13. KAPITEL

Kaylie ließ Don nicht allein, obwohl die Ärzte ihr

versicherten, daß er nicht schwer verletzt sei und wieder gesund werde. Johnston hatte mit dem Messer lediglich seinen Schultermuskel verletzt. Eine Zeitlang würde Don den Arm nicht richtig bewegen können, doch schon bald würde er nichts mehr von der Verletzung spüren. Trotz dieser beruhigenden Worte blieb Kaylie über Nacht im Krankenhaus.

“Er hat ein Schlafmittel bekommen und wird in den nächsten Stunden nicht aufwachen”, teilte Dr. Ripley ihr mit. “Im Moment können Sie nichts für ihn tun. Und voraussichtlich kann er schon morgen entlassen werden.”

“Ich möchte bei ihm sein, wenn er aufwacht”, beharrte Kaylie.

“Aber eine der Schwestern kann Sie dann anrufen.” Dr.

Ripley war ein schlanker Mann um die Fünfzig. Sein ganzes Gesicht war mit Sommersprossen bedeckt, genau wie sein Hals und seine Arme. In seinem roten Haar zeigten sich erste graue Strähnen, doch er wirkte lebhaft wie mancher Dreißigjährige.

“Ich warte trotzdem lieber. Es ist wichtig.”

Der Arzt gab immer noch nicht nach und wies mit einer Hand auf Don. “Wenn er aufwacht, wird er nicht gerade in bester Stimmung sein.”

“Das macht mir nichts aus.”

“Na gut, wie Sie meinen.” Dr. Ripley wandte sich an eine Schwester und sagte ihr, daß Kaylie über Nacht bleiben werde.

Sie verbrachte die Nacht auf einem Stuhl. Hin und wieder nickte sie ein und schreckte hoch, sobald sie zusammensank. In dem Raum wurde es nie richtig dunkel. Vom Parkplatz drang Licht durch die Jalousien, und auch auf dem Gang brannte die ganze Zeit über Licht.

In den kurzen Momenten, in denen sie einschlief, durchlebte sie immer wieder den schrecklichen Überfall von Lee Johnston.

Sie sah das Messer, das sich in Dons Rücken gebohrt hatte, und Johnstons kalten ausdruckslosen Blick. Beim Aufwachen stellte sie fest, daß sie nur geträumt hatte und Don noch am Leben war.

Vor Erleichterung kamen ihr die Tränen.

Don blinzelte und drehte sich etwas zur Seite. Sofort spürte er den stechenden Schmerz in seiner Schulter und stöhnte auf.

Undeutlich erinnerte er sich an den Verrückten mit dem Messer.

Kaylie! Wo war sie? Wieder blinzelte er, das grelle Licht schmerzte ihn in den Augen.

“Don?”

Kaylies Stimme brachte ihm schlagartig tiefe Erleichterung.

Ein Glück, daß sie am Leben war! Jetzt konnte Don sich erinnern, daß er sich auf Johnston geworfen hatte, um ihm das Messer zu entreißen.

Nach einer Weile konnte er Kaylie erkennen, die neben seinem Bett saß und ihn voller Sorge ansah. Ihr Haar war zerzaust und ihre Kleidung zerknittert und mit Blut beschmiert.

Ihre Augen waren gerötet.

Sie war einfach phantastisch. Don brachte ein Lächeln zustande. “Du siehst genauso aus, wie ich mich fühle.”

Tief durchatmend kämpfte sie gegen die Tränen an.

“Willkommen im Kreis der Lebenden.”

“Anscheinend ist das noch nicht so sicher.” Er bemerkte das Krankenhausbett und den Tropf, an den er angeschlossen war.

Stöhnend versuchte er, sich aufzusetzen, doch Kaylie drückte ihn sanft zurück.

“Ganz langsam, Cowboy”, sagte sie mit leicht bebender Stimme. “Wir haben alle Zeit der Welt.”

“Wirklich?” fragte er langsam nach.

Seufzend stieß sie die Luft aus. “Den ganzen Rest des Lebens.”

“Na, na, Miss Melville”, sagte er mit tiefer Stimme. Mit einemmal verspürte er nichts mehr von seinen Schmerzen.

“Machen Sie mir einen Antrag?”

