Voodoo

 


 

Madame deSoussa schob ihren Körper über die Türschwelle.

Die Droschke rollte über den Kiesweg davon. Kühler Wind strich ins Asburyhouse.

Madame deSoussa blieb stehen und blickte sich um. Ihre schwarzen filzigen Haare sahen aus wie Krähennester. Sie war eindeutig kreolischer Abstammung. Ihr flammendrotes Kleid, verfleckt zwar, dennoch imposant, leuchtete im Schein der Gaslampen. Sie war behängt mit Schmuck, der golden schimmerte, sich aber auf den zweiten Blick als Blech entpuppte. Eine an Fäden aufgereihte Knochengalerie wölbte sich über ihrem mächtigen Busen. Die Ohrläppchen wurden von glänzenden Ringen langgezogen.

Ludwig trat zur Seite, machte eine Geste der Begrüßung und schloss die Tür. Er trat zum Kamin.

»Mich habt ihr verdammten Kolonialisten nicht zum Christentum zwingen können!«, sagte sie mit lauter Stimme, die in der Empfangshalle metallisch klang. Sie stellte einen Schulterbeutel ab. Ihre schwarzen Augen starrten unentwegt Frederic an. Im Kamin knackten die Scheite. »Und genau das ist es, was mich zu dem macht, das ich bin!«

Madame deSoussa fing an, schwer zu atmen. Sie schüttelte unmerklich den Kopf, während sie ihren Blick keine Sekunde von Frederic ließ. »Das also ist es. Sie sind nicht von dieser Welt, Mr Densmore! Ihr freundlicher Bediensteter, der mich gesucht, gefunden, entlohnt und hierhin bestellt hat, erzählte mir davon. Ich konnte es kaum glauben. Ein Vampir. Liebe Götter – ein echter Vampir!« Schweißtropfen traten auf ihre Stirn und eine sanfte Form der Ahnung glimmerte in ihren Augen.

»Verzeihung ...«, Frederic verbeugte sich und reichte Madame deSoussa seinen Arm. »Darf ich Sie bitten?«

Die gewichtige Schwarze hielt ihre Arme an den Körper gedrückt. »Meine Herren«, sagte sie. »Wo befindet sich den nächsten Friedhof?«

»Nicht weit von hier entfernt«, murmelte Frederic.

»Gut ... sehr gut!« Madame deSoussa ignorierte Frederics Arm und stapfte an ihm vorbei durch den Raum. Sie sah sich um, unterzog alles einer genauen Prüfung, bis ihr Blick in der Nähe des Kamins verhielt. Sie wies mit dem Kinn dorthin. »Sie ist hier, meine Herren! Sie ist ganz in der Nähe. Sie harrt der Dinge, die bald geschehen werden.«

»Caroline?«, stöhnte Frederic.

«Sie haben Ihre gestorbene Frau bei der Seance gesehen?”

»Ja! Das wird Ludwig Ihnen berichtet haben ...«

»Sie haben mit ihr geredet?«

»Ja!«

»Sie erschien Ihnen fast so präsent wie ein lebendiges Wesen?«

»So ist es.«

»Das bedeutet, Sie hat den Faden zur realen Welt noch nicht gekappt. Etwas hält sie zurück und verwehrt ihr den Eintritt in die Geisterwelt.«

»Die Liebe ...«, flüsterte Frederic.

Madame deSoussa lächelte. Ihre breiten Wangen glänzten schwarz. »Nennen Sie mich bitte ab sofort ... Mambo!«

»Mambo?«, ließ Ludwig sich verlauten.

»Priesterin!«

»Mambo«, murmelte Frederic. «Was können Sie für mich tun?”

Die Priesterin lächelte hart. »Sie sind ein Vampir, Mr Densmore. Sie sind ein Untoter. Sie ernähren sich vom Blut der Lebenden. Eigentlich müsste ich Ihr Unleben vom Angesicht der Götter tilgen.« Ihre Worte klangen schneidend. »Andererseits ahne ich, dass Sie noch eine Aufgabe zu erledigen haben. Sie sind nicht wie die anderen ihrer Artgenossen, nicht wahr?«

»Noch nicht ...«, antwortete Frederic.

