eben. »Das ver­är­gert vie­le Leu­te, die oh­ne­hin der Mei­nung sind, daß das Pro­jekt be­reits mehr Geld ver­schlun­gen hat, als es über­haupt wert ist«

»Die­se Auf­fas­sung ver­ste­he ich ein­fach nicht«, gab er zu­rück und freu­te sich, daß er ih­rer Fra­ge nach den Un­fäl­len so ge­schickt aus­ge­wi­chen war. »Ich fin­de, daß ei­ne neue Welt je­den Preis wert ist, den man da­für be­zah­len muß.«

»Aber wie vie­le Men­schen wer­den dar­aus einen Nut­zen zie­hen? Auch das ent­wi­ckelt sich all­mäh­lich zu ei­ner Streit­fra­ge. Vie­le be­haup­ten, daß nur rei­che Leu­te sich einen Flug dort­hin und einen län­ge­ren Auf­ent­halt wer­den leis­ten kön­nen.«

»Rei­ne Dem­ago­gie, Myla­dy. In den Sta­tu­ten der Ge­sell­schaft heißt es, daß ein Vier­tel der Mond­ober­flä­che für Er­ho­lungs­zwe­cke be­reit­ge­stellt wer­den muß. Au­ßer­dem ga­ran­tie­ren wir be­reits jetzt, daß Mond­flü­ge spä­ter fast um­sonst sein wer­den, weil der Ab­bau der rei­chen Mi­ne­ral­vor­kom­men die ent­ste­hen­den Un­kos­ten zum größ­ten Teil de­cken wird. Dort oben wird ein­mal ein grü­nes Pa­ra­dies ent­ste­hen, das den Groß­stadt­men­schen der Er­de wie­der die gan­ze Schön­heit der un­be­rühr­ten Na­tur vor Au­gen füh­ren wird. Und dann …«

»Ti’ki!«

Das Wein­glas fiel Se­vi­gny aus der Hand und zer­schell­te auf dem Fuß­bo­den.

»Don«, flüs­ter­te Mau­ra ein­dring­lich, »was ist denn plötz­lich in Sie ge­fah­ren?«

Er hol­te den win­zi­gen Emp­fän­ger aus der Ta­sche und leg­te ihn an das Ohr. »R-r-rik-ik-ik, ti’ki, ti-ki, rik-ik, di!«

Os­car hat­te kei­ne Wor­te für den großen La­ger­raum im Kel­ler oder ei­ne Ram­pe, die ins Freie hin­aus­führ­te, oder einen Kran­wa­gen. Aber ge­nau das schi­en er be­schrei­ben zu wol­len. Män­ner kom­men, vier Män­ner kom­men, Ma­schi­ne, Angst, ja­gen Os­car, Ding – Os­car – be­wacht ver­schwin­det, Don, komm, ti’ki, ki, ki!

 

Se­vi­gny sprang auf und hat­te die Fahr­stuhl­tür schon fast er­reicht, be­vor Mau­ra einen Schrei aus­sto­ßen konn­te.

Der Ober, ei­ne schat­ten­haf­te Ge­stalt, ei­ne ab­weh­ren­de Hand­be­we­gung. »Kann ich Ih­nen be­hilf­lich sein, Sir?«

»Nein!« Se­vi­gny riß sich los und rann­te wei­ter auf den Aus­gang zu.

Der Fahr­stuhl war nicht oben. Er drück­te mehr­mals hin­ter­ein­an­der auf den Knopf, wäh­rend Os­car in sei­nem Ver­steck über den Hei­zungs­roh­ren weiter­schnat­ter­te.

Mau­ra hat­te ihn in­zwi­schen er­reicht. Er spür­te kaum, daß sie ihn am Är­mel zog. Auch ih­re Trä­nen mach­ten kei­nen Ein­druck. »Don, Don, was ist denn pas­siert? Sind Sie plötz­lich über­ge­schnappt? Bit­te, kom­men Sie an den Tisch zu­rück …«

Die Fahr­stuhl­tür öff­ne­te sich. Se­vi­gny stieß Mau­ra bei­sei­te. »Viel­leicht bin ich bald wie­der hier«, be­ru­hig­te er sie.

Ein Mann dräng­te sich an ihm vor­über in die Ka­bi­ne. Er er­kann­te den In­der vom Ne­ben­tisch, woll­te ihn wie­der hin­aus­drän­gen und be­kam ihn nicht zu fas­sen.

»Ich will Ih­nen nur hel­fen«, sag­te der In­der mit lei­ser Stim­me.

Jetzt war kei­ne Zeit mehr zu ver­lie­ren. Se­vi­gny drück­te auf den un­ters­ten Knopf. Die Fahr­stuhl­tür schloß sich vor Mau­ra, die sich von ih­rem Schre­cken er­holt zu ha­ben schi­en.

»Darf ich vor­schla­gen, daß Sie den Ho­tel­de­tek­tiv ver­stän­di­gen«, sag­te der In­der, als der Fahr­stuhl sich in Be­we­gung setz­te.

Se­vi­gny dach­te ei­ni­ge Se­kun­den lang nach. Auf die­sen Ge­dan­ken wä­re er nie selbst ge­kom­men; je­der An­ge­hö­ri­ge ei­nes Klans half sich oh­ne Un­ter­stüt­zung von an­de­rer Sei­te. »Wol­len Sie das für mich tun?« bat er dann. »Viel­leicht auch gleich die Po­li­zei. Im La­ger­raum 101 wird ein Dieb­stahl ver­übt.« Er lud sei­ne Pis­to­le durch. »Ich wer­de ihn nach Mög­lich­keit ver­hin­dern. Sie fah­ren wie­der in die Hal­le hin­auf und ge­ben Alarm.«

»Ist die An­ge­le­gen­heit wirk­lich so wich­tig, daß Sie das Ri­si­ko auf sich neh­men wol­len?«

Der Auf­trag muß­te er­füllt wer­den. »Ja.«

»Wie Sie es für rich­tig hal­ten. Ich muß Ih­nen nur noch er­klä­ren, wes­halb ich mit­ge­kom­men bin – in mei­ner Ei­gen­schaft als Arzt.« Der schma­le dunkle Kopf neig­te sich leicht. »Dr. Kris­hna­mur­ti Lal Gupta aus Be­na­res. Ich fürch­te­te schon, Ih­nen sei plötz­lich schlecht ge­wor­den.«

Rik-ik-dtik-ri-ch, Don, komm, komm schnell, klang es aus dem Emp­fän­ger. Se­kun­den spä­ter hielt der Fahr­stuhl im Kel­ler an. Se­vi­gny sprang mit ei­nem Satz durch die ge­öff­ne­te Tür in den bläu­lich be­leuch­te­ten Gang hin­aus.

Dann spür­te er einen Stich zwi­schen den Schul­ter­blät­tern und warf sich mit ei­nem Fluch her­um. Gupta stand ei­ni­ge Me­ter hin­ter ihm und hielt ei­ne win­zi­ge Pis­to­le in der Hand. Er lä­chel­te noch im­mer. Se­vi­gny woll­te sei­ne Waf­fe he­ben, hat­te aber nicht mehr die Kraft da­zu. Sei­ne Knie ga­ben nach, dann sank er be­wußt­los in sich zu­sam­men.

 

Sein ers­ter Ein­druck war wie­der das brau­ne Ge­sicht, das den glei­chen wi­der­lich freund­li­chen Aus­druck trug. Als er sich lang­sam auf­rich­te­te, trat Gupta ei­ni­ge Schrit­te zu­rück. Dies­mal hielt er ei­ne In­jek­ti­onss­prit­ze in der Hand. Se­vi­gny sprang wü­tend auf, als er merk­te, daß die Wir­kung des Be­täu­bungs­mit­tels be­reits ver­flo­gen war.

»Halt! Kei­ne Be­we­gung mehr!« sag­te ein Mann von der ge­gen­über­lie­gen­den Wand her. Dort drü­ben stand der Ara­ber, der mit Gupta an ei­nem Tisch ge­ses­sen hat­te, und ziel­te mit ei­ner Pis­to­le auf den Cy­the­rea­ner.

»Warum nicht gleich so fried­lich?« frag­te ein drit­ter Mann von sei­nem Ses­sel aus, als Se­vi­gny wie an­ge­wur­zelt ste­hen­blieb. Der Un­be­kann­te war klein, un­ter­setzt und dick­lich, aber sein Kinn ver­riet ei­ne ge­wis­se Wil­lens­stär­ke. Auch sei­ne Stim­me klang er­staun­lich jung. »Ma­ma mia! Hast du schon ein­mal er­lebt, daß je­mand so schnell wie­der auf­wacht, Kris­h­na?«

»Sel­ten, Mr. Bac­cio­co«, ant­wor­te­te der In­der. »Aber er ist sehr kräf­tig und ziem­lich er­regt. Be­ru­hi­gen Sie sich doch, Klans­mann. Wir ha­ben nichts Bö­ses mit Ih­nen vor.«

Ei­ne Tür öff­ne­te sich. Mau­ra kam her­ein. Se­vi­gny be­ach­te­te sie kaum, son­dern kon­zen­trier­te sich zu­nächst auf Os­car, der im glei­chen Au­gen­blick her­ein­ge­rannt kam und auf sei­ne Schul­ter sprang. Der Dir­rel schnat­ter­te so has­tig, daß kein Wort zu ver­ste­hen ge­we­sen wä­re.

Mau­ra ließ sich in einen Ses­sel fal­len. Sie hat­te das Abend­kleid mit Ho­se und Blu­se ver­tauscht, aber der Ef­fekt blieb er­staun­lich. Gupta lehn­te sich be­quem ge­gen die Rücken­pols­ter der Couch un­ter den ver­han­ge­nen Fens­tern. Der äl­te­re Mann, Bac­cio­co, ging un­ru­hig auf und ab, wo­bei er die Ar­me vor der Brust ver­schränk­te. Der Ara­ber blieb in sei­ner Ecke, ließ die Pis­to­le sin­ken, be­ob­ach­te­te Se­vi­gny aber wei­ter­hin wach­sam. Ein elek­tri­sches Chro­no­me­ter an der Wand des Ap­par­te­ments zeig­te 23.46 Uhr.

 

»Hat der klei­ne Kerl jetzt kei­ne Angst mehr um sein Herr­chen?« er­kun­dig­te Gupta sich lä­chelnd. »Schön, schön. Klans­mann Se­vi­gny, ich hof­fe, daß Sie sei­ne An­we­sen­heit als Be­weis für un­se­re gu­ten Ab­sich­ten be­trach­ten. Er klam­mer­te sich an Sie, als Sie be­wußt­los am Bo­den la­gen, und war so ver­zwei­felt, daß ich es nicht über das Herz brach­te, ihn im Kel­ler zu­rück­zu­las­sen. Al­ler­dings muß­te ich ihn lei­der eben­falls be­täu­ben, weil er zu laut war.«

»Dan­ke«, ant­wor­te­te Se­vi­gny kurz.

»Bit­te, neh­men Sie Ih­re au­gen­blick­li­che Si­tua­ti­on nicht zu ernst, denn »Sie wi­dert mich di­rekt an. Ich könn­te mich am liebs­ten selbst ohr­fei­gen«, un­ter­brach Se­vi­gny ihn. Er starr­te Mau­ra an, bis sie sei­nen Blick be­merk­te und zu ihm auf­sah. »Ich bin in die äl­tes­te Fal­le des Uni­ver­sums ge­gan­gen, nicht wahr?« Er spuck­te ihr vor die Fü­ße.

»Ma­ro­ni« Bac­cio­co mach­te ei­ne in­di­gnier­te Hand­be­we­gung. »Be­nimmt man sich so ei­ner Da­me ge­gen­über? Rei­ßen Sie sich ge­fäl­ligst zu­sam­men!«

»Wir müs­sen sei­ne be­greif­li­che Er­re­gung be­rück­sich­ti­gen, Sir«, be­ru­hig­te ihn Gupta.

Mau­ra biß sich auf die Un­ter­lip­pe. »Wir woll­ten Ih­nen nie et­was zu­lei­de tun, Don«, sag­te sie ent­schul­di­gend. »Ich soll­te Sie nur be­schäf­ti­gen, bis das Ding aus dem Kel­ler ab­trans­por­tiert war. Und noch ei­ni­ge Zeit län­ger. Mei­net­we­gen hät­te al­les nach Plan ge­hen kön­nen, denn ich fand Ih­re Ge­sell­schaft wirk­lich amüsant.«

»Wie ha­ben Sie da­von er­fah­ren?« woll­te der Ara­ber wis­sen.