Kaylie mußte lachen und wischte sich die Tränen weg. “Da kannst du dich drauf verlassen. Und ich habe nicht die Absicht Witwe zu werden, noch bevor ich geheiratet habe. Also paß auf dich auf.”

“Jetzt fängst du also an, mir Vorschriften zu machen.”

“Die du gefälligst zu befolgen hast”, fügte sie hinzu. “Irgend jemand muß dich schließlich beschützen.”

Auch Don muß te lachen. “Dann bist du jetzt meine Leibwächterin?”

“Nein, Don. Deine Frau.”

Er streckte den Arm aus und zuckte vor Schmerz zusammen.

Vor Rührung brachte er zunächst keinen Ton heraus. “Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich darauf gewartet habe, daß du das zu mir sagst”, gab er zu und nahm ihre Hand. “Wenn ich bloß einen Recorder hier hätte, damit ich notfalls Beweise habe.”

“Keine Angst. Meine Entscheidung ist endgültig.”

“Zeit fürs Frühstück!” Eine Krankenschwester stieß mit einem Tablettwagen die Tür auf. “Aber vorher muß ich bei Ihnen noch Temperatur und Puls messen. Und …”

Don stöhnte unwillig auf, und die Schwester blinzelte Kaylie zu. “Anscheinend geht’s dem Herrn schon besser. Warum gehen Sie nicht runter in die Cafeteria und holen sich etwas zu essen oder einen Kaffee?”

“Klingt verlockend”, willigte Kaylie ein.

Kaylie ging in den Waschraum, kämmte sich und wusch sich das Gesicht. Heute siehst du nicht gerade wie die strahlende Moderatorin aus, dachte sie schmunzelnd. Beim Gedanken an ihren Job packte sie den Kamm hastig zurück In die Handtasche und lief in die Eingangshalle. Von dort aus rief sie beim Sender an und ließ sich mit Jim Crowley verbinden.

“Du bist auf den Titelseiten”, verkündete Jim, als er abhob.

“Und nicht nur bei den Klatschblättern.”

“Das überrascht mich nicht”, erwiderte sie.

“Alles in Ordnung mit dir?”

Zum erstenmal dachte Kaylie an sich. Die entsetzlichen Erlebnisse machten ihr noch zu schaffen, trotzdem fühlte sie sich so gut wie seit Jahren nicht mehr. Sie liebte Don und würde für den Rest ihres Lebens mit ihm Zusammensein. “Mir geht’s gut”, versicherte sie.

Einen Augenblick schwieg Jim. “Bist du sicher?”

“Ganz sicher.”

“Ich schätze, du kommst heute nicht mehr.” Er klang fast hoffnungsvoll.

Kaylie lachte auf. “Nein, heute nicht.”

“Das macht nichts. Alan hat schon gesagt, daß er es allein schafft, obwohl er dich am liebsten interviewen würde.”

“Auf keinen Fall.”

“Das dachte ich mir. Na ja, dann sehen wir uns am Montag wieder.”

Sie verabschiedete sich und ging in die Cafeteria. Dort aß sie zwei Sandwiches und trank Kaffee dazu. Von den übrigen Gästen wurde sie ständig beobachtet. Ein paar Gesprächsfetzen konnte sie aufschnappen. “Kaylie Melville … ja, Kanal fünfzehn

… ein Verrückter hat sie überfallen … genau, es war der gleiche

… anscheinend einen Freund von ihr verletzt… liegt hier im Haus … nein, nicht Bently … Was? Ihr Ex Mann? … Was hat sie denn mit dem zu tun?”

Kaylie brachte ihr Tablett weg und kaufte sich eine Zeitung.

Gleich auf der ersten Seite stand der Bericht mit Fotos von ihrem Haus in Carmel und älteren Bildern von Don, Lee Johnston und ihr in der Premierennacht von “Besessen”. “Na prima”, sagte sie verärgert. “Einfach toll.”

Flüchtig blätterte sie die Zeitung durch und entschied, daß Don noch nicht in der Verfassung war, um ihm die Artikel zu zeigen. Auf dem Weg zu seinem Zimmer warf sie die Zeitung in einen Mülleimer.

Die Schwester war gegangen, und Don hatte sein Frühstück nicht angerührt. Er hatte sich im Bett halb aufgesetzt und sah fern. Ein Nachrichtensprecher berichtete gerade von Johnstons Flucht und seinem Angriff auf Kaylie.

