4. KAPITEL
Shane legte Rebecca die Hände um die schlanke Taille und ließ die Finger zärtlich über ihren Rücken gleiten. Dass er plötzliches Begehren spürte, überraschte ihn nicht. Dass ihn das Verlangen jedoch mit einer solchen Heftigkeit überfiel, hatte er nicht erwartet. Nicht bei ihr.
Was ihn allerdings nicht daran hinderte, dieses Gefühl in vollen Zügen zu genießen. Da sie seinen Zärtlichkeiten keinen Einhalt gebot, presste er sie fest an sich.
Plötzlich spürte er den unwiderstehlichen Drang, sie zu küssen. Doch als er den Kopf neigte, hob sie das Kinn und fragte: „Ein Experiment? Fußend auf welcher Hypothese?”
„Wie?”
„Ihre Hypothese”, wiederholte sie, erleichtert, ihn verunsichert zu haben.
Das gab ihr Zeit, sich zu wappnen. „Ihre These, was bei diesem Experiment herauskommen soll.”
„These?” Er konnte den Blick nicht von ihrem faszinierenden Mund wenden. „Wie wär’s mit beiderseitigem Vergnügen? Reicht das, Doc?”
„Sicher. Warum nicht? Sie wollen mich küssen, Farmboy, also machen Sie schon.”
„Ich war ja gerade dabei.” Doch seine Lippen streiften ihren Mund nur und glitten hinunter zu ihrem Kinn. Sie hatte mit Abstand das hübscheste Kinn, das er jemals gesehen hatte.
Dann berührten seine Lippen ihre, leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Er liebte es von jeher, das Vergnügen hinauszuzögern.
Vielleicht war das der Grund, weshalb er aufhörte zu denken, gerade lange genug aufhörte, um sich in diesem weichen Mund zu verlieren. Um ihre Lippen mit der Zungenspitze zu öffnen und das Innere ihres Mundes zu erkunden.
Sie schmeckte seltsam vertraut. Er fragte sich, wie das möglich sein konnte, da er sie schließlich zum ersten Mal küsste, aber er war sich sicher, dass er diesen Geschmack kannte. Und diese Vertrautheit erregte ihn mehr als alles andere.
Sie war so zierlich und hatte kleine feste Brüste. Und ihr Duft, der ihn an eine blühende Sommerwiese erinnerte, ließ sein Herz schneller schlagen. So schnell, dass erst ein paar schwindelerregende Minuten vergingen, ehe er bemerkte, dass sie sich nicht bewegt hatte. Sie stand einfach nur bewegungslos da, ohne ihn zu berühren und ohne seinen Kuss zu erwidern.
Dass sie überhaupt nicht reagierte, wirkte auf ihn wie eine Ohrfeige. Er trat einen Schritt zurück, zu hastig, um lässig zu wirken, doch gleich darauf hatte er sich wieder in der Gewalt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen studierte er ihr unbeteiligtes Gesicht, die Augen, in denen nur schwaches, kaum erkennbares Interesse schimmerte, die zu einem leichten Lächeln nach oben gezogenen Mundwinkel.
„Das war recht nett”, sagte sie in einem solchen Ton, dass er ihr am liebsten den Hals umgedreht hätte. „War das Ihr Meisterschuss?”
Er sah sie nur wortlos an. Nach einer Weile sagte er: „Tja, scheint wohl ein Blindgänger gewesen zu sein, dieses Experiment. Aber jetzt ruft meine Arbeit.” Er deutete mit dem Kopf auf das Telefon. „Rufen Sie bitte Cassie an, wenn Sie sich hier fertig umgesehen haben”, sagte er geschäftig.
„Danke. Bis heute Abend beim Dinner dann.”
An der Tür wandte er sich noch einmal um. „Sie sind wirklich ziemlich cool, Rebecca.”
„Sie sind nicht der Erste, von dem ich das zu hören bekomme. Vielen Dank für den Drink, Farmboy. Und das Experiment, es war wirklich interessant.”
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, befürchtete Rebecca, die Beine könnten ihr jeden Moment den Dienst versagen.
