8. KAPITEL

Rebecca wünschte sich, jeden Sekundenbruchteil festhalten zu können, jedes Geräusch, jede Empfindung. Sie wünschte sich, in der Lage zu sein, alles minutiös aufzeichnen zu können, jeden Moment, den sie in den Armen dieses atemberaubenden Mannes erlebte.

Es war ihr egal, ob er zärtlich war oder grob, geduldig oder fordernd, solange er nur nicht aufhörte, sie zu begehren.

Mitten auf der Treppe blieb er stehen, um sie erneut zu küssen. Ihr heftiges Verlangen jagte ihr einen Lustschauer nach dem anderen den Rücken hinunter. Und dies, dachte sie, ist erst der Anfang.

Es überraschte sie nicht, als sie sich bei dem Versuch ertappte, seine Hemdknöpfe zu öffnen. Sie wollte ihn spüren, seine heiße, glatte Haut berühren, überall.

Als er mit ihr über die Schwelle seines Schlafzimmers trat, war er außer Atem und lachte. „Fast wie letzte Nacht.” Er ließ sich mit ihr zusammen aufs Bett fallen. „Nur viel besser.”

„Kannst du nicht endlich das Ding hier ausziehen? Es wird höchste Zeit.”

Auch sie lachte, obwohl ihr schleierhaft war, woher sie dafür noch die Kraft nahm, weil ihr Verlangen ihre ganzen Kräfte aufzuzehren schien.

„Bei dir geht’s einfacher.” Mit sicherer Hand öffnete er den Gürtel ihres Bademantels und schlug die beiden Enden auseinander. Darunter war sie nackt. Die Spitzen ihrer Brüste waren verführerisch aufgerichtet.

Als er begann, daran zu saugen, überwältigten sie bis dahin unbekannte Empfindungen. Vergeblich versuchte sie, einen klaren Kopf zu behalten.

Wie gelang es einem Menschen, diese süßen Qualen zu überstehen?

Und wie konnte man ohne sie leben? Wie hatte sie so lange ohne sie sein können?

Sekunden später war sie nackt, und jedes Mal, wenn Shanes große, kräftige Hand sie berührte, überlief sie ein Schauer.

Er konnte gar nicht genug bekommen. Diese samtweiche helle Haut, diese langen schlanken Glieder, diese kleinen festen Brüste. Sie hatte nach dem Aufstehen geduscht und duftete nach Seife, und er konnte sich nicht erinnern, dass ihn der Geruch von Seife jemals in seinem Leben derartig erregt hatte.

Sie wand sich vor Lust unter ihm, und er konnte von ihrem Anblick gar nicht genug bekommen. Überall, wo er sie berührte, reagierte sie, als wäre sie noch niemals in ihrem Leben berührt worden. Als sie sich ihm jetzt stöhnend entgegenbog, waren ihre Augen nicht mehr bernsteinfarben, sondern dunkel und unergründlich.

Noch nie hatte eine Frau ihn so sehr erregt.

„Verdammt.” Schwindlig vor Verlangen setzte er sich auf und versuchte sich seiner Stiefel zu entledigen. Sie wollte ihn nicht loslassen und drängte sich mit ihrem wundervollen Körper eng an ihn.

„Beeil dich.” Wie wild zerrte sie an seinem Unterhemd und zerkratzte ihm mit den Fingernägeln seinen Rücken. „Oh, ich liebe deinen Körper.

Ich … Hmm …” Sie streifte ihn mit den Brüsten.

Seine Hand glitt ihren Schenkel hinauf. Ihr Schoß war heiß und feucht.

Ihre Nägel zogen eine Spur über seinen Rücken, während sie sich lustvoll an ihn presste.

„Ich muss jetzt zu dir kommen”, sagte er rau. Fast gewaltsam drückte er sie zurück in die Kissen und riss sich mit zitternden Händen die Hose vom Leib. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals zuvor in einer vergleichbaren Situation die Hände gezittert hatten. „Ich will dich jetzt, jetzt sofort.”

„Ich dich auch. Mach schnell.” Ungeduldig klammerte sie sich an ihn.

Oh, sie wollte ihn auf sich fühlen – und in sich –, sie wollte mit ihm eins werden. „Ich kann es nicht mehr erwarten.” Sie spreizte die Schenkel, um ihn in sich aufzunehmen.

Kraftvoll drang er in sie ein. Und erstarrte. Schock, Unglauben und Panik vermischten sich mit Verzweiflung, als sie aufschrie, während er voller Entsetzen spürte, dass sie noch unberührt war.

