18. Kapitel
Größere Probleme
Als sie sein Büro betraten, saß der Bürgermeister am Schreibtisch. Er lächelte freundlich zu ihnen auf, erhob sich und reichte Nate die Hand.
»Wer ist der junge Mann?«, fragte er.
»Ich bin ein Freund«, sagte Nate vage.
»Nun, wer ein Freund dieser drei Helden ist, der ist auch mein Freund«, entgegnete der Bürgermeister. »Wie lief es auf der Deponie?«
Sandy erklärte rasch, dass die Müllberge platt gewalzt und vergraben worden waren.
»An einem einzigen Tag?«
»Innerhalb einer Stunde«, sagte Richie.
Bürgermeister Douglas klatschte in die Hände. »Erst die Reinigungsaktion in Belltown, dann die Fähre und nun das!«
»Ich glaube, eine üble Gang sind wir auch losgeworden«, fügte Richie hinzu, doch Lilli bedeutete ihm schnell, nichts weiter darüber zu erzählen.
»Ich habe Berichte über euch drei verbreitet«, fuhr der Bürgermeister fort. »Das Internet ist voll davon. Ihr seid wahre Streiter für Ruhe und Ordnung.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte Sandy stolz, aber Lilli warf Nate einen schuldbewussten Blick zu.
Nate runzelte die Stirn. »Wir tun dies nicht, um bekannt zu werden«, erklärte er. »Genau genommen soll niemand von unserer Existenz wissen.«
»Keine Sorge, junger Mann, es gibt keine Fotos von deinen Freunden«, versicherte ihm der Bürgermeister. »Und ihre Namen haben wir auch nicht genannt.«
»Ich habe eine Geheimidentität, die Sie gerne verwenden können«, warf Richie ein.
»Wirklich?«
»Wovon sprichst du?«, fragte Nate.
»Von Captain Chaos!«
»Oh-ho!«, rief der Bürgermeister aus. »Das würde sich in den Medien hervorragend machen.«
»Wir möchten uns in den Medien nicht hervorragend machen!«, erinnerte Nate Richie ernst.
»Nun, Name hin oder her, Seattle hat Inspiration und Heldentaten benötigt, und ihr habt der Stadt beides gegeben«, sagte der Bürgermeister.
»Captain Chaos steht immer zu Diensten!«, sagte Richie.
»Vor fünf Minuten warst du noch Captain Niemand«, blaffte Nate.
»Hey, was soll das? Du bist doch nicht mein Boss oder so«, entgegnete Richie.

»Doch, in gewisser Weise schon«, sagte Nate. »Ich allein war für das Haus zuständig, bevor ihr beiden Rumtreiber reinspaziert kamt wie in eine Jugendherberge.«
»Du hast uns dazu aufgefordert«, protestierte Richie, aber Nate war wütend.
»Nichts von alledem war für die Öffentlichkeit bestimmt! « Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch des Bürgermeisters. »Ich setze diesem Unfug hiermit ein Ende. Keine Jacken mehr mit dem Stadtlogo drauf. Keine weiteren Pressemitteilungen. Und keine Missionen mehr!«
»Aber es war das erste Mal, dass die Behörden etwas gut fanden, was ich getan habe«, jammerte Richie. »Ich bin jetzt Teil des Establishments.«
»Vergiss es, ›Captain Chaos‹. Wir arbeiten nicht für irgendwelche Politiker.« Nate sah den Bürgermeister an. »Ist nicht persönlich gemeint.«
Sandy meldete sich zu Wort. »Okay, jetzt beruhigen wir uns alle mal und und hören uns an, was der Bürgermeister zu sagen hat.«
»Ich möchte ja nicht undankbar klingen«, sagte Bürgermeister Douglas und wurde plötzlich ernst, »aber vielleicht hat euer Freund recht. Wie gesagt, was ihr geleistet habt, war äußerst wichtig für die Stadt, und wir sind euch sehr dankbar. Aber jetzt gibt es größere Probleme.«
»Noch größere?«, fragte Sandy. »Aber wir haben doch schon die Bücher gerettet.«
Lilli nickte. »Und die Kunstwerke.«
»Und ein paar Menschen auch«, fügte Richie hinzu.
Bürgermeister Douglas atmete tief durch. »Die beiden Hängebrücken am Lake Washington wurden versenkt. Über hundert Autos sind ins Wasser gestürzt.«
Die Freunde rissen die Augen auf.
»Und jetzt überschwemmt das Wasser die Stadt«, fügte er an.
Nate spitzte die Ohren. »Wasser?«
»Die Elliot Bay hat bereits die Hafenanlagen überspült und dringt langsam in die Stadt vor. Das Wasser flutet an Land wie ein Zeitlupen-Tsunami, als zöge es jemand an.« Er warf ihnen einen traurigen Blick zu. »Ihr habt großartige Dinge vollbracht, aber ich glaube, dieses Problem liegt jenseits eurer Fähigkeiten.«
Nate schluckte schwer. Der Wasserdämon war nicht verschwunden. Er war noch da und kam an Land, um ihn zu jagen.
Celia Strange, die stellvertretende Bürgermeisterin, platzte ins Büro. »Bürgermeister!«, rief sie. »Im Baseballstadion ist etwas Sonderbares im Gange!«
»Im Safeco-Field-Stadion? Wurde das nicht geschlossen? «
»Ja. Aber wir haben fünf Arbeiter der Stadtwerke hineingeschickt, um den blauen Funkenregen zu untersuchen, der aus dem Dach herausschießt, und die Arbeiter sind nicht zurückgekehrt. Neue Leute können wir wegen des steigenden Wasserpegels und wegen eines Gewittersturms im Stadion nicht hinschicken.«
»Sparky«, murmelte Nate. »Der dämonische Funke.«
Celia Strange riss die Arme in die Höhe. »Erst das Wasser und jetzt das. Wenn die Nachrichtenagenturen das erfahren, wird die Bevölkerung glauben, die Dinge würden uns wieder entgleiten.«
»So ist es doch auch«, sagte der Bürgermeister.