»Halt den Mund, Ra­schid«, wies Bac­cio­co ihn zu­recht.

»Das ist al­ler­dings ei­ne Fra­ge, die ich auch schon stel­len woll­te«, warf Gupta ein. »Wol­len Sie uns das nicht er­klä­ren, Klans­mann?«

Sie wis­sen nicht, daß Os­car mit mir spre­chen kann. Viel­leicht ist das ei­ne Mög­lich­keit. Viel­leicht. Se­vi­gny zuck­te mit den Schul­tern. »Ich hat­te ein Ab­hör­mi­kro­phon und einen Mi­ni­sen­der über den Hei­zungs­roh­ren ver­steckt. Den da­zu­ge­hö­ri­gen Emp­fän­ger ha­ben Sie ja in mei­ner Ta­sche ge­fun­den.«

»Hmm, das könn­te stim­men«, mein­te Bac­cio­co nach ei­ner län­ge­ren Pau­se. »Ich wer­de mor­gen da­nach su­chen las­sen, um ganz si­cher­zu­ge­hen. Aber was fan­gen wir jetzt mit Ih­nen an? Sie wol­len nicht hier­blei­ben, und wir wol­len Sie nicht hier ha­ben. Wis­sen Sie einen Aus­weg?«

»Ich schla­ge vor, daß wir uns so mit­ein­an­der un­ter­hal­ten, wie es un­ter zi­vi­li­sier­ten Men­schen üb­lich ist«, sag­te Gupta. Er lä­chel­te wie­der. »Mau­ra, wür­den Sie den Kaf­fee her­ein­brin­gen? Oder zieht ei­ner der Her­ren stär­ke­re Er­fri­schun­gen vor?«

Als kei­ner ant­wor­te­te, stand die jun­ge Frau auf und ver­ließ wort­los den Raum. Sie hielt den Kopf ge­senkt.

 

»Set­zen Sie sich doch, mei­ne Her­ren«, fuhr Gupta fort. Bac­cio­co zog sich einen Lehn­stuhl her­an. Se­vi­gny zö­ger­te einen Au­gen­blick, be­vor er sich in ei­nem an­de­ren nie­der­ließ. Ra­schid blieb un­be­weg­lich in sei­ner Ecke ste­hen.

»Wir soll­ten so höf­lich sein, un­se­rem Gast zu er­zäh­len, wem er die­sen un­frei­wil­li­gen Be­such macht«, sprach Gupta wei­ter. »Si­gnor Bac­cio­co ist si­cher da­mit …«

»Nein!« un­ter­brach ihn der Ita­lie­ner. »Ja«, ant­wor­te­te Gupta. »Über­le­gen Sie doch selbst. Falls Klans­mann Se­vi­gny sich spä­ter noch an Ih­ren Na­men er­in­nert, braucht er nur den nächs­ten Ho­tel­por­tier zu fra­gen, um zu er­fah­ren, daß Er­co­le Bac­cio­co Ge­ne­ral­di­rek­tor der Eu­ro­bau AG ist.

Sie sind ein­fach zu be­schei­den, Sir … Un­ser Freund dort drü­ben heißt Ra­schid Ga­mal ibn Ayith und re­prä­sen­tiert die Bru­der­schaft der Fa­ti­mi­ten in­ner­halb un­se­rer Ver­ei­ni­gung. Ich selbst bin tat­säch­lich Arzt, bin aber eher durch mei­ne Tä­tig­keit an der Spit­ze der Kon­ser­va­ti­ven Par­tei In­diens be­kannt ge­wor­den.«

Ein In­dus­tri­el­ler, ein Po­li­ti­ker und ein re­li­gi­öser Fa­na­ti­ker. Das Mäd­chen steht an­schei­nend in ih­ren Diens­ten wie die Ar­bei­ter, die den Kom­pres­sor ab­trans­por­tiert ha­ben. Was hat­ten sie vor? frag­te sich Don.

»Die An­ge­le­gen­heit scheint wich­tig zu sein, denn sonst wä­ren Sie al­le wohl kaum um die­se Zeit hier«, stell­te er fest.

»Sie ha­ben recht«, stimm­te Gupta zu. »Wir muß­ten Ih­nen un­be­dingt den Kom­pres­sor ab­ja­gen. Durch un­se­re Ver­bin­dun­gen ar­ran­gier­ten wir, daß Sie in Ho­no­lu­lu über­nach­ten müs­sen. Aber Sie dür­fen mir glau­ben, daß kei­ne per­sön­li­chen Un­an­nehm­lich­kei­ten be­ab­sich­tigt wa­ren. Das war ein un­glück­li­cher Zu­fall.«

»Was woll­ten Sie mit dem Kom­pres­sor?« er­kun­dig­te Se­vi­gny sich neu­gie­rig.

Kei­ne Ant­wort. Mau­ra brach­te Kaf­fee und blieb bei Se­vi­gny et­was län­ger als bei den an­de­ren ste­hen. Er be­ach­te­te sie nicht. Ra­schid lehn­te ab.

»Ei­ne Aus­kunft ist ei­ne an­de­re wert«, be­gann Gupta nach ei­ner klei­nen Pau­se. »Wenn Sie uns sa­gen, was Sie be­reits wis­sen oder nur ver­mu­ten, wer­den wir uns er­kennt­lich zei­gen. So­gar sehr gern. Viel­leicht be­grei­fen Sie dann, wie al­truis­tisch un­se­re Mo­ti­ve in Wirk­lich­keit sind. Wer weiß, un­ter Um­stän­den schlie­ßen Sie sich so­gar uns an.«

»Wo­her wis­sen wir, daß er nicht lügt?« knurr­te Ra­schid.

»Was ha­ben Sie ei­gent­lich ge­gen mich?« woll­te Se­vi­gny wis­sen.

Die Pis­to­le zeig­te plötz­lich wie­der auf sei­ne Brust. »Ihr schän­det Got­tes Wer­ke!«

»Wie Sie viel­leicht wis­sen, lehnt die Bru­der­schaft der Fa­ti­mis­ten je­de Art von Ter­ra­for­mie­rung strikt ab«, warf Gupta ein. »Ih­rer Ober­zeu­gung nach müs­sen die Ar­bei­ten auf dem Mond un­ver­züg­lich ein­ge­stellt wer­den, da­mit der be­reits ent­stan­de­ne Scha­den nicht ver­grö­ßert wird.«

»Und Sie?« Se­vi­gny wand­te sich an den Arzt.

Gupta lach­te laut­los. »Hof­fent­lich er­war­ten Sie kei­ne dra­ma­ti­sche Be­grün­dung mei­ner Hand­lungs­wei­se von mir. Der­glei­chen Din­ge gibt es höchs­tens auf dem Fern­seh­schirm. Mei­ne Par­tei be­haup­tet völ­lig of­fen – wie vie­le an­de­re auch –, daß das Mond­pro­jekt ei­ne un­ver­ant­wort­li­che Ver­geu­dung wert­volls­ter Roh­stof­fe dar­stellt, die sich viel­leicht nie be­zahlt macht.«

»Ist denn Ih­re Re­gie­rung nicht auch an der Lu­na Cor­po­ra­ti­on be­tei­ligt?«

»Lei­der. Die Re­gie­rungs­par­tei ist in die­sem Punkt an­de­rer Auf­fas­sung als wir. Da­bei ver­hun­gert die Be­völ­ke­rung un­se­res Lan­des all­mäh­lich. Dort müß­te man die Roh­stof­fe und das Geld ein­set­zen!« Als er sei­ne Tas­se leer­te, zit­ter­ten ihm die Hän­de.

»Und … hmm.« Se­vi­gny sah zu Bac­cio­co hin­über. »Eu­ro­bau AG. Ver­mut­lich in al­len Erd­tei­len tä­tig. Die Aus­sich­ten für fet­te Ver­trä­ge zur Be­wäs­se­rung von Wüs­ten und so wei­ter stei­gen na­tür­lich, wenn die Ar­bei­ten auf dem Mond ein­ge­stellt wer­den. Oder ir­re ich mich da?«

Bac­cio­co wur­de rot. »Hier dreht es sich nicht um Geld, son­dern um ver­nünf­ti­ge Prin­zi­pi­en.«

»Das be­haup­ten Sie. Aber Sie sind sich doch dar­über im kla­ren, daß die Ter­ra­for­mie­rung des Mon­des im Lau­fe der Zeit auch für die Er­de Vor­tei­le brin­gen wird?«

»Der Lauf der Zeit ist in die­sem Fall zu lang­sam«, sag­te Gupta. »Bis da­hin sind wir ver­hun­gert.«

»Ich ha­be Ih­nen doch er­zählt, daß we­gen die­ses Pro­jekts po­li­ti­sche Kämp­fe aus­ge­bro­chen sind«, warf Mau­ra mit lei­ser Stim­me ein.

»Die Sie wahr­schein­lich ver­lie­ren wer­den«, stell­te Se­vi­gny fest.

»Wie kom­men Sie auf die­se ver­rück­te Idee?« pro­tes­tier­te Bac­cio­co wü­tend.

»Sonst brauch­ten Sie ja die Ar­bei­ten nicht zu sa­bo­tie­ren.«

»Sie ir­ren sich«, er­klär­te Gupta. »Ich schwö­re Ih­nen, daß Sie Ih­ren Kom­pres­sor nie ver­mißt hät­ten, wenn al­les wie ge­plant ver­lau­fen wä­re. Lei­der darf ich Ih­nen nicht mehr dar­über er­zäh­len, sonst könn­te ich be­wei­sen, daß die­ser Vor­wurf nicht ge­recht­fer­tigt ist. Aber jetzt sind Sie an der Rei­he, Klans­mann.«

»Was könn­te ich Ih­nen schon er­zäh­len? Schließ­lich bin ich nur ei­ne Art Lauf­bur­sche.«

»Sie ha­ben sich ei­ni­ge Ma­le sehr aus­führ­lich mit Mr. Bru­no Nor­ris un­ter­hal­ten. Was weiß er? Wie­viel ver­mu­tet er?«

Se­vi­gny lehn­te sich in sei­nen Ses­sel zu­rück und grins­te un­ver­schämt.

Ra­schid trat einen Schritt auf ihn zu. »Sie wer­den spre­chen«, droh­te er. »Ich ken­ne ei­ni­ge Me­tho­den …«

»Bit­te.« Gupta hob ab­weh­rend die Hand. »Wir wol­len kei­ne Ge­walt an­wen­den, son­dern uns ge­müt­lich mit­ein­an­der un­ter­hal­ten.«

»Warum denn so zag­haft?« er­kun­dig­te sich Bac­cio­co. »Re­den muß er auf je­den Fall!«

»Was hilft es mir, wenn ich spre­che?« frag­te Se­vi­gny. »Le­bend kom­me ich hier so­wie­so nicht mehr her­aus – sonst hät­ten Sie mir we­ni­ger of­fen Aus­kunft ge­ge­ben. Al­so?«

 

Die drei Män­ner schwie­gen. Der Cy­the­rea­ner dach­te an­ge­strengt nach. Viel­leicht hat Gupta vor­hin wirk­lich nicht ge­lo­gen … Ja, das müs­sen sie vor­ge­habt ha­ben – den Kom­pres­sor durch einen an­de­ren er­set­zen, der auf na­tür­li­che Wei­se be­schä­digt wur­de.

Aber jetzt kann ich über die Hin­ter­grün­de aus­sa­gen. Von mir aus dür­fen sie mir ru­hig ein Wahr­heits­se­rum ein­sprit­zen. Und dann be­ginnt ei­ne gründ­li­che Un­ter­su­chung der gan­zen An­ge­le­gen­heit.

