11. KAPITEL

Kaylie ließ Don über Nacht bleiben. Obwohl sie sich

eingestand, daß sie einen großen Fehler beging, wollte sie noch eine Nacht mit ihm glücklich sein, ohne an die Folgen zu denken.

Um fünf Uhr früh fiel es ihr schwer aufzustehen. Don drehte sich auf die andere Seite und seufzte, doch er wachte nicht auf.

Nachdem sie rasch geduscht hatte, zog Kaylie sich an und betrachtete Don, der zwischen den zerwühlten pfirsichfarbenen Laken lag.

Schmerzhaft verkrampfte sich ihr Magen, als ihr bewußt wurde, daß dies vielleicht das letzte Mal war, daß sie mit ihm eine Nacht verbracht hatte. Sie durfte sich gefühlsmäßig nicht wieder auf ihn einlassen, selbst wenn sich ein Teil von ihr danach sehnte, mit ihm wieder so glücklich zu sein wie während ihrer Ehe.

Sie liebte ihn mindestens genausosehr wie am Tag ihrer Hochzeit. Den Tränen nahe versuchte sie, sich auszumalen, wie alles gekommen wäre, wenn sie sich damals mehr Mühe

gegeben hätten.

“Hör auf damit”, sagte sie sich und legte sich eine Goldkette um. Mit dem Unterarm wischte sie sich über die Augen. Sie würde sich nicht in rührselige Erinnerungen fallen lassen.

“Was sagst du?” murmelte Don und öffnete mühsam ein Auge. “Womit aufhören?” Seine Wangen waren dunkel vom Bartwuchs, und das verwirrte Blinzeln seiner Augen hatte etwas Verführerisches. Er wirkte so kraftvoll und männlich, als er jetzt das Laken glattzog, daß Kaylie schnell wegsehen mußte, damit sie nichts Dummes sagte. “Hast du zu mir gesprochen?”

erkundigte er sich gähnend.

Energisch bürstete sie ihr Haar durch. “Nein, ich habe nur mit mir selbst geredet. Aber wenn du schon wach bist, dann denk doch dran, die Tür hinter dir fest anzuziehen, wenn du gehst.”

Sie machte ihren türkisfarbenen Rock zu und streifte sich ein gleichfarbiges Jackett über. “Und laß meine Ersatzschlüssel hier.”

“Wirfst du mich hinaus?” fragte er ungläubig und reckte sich.

Seine dunkle Haut stand in starkem Kontrast zu der hellen Bettwäsche. Sein braunes Haar fiel ihm in die Stirn, und er lächelte sinnlich.

“Ich glaube, es ist besser so.”

“Für wen?”

“Für dich natürlich”, entgegnete sie knapp und sah ihn im Spiegel an, während sie sich Ohrringe anlegte und etwas Parfüm auftrug. “Du wüßtest nie genau, wann ich versuche, dir meinen Willen aufzuzwingen.”

“Ich habe nichts dagegen!” Er zog mit einem Ruck die Bettdecke beiseite und lag vollkommen nackt vor ihr. Die behaarte Brust, die langen muskulösen Beine und…

Kaylie mußte schlucken, damit sie weitersprechen konnte.

“Es… es ist wirklich eine große Versuchung für mich, aber leider… Wirklich, ich muß gehen.”

“Melde dich doch krank”, schlug er vor.

“Auf keinen Fall!” Sie zog ockerfarbene hochhackige Schuhe an. “Schon gar nicht, nachdem ich mich so lange um meine arme kranke Tante Brenda kümmern mußte.”

Don lächelte strahlend. “Ich könnte dafür sorgen, daß deine Tante einen Rückfall bekommt.”

“Du bist unmöglich!” Kaylie lachte auf und lief aus dem Zimmer.

Don stand vom Bett auf und kam hinter ihr her. Kichernd rannte sie in die Küche, doch an der Hintertür holte er sie ein.