»Aber die Leute werden uns die Schuld dafür geben! Ihre Umfragewerte sind in den letzten zwei Stunden allein wegen der Überschwemmungen um zehn Prozent gesunken. Wenn das so weitergeht, verlieren wir mit Sicherheit unser Amt!«
»Was schlagen Sie also vor?«
»Irgendetwas! Alles! Können wir Ihre Superkids nicht noch einmal einsetzen, um ein paar positive Schlagzeilen zu produzieren?«
»Nein«, sagte Bürgermeister Douglas. »Sie haben schon genug für uns getan. Ihre Aktionen haben sich in der Öffentlichkeit bestens gemacht und uns klasse Schlagzeilen beschert. Aber gegen eine Flutkatastrophe können sie nichts ausrichten. Und ich kann nicht zulassen, dass ihnen womöglich etwas zustößt.«
»Vielleicht würde man sie als Märtyrer verehren«, sagte die stellvertretende Bürgermeisterin.
»Wie bitte?«, empörte sich Lilli. »Ich möchte aber keine Märtyrerin sein!«
Nate überlegte hin und her, seine Gefühle waren so aufgewühlt wie das Meer, das er so fürchtete.
»Wir tun es«, sagte er schließlich.
»Was tut ihr?«
»Wir kämpfen gegen die Fluten und gegen den blauen Funkenregen. Aber nicht für Sie und Ihre Umfragewerte, sondern zum Wohle der Stadt. Ich kann Ihnen nicht verraten, warum, aber für all das bin letztlich ich verantwortlich, schon seit ich ein kleiner Junge war.«
»Gegen sie kämpfen?«, fragte der Bürgermeister verwirrt.
»Er meint, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen«, erklärte Sandy rasch.
»Ich weiß nicht«, sagte der Bürgermeister. Er ging auf und ab. »Wenn wir den Einsatz von Kindern propagieren und etwas geht schief, dann wird die Öffentlichkeit meinen Rücktritt fordern.«
Richie schüttelte den Kopf. »Hier ist etwas echt Schlimmes im Gange, Herr Bürgermeister. Und falls Sie uns nicht schleunigst an die Front schicken, dann sind Sie bald der Bürgermeister von Atlantis und nicht von Seattle.«
»Schicken Sie sie raus«, sagte Celia Strange plötzlich. »Wir müssen uns um drängendere Angelegenheiten kümmern. «
Der Bürgermeister nickte. »Tut mir leid, Kinder.« Er winkte den vieren zum Abschied zu und deutete auf die Tür, dann ging er ans Telefon, das inzwischen wie verrückt klingelte.
Nate bedeutete seinen Freunden, mit ihm hinauszugehen. Celia Strange eskortierte sie in den Warteraum, wo sie sich vor ihnen aufbaute wie eine verbiesterte Klassenlehrerin.
»Okay, ihr kleinen Monster«, zischte sie mit zuckender Oberlippe. Ihr rechtes Auge trat hervor, während sie sprach, und ihre Nasenflügel bebten. »Wenn ihr unbedingt versuchen müsst, euch umzubringen, dann nur zu. Der Bürgermeister wird es erst erfahren, wenn ihr schon dabei seid. Aber vergesst nicht, falls ihr die Sache vermasselt, ist er seinen Job los. Und ich meinen. Das würde mich sehr wütend machen. Und mir zu begegnen, wenn ich wütend bin, ist keine gute Idee, glaubt mir.«

Als er ihr verzerrtes Gesicht sah, verspürte Nate nicht die geringste Lust, der Frau überhaupt jemals wieder zu begegnen. Aber sie hatte recht. Sie würden auch ohne die Erlaubnis des Bürgermeisters gegen Sparky und den Wasserdämon kämpfen. Davon konnte er sie nicht abhalten.