Wenn ich hier wie­der le­ben­dig her­aus­kom­me …

Gupta beug­te sich vor. »Klans­mann«, sag­te er freund­lich, »wir ver­fol­gen ein hu­ma­nes Ziel. Aber wir sind in der Wahl un­se­rer Mit­tel nicht un­be­dingt be­son­ders rück­sichts­voll. Wie Sie wis­sen, gibt es be­stimm­te psy­cho-phar­ma­zeu­ti­sche Mit­tel, mit de­ren Hil­fe je­der Mensch zum Spre­chen ge­bracht wer­den kann. Au­ßer­dem ist ei­ne Me­tho­de zur Ent­fer­nung jüngs­ter Er­in­ne­run­gen be­kannt. Und: Ich ver­ste­he mich auf me­di­zi­ni­sche Din­ge recht gut.«

Er mach­te ei­ne be­deu­tungs­vol­le Pau­se. »Den­ken Sie dar­an, daß bei ei­ner der­ar­ti­gen Be­hand­lung im­mer das Ri­si­ko be­steht, daß der Pa­ti­ent ver­blö­det. Selbst wenn die­ser Fall nicht ein­tre­ten soll­te, wür­de man Sie ei­nes Ta­ges in ei­nem Rinn­stein auf­fin­den, wo Sie of­fen­sicht­lich ei­ne Sauf­tour be­en­det hät­ten, bei der auch die Ih­nen an­ver­trau­te Ma­schi­ne ver­lo­ren­ge­gan­gen wä­re. Das wür­de na­tür­lich Sie und Ih­ren ge­sam­ten Klan in ein äu­ßerst schlech­tes Licht rücken.

Sie sind Aus­län­der und ha­ben der Er­de ge­gen­über kei­ner­lei Ver­pflich­tun­gen. Wenn Sie ob­jek­tiv über die Sa­che nach­den­ken, wer­den Sie als ver­nünf­ti­ger Mann zu dem Schluß kom­men, daß wir das Recht auf un­se­rer Sei­te ha­ben. Selbst­ver­ständ­lich darf auch die be­trächt­li­che Be­loh­nung nicht un­er­wähnt blei­ben. Über­le­gen Sie gut.«

Er stand auf. »Es ist schon spät. Wir sind al­le über­mü­det. Bit­te, neh­men Sie un­se­re Gast­freund­schaft für ei­ne Nacht an. Wir wer­den mor­gen un­se­re Un­ter­hal­tung wei­ter­füh­ren.«

Jetzt!

Se­vi­gny kniff Os­car plötz­lich in den Rücken. Der Dir­rel setz­te sich auf die Hin­ter­bei­ne und schnat­ter­te em­pört.

»Was hat er denn jetzt schon wie­der?« er­kun­dig­te Bac­cio­co sich ver­dros­sen.

»Zu­viel Auf­re­gung. Ich wer­de ihn gleich wie­der be­ru­hi­gen«, sag­te Se­vi­gny.

»Tk-tk quee di-rik, k-k-k ti-oo …« Os­car kau­er­te sich wie ei­ne Kat­ze zu­sam­men. Se­vi­gny nahm ihn auf den Arm und er­hob sich.

Ra­schid ging nur zwei Me­ter an ihm ent­fernt vor­bei, um hin­ter ihn zu ge­lan­gen.

»Ki-ik!«

Os­car sprang. Se­vi­gny ging in die Knie. Aber die Ku­gel krach­te nur in die Zim­mer­de­cke, weil der Dir­rel sich be­reits in das Hand­ge­lenk des Ara­bers ver­bis­sen hat­te.

Se­vi­gny wehr­te Gupta ab, der sich auf ihn stür­zen woll­te, und er­reich­te die auf den Bo­den ge­fal­le­ne Pis­to­le noch vor Bac­cio­co. Dann rich­te­te er sich wie­der auf und trat ei­ni­ge Schrit­te zu­rück.

»Kei­ne Be­we­gung mehr«, keuch­te er.

Mau­ra stieß einen lau­ten Schrei aus. »Ru­he!« be­fahl Se­vi­gny. Er ging wei­ter rück­wärts, bis er die Wand hin­ter sich spür­te. Os­car ließ von dem Ara­ber ab und kehr­te zu sei­nem Herrn zu­rück.

Gupta schüt­tel­te den Kopf, als kön­ne er die­se plötz­li­che Wen­dung der Din­ge nicht fas­sen. »Was ha­ben Sie jetzt vor?« er­kun­dig­te er sich.

»Ich wer­de die Po­li­zei ru­fen«, er­klär­te Se­vi­gny. »Wo ist das Te­le­phon?«

 

Kei­ner der Män­ner ant­wor­te­te, aber Ra­schid zog mit ei­ner ra­schen Be­we­gung ein Mes­ser aus dem Hemd. Se­vi­gny war zu­nächst völ­lig über­rascht, griff dann aber nach ei­ner schwe­ren Va­se. Der Ara­ber ging laut­los zu Bo­den.

»Je­der bleibt, wo er ist!« rief Se­vi­gny und be­weg­te sich rück­wärts auf die Tür zu. Er öff­ne­te sie mit der lin­ken Hand, ließ Os­car hin­aus und über­zeug­te sich durch einen schnel­len Blick in den Flur, daß der Fahr­stuhl­schacht nicht weit ent­fernt war. Die Ka­bi­ne stand of­fen.

»Wenn je­mand mich zu ver­fol­gen ver­sucht …«, sag­te er dro­hend und hob be­deu­tungs­voll die Pis­to­le. Dann schob er sich seit­wärts durch die Tür, schloß von au­ßen ab und rann­te auf den Fahr­stuhl zu.

 

Fünf­zig Stock­wer­ke tiefer trat er in ei­ne klei­ne Ein­gangs­hal­le, in der sich kein Mensch auf­hielt. Er war zu­nächst ent­täuscht dar­über, daß er sich nicht in ei­nem Ho­tel be­fand, über­leg­te sich aber dann, daß ein schall­dich­tes Ap­par­te­ment für die Zwe­cke der Her­ren im fünf­zigs­ten Stock be­stimmt vor­zu­zie­hen war. Ver­mut­lich ver­füg­ten sie über ei­ne große An­zahl ähn­li­cher Räu­me in sämt­li­chen Erd­tei­len.

Soll­te er von hier aus zu te­le­pho­nie­ren ver­su­chen, da­mit sei­ne Geg­ner nicht ent­wisch­ten, be­vor die Po­li­zei kam? An­de­rer­seits durf­te er nicht all­zu lan­ge in der un­mit­tel­ba­ren Nä­he des Ge­bäu­des blei­ben, wenn er nicht ris­kie­ren woll­te, daß er wie­der ge­fan­gen­ge­nom­men wur­de. Er eil­te auf die Stra­ße hin­aus und wand­te sich nach Os­ten.

Be­reits an der über­nächs­ten Stra­ßen­e­cke ent­deck­te er ei­ne Te­le­phon­zel­le. Se­vi­gny schloß die Tür hin­ter sich, such­te in sei­ner Ho­sen­ta­sche nach ei­nem hal­b­en Dol­lar und steck­te die Mün­ze in den Schlitz. Der Bild­schirm leuch­te­te auf. Aber Se­vi­gny brauch­te noch ei­ni­ge Se­kun­den, bis er her­aus­ge­bracht hat­te, wie das Sys­tem funk­tio­nier­te. Auf der Ve­nus und dem Mond hat­te er sich über län­ge­re Ent­fer­nun­gen im­mer nur mit Hil­fe ei­nes Funk­ge­räts ver­stän­digt, wäh­rend in­ner­halb der Ge­bäu­de Ge­gen­sprech­an­la­gen be­nutzt wur­den. Schließ­lich drück­te er auf den Knopf des Ruf­num­mern­ver­zeich­nis­ses und schrieb auf der Tas­ta­tur das Wort PO­LI­ZEI. Auf dem Bild­schirm leuch­te­te ei­ne Num­mer. Se­vi­gny wähl­te.

Das Ge­sicht und die Schul­tern ei­nes Uni­for­mier­ten er­schie­nen. »Po­li­zei­zen­tra­le Ho­no­lu­lu. Kann ich Ih­nen be­hilf­lich sein?«

»Ich möch­te einen Dieb­stahl und ei­ne Ent­füh­rung mel­den«, sag­te Se­vi­gny. »Na­me, bit­te?« Der Mann brauch­te end­los lan­ge, bis er die vor­ge­schrie­be­nen Fra­gen ab­ge­le­sen hat­te. »Schön«, schloß er, »blei­ben Sie vor­läu­fig, wo Sie sind. Ich schi­cke einen Strei­fen­wa­gen dort­hin.«

 

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hiel­ten zwei Fahr­zeu­ge mit krei­schen­den Brem­sen. Aus dem ers­ten stieg ein baum­lan­ger Ser­geant und kam auf Se­vi­gny zu. »Ha­ben Sie an­ge­ru­fen?« er­kun­dig­te er sich. Der Cy­the­rea­ner nick­te. Dann be­rich­te­te er in kur­z­en Wor­ten von dem Dieb­stahl und sei­ner Ver­schlep­pung.

»Was hal­ten Sie da­von, Brad­ford«, er­kun­dig­te der Be­am­te sich bei dem Mann, der in dem Wa­gen ge­blie­ben war.

»Ich weiß nicht recht«, mein­te der An­ge­spro­che­ne zö­gernd. »Ir­gend­wie kommt mir die Sa­che ko­misch vor.«

»Ist das Ihr vol­ler Ernst, Mr. Se­vi­gny?«

»Selbst­ver­ständ­lich, sonst hät­te ich Sie nicht ver­stän­digt!« gab der Cy­the­rea­ner wü­tend zu­rück. »Ich schla­ge vor, daß Sie kei­ne dum­men Fra­gen mehr stel­len, son­dern lie­ber die Ker­le ver­haf­ten, be­vor sie das Wei­te su­chen.«

»Das kön­nen wir aber nicht oh­ne ei­ne re­gel­rech­te Straf­an­zei­ge von Ih­rer Sei­te. Wol­len Sie mit uns auf das Po­li­zei­re­vier fah­ren? Aber ich war­ne Sie aus­drück­lich da­vor, daß Sie Un­an­nehm­lich­kei­ten zu er­war­ten ha­ben, falls Sie nicht bei der Wahr­heit ge­blie­ben sind.«

»Ich sa­ge Ih­nen doch, ich …«

»Im­mer mit der Ru­he. Kein Mensch hat be­haup­tet, daß Sie ge­lo­gen hät­ten. Die Män­ner in dem zwei­ten Wa­gen wer­den Ih­re Ent­füh­rer ver­hö­ren. Kom­men Sie.« Der Ser­geant setz­te sich ne­ben Se­vi­gny auf den Rück­sitz des Fahr­zeugs.

Der un­auf­fäl­lig ge­klei­de­te Kri­mi­nal­be­am­te auf dem Vor­der­sitz schal­te­te die au­to­ma­ti­sche Steue­rung ein und dreh­te sich dann zu Se­vi­gny um. »Könn­te ich nicht zu­fäl­lig recht ha­ben, wenn ich be­haup­te, daß Ih­re Sei­te zu­rück­zu­schla­gen ver­sucht?« frag­te er lau­ernd.

»Was soll das hei­ßen?« Se­vi­gny muß­te sich müh­sam be­herr­schen, um nicht nach sei­ner Pis­to­le zu grei­fen. »Viel­leicht ha­ben Sie die gan­ze Ge­schich­te nur er­fun­den, um die Män­ner in Ver­ruf zu brin­gen, die sich ge­gen die Lu­na Cor­po­ra­ti­on aus­ge­spro­chen ha­ben. Je­der­mann weiß, daß Prä­si­dent Ed­wards eben­falls zu die­sen Leu­ten ge­hört; und die­ses Jahr fin­den bei uns Wahlen statt. Ein Skan­dal könn­te da­zu füh­ren, daß Her­n­an­dez ge­winnt – und er möch­te die ame­ri­ka­ni­sche Be­tei­li­gung an dem Pro­jekt so­gar noch er­hö­hen.«

 

Os­car spür­te in­stink­tiv, daß der Mann feind­se­lig ein­ge­stellt war, und dräng­te sich nä­her an Se­vi­gny.

