Linsenwissen

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Linsenkulturen

Die Linse ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Wildlinsen (lens orientalis, lens nigricans) wurden vermutlich schon vor 10 000 Jahren im Mittelmeerraum, im Vorderen Orient und in Mittelasien angebaut. Seit etwa 2000 v. Chr. werden Linsen auf dem indischen Subkontinent kultiviert. Nach der spanischen Conquista fanden sie schließlich auch in Nord- und Südamerika Verbreitung. Dass Linsen als Grabbeigaben eingesetzt wurden, unterstreicht ihre Bedeutung in Ägypten und im Vorderen Orient seit rund 4 000 Jahren. Bis heute wird ihnen in Ägypten die Eigenschaft zugesprochen, Gedanken und die Gemütsverfassung von Kindern aufzuhellen. Im alten Persien galt die Linse hingegen als „kaltes“ Nahrungsmittel, das den Stoffwechsel verlangsamt und eine beruhigende Wirkung hat.

Selbst in der Bibel finden sich Stellen, die den symbolischen Wert der Hülsenfrüchte untermalen. Esau verkaufte demnach sein Erstgeburtsrecht an Jakob für ein Linsengericht. Adam aß nach Abels Tod Linsen, und auch zu Abrahams Totenmahl wurden Linsen aufgetischt.

In einigen Ländern haben Linsengerichte im Rahmen von Festtagen einen herausragenden Stellenwert. Im Libanon teilt der Hausherr zum Ende der Fastenzeit eine Linsen-Mangold-Suppe mit seinen Gästen. Und in Italien wird zu Silvester nicht nur rote Unterwäsche getragen, sondern es werden auch Linsen verzehrt – je größer die Menge, desto erfreulicher der Geldsegen im folgenden Jahr.

 

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Mit ihren zierlichen Ranken und Blüten wirken Linsenpflanzen sehr fragil. (© Floramedia)

Aparte Schönheit auf dem Feld

Die Linse (lens culinaris) ist eine hübsche, buschige Pflanze und stammt aus der Familie der Schmetterlingsblütler. Der feingliedrige Spross wird etwa 20–50 cm lang, die kleinen bläulich weißen oder blauen Blüten krönen lange Stiele. Nach der Befruchtung setzen sie je nach Art ein bis zwei, in seltenen Fällen auch drei diskusförmige Samen an, die in den Hülsen heranreifen.

Die Linse ist einjährig, in wärmeren Gebieten auch mehrjährig. Sie liebt einen kalkhaltigen, nicht allzu nährstoffreichen Boden und ein warmes, trockenes Klima. In Europa wächst die Pflanze z. B. auf vulkanischem Boden wie in der Auvergne, auf Sizilien und auf der Schwäbischen Alb. Sie ist wenig anfällig gegen Schädlinge, deshalb kommen Pestizide ebenso selten zum Einsatz wie Düngemittel.

 

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Linsen benötigen Getreide als Rankhilfe – nach der Ernte müssen die Samen getrennt werden. (© Thomas Stephan)

 

In Asien, vor allem in Indien, werden zwei Drittel des weltweiten Bedarfs angebaut, gefolgt von Kanada, das einen Anteil von 20 % der weltweiten Produktion deckt. Auch in der Türkei, in Syrien sowie in Lateinamerika wird die Hülsenfrucht gepflanzt. Während die Ernte in den USA und Kanada maschinell erfolgt, werden die einzelnen Linsen in anderen Ländern meist von Hand gelesen. Da Linsen gemeinsam mit Getreide als Stütz- und Rankhilfe angebaut werden, muss man sie bei der Ernte vom Korn trennen. Obwohl dieser Reinigungsvorgang sehr kostspielig ist, sind Linsen bei uns äußerst preiswert. Ein halbes Kilo kostet selbst in Bioqualität selten mehr als drei bis vier Euro.

 

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Alle Linsensorten haben zarte, bläulich weiße bis blaue Blüten. (© Thomas Stephan)

Geschmacksvielfalt

Weltweit werden 80 Linsensorten angebaut, davon alleine 50 Sorten in Indien. Ihr Geschmacksspektrum reicht von erdig bis nussig. Da die Aromastoffe der Linse in ihrer Schale stecken, schmecken kleine intensiver als große. Ungeschälte grüne oder braune Linsen sind markanter im Geschmack als geschälte rote oder gelbe.