»Gut gesagt, Mr Densmore. Aber bald. Es wird nicht mehr lange dauern und sie erkennen den Unterschied zwischen Freund und Feind nicht mehr. Es wird geschehen, wenn der Mond das nächste Mal mit voller Helle strahlt. Dann werden Sie als erstes das Blut ihres treuen Ludwigs trinken. Und in diese Düsternis soll ich Ihre verstorbene Frau zurückholen? Soll ich schwarze Nekromantie begehen? Die düsteren Rituale meiner Brüder und Schwestern von Haiti? Dafür soll ich mir die Seele aus dem Leib reißen, um sie dem Geist Ihrer Frau zu schenken? Warum sollte ich das tun? Warum, Mr Densmore?«

Ludwig ließ sich in einen Sessel fallen. In seinem Gesicht stand die offene Frage: Gehört dieses Verhör schon zum Ritual oder hatte er die falsche Wahl getroffen? Würde er Frederic, den er so sehr liebte, enttäuschen?

Frederic verschränkte seine Arme hinter dem Rücken, neigte gelassen lächelnd den Kopf und sagte: »Ich liebe Caroline, große Mambo.«

»Lassen Sie die Schmeichelei, Vampir! Mambo reicht aus!«

Frederics Blick schnellte hoch. Er sog zischend Luft ein. Seine Augen wurden schmal. Es wurde kühl im Raum. Über seinem Kopf flimmerte die Luft. Er sah aus wie ein Raubtier kurz vor dem Fangsprung. Madame deSoussa – Mambo - reckte das fleischige Kinn und schüttelte den Kopf.

Frederics Schulter sanken nieder und er fuhr fort: »Ich habe nie, nie vergessen, wie es war, sie im Arm zu halten, ihr Lachen zu hören, ihre Haut zu spüren, für Sie ein guter Freund sein zu dürfen. Ich habe Myriaden Tränen vergossen. Ich spüre auf einer sehr tiefgreifenden Ebene, dass Caroline noch immer bei mir ist. Irgendwo hier ... Sie ist mein Schutzgeist, diejenige, die mich noch in der Welt der Lebenden hält. Diejenige, die mich rettet. Ich werde sie immer lieben, Mambo. Immer!«

»Das ist ein guter Grund, Vampir! Vielleicht der Beste, auch wenn ich den Eindruck habe, ihre romantische Seele geht mit Ihnen durch!« Ungerührt setzte Madame deSoussa nach: »Was bedeutet der Begriff Regus?«

»Ludwig scheint Sie sehr gut informiert zu haben ...« Frederic verschränkte erneut seine Arme, diesmal vor der Brust. »Er ... er tötete Caroline und machte mich zum Vampir.«

»Warum tat er das?«

»Albert Asbury, der Vorbesitzer dieses Hauses, war größenwahnsinnig. Er suchte das Ewige Leben und maßlosen Reichtum. Beides glaubte er, bei den Vampiren zu finden. Albert wusste, dass er einer von ihnen werden musste. Sein Plan gelang. Bald stieg er zum Propheten der Vampire auf. Er erfand das sogenannte Große Buch. Darin verkündete er einen Vampir, der kommen würde, um die Welt der Blutsauger zu verändern. Die Gruppe der Vampire glaubte ihm das und machte ihn zu ihrem Propheten und Großmeister. Albert hingegen nutzte seine Kontakte aus, um seinen Reichtum zu mehren. Wie auch immer ... irgendwann bekam Albert Visionen und staunte nicht schlecht, dass diese ihm genau jenes bestätigten, was er erfunden zu haben meinte. Wir wissen das, weil wir sein Tagebuch fanden, in dem er dies niederschrieb. Dann, eines Tages, wurde Albert durch einen Pflock im Herzen getötet. Er starb als verzweifelter Mann, dem ungeheuer leid tat, was er getan hatte. Ludwig und ich sind uns sicher, dass es ein Vampir war, der Albert beiseite schaffte, um die Macht zu bekommen. Er nennt sich Regus. Caroline, Alberts Nichte, zog hier ein. Eines Nachts kam der Vampir in unser Schlafzimmer, biss mich und tötete Caroline im Kampf. Ich wurde zu einem der ihren gemacht, weil Albert zu Vampirzeiten einen neuen Verkünder prophezeite. MICH! Unglaublich, nicht wahr? MICH! Was jedoch niemand sonst weiß, ist, dass Albert noch eine andere Weissagung aufschrieb.«

Ludwig war zu ihnen getreten. Er sagte: »Frederic Densmore und Caroline Densmore haben gemeinsam etwas damit zu tun. Noch wissen wir, nicht, was das ist. Noch wissen wir nicht, worauf das alles hinausläuft. F und C. Zwei Initialen. F wie Frederic und C wie Caroline. Aber Caroline Densmore ist tot. Und hier, Mambo, kommen Sie ins Spiel.«

»F und C! Ein bisschen wenig, um darin ein Zeichen zu sehen, oder?«, grinste Madame deSoussa.