„Rebecca. Meine Güte. Beweg dich nicht.”

„Was?” Sie war verloren, sie wusste nicht mehr, was um sie herum vorging. Die Welt um sie herum schien versunken zu sein. Ihn in sich zu spüren war das Herrlichste, was sie je in ihrem Leben erlebt hatte. „Was?”

„Um Himmels willen, beweg dich nicht”, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er um Selbstbeherrschung rang. Sie war so heiß und eng und feucht. „Ich will dir nicht noch einmal wehtun.” Es gelang ihm nicht, sein Keuchen zu unterdrücken.

„Gib mir einen Moment Zeit.”

„Was?”, fragte sie wieder, schlang die Beine um seine schmalen Hüften und bog sich ihm entgegen.

„Nicht… tu das nicht …”

Doch nun hatte er nicht länger die Kraft zu widerstehen. Jetzt nahm er sie ganz. Einen Augenblick später bewegten sie sich beide in einem erregenden Rhythmus, der immer schneller wurde. Und als er glaubte, die quälend süße Wollust keinen Augenblick länger ertragen zu können, kam die Erlösung.

Völlig erschöpft und nach Atem ringend ließ er sich auf sie fallen. „Es tut mir leid”, war alles, was er herausbrachte, doch es war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Er musste sich bewegen, er wusste, dass er sich bewegen musste, aber es gelang ihm einfach nicht. Noch nie hatte er so etwas mit einer Frau erlebt.

Er suchte den Grund dafür in dem Umstand, dass sie noch unberührt gewesen war. Schuldgefühle machten sich in ihm breit.

Gewaltige Schauer überliefen sie, wieder und wieder. Es sah aus, als würde sie gleich weinen.

„Rebecca, du hättest es mir vorher sagen sollen.” Sicher gab es ein Mittel, sie zu beruhigen, doch er kannte es nicht. Er fühlte sich überfordert.

„Dir sagen?”, wiederholte sie mit so schwacher Stimme, dass er ihre Worte kaum verstand.

„Ich hätte dich doch nie im Leben zu etwas gedrängt. Ich hätte auf keinen Fall … Verdammt, vielleicht hätte ich ja doch.” Er fand die Kraft, den Kopf zu heben und ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund war leicht geöffnet. „Ich habe dir wehgetan. Ich muss dir wehgetan haben.”

Sie hob die Lider. Ihre Pupillen waren so groß, dass ihre Augen fast schwarz wirkten. Sie hat einen Schock, dachte er und verfluchte sich erneut. Doch dann lächelte sie ihn an.

„Nein, hast du nicht. Es war einfach wundervoll. Ich fühle mich wundervoll.”

„Aber …”

„Ist es immer so schön?” Sie stieß einen langen, beseligten Seufzer aus.

„So überwältigend, so … ungeheuerlich? Man hat das Gefühl, als könne einen keine Macht der Welt aufhalten. Es ist so …” Wieder seufzte sie. „So herrlich.”

„Ich … nein … ja.” Was, zum Teufel, sollte er denn dazu sagen? Zu ihr?

„Ich kann überhaupt noch nicht klar denken.”

Wieder lächelte sie. „Ich war mir nicht sicher, ob ich gut war. Aber ich war es, stimmt’s?”

„Du …” Was ging hier vor? Sie weinte nicht, sie war nicht einmal aufgebracht. Ganz im Gegenteil, sie wirkte zufrieden. Als er nun fortfuhr, wählte er seine Worte mit Bedacht. „Rebecca, du bist noch nie vorher mit einem Mann zusammen gewesen.”

„Ich habe mich bisher noch nie besonders für Männer interessiert.” Sie fand die Kraft, ihre Arme zu heben und sie um seinen Nacken zu legen.

Dann verschwand ihr Lächeln. „Ich war also doch nicht so gut, wie ich dachte? Hab ich was falsch gemacht? Hat es dir nicht so gut gefallen wie mir?”

„Du bringst mich noch um den Verstand.” Shane rollte sich von ihr herunter und legte sich auf den Rücken. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Ich habe die Beherrschung verloren. Das ist mir zwar irgendwann klar geworden, aber da war es schon zu spät. Ich musste einfach weitermachen, ob ich wollte oder nicht.”

„Es tut mir leid, dass ich nicht alles richtig gemacht habe.” Abrupt setzte sie sich auf. „Es war das erste Mal bei mir, vielleicht hast du ja noch ein bisschen Geduld.”

