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Offizielle Anmeldung

Ein paar Wochen nach der Gründung unseres Straßenmusiker-Duos stand ich an einem Donnerstag früher auf, machte Frühstück für uns beide und verließ dann mit Bob das Haus. Wir fuhren aber nicht in die Stadt, sondern stiegen an der Haltestelle Islington Green aus.

Ich wollte Bob einen Mikrochip einpflanzen und registrieren lassen, da er mich fast täglich in die Stadt begleitete. Früher war das ein ziemlich kompliziertes Unterfangen gewesen, aber inzwischen war es einfach. Der Tierarzt transportiert den Chip mit einer Spritze unter die Haut am Hals des Tieres. Darauf befindet sich eine Seriennummer, die zusammen mit den Kontaktdaten des Besitzers registriert wird. Wird ein herrenloses Tier mit Chip aufgefunden, kann der Tierarzt oder ein Mitarbeiter im Tierheim mit Hilfe eines Scan-Gerätes die Daten ablesen und den Besitzer ermitteln.

So wie Bob und ich lebten, war dieser Schritt unumgänglich. Ich hoffte, dass es nie nötig sein würde, aber falls wir uns wirklich mal verlieren sollten, wäre das die einzige Chance, Bob wiederzufinden. Schlimmstenfalls könnte auch mir jederzeit etwas zustoßen. Dann würde die Registrierung wenigstens beweisen, dass Bob kein total verwilderter Straßenkater war, sondern ein liebevolles Zuhause gehabt hatte.

Kurz nachdem Bob bei mir eingezogen war, hatte ich alles über Mikrochips für Haustiere im Bibliothekscomputer recherchiert. Dabei war mir schnell klar geworden, dass ich mir das einfach nicht leisten konnte. Die meisten Tierärzte verlangten dafür 60 bis 80 Pfund. So viel Geld hatte ich nie übrig. Aber auch wenn ich gekonnt hätte, diesen Wucherpreis wollte ich prinzipiell nicht bezahlen.

Bis ich eines Tages mit meiner Nachbarin, der Katzenmutter von gegenüber, ins Gespräch kam. »Sie sollten an einem Donnerstag mit Bob nach Islington Green fahren«, riet sie mir. »Dort steht an diesem Tag immer der Blue-Cross-Bus mit der mobilen Tierarztpraxis. Dort zahlt man nur für den Chip. Aber Sie müssen früh da sein, der Andrang ist groß«, schärfte sie mir ein.

Heute war Donnerstag. Ich wollte früh dort sein, um in den zwei Stunden zwischen zehn und zwölf Uhr auch sicher dranzukommen.

Wie es die Katzenmutter vorausgesagt hatte, sahen wir schon von Weitem eine lange Warteschlange. Die Leute standen bis zur Waterstone-Buchhandlung an der nächsten Ecke. Zum Glück war es ein sonniger Morgen, sodass das Warten erträglich blieb.

Es war die übliche Mischung an Leuten, die man bei solchen sozialen Einrichtungen antrifft: Katzenbesitzer mit den praktischen Trageboxen, Hunde, die sich gegenseitig beschnupperten und miteinander herumalberten. Es war eine gesittete Ansammlung, und die Tierhalter waren viel angenehmer und netter als bei der RSPCA-Ambulanz, wo ich Bob wegen seines verletzten Beins hingebracht hatte.

Seltsam, aber Bob war die einzige Katze, die nicht in einem Katzenkorb weggesperrt war. Wir erregten deshalb viel Aufmerksamkeit. Ein paar ältere Damen waren ganz hingerissen von Bob, und er bekam viele Streicheleinheiten.

Nach eineinhalb Stunden in der Warteschlange waren wir endlich ganz vorne. Eine junge Tierarzthelferin mit Kurzhaarschnitt begrüßte uns freundlich.

»Was kostet es, ihm einen Mikrochip einsetzen zu lassen?«, fragte ich sie.

