14. KAPITEL

Don trat gegen den Papierkorb und schleuderte ihn dadurch quer durch das Büro. Seit Wochen kämpfte er jetzt gegen sein schlechtes Gewissen. Entschlossen ging er in das Büro von Brad Hastings hinüber. Brad blickte erstaunt von seinem Schreibtisch hoch. “Was gibt’s?” wollte er wissen.

“Du kannst Rafferty für eine andere Aufgabe einsetzen. Es wird Zeit, damit aufzuhören.”

“Bist du sicher? Ich dachte, du machst dir immer noch um Kaylie Sorgen.”

“Das stimmt. Aber wenn sie herausfindet, daß ich sie bewachen lasse, wird sie vor Wut platzen.”

Brad grinste. “Wie du meinst. Ich könnte Rafferty gut für eine andere Aufgabe gebrauchen.”

Don nickte und verließ das Büro wieder. Es stimmte, er machte sich immer noch Sorgen um Kaylie, aber er wollte seine Ehe nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Ihm blieb keine andere Wahl.

“Hier sind ein paar Nachrichten für Sie, Mr. Flannery”, rief Peggy, als er an ihrem Pult vorbeikam. “Und Ihre Frau hat für Sie angerufen.”

“Danke, Peggy.” Don beugte sich zu ihr. “Und vielen Dank auch, daß Sie die Polizei neulich so schnell zu Kaylies Haus in Carmel geschickt haben.”

Lächelnd setzte Peggy den Kopfhörer des Diktiergeräts auf.

“Keine Ursache. Als ich anrief, waren sie bereits alarmiert worden.”

“Was sagen Sie da?” Don richtete sich auf. “Von wem?

Jemandem aus Whispering Hills?”

“Ich weiß nicht.” Peggy wirkte ratlos. “Danach habe ich nicht gefragt. Als ich endlich mit der Polizei in Carmel verbunden wurde, wurde mir gesagt, es sei schon ein Wagen zu ihrem Haus unterwegs. Tut mir leid, ich dachte nicht, daß das wichtig sei, wer sie alarmiert hat.”

Don bemühte sich, gelassen zu wirken. “Nicht so schlimm”, sagte er.

Innerlich jedoch sah es bei ihm ganz anders aus. Er hatte gedacht, daß alles geklärt sei, jetzt, wo Johnston wieder in Verwahrung war. Aber anscheinend gab es noch andere Dinge zu klären. Am liebsten hätte er auf der Stelle Brad Hastings beauftragt, neben Rafferty noch weitere Leute zu Kaylies Schutz abzustellen. Statt dessen wandte er sich an Peggy. “Versuchen Sie, bei der Polizei soviel wie möglich herauszufinden. Ach nein, das erledige ich selbst.”

Er kannte noch einige Beamte von früher. Es sollte kein Problem sein, ein paar Informationen zu erhalten. Don ging in sein Büro und rief bei der Polizei an. Dort ließ er sich mit Detective Mike Saragossa verbinden.

“Hallo, alter Knabe”, begrüßte Mike ihn. “Wurde auch Zeit, daß du dich mal wieder meldest. Was kann ich für dich tun?”

Kaylies Tag war entsetzlich verlaufen. Nach dem Treffen mit Alan und Jim hatte bald die Sendung angefangen. Als sie einen Zeitungsreporter vorstellen wollte, hatte sie sich vollkommen verhaspelt. Zum Glück war Alan eingesprungen und hatte ihr geholfen. Beim Gespräch mit einer Frau, die Bürgermeister werden wollte, funktionierte ihr Mikrophon nicht, und wieder war es Alan, der die Situation rettete und ihr schnell ein neues ansteckte. Von da an hatte die Frau sich nur noch mit Alan unterhalten und Kaylie völlig ignoriert.

Kaylie konnte das Ende der Sendung kaum abwarten, um

endlich aus dem Studio herauszukommen und nicht mehr

verkrampft lächeln zu müssen. Sie rannte förmlich aus dem Studio in die Cafeteria, um etwas zu trinken. Nach einem kurzen Gespräch mit Jim über die Probleme in der Sendung schnappte sie sich ihre Notizen für den nächsten Tag und verließ das Gebäude. Sie wollte nur noch nach Hause und den Rest des Tages mit einem guten Buch und Don verbringen.

