Torturen eines Autors

(2003)

 

Schlimmer als ein offenes Bein, schmerzhafter als Zitronensaft in einer Wunde, furchtbarer als Hunger und Durst, vernichtender als Atemstillstand ist für einen Schriftsteller ein Loch im Gehirn, durch das all die Ideen, die sich entwickeln, unerwartet verschwinden, ohne dass sie zuvor niedergeschrieben wurden.

Ich leide an einem Loch. Nicht zum ersten Mal. Und ich verstehe nicht, wie es schon wieder geschehen konnte. Denn ich habe Vorsorge getroffen. Ich habe einen Deal abgeschlossen, einen Deal mit Satanus.

Vielleicht hätte ich es ahnen müssen, aber die Sucht nach Buchstaben, die sich zu Worten formen, um Sätze zu gestalten, mit denen ich neue Länder erfinde, Protagonisten zu Helden ernenne oder sie vom Thron stürze, füllt mich aus – ist mein Leben. Ich ließ mich darauf ein, als ich es zum ersten Mal bekam – dieses Loch. Verdammt! Meine Finger zittern. Entzug. Darum schreibe ich diesen Mist auf, meine Beichte zum Erfolg. Doch das reicht nicht, um die Entzugserscheinungen zu verringern. Es muss gestopft werden, dieses Loch. Ich weiß womit und überlege, was ich ihm dieses Mal anbieten kann. Wenn er kommt. Wenn er mich nicht im Stich lässt. Aber er ist gierig, so wie ich. Darum wird er kommen. So wie das letzte Mal, das vorletzte Mal und die beiden Male davor ebenso.

Da ist er – gehüllt in einer Wolke aus Rauch taucht er aus dem Erdboden auf, wie in einem billigen Horrorfilm. Er könnte die Türe benutzen wie jeder normale Mensch, aber er liebte seinen Auftritt, wie ich das Schreiben.

»Du hast mich schon wieder gerufen, mein Lieber«, säuselt er. Seine Stimme klingt piepsig, als habe er den Stimmbruch noch längst nicht hinter sich.

Meine Stimme bebt, als ich ihn anflehe, das Loch in meinem Kopf zu stopfen.

Satanus schreitet durch de Raum, die eine Rauchspur wie eine Schleppe hinter sich herziehend. Er genießt meine Entzugserscheinungen. Mein Bitten und Flehen, mein Zittern, Schwitzen und Schmatzen. Vor Nervosität rutsche ich in meinem Rollstuhl hin und her, ein Rad quietscht über den Linoleumboden.

Satanus ist ein Sadist. Das ist bekannt. Auch ich wusste es, als ich ihn das erste Mal rief. Ich weiß es auch jetzt und doch kann ich nicht weiter leben, ohne einen erneuten Deal mit ihm abzuschließen. Der Zeigefinger seiner rechten Hand liegt auf seinen Lippen, mit der anderen Hand schwingt er seinen Schwanz, er denkt nach und verspottet mich mit seinem Blick. Das ist mir egal, wenn er mir nur endlich das gibt, wonach es mich verzehrt.

»Nun gut«, sagt er. »Was bietest du mir diesmal?«

Es ist noch genug da, mit dem ich Satanus und mich selbst zu befriedigen weiß, jeden auf seine Weise. Ich hatte mich schon vor seinem Erscheinen für einen Pfand entschieden.

Ich streckte ihm meine rechte Hand entgegen. »Reicht das?«

Satanus lächelt – nicht diabolisch, eher verliebt. »Das wird nicht lange vorhalten.«

Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück. »Wie meinst du das?«

»Nun, mein Lieber: Um deine Sucht zu befriedigen, bedarf es einer Portion mehr. Erinnere dich an unseren letzten Deal.«

Es stimmt. Bei unserer letzten Vereinbarung brauchte ich nach einem Tag Nachschub, damit ich für Wochen Ruhe fand. Nun gut, dann eben alles.

Ich hatte mir im Vorfeld einen sprachgesteuerten Textcomputer zugelegt, um entsprechende Verluste auszugleichen. Ich würde ihn in Zukunft benötigen.

Nun kam der Schmerz. Das bereitet ihm keinen Spaß, er zitterte. Diesmal vergießt er sogar die Tränen, die ich ihm einst gegeben habe. »Geht es, mein Lieber?«, fragt er besorgt. Ich nicke, einen Ton bringe ich nicht hervor, meine Zähne sind fest aufeinandergepresst. Als es vorbei ist, fühle ich mich besser. Satanus stopft mein Loch. Ich bekommen Kopfschmerzen, aber ich weiß, das geht  vorbei und die Kreativität wird mit mir durchgehen. Er nimmt einen Teil von mir und gibt mir einen Teil von sich.

Mit der neuen Füllung kann ich mindestens zwei Romane von rund 400 Seiten schreiben. Die Wunde an meiner Schulter wird heilen. So wie damals an meinen Beinen, den Knien, die Hüften.

Es ist mein Schicksal, dem ich mich selbst unterwerfe. Ich finde mich gut zurecht.

Diesmal gibt mir Satanus einen Bonus und überlässt mir einen seiner Gespielen. Eine Frau wäre mir lieber gewesen, aber ich musste mich mit dem zufrieden geben, was mir Satanus bot. Nun wurde ich gefütterte, gewickelt, umsorgt. Ich ertrug es mit Würde, denn ich konnte wieder schreiben.

 

Zwei Romane. Dann kehrte das Loch zurück. Ich rief nach Satanus. Diesmal schüttelte er den Kopf. »Was soll ich dir noch nehmen? Es ist nichts mehr an dir, was dir auf Dauer helfen kann.«

Ich sah an mir hinab. Meine Beine hatte ich in kleinen Häppchen abgegeben, meine Arme beim letzten Mal. Mir blieben keine Gliedmaßen, die ich Satanus spenden könnte. Aber ich konnte blind schreiben, ich brauchte nur meine Gedanken, die ich zusammenhalten musste. Der Sprachcomputer funktionierte tadellos, er würde meine Geschichten entgegennehmen, wenn ich sie ihm erzählte.

Satanus willigte skeptisch ein und stahl mir mein Augenlicht, welches mir Licht für mein dunkles Gehirn schenkte – bis es von einem dunklen Loch verschluckt wurde.