8. KAPITEL
Neben dem Schock überflutete Kathy grenzenlose Enttäuschung. Eigentlich hatte sie erwartet, von den Polizisten des Geiselbefreiungsteams in Empfang genommen zu werden.
Stattdessen wartete hier draußen Jay, der treueste Befehlsempfänger von Pete. Das war wirklich eine albtraumhafte Begegnung. Wenn Jay nun Verdacht schöpfte? Immerhin war ihm ja schon aufgefallen, wie innig Kathy und David einander berührten.
Zum Glück reagierte der junge Cop sehr schnell auf die neue Situation. „Jay – cool, dich zu sehen. Ja, ich musste Kathy stützen, weil sie sich den Knöchel verstaucht hat.“ Er grinste. „Die dumme Nuss ist dort in der Höhle hingefallen. Und ihre Freundin auch, stell dir vor. Die hat sich sogar den Hals gebrochen. Also, Li können wir vergessen. Aber Kathy wird mit uns zum Bus zurückkommen und keine Schwierigkeiten machen. Nicht wahr, du Miststück?“
David wandte sich ihr zu und kniff sie schmerzhaft in die Wange. Kathy verstand, dass er das tun musste. Trotzdem schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie war völlig frustriert, und die Gefahrensituation war noch nicht ausgestanden. Das wurde ihr im nächsten Moment klar.
Im fahlen Mondlicht konnte sie erkennen, wie Jay misstrauisch die Augen zusammenkniff. „Verflucht, hörst du das auch, David? Was läuft hier?“
Ein monotones Motorengeräusch erklang, das sich ihnen näherte. Kathy musste nicht lange rätseln, woher es stammte. Es kam gewiss von dem Polizeifahrzeug, das Kathy in Sicherheit bringen sollte. In wenigen Minuten würde das Auto den Höhleneingang erreicht haben. Und dann?
Zweifellos würde die Polizeiübermacht Jay besiegen. Aber falls es eine Schießerei gab, würde Pete es mit Sicherheit hören. Dann musste man bei ihm mit einer Verzweiflungstat rechnen. Die Situation konnte für mehrere Geiseln tödlich ausgehen.
An diese Möglichkeit hatte David offenbar auch gedacht.
„Ich glaube, das sind Jäger“, sagte er laut. „Die fahren Richtung Pahute Mesa, um dort im Morgengrauen kalifornische Kondore zu schießen.“
„Was für Viecher?“, erkundigte sich Jay.
„Das ist eine seltene Raubvogelart, die unter Naturschutz steht“, erklärte ihm David geduldig. „Das hab ich mal in der Glotze gesehen. Die Typen fahren mit ausgeschalteten Scheinwerfern, weil sie sich nicht beim Wildern erwischen lassen wollen.“ Er machte eine wegwischende Handbewegung. „Egal, Hauptsache, wir haben die Geisel wieder eingefangen. Gut dass du die Pistole dabei hast. Dann wird die Kleine wohl nicht noch mal türmen.“
Jay nickte zu Davids Worten, horchte aber weiter angestrengt auf das Motorengeräusch. Kathys Knie waren weich wie Butter. Sie fürchtete schon eine herannahende Katastrophe. Doch dann geschah etwas, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte.
Das Auto fuhr an ihnen vorbei.
Schließlich war das Brummen der Maschine nicht mehr zu hören. Warum waren die Polizisten an ihnen vorbeigefahren? Aber im nächsten Moment wurde es ihr klar. Die Beamten waren natürlich mit Richtmikrofonen ausgerüstet. Sie hatten glücklicherweise rechtzeitig mitbekommen, dass etwas schiefgelaufen war. Deshalb hatte David auch so laut gesprochen und dabei betont, dass Jay bewaffnet war.
„Na, sollen sie meinetwegen ihre blöden Kondore abknallen“, brummte Jay. „Wir gehen jetzt mit diesem Vögelchen hier zum Bus zurück. Pete erwartet uns schon sehnsüchtig. Er hat mich losgeschickt, weil du so lange gebraucht hast.“
„Ja, diese verfluchte Höhle ist echt riesig“, nickte David bestätigend. „Da kann man sich glatt verlaufen. Aber ich habe die Kleine trotzdem eingefangen.“
Die unmittelbare Gefahr war nun vorbei. Trotzdem hatte Kathy immer noch weiche Knie. Sie durfte sich auf keinen Fall anmerken lassen, dass sie bis über beide Ohren in David verknallt war. Pete hatte sich als ein gerissener Schurke erwiesen. Wenn er herausbekam, dass David ein Undercover-Cop war, wäre das wirklich eine Katastrophe.