Aber zunächst werde ich Don überraschen, beschloß sie, als sie den Motor anließ. Sie würde ihn von der Arbeit abholen. Als sie auf die Straße einbog und ihren Rückspiegel einstellte, bemerkte sie wieder den silbergrauen Wagen, den sie schon so oft gesehen hatte.

Na und? Viele Leute haben täglich den gleichen Weg.

Dennoch fuhr sie einmal um den nächsten Häuserblock herum und blickte wieder in den Rückspiegel. Der andere Wagen war auch im Kreis hinter ihr hergefahren.

Panische Angst erfaßte sie. “Nicht schon wieder!” schrie sie auf. Fast wäre sie auf den Wagen vor ihr aufgefahren. Bleib ruhig! befahl sie sich und umklammerte das Lenkrad.

An der nächsten Ampel fuhr sie langsamer, bis sie von grün auf gelb umschaltete. Zwischen ihr und dem silbergrauen Wagen fuhren noch drei andere Autos. Gerade als Kaylie über die Kreuzung fuhr, wurde die Ampel rot, und der Wagen hinter ihr bremste ab.

Ihre Hände waren schweißnaß, als sie zunächst ziellos rechts und links abbog, bevor sie zu Dons Büro fuhr. Vor Angst konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen. Johnston war doch eingesperrt, wer sollte ihr folgen?

Hatte Don doch recht? Wurden andere Verrückte durch die Sensationsberichte über Lee Johnston ermutigt, etwas Ähnliches zu tun? Immerhin hatte Don ausreichende Erfahrung, um ihre Situation beurteilen zu können. Zahlreiche Stars ließen sich von Dons Firma vor durchgedrehten Fans beschützen.

Kaylie zitterte, als sie in die Tiefgarage von dem

Bürogebäude fuhr und anhielt. Erschöpft blieb sie einen Moment reglos sitzen. “Alles in Ordnung”, redete sie beruhigend auf sich ein. Sollte sie Don von dem Wagen erzählen? Würde er nicht sofort wieder in seine alte Rolle als ständiger Beschützer verfallen? Dadurch würde sie auch ihre zweite Ehe wieder gefährden.

Sie beschloß, Don nichts von dem Verfolger zu erzählen, und stieg aufseufzend aus dem Auto aus. Als sie sich reckte und den Wagen abschloß, stockte ihr der Atem. Der silbergraue Wagen kam gerade in die Tiefgarage gefahren. Aber sie hatte ihn doch abgehängt! Woher wußte der Fahrer, wohin sie wollte?

Der blonde Mann hinter dem Lenkrad blickte sie direkt an.

Sein Gesicht wirkte jung und entschlossen. Er hielt an und öffnete die Tür. Kaylie zögerte keinen Augenblick länger. Sie rannte zum Fahrstuhl und hämmerte auf den Knopf. Zum Glück öffneten sich die Türen sofort.

Don! dachte sie verzweifelt, als sich die Türen hinter ihr schlossen. Ich muß zu Don! Kraftlos lehnte sie sich an die Wand der Kabine. Hoffentlich rannte der Mann nicht schneller als der Fahrstuhl die Treppen hinauf. Wieder wurde sie fast von ihrer eigenen Angst überwältigt.

Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, rechnete sie fast damit, daß der blonde Mann mit einer Waffe vor ihr stand, doch der Flur war leer. Kaylie rannte an Peggys Pult vorbei direkt in Dons Büro.

“Kaylie?” Don stand am Fenster, er wirkte verwirrt. Wortlos stürzte sie zu ihm und warf sich in seine Arme. “Was ist los, mein Schatz?”

Zitternd versuchte sie, sich zu beruhigen, damit sie ihm antworten konnte. “Ruf die Polizei!” schluchzte sie auf. “Oder hol deine Leute her!”

“Wieso denn?”

“Ein Mann verfolgt mich!” schrie sie, und Don zog sie dicht an sich.

