* Zwölftes Kapitel

 

Im Wagen fragte Germaine ganz aufgeregt: »Du willst wieder nach Berlin, nicht wahr?«

  »Nicht die Spur. Ich will zu den glücklichen Kühen nach Schleswig-Holstein, ich will zu Trude Schott.«

  »Wer, bitte, ist Trude Schott?«

  »Trude Schott war einmal Bundestagsabgeordnete der Grünen. Eine mit einer haltlos mutigen Schnauze. Soweit ich mich erinnere, hat sie unseren verehrten Bundeskanzler einmal eine so dicke Kartoffel genannt, daß schon ein verdammt dummer Bauer dahinterstehen müsse. Sie ist die europäische Kanaldeckel-Spezialistin Nummer eins.«

  »Du willst mich auf den Arm nehmen.«

  »Keinesfalls. Ab nach Norden.«

  »Ich habe keine Klamotten, ich habe keine Zahnbürste, ich habe keinen Kamm, ich fühle mich schmutzig. Wenn du auftankst, erinnere mich daran, daß ich Seepferdchen anrufe. Sie macht sich sonst Sorgen. Sie weiß zwar, daß wir Chaoten sind, aber sie weiß nicht, wie große.«

  Wir fuhren also schnurstracks und immer am Limit nach Norden, irgendwo zwischen Tecklenburg und Münster schlief Germaine ein. Ab Bremen durfte ich schlafen, und als sie mich weckte, teilte sie mit: »Wir sind jetzt irgendwo ostwärts von Hamburg, und ich weiß nicht wohin.«

  »Trude Schott wohnt in Groß-Pampau.«

  »Wo ist das?«

  »Das weiß ich nicht.«

  »Na, prima. Könnten wir uns vielleicht eine Straßenkarte leisten? Und eine Badewanne? Du solltest dich auch mal rasieren.«

  Wir verließen die Autobahn an der Ausfahrt Schwarzenbek, bezogen ein Hotel, machten uns frisch, aßen viel zu fett und hockten uns dann mit Völlegefühlen erneut in den Wagen.

  Trude Schott war zu Hause. Sie sah mich, und sie erklärte fröhlich: »Immer, wenn dieser Typ kommt, wird es unheimlich. Baumeister, laß dich knutschen.« Sie knutschte mich, sie knutschte Germaine und führte uns dann hinter ihr altes Bauernhaus. Sie sagte: »Meine Katzen und ich heißen euch willkommen!«

  Es mußten so um die dreißig sein, was sogar mich als Katzenfreund etwas nervös machte.

  »Was wollt ihr in dem Land zwischen den Meeren?«

  Sie war ein Rebell, das war an ihren Augen zu sehen. Es waren große graue Augen. Ihre Haare waren sicher seit zehn Jahren keinem Friseur mehr untergekommen, sie waren wild und lang und ungebärdig und voller grauer Strähnen. Ihre Pullover hatten sich nicht geändert, sie sahen immer noch so aus, als habe ein blinder Pfarrer sie gestrickt. Aber wenn sie ging, war sie ein Weib, und die unförmigen Wollsäcke paßten sich an. Sie hockte da vollkommen entspannt auf ihrem Stuhl und wartete darauf, daß ich ihr erzählte, was der Grund für unseren Überfall war.

  »Ich komme mit drei Leichen und einem Kummer«, sagte ich.

  »O Mann«, sagte sie, und es klang wie der Anfang zu einem Blues. »Wer?«

  »Otmar Ravenstein, der einzige General, den du je mochtest.«

  Sie atmete tief durch. Dann straffte sich ihre Haltung, und mit mühsam beherrschter Stimme fragte sie: »Wurde er umgebracht?«

  »Ja, aber wir wissen nicht von wem. Dann sind da noch zwei, einer namens Carlo, einer namens Mattes. Sie wurden wie Otmar erschossen. Mit einem Gewehr.«

  »Ein Irrer?«

  »Könnte sein.«

  »Ich hab' mit Otmar gerade noch telefoniert. Vor einer Woche.«

  »Über was?«

  »Er war hier. Er wollte was über Selbstzerstörungsanlagen wissen. Sprengschächte in den Straßen, Panzersperren und so. Er hatte einen jungen Mann bei sich ... warte mal, sagtest du Carlo?«