Dass ein Mann so küssen konnte! Ganz offensichtlich war Shane MacKade eine Gefahr für die gesamte Frauenwelt. Keine Frau war vor ihm sicher.
Zum Glück hatte sie sich keine Blöße gegeben. Dabei wäre sie am liebsten seufzend vor Verlangen in seine Arme gesunken. Hätte er auch nur noch eine Sekunde weitergemacht, wäre sie verloren gewesen.
Leidenschaft für ihre Arbeit war ihr nicht fremd, doch diese Art von Leidenschaft war ihr neu. Sie war überzeugt davon, dass schon weitaus erfahrenere Frauen als sie dem Charme Shane MacKades zum Opfer gefallen waren. Das konnte nur böse enden. Um auf Nummer sicher zu gehen, durfte sie nichts anderes tun, als sich weiterhin unnahbar zu geben. Auf keinen Fall durfte er merken, wie sehr sie sich von ihm angezogen fühlte.
Sicherheit, dachte Rebecca seufzend und stellte ihr Glas auf den Tresen. Sie wusste nur allzu gut, wie langweilig Sicherheit sein konnte. Sie war nach Antietam gekommen, um sich etwas zu beweisen. Um sich neuen Herausforderungen zu stellen, unbekannte Wege zu beschreiten.
Shane gehörte nicht zu ihrem Plan.
Aber sein Haus. Sie holte tief Atem, um ihre aufgepeitschten Nerven zu beruhigen. Dieses Haus hielt etwas für sie bereit, davon war sie überzeugt.
Nur war sie im Moment nicht in der geeigneten Verfassung, um dieses Etwas erfühlen zu können und zu erfahren, worum es sich dabei handelte.
Ein andermal. Sie würde zu einem günstigeren Zeitpunkt hierher zurückkommen und sich in aller Ruhe und Ausführlichkeit umsehen. Was Shane anbelangte, so würde sie bei ihm ihren Charme spielen lassen und ihn gleichzeitig auf Abstand halten. Das Dinner heute Abend bei Regan war ein guter Anfang.
Überall waren Kinder – Babys, Kleinkinder, ältere Kinder, alle damit beschäftigt, entweder zu schreien, zu plappern, vor Vergnügen zu kreischen oder herumzurasen. Über den ganzen Teppich im Wohnzimmer lag Spielzeug verstreut.
Rebecca wusste mittlerweile, wer zu wem gehörte. Layla, die mit ihrem fast gleichaltrigen Cousin Nate auf dem Boden hockte und mit Bauklötzen spielte, gehörte zu Jared und Savannah ebenso wie der schlanke dunkelhaarige Bryan.
Rebecca wusste auch, dass Jared der älteste der MacKade-Brüder war, ein Rechtsanwalt, der sich, seiner gelockerten Krawatte nach zu urteilen, ganz zu Hause fühlte.
Seine Frau war wohl die femininste Frau, der Rebecca jemals begegnet war. Hochschwanger, mit glänzendem schwarzem langem Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte, und mit dunklen Augen erinnerte sie Rebecca an eine Fruchtbarkeitsgöttin.
Connor, Cassies Sohn, war etwa in Bryans Alter, sein Haar war ebenso blond wie das seines Cousins dunkel, und seine Augen strahlten dieselbe Wärme aus wie die seiner Mutter. Dann war da noch Emma, ein blond gelocktes Mädchen von ungefähr sieben, das sich im Sessel eng an den Stiefvater, Devin MacKade, drängte. Devin hatte einen Arm um sie gelegt, während in seiner anderen Armbeuge das Baby, das Rebecca im Inn bereits bewundern durfte, friedlich schlummerte.
Die MacKade-Brüder mochten vielleicht wild und raubeinig sein, aber Rebecca hatte noch niemals Männer gesehen, die in ihren Familien so fest verwurzelt waren.
„Und wie gefällt es Ihnen bis jetzt in Antietam?” Rafe umrundete geschickt Hund, Spielzeug und Kinder und reichte Rebecca ein Glas Wein.
„Oh, sehr gut”, erwiderte sie und lächelte ihn an. „Ein ruhiges, reizvolles Städtchen, in dem man auf Schritt und Tritt der Geschichte begegnet.”
