3. KAPITEL

Die Wüstennacht kam so schnell und unerwartet wie ein Raubüberfall. Die Dämmerung war nur kurz, nicht mehr als ein rot glühendes Aufleuchten der Bergketten am Horizont. In der Nähe des Busses gab es noch einige zerklüftete Hügel mit spärlicher Vegetation, aber ansonsten bestand die Landschaft nur aus staubtrockenem Boden. Die Schotterpiste, auf der sich der Bus zuletzt bewegt hatte, wurde natürlich auch nicht von Straßenbeleuchtung gesäumt. Daher war es draußen jetzt stockfinster, abgesehen von dem fahlen Licht des Mondes und der Sterne. Im Innern des Busses spendeten die LED-Leseleuchten über den Sitzen ein wenig Licht.

Tagsüber war es glühend heiß gewesen, doch nachts fielen die Temperaturen stark ab. Wieder war es David, der sich um das Wohl der Gekidnappten sorgte. Er gab jedem Passagier eine von den Wolldecken, die sich für Notfälle in dem Gepäckraum des Busses befanden.

Allmählich kehrte Ruhe ein. Jay hatte das Radio im Cockpit auf einen lokalen Sender eingestellt. Countrymusik ertönte; offenbar war das der einzige Sound, der in Nevada ankam. In den Nachrichten wurde die Busentführung mit keiner Silbe erwähnt.

„Miller hat also bisher dichtgehalten“, meinte Pete triumphierend und selbstbewusst. „Er wird jetzt schon dabei sein, die vier Millionen zusammenzukratzen. Morgen früh rufe ich ihn wieder an, dann ist er reif. Jedenfalls hat die Busgesellschaft noch nicht die Cops gerufen.“

„Jede Geisel hat Freunde und Angehörige“, flüsterte Kathy Li zu. „Die werden sich doch wundern, warum wir nicht in Reno angekommen sind. Der Bus ist längst überfällig. Unsere Handys sind alle ausgeschaltet. Wenn nur ein Freund oder Elternteil die Polizei alarmiert, dann wird sich schnell herausstellen, dass der Bus entführt wurde. Die Cops könnten eine Nachrichtensperre verhängt haben, um die Kidnapper in Sicherheit zu wiegen.“

„Ja, aber diese Tatsache solltest du Pete nicht unter die Nase reiben“, gab Li leise zurück. „Er hält sich für einen genialen Superverbrecher. Der macht dich glatt einen Kopf kürzer, wenn du an seinen Fähigkeiten zweifelst.“

Kathy nickte. Sie hatte auch schon bemerkt, dass der Anführer der Gefängnisausbrecher überhaupt nicht kritikfähig war. In ihren Augen war Pete ein völliger Psychopath. Das machte ihn ja gerade so gefährlich und unberechenbar.

Momentan war Kathy aber viel stärker wegen Lizas Flirt mit Henry beunruhigt. Das ungleiche Paar befand sich nur zwei Sitzreihen von Kathy und Li entfernt. Daher konnten sie alles mitkriegen, was zwischen der Studentin und dem entflohenen Sträfling gesprochen wurde.

„Irgendwie seid ihr doch coole Typen, finde ich.“

„Willst du mich verschaukeln, Liza? Darauf stehe ich überhaupt nicht.“

„Nein, ich meine es total ernst. Es war gewiss nicht leicht, aus dem Gefängnis auszubrechen.“

„Darauf kannst du wetten!“, gab Henry angeberisch zurück. „Vor allem unsere Vorbereitungen mussten in aller Stille über die Bühne gehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Neider es hinter Gittern gibt. Es war völlig klar, dass wir nur mit einer kleinen Gruppe ausbrechen konnten.“ Er machte eine kleine bedeutungsvolle Pause, dann fuhr er fort: „Jeder andere Knastbruder guckte in die Röhre und musste in seinem verfluchten Käfig bleiben. So etwas schafft immer böses Blut. Jeder von denen hätte uns an die Wärter verraten können, deshalb musste alles geheim bleiben. Wir haben also den richtigen Moment abgewartet und dann unser Ding durchgezogen.“