  »Ja, den hat es auch erwischt.«

  »Und du suchst den Schützen?«

  »Ich versuche es. Sag uns etwas zu den Selbstzerstörungsanlagen.«

  »Ja, ja.« Sie war verwirrt und mußte sich erst wieder fassen. »Ihr seid hier ein paar Kilometer von der Grenze zur DDR. Nach den Vorstellungen der NATO spielt sich hier ein Krieg zwischen Ost und West in den ersten Stunden ab. Die Krieger im Westen gehen von der Vorstellung aus, daß die Truppen der Russen und des Warschauer Paktes sich mit ungeheurer Geschwindigkeit westwärts bewegen. Das ist eine sehr unwahrscheinliche Phantasterei und seit Gorbatschow eher ein schlechter Witz, aber egal. Irgendwann sind also die NATO-Heinis auf die Idee gekommen: Egal wie schnell die Russen sind, wir müssen sie aufhalten. Und zwar müssen wir diesen breiten Streifen namens Schleswig-Holstein total verwüsten, so verwüsten, daß die nicht einmal mit Panzern durchstoßen können. Deswegen sind in diesem Landkreis alle wichtigen Straßen und sogar Feldwege mit Sprengschächten versehen. Die sind einen bis zwölf Meter tief und können sowohl konventionell als auch atomar bestückt werden. Ein Beispiel: Wenn ich einen 12-Meter-Schacht mit einer kleinen atomaren Ladung vom Typ der netten kleinen Hiroshima-Bombe bestücke und das Ding hochjage, entsteht ein Krater von um die 800 Metern Durchmesser und etwa 280 Metern Tiefe. Nun sind wir hier in einem wasserreichen Gebiet. So was muß man sich also zwischen den Ratzeburger Seen vorstellen, oder an einem Kanal, der dreißig Kilometer lang auf drei Meter Höhe über Land gestaut ist. Auf diese Weise kann man den ganzen Wasserspeicher am Atomkraftwerk Krümmel in die Luft jagen. Dann fließt eine Wassermasse ins Land, die gewaltiger ist als die der Binnenalster. Klar?«

  »Klar«, sagte Germaine.

  »Gut. Hinzu kommen Panzersperren aus massiven Stahlstäben. Die sind nicht etwa dazu da, Panzer wirklich aufzuhalten, sondern sollen die Fahrzeuge nur vorübergehend stoppen. Diese Punkte sind nämlich elektronisch vermessen und in Computer eingegeben, mit denen schwere Geschütze gekoppelt sind. Das gilt etwa für die gesamte Innenstadt von Lübeck. Eine dritte Sache ist die Blindbrandmunition. Das sind Geschosse, mit denen die NATO Öle und Kunststoffe in Waldungen schießt. Das Ganze brennt tagelang, und wenn es regnet, macht das auch nix, es brennt trotzdem weiter...«

  »Und die Menschen hier?« fragte Germaine.

  »Du meinst die Zivilbevölkerung? Na ja, die zählt nicht. Und deswegen wird sie auch möglichst uninfor-miert gehalten.«

  »Zweites Stichwort: Tutting«, sagte ich.

  »Tutting ist der Mann, dessen Firma das alles ausarbeitet und dann baut. Schleswig-Holstein von oben bis unten.«

  »Ach du lieber Himmel!« flüsterte Germaine vollkommen geschockt. Ich sah Trude an, als hätte mich soeben der Blitz getroffen.

  Eine hübsche, fuchsfarbene Katze sprang auf meinen Schoß und rieb ihren Kopf an meinen Händen.

  »Mein Gott«, hauchte Trude, »ihr glaubt doch wohl nicht, daß Tutting... Aber nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Das könnt ihr vergessen, das wäre Wahnsinn.«

  »Aber er hat ein Motiv«, sagte ich. »Der General hatte einen Vorschlag in der Schublade, alle diese Zerstörungseinrichtungen sofort und einseitig abzubauen. Das bedeutet: Seine Firma geht pleite, wenn der General sich durchsetzt. Und da Frieden immer beliebter wird, wird das wahrscheinlich.«

  Trude begann fast erleichtert zu lachen. »Also, so stellt sich Klein-Fritzchen die Mördersuche vor. Nein, Baumeister, von dieser Idee kannst du dich verabschieden. Tutting ist ein King, ein richtiger Multi-Unternehmer sozusagen. Die Firma, die alle diese Anlagen baut, ist nur eine seiner Unternehmungen, und zwar die kleinste und finanziell die unwichtigste. Tutting war schon stinkreich, ehe er mit der NATO ins Geschäft kam. Er steckt unheimlich dick im sozialen Wohnungsbau, genauso im privaten Wohnungsbau. Er hat außerdem Immobilienfirmen von Kiel bis Garmisch. Er hat mir mal beim Schnaps gesagt, daß die NATO nicht mal fünf Prozent seines Umsatzes ausmacht.«

  »Und das glaubst du ihm?«

  »Aber ja. Ich kenne meinen Tutting seit zwanzig Jahren. Er hat längst so viele Millionen, daß die NATO-Sachen eher was für die Portokasse sind.«

  »Du bist ja richtig begeistert von ihm«, sagte Germaine verblüfft.