Er verfluchte sie im Stillen und packte sie am Arm, weil sie Anstalten machte, aus dem Bett zu klettern. „Schau mich an”, befahl er. Als sie nicht reagierte, wiederholte er: „Los, du sollst mich anschauen.” Es dauerte noch einen Moment, ehe sie den Blick auf ihn richtete. „Ich habe zwar keine verdammten Auszeichnungen zu vergeben, aber ich will dir trotzdem etwas sagen. Ich begehre dich. Schon jetzt in diesem Augenblick habe ich wieder so viel Lust auf dich, dass ich dich nehmen könnte. Und nicht mal meine Schuldgefühle scheinen dieses Verlangen bremsen zu können. Aber wenn ich vorher gewusst hätte, dass du noch Jungfrau bist, wäre ich ein bisschen vorsichtiger und sanfter gewesen. Ich hätte einfach mehr aufgepasst. Ich hätte es zumindest versucht.”

„Du hast mir nicht wehgetan, Shane.” Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie hob die Hand, um ihm die Wange zu streicheln. „Ich habe es dir absichtlich nicht erzählt, weil ich Angst hatte, dass du dann vielleicht einen Rückzieher machst. Ich nahm einfach an, dass dir eine erfahrene Frau lieber ist.”

„Zum Teufel, welche Sprache sprichst du?”, fragte er. „Warum kann ich dich nicht verstehen?”

„Ich habe manchmal selbst Mühe, mich zu verstehen.” Sie beugte sich vor und streifte mit den Lippen seinen Mund. Als er sie an sich zog, seufzte sie leise und glücklich auf. „Es war aber ein wunderschönes, atemberaubendes erstes Mal. Lass es uns bald wieder machen. Du bist ein atemberaubender Liebhaber.”

Shane lachte. „Um das zu beurteilen, fehlen dir zweifellos die Vergleiche.” Er knabberte an ihrem Ohrläppchen. „Sag mal, Rebecca …”

„Hmm?”

„Stimmt mit diesen akademischen Typen irgendwas nicht? Oder warum sonst haben sie dich bisher alle in Ruhe gelassen?”

Sie küsste ihn auf die Schulter. „Wenn du mich vor einem Jahr kennengelernt hättest, würdest du so etwas nicht fragen. Du hättest mir keinen zweiten Blick gegönnt.”

„Ich schaue mir jede Frau mindestens zweimal an. Jede, Rebecca.”

Sie lachte und befühlte seine Muskeln. „Ich war eine einzige Katastrophe, glaub mir.” Jetzt fiel es ihr nicht mehr schwer, das zuzugeben, nicht jetzt, während sie sich, erschöpft von der Liebe, in seine Arme schmiegte. „Ein prämiertes Mauerblümchen.”

Amüsiert hielt er sie ein Stück von sich weg und schaute ihr in die Augen. „Kein Mauerblümchen hat solche Augen wie du, das kannst du mir glauben. Solche Augen sind die reine Sünde.”

Sie zwinkerte. „Findest du?”

Er lachte und zog sie wieder an sich. „Wir werden uns noch oft lieben.”

Er bog ihren Kopf zurück und küsste sie leicht. „Aber jetzt ruft die Arbeit. Ich fürchte, wir müssen langsam aufstehen.”

Sie strich ihm verführerisch über die Brust. „Meinst du, du kannst heute mal ausnahmsweise ganz schnell arbeiten?”

Sein Herz schlug wie wild. „Ich habe das Gefühl, sehr schnell.”

Obwohl Rebecca auch zu tun hatte, blieb sie noch einige Zeit im Bett, nachdem Shane nach unten gegangen war. Er wird sich mit einem kalten Frühstück begnügen müssen, dachte sie und freute sich an der Vorstellung, dass er nach ihr mehr gehungert hatte als nach Essen.

Sie hatte ihn verführt. Wie herrlich war es doch, eine Frau zu sein.

So gern sie sich auch noch ein bisschen an ihn gekuschelt hätte, war sie nun doch froh, etwas Zeit für sich ganz allein zu haben. Jetzt war es ihr möglich, jede Sekunde, die sie erlebt hatte, in ihren Gedanken noch einmal Revue passieren zu lassen.

Das Wunderkind Dr. Rebecca Knight hatte einen Liebhaber, für den viele andere Frauen über glühende Kohlen gehen würden. Und er gehörte ihr allein, zumindest für eine kleine Weile.