“Keine Angst”, sagte er. “Hier bist du sicher.” Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage. “Peggy, rufen Sie Brad Er soll das Gebäude abriegeln und ein Suchteam losschicken. Sie sollen sich bewaffnen. Es befindet sich ein Verdächtiger im Haus.”

“In der Tiefgarage”, stellte Kaylie richtig und schmiegte sich an Don. Ohne sie loszulassen, holte er seinen Revolver aus einer Schublade.

“Was gibt’s denn, Don?” Brad Hastings meldete sich durch die Sprechanlage.

“Jemand ist Kaylie hierher gefolgt. Überprüfe die Tiefgarage und das Treppenhaus.”

“Schon unterwegs”, antwortete Hastings.

Don prüfte, ob der Revolver geladen war. In dem Moment kam Peggy herein, “Geht es Ihnen gut?” erkundigte sie sich.

“Ja. Ja, danke”, brachte Kaylie heraus.

“Soll ich Ihnen einen Kaffee bringen?” Als Kaylie nur stumm den Kopf schüttelte, ging Peggy wieder hinaus.

“Oh, Don. Ich wollte dich nicht aufregen. Es tut mir leid.”

Don küßte sie auf die Stirn. “Nichts muß dir leid tun.”

Peggy klopfte und kam noch einmal herein. “Ich weiß, Sie wollen keinen Kaffee. Aber Sie sehen aus, als könnten Sie ihn dringend gebrauchen. Hier ist ein Schuß Bourbon drin. Das beruhigt.” Damit drückte sie Kaylie eine Tasse in die Hand und ging wieder.

“Also gut, was ist passiert?” Don sah sie wartend an.

Nach einem Schluck von dem heißen Getränk merkte Kaylie, wie gut ihr die Wärme tat, die ihr Magen ausstrahlte. Sofort wurde sie etwas ruhiger. “Es ist nicht das erste Mal”, gab sie zu.

“Was?” fuhr Don auf. “Was meinst du damit?”

“Reg dich nicht auf, ja? Seit Wochen schon habe ich jetzt das Gefühl, daß mir jemand folgt. Aber ich habe mir eingeredet, daß ich Gespenster sehe.”

Don wurde auf einmal still. Sein Gesicht war verkrampft.

“Du hättest es mir früher sagen sollen.”

“Ich weiß, aber ich wollte dich nicht verängstigen. Vielleicht bilde ich mir das alles auch bloß ein.” Dann berichtete sie Don von dem silbergrauen Wagen, den sie so oft gesehen hatte. Als sie erzählt hatte, daß sie den Wagen abgehängt und in der Tiefgarage wiedergesehen hatte, legte Don die Waffe weg und ging zur Sprechanlage.

“Peggy, schicken Sie bitte Tim Rafferty zu mir.”

Kurz darauf kam der blonde Mann in das Büro. Er war um die Zwanzig, und Kaylie erkannte ihn sofort. Fast hätte sie aufgeschrien.

Don fuhr sich durchs Haar. “Ist das der Mann?”

“Ja, aber …” Mit einem Schlag wurde ihr alles klar, und ihr Magen verkrampfte sich.

“Tim arbeitet für mich”, gab Don zu. “Tim, das ist meine Frau, Kaylie Melville. Kaylie, das ist Tim.”

Tim nickte wortlos.

“Aber…”

“Ich habe ihn beauftragt, dir zu folgen”, sagte Don.

“Aber warum? Ach nein, du brauchst nichts zu sagen!” Vor Enttäuschung konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten.

“Du hast schon wieder damit angefangen?” flüsterte sie mit zitternder Stimme.

“Ich habe ein paar Männer beauftragt, dich zu bewachen. Seit dem ersten Anruf von diesem Ted.” Er nickte Tim zu, und der Mann verließ das Büro.

Kaylie wurde wütend. Weshalb machte er bloß immer wieder die gleichen Fehler? “Wie konntest du das tun?”

“Weil ich dich liebe. Deshalb. Ich wollte dich nicht verlieren.”

Die Kehle war ihr vor Enttäuschung wie zugeschnürt.

“Heute früh habe ich Brad gesagt, daß damit jetzt Schluß ist.”

“O Don, du hast wohl überhaupt kein Vertrauen zu mir.”