“Nicht, Don”, protestierte sie lachend, als er sie in die Arme zog und leidenschaftlich küßte. Sie wand sich und versuchte, sich zu befreien. Aber die Berührung seiner Lippen rief ihr die vergangene Nacht lebhaft ins Gedächtnis.

“Was soll ich nicht tun?” flüsterte er und fuhr mit der Zungenspitze über ihre Zähne.

Kaylie konnte nicht sprechen, bis er schließlich den Kopf hob.

“Bring meine Haare und meine Kleidung nicht

durcheinander, sonst…” Sie verstummte, als er sie wieder küßte und mit der Zunge in ihren Mund eindrang. Mit den Händen fuhr er ihren Rücken hinab bis zu ihrem Po und preßte sie an sich.

“Sonst was?” fragte er forschend, ohne die Umklammerung zu unterbrechen.

Kaylie konnte sich kaum auf den Beinen halten, und obwohl sie wußte, daß sie ihn von sich stoßen sollte, fand sie nicht die Kraft dazu. “Sonst könnte ich …”

“Mir deinen Willen aufzwingen?” setzte er spöttisch fort, und seine Augen strahlten, als er den Kopf hob und sie ansah.

“Dir würde das Lachen noch vergehen!” warnte sie ihn.

“Ich bin zu allem bereit.” Verführerisch lächelte er sie an.

“Das kannst du mir glauben.”

“Ich weiß”, entgegnete sie langsam. Über seine Schulter hinweg sah sie auf die Küchenuhr und stöhnte auf. Sie war schon viel zu spät. “Du willst sicher nicht, daß ich meinen Job verliere, oder?”

Unwillig stieß er die Luft aus und küßte sie erneut. “Ja, das wäre wirklich schade!”

“Das würde ich dir nie verzeihen!”

“Nein?” Ungläubig zog er eine Augenbraue hoch. Sein Blick war eine einzige Herausforderung.

“Das meine ich ernst!” Sie tastete nach dem Türgriff und lief schnell hinaus. “Ich rechne damit, daß du weg bist, wenn ich wiederkomme.”

“Und wenn ich dir dein Leibgericht koche, mein Schatz?” rief er ihr mit piepsiger Stimme nach.

“Du bist wirklich unmöglich.”

Sie stieg in ihr Auto. Als sie den Rückspiegel einstellte, sah sie Don splitternackt in der Tür stehen. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und lehnte sich lässig an den Rahmen.

Daß die Nachbarn ihn sehen konnten, schien ihn nicht im geringsten zu stören.

“Geschieht dir recht, wenn du verhaftet wirst!” schrie sie durch das geöffnete Seitenfenster und startete den Motor, ohne eine Antwort abzuwarten.

Don lachte nur, und der Klang seines Lachens verfolgte sie noch während der ganzen Fahrt.

***

“Lee?” Dr. Henshaw setzte sich auf einen Stuhl neben seinem Patienten im Freizeitraum. Johnston blickte nicht auf. Reglos starrte er auf den Bildschirm des Femsehers vor ihm.

“Lee, kannst du mich hören?”

Johnston kratzte sich an einer Narbe auf dem Handrücken, ohne den Blick von dem Fernseher zu wenden.

“Hat keinen Zweck, Doktor”, sagte Rick, der gerade hereinkam und den Fernsehapparat einschaltete. Laute Musik dröhnte durch den Raum, und Rick stellte den Ton leiser. Es lief gerade ein Zeichentrickfilm für Kinder. “Bis zum Beginn der West Coast Morning-Show sagt er kein Wort.”

Henshaw blickte kurz zu dem Pfleger auf und dachte über die Anrufe nach, die er noch zu erledigen hatte. Flannery hatte sich wieder gemeldet und auch Kaylie Melville. Er würde sie beide anrufen, doch darin sah er kein Problem.

Ein anderer Anruf beunruhigte ihn viel mehr, doch auch den mußte er beantworten, ob er wollte oder nicht.