Gewiss, die Polizisten des Geiselbefreiungsteams waren in nächster Nähe und hörten alles mit, was im Bus gesprochen wurde. Doch sie würden einige Minuten benötigen, um das Fahrzeug zu erreichen. Und bis dahin konnte alles zu spät sein.
Doch momentan machte Kathy sich vor allem um ihr eigenes Schicksal Gedanken. Pete würde mit Sicherheit stinksauer sein, weil sie abgehauen war. Sie wollte sich gar nicht erst ausmalen, was er sich als Bestrafung ausgedacht hatte. Zum Glück war David an ihrer Seite. Er würde ihr beistehen, davon war sie felsenfest überzeugt.
Der Rückmarsch zum Bus kam ihr ewig vor, obwohl er nicht länger als eine Stunde gedauert haben konnte. Schließlich sah sie die Lichter des Fahrzeugs vor sich.
Kathy wurde von David und Jay eingerahmt, als sie zögernd durch die Tür glitt. Jay gab ihr einen harten Stoß in den Rücken.
„Schlaf nicht ein, du dumme Kuh!“
Pete hockte auf dem Fahrersitz. Er hatte die Pistole schussbereit in der Hand. Der Anführer warf Kathy einen ausdruckslosen Blick zu.
„Da bist du ja wieder“, sagte er leise. „Hat es dir bei uns nicht gefallen?“
Kathy hielt den Atem an. Sie musste sich beherrschen, um nicht mit den Zähnen zu klappern. Ihr war plötzlich eiskalt, und das lag nicht an den niedrigen Temperaturen der Wüstennacht. Es war Petes Reaktion, die ihr Furcht einflößte. Seine ruhige, fast gelangweilte Art wirkte auf Kathy beängstigender als ein unkontrollierter Wutausbruch.
Pete wischte sich langsam den Schweiß von der Stirn. Hatte er zuvor nicht geschwitzt, oder war es Kathy nur nicht aufgefallen? Plötzlich bemerkte sie unzählige kleine Details, beispielsweise den feinen Wüstensand im Eingangsbereich des Busses oder die Leberflecke auf Petes Unterarmen. Sie musste sich beherrschen, um nicht ständig auf die Pistole in seiner Hand zu starren.
„Pete, wir …“, begann David, doch der Anführer schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
„Später, David, später. Erst will ich mich etwas näher mit unserer Freundin Kathy unterhalten.“
Pete erhob sich von seinem Sitz. Seine lauernden Bewegungen erinnerten Kathy an einen Puma, den sie einmal im Zoo gesehen hatte, ein Raubtier, bei dem man in jedem Moment mit einem blitzschnellen Sprung rechnen musste. Der Verbrecher kam langsam auf sie zu. Kathy wäre am liebsten weggelaufen, aber das ging nicht. Hinter ihr standen David und Jay. Gewiss, David hätte sie vorbeigelassen. Aber der starke Schwarze füllte mit seinem breiten Kreuz beinahe vollständig die Türöffnung des Busses aus. Und er würde Kathy keinesfalls noch einmal nach draußen lassen, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Sie führte sich vor Augen, dass das Geiselbefreiungsteam mit den Richtmikrofonen jedes Wort hören konnte, das im Bus gesprochen wurde. Wenn die Lage zu brenzlig wurde, würden die Polizisten gewiss eingreifen. Aber dann konnte es für Kathy selbst schon zu spät sein.
Pete stand jetzt unmittelbar neben ihr. Sie konnte seinen Schweiß riechen. Kathy versuchte sich zu erinnern, wie kühl sie früher immer gegenüber ihrem gewalttätigen Stiefvater gewesen war. Aber allmählich war ihre körperliche und seelische Kraft beinahe aufgebraucht. Die Geiselnahme zerrte an ihren Nerven. Das Wasser und die Erdnüsse in der Höhle hatten sie körperlich wieder fit gemacht, aber nicht genug.