„Und Gespenstern?”
„Daran scheint niemand zu zweifeln.” Sie warf Shane, der es sich neben Savannah bequem gemacht hatte und im Moment anerkennend ihren dicken Bauch tätschelte, einen amüsierten Blick zu. „Fast niemand.”
„Manche Leute blocken ihre Fantasie ab. Es gibt hier Orte, die sehr starke Erinnerungen an die Vergangenheit auslösen.”
Erinnerungen, dachte Rebecca. So konnte man es auch nennen. Sie fand es eine faszinierende Betrachtungsweise. „Erinnerungen”, sagte sie laut.
Savannah zuckte die Schultern und sagte. „Gewaltsamer Tod und das nachfolgende Unglück hinterlassen ihre Spuren. Tiefe Spuren. Aber natürlich ist das eine völlig unwissenschaftliche Betrachtungsweise.”
„Oh, das hängt ganz davon ab, welcher Theorie man anhängt”, gab Rebecca lebhaft zurück.
„Ich denke, wir haben alle schon irgendwie unsere Erfahrungen mit Geistern gemacht”, mischte sich Jared nun ein.
„Sprich nur für dich selbst.” Shane trank sein Bierglas in einem Zug leer.
„Ich jedenfalls renne nicht durch die Gegend und rede mit Leuten, die gar nicht anwesend sind.”
Jared lächelte nur. „Er ist immer noch sauer auf mich, weil ich ihm als kleinem Jungen in dem ehemaligen Barlow-Haus einen Riesenschrecken eingejagt habe.”
Devin, der den Ausdruck in Shanes Augen nur allzu gut kannte, beschloss, den Friedensrichter zu spielen. „Nicht nur ihm, du hast uns alle mit deinem idiotischen Kettengerassel und Türenquietschen zu Tode erschreckt. Ich denke doch, dass Sie nach etwas seriöseren Beweisen für die Untermauerung Ihrer Theorie suchen, Rebecca?”
„Ja, sicher. Aber bisher schaue ich mich nur ein bisschen um.” Es überraschte und freute sie, als Nate jetzt auf ihren Schoß krabbelte. Sie hatte bisher nicht genügend Umgang mit Kindern gehabt, um sich darüber klar werden zu können, ob sie Kinder mochte oder nicht. „Ein bisschen skeptisch macht mich die ganze Sache schon noch”, fügte sie hinzu, während sich Nate an ihrer Halskette zu schaffen machte.
„In fünf Minuten gibt’s Essen”, verkündete Regan, die eben mit hochroten Wangen ins Zimmer trat. „Sammelt die Kinder ein. Rafe?”
„Jason schläft. Ich habe ihn hingelegt.”
„Ich kümmere mich um Layla.” Shane lächelte Savannah frech an.
„Jared braucht ja bestimmt mindestens fünf Minuten, bis er dich von der Couch hochgehievt hat.”
„Jared, versprich mir, dass du ihm das nach dem Essen heimzahlst.”
„Versprochen”, versicherte Jared seiner Frau und half ihr beim Aufstehen.
Einige Zeit später hatten sich alle um den großen Tisch im Esszimmer versammelt, an dem auch die hohen Kinderstühle Platz fanden.
Die italienische Vorspeise, die Regan zubereitet hatte, war köstlich, und die Spaghetti Marinara waren es nicht minder, ebenso wie das knusprige, selbst gebackene Brot. Rebecca war hingerissen, so gut hatte es ihr schon lange nicht mehr geschmeckt. Regan hatte genug Essen für eine ganze Armee aufgefahren, und jeder ließ es sich schmecken.
Fasziniert beobachtete sie das bunte Treiben um sich herum.
„Mund auf.”
„Was?” Sie wandte überrascht den Kopf. Noch mehr allerdings überraschte sie die Gabel mit Pasta vor ihrer Nase. Automatisch öffnete sie den Mund.
„So einfach geht das.” Shane rollte die nächsten Spaghetti auf die Gabel. „Und jetzt dasselbe noch einmal.”
„Ich kann schon allein essen.” Peinlich berührt nahm sie ihm die Gabel aus der Hand und führte sie selbst zum Mund.
