Zweiundzwanzig


Er duschte. Als er im Kleiderschrank nach sauberen Anziehsachen suchte, vergaß er sich und begann, Kleider von Þórhildur herauszusuchen, um ihren Geruch, den Duft zu finden, in der Hoffnung, sich an eine Berührung mit ihr zu erinnern.


Den Duft fand er, nicht an den Kleidern, an ihnen haftete kein Geruch, sondern die Erinnerung erschien seinen Sinnen und er stand in der Mitte des Raumes mit geschlossenen Augen und hoffte, dass die Inhaberin des Duftes erscheinen würde, wenn er sie wieder öffnete. Er legte sich aufs Bett, nahm ihre Bettdecke in die Arme und weinte lautlos, bis der Schlaf ihn kurz aus den Fesseln der Trauer befreite.


Als er aufwachte, spürte er, wie nass das Kissen war, und begriff, dass er sich in den Schlaf geweint hatte. Er war viel zu früh eingeschlafen, denn ein Ozean von Tränen war noch ungeweint.


*****


Am Arbeitsplatz war das Mitleid fast unerträglich.


Was gibt es Neues von Þórhildur?


Nichts. Alles noch wie vorher.


Keine Veränderung?


Er schüttelte den Kopf, traute sich nicht zu sagen: »Nein«, aus Angst, die Stimme könne ihm versagen.


*****


Randver sah, wie es ihm ging, und rettete ihn in sein Büro.


»Was schleichst du denn hier herum? Du sollst nicht mal in die Nähe des Büros kommen, bevor Þórhildur sich erholt hat.«


Erholt hat. Wie von einer Erkältung oder einer Grippe.


»Ich weiß gar nicht, was ich hier mache. Ich bin kurz nach Hause gefahren und habe es da auch nicht ausgehalten.«


Randver wollte am liebsten vom Schreibtisch aufstehen und seinen Freund umarmen. Stattdessen sagte er: »Soll ich uns einen Kaffee holen?«


»Nein, danke. Ich möchte im Moment keinen Kaffee.«


»Tee?«, fragte Randver verzweifelt und hoffte, ihm würde etwas Passendes zu sagen einfallen, etwas, das seinem Freund Kraft spenden könnte.


Ihm fiel nichts ein.


»Ach, hör mal, bevor ich es vergesse: Irgendein Herr von Durendoff von der holländischen Polizei hat versucht, dich zu erreichen. Er bittet um einen Rückruf, wenn du Zeit hast.«


»Van Turenhout?«


»Ja. Er bat mich, dir auszurichten, dass der Mann, bei dem Joe Diesserson zur Miete wohnte ...«


»Joe Diesserson? Jódísarson? Ársæll Jódísarson. Die Leiche, die er uns auf dem Flughafen gezeigt hat.«


»Ja, natürlich Jódísarson. Der Sæli. Ja, jetzt verstehe ich, wovon der Mann geredet hat. Nur, dass von Durendoff von diesem Vermieter gesagt bekam, dass Sæli auf der Flucht vor Magnús gewesen sei.«


»Magnús?«


»Ja, Magnús, den Namen habe ich auf jeden Fall richtig verstanden, auch wenn ich es mit dem Ausländisch nicht so habe. Magnús, den ihr in Holland gesucht habt. Er ist offensichtlich kurz vor euch dort gewesen. Und damit nicht genug, der Vermieter sagte auch, dass Magnús behauptete, er sei dort im Auftrag irgendeiner Vereinigung, die so gefährlich sei, dass Motorradgangs dagegen wie ein Lions Club wirkten.«


»Moment mal. Dieser Vermieter hat Magnús getroffen?«


»Nein, das wohl nicht, aber die Mieter berichteten ihm von dem Besuch«, sagte Randver. »Magnús und zwei andere kamen und haben sich in dem Haus nach Ársæll erkundigt ­ mit ziemlichem Radau, wie es scheint. Sæli hatte das Glück, nicht zu Hause zu sein, und als er erfuhr, dass drei Männer nach ihm gesucht hätten, war er ganz schnell wieder verschwunden, natürlich ohne seine Mietrückstände zu begleichen. Er muss einen Schrecken bekommen haben, als er seinen Verfolgern dann auf dem Flughafen Schiphol wohl in die Arme lief, wohin er vermutlich gegangen war, um sich abzusetzen.«   

 


»Wer waren die anderen beiden?«


»Das scheint der holländische Polizist nicht zu wissen.