»Es gibt Dinge zwischen Himmel und Hölle, die weiß man einfach! Oder rühren Ihre Voodookräfte, so sie denn vorhanden sind, von etwas anderem her?«, zischte Frederic.

Madame deSoussa lächelte kalt. »Dann wird es Zeit, dass wir uns aufmachen ...« Sie blickte zum Kamin und sagte, als gäbe einem Hund einen Befehl: »Geist der Geister, Inneres und Hülle, Caroline – folge uns!«


 


 

Der Vampir schlug die Augen auf.

Er richtete sich mit fließenden Bewegungen von seiner Schlafstatt auf. Im Kamin kämpften Glutstücke ums überleben. Eine Fensterlade schlug im Wind.

Ein Traum hatte ihn geweckt.

Ein Traum von erhabener Intensität. Es ging um jenen Mann, den er vor zwei Jahren zu einem Vampir gemacht hatte. Jenen Mann, den er beobachtete, wie es ein Wissenschaftler mit einer Maus oder Ratte tun mochte. Wann endlich würde Frederic Densmore seinem Instinkt nachgeben, seinen Durst stillen? Regus war ihm, auf Dachrinnen hockend, in die Abgründe Londons gefolgt. Er hatte Densmore dabei beobachtet, wie jener vor Durst bebend, mit fiebrigen Augen Verbrecher beobachtete. Selbstverständlich, um sich moralisch reinzuwaschen, wenn es geschähe. Wenn er seine Zähne an den Hals eines Menschen legte. Wenn ihn das erste Mal in seinem Leben der heilige Funke durchfuhr. Ein Gefühl, mit nichts zu vergleichen. Dann endlich wäre Densmore endgültig einer der ihren, hätte sich über jegliche menschliche Moral und Ethik hinweggesetzt. Dann würde sich die Weissagung, die Prophezeiung des alten Albert erfüllen. Bis es soweit war, oblag es Regus, den Weg zu bereiten, den Weg für den Auserwählten.

Manchmal kam ihm der Gedanke, dies alles könne ein großer Trug sein. Dann verscheuchte er seine Zweifel, indem er sich an seiner Macht ergötzte, die er errungen hatte, nachdem Albert gestorben war.

Er hatte Albert im Schlaf getötet. So, wie es die Geschichte wollte. Mit einem Pflock im Herzen. Sehr klassisch, obwohl es auch andere Mittel und Wege gegeben hätte. Aber eben dieser Pflock war es, der Regus aus der Schusslinie der Verdächtigen brachte. Niemand kam auf den Gedanken, dass ein Vampir etwas mit Alberts Tod zu tun haben könne. Ein Vampir würde niemals einen Pflock benutzen, denn das war den Sterblichen vorbehalten. Ein Vampir köpfte seinen Gegner, wenn sein musste, was sehr selten geschah.

Was ihm fehlte, was Alberts Tagebuch. Er wusste, dass der Alte eines geführt hatte, erinnerte sich daran, dass Albert einmal darüber gesprochen hatte. Das Große Buch alleine war zwar mächtig genug, um Regus seine Position zu sichern, aber je öfter er die Seiten analysierte, desto mehr hatte er das Gefühl, einem Betrug auf den Leim gegangen zu sein. Die Seiten waren perfekt gestaltet, der Text klang wichtig und mystisch, aber die Seiten hatten keine Ausstrahlung. So schön die Schrift auch war, so elegant die Zeichnungen angelegt waren – irgendwie erschien ihm das Buch wie eine ... wie eine billige Kopie dessen, was Albert in sein Tagebuch geschrieben haben musste. In den meisten Tagebüchern findet sich die Wahrheit. Warum also sollte dies bei Alberts Tagebuch anders sein?