Verärgert stieß er die Luft aus. “Den Menschen dort draußen traue ich nicht, das ist alles.”

Sie schloß die Augen, um nicht zu weinen. “Ich hätte es wissen müssen. Du wirst dich niemals ändern.” Mit einer Hand wischte sie sich über die Augen. “Ich habe mir so gewünscht, daß es diesmal mit uns klappt.”

“Das wird es auch, Kaylie. Bestimmt.”

“Glaubst du?” Sie atmete tief durch und richtete sich auf.

“Und was hältst du davon, daß Dr. Henshaw in die West Coast Morning-Show kommt?”

“Henshaw? Der Arzt von Johnston?” Don blickte sie durchdringend an. “Ist das ein schlechter Scherz?”

“Das wäre schön.” Kaylie seufzte. Sie rieb sich die Arme und berichtete Don von der Unterhaltung mit Jim und Alan.

“Und du hast zugestimmt?”

“Was sollte ich denn tun? Die Entscheidung stand schon vorher fest.”

“Aber dadurch…” Don verstummte und betrachtete Kaylie.

Sein Gesichtsausdruck war jetzt wärmer. “Du hattest einen schweren Tag. Was hältst du davon, wenn wir nach Hause fahren und ich etwas für uns koche?”

Mit den Gedanken war er noch bei Dr. Henshaw und Lee

Johnston. Und wer war dieser Ted? Ihm fiel Alan ein, obwohl die Stimme auf dem Band nicht nach Alan klang. Jim kam nicht in Frage. Aber wer war es dann?

***

Don und Kaylie fuhren in getrennten Wagen zurück zum

Apartment, und nachdem er ihr ein Glas Wein gegeben hatte, fing Don wie versprochen an, das Abendessen zu machen Doch während er Steaks grillte und Kartoffeln kochte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Dr. Henshaw und seinem Auftritt in der Show zurück. Er hielt diesen Auftritt für einen Fehler, doch er konnte nichts dagegen tun. Außerdem wollte er von nun an Kaylie gegenüber mit offenen Karten spielen.

“Hey, paß auf”, rief Kaylie. “Ich habe mein Steak ‘medium’

bestellt. Auf schwarz und verkohlt habe ich keinen Appetit.” Sie drehte die Fleischstücke mit einer Gabel um und bestreute sie mit Zitronenpfeffer.

“Du verpfuschst mein Rezept”, beschwerte Don sich schmunzelnd.

“Erzähl mir keine Märchen, Don. An Kochbüchern

interessieren dich doch nur die Bilder!”

Don zog sie in die Arme und hob sie hoch. “Sei vorsichtig, was du sagst. Sons t werde ich dir zeigen, auf welchem Gebiet ich ein wahrer Meister bin.”

“Alles leere Versprechungen!” zog sie ihn lachend auf, während er sie ins Schlafzimmer trug. “Warte mal, Don. Du kannst doch jetzt nicht…” Don legte sie aufs Bett und zog sich das Hemd über den Kopf.

“Verkohlte Steaks sind viel leckerer, als man denkt”, stellte er fest und legte sich zu ihr. Mit einem Kuß erstickte er ihr Gelächter. Erst als durchdringender Rauch aus der Küche kam, sprang er rasch wieder auf.

Lachend folgte Kaylie ihm in die Küche. “Sieht so aus, als würden wir auswärts essen”, sagte sie mit einem Blick auf die schwarzen Steaks.

“Zuerst haben wir noeh etwas Dringendes zu erledigen.” Mit einem verführerischen Lächeln drehte Don sich zu ihr um.

Am Freitagmorgen wäre Don am liebsten mit zum Studio

gefahren, nur für den Fall, daß Kaylie seine Nähe brauchte. Sein Verstand sagte ihm, daß von Dr. Henshaw keine Gefahr

ausging. Er würde ihr nichts tun. Aber vielleicht würde ein anderer Verrückter sich durch die Sendung ermutigt fühlen?

Besorgt fuhr er statt dessen zur Arbeit. Dort ging er zuerst zu Brad ins Büro. “Hast du etwas über diesen Ted

herausgefunden?” fragte er.