“Alle Welt spricht von dir”, stellte er nüchtern fest.

“Von dir auch.”

Don verdrehte die Augen. “Das alles gefällt mir nicht”, sagte er. “Durch den ganzen Rummel werden doch lediglich andere Verrückte ermutigt, sich auch auf diese Weise in die

Nachrichten zu bringen.”

“Ich nehme aber an, daß ich nicht mehr in Gefahr bin”, entgegnete Kaylie. “Johnston ist wieder in Verwahrung.”

“Von seiner Sorte gibt es noch viel mehr.”

“Das ist der Preis für den. Ruhm.” Sofort ärgerte sie sich über die Bemerkung. Damit waren sie wieder bei ihrem ewigen Streitthema angekommen. Don bediente die Fernbedienung und schaltete auf die West Coast Morning-Show um.

“Mal hören, was deine Leute darüber erzählen”, bemerkte er.

Kaylie erzählte ihm lieber nicht, daß Jim bereits an ein Interview mit ihr dachte.

Alans todernstes Gesicht erschien auf dem Bildschirm.

“Heute leite ich die Show allein”, begann er, “denn in der letzten Nacht ist Kaylie Melville von einem Geistesgestörten

angegriffen worden. Der Täter ist gefaßt worden, und fast dieselbe Tat hat er bereits vor sieben Jahren verübt. Opfer war auch damals Kaylie Melville.”

Entsetzt blickte Kaylie auf das alte Foto von der Premiere damals. Jeder Augenblick der Tat war damals von den

unzähligen Reportern festgehalten worden.

“Genau wie damals hat auch in der letzten Nacht Kaylies Ex-Mann, Don Flannery, sie gerettet, indem er…”

Alan erzählte immer weiter und gab schließlich sogar

öffentlich zu, daß Kaylie und er lediglich Freunde seien, und er wünschte ihr alles Gute.

“Ich glaube, mir wird gleich schlecht.” Don schaltete aus.

“So läuft das Geschäft nun mal”, erwiderte Kaylie matt. Sie hatte keine Lust, länger über Alans Geschwätz und die vergangene Nacht zu reden. Hauptsache, Don und sie waren zusammen.

***

Don wurde kurz nach Mittag entlassen, nachdem Dr. Ripley Kaylie und ihn noch einmal eindringlich daran erinnerte, daß Don sich schonen müsse. Es war Don peinlich, daß Kaylie ihn im Rollstuhl aus dem Krankenhaus fuhr und ihm auf den Beifahrersitz seines Jeeps half. Als sie sich hinter das Lenkrad setzte, mußte sie schmunzeln.

“Wohin fahren wir?” wollte er wissen.

“Rate mal.”

Prüfend sah er sie an. “Erzähl mir nicht, daß du mich in eine entlegene Berghütte entführst.”

Sie lachte. “Ich habe daran gedacht, aber wir fahren woandershin.”

“Wohin?”

“Zu einem See namens Lake Tahoe”, antwortete sie belustigt.

“Dort gibt es ein wunderschönes kleines Dorf samt Rathaus.”

“Das meinst du nicht ernst!”

“Doch, großes Ehrenwort!” Sie hob schwörend eine Hand.

“Und was ist mit Franklin?”

“Deine Nachbarin, Mrs. Howatch, kümmert sich das Wochenende über um ihn. Hoffentlich weiß sie, worauf sie sich einläßt.”

“Keine Sorge, Franklin mag sie”, antwortete Don.

“Oh, dann hat er also nur mit mir Probleme?” spöttelte sie.

“Er wird sich an dich gewöhnen. Schließlich habe ich das auch geschafft. Na los, fahren Sie schon, Miss Melville.” Er lehnte sich zurück und ließ Kaylie nicht aus den Augen.

Sie war glücklich. Endlich konnte sie sich ohne Zweifel auf ein Leben mit Don freuen. Sie würde die Mutter seiner Kinder werden und zusammen mit ihm alt werden. Keine Wutausbrüche mehr, keine ewigen Streitereien.

Sie fuhr direkt zum Rathaus an dem See und half Don aus dem Wagen. Als er sich beschwerte, daß niemand ihnen einen jubelnden Empfang bereitete, schlug Kaylie vor, sofort wieder zurück in die Stadt zu fahren. “Vielleicht war die Idee mit dem Heiraten doch nicht so gut”, meinte sie nachdenklich.