Wohlig seufzend lehnte Rebecca sich in die Kissen zurück, schloss die Augen und versuchte, ihr Glück zu fassen.

Und unter seinem mehr als ansprechenden Äußeren verbarg sich ein ebenso ansprechender Charakter. Und er konnte sogar kochen. In ihren Augen war er der perfekte Mann. Sie hatte sich in einen perfekten Mann verliebt.

Verliebt? Abrupt setzte sie sich auf. Typisch Frau, dachte sie. Sex mit Liebe zu verwechseln. Die meisten Frauen unterlagen der irrigen Vorstellung, dass Sex gleich Liebe sei.

Sie wusste es besser. Musste es besser wissen. Schließlich war sie Naturwissenschaftlerin.

Langsam ließ sie sich wieder in die Kissen zurücksinken. Intelligenz, Ausbildung, ja, nicht einmal gesunder Menschenverstand hatten etwas damit zu tun. Sie legte die Hand auf ihr Herz.

Natürlich liebte sie ihn. Sie liebte ihn schon die ganze Zeit. Auch wenn es schrecklich kitschig klang – für sie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hatte versucht, diese Tatsache zu verdrängen, hatte dem Gefühl, das in ihr wuchs, zuerst andere Namen gegeben, aber es war von Anfang an da gewesen.

Und nun? Nicht lange, und sie würde davonlaufen. Oder genauer gesagt, Shane würde davonlaufen, wenn sie ihm ihre Liebe eingestand.

Aber war nicht auch das eine neue, zusätzliche Erfahrung? Noch ein Gefühl, das sie sich bisher nicht gestattet hatte? Der einzige wunde Punkt bei der ganzen Angelegenheit war der, dass sie nicht wusste, ob sie mit dem umgehen konnte, was danach kam.

Aber warum sich Gedanken über die Zukunft machen? Vor ihr lagen noch Wochen, in denen sie Spaß haben und ihre neue Erfahrung genießen konnte. Am Ende würde es wehtun, aber sie würde es überleben.

Viel schlimmer, als Schmerz zu empfinden, war eine Welt ganz ohne Gefühle.

Obwohl es bereits September war, wurde es ein glühend heißer Tag, fast so, als wollte der Sommer gegen Ende noch einmal seine ganzen Register ziehen. Shane beeilte sich, zu Mittag nach Hause zu kommen. Er war verschwitzt, seine Knöchel waren leicht abgeschürft und blutig, und er hatte Befürchtungen, nach der Jauche zu riechen, die er eben über die Felder versprüht hatte.

Aber er hatte hart und schnell genug gearbeitet, um sich jetzt zwei Stunden Mittagspause gönnen zu können. Und er war entschlossen, jede Sekunde dieser zwei Stunden voll auszukosten. Mit Rebecca.

Sie saß wie üblich mit der Brille auf der Nase am Küchentisch, und ihre schlanken Finger flogen nur so über die Tastatur des Laptops. Bei ihrem Anblick wurde ihm ganz warm ums Herz.

„Du siehst wunderschön aus”, sagte er leise, die Hand noch auf der Türklinke.

Sie sah ihn erstaunt an. Niemand hatte sie bisher wunderschön genannt.

Aber er wirkte so, als meine er es ernst. Zumindest hatte er eben noch so gewirkt. Jetzt verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Lächeln.

„Aber wenn du wenigstens kochen könntest”, fügte er hinzu.

„Ich habe Eistee gemacht.”

„Nun, das ist immerhin ein Anfang.” Und würde seiner Kehle guttun, die sich plötzlich wie ausgetrocknet anfühlte. Er holte den Krug aus dem Kühlschrank, goss sich ein großes Glas ein und leerte es in einem Zug. Er schnappte nach Luft. „Ah! Wie viele Teebeutel haben Sie genommen, Doc?”

„Ungefähr ein Dutzend.”

Er schüttelte fassungslos den Kopf und hoffte, seine Augen würden nicht aus den Höhlen treten. Das Zeug in seinem Glas war schwarz wie die Nacht. „Nun, zumindest treibt es den Blutdruck in die Höhe.”

Sie verzog das Gesicht. „Entschuldige. Ich fürchte, mit meinen praktischen Fähigkeiten in der Küche ist es nicht allzu weit her.

Wahrscheinlich hätte ich den Tee auch nicht drei Stunden ziehen lassen sollen.”