Brad Hastings schüttelte den Kopf. “Nein. Aber wir sind allmählich überzeugt, daß es eine Frauenstimme ist.”

“Eine Frau?” Das machte die Angelegenheit nicht einfacher.

“Habt ihr irgendwelche Spuren?”

“So gut wie keine. Die Anrufe kamen alle aus Telefonzellen im Banken-und Büroviertel.”

“Das ist doch etwas”, dachte Don laut. “Ich nehme an, keiner von unseren Verdächtigen lebt dort.”

Hastings schüttelte den Kopf. “Nein.”

“Und was ist mit Alan Bently?”

Brad gab einen Befehl in den Computer ein, und der Drucker fing an zu arbeiten. Kurz darauf reichte Brad Don einen vierseitigen Bericht über Alan Bently,

Don ging damit in sein Büro und las den Ausdruck gründlich durch. Das meiste davon wußte er bereits. Folgte er einer falschen Spur? Er rief bei der Polizei an, um herauszufinden, wer sie zu Kaylies Haus geschickt hatte, doch die Beamten konnten ihm nicht weiterhelfen. Schließlich fiel ihm ein Bekannter bei der Telefongesellschaft ein, der ihm noch einen Gefallen schuldete. Vielleicht konnte er auf diesem Weg etwas Neues erfahren.

Während er daraufwartete, mit seinem Freund verbunden zu werden, schaltete er den Femseher an, um Kaylies Show zu verfolgen.

Kaylie war aufgeregt wie schon seit langem nicht mehr. Sie hatte mit Don nicht mehr über die Show gesprochen und wußte, daß er sich Mühe gab, sich nicht in mehr in ihre Entscheidungen einzumischen. Während der letzten Tage hatte sie keinen Wagen gesehen, der sie verfolgte, obwohl sie unweigerlich immer wieder in den Rückspiegel sah und Ausschau hielt. Anscheinend hielt Don sein Wort.

Allmählich bekam sie den Eindruck, daß sie beide es

tatsächlich schaffen konnten, miteinander glücklich zu sein.

Ein letztes Mal überflog sie ihre Notizen. Dr. Henshaw war der erste Gast in der Show. Kaylie strich ihren Rock glatt und ging hinüber ins Sendestudio, wo Alan und sie Dr. Henshaw vorgestellt wurden.

Er war ein kleiner Mann mit Kinnbart, und er wirkte genauso aufgeregt wie sie selbst. “Miss Melville”, begrüßte er sie und gab ihr gepreßt lächelnd die Hand.

“Mrs. Flannery”, stellte sie richtig, “aber nennen Sie mich doch bitte Kaylie.”

“Okay”, unterbrach Tracy. “Sehen Sie bitte Alan und Kaylie in die Augen, wenn Sie sprechen. Vergessen Sie die Kameras.

Wenn ich Ihnen dieses Zeichen gebe…”

Kaylie hatte das schon unzählige Male gehört und nutzte die Zeit, um sich zu entspannen.

“Ruhe bitte!” rief Jim. “Fünf… vier… drei…”

Die Einga ngsmusik ertönte, und Kaylie setzte ihr

Berufslächeln auf, als würde sie jeden Tag mit dem Arzt ihres Angreifers reden.

Alan begrüßte die Zuschauer, und dann sprachen sie über das Buch des Arztes und geistige Störungen im Allgemeinen. Als Johnstons Name fiel und Filmaufnahmen von der Premiere vor sieben Jahren gezeigt wurden, mußte Kaylie sich beherrschen, um nach außen hin ruhig zu bleiben. Sie erkundigte sich bei dem Arzt nach dem verletzten Pfleger, und kurz darauf war das Interview zu Ende.

Die weiteren Beiträge stand Kaylie nur mit äußerster

Konzentration durch, und als die Show vorbei war, verließ sie sofort den Senderaum. In ihrem Zimmer erledigte sie die Post und sammelte Ideen für kommende Sendungen, damit sie nie wieder in eine solche Zwangslage kommen konnte.

Um drei Uhr betrat Alan ihren Raum. Er strahlte. “Hast du schon gehört? Die Telefone stehen nicht mehr still. Es war ein Riesenerfolg!”