„Das tun Sie aber nicht”, behauptete er. „Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich erstaunt umzuschauen. Man hat fast den Eindruck, Sie seien auf einem fremden Planeten gelandet.” Er griff nach der Weinflasche und schenkte ihr nach, noch bevor sie Gelegenheit gehabt hätte abzulehnen. Sie trank nie mehr als zwei Gläser Wein am Abend.
„Erscheinen einem die MacKades vom wissenschaftlichen Standpunkt aus wie Außerirdische?”
„Sie sind interessant”, gab sie kühl zurück. „Egal von welchem Standpunkt aus. Wie fühlt man sich als Mitglied einer so lebendigen Familie?”
„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.”
„Jeder denkt über seine Familie nach.”
„Für mich ist es einfach so, wie es ist.” Shane nahm sich aus der großen Schüssel noch einmal nach.
„Da Sie ja der jüngste der Brüder MacKade sind, müssten Sie doch eigentlich …”
„Wollen Sie mich analysieren, Doc?”, unterbrach Shane sie spöttisch.
„Brauchen wir dafür nicht eine Couch und einen Wecker, der nach fünfzig Minuten klingelt?”
„Ich unterhalte mich nur mit Ihnen.” Irgendetwas brachte sie aus dem Konzept. Dabei hatte sie sich bis jetzt so gut gehalten. Sie versuchte ihre Verunsicherung mit einem Schluck Wein hinunterzuspülen. „Warum erzählen Sie mir nichts über das Gras, das Sie morgen mähen wollen?”
„Sie können gern vorbeikommen und mir helfen.”
„Das klingt faszinierend, aber ich muss morgen leider arbeiten. Meine Ausrüstung ist nämlich eingetroffen. Wenn Sie mir jedoch in ein paar Tagen ein Zimmer in Ihrer Mansarde frei machen, finde ich bestimmt Zeit, Ihnen ein bisschen zur Hand zu gehen. Ich freue mich schon sehr darauf, einen leibhaftigen Farmer als Studienobjekt zu haben.”
„Ach ja?” Er wandte sich ihr jetzt voll zu. Dabei streifte er mit der Hand, die auf ihrer Lehne lag, wie zufällig ihre Schulter. „Wenn es so ist, Rebecca, warum kommen Sie dann nicht schon heute Nacht mit zu mir? Wir …”
„Shane, hör sofort auf, mit Rebecca zu flirten.” Regan schüttelte missbilligend den Kopf, während sie ihm über den Tisch hinweg einen scharfen Blick zuwarf. „Du bringst sie mit deinen albernen Annäherungsversuchen in Verlegenheit.”
„Ich habe doch gar nicht geflirtet. Wir machen nur Konversation.
Stimmt’s, Rebecca?”
„So was Ähnliches.”
„Shane kann es einfach nicht lassen.” Savannah schob ihren Teller zurück. „Eine kluge Frau tut gut daran, ihn nicht ernst zu nehmen.”
„Gut, dass Rebecca zu dieser Sorte gehört”, schaltete sich Devin jetzt ein. „Es ist gelegentlich schon deprimierend zu sehen, wie manche Frauen ihm hinterherlaufen.”
„Ja, ich bekomme auch immer schreckliche Depressionen davon.”
Shane lächelte unverschämt. „Es fällt mir dann jedes Mal furchtbar schwer, den Kopf oben zu behalten. Erst vergangene Woche hat mir Louisa Tully einen Pfirsichkuchen vorbeigebracht. Es war demoralisierend, glaubt mir.”
Rafe schnaufte verächtlich. „Das Problem ist, dass die meisten von ihnen es wohl niemals kapieren werden, dass du zu den Männern gehörst, bei denen Liebe nicht durch den Magen geht, sondern durch … Au!” Er zuckte zusammen und lachte, als Regan ihm unter dem Tisch einen empfindlichen Fußtritt versetzte. „Kopf. Ich wollte Kopf sagen.”
„Das weiß ich doch”, gab Regan mit Unschuldsmiene zurück. „Was anderes habe ich auch nicht erwartet.”