Don riß sie so ungestüm in die Arme, daß ihr die Luft wegblieb. “Um nichts in der Welt lasse ich dich jetzt wieder los”, flüsterte er ihr ins Ohr.

Unschuldig blickte sie zu ihm auf. “Wie du meinst, Liebling.”

Eine halbe Stunde später waren Kaylie und Don verheiratet.

Zwei Mitarbeiter des Standesbeamten spielten die Trauzeugen und beglückwünschten die beiden herzlich.

“Nicht so beeindruckend wie unsere erste Hochzeit”, bemerkte Don, als sie wieder im Jeep saßen.

“Dafür aber diesmal von Dauer”, fügte Kaylie hinzu.

“Glaubst du?” Belustigt sah er zu ihr hinüber.

“Ganz bestimmt!”

“Und wohin geht es jetzt?”

“Zum Beispiel könnten wir in ein reizendes Hotel fahren, und

…” Sie senkte die Stimme verführerisch und strich ihm über den Schenkel. “… dort könnten wir mit den Flitterwochen anfangen.”

Er legte die Hand auf ihre. “Du sprichst mir aus der Seele.”

“Na dann los.” Mit quietschenden Reifen fuhr sie von dem Parkplatz zu einem der zahlreichen kleinen Hotels mit Seeblick.

Die Promenade am Ufer war von hohen Pinien gesäumt. Jedes Zimmer besaß einen kleinen Balkon, der von Efeu umrankt war.

“Das kommt deiner paradiesischen Hütte in den Bergen doch ziemlich nah, oder?”

“Na, es wird schon reichen.” Don tat so, als sei es ihm vollkommen egal, wie das Hotel aussah.

Sie brauchten zwanzig Minuten, um sich anzumelden und ihr weniges Gepäck ins Zimmer bringen zu lassen. Ungeduldig gab Don dem Kofferjungen ein Trinkgeld und schloß die Tür ab.

“Mrs. Flannery, was sagten Sie doch gleich bezüglich unserer Flitterwochen?”

Lachend schmiegte sie sich in seine Arme und erwiderte seinen hungrigen Kuß. Don achtete nicht auf die Schmerzen in seiner Schulter und versank in dem Gefühl, Kaylie als seine Frau zu umarmen.

Als er ihr hastig die Kleider auszog, dachte er einen kurzen Augenblick daran, in welcher Gefahr sie sich gestern noch befunden hatte. Daraufhin zog er sie noch enger an sich, als könne er dadurch alle Gefahren von ihr abhalten.

Ihr Körper war warm und weich. Don streichelte ihre nackten Schultern mit den Fingerspitzen, und Kaylie erbebte unter der Berührung. Sie öffnete die Lippen, und er drang mit der Zunge in ihren Mund ein. Es kam ihm vor, als liebkose sie ihn am ganzen Körper gleichzeitig, als könne auch sie es nicht erwarten, eins mit ihm zu werden.

Sie hatte keine Zeit zu verschenken. Mit beiden Händen schob sie ihm das Hemd von den Schultern, und er zuckte unmerklich zusammen, als sie an seinen Ärmeln zog und sich dabei seine Schulter bewegte.

“Liebe mich, Don”, sagte sie flüsternd und küßte seine Brust.

Sobald er ihre Zunge auf der Haut spürte, erwachte in ihm unbändiges Verlangen. Sie strich mit der Zungenspitze über seine Brustwarzen und stachelte damit seine Lust noch weiter an.

Aufstöhnend drängte er sie zum Bett und drückte sie sanft auf die weichen Kissen. Mit Händen und Lippen umfuhr er den Saum ihres BHs und küßte durch den dünnen Stoff hindurch ihre Brustspitzen, die sich lustvoll aufrichteten. Immer wieder strich er über ihre runden Brüste, und Kaylie wand sich rastlos unter den Liebkosungen. Sie bäumte sich ihm entgegen und preßte drängend die Hüft en an ihn.

Er wollte diesen Moment auskosten und die Vereinigung mit Kaylie hinauszögern, doch sein Körper war anderer Meinung.

Ungeduldig streichelte Don ihre Brüste und Schenkel und zog ihr mit zitternden Fingern die Unterwäsche aus.

Kaylie streifte ihm die Boxershorts ab. Bebend vor

Leidenschaft beugte Don sich über sie.