„Wahrscheinlich nicht.” Behutsam stellte er das Glas ab. „Wir sollten das Zeug verdünnen. Draußen steht eine Fünf-Gallonen-Wassertonne. Das dürfte reichen.”

„Ich könnte dir ein Sandwich machen.” Als sie aufstehen wollte, hob er abwehrend die Hand.

„Vielen Dank. Das übernehme ich lieber selbst. Und komm mir besser nicht zu nahe, ich stinke wie eine randvolle Jauchegrube.”

Ihre Haut begann plötzlich zu prickeln. Ein Gefühl, das sie in vollen Zügen genoss. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Du bist wirklich schrecklich schmutzig”, sagte sie. Sie liebte es, wenn er schmutzig war. „Und verschwitzt. Zieh dein Hemd aus.”

Verlangen überkam ihn. „Du bist sehr bestimmend. Ich mag das bei einer Frau.” Aber er hielt sich noch zurück. „Schade, dass ich dich jetzt nicht anfassen kann. Du siehst so sauber und ordentlich aus, und meine Hände sind so schmutzig, ich würde dir deine Bluse fleckig machen.”

Sie musterte ihn genauer. „Du blutest ja.”

„Nur eine kleine Abschürfung. Ich wasche es gleich ab.”

„Lass mich das machen.” Sie war bei ihm, noch ehe er den Wasserhahn aufdrehen konnte.

Sorgfältig reinigte sie seine Wunden. Er genoss es, wie sie seine Hand einseifte und sanft rubbelte.

Dabei begann er sich auszumalen, wie er mit ihr zusammen unter der Dusche stand. Nasse Körper, Seifenschaum auf nackter Haut.

„Ich schätze, du wirst es überleben. Aber du solltest in Zukunft vielleicht ein bisschen besser aufpassen.” Sie schnüffelte an ihm und rümpfte gleich darauf die Nase. „Was hast du denn da draußen bloß getrieben?”

Er lächelte. „Jauche versprüht.”

Sie riss die Augen auf. „Mit den Händen?”

Diese Vorstellung ließ ihn laut auflachen. „Nein, Darling, dafür gibt es heutzutage Maschinen, selbst hier bei uns, auch wenn du vielleicht der Meinung bist, dass wir das Licht noch immer mit dem Hammer ausmachen.”

„Freut mich zu hören.” Sie wandte sich ab in der Absicht, ihm bei der Zubereitung des Essens zu helfen, und prallte gegen den Kühlschrank.

„Verdammt.” Sie nahm ihre Brille ab. „Ich vergesse immer wieder, dass ich dieses verflixte Ding aufhabe.”

Er warf ihr einen interessierten Blick zu. „Ich dachte, du vergisst nie etwas.”

„Dinge, die mich selbst betreffen, vergesse ich durchaus. Frag mich irgendwas anderes, und ich gebe dir bis ins kleinste Detail Auskunft.”

„Wolle.”

Sie war eben dabei, eine Platte mit Schinken aus dem Kühlschrank zu nehmen. Verblüfft richtete sie sich auf. „Wie bitte?”

„Ich trage mich mit dem Gedanken, Schafe zu züchten. Erzähl mir alles, was du über Wolle weißt.”

„Mach dich nicht lächerlich.”

Er zuckte die Schultern und holte das Brot aus dem Brotkasten. „Ich wette, ich habe ins Schwarze getroffen. Du weißt nichts über Wolle.”

Er brauchte sie nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie die Augen zusammengekniffen hatte.

„Wolle wird aus den Haaren von Schafen, Ziegen, Schafkamelen, Kamelen und anderen Tiere gemacht, aus Haaren also, die sich wegen ihrer Länge, Kräuselung, Feinheit und Dehnbarkeit zum Verspinnen eignen.

Die feinste Wolle ist die kurze, sehr feine, stark gekräuselte Merino-Wolle vom Merino-Schaf. Die Kreuzzucht-Wolle stammt vom Crossbred-Schaf, einer Kreuzung zwischen … Soll ich fortfahren?”

Belustigt schaute er sie an. „Ich bin beeindruckt. Wo warst du, als ich auf der Highschool war? Du hast mir gefehlt.”

„Oh, auf einem versnobten Internat in der Schweiz, wenn ich mich nicht irre.”

„Das tust du vermutlich niemals”, meinte er. Er hörte aus ihrem Tonfall heraus, dass da etwas war, das es zu ergründen galt, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt. Sie sprach das Wort Internat mit dem gleichen Abscheu aus wie er als Kind das Wort Leber.