Am bekanntesten sind bei uns die braunen Tellerlinsen, die frisch geerntet eine grüne Farbe haben, sich aber alsbald hell- bis mittelbraun verfärben. Sie stellen mit sechs bis sieben Millimeter Durchmesser die größte Linsenart dar, schmecken erdig und kochen sämig und weich. Tellerlinsen eignen sich besonders gut für rustikale Suppen und Eintöpfe sowie für Aufstriche, Aufläufe und Bratlinge. Bei Linsen ohne nähere Bezeichnung handelt es sich in der Regel um eben diese Sorte. Etwas kleiner sind Trojalinsen, die im Biomarkt erhältlich sind und einen ähnlich erdigen Geschmack wie Tellerlinsen besitzen.

Die kleineren Berglinsen haben eine helle, rotbraune Farbe. Sie sind fester und aromatischer als die Teller- und Trojalinsen und feiner im Geschmack. Sie verlieren beim Kochen an Form und sind deshalb für Salate weniger gut geeignet, besser lassen sie sich für Suppen und Aufstriche sowie für Bratlinge und als Keimlinge einsetzen.

Pardina-Linsen sind etwa vier bis fünf Millimeter groß, haben eine grau-braune Schale und sind im Inneren gelb gefärbt. Sie ähneln im Geschmack den Berglinsen und eignen sich für Salate, in Suppen und als Keimlinge.

Auch in Frankreich werden Linsen angebaut. In der Champagne wachsen die kleinen zarten Château-Linsen, die nur deshalb nicht mehr Champagner-Linsen heißen dürfen, weil der Namenszusatz „Champagner“ dem gleich­namigen Getränk vorbehalten ist. Sie sind von hellbrauner Farbe und entfalten einen vornehmen Geschmack. Château-Linsen bieten sich besonders gut für die Zubereitung diverser Salate an, da sie beim Kochen ihre Form beibehalten und lange bissfest bleiben.

Der Vulkanboden der Auvergne bietet hervorragende Möglichkeiten für den Linsenanbau. Die kleinen, tiefgrünen und blau gesprenkelten Linsen aus Le-Puy-en-Velay haben zu Recht den Ruf, eine aromatische Delikatesse zu sein. Sie schmecken etwas kräftiger als Château-Linsen, sind aber dennoch von feinem Geschmack und lassen sich ausgezeichnet in Salate und Suppen, die eine feste Konsistenz behalten sollen, verarbeiten. Puy-Linsen haben wie Wein eine „Appelation d’origine controllée“, was bedeutet, dass sie nur dann Puy-Linsen (Lentilles du Puy) genannt werden dürfen, wenn sie tatsächlich dort angebaut wurden.

 

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Die „Alb-Leisa“ reifen in Deutschland auf der Schwäbischen Alb. (© Thomas Stephan)

 

In der Auvergne wird neben den Puy-Linsen eine weitere Spezialität kultiviert, die Lentille blonde de la Planèze de Saint-Flour. Sie wächst auf einer zwischen den Bergen Cantals und der Margeride eingeschlossenen Basalthoch­ebene, ist gelb bis hellgrün und beige gesprenkelt. Ihre Schale ist hauchdünn, ihre Garzeit entsprechend kurz. Diese Rarität schmeckt mild-süßlich.

Beluga-Linsen sind sehr klein, tiefschwarz und erinnern an zu groß geratenen Kaviar. Beim Kochen wechseln sie ihre Farbe und werden dunkelbraun. Sie schmecken kräftig und eignen sich bestens für die Zubereitung von Salaten.

Rote und gelbe Linsen sind in der Regel geschält und zerfallen beim Kochen schnell zu Brei. Man erhält sie im Ganzen mitunter leicht geölt oder halbiert. Beim Kochvorgang färben sich auch die roten Linsen gelb und nehmen den Geschmack von Gewürzen besonders leicht an. Diese Linsenart muss nicht eingeweicht werden, bietet sich ideal für Suppen und Pasten an und ist ein fester Bestandteil der indischen Küche. Rote Linsen werden vorwiegend in Dal-Gerichten, gut gewürzten Pürees aus gekochten Hülsenfrüchten, die mit Reis serviert werden, eingesetzt. Rote und gelbe Linsen sind außerdem gut bekömmlich. Wer Vorbehalte in Bezug auf seine Verdauung hegt, sollte sich an einem Gericht mit roten oder gelben Linsen versuchen.