Kaylie konnte die Begeisterung nicht teilen. “Ach, ja?” sagte sie müde.

“Und es kommt noch viel besser. Mein Agent hat mich angerufen. Für die Fortsetzung von ‘Besessen’ hat sich ein Produzent gefunden, und sie haben schon einen Drehbuchautor beauftragt, der die Geschichte schreibt! Was sagst du dazu?”

Kaylie wußte nichts zu erwidern. Sie wollte Alan nicht enttäuschen. “Ich weiß nicht”, meinte sie schließlich ausweichend.

“Hast du Angst? Angst, daß der Film keinen Erfolg hat? Oder ist es etwas anderes?” Er kam auf sie zu. “Sag bloß, es ist Flannery. Fürchtest du dich vor seiner Reaktion?”

Jetzt konnte Kaylie sic h nicht mehr beherrschen. “Ich will mit dir nicht darüber streiten. Noch habe ich kein Angebot erhalten, und deshalb erübrigt sich jede Diskussion.”

Alan seufzte auf. “Kaylie! Wir reden hier über einen großen Film! Und du willst nicht darüber sprechen? Was ist los mit dir?”

“Vielleicht benutzt sie lediglich ihren Verstand”, mischte Don sich ein, der in der Tür stand. Aus seinem Gesicht sprach unterdrückte Wut.

Langsam griff Don in seine Jackentasche und holte eine Kassette hervor, die er auf Kaylies Schreibtisch warf. “Könnten Sie das hier vielleicht erklären, Alan?”

“Was? Eine Kassette? Soll ich jetzt raten, was drauf ist?”

Alan hob fragend die Schultern. “Was ist denn los, Flannery?”

Aber Kaylie konnte es sich denken. Es war die Kassette mit Teds Anrufen. Dachte Don etwa, daß Alan dahintersteckte? Das konnte nicht sein.

“Auf dem Band ist die Stimme eines gewissen Ted”, antwortete Don ruhig. “Seinen Nachnamen kenne ich nicht, aber vielleicht können Sie mir da weiterhelfen.”

“Ich?” Alan riß die Augen weit auf.

Don legte die Kassette in Kaylies Radiorecorder ein.

“Don, ich glaube nicht, daß…” setzte Kaylie an, doch sie wurde von Teds Stimme unterbrochen.

Alan blickte den Recorder an, als könne er nicht glauben, was er da hörte. Don setzte sich auf die Tischkante von Kaylies Schreibtisch. “Es ist die Stimme einer Frau, und ich bin überzeugt, Sie kennen den Namen dieser Frau”

“Das ist eine Frau? Aber…”

“Sie hat die Stimme verstellt, aber bestimmt kennen Sie sie.”

“Haben Sie jetzt vollkommen den Verstand verlo ren?” regte Alan sich auf.

“Ich glaube, nicht.” Don machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: “Ich habe bei der Telefongesellschaft angerufen.

Wußten Sie, daß dort alle Femgespräche der letzten Wochen gespeichert werden? Von Ihrem Anschluß hier im Sender aus wurde die Polizei in Carmel in der Nacht angerufen, als Kaylie angegriffen wurde. Dann haben Sie noch ein paar Zeitschriften und Klatschblätter angerufen. Leider gibt es keinen Anruf von Ihnen zu meinem Büro, aber wir kennen die Gegend, aus der Teds Anrufe kamen. Wahrscheinlich steckt eine Freundin von Ihnen dahinter. Meine Leute gehen dieser Spur gerade nach.”

“Das ist lächerlich.” Alan blickte Don haßerfüllt an.

Kaylie traute ihren Ohren nicht. Alan würde doch nicht ihr Leben aufs Spiel setzen.

“Es ergibt schon einen Sinn, Bently”, fuhr Don fort und spielte das Band noch einmal ab. Alans Gesicht war

schweißnaß. “Sie sehnen sich seit anderthalb Jahren nach mehr Ruhm. Deshalb haben Sie Gerüchte über sich und meine Frau in die Welt gesetzt. Gleichzeitig haben Sie mit Dr. Henshaw Kontakt aufgenommen und von ihm erfahren, daß Johnston möglicherweise entlassen werden könnte. Seine Flucht konnten sie nicht vorhersehen, aber auch die haben Sie sofort ausgenutzt.”