Rick schüttelte den Kopf. “Hoffen wir, daß diese Frau heute wieder in der Sendung ist”, sagte er und räumte die Werkzeuge von der Bastelstunde in einen kleinen Transportwagen. Dann rollte er den Wagen zum Sofa hinüber, auf dem Lee Johnston saß. In diesem Moment stürmte eine Schwester ins Zimmer. Ihr Gesicht war gerötet. “Dr. Henshaw? Es gibt Probleme in Zimmer 301”, sagte sie atemlos. “Norman ist sehr aufgeregt und hat sein Frühstück durchs Zimmer geschleudert. Er…” Jetzt entdeckte sie Lee Johnston und zwang sich, ruhiger zu sprechen.

“Vielleicht solltest du auch mitkommen”, sagte sie zu Rick.

Unwillig gab Rick dem Transportwagen einen Stoß. Der

Wagen schlug gegen das Sofa, und einige Werkze uge fielen auf den Boden.

“So ein Mist.” Rick bückte sich und hob die mit Farbe beschmierten Messer und Zangen auf. Ein Farbtopf war

umgefallen und ergoß sich über den Boden. “Na toll. Wirklich prima!”

Dr. Henshaw folgte der Schwester aus dem Zimmer, und

Rick wandte sich schlechtgelaunt an Lee: “Vielleicht solltest du lieber zurück in dein Zimmer gehen, bis ich hier mit

Saubermachen fertig bin. Sonst machst du nur noch mehr Dreck.

Na los, geh schon! Zu deiner blöden Sendung kommst du noch rechtzeitig zurück.”

Rick stieß Lee gegen die Schulter, und ruckartig fuhr Johnston zurück. Seine Nasenflügel bebten. Er mochte nicht, wenn ihn jemand berührte. Schon gar nicht dieser miese hinterhältige Pfleger. Rick hielt ihn wirklich für verrückt und verachtete ihn, doch er würde Rick und Henshaw und all den anderen noch zeigen, was in ihm steckte. Widerwillig stand er auf.

“Beeil dich, ich habe nicht ewig Zeit”, schimpfte Rick und sah sich nach einem Wischlappen um.

Lee entdeckte ein Messer, das unter den Rand des Sofas gerutscht war. Unauffällig blickte er zu Rick, der ihm den Rücken zuwandte, während er in einem Schrank suchte.

Blitzschnell hob Lee das Messer auf und steckte es seitlich in seinen Schuh. Dann tat er so, als müsse er den Schuh neu zubinden.

“Bist du immer noch hier?” Rick wandte sich zu ihm. “Los, los. Jetzt mach mal etwas schneller.” Wieder faßte er Lee an, und Lee wurde vor Wut fast schlecht.

Es gab nur einen Menschen, der ihn berühren durfte, und das war Kaylie. Die wunderschöne Kaylie. Er leckte sich die Lippen und kratzte sich abwesend am Handrücken, als er auf den Gang trat. Er hatte sie in den letzten Tagen vermißt, doch in dieser Zeit war ihm etwas klargeworden. Er mußte sie wiedersehen, sie berühren, ihren Duft riechen. Und zwar bald.

Auf seinen Lippen lag ein kaum merkliches Lächeln, als er das Messer spürte, das bei jedem Schritt leicht an seinem Fuß rieb.

***

Kaylies erster Tag im Sender begann in dem Augenblick, in dem sie die Glastür des Sendegebäudes aufdrückte. Sie winkte der Empfangsdame zu und ging durch lange Gänge zu ihrem Büro. Unterwegs traf sie Tracy, die mit einem Stapel Papieren auf sie zukam.

“Sind das die Gäste heute?” erkundigte Kaylie sich.

Tracy nickte und reichte ihr die Unterlagen. “Richtig. Diese Informationen haben wir erst gestern bekommen. Aber das kommt bei uns ja öfter vor, stimmt’s?” Sie hob die Schultern und blickte aufseufzend zur Decke.

“Anders kenne ich es gar nicht.” Kaylie lachte und freute sich, daß ihr Leben wieder normal verlief. Sie dachte wieder an Don, wie er nackt in ihrer Auffahrt stand, aber ihr blieb keine Zeit, diesen Gedanken länger nachzuhängen.