„Ja, und das finde ich total toll.“

Henry schnaubte verächtlich. „Ich glaube immer noch, dass du mich nicht für voll nimmst. Stört es dich überhaupt nicht, dass Pete den Fahrer umgelegt hat? Und dass du jetzt hier mitten in der Nevada-Wüste sitzt, anstatt an deiner Uni coole Partys zu feiern?“

„Okay, das mit dem Fahrer war wirklich ein Schock. Das hätte vielleicht nicht sein müssen“, gab Liza zu. „Aber ihr habt doch alle unter einem heftigen Stress gestanden, nehme ich an. Und die Partys an der Uni sind doch ziemlich harmlos, ehrlich gesagt. Jedenfalls finde ich es viel aufregender, was wir im Moment gerade erleben.“

Kathy traute ihren Ohren nicht. Liza hatte vorhin zu den Studentinnen gehört, die hysterisch gekreischt hatten und kaum zu beruhigen gewesen waren. Und nun hatte sie sich wie durch Zauberhand in eine Art Gangster-Groupie verwandelt? Das durfte doch alles nicht wahr sein. Kathy konnte überhaupt nicht verstehen, was da wenige Meter von ihr entfernt abging. Doch dann hörte sie plötzlich wieder die Stimme der Chinesin.

„Stockholm-Syndrom“, flüsterte Li in Kathys Ohr.

„Stockholm-Syndrom? Was soll das bedeuten? Davon habe ich noch niemals gehört.“

„Du studierst ja auch nicht Psychologie, Kathy. Stockholm-Syndrom bedeutet, dass eine Geisel mit ihrem Kidnapper sympathisiert, sich vielleicht sogar in ihn verliebt.“ Li schnaubte leise, dann fuhr sie fort: „Neunzehnhundertdreiundsiebzig hat es in Stockholm einen Bankraub mit Geiselnahme gegeben. Als die Entführung ausgestanden war und die Verbrecher hinter Gittern saßen, haben die ehemaligen Geiseln für ihre Peiniger um Gnade gebeten. Einige haben sie sogar im Gefängnis besucht.“

„Aber wie ist so etwas möglich, Li?“

„Eigentlich ist es einfach zu erklären. Niemand kann uns hier helfen, Pete und seine Leute sind sozusagen die Herren über Leben und Tod. Es liegt an ihnen, ob wir weiterleben oder sterben. Es ist nicht wie in einem Kampf, wo beide Seiten Waffen haben. Wir sind ihnen ausgeliefert.“ Sie sah Kathy eindringlich an. „Sie entscheiden, ob wir etwas zu trinken bekommen oder auf die Toilette dürfen. Für die kleinste Annehmlichkeit sind wir ihnen dankbar. Was glaubst du, wie sehr Liza diese Cola von Henry genossen hat. Es ist wahrscheinlich die schönste Cola ihres Lebens. Wenn Pete es nicht erlaubt hätte, müsste sie immer noch ihren Durst ertragen.“

„Willst du damit sagen, dass dieses Stockholm-Syndrom uns alle treffen kann?“

„Du und ich werden nicht auf diese Kerle hereinfallen. Aber bei allen anderen im Bus bin ich mir nicht sicher.“

Kathy nickte nur. Sie war etwas beschämt, weil sie selbst eigentlich auch schon begonnen hatte, Gefühle für David zu entwickeln. Aber die anderen drei Kriminellen verabscheute sie dafür umso mehr, ganz besonders Pete. Er war nicht nur ein Mörder, sondern machte sich auch noch einen Spaß daraus, die Geiseln zu demütigen und erschrecken.