  »Nun, er ist wirklich ein irrer Typ. Kindchen. Macho, aber mal wirklich ein Typ.«

  »Wo wohnt er denn?«

  »Hier um die Ecke. Willst du einen Termin bei ihm? Soll ich anrufen?«

  »Wenn es geht, am besten morgen früh. Ich muß nachdenken. Ich übersehe die ganze Zeit etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.«

  Sie zog das Telefon an einer langen Schnur aus der Küche. »Schott hier. Ist denn der Chef zu Hause? - Gut, dann gib ihn mir mal. - Georg, grüß dich, die Trude hier. Also hier ist ein Freund, ein Journalist, absolut sauber und fair. Der recherchiert den General Otmar Ravenstein, der... - Ach, das weißt du schon? Ja, wirklich eine Schweinerei. Der Mann heißt Baumeister und braucht dich ein paar Minuten. Gut, und wann ... Zweiundzwanzig Uhr in deinem Haus. Er wird da sein. Danke,« Sie sagte: »Heute abend oder gar nicht. Er hat sonst keinen Termin frei.«

  »Danke. Was wollte der General von dir?«

  »Über die Initiativen diskutieren, die er zu dieser Politik der verbrannten Erde entwickelt hatte. Sagt mal, kann ich euch noch ein Stück Erdbeerkuchen anbieten?« Dieser Wechsel zum Hausfraulichen war typisch für sie; vielleicht war es das, was sie all die Jahre so gesund gehalten hatte.

  »Nicht böse sein«, sagte Germaine, »ich möchte nur noch ein Bett.«

  »Ich rufe dich an, wenn wir mehr wissen müssen«, sagte ich.

  »Eine starke Frau«, meinte Germaine im Wagen beeindruckt.

  »Ja, aber was sie weiß, bringt uns nicht an den Mörder heran. Wir wissen jetzt zwar genau, was der General beabsichtigte, aber ob das irgend etwas mit dem Mord an ihm zu tun hatte, wissen wir immer noch nicht. Eine Scheißgeschichte.«

  »Ich brauche erst mal ein paar Stunden ein Bett.«

  »Ja, ja, geh schlafen, ruh dich aus.« Ich sah ihr nach, wie sie mit dem Zimmerschlüssel müde davonschlich. Ich ging aus dem Hotel hinaus. Heiße Sonne in einem Provinznest am frühen Nachmittag - tot. Ich stieg wieder in das Auto und fuhr nach Osten. Es ging über superbreite Straßen, auf denen sich nichts bewegte, außer gelegentlich einem Trecker, auf dem müde und schwitzend ein Bauer hockte, der nicht einmal aufsah, wenn ich vorbeifuhr. Der Karte nach bewegte ich mich auf einer Parallelen zur Grenze, also nahm ich die nächste schmale Straße nach rechts, durchquerte einen Weiler aus drei eichenbehüteten Gehöften und blieb dann vor einem Schild stehen, auf dem lapidar >Achtung! Grenze!< stand - schwarzer Anachronismus auf einer weißen Holzfläche. Ich ging zu Fuß weiter. Anfangs war die Straße noch asphaltiert, nach einhundert Metern war sie nichts weiter als ein Ackerweg mit rechts und links ein paar Freiflächen für die Autos neugieriger Touristen. Dann eine verrottete Eisenbarriere, dahinter der Hinweis, daß dort das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik beginnt. Wild zugewachsenes Ödland, saure Wiesen, Büsche, ein hoher Zaun, noch ein Zaun, ein Wachturm, dazwischen eine breite Schneise, wie ausrasiert.

  Drüben neben dem Wachturm bewegten sich zwei soldatische Figuren, blieben stehen, hoben die Ferngläser und sahen zu mir hinüber. Die beiden wirkten so, als hätte sich nicht längst die Welt gewaltig verändert. Aber ihre Zeit war abgelaufen. Zum Glück.