Kathy zwang sich dazu, Pete ins Gesicht zu sehen. Er war völlig unberechenbar. Sie konnte an seiner Miene keine Gefühlsregung ablesen. Und das war für sie das Unheimlichste überhaupt.
Pete legte seinen linken Arm beinahe sanft um ihre Schultern. In der rechten Hand hielt er immer noch die schussbereite Waffe. „Wir haben uns richtig Sorgen um dich gemacht, Kathy. Es muss dort draußen in der Wüstennacht sehr kalt sein. Du zitterst ja richtig vor Kälte. Oder gibt es dafür einen anderen Grund?“
Kathy konnte nicht antworten. Es war, als ob ein Ziegelstein quer in ihrer Kehle stecken würde.
Aber Pete erwartete offenbar auch keine Antwort von ihr. Es schien ihm einfach nur zu gefallen, wie sehr er sie in Angst und Schrecken versetzte. Kathy sah an Davids Gesichtsausdruck, wie ätzend der junge Cop dieses gemeine Katz-und-Maus-Spiel fand. Aber es gab nichts, was er dagegen tun konnte, nicht in diesem Moment. David befand sich genau zwischen Pete und Jay, die beide eine Pistole hatten.
Doch der Anführer schoss nicht, noch nicht. Stattdessen terrorisierte er Kathy weiterhin mit Worten. „Liza musste sterben, das war wirklich sehr bedauerlich. Aber sie hat versucht, meine Pläne zu durchkreuzen. Was glaubst du, Kathy? Soll ich dich ebenfalls töten?“
Kathy spürte, dass ihr Leben jetzt nur noch an einem seidenen Faden hing.
David öffnete den Mund, aber Pete warf ihm einen unwilligen scharfen Blick zu. Es war offensichtlich, dass sich der Anführer nicht die Show stehlen lassen wollte.
Der junge Cop presste die Lippen aufeinander. Kathy begriff, dass er sich in einer schrecklichen Zwangslage befand. Es war klar, dass er ihr helfen wollte. Sein Gesicht drückte große Besorgnis aus. Aber er war nach wie vor unbewaffnet, und weder Pete noch Jay würden Gnade oder Rücksichtnahme walten lassen – vor allem nicht, wenn er sich als Police Officer zu erkennen gab. Selbst wenn seine in der Nähe postierten Kollegen anrücken würden, konnte es bis zu ihrem Eintreffen einige Minuten dauern. Dagegen brauchte man nur wenige Sekunden, um einen Menschen zu töten. Und Pete hatte bereits zweimal bewiesen, wie leicht ihm ein Mord von der Hand ging.
Trotz ihrer Todesangst erkannte Kathy in diesem Moment, dass sie David sehr viel bedeutete. Oder war das nur Wunschdenken? Als Cop war er verpflichtet, jedes Menschenleben zu schützen. Aber er sah in Kathy mehr als nur eine x-beliebige Zivilistin, die von Gewaltverbrechern bedroht wurde. Das war spätestens bei dem Kuss vor der Höhle klar geworden.
Doch so richtig konnte sich Kathy über Davids Gefühle für sie nicht freuen. Was, wenn ihr Leben schon in wenigen Augenblicken zu Ende wäre? Dann nützte es ihr auch nichts mehr, dass sich der junge Undercover-Officer offenbar in sie verliebt hatte.
Petes Tonfall wurde eine Spur schärfer. „Du sprichst wohl nicht mit jedem, was? Glaubst du, dass du was Besseres bist? Oder hast du mich nicht gehört? Soll ich dich abknallen, Kathy?“
Sie konnte nur panisch den Kopf schütteln. Noch immer brachte sie kein Wort heraus. Der Entführer-Boss war immer noch ganz nahe bei ihr. Sie fand es widerlich, seinen Körper aus nächster Nähe spüren zu müssen.
Pete dagegen blühte förmlich auf. Je mehr Angst er Kathy einjagen konnte, desto besser schien es ihm zu gehen. „So, ich soll dich also nicht umbringen“, höhnte er. „Nun gut, dann will ich auf dich hören. Ja, du brauchst gar nicht so ungläubig zu glotzen, Kathy. Du glaubst wohl, ich wäre ein brutaler Sadist? Nein, wenn du nicht sterben willst, dann darfst du am Leben bleiben. Dein Wunsch ist mir Befehl. Das hättest du nicht von mir erwartet, was?“
Kathy konnte nicht glauben, dass Pete plötzlich eine mitmenschliche Seite zeigte. Und das war auch nicht so, wie sich gleich darauf herausstellte.