Er hatte – und war einmal dabei von Caroline Bailey überrascht worden – das alte Haus Stück für Stück abgesucht, jedoch das Buch nicht gefunden. Nun gut – er würde nicht aufgeben. Würde es irgendwann finden. Noch folgte man ihm, auch wenn viele seiner Leute ungeduldig wurden. Es wurde Zeit, dass Frederic Densmore die letzte Barriere zum Menschsein überschritt. Regus war enorm gespannt, was dann geschehen würde! Wenn er seinen Leuten den Auserwählten präsentierte! Denn – und daran konnten alle Zweifel nichts ändern – auf einer tiefen Ebene glaubte er ebenso wie seine Artgenossen an die Worte des Albert Bailey.

Der Traum!

Fetzen davon hingen noch im kühlen Zimmer. Regus versuchte, sie zu fassen. Bilder von Frederic und seinem Butler Ludwig. Dabei eine Frau. Eine entsetzlich dicke Frau, schwarzhäutig! Und noch eine Energie, noch ein Gefühl, eine Aura, die ihn fast körperlich erinnerte.

Caroline, Frederics verstorbene Frau!

Das konnte nicht sein! Diese Frau war tot! Er selbst hatte sie getötet!

Der Vampir zischte wie eine Schlange, der man das Gift aus dem Zahn pumpt. Er krümmte sich.

Friedhof! Sie waren auf dem Weg zu einem Friedhof!

Dort würde ein Ritual abgehalten werden. Dort würde etwas geschehen, dass Regus’ ganze Aufmerksamkeit forderte. Dort würde ... würde ...

Der Vampir sprang in seine Kleider.

Vor weniger als zwei Jahren hatte er Frederic versprochen, eines Tages sei es Zeit für das Ritual der Öffnung.

»Ich bin dein Herr. Nenne mich Regus und warte auf meine Anweisungen!« hatte der Düstere gesagt.

Frederic war hoch geschreckt, hatte geschrien: »Warum hast du mir das angetan?«

»Weil es sein musste, Frederic! Umso mehr Menschlichkeit noch in dir ist, desto stärker wird später der Genuss der Stärke deine Eitelkeit befriedigen. Irgendwann wirst du Ihnen überlegen sein, ein Gott.«

»Und wenn es niemals so wird?«

»Es wird, Frederic, es wird! Manch einer benötigt eine besonders lange Lehrzeit, andere lernen schneller. Du wirst Alles sein.«

Er schauderte es bei der Erinnerung an diese Worte.

Du wirst Alles sein!

Hatte er zu lange gewartet? Frederic war ein Bruder! Und er würde die Welt der Untoten verändern. Denn das hatte der Großmeister versprochen. Nun war Regus Großmeister, aber er hatte keine Worte. Nichts Neues, das er verkünden konnte. Das Große Buch gab nichts mehr her. Würde er die Worte heute Nacht finden? War der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen?

Und was hatte Caroline Densmore damit zu tun?

Welche Ziele verfolgte die Voodoo-Priesterin?

Der Vampir schrumpfte. Die Luft stank nach Aas. Mir reißenden Geräuschen veränderte er seine Gestalt. Als Rabe, mehr als zwei Fuß hoch, hockte er auf der Fensterbank. Er breitete die Flügel aus und machte sich auf den Weg. Seine Schwingen verdunkelten den Mond.


 


 

Der Friedhof lag unter einer drei Fuß hohen Nebelschicht. Diese waberte über knorrige Äste und umspülte Grabsteine und Mahnmale. Die grantigen Weiden bogen sich kahl und schwarz über die Gräber wie die Silhouetten eines Scherenschneiders. Ein Uhu schimpfte über die drei Eindringlinge im Totenreich.

»Bubo bubo ... schweig!«, zischte Madame deSoussa und der Vogel hielt den Schnabel.

»Zuerst müssen wir Carolines Geist etwas schenken, damit sie gnädig gestimmt ist«, sagte Madame deSoussa und zog aus ihrem Schulterbeutel eine Kalebasse. Diese stellte sie an den Fuß eines Baumes. »Ein paar Erklärungen, meine Herren, dann lassen Sie mich meine Arbeit tun, ist das in Ordnung?«

»Ja, selbstverständlich«, antwortete Frederic.