Magnús war der Einzige, der seinen Namen nannte, und die Beschreibung der anderen ist nicht sehr hilfreich. Das Einzige, worin sich die Leute einig waren, ist, dass der eine dick gewesen sei und der andere dünn.«


»Isländer?«


Randver zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nichts über sie, nur, dass sie mit Magnús unterwegs waren, der eine dick, der andere ...«


»Dünn«, sagte Víkingur.


»Exakt«, sagte Randver. Er freute sich, dass er es anscheinend geschafft hatte, Víkingurs Interesse an etwas zu wecken und ihn für kurze Zeit von der enormen Bürde zu befreien, die unerträglich sein musste.


»Was sagt uns das?«, fragte Víkingur und schaute Randver an, der aus langjähriger Erfahrung wusste, dass keine Antwort erwartet wurde. »Das sagt uns, dass Magnús in Holland war und, gemeinsam mit seinen zwei unbekannten Kumpels, Ársæll Jódísarson auf dem Flughafen Schiphol erledigt haben könnte. Das bedeutet, dass Magnús und seine Kollegen dieses LT-Runenzeichen auf der Stirn von Sæli hinterlassen haben könnten. Was bedeutet, dass dieselben Täter die Leute in Estland umgebracht und das Amphetaminlabor in Brand gesetzt haben könnten, weil sich dort dasselbe Zeichen, ergänzt um ein Nazisymbol, fand.«


»Vier und R«, schob Randver ein. »Und der Vogel, ob es nun eine Friedenstaube, der Phönix oder der Reichsadler ist«, sagte Víkingur. »Gut.


Im Prinzip unterliegen beide Fälle nicht unserer Gerichtsbarkeit. Wir wissen, dass Magnús noch lebte, als die Morde in Þingvellir verübt wurden ...«


»In Grafningur«, korrigierte Randver und augenblicklich gab ihm der Blick Víkingurs zu verstehen, dass es sich dabei kaum um etwas Wesentliches handelte.


»In Grafningur finden sich dann diese zwei Symbole noch einmal, also L und T und der gute Vogel, aber keine Nazisymbolik. Was bedeutet, dass Magnús an vier Mordfällen beteiligt gewesen sein kann.«


»Drei«, sagte Randver.


»Vier«, wiederholte Víkingur. »Vergiss nicht die Leiche, die im Rotterdamer Hafen gefunden wurde. Wenn diese Morde in Zusammenhang stehen, dann war das der erste Mord der Serie, auch wenn wir weder wissen, wer ermordet wurde, noch weshalb. Wir wissen auch, dass Magnús bereits verstorben und obduziert war, als der letzte Mord geschah, und deswegen kann er Auður Sörensen nicht getötet haben. Dennoch war es ein Mord unter ähnlichen Vorzeichen. Runen. L und T. Eine Pfählung. Die Runen tauchen jedes Mal auf, aber die Methoden sind verschieden und auch die Symbole sind nicht immer die gleichen.«


»Es gibt ziemlich viele Tote«, sagte Randver. »In Estland meint die Polizei, die Überreste von sechs oder sieben Leichen in den verkohlten Ruinen gefunden zu haben. Zwei Tote in Holland, einer davon ganz sicher ein Isländer. Drei im Sommerhaus und dann die Anwältin.


Das macht insgesamt dreizehn Morde. Auch wenn es vielleicht keine Rolle spielt, dann ist es aber doch beispiellos, dass ein Isländer so viele Morde begangen haben soll, zumindest in der heutigen Zeit.« »Daraus können wir kaum Schlüsse ziehen«, sagte Víkingur. »Wir können uns aber vielleicht damit trösten, dass die meisten dieser Menschen im Ausland getötet wurden und diese Morde uns strenggenommen nicht betreffen. Unter unsere Gerichtsbarkeit fallen nur vier.«


»Auch mehr als genug in einem Land, das im Jahr durchschnittlich auf nicht einmal zwei Morde kommt«, bemerkte Randver.


