Erbberechtigt – die Wahrheit über Vlad Tepes

(2007)

 

Mein größter Wunsch war es, der Besitzer eines Schlosses zu sein. Ich hegte keine romantischen Gedanken daran, ich wollte es mein Eigen nennen können, darin leben, es traditionell ausstatten und Führungen veranstalten. Vielleicht.

Vielleicht würde es mein Geheimnis bleiben, meine Ruhestätte, in der ich alleine lebte und arbeitete. An Geld mangelte es mir nicht, es fehlte die passende Immobilie. Die Schlösser, die ich in der gesamten Welt begutachtete, waren zu klein oder so verfallen, dass ein Aufbau nicht lohnte. Sie hatten kein Flair, keine mir wohlklingende Geschichte oder wurden nur unter unakzeptablen Bedingungen verkauft.

Als die Presse im Sommer 2007 meldete, Schloss Bran sollte veräußert werden, hatte ich mein zukünftiges Domizil gefunden, auf das ich vermutlich bei meiner langen Suche gewartete hatte. Schloss Bran hatte alles, was ich ersehnt hatte. Bereits im Vorjahr hatte der Besitzer Habsburg das Schloss für 59 Millionen Euro dem rumänischen Staat zum Kauf angeboten, erläuterte der Artikel, doch der Staat hatte abgelehnt. Im Januar 2007 bot der Millionär Oligarch Abramowitsch 60 Millionen Euro für das Schloss, doch der Verkauf kam aus unbekannten Gründen nicht zustande.

Das Schloss wartete auf mich. Ich ergriff meine Chance sofort. Und kontaktierte am gleichen Tag die Investmentfirma. Ich hatte eine Zahl, ich hatte ein Ziel.

Mein Angebot war hoch. Meine Entschlossenheit duldete keinen Widerspruch. Ich wollte dieses Schloss. Sofort.

Einen Tag später erhielt ich den Kaufvertrag per E-Mail. Meine Sachen waren gepackt. Ich reiste nach Bukarest, lieferte Vertrag und Scheck persönlich ab, unterschrieb alle nötigen, notariell beglaubigten Unterlagen. Die Immobilienfirma hatte sich wirklich beeilt, aber mit ihrem Honorar, das sie durch diesen Verkauf erhielten, war es ihnen auch möglich, selbst ein Schloss zu kaufen – ein kleineres natürlich.

 

Als ich mich mit einem Taxi nach Brasov und von da aus zu meinem neuen Heim fahren ließ, regnete es. Das war gut, denn bei schlechtem Wetter hielten sich die Touristen fern.

Das im Jahre 1377 erbaute Gemäuer befand sich in einem prächtigen Zustand. Das Erbe von Fürst Vlad Tepes Draculea – dem Pfähler, wie er schändlicherweise geschimpft wurde und der im 15. Jahrhundert das Schloss für sich eingenommen haben sollte – hatte über die Jahrhunderte nicht gelitten. Die Nachbesitzer hatten in hohem Stil dafür Sorge getragen, dass Restaurationen umgehend und von Meisterhand durchgeführt worden waren. Ich wusste, dass manche Quellen davon ausgingen, Vlad Tepes habe nie wirklich auf Schloss Bran gelebt und die Rumänen hätten aufgrund einer erhofften Touristenattraktion dieses Gerücht in die Welt gesetzt. Doch Gerüchte entstehen durch den Glauben an die Wahrheit. Und die Wahrheit war es, der ich von nun an Gewicht verleihen wollte.

Ich bat die Pförtner, die Besucher, die dem Regen trotzten, von meinem Land zu schicken. Die Souvenirstände vor der Burg sollten abgebaut werden. Ich entließ die Wachen und die Angestellten. Meine Burg.

Eine neue Ära begann. Jetzt!

Seit das Schloss zu einem Museum umgebaut worden war, hatte niemand mehr darin residiert.

Ich hatte mein gesamtes Hab und Gut von Kalifornien aus hierher verschiffen lassen. Im Laufe der nächsten Woche rechnete ich mit der Ankunft meiner Möbel, die von meinen beiden treuesten Dienern begleitet wurden. Bis dahin hatte ich Zeit genug, mich in einen würdigen Schlossherrn zu verwandeln.

Ich lachte, bis mir die Tränen kamen. Mein Schloss. Ich hatte es gefunden. Oder es mich.

Erst am Abend waren alle Fremden von meinem Anwesen verschwunden. Solange hatte ich – trotz des Regens – auf einer Mauer gesessen, einen Zigarillo nach dem anderen geraucht und Schloss Bran von außen betrachtet. Ich war bis auf die Haut durchnässt.

Lautstark fiel das schwere Eingangsportal hinter mir zu. Ich ließ den Regen draußen und schloss die kopfschüttelnden und schimpfenden Menschen aus. Sie verstanden nicht, warum ich sie von meinem Grundstück verjagte.