Als er kraftvoll in sie eindrang, durchschoß ihn ein

brennender Schmerz aus der Schulter. Nur das Gefühl, eins mit ihr zu sein, war stärker als dieser Schmerz. Er konnte nicht aufhören, und Kaylie erwiderte jede seiner Bewegungen. Auf dem Gipfel der Lust, den er gleichzeitig mit Kaylie erreichte, fühlte er nur noch Kaylies heißen Körper und die Erfüllung seines eigenen Begehrens.

“Kaylie, mein Liebling”, stieß er heiser hervor und gab sic h den Schauern hin, die ihn durchliefen, als er ein letztes Mal tief in sie eindrang. Kaylie spannte sich unter ihm an und hielt im Augenblick des Höhepunkts den Atem an.

Don sank aufs Bett und umklammerte Kaylie, als würde er sie verlieren, sobald er sie losließ. Vom Verstand her wußte er, daß sie für immer bei ihm bleiben wollte, doch er war so lange von ihr getrennt gewesen, daß er sie am liebsten auch nicht für eine Sekunde allein lassen wollte. “Ich liebe dich”, flüsterte er an ihrer Schläfe.

Kaylie stützte sich auf einen Ellbogen und blickte Don eindringlich an. “Eigentlich hat der Arzt dir Anstrengungen ja verboten”, zog sie ihn auf.

“Das ist bei einem Leben mit dir unmöglich.”

Lachend warf sie den Kopf in den Nacken. “Ich verspreche, daß ich mich bemühen werde, pflegeleicht zu sein.”

“Keine falschen Versprechungen, bitte.”

“Gib es zu, du willst es gar nicht leicht haben.”

“Wie gut du mich kennst.” Schmunzelnd zog er sie wieder in die Arme und vergaß vollkommen, was der Arzt ihm geraten hatte.

***

“Was bist du? Verheiratet?” Alan starrte Kaylie mit offenem Mund an. “Mit Flannery?” Offensichtlich könnte er das nicht glauben. “Aber du kannst doch nicht… Immerhin hat er… er hat…”

“Er ist mein Ehemann”, unterbrach sie ihn und rieb einen Apfel mit einer Serviette ab. Sie saß mit Alan in der Cafeteria des Fernsehsenders.

Alan versuchte, die Neuigkeiten zu verarbeiten. “Also, ich habe alles über Johnstons Flucht gelesen”, sagte er. “Du mußt dich zu Tode gefürchtet haben. Schließlich hast du so etwas ja schon einmal erlebt. Aber ihn gleich zu heiraten? Meine Güte, Kaylie, was hast du dir bloß dabei gedacht?”

“Daß ich ihn liebe”, sagte sie lächelnd und goß sich einen Kaffee ein.

“Das dachtest du früher schon mal.”

“Und ich habe mich auch damals nicht getäuscht.” Sie hatte keine Lust, sich mit Alan zu streiten. “Die Fehler von einst werden wir nicht wiederholen.”

Alan schien noch weiter diskutieren zu wollen, hielt jedoch den Mund. Kopfschüttelnd hob er die Arme hoch. “Na, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir zu gratulieren.” Zu Kaylies Überraschung umarmte er sie. “Viel Glück, Kaylie. Ich habe dir immer nur das Beste gewünscht. Hoffentlich wirst du diesmal glücklich.”

Fast hätte sie ihren Kaffee verschüttet. “Das werde ich.

Danke, Alan.”

Margot konnte sich vor Freude gar nicht beruhigen, als Don und Kaylie mit einer Flasche Champagner vor ihrer Tür standen, um zu feiern. “Ich freue mich so für euch!” rief sie, und Tränen liefen ihr über das Gesicht. “Schade nur, daß dieser Johnston erst auftauche n mußte, damit ihr zueinander findet.”

“Wenigstens haben wir beide es überstanden”, sagte Kaylie.

“Er wird auf Jahre nicht entlassen werden.”

“Wollen wir es hoffen”, sagte Don zögernd.

Kaylie wollte nachfragen, was er dachte, doch Margot

wechselte das Thema, und kurz darauf hatten sie alle drei Lee Johnston vergessen.

