EPILOG

„Die Polizei hat die Leiche von Jim Meadows gefunden.“

Diese Nachricht hatte Emily zwei Stunden zuvor von ihrem Anwalt bekommen. Und nun saß sie nervös und mit weichen Knien neben Dr. Brennan auf derselben harten Bank im Polizeirevier, auf der sie schon vor einiger Zeit ausgeharrt hatte.

Seitdem war in ihrem Leben unglaublich viel passiert. Der Navy-Doc hatte Kapitän Kendall einige Wochen Ruhe und Schonung empfohlen. Nach einem langen Telefonat mit Emilys Mutter hatte Brenda Price ihm angeboten, für diese Zeit zunächst zu ihnen zu ziehen. Emily hatte nichts dagegen gehabt, obwohl es für sie sehr ungewohnt war. Doch es machte ihr Spaß, zu sehen, wie gut sich ihre Mom und Kendall verstanden. Offenbar waren sie gerade dabei, sich neu ineinander zu verlieben.

Auch ihre eigenen Gefühle hätten nicht schöner sein können. Andy war wirklich der beste Typ, den sie jemals kennengelernt hatte. Wenn er bei ihr war, dann konnte sie ihre dunkle und beängstigende Vergangenheit vergessen.

Doch der Anruf von Dr. Brennan hatte die alten Wunden wieder aufgerissen. In Emilys Innerm herrschte absolutes Chaos. Einerseits empfand sie Erleichterung, obwohl sie niemandem den Tod wünschte, noch nicht einmal ihrem stalkenden Ex. Andererseits – wenn er jetzt nicht mehr lebte, würde er sie niemals mehr mit seinem Hass und seiner krankhaften Eifersucht verfolgen können. Doch sie traute es Jim Meadows zu, selbst über seinen Tod hinaus noch für Ärger sorgen zu können.

„Miss Price? Kommen Sie bitte.“

Die Stimme von Detective Dorothy Stewart riss sie aus ihren beklemmenden Grübeleien. Seite an Seite mit ihrem Rechtsbeistand betrat sie das Dienstzimmer der Detectives. Sidney Bartlett nickte ihnen zu und forderte sie mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.

Dorothy Stewart kam sofort zur Sache.

„Vor drei Tagen hat ein Obdachloser in einem Abbruchhaus einen Toten entdeckt. Er lief sofort zur nächsten Polizeiwache, weil er sich eine Belohnung erhoffte. Unsere uniformierten Kollegen haben den Obdachlosen zum Leichenfundort begleitet. Der Körper war schon recht stark verwest, außerdem stellten die Cops verdächtiges Material sicher.“

Verwest? Bei der Vorstellung wurde Emily übel. Sie hoffte, dass sie den Toten nicht identifizieren musste. Konnte man überhaupt sicher sein, dass es sich um Jim Meadows handelte? Es war, als ob die Polizistin ihre Gedanken gelesen hätte.

„Es waren die sterblichen Überreste von Jim Meadows, das steht zweifelsfrei fest. Wir konnten ihn mithilfe von DNA-Abgleichen und anhand seines Zahnstatus identifizieren. Laut Gerichtsmedizin ist Jim Meadows vor fünf Tagen gestorben. Von Ihrer Mutter und der Navy wissen wir, dass Sie zu dieser Zeit noch auf hoher See waren. Sie haben also ein Alibi für die Tatzeit, Miss Price.“

„Sie verdächtigen meine Mandantin also noch immer?“, hakte Emilys Anwalt nach. Detective Sidney Bartlett schüttelte den Kopf.

„Nein, Sir. Wir haben inzwischen herausgefunden, was nach dem spurlosen Verschwinden von Jim Meadows geschehen sein muss. Er ist untergetaucht, um seine Exfreundin mit einer möglichen Entführung und einem Mord zu belasten. In Wahrheit hatte sich Jim Meadows jedoch in diesem Abbruchhaus versteckt, weil er selbst eine neue Straftat plante. Er war ja bereits wegen verschiedener Gewaltdelikte und Beleidigung vorbestraft. Aber wir glauben, dass er diesmal gezielt töten wollte – und zwar Sie, Miss Price, und vielleicht auch Ihre Mutter.“

Obwohl die Gefahr vorbei war, trafen diese Worte Emily wie ein Schock. Zum Glück behielt ihr Anwalt die Nerven.

„Könnten Sie bitte etwas genauer werden, Detective?“

„Selbstverständlich. Jim Meadows hat in seinem Versteck eine Bombe gebaut. Wenn er sie richtig konstruiert hätte, dann wäre damit die Sprengung eines ganzen Hauses möglich gewesen – Ihres Elternhauses beispielsweise, Miss Price.“

Dorothy Stewart ergänzte: „Aber Jim Meadows hat sich buchstäblich sein eigenes Grab geschaufelt. Er machte einen Fehler und sprengte sich selbst in die Luft. Das hat unsere technische Abteilung zweifelsfrei festgestellt.“

„Hat denn niemand die Explosion gehört?“, fragte Emily. „Die Leiche muss doch tagelang dort herumgelegen haben, wenn ich Sie richtig verstehe.“

„Möglicherweise hat doch jemand etwas mitbekommen“, räumte der weibliche Detective ein. „Aber das Abbruchhaus befindet sich in einer miesen Gegend. Wenn jemand dort eine Detonation mitbekommt, dann geht er höchstens in Deckung. Aber er ruft ganz gewiss nicht die Cops. Dort will niemand Zeuge sein.“

„Apropos Zeuge“, sagte Sidney Bartlett, „der Fall Jim Meadows ist für Sie also abgeschlossen, Miss Price. Doch wir benötigen Sie noch als Zeugin vor Gericht, wenn gegen Lee Simmon Anklage erhoben wird. Er hat Ihnen gegenüber doch den Mord an Tina Rigby zugegeben, nicht wahr?“

„Ja, er hat sogar damit geprahlt.“

„Unsere Kollegen durchsuchen sein Elternhaus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Harpune, also die Mordwaffe, finden. Aber bis zum Prozess wird es noch ein paar Monate dauern. Sie bekommen dann rechtzeitig eine Nachricht vom Bezirksstaatsanwalt.“

Emily und ihr Anwalt durften gehen. Draußen vor der Polizeistation freute sich Emily doppelt und dreifach über den strahlenden Sonnenschein und den stahlblauen Himmel. Beides konnte sie jetzt erst so richtig genießen.

Dr. Brennan schmunzelte, als er sich mit einem Händedruck von ihr verabschiedete.

„Ich würde Sie ja nach Hause fahren, Miss Price. Aber wie ich sehe, werden Sie bereits sehnsüchtig erwartet.“

Der Jurist deutete auf Andy, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite an einer Corvette lehnte. Er hatte sich den Wagen von seinem Bruder geliehen. Emily eilte auf Andy zu, und er zog sie sanft in die Arme.

„Wie ist es gelaufen?“

„Super. Meine Unschuld ist jetzt zweifelsfrei erwiesen. Du musst dich also nicht mit einer Verbrecherin einlassen.“

„Vielleicht doch.“ Andys Gesicht war jetzt nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. „Du hast mir nämlich das Herz gestohlen.“

Im nächsten Moment lachten beide erleichtert los. Und dann küssten sie sich wieder und wieder, so als ob es kein Morgen gäbe.

– ENDE –