Sie ging kurz in die kleine Cafeteria und entdeckte dort ein paar Kameraleute und Techniker.

“Toll, daß du wieder da bist, Kaylie”, begrüßte Hai sie. Hai war der Techniker, der für den Ton zuständig war.

“Wir haben dich vermißt”, fügte sein Mitarbeiter Marvin hinzu.

“Das sah aber nicht so aus”, widersprach Kaylie und goß sich eine Tasse Kaffee ein. “Ich habe die Sendungen gesehen.”

Hai stieß die Luft aus. “Der gute Alan war in seinem Element, das ist richtig. Er hat uns alle herumgescheucht, als gehöre ihm der ganze Sender.”

Marvin lachte. “Das Lustige daran war, daß niemand auf ihn gehört hat.”

“Er ist bestimmt vor Wut geplatzt.”

“Sie mußten ihn für die Sendung extra blaß schminken, weil er so rot im Gesicht war.” Marvin lachte wieder. “Sag mal, wie geht es deiner Tante? Was hatte sie denn? Herzprobleme?” Er wischte sich die Finger an einer Serviette ab.

Hal blickte von seinem Frühstücksteller hoch. “Hatte sie nicht irgendeinen Unfall? Ich habe gehört, sie würde im Koma liegen.”

“Es geht ihr gut. Nach dem Unfall hatte sie Probleme mit dem Herz und verlor immer wieder das Bewußtsein, aber jetzt liegt sie nicht mehr auf der Intensivstation”, antwortete Kaylie und hätte Don am liebsten erwürgt. Dann hastete sie mit ihrem Tablett, auf dem ein Kaffee und ein Gebäckteilchen lag, aus der Cafeteria. Das Tablett balancierte sie in einer Hand, und in der anderen trug sie ihre Aktentasche und die Notizen, die Tracy ihr gegeben hatte.

“Noch keine Stunde hier, und schon wieder in Eile”, sagte sie leise zu sich selbst, als sie sich in ihrem Büro an den Schreibtisch setzte. Während sie den Kaffee trank, überflog sie die Informationen über die aktuellen Gäste der Sendung.

In diesem Augenblick stürmte Audra, die Maskenbildnerin, atemlos herein. “Was für ein Tag! Tut mir leid, daß ich zu spät bin. Alans Toupet, du weißt schon. Er ist nie zufrieden damit, wie diese blöde Perücke sitzt. Aber daran kann ich nichts ändern. Wenn er dieses Ding so haßt, dann soll er sich doch eine neue kaufen oder sie ganz weglassen. Meine Güte, ich finde Männer mit Glatze sowieso attraktiver als welche mit Toupet.”

Audra lachte und öffnete ihren Schminkkoffer. “Na ja, laß dich von mir nicht hetzen.”

“Macht nichts, schon gut”, antwortete Kaylie lächelnd. In der eher strengen Atmosphäre hier im Sender wirkte Audra immer erfrischend mit ihren hohen Absätzen, dem grellroten

Lippenstift und ihren schnippischen Bemerkungen.

Audra sah sie prüfend an. “Bei dir brauche ich heute nicht viel zu machen”, stellte sie fest und kramte in ihrer Tasche.

“Dafür, daß du vier oder fünf Tage im Krankenhaus gesessen hast, siehst du sehr erholt aus.” Nachdenklich runzelte sie die Stirn, während sie einen Kamm hervorholte. “Wie geht es deiner Tante? Hatte sie nicht eine Gallensteinoperation?”

“Also, es war ihr Herz. Keine Operation”, stellte Kaylie richtig. Was hatte Don bloß angerichtet? Mühsam unterdrückte sie ihren Ärger und ließ sich von Audra kämmen.

“Na, wenigstens konntest du ein paar Tage hier raus”, sagte Audra und begann, Kaylies Haar mit Haarspray einzusprühen.