Kathy reckte den Hals, um zu sehen, was die übrigen Entführer eigentlich taten, während Liza sich an Henry heranmachte. Jay schien das Busfahren ermüdet zu haben. Jedenfalls war der athletische Schwarze auf dem Fahrersitz zusammengesunken und schnarchte leise vor sich hin. Pete hockte vorn im Bus. Er beschäftigte sich mit einem erbeuteten Smartphone. Kathy konnte von ihrem Platz aus nicht sehen, ob er im Internet surfte, Mails verschickte oder sonst etwas tat. Seine Pistole lag jedenfalls griffbereit neben ihm. Nur dann und wann schaute er auf und warf einen misstrauischen Blick in Henrys Richtung. Und David? Der attraktive junge Verbrecher schlief oder döste ebenfalls. Er hatte jedenfalls die Augen geschlossen. Nichts deutete darauf hin, dass er etwas von dem Flirt zwischen der blonden Studentin und seinem Komplizen mitbekam.

Warum machte sich Liza derartig an Henry heran, spukte es durch Kathys Kopf. Sicher, über Geschmack ließ sich streiten. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was die schöne und gestylte Liza an dem unscheinbaren Henry fand, der außerdem auch noch mindestens zwanzig Jahre älter war als sie. Warum flirtete Liza ihn an und nicht den jungen smarten David? Dafür gab es nur eine einleuchtende Erklärung, und die gefiel Kathy gar nicht.

Henry hatte eine Pistole, während David unbewaffnet war.

Wollte Liza wirklich versuchen, an Henrys Schusswaffe zu kommen?

Allein die Vorstellung brachte Kathys Hände zum Zittern. Sie atmete tief durch und schaffte es irgendwie, ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen.

Li schaute Kathy fragend an, doch diese schüttelte nur den Kopf. Sie konnte es nicht riskieren, ihre Befürchtungen auszusprechen. Falls Henry etwas davon aufschnappte, konnten sie ihr Testament machen.

Kathy erlebte innerlich noch einmal den Moment, als der Busfahrer erschossen worden war. Diese Bluttat hatte sich tief in ihre Seele gegraben. Kathy wusste nicht, ob sie diesen Mord jemals würde vergessen können.

Wusste Liza überhaupt, in was für einer Lebensgefahr sie schwebte? Oder gehörte sie zu den Leuten, denen nur ein halsbrecherischer Nervenkitzel den richtigen Kick gab? Kathy konnte sich nicht vorstellen, dass eine junge Collegestudentin gegen vier entschlossene Gewaltverbrecher eine Chance hatte. Und wenn Kathy ihr nun half? Aber wie sollte sie das anstellen, ohne dass einer der Männer davon Wind bekam?

Außerdem wusste Kathy ja gar nicht, ob Liza Henry seine Pistole abnehmen wollte. Vielleicht litt sie tatsächlich nur an diesem Stockholm-Syndrom, von dem Li vorhin gesprochen hatte. Kathy hätte sich gerne mit der Chinesin beraten, weil sie viel auf deren Meinung gab. Aber andererseits fürchtete sie sich davor, dass Pete auf sie aufmerksam werden könnte. Der Anführer machte nämlich überhaupt keinen müden oder erschöpften Eindruck. Die Blicke seiner tief liegenden Augen waren jedenfalls misstrauisch und hellwach.

Kathy zermarterte sich das Gehirn. Aber ihr fiel nichts ein, was sie momentan tun könnte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als weiterhin der Plauderei zwischen Liza und Henry zuzuhören.

„Glaubst du, das Lösegeld wird wirklich gezahlt, Henry?“

„Klar, die Busgesellschaft wird nicht euer Leben riskieren wollen“, räsonierte er. „Eure Eltern und sonstigen Verwandten würden die Firma in Grund und Boden klagen, denn sie ist ja für die Sicherheit der Passagiere während der Fahrt verantwortlich. Ich schätze, inzwischen hat man die Leiche des Busfahrers gefunden. Diese Typen werden kapieren, dass wir es ernst meinen. Sie lassen die Cops außen vor und berappen uns morgen die vier Millionen Dollar.“

„Dann bist du ja Millionär, nicht wahr? Wow, das ist so krass.“

Kathy fand es immer noch sehr unglaubwürdig, wie sich Liza an Henry heranmachte. Aber der Ausbrecher schien völlig auf sie abzufahren. Wahrscheinlich hatte er während der langen Zeit hinter Gittern den Umgang mit Frauen verlernt. Oder sein Gehirn setzte aus, weil Liza so hübsch war. Außerdem gehörte Henry vermutlich zu den vielen Männern, die sich trotz mangelnder Attraktivität für unwiderstehlich hielten.