»Ach was, du sprichst vom vergangenen Jahrhundert«, sagte Víkingur. »Im 21. Jahrhundert liegen wir weit über diesem Schnitt.«


Randver fuhr störrisch fort: »Nichtsdestotrotz haben wir Isländer keinen gefassten und noch lebenden Mörder, der mehr als zwei Morde auf dem Kerbholz hat. Was sagt uns das?«


»Das sagt uns gar nichts«, sagte Víkingur. »Außer dass wir ein kleines Volk sind.«


»Exakt«, sagte Randver. »Wir sind ein winziges Volk.«


»Wie klein das Volk ist, spielt keine Rolle«, sagte Víkingur. »Isländische Mörder haben ein gleich großes oder kleines Gehirn und gleich viele Arme und gleich viele Füße wie die Mörder in China oder Amerika.«              


»Ich habe noch nie von chinesischen Mördern gehört«, witzelte Randver.


Víkingur lächelte.


»Heißt es nicht, dass Mao Tse-tung mehr Menschenleben auf dem Gewissen haben soll als jeder andere, der je auf dieser Erde geboren wurde?«


»Das war natürlich nicht Mord, sondern Totschlag«, sagte Randver. »Außerdem hat er diese ganzen Millionen nicht mit eigenen Händen getötet, sondern hat andere die Drecksarbeit erledigen lassen. Was ich meine, ist: Auch wenn nicht mehr als vier dieser Morde uns etwas angehen, finde ich es trotzdem unwahrscheinlich, dass der Täter ein Isländer ist ­ sofern es sich überhaupt in allen Fällen um denselben Täter handelt.«


»Und woran machst du fest, dass der Täter kein Isländer ist?«


»Wenn wir uns nur auf diese vier Morde konzentrieren, erscheint mir vieles daran ungewöhnlich und fremd.


Erstens wirken sie wie geplante Hinrichtungen. Das sind wir so nicht gewohnt. Meistens werden die Morde im Jähzorn begangen ­ ohne jede Planung. Wenn der Mörder sieht, was er getan hat, versucht er verzweifelt, die Sache zu vertuschen, meistens, indem er die Leiche versteckt.


Zweitens gab es in Island bisher keinen Mörder, der irgendwelche Zeichen oder Botschaften am Tatort hinterlassen hat, außer in dem einem Fall, wo es sich um einen geistesgestörten Mann handelte.


Drittens diese Pfählung. Woher sollten Isländer plötzlich eine solche Idee haben?«


»Aus Kinofilmen, Comics, Computerspielen. Aus der modernen Zeit, die sich immer weiter von unserer eigenen Erfahrungswelt entfernt«, sagte Víkingur. »Die Mode oder, mit anderen Worten, der Zeitgeist spielt in vieles mit hinein.«


»Das kann gut sein«, sagte Randver. »Worauf ich hinauswill, ist, dass dieser Mord eher auf organisierte Kriminalität hinweist als auf den Stil der Einzeltäter, mit denen wir es bisher zu tun hatten. Organisierte Kriminalität ist so gut wie unbekannt in Island, wenn man die kurzfristige Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter beim Schmuggel und Verkauf von Drogen mal ausnimmt.« »Da bist du, glaube ich, beim Kern der Sache angelangt«, sagte Víkingur. »Was alle diese Fälle verbindet, außer Symbolen und Runen, ist, dass sie auf die eine oder andere Weise mit Rauschgift zu tun haben.«


Randver nickte, fragte dann aber: »Wie verbindest du den Torso, der im Rotterdamer Hafen gefunden wurde, mit Drogen?«


Víkingur winkte ab.


»Da hast du recht. Ich habe dafür keine Beweise. Können wir uns nicht darauf einigen, dass eine Leiche von dreizehn die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt?«


»Aber Auður Sörensen hat doch nicht mit Drogen gehandelt?«


»Nein, aber sie war die Anwältin eines Mannes, dem Drogenhandel nachgesagt wird. Das ist der Zusammenhang.«


»Wenn dieser Zusammenhang sie das Leben gekostet hat, ist es dann nicht ein Hinweis darauf, dass diese Morde sich um etwas anderes drehen als Machtkämpfe auf dem Drogenmarkt?«


»Nein, nicht unbedingt. Auður hat Elli vom Octopussy eventuell in der einen oder anderen Angelegenheit seines Unternehmens beraten und deswegen vielleicht etwas gewusst, das mit Rauschgift zu tun hat.«


»Ja, das ist komplex«, sagte Randver und rieb sich die Nase.