“Sie irren sich, Flannery.”

“Wirklich?” Don wandte sich an Kaylie. “Warum, glaubst du, ist Dr. Henshaw hier in die Show gekommen?”

“Wegen seines Buchs”, antwortete sie.

Don nickte. “Und wegen der Filmrechte, die mit dem Buch zusammenhängen. Dafür wird er Alans, deine und auch meine Zustimmung brauchen. Weil wir in der ganzen Geschichte mit drinhängen.”

Alan wurde blaß. “Sie lassen Ihrer Phantasie ziemlich freien Lauf.”

“Finden Sie?” Don blickte Alan durchdringend an. “Um ehrlich zu sein, ich habe mich mit dem Doktor bereits eingehend unterhalten. Er hat sich an die Gespräche mit Ihnen erinnert.

Unter anderem hat er Sie in der Nacht von Johnstons Flucht angerufen. Damit Sie aus der Geschichte Ihren Nutzen ziehen konnten.”

“Wirklich lachhaft!”

“Zuerst dachte ich, daß Henshaw Johnston bei der Flucht geholfen hätte, aber er hat mich vom Gegenteil überzeugt. Als er erfuhr, daß Sie hinter diesen Anrufen von ‘Ted’ stecken und damit seine vertraulichen Informationen weitergeleitet haben, hat er mir alles erzählt. Und im Moment”, Don beugte sich näher zu Alan, “erzählt er der Polizei, daß Sie und er die Situation von Johnstons Flucht ausgenutzt haben. Er rief sie in jener Nacht hier an, und Sie haben die Polizei in Carmel alarmiert. Warum?”

“Das habe ich nicht.”

“Ich weiß es von der Telefongesellschaft, Bently.”

Kaylie war am ganzen Körper verspannt. Alan konnte doch nicht ihr Leben in Gefahr gebracht haben!

Alan wandte sich ihr zu. Schlagartig wirkte er vollkommen verstört. Er schlug die Hände vor das Gesicht und sank in sich zusammen. “Ich wollte niemanden in Gefa hr bringen”, flüsterte er.

“Oh, Alan. Nein!” Tränen der Wut stiegen in ihr hoch. “Sag, daß du das nicht getan hast!”

“Doch”, gab er zu. Seine Worte waren kaum zu hören. “In jener Nacht rief Johnston mich hier im Sender an und hat nach dir gefragt. Ich wußte nicht, wer er war, aber ich habe es vermutet. Kurz darauf rief Henshaw an und hat mir die Neuigkeiten erzählt.”

“Warum nur?” brachte Kaylie ungläubig hervor.

“Sie haben Johnston Kaylies Adresse in Carmel gegeben”, drängte Don unnachgiebig weiter.

“Aber ich habe fast sofort danach die Polizei angerufen.”

Flehend blickte er zu Kaylie. “Ich wußte doch nicht, daß er schon auf halbem Weg zu dir war. Er muß per Anhalter

gefahren sein oder so. Ich rief Henshaw zurück und sagte ihm, ich hätte mich um alles gekümmert. Und dann schlug ich ihm einen gemeinsamen Film über Johnstons Leben vor. Ich sagte ihm, daß die Öffentlichkeit sicher gespannt auf so einen Film sei.” Er tat so, als sei die Sensationslust des Pubükums eine ausreichende Entschuldigung.

“Deshalb war er bereit, in der Show aufzutreten”, bohrte Don weiter.

“Ja. Er wollte sein Buch vorstellen und das öffentliche Interesse auf Johnston lenken.”

“Sie sollten lieber einen Anwalt anrufen, Bently”, schlug Don verächtlich vor. “Sie brauchen einen guten, zumal die Polizei hier jeden Augenblick auftauchen kann. Ich habe einen vollständigen Bericht abgegeben.” Er griff über den Tisch hinweg nach Kaylies Hand. “Laß uns von hier verschwinden.”