Auch Li hörte den beiden konzentriert zu. Das wurde Kathy bewusst, als die Chinesin ihr eine Bemerkung ins Ohr raunte.

„Die Verbrecher stellen sich das zu einfach vor. Die Polizei wird auf jeden Fall mitmischen. Die Cops sind nicht dumm. Der tote Busfahrer trägt eine Uniform der Busgesellschaft. Die Polizei wird sich fragen, wo sein Bus geblieben ist. Sie wird Nachforschungen bei der Busgesellschaft anstellen. Und spätestens dann wissen auch die Cops, dass dieser Bus gekidnappt wurde.“

Kathy nickte. Über diese Konsequenzen hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Und sie wusste auch nicht, ob sie ein Eingreifen der Ordnungsmacht gut oder schlecht finden sollte. Es gab Fälle, in denen die Polizei sämtliche Geiseln mit heiler Haut aus der Gewalt von Entführern befreien konnte. Aber Kathy hatte auch gehört, dass manche dieser Aktionen gewaltig schiefgegangen waren.

Es war, als ob Li ihre Gedanken gelesen hätte. „Vor einigen Jahren haben Terroristen in einer Moskauer Schule sehr viele Geiseln genommen. Als die Armee dann eingriff, ist die Sache gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Es gab ein völliges Chaos, und viele unschuldige Menschen mussten sterben. Zum Glück war das ein Ausnahmefall. Aber man weiß eben vorher nie, wie so etwas endet.“

Diese Informationen beunruhigten Kathy noch stärker. Sie hätte gern geschlafen, aber daran war nicht zu denken. Irgendwie spürte sie, dass sie wach bleiben musste. In dieser Nacht konnten entscheidende Dinge geschehen. Und sie hatte gerade erst begonnen. Es war noch nicht einmal Mitternacht.

Im Bus wurden einige geflüsterte Gespräche geführt. Kathy konnte hören, wie die anderen Studentinnen auf der Rückbank miteinander redeten. Und auch das Ehepaar Hayes sprach leise miteinander. Nur Buck, der Soldat, saß nach wie vor allein. Kathy hätte gerne mit Lizas Freundinnen gesprochen, um abzuchecken, was von Lizas Flirtoffensive zu halten war. Aber sie traute sich nicht, aufzustehen und nach hinten zu gehen. Wenn sie eine solche Aktion startete, würde garantiert Pete auf sie aufmerksam werden. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden.

Außerdem fühlte sie sich den gestylten Amerikanerinnen fremd, viel fremder als der Chinesin Li. Die beiden jungen Frauen waren vom ersten Moment an auf der gleichen Wellenlänge gewesen. Kathy glaubte nicht, dass ein Gespräch mit Sharon, Pearl und den anderen etwas bringen würde.

Inzwischen war Liza Henry noch etwas näher gekommen. Sie rutschte auf dem Bussitz immer weiter nach vorn. Jetzt berührten ihre Beine beinahe Henrys Knie. Von ihrem Platz aus konnte Kathy sehen, wie gut dem Verbrecher die Situation gefiel. Zuvor hatte Henry fast immer mürrisch oder finster geschaut – vor allem, nachdem David ihn davon abgehalten hatte, sich über die Frauen im Bus herzumachen.

Doch nun hatte Henry sein Gesicht zu einem feisten Grinsen verzogen. Das konnte Kathy trotz der schlechten Beleuchtung ganz deutlich sehen. Es gefiel ihm offenbar sehr, von einer jungen Schönheit wie Liza umworben zu werden.