»Wie verläuft die Untersuchung ansonsten?«


»Die offizielle Antwort darauf ist, dass die Untersuchung ihren normalen Gang nimmt, was bedeutet, dass nichts vorangeht und wir überhaupt nichts wissen.«


»Was habt ihr denn so gemacht?«


»Wir stecken bis zum Hals im ganz normalen Verfahren ­ Zeugen verhören, Zeugen suchen, die Finanzen von Elli und der Juristin untersuchen, Telefongespräche protokollieren und unterwegs jeden Stein umdrehen.«


»Und?«


»Was ich merkwürdig finde, ist, dass wir keine Anhaltspunkte dafür finden, dass diese Gewalttaten in der Luft lagen. Keinerlei Streitigkeiten. Keine Drohungen.


Keine Anzeichen dafür, dass Elli oder Auður glaubten, in Gefahr zu schweben. Das kommt wie ... wie ...«


»Ein Blitz aus heiterem Himmel?«


»Wie ein Blitz aus allen Wolken, hätte ich beinahe gesagt«, sagte Randver und lachte. Wunderbar, wieder so mit Víkingur dazusitzen und ein gutes Gespräch über die Themen des Tages zu führen.


»Was gibt es sonst noch Neues?«, fragte Víkingur.


Randver zögerte mit der Antwort.


»Hier im Haus, meine ich«, fügte Víkingur hinzu.


»Hat Marinó dem neuen Polizeipräsidenten schon eine anständige Kaffeemaschine abgerungen?«


»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Randver.


»Ich glaube, wir bekommen so lange keine neue Kaffeemaschine, bis hier eingebrochen und die alte gestohlen wird.«


Das war ein Running Gag auf der Wache. Víkingur lächelte aus alter Gewohnheit.


Randver schaukelte in seinem Sessel.


»Was traust du dich nicht, mir zu sagen?«, fragte Víkingur. »Ich kenne doch das unglückliche Gesicht, das du machst.«


Randver stöhnte.


»Es ist nichts, was wir jetzt dringend besprechen müssten. Ich wollte es nicht ansprechen, bevor Þórhildur sich erholt hat.«


»Ist es etwas, das mit ihr zu tun hat?« »Vielleicht nicht direkt. Eigentlich dreht es sich mehr um dich, wenn man so sagen kann.«


»Mich?«


Jetzt begann ein ziemliches Gefasel. Randver hatte Schwierigkeiten, für das, was er seinem Freund sagen wollte, Worte zu finden. Schlussendlich fand er aber in die richtige Spur.


»Ja also ... Schau mal. Es ist eigentlich zweierlei. Aber es ist eigentlich dieselbe Sache. In erster Linie habe ich erfahren, dass beschlossen worden ist, deine Stelle auszuschreiben.«


Víkingur reagierte nicht auf diese Information.


»Ich habe schon erfahren, dass das zu erwarten ist«, sagte er. »Und zweitens?«


»Hm?«


»Erstens ist beschlossen worden, dass jemand anderes meine Stelle übernimmt. Und was wolltest du mir zweitens sagen?«


»Die Belegschaft hier ist befragt worden, wie du in den vergangenen Monaten gewesen bist.«


»Wie ich gewesen bin?«


»Ja. Irgendwer bei der Landespolizeichefin soll ausgegraben haben, dass deine Frau in den letzten drei bis vier Monaten ziemlich viel Ritalin und Valium auf deinen Namen verordnet haben soll. Sogar ich bin gefragt worden, wie du mir vorgekommen seiest, ob ich irgendeine Veränderung an dir bemerkt hätte.«   

 


Víkingur begriff augenblicklich, wie es dazu gekommen war, doch obwohl er mit Randver im Vertrauen sprach, konnte er ihm den Grund nicht nennen. Er konnte sich nicht damit entschuldigen, dass seine Frau ein rückfälliger Junkie war und seinen Namen missbraucht hatte, um Medikamente für sich selbst zu besorgen. »Und?«, fragte er.