Rumänien hatte seine Chance für eine Attraktion gehabt, nun hatte ich meine.

Ab sofort befand sich Schloss Bran wieder in Privatbesitz.

Ich machte mich auf die Suche nach der wahren Vergangenheit, ließ die Hallen und Ausstellungsräume hinter mir und betrat durch den allgemein bekannten Geheimgang einen weiteren Gang, der in den öffentlichen Aufzeichnungen des Schlosses keine Erwähnung fand. Das Tor zu diesem schmalen Tunnel öffnete sich nur dem, der die Wahrheit kannte. Und diese bestand nicht aus Magie, sondern aus einem Schlüssel, den ich vor etlichen Jahren erworben hatte und seitdem stets bei mir trug. Ich hatte damals nicht geahnt, dass ich ihn tatsächlich einmal verwenden würde. Aber alles hatte sich zu meinem Gunsten gefügt.

Nach mehreren Abzweigungen gelangte ich in ein Verließ. Es war dunkel und kühl. Und der Geruch von Moos und feuchtem Stein betörte meine Sinne – ideal für meine Zwecke.

Ich fürchtete mich nicht, alleine in einem so großen Bauwerk in den tiefsten Kellern herum zu wandern. Ich hatte eigene Geschichte geschrieben, die schrecklicher war, als die Mauern von Schloss Bran über Jahrhunderte hinweg verborgen hatten. Nicht alles, was geschrieben worden war, entsprach der Wahrheit, manches wurde überzogen dargestellt und fälschlicherweise mir angehängt. Anderes hatte ich verdrängt.

Ich wurde zu einem Chamäleon – passte mich der Umwelt an. Ich lebte zurückgezogen, denn die Herrscher hatten sich verändert. Jetzt war ich hier. In meinem Schloss.

Meine Zeit war gekommen!

Mit einigen Tagen Verspätung trafen meine Möbel ein. Vasilli und Luca, meine getreuen Untertanen, die mich mein Leben lang begleiteten, hatten bei der Überführung einige unangenehme Fragen zu beantworten. Dieses Problem war bekannt, sie hatten es mit Gelassenheit genommen.

 

Pressemitteilung:

 

Bukarest – Das Schloss Bran hat seit vier Wochen einen neuen Besitzer. Wie jetzt bekannt wurde, soll das Schloss mit einer hohen Mauer umbaut werden, damit Touristen fernbleiben. Somit hat Rumänien eine der größten Einnahmequellen des Tourismus verloren. Der neue Besitzer, dessen Name geheim gehalten wird, stand für ein Interview nicht zur Verfügung.

 

Ich verwandelte mithilfe der historischen Aufzeichnungen das Schloss zu dem, was es im 15. Jahrhundert dargestellt hatte. Es lag mir allerdings fern, auf den Luxus des 21. Jahrhunderts zu verzichten – ich hatte in der Vergangenheit oft gefroren. Meine Residenz verfügte über Heizungen, Warmwasser und elektrische Leitungen.

 

Nach vier Wochen gab ich ein Diner, zu dem ich namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Kultur einlud. Sie sollten mich als großzügigen Gastgeber kennen und schätzen lernen.

Nach einem weiteren Monat öffnete ich die Tore für die armen Leute der Stadt. Ich machte mich beliebt – und traf dabei meine Auswahl. Der Gedanke daran versetzte mich in Erregung.

Ich musste mich zurückhalten, was mir schwerfiel.

In regelmäßigen Abständen wiederholte ich diese Events, die als einzigartig im Umland galten, und genoss die Anerkennung von Arm und Reich. Mein Ansehen wuchs, und es gab niemanden mehr, der nicht in meiner Schuld stand – doch Einladungen zu Wohltätigkeitsveranstaltungen, Abendessen oder Tanztees lehnte ich ab.

Vielmehr wählte ich unter meinen Gästen aus. Jedes Mal ein bisschen mehr. Häppchenweise.

 

Pressemitteilung:

 

Bukarest – Die verstümmelte Leiche eines jungen Mannes wurde in der letzten Nacht im Waldrand nahe von Bran gefunden. Bissspuren an Hals und Bauch deuteten zunächst auf ein Tier hin, doch die Polizei identifizierte eindeutig menschlichen Speichel auf den Wunden, der ebenfalls von einem Leichnam zu stammen schien, jedoch nicht vom Opfer selbst. Die Ermittler sind ratlos. Die Einheimischen sprechen von einem Fluch und glauben, Graf Dracula sei zu ihnen zurückgekehrt.

 

Vlad Tepes hatte nie in Schloss Bran gelebt – bis zu diesem Zeitpunkt, als ich die mir ewig nachgesagte Residenz endlich einnehmen konnte. Mein Hunger, über die Jahrhunderte gewachsen, ist unersättlich.