„Shane küsst jede Frau”, sagte Bryan.
Rebecca, der dieses Gespräch Spaß zu machen begann, lehnte sich vor und lächelte den Jungen an. „Tut er das wirklich?”
„Na klar. Ständig. Auf der Farm, im Park, sogar mitten in der Stadt. Und manche kichern dann immer so blöd.” Er rollte die Augen. „Con und ich finden es widerlich.”
Shane war schon immer der Meinung gewesen, dass man Feuer am besten mit Feuer in Schach hielt. Er wandte sich seinem Neffen zu. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Jenny Metz in dich verknallt ist. Ist da was dran?”
Bryan wurde rot. „Nein. Absolut nichts.”
Jared warf seinem Stiefsohn einen liebevollen Blick zu und lenkte das Gespräch in sicherere Bahnen.
Von ihrem Platz aus beobachtete Savannah, wie sich Shane zu Bryan hinüberbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Die Runde hatte ihre Mahlzeit noch nicht vollständig beendet, als quengeliges Weinen aus dem Lautsprecher des Babyfons ertönte. Nach einer kurzen, aber hitzigen Debatte erhob sich Rebecca, um die Teller zusammenzuräumen. Die Babys forderten ihr Recht, und die anderen Kinder mussten zu Bett gebracht werden. Sie war fest entschlossen, in der Küche für Ordnung zu sorgen, auch wenn sich noch so viel Widerspruch dagegen erhob.
Während sie das Geschirr unter laufendem Wasser abspülte, hörte sie die Stimmen aus dem Wohnzimmer und die, die aus dem Lautsprecher, der in der Küche stand, drangen. Rafe verhandelte mit Nate wegen einer Gutenachtgeschichte, und Regan sprach leise auf das Baby ein, während sie es stillte.
Irgendjemand – sie glaubte, Devins Stimme zu erkennen – forderte die Kinder auf, ihr Spielzeug wegzuräumen. Einen Moment später steckte Jared seinen Kopf durch den Türspalt und entschuldigte sich wortreich dafür, dass er keine Zeit habe, ihr beim Abwasch zur Hand zu gehen.
Nachdem sie etwa ein Viertel des Geschirrbergs abgespült hatte, um ihn anschließend in der Spülmaschine zu verstauen, kam Shane in die Küche geschlendert, die Daumen in den Gürtel gehakt. „Sieht ganz danach aus, als müsste ich mir die Ärmel hochkrempeln.”
„Nicht nötig.” Rebecca stand vor der Spülmaschine. „Ich komme schon klar.”
„Die anderen sind entweder mit Kindern oder schwangeren Ehefrauen beschäftigt. Ich bin die einzige Hilfe, die Sie derzeit bekommen können.” Er rollte seine Ärmel hoch. „Meinen Sie, Sie schaffen es heute Nacht noch, das Geschirr zu verstauen?”
„Ich arbeite genau nach Plan.” Rebecca begann das Geschirr einzuräumen. „Was haben Sie denn vor?”
„Ich will die Pfannen abwaschen.”
„Dann wird es einfacher.” Ein Hauch von Zitrone wehte zu ihr herüber, als Shane Spülmittel ins Abwaschwasser gab. Als sie sich nun über die Spülmaschine beugte, stieß sie mit dem Po gegen seinen Oberschenkel, was sie veranlasste, sich augenblicklich wieder aufzurichten.
„Ein bisschen eng hier, wie?”, bemerkte Shane schmunzelnd.
Um einen erneuten Zusammenstoß zu vermeiden, ging sie um den Geschirrspüler herum und begann dann, ihn von der anderen Seite her einzuräumen. „Sagen Sie, ist Flirten ein Beruf oder eine Berufung?”
„Keins von beiden. Ein Vergnügen.”
„Ist es nicht sehr unangenehm, eine Beziehung erst anzufangen und wieder zu beenden, in einer Kleinstadt, wo jeder von jedem alles weiß?”
„Nicht, wenn man es richtig anstellt. Betreiben Sie schon wieder Feldstudien, Rebecca?”