Die zuvor genannten Linsensorten werden in gut sortierten Supermärkten, in Bio- und Asialäden, in denen speziellere Sorten wie Urid- oder Harhar-Linsen erhältlich sind, geführt. Wer Raritäten sucht, sollte auf Umbrische Berglinsen setzen. In einem Naturschutzgebiet auf über 1000 m Höhe trocknen diese winzigen, grün-braunen Exemplare mit einer hauchzarten Schale direkt am Strauch. Ihr nussartiger Geschmack macht sie zu einer wahren Delikatesse. Aus Umbrien stammen auch die Castelluccio-Linsen, die auf einer Hochebene in den Sibillinischen Bergen in 1400 m Höhe angebaut werden. Sie lassen sich lange garen, ohne zu zerkochen. Beide Linsensorten werden gern mit Würsten aus Norcia, einer Kleinstadt in den italienischen Bergen, angerichtet. Kleine schwarze Schweine, die in Wäldern leben und mit Kastanien gefüttert werden, liefern das dazugehörige Fleisch. Auf der sizilianischen Insel Ustica werden – ebenso wie auf der Nachbarinsel Pantelleria – auf vulkanischem Boden Lenticchia di Ustica eingebracht. Sie wurden als Passagiere auf die „Arche des Geschmacks“ der internationalen Slow-Food-Organisation aufgenommen.

Auch in Deutschland werden Delikatesslinsen angebaut. Vor gut 20 Jahren begann die Familie Mammel, die Alb-Leisa („Leisa“ ist der schwäbische Ausdruck für „Linsen“) auf ihrem Biohof auf der Schwäbischen Alb wieder zu kultivieren. Bis heute ist eine Erzeugergemeinschaft von insgesamt zehn Bauernhöfen, die auf rund 15 Hektar die kostbaren Hülsenfrüchte bestellt und in regionalen Bioläden verkauft, entstanden. Auch die Alb-Leisa wurden in die „Arche des Geschmacks“ von Slow Food aufgenommen. In der Schweiz und in Österreich ist diese Linsenart unter dem Namen „Berglinsen“ erhältlich.

 

Info
Slow Food ist eine internationale Organisation, die als Vereinigung von bewussten Genießern und mündigen Konsumenten in Italien gegründet wurde. Ziel ist es, dem Fast Food-Trend eine genussreiche Ess- und Trinkkultur entgegenzusetzen. Slow Food fördert eine artgerechte Viehzucht, eine verantwortungsbewusste Landwirtschaft und das traditionelle Lebensmittelhandwerk. In die „Arche des Geschmacks“ werden lokale und regionale Lebensmittel, Nutztier- und Nutzpflanzenarten aufgenommen, die mangels Nachfrage und Angebot vom Aussterben bedroht sind. (www.slowfood.de)

Das Kraftpaket

Linsen sind wahre Nährstoffwunder. Keine andere Pflanze enthält so viel Eiweiß wie diese Hülsenfrüchte: Sie beinhalten wenig Fett, aber je nach Sorte zwischen 20 und 24 Prozent Eiweiß von hoher biologischer Wertigkeit. In Kombination mit Getreide oder Kartoffeln, Gemüse, Reis oder Teigwaren wird dessen Bioverfügbarkeit noch erhöht. Das macht Linsen zu einem wertvollen Lebensmittel für Vegetarier.

Diese traditionelle Kulturpflanze setzt sich zu 40–45 Prozent aus Kohlenhydraten und vielen gesundheitsförderlichen Ballaststoffen zusammen. Der hohe Anteil an Eisen macht sie ebenso zu einer wichtigen Zutat eines vollwertigen Ernährungsplans wie ihr Vitamin-B-Gehalt.

Leider enthalten Linsen auch Purin, das über die Niere ausgeschieden wird. Was für gesunde Menschen kein Problem darstellt, sollten Gichtkranke tunlichst meiden.