“Keine Bange, das Zeug hier ist umweltfreundlich. Steht auf der Dose drauf.” Sie wies auf ein kleines Etikett, das Kaylie durch den Sprühnebel nicht erkennen konnte. “Ich bin jetzt unter die Umweltschützer gegangen.”

“Alles klar, Chef”, zog Kaylie sie auf und tippte sich mit einer Hand an die Schläfe. Audra puderte nur noch rasch Kaylies Gesicht etwas ab und hastete wieder aus dem Büro.

Sofort danach klopfte es an der Tür. “Noch zehn Minuten, Kaylie”, schrie Tracy von draußen.

Noch ein letztes Mal sah Kaylie ihre Notizen durch, dann lief sie in den Senderaurn. Alan wartete bereits. Während ihr das Mikrophon angesteckt wurde, blickte sie zu ihm hinüber und erwiderte sein Lächeln. Er schien sich zu freuen, daß sie wieder da war.

“Mach dir keine Sorgen”, sagte er, als sie sich auf ihren Platz setzte, und tätschelte ihren Handrücken. “Ich habe mich gründlich auf die Sendung vorbereitet. Du mußt nur dasitzen, lächeln und charmant sein.”

“Mach dich nicht lustig”, erwiderte sie. “Außerdem bin ich auch vorbereitet.”

Tracy lief quer durch das Studio und winkte, damit alle ruhig wurden. Sie gab den Tontechnikern ein Zeichen, und die Erkennungsmusik der Sendung erklang.

Kaylie atmete tief durch und fragte sich, ob Don die Sendung sah. Energisch schüttelte sie jeden Gedanken an ihn ab und konzentrierte sich auf die bevorstehende Show.

Die Sendung lief gut. Sie unterhielt sich mit einem Rockstar, einer Frau, die Tips für die Gartenpflege gab, und einem Schlangenpfleger aus dem Zoo. Der Mann hatte seinen

Lieblingspython und eine Boa mitgebracht hatte. Kaylie hielt die Schlangen und ließ sie über ihre Schultern kriechen, während sie mit dem Mann sprach.

Alan las die Nachrichten und sprach mit Hugh Grimwold, einem Baseballspieler.

Nach den Ortsnachrichten und Sportergebnissen unterhielten sich Alan und Kaylie mit zwei Jungen, die nach der High School ihr eigenes Müllverarbeitungsunternehmen gegründet hatten.

Abschließend kündigte Alan die Gäste der nächsten Sendung an, und nachdem sie sich beide verabschiedet hatten, klang wieder Musik aus den Lautsprechern, während auf dem

Bildschirm der Abspann lief.

“Gute Arbeit, Kaylie”, lobte Jim und klopfte ihr auf die Schulter. Er grinste. “Weißt du, ohne dich fehlte der Show einfach irgendwas.” Anerkennend nickte er ihr zu und ging zu den Technikern. Kaylie ging aus dem Sendestudio.

Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie den finsteren Blick, den Alan ihr zuwarf. Doch sie wollte sich von Alan nicht die Laune verderben lassen und genoß das Lob von Jim. Es kam nicht oft vor, daß Jim Crowley Komplimente verteilte.

In ihrem Büro nahm sie einen Textmarker und fing an, die Informationen über die morgigen Gäste durchzusehen.

Unvermittelt flog die Tür auf und knallte an die Wand.

Knallrot vor Wut stürmte Alan herein. “Du hast gar keine Tante, die Brenda heißt!” schrie er und verschränkte anklagend die Arme vor der Brust.

“Wie bitte?” fragte sie nach und hätte fast den Stift fallen lassen.

“Lüg mich nicht an, Kaylie. Ich habe mich erkundigt.”

“Was hast du?”

“Ich habe ein bißchen herumtelefoniert und ein paar von deinen Freunden angerufen. Schließlich habe ich mit Margot gesprochen. Erst wollte sie nichts sagen, aber dann hat sie mir die Wahrheit erzählt. Ich hatte den Eindruck, es hat ihr Spaß gemacht, mir die ganze Geschichte zu berichten.” Sein Gesicht war jetzt fast violett.

“Ach.”