»15 Pfund«, gab sie lächelnd Auskunft. Sie sah mir wohl an, dass ich nicht gerade in Geld schwamm, und fügte hinzu: »Sie müssen das auch nicht auf einmal bezahlen. Wir können Ratenzahlung vereinbaren. Wie wäre es mit 2 Pfund pro Woche?«

Ich war angenehm überrascht. »Cool! Das schaff ich!«, stimmte ich erleichtert zu.

Zuerst sollte Bob noch kurz untersucht werden, wahrscheinlich um festzustellen, dass er gesund und flohfrei war. Nicht ohne Stolz ging ich davon aus, dass es keine Beanstandung geben würde. Es ging ihm besser denn je. Seit seiner Mauser war er ein schlanker, sehr athletischer Kater zum Vorschein gekommen.

Danach brachte uns die Assistentin zum Behandlungsraum, wo uns der Tierarzt bereits erwartete. Er war noch ziemlich jung, vielleicht Mitte zwanzig.

»Guten Morgen«, begrüßte er uns, bevor er sich mit seiner Assistentin in eine Ecke zur Beratung zurückzog. Ich beobachtete die beiden, während sie alle Utensilien zum Einsetzen des Chips zusammensuchten. Die junge Frau mit den kurzen Haaren suchte Papiere zusammen, während der Arzt Spritze und Nadel für die Einpflanzung vorbereitete. Beim Anblick der Nadelgröße stockte mir das Blut in den Adern. Aber das ließ sich wohl nicht vermeiden. Der Chip in Reiskorngröße brauchte eine entsprechend große Kanüle.

Leider hatte auch Bob die Riesenspritze gesehen und versuchte zu flüchten – zum ersten Mal bei einem Arztbesuch. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Zusammen mit der Assistentin versuchte ich, Bob festzuhalten und vom Tierarzt wegzudrehen, damit er die Spritze nicht kommen sah. Aber Bob war nicht dumm, er ahnte die Gefahr. So panisch hatte ich ihn noch nie erlebt. Er versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. Katzen können sich blitzschnell aufbäumen, winden und verbiegen, sodass man sie zu nichts zwingen kann. »Keine Angst, Bob, das ist gleich vorbei«, redete ich beruhigend auf ihn ein und streichelte ihm Bauch und Hinterbeine, während die Tierarzthelferin ihn im Spezialgriff vorne festhielt. Ich wollte ihn von dem näher kommenden Tierarzt ablenken.

Als die Nadel Bobs Haut durchstach, stieß er einen jämmerlichen, grellen Schrei aus, der mir durch Mark und Bein ging. Als es Bob vor Schmerzen schüttelte, trieb es mir die Tränen in die Augen. Aber kaum hatte der Arzt die Nadel herausgezogen, fing er sich wieder. Zum Trost gab ich ihm eines seiner Lieblingsleckerchen. Dann hob ich ihn vorsichtig hoch und trug ihn zurück zum Eingangsbereich.

»Das hast du gut gemacht, mein kleiner Kämpfer!«, flüsterte ich ihm zu.

Danach sollte ich noch ein paar kompliziert aussehende Formulare ausfüllen, aber zum Glück half mir die Tierarzthelferin dabei.

»Wir brauchen Ihre Kontaktdaten für die Datenbank«, erklärte sie mir. »Name, Adresse, Telefon?« Während sie meine Angaben in ihre Formulare schrieb, erkannte ich die Bedeutung dieses Augenblicks. Ich hatte endlich Nägel mit Köpfen gemacht.

»Werde ich jetzt als sein rechtmäßiger Besitzer registriert?«, fragte ich vorsichtig.

Sie sah von ihren Papieren hoch und lächelte.