Linsen gelten zudem als schwer verdaulich. Je nach Menge und Gewohnheit sind sie umso leichter bekömmlich, je kleiner sie sind. Auch langes Einweichen und ausreichend Weichkochen reduziert das Potenzial für Blähungen. Rote und gelbe Linsen sind besser verträglich als ungeschälte grüne oder braune Linsen. Ausgewählte Kräuter und Gewürze wie z.B. Ingwer, Fenchel, Koriander, Kümmel, Majoran und Thymian unterstützen die Verdauung und verleihen Linsengerichten zudem ein köstliches Aroma.

 

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Viele Linsensorten lassen sich gut keimen – der Vitamingehalt ist dann besonders hoch. (© Floramedia)

 

„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ – Aschenputtel muss im Märchen verunreinigte Linsen verlesen. Heute sind Linsen normalerweise frei von Steinchen. Einmal Durchsieben kann allerdings nicht schaden, denn die Hülsenfrüchte werden gemeinsam mit Getreide angepflanzt, das als Rankhilfe dient. Mitunter finden sich deshalb Körner in der Packung, was für Menschen mit einer Glutenintoleranz oder einer Zöliakie problematisch werden kann.

Wie werden Linsen gekocht

Bevor sie nach dem Einweichen in Wasser oder Gemüsebrühe über dem Herd aufgesetzt werden, sollte man die Linsen einfach einmal im Sieb unter laufendem Wasser waschen. Anschließend werden sie mit ihrer zweieinhalb- bis dreifachen Menge an Flüssigkeit in einem Topf oder einer Kasserole gekocht. Spezielle Abweichungen sind in den Rezepten angegeben.

Große Tellerlinsen mögen weder Salz noch Säure, solange sie nicht gar sind. Deshalb werden sie in allenfalls leicht gesalzenem Wasser gekocht und erst danach gewürzt. Auch geräuchertes Fleisch und säurehaltiges Gemüse wie Tomaten sollten nicht hinzugefügt werden, bevor die Linsen durch sind. Kleine Linsensorten wie Berg- oder Puy-Linsen sind unempfindlicher und können auch in gesalzenem Wasser (½–1 TL auf ½ l Wasser) oder in Brühe gekocht werden. Die Kochdauer verlängert sich dadurch unwesentlich. Diverse Kräuter und Gewürze im Kochwasser weisen in eine erste Geschmacksrichtung. Je nach Rezept eignen sich dazu Knoblauch (geschälte ganze oder halbierte Zehen), Ingwer, Meerrettich oder Thymian, Rosmarin und Lorbeer vorzüglich.

Die Garzeit hängt stark von Sorte und Alter der Linsen ab. Generell können die Hülsenfrüchte kühl, dunkel und trocken gelagert mindestens ein Jahr ohne Qualitätsverlust aufbewahrt werden. Mit der Zeit verlieren sie jedoch an Feuchtigkeit, was die Garzeit verlängert.

Während die geschälten roten und gelben Linsen etwa 10–15 Min. benötigen, um beim Kochen bereits zu zerfallen, können Tellerlinsen bis zu 60 Min. gut vertragen. In den Rezepten dienen die angegebenen Garzeiten als Anhaltspunkte, aber es empfiehlt sich, die Linsen dazwischen hin und wieder zu kosten. Rote und gelbe Linsen kochen zudem leicht über. Ein großer Topf, in dem häufig umgerührt wird, schafft Abhilfe.

Bei braunen Tellerlinsen verkürzt sich die Garzeit auf etwa 30–40 Min., wenn sie über Nacht in klarem Wasser quellen (3–4 l Wasser auf 500 g Linsen). Auch eingeweichte Trojalinsen köcheln so zwischen 25–35 Min. statt der sonst üblichen 40–50 Min. Für die weitere Zubereitung sind 1-2 Stunden Einweichzeit bei den kleinen Berg-, Château- oder Puy-Linsen vor dem Kochen schon ausreichend.

Wer damit Erfahrung hat, kann die Linsen in einem Dampfkochtopf garen. Unroutinierten ist davon abzuraten, es besteht die Gefahr, dass sie durch zu langes Kochen zur Gänze zerfallen.

 

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