»Lang­sam, Brad­ford«, warf der Ser­geant ein. »Sie las­sen sich von Ih­ren Vor­ur­tei­len be­ein­flus­sen.« Er wand­te sich an den Cy­the­rea­ner. »Mei­ner Mei­nung nach sind die Ar­bei­ten auf dem Mond wirk­lich ein groß­ar­ti­ger Fort­schritt. Mei­ne En­kel wer­den end­lich wie­der so­viel Raum zur Ver­fü­gung ha­ben, wie mein Groß­va­ter zu sei­ner Zeit hat­te. Äh – ich hei­ße Kea­lo­ha. John Kea­lo­ha.«

Se­vi­gny schüt­tel­te ihm die Hand. »Sehr er­freut«, sag­te er da­bei. »Ich ha­be mich schon ge­fragt, ob es auf der Er­de über­haupt noch Men­schen gibt, die dar­auf hof­fen, daß wir Er­folg ha­ben.«

»Na­tür­lich gibt es die! Da­zu ge­hört je­der, der über sei­ne Na­sen­spit­ze hin­aus­se­hen kann. Warum soll­te die Op­po­si­ti­on denn sonst zu sol­chen Mit­teln grei­fen müs­sen?«

»An der Ge­schich­te ist kein wah­res Wort«, wi­der­sprach Brad­ford. »Ich möch­te Sie am liebs­ten selbst ver­hö­ren, Se­vi­gny. Al­lein.«

Der Cy­the­rea­ner biß die Zäh­ne auf­ein­an­der. Er hat­te sich be­reits mehr ge­fal­len las­sen, als er sich frü­her hät­te vor­stel­len kön­nen. »Je­der­zeit!«

»Ru­he«, mahn­te Kea­lo­ha. »Brad­ford, er will sich so­gar Wahr­heits­se­rum ein­sprit­zen las­sen. Soll der Arzt ihn aus­fra­gen.«

Als sie we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter vor dem Po­li­zei­re­vier aus­stie­gen, griff Brad­ford nach Se­vi­gnys Arm. »Los, kom­men Sie!« be­fahl er mit rau­her Stim­me. Dann ließ er mit ei­nem Schmer­zens­schrei die Hand sin­ken, als der Cy­the­rea­ner ihm kräf­tig auf das Hand­ge­lenk schlug.

»Sie …«

Kea­lo­ha schob sich zwi­schen die bei­den Män­ner. »He, ich will hier kei­ne Schlä­ge­rei se­hen!« warn­te er. »Sie hät­ten ihn nicht an­fas­sen dür­fen, Brad­ford. Und Sie, Se­vi­gny, leis­ten Sie nie ei­nem Po­li­zei­be­am­ten Wi­der­stand. Nie wie­der!«

»Auch dann nicht, wenn ich im Recht bin?« frag­te der Cy­the­rea­ner. Er war so ver­blüfft, daß er sich nicht ein­mal är­gern konn­te. »Na, hof­fent­lich bin ich nicht mehr lan­ge auf der Er­de!«

Sie be­tra­ten den Wach­raum, wo sie be­reits von dem dienst­ha­ben­den Po­li­zei­leut­nant und zwei jün­ge­ren Be­am­ten in Zi­vil er­war­tet wur­den. Se­vi­gny zö­ger­te in­stink­tiv, trat dann aber doch ei­ni­ge Schrit­te vor und sah die Män­ner er­war­tungs­voll an.

Der Jün­ge­re der bei­den wies ei­ne Blech­mar­ke vor. »Do­nald Se­vi­gny, Sie sind ver­haf­tet«, er­klär­te er dann. »Wir kom­men vom FBI.«

»Was?« Se­vi­gny griff un­will­kür­lich nach sei­ner Pis­to­le, aber Brad­ford kam ihm zu­vor und wog sie hä­misch lä­chelnd in sei­ner Hand. »Warum …«

»Kei­ne Wi­der­re­de. Kom­men Sie mit«, be­fahl der zwei­te FBI-Agent. Der Jün­ge­re un­ter­strich die­se Auf­for­de­rung, in­dem er sei­ne Be­täu­bungs­pis­to­le zog.

»Au­gen­blick!« warf Kea­lo­ha ein.

»Hal­ten Sie den Mund«, wies der Po­li­zei­leut­nant ihn zu­recht.

Der Ser­geant blieb un­er­schüt­ter­lich. »Nein, Sir, Sie müs­sen ihm den Grund mit­tei­len. Ich kann nicht zu­las­sen, daß er ein­fach ver­haf­tet wird. Das wä­re ein kla­rer Fall von Amts­miß­brauch!«

»Ver­schwö­rung ge­gen die Ver­ei­nig­ten Staa­ten«, er­klär­te der zwei­te Agent kurz.

»Das ge­nügt nicht.« Kea­lo­ha schüt­tel­te den Kopf. »Nicht ge­nau ge­nug. Ich ken­ne mei­ne Vor­schrif­ten. Was soll er ver­bro­chen ha­ben?«

»Kein Wort mehr, Ser­geant, sonst lan­den Sie auch im Kitt­chen!« droh­te der Po­li­zei­leut­nant. »Ha­ben Sie denn noch nicht be­grif­fen, daß die­se bei­den Män­ner FBI-Agen­ten sind? Neh­men Sie ihn mit, Gent­le­men.«

 

Das scheint al­ler­dings ei­ne Ver­schwö­rung zu sein, über­leg­te Se­vi­gny, nach­dem er sich von sei­ner Über­ra­schung er­holt hat­te. Bac­cio­co und sei­ne Freun­de müs­sen so­fort te­le­pho­niert ha­ben, nach­dem ich ent­kom­men war. Sie müs­sen Ver­bün­de­te in Wa­shing­ton ha­ben. Der Prä­si­dent ist selbst ge­gen das Mond­pro­jekt. Die Po­li­zei wur­de be­nach­rich­tigt und …

Der zwei­te Agent hol­te ein Paar Hand­schel­len aus der Ja­ck­en­ta­sche. »Ihr Cy­the­rea­ner seid als rauf­lus­tig be­kannt«, mein­te er. »Stre­cken Sie die Hand­ge­len­ke aus.«

»Nein, der Teu­fel soll Sie ho­len!« Se­vi­gny war em­pört. »Ein Klans­mann läßt sich nicht fes­seln!«

Der Jün­ge­re ziel­te mit der Be­täu­bungs­pis­to­le.

Os­car wuß­te nur, daß sei­nem Herrn Ge­fahr droh­te. Er stieß einen schril­len Pfiff aus und stürz­te sich auf den Mann mit der Pis­to­le. Die Be­täu­bungs­na­del blieb in der De­cke ste­cken. Os­car krall­te an sei­nem Geg­ner hin­auf und fuhr ihm in die Au­gen. Der an­de­re Agent griff nach ihm und schleu­der­te ihn zu Bo­den. Brad­ford schob sich an Se­vi­gny vor­bei und schoß.

»K-ti«, sag­te Os­car und starb.

Von die­sem Au­gen­blick an sah Se­vi­gny rot. Er schlug dem Jün­ge­ren mit ei­nem Fuß­tritt die Waf­fe aus der Hand und setz­te mit ei­nem gut­ge­ziel­ten Kinn­ha­ken nach. Der zwei­te Agent riß sei­ne Pis­to­le aus dem Schul­ter­half­ter, konn­te aber nicht mehr schie­ßen, denn der Cy­the­rea­ner warf sich auf ihn, hob ihn mit bei­den Ar­men hoch und schleu­der­te ihn ge­gen Brad­ford. Bei­de Män­ner gin­gen zu Bo­den.

»Halt!« rief Kea­lo­ha und schoß. Die Ku­gel blieb hoch über der Tür in der Wand ste­cken.

»Zie­len Sie ge­fäl­ligst!« Der Po­li­zei­leut­nant sah wü­tend un­ter dem Schreib­tisch her­vor, den er als bes­te De­ckung ge­wählt hat­te.

Se­vi­gny ver­schwand durch die Tür nach drau­ßen. Er hat­te kei­ne Mi­nu­te mehr zu le­ben, wenn er jetzt blieb. Kea­lo­ha war ihm dicht auf den Fer­sen. Der Ser­geant schoß ziel­los die Stra­ße hin­un­ter. Er blieb in der Tür ste­hen und blo­ckier­te sie.

»Ge­hen Sie aus dem Weg!« brüll­te Brad­ford.

Kea­lo­ha ging kei­nen Schritt zur Sei­te, son­dern schoß wei­ter in die Dun­kel­heit hin­ein. Se­vi­gny duck­te sich tief und kroch un­ter ei­ner He­cke hin­durch, die einen Park um­gab.

 

Zwei Stun­den spä­ter stand er vor ei­nem au­to­ma­ti­schen Ein­kaufs­zen­trum, zu dem er sich von ei­nem Ro­bo­ter­ta­xi hat­te fah­ren las­sen, das er nach lan­gen Um­we­gen in ei­ner stil­len Sei­ten­stra­ße ent­deckt hat­te. Wie er­war­tet, wur­den die hell­be­leuch­te­ten Sä­le nicht von Men­schen be­wacht, son­dern ver­füg­ten über ei­ne Alarm­an­la­ge, die di­rekt zum nächs­ten Po­li­zei­re­vier führ­te. Im Ver­gleich mit dem Ein­kaufs­zen­trum, das er von Port Kep­ler her kann­te, wa­ren die Sä­le hier gi­gan­tisch. Se­vi­gny brauch­te zehn Mi­nu­ten, bis er den An­zu­g­au­to­ma­ten ge­fun­den hat­te, wo er sich einen neu­en An­zug aus­su­chen konn­te. Er zog sich in ei­ner der da­für vor­ge­se­he­nen Ka­bi­nen um, pack­te sei­ne Tu­ni­ka in ei­ne Trag­ta­sche und warf sie in den nächs­ten Müll­schlu­cker – al­ler­dings nicht oh­ne ein leich­tes Be­dau­ern.

So, jetzt wer­den sie mich nicht mehr so leicht auf­spü­ren.

Er hat­te kei­nen Hun­ger, spür­te aber deut­lich, wie sehr ihn die Flucht er­schöpft hat­te. Ein Ta­blet­ten­au­to­mat ent­hielt ei­ne Un­men­ge ver­schie­de­ner Kleinst­pa­ckun­gen. Er wähl­te ein ein­fa­ches Be­ru­hi­gungs­mit­tel aus und spül­te die Ta­blet­te mit ei­nem Be­cher Kaf­fee hin­un­ter.

Wäh­rend er dar­auf war­te­te, daß die Wir­kung ein­setz­te, ver­such­te er einen Plan zu fas­sen.

Wenn ich erst ein­mal ame­ri­ka­ni­sches Ho­heits­ge­biet ver­las­sen ha­be, müß­te ich ei­gent­lich in Si­cher­heit sein. Dann muß das FBI näm­lich den Welt­si­cher­heits­dienst ein­schal­ten. Und das wer­den die Ver­ant­wort­li­chen kaum tun; es wür­de zu vie­le un­an­ge­neh­me Fra­gen nach sich zie­hen. Ich muß mich nur vor­se­hen, daß ich nicht in einen Hin­ter­halt ge­ra­te. Aber wenn die Leu­te hier wirk­lich nicht bes­ser zu kämp­fen ver­ste­hen, braucht ein Klans­mann nur we­nig zu be­fürch­ten.

Er hol­te sich noch einen Be­cher Kaf­fee.

Wie kann ich von hier fort? Ich ha­be nicht ge­nü­gend Geld bei mir, um ein Flug­zeug zu mie­ten, selbst wenn ich den Mut da­zu auf­bräch­te. Und die Po­li­zei wird den Raum­ha­fen, sämt­li­che Flug­plät­ze und die Kais streng kon­trol­lie­ren. Ich kann mich un­mög­lich so gut ver­klei­den, daß ich nicht auf­fal­le.

Er konn­te das hie­si­ge Bü­ro des Welt­si­cher­heits­diens­tes auf­su­chen … Nein. Selbst wenn die Be­am­ten nicht kor­rupt sein soll­ten, wür­de die Po­li­zei nur dar­auf war­ten, daß Se­vi­gny einen der­ar­ti­gen Ver­such un­ter­nahm. Auch ein Te­le­pho­n­an­ruf war we­nig sinn­voll, denn er er­in­ner­te sich dar­an, daß die­se Or­ga­ni­sa­ti­on nur in sol­chen Fäl­len ein­griff, wo es sich ein­deu­tig um in­ter­na­tio­na­le Pro­ble­me han­del­te. Er konn­te höchs­tens dar­auf hof­fen, daß sei­ne Er­zäh­lung ge­nü­gend In­ter­es­se er­weck­te, um ei­ne Un­ter­su­chung zu recht­fer­ti­gen. Aber un­ter­des­sen wür­den die zahl­lo­sen FBI-Agen­ten ihn wie einen Ha­sen zu To­de het­zen.

Die glei­chen Be­den­ken lie­ßen sich auch ge­gen die ört­li­chen Ver­tre­ter der Lu­na Cor­po­ra­ti­on vor­brin­gen, de­ren Re­ak­ti­on noch schlech­ter ab­zu­schät­zen war.