Die darauffolgenden Wochen vergingen wie im Flug. Kaylie zog zu Don in sein Apartment und verbrachte die Abende nach der Arbeit damit, ihre Sachen umzuräumen. Don, der sich immer noch nicht ga nz erholt hatte, ging jeden Tag nur für ein paar Stunden ins Büro. Abends schmiedeten sie gemeinsam Pläne für die Zukunft, und auch Franklin gewöhnte sich allmählich an Kaylie.

Hin und wieder stritten Don und Kaylie sich, doch sie bemühte sich, ihr Temperament im Zaum zu halten, und auch Don gab sein Bestes, sie tun zu lassen, was sie für richtig hielt.

Alles in allem schien ihre Ehe glücklich zu werden,

abgesehen von den Momenten, wenn in den Zeitungen über Kaylie berichtet wurde. Dann regte Don sich ständ ig darüber auf, daß ihr Privatleben an die Öffentlichkeit gezerrt wurde.

Doch nach und nach nahm Don auch die Artikel in der

Sensationspresse gelassener hin.

Ein vorbildlicher Ehemann, dachte Kaylie, als sie eines Morgens auf dem Parkplatz des Senders ankam. Die Stadt lag im Nebel, und Kaylie fröstelte.

Unbewußt blickte sie sich um. Vielleicht stand auch heute wieder der silberfarbene Wagen wie so oft auf der anderen Straßenseite. Aber dann rief sie sich zur Ordnung. Johnston war eingesperrt, was hatte sie noch zu befürchten? Außerdem stand hin und wieder auch ein blauer Kombi auf demselben Parkplatz.

Wer sollte ihr folgen? Möglicherweise handelte es sich lediglich um eine Fahrgemeinschaft.

Sie schloß den Wagen ab und ging ins Sendegebäude, wo Tracy ihr entgegenkam. “Hier sind die neusten Informationen über die heutigen Gäste. Außerdem wirst du dringend in Jims Büro erwartet. Alan ist auch da.”

“Dringend?” fragte Kaylie nach. “Was ist passiert?”

“Es gibt ein Problem mit der Gästeliste. Am Freitag fällt jemand aus.”

“Und deshalb müssen wir uns sofort treffen?”

“Du wirst schon sehen.” Tracy rollte mit den Augen. “Alan zieht gerade wieder seine große Show ab.”

Da hat Tracy recht, stellte Kaylie fest, als sie in Jims Büro trat. Alan setzte augenblicklich sein charmantestes Lächeln auf.

“Es gibt Schwierigkeiten?” erkundigte Kaylie sich.

“Am Freitag fallen zwei Gäste aus”, erklärte Jim und griff nach seinen Zigaretten. “Der Schriftsteller und diese Schauspielerin.”

“Ich dachte, Tracy hat eine Liste mit Leuten aus der Umgebung, die liebend gern einspringen würden”, wunderte Kaylie sich.

“Die sind wir schon durchgegangen”, antwortete Alan. “Aber eine klare Zusage haben wir von niemandem bekommen.

Deshalb …” Er blickte einen Augenblick zu Jim und beugte sich dann vertraulich zu Kaylie hinüber. ” … habe ich Dr. Henshaw angerufen. Du weißt schon, der Arzt von Lee Johnston.”

“Ich kenne diesen Mann.”

“Und ich habe ihn gefragt, ob er in die Show kommen würde.”

“Was hast du? ” Sie traute ihren Ohren nicht. Das durfte doch nicht wahr sein!

“Sieh mal, Kaylie, die Öffentlichkeit möchte alles über den Mann erfahren, der dich angegriffen hat. Und da du diese Sendung mit mir zusammen leitest, haben wir die besten Voraussetzungen, die Zuschauer über diesen Geisteskranken und das, was in ihm vorgeht, zu informieren.”

“Und die Polizei hat nichts dagegen?” Kaylie wandte sich an Jim. “Mischen wir uns damit nicht in Johnstons Prozeß ein?

Was ist mit Henshaws ärztlicher Schweigepflicht?”

Jim schüttelte den Kopf. “Du verstehst das falsch. Du würdest ihm nicht direkt Fragen über Johnston stellen. Wir würden uns von seinem Alltag in Whispering Hills erzählen lassen und darüber, was für Patienten er dort hat. Anschließend fragen wir ihn über Johnstons Flucht aus.”

“Das kann ich nicht glauben”, entgegnete sie schockiert. “Ich verstehe nicht, aus welchem Grund er sich darauf einläßt.”