„Es ist offensichtlich nicht nur so, dass du dir Fakten ausgezeichnet merken kannst”, bemerkte er beiläufig. „Es gelingt dir auch, sie richtig einzuordnen. Nach welchen Gesichtspunkten hast du dir deine Studienfächer ausgesucht?”

Seine Frage war ihr sichtlich unangenehm. Ihr wäre es lieber, er würde sich für ihren Körper interessieren als für ihren Verstand. „Am Anfang habe ich das studiert, was mir meine Eltern vorgeschlagen haben. Sie hatten eine sehr genaue Vorstellung davon, was aus mir eines Tages werden sollte. Später habe ich dann eigene Interessen entwickelt.”

Ihre Stimme klang kühl. Shane drehte sich um und holte den Senf aus dem Kühlschrank. „Meine Eltern waren schon immer sehr erleichtert, wenn ich mal eine ganze Woche lang nicht in das Büro des Schulleiters bestellt wurde, weil ich wieder irgendwas ausgefressen hatte. Ich war ein wilder Junge. Deine müssen sehr stolz auf dich gewesen sein.”

„Sie sind beide ebenfalls sehr erfolgreich in ihrem Beruf”, gab sie zurück.

„Mein Vater ist ein bekannter Chirurg, und meine Mutter ist Chemieprofessorin. Natürlich haben sie stets von mir erwartet, dass ich mich ebenfalls hervortue. Noch weitere Fragen?”

Sumpfgebiet, dachte er, und plötzlich tat es ihm leid, dass er dafür verantwortlich war, dass ihr Gespräch eine Wendung genommen hatte, die ihr unangenehm war. Er wollte, dass sie wieder lächelte.

„Verrat mir doch nur noch eins. Was hast du eigentlich unter diesem Hemd an?”

„Das Übliche.”

„Ach ja?”

Sie lächelte, während sie die Schinkenplatte auf den Tisch stellte.

„Vielleicht willst du ja selbst nachsehen.”

„Offen gestanden, ja.”

Als er die Hand nach ihr ausstreckte, schlüpfte sie lachend unter seinem Arm hindurch. „Nach dem Essen.”

Er lächelte, in seinen Augen tanzten belustigte Fünkchen. Er sah herrlich gefährlich aus. „Ich will aber nichts essen.”

„Du musst aber. Sonst geht dir nachher beim Jaucheversprühen die Puste aus.”

„Ich habe gut gefrühstückt. Ein großes, spätes Frühstück.” Feixend griff er wieder nach ihr, doch sie schaffte es erneut, ihm zu entwischen. „Du bist schnell.”

„Ich weiß.”

Jetzt hatte er sie doch erwischt. Er legte den Arm um ihre Taille und hob sie hoch. „Aber ich bin noch schneller.”

Es verblüffte sie festzustellen, dass er sie mit einem Arm hochheben konnte. Sie fand es verwirrend und erregend zugleich. „Nur weil ich es zugelassen habe, dass du mich fängst.”

„Niemals.” Er küsste sie, dann wirbelte er sie ein paarmal im Kreis herum.

„Mir wird ganz schwindlig.” Lachend klammerte sie sich an seine Schultern.

„Gut so.” Wieder wirbelte er sie herum, noch schneller als zuvor, und ergötzte sich an ihrem fröhlichen Lachen, das ihm plötzlich erregend bekannt vorkam. Ebenso bekannt wie ihr Körper, der sich eng an seinen schmiegte.

„Lass mich runter, du Verrückter. He, John, lass mich runter!” Alles drehte sich vor ihren Augen. „Das Essen brennt an.”

Sie konnte es schon riechen. Sie würde wieder einmal den Topf endlos scheuern müssen. Sie konnte ihn riechen – er roch nach Schweiß und Rauch und Tieren …

Shane fühlte Panik und noch etwas anderes, das er nicht benennen konnte, in sich aufsteigen. Er setzte Rebecca ab und schüttelte sie leicht.

„Rebecca. Was ist?”