 

Aber schließ­lich wur­de er ja nicht von der ge­sam­ten Be­völ­ke­rung des Pla­ne­ten ver­folgt. Er muß­te sich die­se Tat­sa­che vor Au­gen hal­ten, muß­te an ein­fluß­rei­che Män­ner wie Nor­ris den­ken und durf­te nicht ver­ges­sen, daß es noch an­de­re wie Kea­lo­ha gab. Aber mit wem konn­te er sich in Ver­bin­dung set­zen? Es muß­te je­mand sein, der in Ho­no­lu­lu wohn­te, und Se­vi­gny kann­te hier nie­mand. Au­ßer­dem rief man einen VIP nicht ein­fach von ei­ner Te­le­phon­zel­le aus an, son­dern war­te­te ge­dul­dig in sei­nem Vor­zim­mer. Und wäh­rend die­ser Zeit zog die Po­li­zei ihr Netz im­mer en­ger.

Der Buf­fa­lo war auch von hier aus leicht er­reich­bar und konn­te ihm viel­leicht einen Rat ge­ben, wo man sich am bes­ten ver­ste­cken soll­te. Aber Se­vi­gny hat­te nicht mehr ge­nü­gend Geld in der Ta­sche, um ein Ge­spräch mit dem Mond an­zu­mel­den.

Ei­ne Zu­flucht, ei­ne Ru­he­stät­te, ein ein­fluß­rei­cher Mann, der sich für ihn ver­wen­den konn­te …

Halt!

Se­vi­gny at­me­te ra­scher. Er rann­te auf die nächs­te Te­le­phon­zel­le zu, ließ sich mit der Aus­kunft ver­bin­den und schrieb KON­SU­LA­TE in die Tas­ten.

Cy­the­rea­ner ka­men im all­ge­mei­nen so sel­ten aus ge­schäft­li­chen Grün­den auf die Er­de, daß die ein­zel­nen Klans nur ei­ne ge­mein­sa­me Bot­schaft in Pa­ris un­ter­hiel­ten. Aber die Mar­sia­ner hat­ten sich be­reit­er­klärt, über ih­re Kon­su­la­te die In­ter­es­sen der Cy­the­rea­ner zu ver­tre­ten, falls dies ein­mal not­wen­dig wer­den soll­te. Und die Kon­su­lats­ge­bäu­de stan­den auf ex­ter­ri­to­ria­lem Bo­den!

Das Ver­zeich­nis ent­hielt nur ein ein­zi­ges au­ßer­ir­di­sches Kon­su­lat. »Mars.« Se­vi­gny run­zel­te nach­denk­lich die Stirn, über­leg­te sich aber dann, daß Y, Mach, Hs’ach und die an­de­ren ei­ne Men­ge Geld spa­ren konn­ten, wenn sie ge­mein­sam einen Kon­sul be­sol­de­ten. In die­sem Fall han­del­te es sich nicht ein­mal um einen Mar­sia­ner. Aber auch das war nur ver­nünf­tig. Warum soll­te man die kost­spie­li­gen An­la­gen in­stal­lie­ren, die zur Er­hal­tung ei­nes mar­s­ähn­li­chen Kli­mas in dem Kon­su­lats­ge­bäu­de nö­tig wa­ren, wenn man eben­so­gut einen Ter­ra­ner mit den vor­kom­men­den Auf­ga­ben be­trau­en konn­te?

Se­vi­gny drück­te auf die Tas­te LE­BENS­LAUF und las auf dem Bild­schirm, daß der Kon­sul Oleg N. Vol­hontseff vor nun­mehr achtund­fünf­zig Jah­ren in K’nea als zwei­ter Sohn ei­nes Arzte­he­paars ge­bo­ren wor­den war. Er hat­te in Mos­kau und Bra­si­li­en stu­diert, war ei­ni­ge Jah­re als Xe­no­lo­ge auf dem Mars tä­tig ge­we­sen und hat­te sich seit­dem als Wis­sen­schaft­ler einen gu­ten Ruf er­wor­ben. Zu­letzt folg­te ei­ne ein­drucks­vol­le Auf­zäh­lung sei­ner Bü­cher … halt, Vol­hontseff war al­so der Mann, der das T’hu-Rayi über­setzt hat­te. Er muß­te al­so tat­säch­lich be­reits ein hal­ber Mar­sia­ner sein – kein Wun­der, daß er nie ge­hei­ra­tet hat­te!

»Bes­ser und bes­ser«, mur­mel­te Se­vi­gny, rief ein Ta­xi her­an und mach­te sich auf den Weg.

 

Vol­hontseffs Bü­ro be­fand sich in ei­nem der vor­nehms­ten Wohn­be­zir­ke von Ho­no­lu­lu. Se­vi­gny frag­te sich, wie der Mann die­se rie­si­ge Vil­la un­ter­hal­ten konn­te, ob­wohl er als Kon­sul si­cher kein be­son­ders ho­hes Ge­halt be­zog. Und wis­sen­schaft­li­che Ar­bei­ten al­lein brach­ten auch nicht viel ein. Ob er ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen ge­erbt hat­te?

Se­vi­gny schick­te das Ta­xi wie­der fort und blieb im Schat­ten der Bäu­me vor der Ein­fahrt ste­hen. Ei­nes der Fens­ter war noch be­leuch­tet. Er ging auf die Haus­tür zu, drück­te den Klin­gel­knopf und ver­such­te einen mög­lichst harm­lo­sen Ein­druck zu ma­chen, falls sein Bild durch ei­ne ein­ge­bau­te Fern­seh­ka­me­ra in das In­ne­re des Hau­ses über­tra­gen wur­de.

Die Tür öff­ne­te sich. Ein klei­ner Mann in ei­nem brau­nen Schlaf­rock starr­te ihn aus un­na­tür­lich hel­len Au­gen an, die tief in den Höh­len sei­nes Nuß­knacker­ge­sichts la­gen. »Nun, Sir?« frag­te Vol­hontseff.

»Tut mir leid, daß ich Sie noch so spät be­läs­ti­gen muß …«, be­gann Se­vi­gny.

»Al­ler­dings! Ein Glück, daß ich meis­tens nachts schrei­be. Woll­te schon gar nicht an die Tür kom­men. Wer sind Sie? Was wol­len Sie?«

»Darf ich her­ein­kom­men?«

»Sa­gen Sie mir erst, was Sie von mir wol­len.«

»Ich bin Do­nald Se­vi­gny vom Klan Jä­ger in den Shaws auf der Ve­nus …«

»Ja, ganz rich­tig, Ihr Ak­zent ver­rät Sie so­fort. Warum tra­gen Sie einen An­zug statt Ih­rer Tu­ni­ka?«

»Ich … Ach, al­les Un­sinn. Ich bit­te um Asyl. Durch­su­chen Sie mich nach Waf­fen, wenn es Ih­nen Spaß macht.«

Vol­hontseff zeig­te kei­ne Über­ra­schung. »Asyl – vor wem über­haupt?«

»Vor den Geg­nern der Lu­na Cor­po­ra­ti­on«, er­klär­te Se­vi­gny ihm er­regt. »Sie wis­sen ge­nau, daß auch der Mars großes In­ter­es­se dar­an hat. Die Sa­che geht nicht nur mich, son­dern auch Sie an.«

»Wirk­lich?« Vol­hontseff zog die Au­gen­brau­en hoch. Dann zuck­te er mit den Schul­tern. »Schön, wenn Sie mei­nen … Kom­men Sie her­ein, da­mit wir uns dar­über un­ter­hal­ten kön­nen.«

 

Er ging in die Bi­blio­thek vor­aus. »Bit­te, neh­men Sie Platz.« Er wies auf einen Klub­ses­sel, setz­te sich selbst hin­ter den mit Pa­pie­ren über­sä­ten Schreib­tisch und zün­de­te sich ei­ne Zi­ga­ret­te an, oh­ne dem spä­ten Be­su­cher ei­ne an­zu­bie­ten. Dann lehn­te er sich zu­rück und be­ob­ach­te­te Se­vi­gny durch ei­ne bläu­li­che Rauch­wol­ke.

»Er­zäh­len Sie mir Ih­re Ge­schich­te«, for­der­te er.

Als der Cy­the­rea­ner sei­nen Be­richt er­stat­tet hat­te, fuhr Vol­hontseff sich auf­ge­regt mit bei­den Hän­den durch sein schüt­teres Haar.

»Sie brin­gen mich in ei­ne schö­ne La­ge, jun­ger Mann!

Wie Sie wahr­schein­lich wis­sen, bin ich kein ame­ri­ka­ni­scher Bür­ger und ris­kie­re des­halb, daß mei­ne Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung wi­der­ru­fen wird. Folg­lich darf ich mei­ne Vor­rech­te nur in be­stimm­ten Fäl­len aus­nut­zen; und die­se Ge­le­gen­hei­ten sind be­schränkt.«

Se­vi­gny schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was soll das hei­ßen?« er­kun­dig­te er sich wü­tend. »Sie sind doch der mar­sia­ni­sche Kon­sul! Sie sind da­zu da, die Leu­te zu be­schüt­zen, die Sie ver­tre­ten!«

»Aber nur Mar­sia­ner – al­le an­de­ren erst in zwei­ter Li­nie. Man könn­te viel­leicht ar­gu­men­tie­ren, daß die­se Ver­pflich­tung sich auch auf Cy­the­rea­ner er­streckt. Ich weiß es nicht. Ich könn­te Ih­nen nicht ein­mal sa­gen, ob die­se Fra­ge schon ein­mal vor Ge­richt auf­ge­taucht ist.«

Se­vi­gny fühl­te ei­ne schwa­che Hoff­nung in sich auf­stei­gen. »Das wä­re we­nigs­tens ei­ne Dis­kus­si­ons­grund­la­ge«, stell­te er fest. »Sie brau­chen mich nur bei sich auf­neh­men, bis ein Ge­richt über die An­ge­le­gen­heit ge­ur­teilt hat. Wir brau­chen Zeit, da­mit der Fall öf­fent­lich be­kannt wird. Dann ist der Geg­ner macht­los.«

Vol­hontseff starr­te ihn über­rascht an. »Jun­ger Mann«, mein­te er, »für einen Ko­lo­nis­ten sind Sie un­ge­wöhn­lich ge­ris­sen. Schön und gut, ich wer­de mich al­so mit dem mar­sia­ni­schen Bot­schaf­ter in Ver­bin­dung set­zen …«

»Mit wel­chem?«

»Ent­schul­di­gung?«

»Mit al­len? Viel­leicht wä­re das am bes­ten.«

Vol­hontseff drück­te sei­ne Zi­ga­ret­te aus und setz­te die nächs­te in Brand. »Wahr­schein­lich ha­ben Sie recht«, gab er zu.

»Noch et­was«, fuhr Se­vi­gny fort. »Ich muß mei­nen Boß auf dem Mond be­nach­rich­ti­gen. Er kennt ei­ni­ge sehr ein­fluß­rei­che Leu­te.« Er lach­te bö­se.

»Das FBI wird sich noch wun­dern …«

 

Vol­hontseff klopf­te ner­vös mit den Fin­ger­knö­cheln ge­gen die Schreib­tisch­plat­te. »In die­ser Be­zie­hung er­gibt sich al­ler­dings ei­ne wei­te­re Schwie­rig­keit«, sag­te er. »Sie ha­ben Po­li­zei­be­am­te in der Aus­übung ih­rer dienst­li­chen Pflich­ten an­ge­grif­fen. Wenn ich Sie nicht aus­lie­fe­re, hal­te ich einen Ver­bre­cher ver­steckt. Be­nach­rich­ti­ge ich je­doch die Be­hör­den, wer­den Sie wahr­schein­lich mit Ge­walt aus mei­nem Haus ent­fernt.«.

Und was kann ein »auf der Flucht« er­schos­se­ner Mann noch be­wei­sen? dach­te Se­vi­gny in ohn­mäch­ti­ger Wut. Wenn die Po­li­zei mich in die Hän­de be­kommt, se­he ich wahr­schein­lich kei­nen Mond­auf­gang mehr.

»Dann dür­fen Sie eben die Be­hör­den vor­läu­fig noch nicht be­nach­rich­ti­gen, bis ich mei­ne Vor­ge­setz­ten ver­stän­digt ha­be«, teil­te er Vol­hontseff mit.