Die beiden Männer blickten sich kurz an. “Nun ja”, sagte Jim langsam, “Henshaw verspricht sich etwas davon. Er hat seit Jahren an einem Buch geschrieben.”

“Was für ein Buch ist das?” wollte Kaylie wissen. Innerlich fürchtete sie sich vor der Antwort.

“Anscheinend hat er Untersuchungen gemacht. Über Leute, die Attentate auf Stars ausüben. Damit hat er schon begonnen, bevor er nach Whispering Hills kam.”

“Darf ich raten?” fragte Kaylie höhnisch. “Lee Johnston ist einer der Fälle aus seinem Buch.”

Alan grinste. “Erraten. Das Buch ist so gut wie fertig, und auf einmal interessieren sich auch einige Verleger dafür. Da ist ein bißchen Werbung vorteilhaft für ihn.”

“Und das alles nur, weil Johnston ausgebrochen ist und es diesen ganzen Presserummel um ihn gegeben hat”, stellte Kaylie fest. “

Alan strahlte, zufrieden. “Natürlich kann Henshaw nach Johnstons Verhandlung noch ein Kapitel hinzufügen.”

“Natürlich”, stimmte Kaylie spöttisch zu. “Und wie bitte hast du das alles herausgefunden?”

“Ich habe ihn angerufen.” Alan kam sich unglaublich schlau vor. “Alle sind an Johnstons Fall interessiert. Eigentlich wollte ich den Aufseher bekommen, den er bei der Flucht verletzt hat, aber das läßt weder die Heilanstalt noch die Polizei zu.”

“Aber, was Henshaw betrifft, sind alle einverstanden?”

“Solange wir nur über sein Buch und Johnstons Flucht sprechen. Über den Angriff auf dich dürfen wir uns nicht unterhalten.”

Kaylie konnte nicht länger ruhig bleiben. Sie schüttelte den Kopf. “Das kann ich nicht”, sagte sie. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie sah zu Jim. “Du verstehst doch sicher, weshalb ich das nicht schaffe, oder? Dieser Verrückte hat mich angegriffen. Fast hätte er Don getötet.”

“Oh, Kaylie”, mischte Alan sich ein. “Du darfst es nicht persönlich sehen. Hier geht es nur ums Geschäft.”

Tief atmete sie durch. Sie sollte den Arzt von Johnston wiedersehen und mit ihm über den Angriff vor sieben Jahren reden? Weswegen? Nur um die Neugier der Öffentlichkeit zu befriedigen? Damit Henshaws Buch sich besser verkauft? Oder um Alans Karriere zu fördern?

Stechende Kopfschmerzen plagten sie. Kaylie schüttelte den Kopf. “In diesem Fall kann ich Beruf und Privatleben nicht voneinander trennen.”

“Hast du einen besseren Einfall?” fragte Jim nach,

“Dutzende”, entgegnete sie und zählte alle Leute auf, die ihr einfielen, die man als Gäste einladen konnte. Gleichzeitig wußte sie, daß sie praktisch gegen eine Wand redete. Als sie Jims Büro verließ, stand fest, daß Dr. Anthony Henshaw am Freitag eingeladen wurde und daß Kaylie und Alan ihn interviewen durften.

Allein der Gedanke daran bereitete ihr Magenschmerzen.

Und Don würde sicher nur sagen, daß er ihr etwas Ähnliches vorausgesagt hatte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich auf das Gespräch einzustellen.

“Mach dir keine Sorgen”, sagte Alan, “wenn alles gut läuft, gibt es vielleicht nicht nur eine Fortsetzung von ‘Besessen’, sondern auch eine Verfilmung von Henshaws Buch.”

“Ach, Alan, hör endlich auf!” fuhr sie ihn an.

“Bleib ruhig, Kaylie. Das ist die beste Werbung, die wir uns nur wünschen können. Und auch wenn du schreckliche Angst hattest, es ist niemand ernstlich verletzt worden, stimmt’s?”

“Abgesehen von Don und dem Aufseher in der Heilanstalt”, antwortete sie wütend. “Aber die beiden können ihre Geschichten vielleicht auch verfilmen lassen!”

“Mit dir kann man einfach nicht vernünftig reden.” Alan nahm seine Aktentasche und verließ das Gebäude.

Kaylie hängte sich die Handtasche über die Schulter. Wie sollte sie das alles bloß Don erklären?