»Und was?«


»Hast du an mir irgendeine Veränderung bemerkt?«


»Nein, natürlich nicht. Außer vielleicht, dass du in den letzten Wochen eher düsterer Stimmung warst.«


»Es ist nicht, dass ich selbst Medikamente missbraucht habe. Es hat andere Gründe.«


»Ja, natürlich. Das mit Þórhildurs Sohn und den ganzen Sorgen.«


Die ganzen Sorgen. Ja, das war richtig. Soweit es eben ging.


»So, mein Lieber«, sagte Víkingur. »Ich mache mich mal schnell auf den Weg zurück ins Krankenhaus. Ich bin schon länger hiergeblieben, als ich wollte.«


»Was wirst du denn in der Angelegenheit mit deiner Stelle unternehmen?«, fragte Randver.


»Überhaupt nichts. Wenn ich abgelöst werden soll, weil ich Medikamente nehme, dann soll das so sein. Ich mache nichts in der Angelegenheit. Ich habe mich um anderes zu kümmern.«


»Das stimmt natürlich, aber denk mal drüber nach, wenn du Zeit hast. Das kann man doch so nicht hinnehmen.«


»Das Leben ist, wie es ist; nicht unbedingt so, wie wir es haben wollen.«


»Das kann gut sein, aber man muss trotzdem versuchen, seine klare Linie beizubehalten.«


Víkingur stand auf und lächelte.


»Wir bleiben in Kontakt.«


»Ja, bleiben wir«, sagte Randver und blickte Víkingur nach, der mit hängendem Kopf davonging. Auch wenn ihr Gespräch für kurze Zeit aufgelebt war, solange es sich um die Mordfälle drehte, hatte Randver es nie schwerer gefunden, eine Verbindung zu seinem Freund herzustellen.


*****


Alles nimmt ein Ende. Auch das Warten darauf, dass Þórhildur aufwachen möge.


Víkingur wich nicht von ihrem Bett, außer die kurzen Male, wenn die Krankenschwestern ihm geradezu befahlen, aufzustehen und sich zu bewegen. Auch dann verließ er das Krankenhaus nur widerwillig, tat so, als mache er einen Spaziergang, schlich sich aber in den Aufenthaltsraum und versuchte, die Zeit totzuschlagen, indem er desinteressiert im Internet herumklickte.


Er schämte sich dafür, dass er das Wort »Koma« bei Google eingab, und blickte sich verlegen um, als mache er sich einer unsittlichen Handlung schuldig.


Laut Guinness-Buch der Rekorde hat niemand länger im Koma gelegen als Elaine Esposito. Im Alter von sechs Jahren musste sie sich einer Blinddarmoperation unterziehen, das war am 6. August 1941. Sie verstarb am 25. November 1978, im Alter von vierundvierzig Jahren, und war nach der Narkose nie mehr aufgewacht. Das Koma dauerte siebenunddreißig Jahre und einhundertelf Tage.


Ein anderer US-Amerikaner, Terry Wallis, erwachte am 11. Juni 2003 aus dem Koma, in dem er fast zwanzig Jahre lang gelegen hatte. Er glaubte, er sei immer noch neunzehn Jahre alt und Ronald Reagan wäre Präsident der Vereinigten Staaten.


Þórhildur starb, nachdem sie fast zwölf Tage und Nächte im Koma geruht hatte. Sie starb, ohne noch einmal zu Bewusstsein gekommen zu sein. Ihr Herzschlag war unregelmäßig, und je länger sie im Koma lag, desto trüber wurden die Aussichten auf Genesung. Ganz langsam ebbten ihre Kräfte ab, obgleich die Ärzte alles zu tun versuchten, was in ihrer Macht stand.


Als Víkingur auf seinem Weg aus dem Krankenhaus den Gang entlangtrudelte, hörte er Lärm aus dem Aufenthaltsraum der Patienten: Der Tag hatte sich dem Abend zugeneigt. Im Fernsehen begannen die Nachrichten.