»Das Universum ähnelt einer Kalebasse, meine Herren. Himmel und Erde bilden seine Hälften. In diesem geschlossenen System gibt es kein Oben und Unten, keine Trennung von Leben und Tod, Menschlichem und Nichtmenschlichem. Sehen Sie diesen mächtigen Baum?« Sie wies auf eine knorrige Eiche. »Die Wirklichkeit ist nur eine Fassade. In diesem Baum hausen mächtige Geister. Denken Sie daran, wenn Sie demnächst durch einen Wald streifen. Alles, was Ihnen, Frederic, zustieß, ist göttliche Vorsehung oder magische Vergeltung. Geschenk oder Strafe. Das werden wir sehen, wenn ich das Opfer dargebracht habe.«

»Opfer?«, fragte Ludwig.

»Nichts Spektakuläres«, kicherte Madame deSoussa und zog ein totes Huhn aus dem Beutel. Sie hielt es am Hals hoch, sodass es aussah, als baumele eine Gehenkter vor dem weißen Licht des Mondes.

Es wird geschehen, wenn der Mond das nächste Mal mit voller Helle strahlt. Dann werden Sie als erstes das Blut ihres treuen Ludwig trinken!

Frederic zuckte zusammen, als er sich an diesen Satz erinnerte. Soviel er wusste, waren es noch zwei Tage bis zum nächsten Vollmond. Oder irrte er sich? Das Gestirn wirkte verdächtig rund und hell.

Madame deSoussa zog ein schmales Messer aus ihrer Schärpe. Ohne lange nachzudenken, ritzte sie sich in den Unterarm und fing das Blut in der Kalebasse. Es tropfte eine Weile, bis sie es mit einem Druck ihres Daumens zum versiegen brachte.

Frederic starrte auf das Gefäß. Starrte auf Mambos Unterarm. In seinen Ohren rauschte es. Hinter seinen Augen pumpte es hellgelb und blutrot im Wechsel. Knirschend schoben sich seine Zähne aus dem Oberkiefer. Hinter seiner Stirn pulsten Lust, Erhabenheit, Kraft und Durst. Er witterte. Das hier roch anders als Kaninchenblut, als Ochsenblut, als Schweineblut. Das hier war metallener, bleierner, schwerer, eher wie ein alter dunkler Wein. Das hier war wie König Lears Trauer, wie das Lied der Hexen und der Tod des König Duncan. Das hier war Macbeths Vision des schwebenden Dolches, direkt gerichtet auf alles Menschliche, auf Adern, Venen, Leben, Blut!

Madame deSoussa blickte auf. Flackerte Angst in ihren Augen? Sie schwitzte erbärmlich. Ihre Hände zitterten, als sie Frederic die Kalebasse reichte. »Es ist mein Blut. Ich schenke es dir. Sei mir wohl gesonnen, Vampir und zeige, welche Macht in dir steckt. Sammle diese Kraft für alles, was dich erwartet. Konzentriere deine Fähigkeit, deine Liebe, dein Sehnen, auf das, was du begehrst. Ist es Caroline? Dann begehre sie. Trinke und begehre sie.«

Frederic nahm die Kalebasse. In schauderte, als der erste süßwarme Tropfen seine Lippen netzte, als das wohligwarme Elixier über seine Zunge rann. Ihm war, als berste er vor Überschwang. Nichts mehr nahm er wahr, außer seinen Träumen. Ludwig, die Mambo, der Friedhof – alles das existierte nicht mehr. Nur dieser Trank, die Kraft, die ihn durchfloss, das, was in ihm erweckt wurde, jenes, was Regus ihm einst prophezeit hatte, war noch wichtig.

Und Caroline!

Sah er sie?

Hörte er sie?

War sie ihm nicht näher denn je?

Sah er ihren Schatten dort neben dem Baum?

Dort, wo die Voodoo-Priesterin das getötete Huhn abgelegt hatte, seltsam anmutende Sprüche murmelte und die Geister im Baum rief, in einer Sprache, die Frederic nicht verstand. Sie, der er die Zähne in den Hals bohren will, deren Blut er trinken will. Denn nur so wenig war es, dass sie ihm schenkte. Viel zu wenig. Jedoch er muss sich zusammenreißen. Er darf sich nicht gehen lassen. Er muss warten.

Oh, Caroline! Wenn dies alles dazu dient, mir einen Weg zu dir zu bahnen, mag die Qual noch so groß sein. Du bist alles, was ich will.

Und ein Blitzschlag fuhr durch ihn. Ein brennender Schmerz, der ihn auf die Knie riss.