“Mich und alle anderen hier läßt du glauben, du würdest etwas Barmherziges tun, während du dich tagelang mit diesem Flannery vergnügst!”

“Jetzt warte mal einen Augenblick.” Kaylie mußte auch fast schreien, um ihn zum Schweigen zu bringen. Langsam stand sie auf und wünschte, sie könnte ihre Schwester jetzt in die Hände bekommen.

Ungeduldig winkte Alan ab. “Also, Margot hat nichts Konkretes gesagt, aber ihre Andeutungen haben mir

vollkommen gereicht. Du warst letzte Woche mit Flannery zusammen, stimmt’s?”

Das durfte doch nicht wahr sein! Kaylie stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und bemühte sich, ruhig zu bleiben. “Was ich tue oder nicht, geht dich überhaupt nichts an.”

“Du hast uns hier im Stich gelassen, Kaylie!”

“Anscheinend bist du auch ohne mich gut zurechtgekommen.

Und wenn ich mich nicht irre, habe ich vor ein paar Jahren auch nichts verraten, als du dir beim Skifahren dein Hinterteil,verletzt hast.”

Schlagartig wurde Alan blaß. “Aber ich konnte Jim und den anderen doch nicht sagen, daß …” Er verstummte und schluckte vor Aufregung.

“Daß du dir das Steißbein gebrochen hast, als du versucht hast, mit deinen Kunststückchen zu protzen, um dieses Mädchen zu beeindrucken, das wegen Drogenbesitz vorbestraft war?”

“Oh, nein.” Mit einemmal wirkte er vollkommen hilflos. “Du weißt das alles?” Unsicher fuhr er sich durchs Haar, und sein Toupet verrutschte leicht. Jetzt tat er Kaylie fast leid. Aber nur fast.

“Also, was ist passiert?” wollte er wissen und ließ sich in einen Sessel fallen. “Ich dachte, zwischen dir und Flannery sei alles aus.”

“Das war es auch.”

“Aber?”

Kaylie hatte genug vom Lügen. Sie würde nach dieser

Unterhaltung zu Jim gehen und ihm alles erklären. Das Risiko, entlassen zu werden, würde sie eingehen. Wenigstens brauchte sie sich dann nicht mehr von einer Lüge zur nächsten zu hangeln. “Don kam eines Abends zu mir, und wir sind essen gegangen. Er hat mich überredet, ein paar Tage mit ihm in den Bergen zu verbringen.”

“Einfach so?” Alan schnippte mit den Fingern.

“Oh, nein. Es hat einige Zeit gedauert, bis er mich überredet hatte.” Sie mußte ein Schmunzeln unterdrücken, als sie daran dachte, wie Don sie in die Hütte geschleppt hatte.

“Wieso hast du dich darauf eingelassen, mit ihm essen zu gehen?”

“Wir hatten eine Abmachung.”

“Was für eine Abmachung?” Alan schüttelte verständnislos den Kopf. “Du triffst also Abmachungen mit deinem Ex-Mann.

Kaylie, weißt du nicht, daß wir in den Augen der Presse so gut wie verheiratet sind?”

“Darüber haben wir doch schon geredet. Alles erfunden.”

“Ja, ich weiß. Aber… na, ich dachte, wir könnten einige Zeit warten, bis wir widersprechen. Das tut doch nicht weh. Wenn du jedoch mit Flannery in die Wälder flüchtest, ist die Geschichte gestorben.”

“Prima!”

Alan ging kurz darauf, und Kaylie marschierte in Jims Büro, um ihm in knappen Worten die Wahrheit zu sagen. Jim war nicht gerade begeistert und warnte sie, beim nächstenmal frühzeitig Bescheid zu geben, aber als Kaylie sein Büro verließ, fühlte sie sich besser. Und ihren Job hatte sie immer noch.

Stunden später kam Kaylie in ihr Apartment. Don war schon lange weg, doch sein Geruch hing noch in der Luft. Das Bett war gemacht, aber als Kaylie das Gesicht ins Kopfkissen preßte und tief einatmete, roch sie den Duft seines Rasierwassers. “Na, dich hat es aber mächtig erwischt”, zog sie sich selbst auf und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Gedankenverloren blickte sie zur Decke.