„Eure Flucht kann trotzdem nicht folgenlos bleiben“, fuhr Pete fort. „Jemand muss dran glauben, weil du und deine schlitzäugige Freundin abgehauen seid. Aber wenn ich dich nicht töten soll, werde ich eben einer anderen Geisel das Hirn wegpusten. Wen soll ich nehmen, Kathy?“
Sie war fassungslos über die Frage, die Pete ihr soeben gestellt hatte. Immerhin war sie nun zu einer Antwort fähig, wenn auch heiser krächzend.
„W…was?“
„Ist das so schwer zu kapieren, Kathy? Du sollst einen Passagier oder eine Passagierin auswählen, damit ich ihr eine Kugel durch den Kopf jagen kann. Du hast die freie Auswahl, dein Wunsch ist mir Befehl.“
Pete hatte so laut gesprochen, dass er überall im Bus zu verstehen war. Einige Frauen begannen zu weinen. Pete meinte es ernst. Daran zweifelte wohl keine von den Geiseln.
„Nur nicht so schüchtern“, stieß Pete hervor, packte Kathy am Arm und zerrte sie mit sich den Mittelgang hinunter. Bei Carl und Wilma Hayes blieb er stehen. Der alte Mann hatte sich nach seinem Schwächeanfall wieder etwas gefangen. Aber Kathy war sich nicht sicher, ob er eine neuerliche Aufregung überstehen würde.
„Wie wäre es mit einem von den beiden hier, Kathy? Die haben doch sowieso schon lange genug gelebt, oder? Der Alte hat ein schwaches Herz. Wer weiß, wie lange er noch leiden muss. Da wäre es doch das Beste, wenn ich ihm einfach eine Kugel …“
„Halten Sie doch den Mund!“, fiel Kathy Pete ins Wort. Der Anblick von Carl und Wilma Hayes, die zitterten und sich aneinanderklammerten, machte Kathy so wütend, dass sie ihre eigene Angst vergaß.
„Warum knallen Sie mich nicht endlich ab? Ich will nicht, dass einer von den anderen zu Schaden kommt. Ich bin abgehauen, jetzt muss ich auch selbst die Folgen tragen.“
Pete zuckte zusammen. Kathy war sich sicher, dass er im nächsten Moment ein Projektil in ihren Kopf oder ihre Brust jagen würde. Doch dann geschah etwas, womit sie im Leben nicht gerechnet hätte.
Der Kriminelle begann zu lachen.
Pete schien ihren Verzweiflungsausbruch sehr komisch zu finden. Er warf den Kopf in den Nacken und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Jay und Henry lachten nun ebenfalls, und sogar David rang sich ein falsches Grinsen ab. Er musste gute Miene zum bösen Spiel machen.
Der bizarre Heiterkeitsausbruch dauerte einige Minuten. Dann ließ Pete Kathys Arm los, um sich mit der linken Hand die Lachtränen aus den Augenwinkeln zu wischen. In der Rechten hatte er immer noch seine Pistole.
„Du hast Mut, Kleine. Das beeindruckt mich. Es war schon tapfer von dir, überhaupt abzuhauen. Und mir zu widersprechen – das würden sich diese Feiglinge doch niemals trauen.“
Plötzlich und unerwartet verpasste Pete Kathy eine schallende Ohrfeige. Als er danach weitersprach, war seine Stimme scharf und schneidend wie ein Messer. „Ich lasse dich vorerst am Leben. Aber du wirst mich nie wieder nerven, verstanden?“
„Ja, Pete“, presste Kathy hervor. Ihre Wange brannte. Aber noch schlimmer als die Ohrfeige waren die Erinnerungen, die jetzt wieder in ihr hochstiegen. Sie musste an ihren Stiefvater denken, dessen Stimmungen ebenfalls von einem Moment zum nächsten heftig umschlagen konnten. Doch der Schmerz ebbte langsam ab. Kathy war vorerst einfach nur froh, noch am Leben zu sein.