Ohne nachzudenken, nahm sie ihre Handtasche und stand auf. Aber mit einemmal kam ihr die Situation völlig unwirklich vor. Alan, der Mann, mit dem sie seit Jahren

zusammenarbeitete, sollte sie hintergangen und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, nur um seine Karriere zu fördern? Wie hatte sie so blind sein können?

“Kaylie”, setzte Alan an. Seine Stimme war unsicher. “Es …

es tut mir leid.”

“Mir auch”, brachte sie mühsam heraus und ließ sich von Don hinausführen. Unten in der Halle standen bereits

Polizeibeamte und zahlreiche Fotografen und Reporter. Sofort wurden ihr Mikrofone vo

r das Gesicht gehalten, und die

Kameras verfolgten Don und sie, während sie sich einen Weg nach draußen bahnten.

Don drängte die Leute von der Presse zur Seite. Er kam sich wieder wie der Leibwächter vor, der den Star an seiner Seite beschützen muß.

“Ich bin gespannt, wie sie den kleinen Mistkerl empfangen, wenn er das Gebäude verläßt”, sagte Don, als sie sich ins Auto setzten.

“Mit dem sogenannten Mistkerl arbeite ich seit Jahren zusammen.”

“Du hast mein aufrichtiges Mitgefühl. Das sage ich dir als Ehemann, Leibwächter, Geliebter und Vater deiner ungeborenen Kinder.”

Er berührte ihre Hand, und Tränen traten ihr in die Augen. Ja, er hat recht, dachte sie. Er bedeutet mir alles. “Ich möchte am liebsten meine Hände um deinen Hals legen und dich würgen”, sagte sie schwach.

“Vielleicht läßt du deiner Phantasie ein bißchen mehr freien Lauf. Meine sämtlichen Körperteile stehen dir zur Verfügung.”

Verführerisch lächelte er ihr zu.

“Du weißt, was ich meine”, entgegnete sie, konnte aber ein Schmunzeln nicht unterdrücken. “Du hast versprochen, mich mein eigenes Leben führen zu lassen.”

“Aber ungeklärte Dinge wie diese Anrufe von Ted ertrage ich einfach nicht.” Er bog in die Tiefgarage des Apartmentblocks ein. “Dann gab es da noch diesen Anruf bei der Polizei, die Gerüchte in den Zeitschriften und die Rolle von Dr. Henshaw.

Das alles mußte ich einfach klären.”

***

Kaylie und Don fuhren im Fahrstuhl hinauf ins Apartment, wo Franklin sie begrüßte. Während Don den Hund ausführte, durchstöberte Kaylie die Speisekammer und fand eine Flasche Champagner.

Eigentlich sollte ich wütend auf ihn sein, überlegte sie. Statt dessen beruhigte es sie, daß jetzt alles aufgeklärt war. Was ihre Arbeit betraf, hatte er sich nicht eingemischt, und sogar, als sie erwähnte, daß sie vielleicht wieder in einem Film mitspielen werde, hatte er nichts erwidert. Er bemühte sich wirklich, sich zu bessern.

Kaylie öffnete die Flasche und füllte zwei Sektflöten. Dann goß sie auch etwas in den Hundenapf. Als Don mit Franklin zurückkam, stellte sie dem Hund den Napf hin und reichte Don das Sektglas.

“Gibt es einen Anlaß?” erkundigte Don sich.

“Laß uns feiern.”

“Was denn?”

“Meine neue Unabhängigkeit.” Noch während Kaylie sprach, fing Franklin an, den Napf leerzusaufen.

“Das klingt gefährlich”, stellte Don fest und legte ihr einen Arm um die Taille. Kaylie lachte auf, und sie stießen miteinander an.

“Du mußt wissen”, fuhr sie fort, “ich bin so unabhängig geworden, daß es mir überhaupt nichts mehr ausmacht, wenn mein Ehemann sich in meine Angelegenheiten einmischt.”

“Ich mische mich niemals ein”, widersprach Don.

Lachend schlang Kaylie die Arme um seinen Nacken.

“Lügner”, sagte sie leise. “Aber ich liebe dich trotzdem. Oder gerade deswegen.”

“Ich habe dich immer geliebt”, antwortete er sanft und küßte sie. “Und ich werde es immer tun.”

-ENDE