Sie richtete sich auf und spürte, wie sie rot wurde. „Es tut mir leid. Wirklich. Ich habe die schlechte Angewohnheit, ständig hinter die Dinge schauen zu müssen. Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie einfach ‘Schluss jetzt, Rebecca’.”
„Schluss jetzt, Rebecca.”
Sie lachte und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. „Aber Sie haben eine wundervolle, interessante Familie, das muss ich schon sagen. Ich freue mich sehr, sie kennengelernt zu haben.”
„Danke. Ich mag sie auch.”
„Das merkt man.” Sie schaute auf, um ihre Lippen spielte ein Lächeln.
„Und das lässt mich fast zu dem Schluss kommen, dass an Ihnen ein bisschen mehr dran sein könnte, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Ich habe Sie im Umgang mit Ihrer Familie beobachtet, und ich muss sagen, das hat mir sehr gefallen.”
Er stellte eine Pfanne in das Abtropfgestell. „Damit haben Sie sich also die ganze Zeit während des Essens beschäftigt. Sie haben eine Milieustudie über die MacKades betrieben.”
Ihr Lächeln verschwand wieder. „Nein, wirklich nicht. Im Grunde genommen habe ich an etwas ganz anderes gedacht.” Plötzlich unruhig geworden, nahm sie ein feuchtes Tuch und ging zum Herd in der Absicht, ihn abzuwischen. „Ich würde gern mit Ihnen über meinen Aufenthalt auf der Farm reden. Mir ist klar, dass Sie tagsüber sehr beschäftigt sind, und abends haben Sie mit Sicherheit ein Privatleben. Ich möchte Ihnen während meines Aufenthalts wirklich nicht in die Quere kommen.”
Das wirst du aber, dachte er. „Ich habe Regan zugesagt, dass Sie für eine Weile auf der Farm wohnen und dort arbeiten können, und dazu stehe ich.”
Sie zuckte die Schultern. „Ich will Sie nur nicht stören. Sie sind ja wahrscheinlich den ganzen Tag draußen auf dem Feld, beim Heumachen oder so?”
„Oder so.” Obwohl er noch nicht alle Pfannen abgewaschen hatte, nahm er jetzt ein Geschirrtuch und trocknete seine Hände ab. Vielleicht liegt es ja an dem schlanken weißen Nacken, sinnierte er. Er war wie geschaffen dafür, berührt zu werden. Möglicherweise auch an diesen seltsam bernsteinfarbenen Augen. Oder es war einfach sein eigenes verletztes Ego, das sich zu Wort meldete, nachdem sie ihm heute Morgen eine solche Abfuhr erteilt hatte. Was auch immer es sein mochte, es forderte ihn heraus.
Er trat leise hinter sie. Einem plötzlichen Impuls folgend, senkte er den Kopf und biss ganz zärtlich in ihren Nacken. Sie zuckte zusammen und fuhr auf, während sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen ein heißkalter Schauer überlief. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen.
„Diesmal bitte nicht ganz so kühl wie heute Morgen, Doc”, flüsterte er und küsste sie.
Sie hatte keine Zeit, sich zu wappnen, zu überlegen, sich zu wehren.
Sein Kuss überwältigte sie ganz einfach. Ihr wurde schwindlig, ihre Knie drohten nachzugeben. Noch nie in ihrem Leben waren so viele verschiedene Gefühle auf einmal auf sie eingestürmt. Seine Lippen waren heiß und geschmeidig und seine Hände kräftig und zärtlich zugleich. Er duftete nach Zitrone und Seife und … Mann.
Rebecca fühlte sich ihm hilflos ausgeliefert. Sie war machtlos dagegen, ebenso machtlos wie gegen das Zittern oder die Hitzewellen oder dieses plötzlich und vollkommen unerwartet in ihr aufsteigende Verlangen. Am liebsten wäre sie mit ihm verschmolzen, und sie wünschte sich plötzlich zu ihrem Entsetzen, der Kuss würde nie mehr aufhören.
Seine erste Reaktion war Triumph. Sie war ihm gegenüber gleichgültig?
Einen Teufel war sie! Sie erschauerte. Sie stöhnte leise. Sie sank in seine Arme. Die Frau, die er heute Morgen geküsst hatte, war kühl gewesen.