  Zwei junge Männer in der Uniform des Grenzschutzes kamen auf einem schmalen Trampelpfad heran. Sie waren unbewaffnet, hatten nur Ferngläser umhängen und Walkie-talkies am Gürtel.

  »Ein trauriger Landstreifen«, sagte ich.

  »Sehen Sie das zum ersten Mal?«

  »Nein, aber es macht mich auch beim zwanzigsten Mal nicht an.« Ich ging zum Wagen zurück. An welchem Punkt hatte ich den Mörder übersehen? Hatte ich ihn überhaupt übersehen? Konnte dieser Tutting der Mörder sein? Und wenn er mit dem General öffentlich diskutieren wollte - wieso hätte er ihn dann ermorden sollen? Mit welchem Motiv? Ich hatte Kopfschmerzen. Ich wußte, daß ich etwas wußte. Aber ich wußte nicht, was es war.

  Im nächsten Ort ging ich in die Raiffeisenbank und löste einen Euro-Scheck ein. Hinter dem Schalter stand eine junge Frau, blondhaarig, ein wenig schmal, rotgesichtig, unbeschäftigt. Wir waren allein.

  »Viele Touristen hier?«

  »Nein, noch nicht. Die Ferien sind ja noch nicht da.« Sie rollte das >r< sehr sympathisch, und sie lächelte mich zaghaft an. Wahrscheinlich waren Gespräche in dieser Bank selten.

  »Ich bin Journalist aus Bonn«, sagte ich freundlich. Ich reichte ihr meinen Presseausweis, und sie warf einen Blick darauf. »Ich habe hier mit einem gewissen Georg Tutting ein Interview. Er ist hier sehr beliebt, nicht wahr?«

  Das mochte sie, das Thema war gut. »Na sicher, er ist ja auch ein Großer, der Größte hier. Er ist hier Kunde, aber er ist bei jeder Bank hier Kunde. Wir nennen ihn immer BB, für >big boss<. Geht er denn nun jetzt nach Bonn?«

  »Das kann schon sein«, sagte ich vieldeutig. »Ich werde ihn das fragen. Wie viele Firmen hat er eigentlich?«

  »Mindestens zwölf. Jetzt hat er eine neue, stand schon in der Presse, jetzt baut er auch Golfplätze.«

  »Ist er eigentlich verheiratet?«

  »Er hat Grootens Marlies geheiratet damals. Die kannten sich schon in der Schule. Haben vier Kinder.«

  »Spielt er in der Kommunalpolitik auch eine Rolle?«

  Sie lächelte. »Offiziell nicht, aber hier läuft ohne ihn nichts.«

  »Wie lebt er denn so?«

  »Davon kriegen wir überhaupt nichts mit. Er hat da seine Villa mit Fernsehüberwachung und so. Mit den Leuten hier, also sagen wir mal gesellschaftlich, hat er ja nichts zu tun. Mehr schon mit den Amerikanern. Die sind oft hier.«

  »Soldaten?«

  »Das weiß ich nicht. Jedenfalls kommen sie immer in Zivil mit einem Hubschrauber.«

  »Sie haben mir sehr geholfen«, sagte ich und hatte das Gefühl, sie habe mir überhaupt nicht geholfen. Ich ging hinaus, steuerte eine Telefonzelle an und rief Trude Schott an.

  »Wieso landen zivile Amerikaner in Hubschraubern bei Tutting?«

  »Na ja, mein Junge, offiziell dürfte es die hier eigentlich nicht geben. Sie machen in Selbstzerstörungsanlagen. Wieso fragst du nach denen? Was Neues?«

  »Ich stochere nur so herum.«

  Ich stand da in der Sonne und kniff die Augen zusammen, weil ich Kopfschmerzen hatte und nichts als das dumpfe Gefühl der Aussichtslosigkeit. Vielleicht war die Lösung banal, vielleicht hatte irgendein junger Mann dem Papi die Remington geklaut und sie ausprobiert. Vielleicht eine der Figuren, die wir Randexistenzen nennen, die zu verhungern glauben, nicht ein noch aus wissen. Vielleicht so etwas?

  Ich ging noch mal in die Bank zurück.

  »Was hat Tutting denn so für Hobbys?«

  »Er ist Jäger«, sagte sie. »Er jagt im Sachsenwald bei Wohltorf. Dann noch irgendwo in Berchtesgaden. In Jugoslawien. Manchmal steht was darüber in der Zeitung.«

  »Was noch?«

  »Er hat ein Boot, eine Yacht. Ich glaube, auf Sylt.«

  »Noch eine indiskrete Frage: Hat er Weibergeschichten?«

  »Also, da würde hier sicher geredet. Nein, von so was weiß ich nichts.«

  Ich ging wieder in die Telefonzelle und rief mich selbst an.