Sie benahm sich wie ein Teenager, der seinen Schwärmereien hilflos ausgeliefert ist. Entschlossen warf sie das Kopfkissen beiseite und ging in die Küche.

Das Kontrollicht des Anrufbeantworters blinkte, und sie spulte das Tonband zurück. Kurz darauf hörte sie Dons Stimme, als stände er neben ihr im Raum.

“Ich schätze, ich werde hier im Büro noch länger beschäftigt sein”, sagte er. “Deshalb kann ich nicht zu dir kommen.”

“Traurig, traurig”, stellte sie leise fest. Tief drinnen war sie tatsächlich enttäuscht.

“Aber ich werde später anrufen, damit wir uns treffen können.”

Danach folgten noch zwei Nachrichten. Eine von Margot, die um Rückruf bat, und eine von einem Versicherungsvertreter.

Kaylie stellte ein Fertiggericht in den Mikrowellenherd und wählte die Nummer ihrer Schwester.

“Hallo?”

“Eigentlich sollte ich kein Wort mehr mit dir reden”, sagte Kaylie.

“Dann hast du also mit Alan gesprochen?”

“Genaugenommen haben wir uns angeschrien.”

“Ich weiß, ich hätte ihm nichts sagen sollen, aber er hat hier bei mir angerufen und mich nach dir ausgefragt. Da mußte ich ihm einfach die Meinung sagen. Wenn du mich fragst, ist dieser Mensch nicht ganz richtig im Kopf.”

“Alan?” fragte Kaylie lachend nach.

“Wirklich. Ich wette, er hat das Gerücht verbreitet, daß ihr beide verlobt seid. Jedenfalls konnte ich es mir nicht verkneifen, auf Don anzuspielen. Ich fand, Alan verdient das.”

Kaylie schaffte es nicht, längere Zeit auf Margot wütend zu sein. “Wahrscheinlich hast du recht. Ich hatte genug von dieser Lügerei über meine Tante Brenda und habe Jim die Wahrheit gesagt. Zum Glück hat er mich nicht gefeuert.”

Der Mikrowellenherd klingelte, und während sie telefonierte, holte Kaylie ihr Essen heraus. Es war ein kümmerliches Gemisch aus Hühnchen, Erbsen und Kartoffeln. Margot fragte sie gerade nach Don aus.

“Er ist nicht hier”, sagte Kaylie.

“Nein?” Margot klang besorgt.

“Er führt schließlich sein eigenes Leben.”

“Ich weiß, aber…”

“Hör zu, Margot, du findest, Don und ich sollten uns wieder versöhnen und eine Bilderbuchehe führen, aber das ist nicht möglich.”

“Wieso nicht?”

Kaylie atmete tief durch. “Zum einen leben wir nicht in einem Märchen. Und zum anderen habe ich meine eigenen Vorstellungen vom Glück und bin auf keinen Traumprinzen angewiesen.”

“Ach Kaylie”, sagte Margot versonnen. “Wenn du nur wüßtest.” .

Nachts um halb zwölf war Don schließlich fertig. Während er mit Kaylie in den Bergen gewesen war, hatte sich die Arbeit auf seinem Schreibtisch immer mehr angehäuft. Er mußte sich mit der Beschwerde eines Kunden aus Beverly Hills beschäftigen, zwei neue Alarmanlagen testen, drei neue Männer anstellen und die Buchführung erledigen.

Und die ganze Zeit über mußte er an Kaylie denken. Er machte sich Sorgen um sie und wünschte, sie wäre bei ihm.

Er griff nach dem Telefon, doch dann rief er sie doch nicht an. Es war schon zu spät. Sicher war Kaylie erschöpft, und er hatte sich fest vorgenommen, sie ihr eigenes Leben führen zu lassen.