»Aber …«

Se­vi­gny stand auf, beug­te sich über den Schreib­tisch und hob dro­hend die Faust. »Ich ha­be Sie da­zu ge­zwun­gen, ver­ste­hen Sie? Ich bin stär­ker als Sie. Ich ha­be mich in Ihr Haus ein­ge­schli­chen, und jetzt bleibt Ih­nen kei­ne an­de­re Wahl. Folg­lich trifft Sie kei­ne Schuld, ha­be ich recht?«

»Nun … nun …«

Der Cy­the­rea­ner wies auf das Te­le­phon. »Ru­fen Sie an!«

Vol­hontseff nick­te be­däch­tig. »Gut, ich wer­de die Bot­schaft in Pa­ris un­ter­rich­ten. Glück­li­cher­wei­se ist es dort erst nach­mit­tags. Ich wer­de Ih­re An­ga­ben über den Fall wei­ter­ge­ben und gleich­zei­tig dar­um bit­ten, daß die üb­ri­gen Bot­schaf­ten von dort aus be­nach­rich­tigt wer­den. Al­le Ge­sprä­che auf der Di­rekt­lei­tung wer­den au­to­ma­tisch ver­schlüs­selt, so daß sie nicht ab­ge­hört wer­den kön­nen. Ein­ver­stan­den?«

»Hmm.« Se­vi­gny über­leg­te. Der Vor­schlag schi­en durch­aus ver­nünf­tig und an­nehm­bar. »Okay. Aber was wird in­zwi­schen aus mir?«

Vol­hontseff ki­cher­te tro­cken. »Sie blei­ben hier und las­sen mich nicht aus den Au­gen. Ich bin völ­lig in Ih­rer Ge­walt, er­in­nern Sie sich?«

 

Er griff in die Schreib­tisch­schub­la­de und hol­te ein le­der­ge­bun­de­nes Buch dar­aus her­vor. »Aha, da ist ja schon die rich­ti­ge Num­mer«, mein­te er zu­frie­den. Se­vi­gny stand auf und ging zu ihm hin­über. Vol­hontseff be­gann zu wäh­len.

Auf dem Schirm er­schi­en ein ei­gen­ar­tig mö­blier­ter Raum. Ein Mar­sia­ner wur­de sicht­bar. Vol­hontseff schal­te­te den Vo­ka­li­sa­tor ein und be­gann zu spre­chen.

Se­vi­gny riß ihm das Ge­rät aus der Hand. »Nein, der Bot­schaf­ter ver­steht be­stimmt eng­lisch, aber ich ha­be kei­ne Ah­nung von mar­sia­nisch.«

»Sie müs­sen mir trau­en«, wand­te Vol­hontseff ein.

« Nicht mehr als un­be­dingt not­wen­dig. Tut mir leid, aber ich darf kein Ri­si­ko ein­ge­hen.«

Der Bot­schaf­ter war­te­te un­be­weg­lich. Vol­hontseff zuck­te mit den Schul­tern. »Von mir aus … Nyo, wir müs­sen uns auf Eng­lisch un­ter­hal­ten, wenn Sie nichts ein­zu­wen­den ha­ben. Die An­ge­le­gen­heit ist drin­gend und äu­ßerst wich­tig. Neh­men Sie das Ge­spräch bit­te auf Band auf. Ich ha­be hier einen An­ge­stell­ten der Lu­na Cor­po­ra­ti­on bei mir, der ei­ne un­ge­wöhn­li­che Ge­schich­te zu be­rich­ten hat.«

»Fah­ren Sie fort«, sag­te die me­cha­ni­sche Stim­me.

Nach­dem Se­vi­gny sei­ne La­ge er­klärt hat­te, griff Vol­hontseff wie­der nach dem Te­le­phon­hö­rer und sprach ein­dring­lich hin­ein. »Sie wer­den er­kannt ha­ben, daß wir kei­ne Zeit ver­lie­ren dür­fen. Mein Gast und ich blei­ben hier, aber die Si­tua­ti­on ist kri­tisch. Kön­nen Sie ihn in ei­nem Ku­rier­flug­zeug ab­ho­len las­sen? Es müß­te mit zwei oder drei zu­ver­läs­si­gen Män­nern be­setzt sein, die ihn in Si­cher­heit brin­gen.«

Nyo über­leg­te kurz. Se­vi­gnys Herz schlug ra­scher. »Ja«, ant­wor­te­te der Mar­sia­ner, »das könn­te ar­ran­giert wer­den. Das Flug­zeug kommt noch heu­te nacht. Blei­ben Sie bis da­hin an Ort und Stel­le.«

Der Bild­schirm wur­de dun­kel.

Vol­hontseff zün­de­te sich nun be­reits die drit­te Zi­ga­ret­te an.

»Aus­ge­zeich­net«, sag­te der klei­ne Mann. »Ich neh­me an, daß Sie nicht mehr lan­ge war­ten müs­sen. Schlimms­ten­falls zwei oder drei Stun­den. Äh … glau­ben Sie, daß mei­ne Be­tei­li­gung an der gan­zen Sa­che un­er­wähnt blei­ben könn­te? Ich …«

»Was hal­ten Sie ei­gent­lich da­von, wenn ich jetzt selbst die cy­the­rea­ni­sche Bot­schaft in Pa­ris an­ru­fe?« frag­te Se­vi­gny. Er trau­te dem Al­ten noch im­mer nicht recht.

Vol­hontseff mach­te ei­ne fah­ri­ge Hand­be­we­gung. »Nein, nein, jun­ger Mann, das wä­re lä­cher­lich. Nicht nur über­flüs­sig, son­dern auch äu­ßerst ge­fähr­lich. Die Ge­sprä­che auf den an­de­ren Lei­tun­gen wer­den nicht ver­schlüs­selt und kön­nen je­der­zeit ab­ge­hört wer­den.«

 

»Warum soll­te man aus­ge­rech­net Ih­re Lei­tun­gen an­zap­fen?« er­kun­dig­te Se­vi­gny sich miß­trau­isch. »Wenn die Po­li­zei ver­mu­tet, daß ich mich hier auf­hal­te, kom­men ein paar Be­am­te und ver­lan­gen mei­ne Aus­lie­fe­rung.« Er trat nä­her an den Schreib­tisch her­an. »Was ha­ben Sie vor, Vol­hontseff?«

»Las­sen Sie mei­ne Pri­vat­pa­pie­re in Ru­he!« kreisch­te der Al­te. Er sprang von sei­nem Stuhl auf, aber Se­vi­gny stieß ihn mü­he­los zu­rück.

»Las­sen Sie den Un­sinn«, warn­te er ihn. »Wenn ich un­recht ha­ben soll­te, wer­de ich mich spä­ter bei Ih­nen ent­schul­di­gen. Aber im Au­gen­blick darf ich kein Ri­si­ko ein­ge­hen.«

Er nahm das No­tiz­buch auf. Vol­hontseff griff has­tig da­nach. Se­vi­gny drück­te ihn auf den Stuhl nie­der. Der Kon­sul sprang auf und rann­te da­von. Se­vi­gny war eher an der Tür.

»Woll­ten Sie et­wa Ih­re Pis­to­le ho­len?« frag­te er dro­hend.

Vol­hontseff wich zu­rück. Er at­me­te schwer. Se­vi­gny blät­ter­te das Buch durch. Na­men und Adres­sen wa­ren in ky­ril­li­scher Schrift an­ge­ge­ben, aber er hat­te in der Schu­le Rus­sisch ge­habt …

Er­co­le Bac­cio­co. Der Na­me sprang ihm förm­lich in die Au­gen. Un­ter­halb des Na­mens wa­ren ei­ni­ge Adres­sen ein­ge­tra­gen, zu de­nen auch das Ap­par­te­ment­haus ge­hör­te, in das man Se­vi­gny ver­schleppt hat­te.

 

»So.« Er starr­te den klei­nen Mann an, der un­be­weg­lich vor ihm stand. Dann blät­ter­te er has­tig wei­ter in dem Buch. Auch Gupt­as Na­me fand sich dar­in; au­ßer sei­ner An­schrift in Be­na­res war noch ei­ne Ho­te­l­adres­se mit Blei­stift hin­zu­ge­fügt wor­den.

Se­vi­gny steck­te das No­tiz­buch ein. »Schön, Vol­hontseff dann ge­hö­ren Sie al­so auch zu den an­de­ren«, be­gann er in ge­fähr­lich freund­li­chem Ton­fall. »Er­zäh­len Sie mir doch ein biß­chen dar­über.«

Vol­hontseff wich zu­rück. Se­vi­gny mach­te ei­ni­ge lan­ge Schrit­te, griff nach sei­nem Hand­ge­lenk und zwang den Kon­sul mit ei­nem kur­z­en Ruck in die Knie. »Sie bru­ta­ler Kerl!« kreisch­te Vol­hontseff.

»Nicht so laut«, mahn­te Se­vi­gny. »Sie ver­ges­sen an­schei­nend, daß die Po­li­zei hin­ter mir her ist. Was er­war­ten Sie ei­gent­lich – daß ich Sie mit Samt­hand­schu­hen an­fas­se?«

Vol­hontseff ver­such­te sich los­zu­rei­ßen und woll­te bei­ßen. Se­vi­gny hielt ihm die Faust un­ter die Na­se. »Hal­ten Sie still – und re­den Sie end­lich!«

Der an­de­re stieß einen Fluch aus. Se­vi­gny zö­ger­te auch jetzt noch, aber dann über­leg­te er laut, um end­gül­tig Klar­heit zu ge­win­nen.

»Die Um­ris­se sind klar«, be­gann er. »Of­fen­sicht­lich ha­ben die ver­schie­de­nen mond­feind­li­chen Grup­pen sich zu­sam­men­ge­schlos­sen. Al­ler­dings kön­nen sie nicht all­zu stark sein, denn sonst hät­ten Bac­cio­co und Gupta sich nicht per­sön­lich mit mir be­fas­sen müs­sen. Wahr­schein­lich weiß der klei­ne Mann auf der Stra­ße gar nicht, was hier ge­spielt wird, sonst wä­re er ver­mut­lich ent­setzt.

Zu den bis­her auf­ge­tre­te­nen Grup­pen ge­hört al­so auch der mar­sia­ni­sche Bot­schaf­ter – aber be­stimmt wird die gan­ze Ver­schwö­rung von ei­ner ein­fluß­rei­chen Per­sön­lich­keit in der ame­ri­ka­ni­schen Re­gie­rung un­ter­stützt. Sonst hät­te das FBI mich nicht so­fort zu ver­haf­ten ver­sucht, ob­wohl kein recht­mä­ßi­ger Grund da­für vor­lag. Aber die ›Staats­rä­son‹ war schon im­mer die ein­zi­ge Ent­schul­di­gung in sol­chen Fäl­len, so­lan­ge die Men­schen da­von über­zeugt sind, daß der Staat kein Un­recht tun kann. Wer ist es, Vol­hontseff?«

»Las­sen Sie mich end­lich los!« wim­mer­te der Kon­sul.

»Ich bin nicht auf Ih­re Ant­wort an­ge­wie­sen, weil ich be­reits ge­nug weiß. Aber ich möch­te es trotz­dem von Ih­nen hö­ren. Ist es der Prä­si­dent selbst?«

»Njet …«

»Wer denn sonst? Oder ist es viel­leicht doch Ed­wards – und wie ste­hen dann sei­ne Aus­sich­ten bei der nächs­ten Wahl?«

 

Vol­hontseff sank in sich zu­sam­men. Se­vi­gny muß­te ihn stüt­zen. »Gild­man«, flüs­ter­te der Al­te. »Der Wirt­schafts­mi­nis­ter. Von Ed­wards er­nannt, aber … ich schwö­re Ih­nen, daß er auf ei­ge­ne Ver­ant­wor­tung ge­han­delt hat!«

»Warum? Denkt er wie Gupta? In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sind doch sol­che Pro­ble­me noch längst nicht ak­tu­ell … Ah! Wenn die Ar­bei­ten auf dem Mond ein­ge­stellt wer­den, kann er mehr Geld im ei­ge­nen Land aus­ge­ben, sein Mi­nis­te­ri­um ver­grö­ßern und noch et­was mehr Macht an sich rei­ßen, als er be­reits jetzt be­sitzt. Ha­be ich recht?«

»Ich ver­ste­he zu we­nig da­von«, schluchz­te Vol­hontseff. »Ich ha­be das Geld nur an­ge­nom­men, um mei­ne wis­sen­schaft­li­chen Ar­bei­ten fort­set­zen zu kön­nen. Und die Mar­sia­ner wol­len nichts Bö­ses.«

»Was ha­ben sie sonst vor?« Se­vi­gny mach­te ei­ne ab­weh­ren­de Be­we­gung mit der frei­en Hand. »Sie brau­chen es mir nicht zu sa­gen. Ich ah­ne es be­reits. Sie wol­len ver­mut­lich zum rich­ti­gen Zeit­punkt als Käu­fer für den Mond auf­tre­ten. Oder ihn we­nigs­tens pach­ten, um ihn in einen zwei­ten Mars zu ver­wan­deln.«

»Sie woll­ten da­mit nur ih­re ei­ge­nen Pro­ble­me lö­sen«, mein­te Vol­hontseff ent­schul­di­gend.