  Isolde säuselte: »Eutin hier im Hause Baumeister.«

  »Isolde, ich habe eine Frage...«

  »Hoffentlich kommt ihr bald nach Hause. Ihr könnt doch eine alte Frau nicht so allein lassen. Was willst du denn, Liebchen?«

  »Sagt Ihnen der Name Tutting etwas?«

  »Georg Tutting, ja. Ist halt ein Stahlhelm-Mensch, einer von denen, die ständig vor den Russen und ihren Verbündeten warnen. Er ist ein Baumensch, oder irgend etwas in der Richtung. Und er hat großen Einfluß bei den Rechten, in der CDU und draußen. Er schrieb dem General immer wütende Briefe. Der General sei ein Naivling, der keine Ahnung davon habe, wie aggressiv die Russen wirklich sind. Warum?«

  »Nur so«, murmelte ich. »Ich glaube, wir kommen bald heim, ich habe die Nase voll.«

  »Das ist aber fein, Liebchen. Soll ich was Gutes zum Abendessen kochen?«

  »So schnell geht es auch wieder nicht. Kannten die sich persönlich?«

  »Der General und der Tutting? Ja, soweit ich weiß, haben die sich mal in Bonn kennengelernt. Der General sagte, der Tutting habe den irren Blick des Kriegers.«

  »Aha«, murmelte ich und hängte ein.

  Der Verkehr war ein wenig reger geworden. Ich hängte mich hinter einen Laster und trödelte durch den heißen Nachmittag. Trude Schott hatte erwähnt, man könne die Sprengschächte daran erkennen, daß die Deckel von einem eisernen Kreuz durchzogen sind. Vor dem Hotel auf der Kreuzung war so eine Gruppe von drei Schächten. Da ich keine Lust hatte, in das stille Hotel zu gehen, fuhr ich alle Ausfallstraßen ab. Sie waren alle vermint. Für die zehn- oder zwanzigtausend Einwohner würde das in einem Krieg eine teuflische Falle sein.

  Grübelnd aß ich ein Eis bei einem Italiener und ging dann in das Hotel. Es war dämmrig und vollkommen leer. Ich nahm meinen Zimmerschlüssel vom Brett und stieg durch das fast dunkle Treppenhaus nach oben. Hirschgeweihe, Elchgeweihe, ein ausgestopfter Dachs, ein ausgestopfter Auerhahn, ein riesiges, kitschiges Gemälde von Bismarck, gerahmt in Eichenbretter. Dazu in Linde geschnitzt der Spruch >Der Wald ist mein Zuhause!<

  Die Stille war so total, daß sie in den Ohren dröhnte. Ich zog mich ganz aus, legte mich auf das Bett und starrte gegen die Decke. Flüchtig dachte ich an Krümel und daß es gut wäre, sie jetzt hier zu haben.

  General, laß uns ein Bild malen, ein fotografisches gewissermaßen. Dein Haus unter den Buchen, du hinter dem Haus beim Holzhacken. Du siehst auf die Uhr und findest, daß du genug gearbeitet hast. Du gehst ins Haus, ins Badezimmer, du bist verschwitzt. Du läßt Badewasser einlaufen und schüttest etwas von dem blauen Badezusatz in die Wanne. Dann rasierst du dich. Zu diesem Zeitpunkt freut sich der alte Küster Mattes bereits auf den obligaten Besuch bei dir. Du wirst ihm Zigarren schenken - wie immer. Zu diesem Zeitpunkt fährt Carlo mit seiner alten schönen Honda Custom durch die Wälder. Vielleicht sucht er ein Motiv für ein Bild, vielleicht will er dich besuchen, vielleicht seid ihr sogar verabredet. Zu diesem Zeitpunkt streicht Germaine Suchmann bereits seit Stunden um dein Haus. Eigentlich muß sie dich anpumpen, weil sie am Ende ist. Aber sie traut sich nicht. Dann passiert etwas, General, und an diesem Punkt könntest du mir so etwas wie eine Eingebung zukommen lassen. Du rasierst dich also, und ehe du in das Badewasser steigen kannst, steht jemand in einer der beiden Fenstertüren, oder aber in der Haustür. Ich nehme an, es ist ein Mann. Germaine und der alte Mattes sind gesehen worden, dieser Mann ist von niemandem gesehen worden, niemand hat auf ihn hingewiesen. Daraus schließe ich, daß der Mann nicht über eine der befahrenen Straßen kommt, sondern quer durch den Wald. Vielleicht kennst du ihn, vielleicht kennst du ihn nicht. Ich weiß also nicht, ob du erstaunt bist. Der Fremde schießt und geht dann weg. Nein, halt, er geht eben nicht weg, sondern hebt zuerst sorgsam Patronenhülse für Patronenhülse auf. Er geht nach hinten durch die Buchen den Abhang hinauf. Er trifft erst Mattes, dann Carlo, oder umgekehrt, das spielt eigentlich keine Rolle. Dann geht er weiter quer durch den Wald und erreicht... ja, was erreicht er eigentlich?