„Eine Million Dollar“, seufzte die Blonde. „Das finde ich so cool. Ich stelle es mir total aufregend vor, wie du lebst, Henry. Ein richtiger Gangster hat doch jede Menge Adrenalin im Blut, nicht wahr? Kann ich nicht einfach bei dir bleiben, wenn ihr das Lösegeld kassiert habt?“

„Bei mir bleiben?“, wiederholte Henry dümmlich.

Liza rutschte noch dichter an ihn heran. „Ja, ich habe mein spießiges Studentinnen-Leben total satt. Und diese Milchbubis auf dem Campus gefallen mir überhaupt nicht. Du bist wenigstens ein richtiger Mann, Henry. Ich wette, du nimmst dir, was du willst.“

Das Grienen des Kriminellen wurde noch breiter. Er griff an Lizas Knie. „Ja, das tue ich. Und ich werde di…“

Henry unterbrach sich selbst, denn Lizas Hand war blitzschnell vorgeschnellt, sie packte die Pistole und riss die Waffe aus Henrys Hosenbund.

„Bleibt, wo ihr seid!“, schrie sie, während sie aufsprang. Sie richtete die Waffenmündung auf Pete, der sich immer noch vorn im Bus befand.

Henry wollte ebenfalls von seinem Sitz hochkommen. Aber Liza bemerkte es und schwenkte die Waffe blitzschnell wieder in seine Richtung.

Panik brach aus. Lizas Freundinnen begannen zu kreischen, ob vor Begeisterung oder Überraschung war unmöglich zu sagen. Pete fluchte laut und obszön. Jay erwachte aus seinem Tiefschlaf.

Buck, der Soldat, war ebenfalls von seinem Sitz hochgeschnellt. „Gut gemacht, Mädchen“, rief er. „Gib mir die Knarre, ich weiß, wie man damit umgeht.“

Aber Liza hörte nicht auf ihn. Sie schien völlig von der Rolle zu sein, jedenfalls kam es Kathy so vor. Ihr Gesicht war totenbleich. Und als sie erneut den Mund öffnete, hörte sich ihre Stimme schrill und hysterisch an.

„Seid ruhig, und zwar alle! Henry – du legst dich flach auf den Boden. Los, wird’s bald? Oder ich blase dir dein Spatzenhirn weg. Hast du wirklich geglaubt, ich würde mich mit dir einlassen? Wie blöd kann man eigentlich sein?“ Sie stieß ein schrilles Lachen aus. „Pete, du wirfst jetzt deine Pistole weg. Hast du kapiert, du blöder Möchtegern-Al-Capone?“

Kathy hielt es nicht für clever, den Psychopathen so zu reizen. Auch Petes Gesicht war blass, außerdem lief ihm der Schweiß in Strömen herunter. In seinen Augen glitzerte die Mordlust. Aber immerhin versuchte er nicht, auf Liza zu schießen.

Doch er entledigte sich auch nicht seiner Waffe.

„Du machst einen großen Fehler, Kleine. Du weißt nicht, worauf du dich einlässt.“

„Sag mir nicht, was ich tun soll, Pete. Mein Vater ist Anwalt, er hat tagtäglich mit solchen kriminellen Versagern wie dir zu tun. Du wirst mir jetzt mein Smartphone geben, damit ich die Cops rufen kann.“

Der Anführer antwortete nicht. Die Spannung im Bus war beinahe unerträglich. Es kam Kathy so vor, als ob die Sekunden sich quälend langsam hinziehen würden.