Se­vi­gny zuck­te mit den Schul­tern und ließ das Hand­ge­lenk des an­de­ren los. Der Al­te sank auf dem Fuß­bo­den zu­sam­men. Der Cy­the­rea­ner ging un­ru­hig auf und ab.

Was war jetzt zu tun? Er muß­te auf je­den Fall ver­schwin­den, be­vor das Flug­zeug lan­de­te – am bes­ten mit Vol­hontseffs Wa­gen. Aber vor­her blieb noch ei­ne an­de­re Auf­ga­be zu er­fül­len. Wie konn­te er si­cher­stel­len, daß die wert­vol­len In­for­ma­tio­nen, die er jetzt be­saß, an die rich­ti­ge Adres­se ka­men? Soll­te er die cy­the­rea­ni­sche Bot­schaft in Pa­ris an­ru­fen? Ja, das war be­stimmt rich­tig, denn dort konn­te es kei­ne Dop­pel­agen­ten ge­ben, weil die Cy­the­rea­ner sich aus dem Streit um den Mond völ­lig her­aus­hiel­ten.

Se­vi­gny ließ sich in den Ses­sel fal­len und blät­ter­te Vol­hontseffs No­tiz­buch durch. Die Te­le­phon­num­mer der Bot­schaft in Pa­ris war nicht ein­ge­tra­gen, aber auf der Su­che da­nach stieß er auf einen wei­te­ren be­kann­ten Na­men – Mau­ra Soe­man­tri. Sie leb­te al­so tat­säch­lich un­ter ih­rem rich­ti­gen Na­men in Ho­no­lu­lu!

Er steck­te das Buch wie­der ein, wähl­te Pa­ris und ließ sich mit der Bot­schaft ver­bin­den. Der jun­ge Mann auf dem Bild­schirm starr­te ihn ver­wun­dert an. Ich se­he wahr­schein­lich fürch­ter­lich aus, dach­te Se­vi­gny. Schmut­zig, un­ra­siert, nicht ge­kämmt, mit ge­röte­ten Au­genwie ein al­ter Säu­fer. Er nann­te sei­nen Na­men.

»Sa­mu­el Craik, Klan Du­ne­land von Du­ne­land«, ant­wor­te­te der jun­ge Mann. »Zu Ih­ren Diens­ten.«

»Kön­nen Sie mich so­fort mit dem Bot­schaf­ter per­sön­lich ver­bin­den?«

Craik zuck­te zu­sam­men. »Hö­ren Sie, Klans­mann, wenn Sie nicht ein­mal rich­tig an­ge­zo­gen sind …«

»Schon gut«, un­ter­brach Se­vi­gny ihn. »Neh­men Sie fol­gen­de Nach­richt auf Band auf. Ich war­ne Sie be­reits jetzt, daß Sie kein Wort da­von glau­ben wer­den. Aber spie­len Sie dem Bot­schaf­ter das Band vor. Und sor­gen Sie da­für, daß Mr. Bru­no Nor­ris in Port Kep­ler es eben­falls er­hält.« Er hol­te tief Luft, be­vor er wei­ter­sprach. »Da­zu ver­pflich­te ich Sie bei der Eh­re der Klans von Ve­nus und Ih­rer ei­ge­nen.«

Craik mach­te ein noch un­glück­li­che­res Ge­sicht. Der Teu­fel soll ihn ho­len, ich möch­te wet­ten, daß der jun­ge Kerl die fei­er­li­che Ver­pflich­tung für ein Über­bleib­sel aus bar­ba­ri­schen Zei­ten hält, stöhn­te Se­vi­gny in­ner­lich. Er be­gann sei­nen Be­richt.

»Klans­mann!« pro­tes­tier­te Craik nach kur­z­er Zeit. »Ist Ih­nen nicht ganz gut?«

»Ich ha­be Ih­nen doch ge­sagt, daß Sie mir kein Wort glau­ben wür­den«, wehr­te Se­vi­gny ab. »Hal­ten Sie lie­ber den Mund, da­mit ich wei­ter­spre­chen kann!«

 

Die Tür schloß sich lei­se.

Se­vi­gny un­ter­brach sich mit­ten im Satz und hat­te sie schon fast er­reicht, be­vor ihm klar wur­de, was eben ge­sche­hen war. Vol­hontseff! Der klei­ne Teu­fel war hin­aus­ge­schlüpft, als er einen Au­gen­blick lang nicht auf ihn ge­ach­tet hat­te!

Dann sah er ihn auch schon auf die Stra­ße ei­len. Ei­ne Ver­fol­gung war zweck­los. Der Al­te weck­te jetzt wahr­schein­lich be­reits sei­ne Nach­barn. Die Po­li­zei muß­te in we­ni­gen Mi­nu­ten ein­tref­fen.

Se­vi­gny ging an den Schreib­tisch zu­rück. »Was ist jetzt schon wie­der pas­siert?« er­kun­dig­te Craik sich miß­trau­isch.

»Kei­ne Zeit für Er­klä­run­gen«, sag­te Se­vi­gny kurz. »Mir ist be­kannt, daß fol­gen­de Män­ner sich ver­schwo­ren ha­ben – Nyo, der mar­sia­ni­sche Bot­schaf­ter; Er­co­le Bac­cio­cio, Ge­ne­ral­di­rek­tor der Eu­ro­bau AG; Kris­hna­mur­ti Lal Gupta, Mit­glied der Kon­ser­va­ti­ven Par­tei In­diens; Gil­man, der Wirt­schafts­mi­nis­ter der Ver­ei­nig­ten Staa­ten; die Bru­der­schaft der Fa­ti­mis­ten. Sie be­ab­sich­ti­gen …« Er schil­der­te ih­ren Plan. »Sor­gen Sie da­für, daß der Fall un­ter­sucht wird!«

Er leg­te auf, rann­te zur Tür und eil­te durch den rück­wär­ti­gen Aus­gang hin­aus, der ver­mut­lich zu der Ga­ra­ge führ­te. Vol­hontseffs Wa­gen war ein­drucks­voll groß. Aber Se­vi­gny in­ter­es­sier­te sich im Au­gen­blick nur für die tech­ni­schen De­tails un­ter der Hau­be. Er muß­te die Zün­dung kurz­schlie­ßen, denn die Su­che nach dem Schlüs­sel hät­te zu­viel Zeit ge­kos­tet.

Der Mo­tor heul­te auf. Se­vi­gny setz­te sich hin­ter das Steu­er­rad und leg­te den Gang ein. Als der Wa­gen sich in Be­we­gung setz­te, öff­ne­te sich das au­to­ma­ti­sche Ga­r­agen­tor.

So schnell wie mög­lich weg!

Er hat­te kaum die Stra­ße er­reicht, als auch schon ein Funk­strei­fen­wa­gen um die Ecke bog. »Okay«, rief er spöt­tisch aus dem Fens­ter, »wollt ihr es auf ein klei­nes Ren­nen an­kom­men las­sen?«

Der schwe­re Wa­gen schoß förm­lich da­von. Mi­nu­ten spä­ter hat­te Se­vi­gny den Strei­fen­wa­gen be­reits weit hin­ter sich zu­rück­ge­las­sen und fuhr wie­der lang­sa­mer durch die nächt­li­chen Stra­ßen.

Aber er wuß­te, daß die Jagd be­reits be­gon­nen hat­te. Die Aus­fall­stra­ßen wa­ren ver­mut­lich so­fort blo­ckiert wor­den. Je­der Po­li­zist und je­de Strei­fen­wa­gen­be­sat­zung wür­de die Au­gen of­fen­hal­ten. Er muß­te das Au­to so schnell wie mög­lich los­wer­den, be­vor je­mand ihn dar­in er­kann­te.

Se­vi­gny hielt an. Er hat­te un­be­wußt nach rechts und links ge­se­hen und da­bei be­merkt, daß die Ga­ra­ge ei­nes Hau­ses leer­stand. Aus­ge­zeich­net! Der Haus­be­sit­zer wür­de sich wun­dern, wenn er zu­rück­kam. Mit et­was Glück konn­te das noch Stun­den dau­ern; und in der Zwi­schen­zeit such­te die Po­li­zei ver­geb­lich nach dem als ge­stoh­len ge­mel­de­ten Wa­gen.

Er fuhr hin­ein. Dann sank er er­schöpft hin­ter dem Steu­er zu­sam­men. Ve­nus, dach­te er, Mor­gens­tern, selbst in dei­nen Wüs­ten fin­det ein Ge­jag­ter Schutz vor sei­nen Ver­fol­gern. Aber du bist vier­zig Mil­lio­nen Ki­lo­me­ter ent­fernt. Nie wie­der …

Aber dann er­in­ner­te er sich plötz­lich und setz­te sich mit ei­nem lei­sen Über­ra­schungs­schrei auf.

 

Das graue Licht der ers­ten Mor­gen­däm­me­rung kroch durch ein Fens­ter des Kor­ri­dors im zehn­ten Stock. Se­vi­gny ließ den Fahr­stuhl hin­ter sich zu­rück und ging den wei­chen Tep­pich ent­lang. Un­ter­wegs be­merk­te er einen Brief­kas­ten­schlitz. Cut. Dann brau­che ich nicht bis zum Abend zu war­ten, um mei­nen Brief auf­zu­ge­ben. Je­der­zeit – wenn ge­ra­de nie­mand hier oben her­um­läuft. Ich … nein, wir kön­nen hin­aus­schlüp­fen. Die Tür No. 1014 kam in Sicht. Er hat­te in dem Ver­zeich­nis nach­ge­schla­gen, das in der Ein­gangs­hal­le auf­lag.

Die nächs­ten Mi­nu­ten wa­ren ent­schei­dend.

Die au­to­ma­ti­sche Tür­klin­gel war nachts aus­ge­schal­tet. Er drück­te auf den Klin­gel­knopf, zog die Schul­tern hoch und drück­te das Kinn auf die Brust. Vor dem Rück­spie­gel des Wa­gens hat­te er sich die Haa­re tief in das Ge­sicht ge­stri­chen. Die ver­än­der­te Fri­sur, der an­de­re An­zug, die ge­bück­te Kör­per­hal­tung und ei­ne ver­stell­te Stim­me müß­ten ei­gent­lich ge­nü­gen, um sei­ne Er­schei­nung auf dem Bild­schirm un­kennt­lich zu ma­chen.

Das war sei­ne letz­te Chan­ce.

»Was wol­len Sie?« Die Stim­me aus dem Laut­spre­cher klang ver­schla­fen.

Se­vi­gny ver­such­te so gut wie mög­lich mit ei­nem star­ken rus­si­schen Ak­zent zu spre­chen. »Ich kom­me von Oleg Vol­hontseff. Bit­te, las­sen Sie mich her­ein. Ich brin­ge Ih­nen ei­ne äu­ßerst wich­ti­ge Nach­richt von ihm.«

»Warum hat er nicht ein­fach an­ge­ru­fen?«

»Das war nicht mög­lich. Ich wer­de Ih­nen al­les er­klä­ren. Es hängt mit dem Mar­sia­ner in Pa­ris zu­sam­men, den Sie ja auch ken­nen.«

»Oh! Ei­ne Se­kun­de, bit­te.«

Er spann­te sei­ne Mus­keln an. Sei­ne Ver­mu­tung war al­so rich­tig ge­we­sen. Vol­hontseff hat­te sich un­ter­des­sen be­stimmt mit Bac­cio­co und Gupta in Ver­bin­dung ge­setzt, aber die we­ni­ger be­deu­ten­den Agen­ten wie Ra­schid oder die jun­ge Frau …

Die Tür öff­ne­te sich. Er dräng­te sich has­tig hin­durch. Mau­ras Lip­pen form­ten einen Schrei. Er hielt ihr den Mund zu und um­klam­mer­te sie mit ei­nem Rin­ger­griff. »Kei­nen Ton, sonst bre­che ich Ih­nen das Ge­nick!« zisch­te er. »Den­ken Sie dar­an, daß ich nichts mehr zu ver­lie­ren ha­be!«

Nach­dem er die Tür mit dem Fuß zu­ge­sto­ßen hat­te, führ­te er Mau­ra zu ei­nem Ses­sel in dem ele­gant ein­ge­rich­te­ten Wohn­raum und ließ sie los. Trotz­dem be­hielt er ei­ne Hand auf ih­rer Schul­ter, da­mit sie die rück­sichts­lo­se Kraft in sei­nem Griff wei­ter­hin spür­te.