„Da war es wieder. Genau wie vergangene Nacht.” Ihr Gesicht war weiß wie ein Bettlaken, und ihre Stimme klang matt und verträumt …

„Ich habe einen Eintopf auf dem Herd. Jetzt ist er leider etwas angebrannt. Holst du noch ein bisschen Holz fürs Feuer?” Sie starrte ins Leere und presste sich die Hand auf den Bauch. „Diesmal wird’s ein Mädchen, ich spüre es. Johnnie wird eine Schwester bekommen …”

Einen Moment später, fast so, als ob man ein Licht anknipste, wurden ihre Augen wieder klar. „Meine Geräte.” Rebecca riss sich von Shane los und rannte ins Wohnzimmer. „Hier, schau her! Schau auf die Skala, was für eine Unmenge an Energie registriert wurde. Viel mehr als letzte Nacht. Und ich spüre sie, ich kann sie deutlich spüren, sie liegt in der Luft.”

Er beobachtete schweigend, wie sie ihre Ausrüstung überprüfte, sich konzentriert Notizen machte und schließlich ihr Diktiergerät einschaltete, um das, was sie erlebt und gemessen hatte, auf Band zu sprechen.

Nachdem sie fertig war, schaltete sie den Rekorder wieder aus und seufzte. „Das war unglaublich, absolut unglaublich. In der vergangenen Nacht saß ich in der Küche, und ich konnte direkt beobachten, wie sich der Raum veränderte. Er war kleiner, und im Herd brannte ein Feuer, auf dem Küchenfenster stand Kuchen zum Auskühlen. Und im Stockwerk über mir weinte ein Baby, Shane.” Ihre Augen glänzten. „Ich habe das Weinen des Babys auf Band. Ich habe es tatsächlich aufgenommen, kannst du dir das vorstellen?”

Sie presste die Handflächen gegen ihre erhitzten Wangen und lachte.

„Ich konnte es selbst kaum glauben, aber nachdem ich es mir mehr als ein Dutzend Mal vorgespielt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Um dieses Ereignis gebührend zu feiern, habe ich schließlich den Wein aufgemacht. Ich wollte es dir schon heute Morgen erzählen, aber da hast du mich ja abgelenkt.”

„Abgelenkt.”

In seinem Ton lag eine Schärfe, die sie aufhorchen ließ. Als sie sein Gesicht sah, wich ihr die Farbe aus den Wangen. Er war blass und wirkte so verschlossen, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Der Blick seiner grünen Augen war hart.

„Worüber ärgerst du dich?”

„Ich kann diesen Unsinn nicht mehr hören”, erwiderte er heftig.

„Das ist nicht alles.”

„Hör auf, mir mit diesem Kram in den Ohren zu liegen. Das ist ja nicht auszuhalten.”

Sie schaute ihn forschend an. „Du bist nicht wütend”, stellte sie schließlich fest. „Du hast Angst.”

Er kniff die Augen zusammen. „Ich habe zu tun.”

Als er Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, stürzte Rebecca auf ihn zu und hielt ihn am Arm fest. „Du hast mir versprochen, mich bei meiner Arbeit zu unterstützen, Shane.”

„Vergiss es.” Er schüttelte ihre Hand ab. „Lass mich in Frieden.”

Sie verstellte ihm den Weg. „Du hast vorhin genau dieselbe Erfahrung gemacht wie ich. Ich weiß es, ich sehe es dir an.”

Seine Geduld war erschöpft. Er streckte den Arm aus, schob Rebecca beiseite und ging zur Tür. „Ich habe gesagt, dass du damit aufhören sollst.”

„Wer waren John und Sarah?” Sie atmete auf, als er stehen blieb und sich umdrehte. „Sie hieß Sarah. Wer war sie, Shane? Wo waren wir vor ein paar Minuten?”

„Ich bin genau dieselbe Person wie vor ein paar Minuten auch. Und du bist es ebenfalls. Wenn du vorhast, dieses Spiel noch weiterzuspielen, von mir aus – aber ohne mich.”

„John und Sarah”, wiederholte sie. „Waren es John und Sarah MacKade? Deine Vorfahren?”

Wortlos ging er hinaus. Rebecca folgte ihm in die Küche. Shane ging steifbeinig zum Kühlschrank, öffnete ihn und holte eine Flasche Bier heraus. Nachdem er mit mehr Kraft, als erforderlich gewesen wäre, den Kronkorken abgehebelt hatte, setzte er die Flasche an die Lippen und trank sie in einem Zug bis zur Hälfte leer. Als Rebecca ihre Frage zum dritten Mal stellte, wirbelte er herum. In seinen Augen loderte Zorn.

„Meine Urgroßeltern. Bist du jetzt zufrieden?”

Sie stieß einen langen Seufzer aus. „Ich verstehe. Und sie haben hier in diesem Haus gelebt, nicht wahr? Sie waren die, die versucht haben, dem jungen Soldaten das Leben zu retten.”