Diese hier war …
Wunderbar warm. Am liebsten hätte er diesen Mund bis in alle Ewigkeit geküsst, er war so weich, so seidig. Seine Lippen glitten tiefer, während er erregt ihrem Stöhnen lauschte.
Ihr stockte der Atem, als er die Hände unter ihren Pulli schob und ihre kleinen festen Brüste zu streicheln begann.
Er ließ überraschend von ihr ab, wich einen Schritt zurück und betrachtete ihr Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet, die Augen noch immer geschlossen, und ihr Atem kam stoßweise.
So würde sie auf dem Fußboden auch aussehen, dachte er und sah sich im Geiste über ihr liegen. Dann öffnete sie die Augen, und er begegnete ihrem fast ängstlichen Blick.
„Nun”, sagte er in einem leichten, spöttischen Tonfall, der eher verteidigend klang als triumphierend, „ich würde sagen, diesmal haben wir ein etwas anderes Ergebnis.” Sie brachte kein Wort heraus. Es gelang ihr lediglich, den Kopf zu schütteln. „Keine Theorie diesmal, Doc?” Er wusste nicht, warum er plötzlich wütend war, aber er fühlte, wie unaufhaltsam Zorn in ihm hochstieg, während sie vollkommen hilflos vor ihm stand. „Vielleicht sollten wir es noch mal versuchen.”
„Nein.” Endlich war es heraus. Plötzlich war es ihr vorgekommen, als hinge ihr Leben von dieser einzigen Silbe ab. „Nein”, wiederholte sie. „Ich denke, du hast bewiesen, was du beweisen wolltest.”
Er wusste zwar nicht, was er hatte beweisen wollen, er wusste nur, dass es noch längst nicht genug war. Er begehrte sie mit einer Heftigkeit, die schmerzte.
„Du … Lass mich vorbei”, stieß sie hervor.
„Erst wenn ich fertig bin. Ich warte noch immer auf deine Hypothese – oder ist es jetzt eine Schlussfolgerung? Ich bin neugierig, Rebecca. Wie wirst du das nächste Mal reagieren, wenn ich dich küsse? Und wie erst, wenn ich mit dir ins Bett gehe?”
Sie wusste es nicht. Glücklicherweise blieb ihr eine Antwort erspart, weil in diesem Moment Rafe in die Küche kam.
Als Rafe klar wurde, in welche Situation er da hineingestolpert war, blieb er abrupt stehen und warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. „Um Himmels willen, Shane.”
„Verschwinde.”
„Verdammt noch mal, das ist schließlich mein Haus hier.”
„Dann gehen wir eben.” Shane ergriff Rebecca am Arm und zog sie zwei Schritte mit sich, bevor die Panik ihr genügend Kraft gab, sich von ihm loszureißen.
„Nein.” Das war alles, was sie sagte, als sie sich umdrehte und aus der Küche ging.
„Was, zum Teufel, ist denn in dich gefahren?”, fragte Rafe empört. „Sie war weiß wie ein Bettlaken. Seit wann findest du Spaß daran, Frauen Angst einzujagen?”
„Ich habe ihr keine Angst eingejagt.” Aber gleich darauf wurde ihm klar, dass er es doch getan hatte. Und dass er es gewusst hatte, doch es war ihm einen Augenblick lang egal gewesen. Mehr noch, der Gedanke, dass er sie ängstigen konnte, hatte ihn erregt. Das war neu für ihn. Und beschämend. „Ich wollte es nicht. Die Dinge sind mir entglitten.” Frustriert fuhr er sich durchs Haar.
„Von Dingen, die du nicht im Griff hast, solltest du vielleicht lieber die Finger lassen.”
„Das scheint mir auch so.”
Rafe, der Widerspruch erwartet hatte, zog erstaunt die Augenbrauen zusammen. Dann fiel ihm auf, dass Shane ebenso weiß war wie Rebecca.
„Bist du okay?”
„Ich weiß nicht.” Verblüfft schüttelte Shane den Kopf. „Sie ist die verführerischste Frau, die mir je über den Weg gelaufen ist.”