»Ja, wenn das für Sie in Ordnung ist?«

»Aber ja, natürlich, das ist wunderbar!«, versicherte ich ihr. »Wirklich, ich freue mich sehr!«

Währenddessen hatte sich Bob auf meinem Arm schon wieder sichtlich erholt. Ich kraulte ihn am Kopf. Dabei passte ich auf, seinen Nacken nicht zu berühren. Ich wollte ihm nicht wehtun, aber auch vermeiden, dass er mir vor Schmerz versehentlich den Arm zerkratzte.

»Hast du das gehört, Bob?«, nuschelte ich leise zwischen seine Ohren. »Wir sind jetzt eine richtige Familie, ganz offiziell!«

Auf dem Weg zum Bus durch Islington wurden wir noch mehr angegafft als sonst. Das lag bestimmt an meinem Grinsen. Es war breiter als die Themse, und ich konnte es einfach nicht abstellen.

Bob hat mein Leben ganz schön umgekrempelt. Ihm zuliebe hat sich in meinem Singlehaushalt viel geändert.

Er hat mich nicht nur dazu gebracht, einen geregelteren Tagesablauf einzuhalten und Verantwortung zu übernehmen, sondern auch, mich selbst zu hinterfragen. Mit niederschmetterndem Ergebnis.

Bobs Besitzer war ein Dogenabhängiger auf Entzug. Einer, der täglich seine Ersatzdroge aus der Apotheke holte und zweimal im Monat zur Drogenambulanz pilgerte. Das alles war mir so peinlich, dass ich es tunlichst vermied, Bob zu diesen Terminen mitzunehmen. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich wollte nicht, dass Bob diesen Teil meiner Vergangenheit kennenlernte.

Und doch war es sein Verdienst, dass ich meine Sucht inzwischen definitiv als Vergangenheit bezeichnen konnte.

Bob hatte mir den Glauben an eine drogenfreie Zukunft und die Chance auf ein normales Leben zurückgegeben. Aber den langwierigen Prozess bis dahin wollte ich ihm unbedingt ersparen.

Leider stolperte ich immer noch über Erinnerungsstücke an meine dunklen Zeiten, die mir vor Augen führten, welch langen und steinigen Weg ich noch vor mir hatte. Ein paar Tage nachdem Bob seinen Mikrochip bekommen hatte, durchwühlte ich meine Kommode im Schlafzimmer. Ich war auf der Suche nach der neuen Oystercard, meiner elektronischen Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Sie war vor ein paar Tagen mit der Post gekommen. Unter einem Stapel alter Zeitungen und ein paar T-Shirts stieß ich auf eine Tupperware-Box. Ich hatte sie längst vergessen, nicht aber ihren Inhalt. Den kannte ich, auch ohne sie zu öffnen. Sie enthielt all die Utensilien, die man als Heroinsüchtiger braucht: Injektionsnadeln, Spritzenkanülen und andere traurige Dinge für den täglichen Suchtbedarf. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als würde mich ein böser Geist aus der Vergangenheit mit seinem kalten Atem streifen. Die unscheinbare Plastikbox war voller schlechter Erinnerungen. Wie bei einem Flashback zuckten mir scheußliche Bilder aus dunklen Tagen durch den Kopf. Bilder, die ich tief in meinem Unterbewusstsein weggesperrt hatte und nie wieder sehen wollte.

Die Box musste weg. Sofort und endgültig. Raus aus meiner Wohnung. Sie sollte mich nie wieder erinnern oder gar in Versuchung führen. Vor allem wollte ich sie nicht in Bobs Nähe wissen, auch wenn sie noch so gut versteckt war.

Bob saß neben der Heizung, sprang aber sofort auf, als ich meinen Mantel anzog. Er folgte mir nach unten und wich mir bis zu den Müllcontainern nicht von der Seite. Er ließ mich nicht aus den Augen, bis die Box im Eimer für Sondermüll gelandet war.

»So«, sagte ich erleichtert zu ihm. »Das war schon lange fällig.« Er schenkte mir einen seiner unergründlichen Blicke. Ich glaube, er war zufrieden mit mir.