„So sagt man.”

„Und du hast heute nicht zum ersten Mal so etwas erlebt. Du hattest schon öfter solche Visionen, oder wie auch immer man das bezeichnen soll. Gib’s zu.”

Er sah, wie sie auf ihren Computer blickte, und biss die Zähne zusammen. „Nein. Nein, ich will verflucht sein, wenn ich mich von dir als Versuchskaninchen missbrauchen lasse.”

„Okay. Ist ja gut. Es tut mir leid.” Sie ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm. „Aber ich finde, du solltest wissen, dass ich vor einiger Zeit immer wiederkehrende Träume hatte. Und jetzt weiß ich, dass ich damals von diesem Haus hier geträumt habe und von diesen Leuten.”

Er setzte die Flasche ab, schweigend. Rebecca wartete einen Moment und fragte sich bang, ob sie zu weit gegangen war. Auf so viel Intimität waren sie möglicherweise nicht vorbereitet. Aber die Flinte ins Korn werfen wollte sie jetzt auch nicht.

„Diese Träume waren der Hauptgrund dafür, dass ich angefangen habe, Untersuchungen auf diesem Gebiet anzustellen. Sie waren – sind – so real, Shane. Ich habe diesen Raum hier gesehen, das Haus. Wie es vor mehr als hundert Jahren war. Und John und Sarah. Ich könnte sie dir genau beschreiben. Ich weiß nicht, ob du vielleicht alte Fotos von ihnen hast, die das, was ich im Traum gesehen habe, untermauern könnten. Ich kann dir sogar sagen, was sie gedacht und gefühlt, was sie sich gewünscht haben.

Und ich bin überzeugt davon, dass es dir genauso geht.”

„Nein”, gab er kategorisch zurück. Es klang endgültig. Aber es war eine Lüge. Sie spürte es deutlich. „Ich habe so etwas noch nie erlebt und glaube nicht an diesen ganzen Unsinn.”

Frustriert hob sie die Hände. „Glaubst du, dass ich mir das alles nur einbilde? Dass ich einfach nur maßlos übertreibe? Vielleicht um mich wichtig zu machen oder so?”

„Ich glaube einfach nur, dass in deinem superschlauen Köpfchen ein paar Dinge wild durcheinanderlaufen.” Seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Er trank noch einen Schluck Bier. „Ich halte mich lieber an die Realität.”

Sie hätte ihm jetzt sagen können, dass er sich etwas vormachte, dass er versuchte, etwas zu verdrängen, aber sie wusste, dass er sich dann nur noch mehr vor ihr verschließen würde. Du brauchst Geduld, entschied sie.

Wenn sie nur genug Geduld und Verständnis aufbrachte, würde er vielleicht eines Tages bereit sein, sich ihr zu öffnen.

„Na gut. Vergessen wir das Thema erst mal. Vielleicht hast du ja irgendwann mal Lust, darüber zu sprechen.”

„Du bist nicht mein Analytiker.”

„Nein, das bin ich nicht.”

Es klang so vernünftig, dass erneut Wut in ihm aufstieg. Er knallte die Bierflasche auf den Tisch. „Ich will mit dir schlafen, verstehst du? Das ist alles, was ich will, und alles, was ich brauche. Einfach nur du und ich, sonst nichts.” Er packte sie am Handgelenk und zerrte sie aus der Küche. „Träume sind einfach nur Träume, und Geister gibt es nur in schlechten Filmen. Also hör endlich auf mit dem Unsinn – und lass dich von mir ablenken, um es mit deinen Worten auszudrücken.”

Er zog sie die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer angelangt, ließ er sie los und setzte sich auf die Bettkante, um sich die Stiefel auszuziehen.

Es war ebenso sehr Liebe wie auch Verlangen, was sie dazu veranlasste, auf ihn zuzugehen, die Arme um seinen Nacken zu legen und seinen Kopf zu sich herunterzuziehen.

Sie begann ihn vorsichtig zu streicheln. Als ein Gefühl starker Vertrautheit in ihm aufzusteigen begann, wischte er es beiseite, indem er sich sagte, es käme lediglich daher, weil sie am Morgen schon einmal so beieinandergelegen hatten.

Doch als sie schließlich in den leidenschaftlichen Rhythmus der Liebe verfielen, erschien es ihm, als hätte es weder vor ihr je eine andere Frau gegeben, noch würde es jemals eine nach ihr geben.