Pete schob seine Pistole in den Hosenbund. Er befahl ihr, sich wieder auf ihren Platz zu setzen. Kathy gehorchte sofort. Sie wollte ihn nicht noch einmal gegen sich aufbringen. Was für ein mieses Gefühl, den leeren Sitz von Li direkt neben sich zu sehen. Ihre Freundin war einen sinnlosen Tod gestorben. Gewiss, Reginald Brown war krank im Kopf und konnte nicht für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden; trotzdem wünschte sich Kathy, dass sie ihm niemals begegnet wäre.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr ihr Leben momentan von Zufällen abhängig war. Wenn die entflohenen Sträflinge einen anderen Bus gekidnappt hätten oder von der Polizei rechtzeitig eingefangen worden wären, würde Kathy jetzt bereits in Reno sein.
Doch dann hätte sie David wahrscheinlich niemals kennengelernt.
Kathy merkte, dass sich ihre Gedanken im Kreis drehten. Das lag zweifellos an der bedrückenden und hoffnungslosen Atmosphäre im Bus. Der Geschmack von Freiheit war für Kathy nur von kurzer Dauer gewesen. Sie musste hart gegen ihr Selbstmitleid ankämpfen. Also konzentrierte sie sich auf das, was die Entführer taten.
Pete wandte sich zunächst an David. „Du hast ja eine halbe Ewigkeit gebraucht, um die Kratzbürste wieder einzufangen. Hast du dich da draußen verlaufen?“
„Diese Höhlen, in denen sie sich mit ihrer Freundin verkrochen hatte, sind ein verdammtes Labyrinth, Pete“, rechtfertigte sich David. „Ich hatte noch nicht mal ein Feuerzeug bei mir. Es ist ein Wunder, dass ich sie in dieser stockfinsteren Grotte überhaupt gefunden habe.“
„Ja, du konntest sie nicht sehen – und musstest stattdessen nach ihr tasten, nicht wahr? Und das hat dir bestimmt gefallen, denn die Kleine sieht ja nicht übel aus!“
Pete lachte gönnerhaft und klopfte David auf die Schulter, während er einen Blick in Kathys Richtung warf. Sie konnte deutlich spüren, wie angewidert David von Petes blödem Spruch war. Sie hoffte nur, dass der Undercover-Cop weiterhin die Beherrschung nicht verlor. Pete war in einer üblen Stimmung, das hatte er eben gerade wieder einmal bewiesen. Wenigstens schien Mr Hayes die neuerliche Aufregung einigermaßen verkraftet zu haben. Jedenfalls deutete nichts auf erneute Herzprobleme des Rentners hin.
„Ich habe Kathy zurückgebracht, so wie du es wolltest“, knurrte David. „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Du hättest mir Jay nicht hinterherschicken müssen.“
„Willst du mir schon wieder sagen, was ich zu tun habe?“, blaffte Pete.
Kathy hielt den Atem an, als seine rechte Hand zum Pistolengriff zuckte. Doch in letzter Sekunde änderte der Anführer seine Meinung. Er hielt in der Bewegung inne und machte eine verächtliche Geste.
„Du gehst mir wirklich auf den Wecker, David. Ich bereue es schon, dass ich dich überhaupt mitgenommen habe. Kathy hat dir den Kopf verdreht, das ist doch völlig klar. Hast du schon vergessen, was für einen Stress wir vorhin mit Liza hatten?“ Er stieß David leicht an, wie um ihn zu ermahnen. „Weiber machen nur Ärger, schreib dir das gefälligst hinter die Ohren. Aber vielleicht wirst du ja durch die Aussicht auf eine Million Dollar wieder einigermaßen normal. Ich werde mal checken, ob ich die Busgesellschaft schon weichgekocht habe.“
Kathy fand es absurd, dass ausgerechnet ein Psychopath wie Pete von Normalität schwafelte. Andererseits war sie erleichtert, dass sein Groll gegen David nicht in besinnungsloser Gewalt endete, jedenfalls noch nicht. Die Pistole steckte weiterhin in Petes Hosenbund, die zweite Waffe befand sich in der Hand des athletischen Jay. Pete griff sich eines der Handys, die er zu Beginn der Entführung eingesammelt hatte, und tippte eine Nummer ein. Offenbar hatte er den Lautsprecher eingeschaltet. Jedenfalls konnte jeder im Bus den nun folgenden Wortwechsel problemlos mithören.