»Don!« Sie fuhr zu­sam­men.

»Ich will Ih­nen nicht weh­tun«, er­klär­te er ihr ernst. »Wenn Sie mei­ne An­wei­sun­gen be­fol­gen, ge­schieht Ih­nen nichts. Ich brau­che ein Ver­steck – und Ihr Ap­par­te­ment ist ide­al. Wer wür­de schon hier nach mir su­chen?«

»Sie dür­fen nicht hier­blei­ben! Das geht nicht, Sie müs­sen wie­der ge­hen!«

»Be­ru­hi­gen Sie sich erst ein­mal. Dann se­hen Sie viel­leicht ein, daß ich nicht mehr fort kann. Ih­re Freun­de ha­ben so­fort das FBI auf mei­ne Spur ge­hetzt. Aber sie ha­ben sich nicht die Mü­he ge­macht, Ih­nen mit­zu­tei­len, daß ich einen klei­nen Zu­sam­men­stoß mit Vol­hontseff ge­habt ha­be. Ein aus­ge­spro­chen glück­li­cher Zu­fall, denn sonst hät­ten Sie wahr­schein­lich nie die Tür auf­ge­macht.« Se­vi­gny ließ sie los, ging durch den Raum und schob ei­ne schwe­re Couch vor den Ein­gang. »So. Jetzt kön­nen Sie we­nigs­tens nicht mehr so leicht un­be­merkt flie­hen wie er.«

 

Se­vi­gny wand­te sich wie­der zu ihr um und über­leg­te gleich­zei­tig, wie schreck­lich er aus­se­hen muß­te. »Ich wie­der­ho­le, ich ha­be kei­nes­falls die Ab­sicht, Ih­nen weh­zu­tun. Al­ler­dings könn­te es not­wen­dig wer­den, daß ich Sie feß­le und kne­ble, wäh­rend ich schla­fe oder an­der­wei­tig be­schäf­tigt bin. Ver­mut­lich ha­ben Sie ge­nü­gend Le­bens­mit­tel im Kühl­schrank, um uns bei­de zu er­näh­ren, bis mei­ne An­ge­le­gen­heit be­rei­nigt wor­den ist. Wir wer­den die we­ni­gen Ta­ge hier drin­nen über­ste­hen müs­sen. Hof­fent­lich sind die Fern­seh­pro­gram­me nicht all­zu lang­wei­lig.«

»Nein …« Sie sah, daß ihr Mor­gen­rock sich ge­öff­net hat­te, und schloß ihn nur lang­sam. Se­vi­gny war nicht un­be­ein­druckt, hat­te aber kei­ner­lei Be­dürf­nis, sich noch ein­mal her­ein­le­gen zu las­sen. »Don«, bat sie. »Ich kann un­mög­lich so lan­ge hier­blei­ben. Ich muß mei­ne Ver­ab­re­dun­gen ein­hal­ten.«

»Ru­fen Sie an und sa­gen Sie ab. We­gen ei­ner plötz­li­chen Er­kran­kung. Ich wer­de gut auf­pas­sen, wäh­rend Sie te­le­pho­nie­ren.«

»Und was wür­den Sie tun, wenn ich die Po­li­zei be­nach­rich­tig­te?«

Er grins­te. »Okay, Myla­dy. Ei­ne Dro­hung muß glaub­haft sein, und ein Klans­mann greift ei­ne Frau nicht tät­lich an. Aber ich wür­de mich ver­zwei­felt weh­ren, falls mei­ne Geg­ner hier auf­tau­chen soll­ten. Da­bei be­stün­de na­tür­lich im­mer die Aus­sicht, daß Sie zu­fäl­lig in die Schuß­bahn ge­ra­ten. Ver­ste­hen Sie, was ich da­mit sa­gen will?«

Sie schluck­te tro­cken und nick­te.

»Ich brau­che nicht sehr lan­ge«, fuhr Se­vi­gny fort. »Wir wer­den uns in et­wa ei­ner hal­b­en Stun­de hin­aus­schlei­chen, um einen Brief an mei­nen Boß in Port Kep­ler auf­zu­ge­ben. Wie ich ihn ken­ne, wird er kei­ne Se­kun­de zö­gern, son­dern so­fort han­deln.« Er schwieg nach­denk­lich. »Und dann, Mau­ra, sind Sie viel­leicht heil­froh dar­über, daß ich hier ge­we­sen bin – da­mit ich ein gu­tes Wort für Sie ein­le­gen kann oder auch weg­se­he, wenn Sie den Dü­sen­klip­per nach Dja­kar­ta be­nüt­zen.«

Sie sah ab­schät­zend zu ihm hin­über. »Dja­kar­ta …«, mein­te sie dann. »Viel­leicht gar kei­ne schlech­te Idee, nach­dem ich als Ma­ry Staf­ford in Chi­ca­go auf die Welt ge­kom­men bin.« Se­vi­gny schüt­tel­te sprach­los den Kopf. Mau­ra lach­te. »Oder wie wä­re es mit der Ve­nus?«

»Um Got­tes wil­len«, mur­mel­te Se­vi­gny ent­setzt.

Die jun­ge Frau er­hob sich. »Sie ha­ben be­stimmt Hun­ger«, stell­te sie fest. »Ich wer­de uns Früh­stück ma­chen. Und spä­ter …«

Ihr Blick ruh­te auf ihm. »Ehr­lich ge­sagt – die Fern­seh­pro­gram­me sind doch lang­wei­lig.«

 

»Dann blieb ich al­so in mei­nem Ver­steck, bis Sie im Fern­se­hen er­schie­nen und be­stä­tig­ten, daß ich un­ge­fähr­det wie­der auf­tau­chen konn­te, weil die An­kla­ge ge­gen mich nie­der­ge­schla­gen wor­den war«, schloß Se­vi­gny sei­nen Be­richt.

»Bei wem hat­ten Sie ei­gent­lich Zu­flucht ge­fun­den?« frag­te der Buf­fa­lo.

»Lei­der ist mir der Na­me völ­lig ent­fal­len«, ent­schul­dig­te sich der Cy­the­rea­ner.

Der Buf­fa­lo sah ihn von der Sei­te an, zuck­te aber nur mit den Schul­tern und grins­te. »Ih­nen scheint es nicht be­son­ders gut ge­gan­gen zu sein«, stell­te er fest. »Sie mach­ten einen ziem­lich er­schöpf­ten Ein­druck.«

»Es hät­te schlim­mer sein kön­nen«, ant­wor­te­te Se­vi­gny ver­träumt.

Der Buf­fa­lo lehn­te sich in sei­nen Ses­sel zu­rück. »Puh, bin ich froh, wenn ich wie­der auf dem Mond zu­rück bin!« sag­te er stöh­nend. »Mit mei­nem Ge­wicht kann sich kein Mensch auf der Er­de wohl­füh­len. Schen­ken Sie mir noch ein Glas ein?«

»An­schei­nend ha­ben Sie in letz­ter Zeit zu­viel ge­ar­bei­tet«, mein­te Se­vi­gny. Er ent­kork­te die Fla­sche und füll­te zwei Glä­ser bis zum Rand. Frü­her hat­te er sich nie für al­ten Co­gnac be­geis­tern kön­nen, aber das war vor der Zeit in dem Ap­par­te­ment No. 1014 ge­we­sen.

»Was ist ei­gent­lich aus der gan­zen Sa­che ge­wor­den?« er­kun­dig­te er sich. »Bis jetzt ha­be ich noch nichts von ei­ner Un­ter­su­chung ge­merkt.«

»Kei­ne Angst, sie hat be­reits be­gon­nen«, ent­geg­ne­te Nor­ris. »Aber Sie dür­fen kei­ne sen­sa­tio­nel­len Ent­hül­lun­gen er­war­ten. Die klei­nen Fi­sche wer­den ge­fan­gen und be­straft. Aber die großen läßt man wie üb­lich ent­kom­men.«

»Was? Aber …«

»Was ha­ben Sie denn er­war­tet? Ein erst­klas­si­ger Skan­dal wür­de viel zu wei­te Krei­se zie­hen und viel­leicht so­gar in­ter­na­tio­na­le Ver­wick­lun­gen her­auf­be­schwö­ren.« Der Buf­fa­lo nahm einen großen Schluck, rülps­te zu­frie­den und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Die al­ten Chi­ne­sen hat­ten ein Sprich­wort, das sich auch auf un­se­ren Fall an­wen­den läßt – Ein gu­ter Feld­herr läßt dem Feind stets einen Rück­zugs­weg of­fen. Ge­nau das ha­ben wir auch vor. Ei­ni­ge un­se­rer Geg­ner wer­den sich schwei­gend aus der Öf­fent­lich­keit zu­rück­zie­hen müs­sen. Und die üb­ri­gen wis­sen, daß wir sie auf Schritt und Tritt be­wa­chen. Zwei oder drei un­be­deu­ten­de Agen­ten wer­den vor Ge­richt ge­stellt – zur War­nung und als Ab­schre­ckung für die an­de­ren.«

»Aber da­mit sind sie doch noch nicht un­schäd­lich ge­macht!« pro­tes­tier­te Se­vi­gny.

»Man­che sind viel­leicht un­ver­bes­ser­lich. Ich be­zweifle es al­ler­dings. Wahr­schein­lich wer­den sie samt und son­ders zu uns über­lau­fen. Schließ­lich ha­ben wir jetzt auch ei­ne In­ter­es­sen­ge­mein­schaft ge­grün­det, die be­trächt­li­chen Ein­fluß aus­übt.«

»Was?« Se­vi­gny hät­te fast sein Glas fal­len las­sen.

»Selbst­ver­ständ­lich. Sie müs­sen über­le­gen, daß wir auch auf die ehr­lich über­zeug­ten Geg­ner un­se­res Mond­pro­jekts ein Au­ge ha­ben müs­sen, die nichts mit die­ser Ban­de zu tun hat­ten. Aber auf der Er­de gibt es ei­ne gan­ze Rei­he von Or­ga­ni­sa­tio­nen, die an un­se­rer Ar­beit in­ter­es­siert sind. Zum Bei­spiel die Par­tei­en, die sich da­für aus­ge­spro­chen ha­ben, wäh­rend sie an der Re­gie­rung wa­ren. Ver­schie­de­ne ho­he Be­am­te – Raum­kom­missa­re und an­de­re. Fir­men, die sich von der Er­schlie­ßung des Mon­des ho­he Ge­win­ne ver­spre­chen. Und ei­ni­ge Mil­lio­nen ein­fa­cher Men­schen, die von dem Tag träu­men, an dem sie end­lich wie­der ein­mal aus dem Groß­stadt­ge­wirr her­aus­kom­men. Wir wer­den al­les tun, um un­se­ren Freun­den den Rücken zu stär­ken – und dann ha­ben die an­de­ren nicht mehr die ge­rings­te Chan­ce!« Nor­ris lach­te zu­frie­den.

Se­vi­gny ging zu dem Fens­ter hin­über und sah hin­aus. Die Stra­ßen wim­mel­ten von Men­schen und Fahr­zeu­gen. »Wahr­schein­lich ha­ben Sie recht«, stimm­te er mü­de zu. »Ich möch­te nur wie­der zu mei­ner Ar­beit zu­rück.«

»Dar­über woll­te ich eben mit Ih­nen spre­chen«, ant­wor­te­te der Buf­fa­lo. »Sie und ich ha­ben hier un­ten auf der Er­de ei­gent­lich nichts zu su­chen … He, warum se­hen Sie mich so ver­bit­tert an? Wenn Sie Ihr Kinn noch einen Zen­ti­me­ter tiefer sin­ken las­sen, kön­nen Sie es als Bull­do­zer­schau­fel be­nüt­zen. So­bald der Welt­si­cher­heits­dienst Sie aus­ge­quetscht hat, schi­cken wir Sie in Ur­laub – ich ken­ne ein Na­tur­schutz­ge­biet in Ka­na­da, das für Mil­lio­näre und Sie re­ser­viert ist –, aber dann wer­den Sie wie­der auf dem Mond ge­braucht. Trin­ken Sie aus, da­mit wir end­lich zum Abendes­sen hin­un­ter­ge­hen kön­nen!«

 

Se­vi­gny grins­te un­will­kür­lich. Die Glä­ser klan­gen hell, als sie mit­ein­an­der an­s­tie­ßen.

 

 

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