Er hob die Arme über den Kopf und streckte sich. Um die vom stundenlangen Sitzen verkrampften Muskeln zu lockern, stand er auf und ging zum Fenster. Draußen erhellten die vorüberfahrenden Autos die Nacht, und schemenhaft waren die wenigen Fußgänger zu erkennen, die im dämmrigen Licht der Straßenlaternen unten vorbeiliefen.

Er hatte in Whispering Hills angerufen und sich von Dr.

Henshaw versichern lassen, daß Lee Johnston noch lange unter Verschluß bleiben werde. Dennoch hatte er den Eindruck, daß der Arzt ihm etwas verschwieg.

“Aber warum?” grübelte Don und rieb sich das leicht stoppelige Kinn. Vielleicht hatte Kaylie recht, und er bildete sich das Ganze nur ein.

Selbst die Anrufe von Ted hatten möglicherweise nichts zu bedeuten. Aber bisher hatte er sich noch immer auf seine Instinkte verlassen können. Er würde wachsam sein, immerhin ging es um Kaylies Leben.

Er ließ den Kopfkreisen und schloß die Augen. Sie würde wütend sein, wenn sie ahnte, daß er jemanden beauftragt hatte, sie zu bewachen, wenn er nicht selbst bei ihr war.

Das kann mit großem Ärger enden, überlegte er, während er seine Schlüssel nahm und die Lichter ausschaltete. Aber wenn es Kaylie betraf, wollte er riskieren, daß sie sich aufregte.

Nichts wollte er jetzt mehr, als zu ihrem Apartment zu fahren und über Nacht bei ihr bleiben. Er wollte mit ihr schlafen und neben ihr aufwachen. Doch das war nicht möglich.

“Ihren Freiraum”, sagte er unwillig zu sich selbst, während er das Gebäude hinter sich abschloß. “Sie sagt, sie braucht ihren Freiraum.”

***

Alan Bently rührte in seinem Drink und blickte grübelnd in das Glas. Er saß an einem kleinen Tisch in einem teuren Restaurant. Hier war er mit seinen düsteren Gedanken sich selbst überlassen. Die Vierzig hatte er überschritten, bald wurde er fünfundvierzig, und von seinem dichten Haar war ihm nicht mehr als eine Erinnerung geblieben. Obwohl er jeden Tag ins Fitneß-Studio ging, ließ seine Kraft nach, und mit seiner Karriere ging es kein Stück weiter. Eher das Gegenteil.

Eine Zeitlang hatte er Hoffnung geschöpft. Das Gerede um Kaylie und ihn hatte ihm die Aussicht auf eine Rolle in einem Film eingebracht, und es hieß, daß ein großer Filmproduzent daran interessiert sei, mit Kaylie und ihm eine Fortsetzung von

“Besessen” zu drehen. Seit dem Film waren zwar sieben Jahre vergangen, doch viele große Filmerfolge wurden zur Zeit fortgesetzt.

Jetzt machte Don Flannery all diese Hoffnungen zunichte.

Alan hatte es zwar genossen, während Kaylies Abwesenheit die Show allein zu moderieren, aber nun hatte sie nur noch diesen Flannery im Kopf und sonst nichts.

Alle seine Träume lösten sich in nichts auf. Alan Bently sehnte sich nach Ruhm, und es war schon viel zu lange her, daß er einen Hauch davon genossen hatte. Die West Coast Morning-Show war nicht zu verachten, jedenfalls hier an der Westküste kannten ihn viele Leute. Doch das war nichts im Vergleich zu einem erfolgreichen Film. Ala n wollte ein richtiger Star sein.

Noch war er dafür nicht zu alt, viel Zeit blieb ihm jedoch nicht mehr.

Er trank seinen Drink aus. Seine Karriere stand auf dem Spiel. Wenn er nicht aufpaßte, würde das Publikum ihn vergessen. Andererseits würde ein bißchen Medienrummel ihn wieder richtig bekannt machen.

Schmunzelnd und durch den Alkohol enthemmt ging er zum Telefon. Dieser Anruf würde die Leute wieder über ihn reden lassen.