„Miller?“, rief er. „Ich rufe noch mal wegen dem Lösegeld an. Was machen unsere vier Millionen?“
„Hören Sie“, drang es aufgeregt aus dem kleinen Gerät. „Wir können nicht so schnell eine solche Summe an Bargeld aufbringen. Es ist Nacht, die Banken haben geschlossen.“
„Das weiß ich selber“, gab Pete genervt zurück. „Glauben Sie, ich bin bescheuert? Aber ich weiß auch, dass die Zentralbank von Nevada rund um die Uhr richtig viel Kohle herausrückt. Vor allem, wenn so ein seriöser Kunde wie Ihr Unternehmen dort aufschlägt. Es wäre doch eine verflucht schlechte Werbung für Ihre Firma, wenn die Passagiere in Ihren Bussen gekidnappt und umgelegt werden. Oder?“
„Wie geht es den Passagieren? Sind sie wohlauf?“, fragte der Angestellte der Busgesellschaft besorgt.
„Natürlich, alle sind putzmunter“, log Pete. „Aber nicht mehr lange, Miller. Und wenn hier die ersten Köpfe rollen, dann wird man Sie dafür verantwortlich machen.“
„Könnten Sie nicht wenigstens die Frauen freilassen, Mister?“
„Hier wird nicht verhandelt, wir sind nicht auf dem Basar. Also, in einer Stunde ist das Geld abholbereit bei Ihnen. Kapiert?“
„Das ist kaum zu schaffen, wir …“
„Sie werden das schon hinkriegen, Miller. Ich habe unbegrenztes Vertrauen in Ihre Fähigkeiten“, höhnte Pete. Dann brach er das Telefonat ab und schaute auf die Uhr. „So, das reicht. Die Zeit hat nicht ausgereicht, um das Handy orten zu können. Wir lassen die Busgesellschaft noch in ihrem eigenen Saft schmoren, Männer. Die werden blechen, darauf verwette ich meinen Kopf.“
„Eine Million Mäuse, ich werde irre“, trompetete Henry. „Mann, dann werde ich die Puppen tanzen lassen. Ich kaufe mir eine neue Identität, gehe vielleicht zum Gesichtschirurgen. Ich kenne da einen, der nicht viele Fragen stellt, wenn man Bares auf den Tisch des Hauses legt. Dann besorge ich mir noch einen falschen Pass und verschwinde irgendwohin, wo es Palmen, Meer und jede Menge hübsche Señoritas gibt.“
Pete nickte grinsend. Dann wandte er sich an Jay. „Und was ist mit dir? Weißt du schon, was du mit deinem Anteil anfangen willst?“
Der Schwarze zog Unheil verkündend die Augenbrauen zusammen. „Keine Ahnung, Pete. Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, ob hier etwas gewaltig faul ist.“
„Wie meinst du das?“, fragte Pete unbekümmert. „Es läuft doch gut. Ich bin sicher, dass die Busgesellschaft zahlen wird.“
„Das schon, Pete. Aber irgendetwas stimmt nicht mit dieser Kathy. Und mit David.“ Jay deutete mit der Mündung seiner Waffe auf den Undercover-Cop.
„Als David aus der Höhle kam, hatte er den Arm um Kathy gelegt. Es sah so aus, als ob die beiden ineinander verknallt wären. Aber er hat das angeblich nur gemacht, weil sie sich den Fuß verstaucht hat. Doch eben gerade hat sie überhaupt nicht mehr gehinkt.“
Kathy war geschockt, denn Jay hatte recht. Auf dem Weg zum Bus hatte sie so getan, als ob sie nicht richtig laufen könnte. Aber als Pete sie eben den Mittelgang hinuntergezerrt hatte, war sie in der Aufregung völlig normal gelaufen.
„Das ist doch totaler Blödsinn“, rief David.
Pete kniff die Augen zusammen und richtete seine Pistole auf den Undercover-Cop. „Das wird sich zeigen, mein Freund. Was hast du denn da eigentlich in deiner Jeans? Leer doch bitte mal deine Taschen aus.“
Und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, richtete er seine Waffe langsam auf David.