Buck hatte inzwischen den Mittelgang erreicht. Der Soldat näherte sich Liza langsam. Er hatte offenbar verstanden, dass sie gewaltig unter Strom stand. Erneut versuchte er, die Lage in den Griff zu bekommen. „Gib mir bitte die Pistole“, sagte er schmeichelnd. „Ich bin ausgebildet, ich erziele bei Schießübungen immer sehr gute Ergebnisse. Warum telefonierst du nicht mit der Polizei, während ich diese Schurken in Schach halte?“

„Nein, das hier ist meine Show!“, rief Liza. „Du mischst dich hier nicht ein, das will ich nicht. Ich habe es ganz allein eingefädelt, diesen Schwachkopf da zu überwältigen. Und jetzt werde ich die Sache auch allein beenden.“ Sie warf den Kopf herum. „Pete, lass endlich deine Pistole fallen. Noch einmal sage ich es nicht!“

„Okay, wie du willst.“

Kathy konnte es kaum glauben, aber der Anführer der Kidnapper öffnete wirklich seine Finger. Die Schusswaffe fiel in den Mittelgang.

Liza schrie triumphierend auf. „Na, also – es geht doch. Und nun will ich mein Smartphone.“

Kathy wurde es heiß und kalt gleichzeitig. Die Freiheit war zum Greifen nahe. Jay und David schienen sich in Schockstarre zu befinden, auch Henry glotzte nur noch ungläubig vor sich hin. Kathy hielt den Atem an.

Pete wischte sich mit seiner nun freien rechten Hand den Schweiß aus dem Gesicht. „Du bist cool, Kleine. Als du dich an Henry rangemacht hast, dachte ich, du stehst auf böse Jungs. Von dieser Sorte Frauen gibt’s mehr, als du glaubst. Ich kenne im Nevada State Prison sogar einen dreifachen Mörder, der unbedingt von seiner Brieffreundin geheiratet werden will. Und das, obwohl er schon in der Todeszelle sitzt. Ist das nicht komisch?“

„Ja, ich werde später lachen. Und jetzt gib mir mein Smartphone, damit ich endlich die Cops rufen kann.“

„Okay, da hast du das Ding!“, schrie Pete auf einmal und warf mit ganzer Kraft das Handy in Lizas Richtung.

Damit hatte die blonde Studentin nicht gerechnet. Sie konnte nicht mehr ausweichen. Das Smartphone traf sie am Kopf. Liza wimmerte vor Schmerzen und taumelte zur Seite. Aber sie schoss nicht.

Pete nutzte das Überraschungsmoment. Blitzschnell griff er sich seine Pistole, zielte, und im nächsten Augenblick schoss er. Da Pete sich nur ungefähr zwei, drei Meter von Liza entfernt auf dem Mittelgang befand, war es praktisch unmöglich, die junge Frau zu verfehlen. Und das tat er auch nicht.

Das Projektil bohrte sich in Lizas Brust, wo sich im Handumdrehen ein roter Fleck ausbreitete. Durch die Aufprallwirkung der Patrone wurde sie rückwärts geschleudert und landete ein Stück von Kathy entfernt auf dem Boden des Mittelgangs. Sie konnte sehen, wie das Blut aus der tödlichen Wunde quoll.

Pete ging nun absolut kaltschnäuzig vor. Er beugte sich über die junge Frau, entwand ihren Fingern die zweite Waffe und steckte diese in seinen Hosenbund. Dann kniete er sich hin und tastete nach ihrer Halsschlagader.

Buck, der Soldat, stand eine Armeslänge von Pete entfernt. Er zitterte vor Anspannung. Doch auch er hatte keine Möglichkeit mehr, an eine Waffe zu kommen. Pete ließ ihn nämlich nicht aus den Augen. Der Anführer machte eine Geste mit dem Pistolenlauf. Buck blieb nichts anderes übrig, als sich zähneknirschend wieder in seinen Sitz fallen zu lassen.

„Das Miststück ist hinüber“, stellte Pete zufrieden fest. „Henry und David, ihr schafft die Leiche nach draußen. Ich will keine Toten hier drin haben. Und ihr Übrigen haltet gefälligst die Klappe. Ihr habt ja jetzt gesehen, was passiert, wenn sich jemand mit mir anlegt.“

Pete musste sehr laut werden, um die Schreie der verängstigten Passagiere zu übertönen. Mit Liza war höchstwahrscheinlich ihre einzige Chance gestorben, die Kidnapper überwältigen zu können.