  Ich rief im Verteidigungsministerium an. »Kann ich über Sie den Hauptmann Werner Bröder erreichen?«

  »Welche Dienststelle?«

  »MAD.«

  »Ich versuche es mal, aber die werden nicht mehr da sein.« Nach einer langen Pause kam es: »Bröder hier.«

  »Baumeister. Sagen Sie, haben Sie eigentlich feststellen lassen, wer zur Tatzeit mit welchem Auto in der Nähe des Generalshauses in der Eifel gewesen ist?«

  »Ich bin nicht mehr damit befaßt«, knurrte er.

  »Das weiß ich«, sagte ich leutselig, »aber fragen wird man dürfen.«

  »Wir haben erst gar nicht richtig loslegen können mit der Arbeit«, erklärte er verbittert. »Und Ihnen hat man verboten zu recherchieren.«

  »Machen Sie sich nicht lächerlich. Also, Sie wissen nichts. Schönen Abend noch.«

  Wie hieß der Mann, der an der Leiche des Generals dem Arzt das Polaroidfoto wegnahm und es zerriß? John Lennon hatte ihn mit Namen angeredet, aber wie? Dann fiel es mir ein. Ich rief die amerikanische Botschaft in Godesberg an.

  »Ich brauche entweder Mr. John Lennon oder seine Dienststelle. Und dort einen Mann namens Sammy.«

  »Mister Lennon ist in Urlaub. Sammy, sagten Sie? Moment mal.«

  »Ja, bitte?« fragte jemand mürrisch.

  »Sind Sie Sammy?«

  »Das kann sein. Wieso?«

  »Wenn Sie Sammy sind, dann haben Sie in der Eifel an der Leiche des Generals Otmar Ravenstein einem Arzt ein Foto aus der Hand genommen und es zerrissen.«

  »Sie sind der Journalist.«

  »Ja. Ich vermute mal, die CIA hat als einzige die Hausaufgaben gemacht. Also haben Sie wahrscheinlich versucht, alle Wagen festzustellen, die etwa zur Tatzeit auf den Parkplätzen rund um, das Generalshaus festgestellt wurden?«

  »Routine«, sagte er ungeduldig.

  »Welches Fahrzeug ist euch aufgefallen, und wo stand es?«

  »Scheiße!« sagte er heftig und legte auf.

  Ich starrte wütend den Telefonhörer an. Dann rief ich Gittmann an. »Legen Sie nicht auf, Sie sollen keinen Geheimnisverrat begehen, Sie...«

  »Das tue ich auch nicht«, sagte er heftig. »Nachdem der Große Bruder sich eingeschaltet hat, sage ich gar nichts mehr.«

  »Also die CIA. Dann war inzwischen Lennon bei Ihnen, nicht wahr? Sieht aus wie ein Hollywood-Gewächs, ist aber nicht dämlich genug, eines zu sein. Er hatte eine schmale, zierliche junge Frau bei sich. Bildhübsch, aber ein bißchen vulgär, nicht wahr...«

  »Mein Gott, Herr Baumeister, warum fragen Sie mich das alles, wenn Sie es ohnehin schon wissen?«

  »Ich bin Hellseher und Prophet zugleich. Ich weiß sogar, was Lennon gefragt hat. Er fragte nämlich, wann Sie zuletzt mit dem Unternehmer Georg Tutting gesprochen haben, nicht wahr?«

  »Sie machen mich wirklich wütend, Baumeister...«

  »Es ist Ihr Handicap, Gittmann, daß Sie überhaupt nicht richtig wütend werden können. Also: Wann haben Sie zuletzt mit dem König Tutting telefoniert?«

  »Am Dienstag war es«, seufzte er.

  »Am Dienstag vor dem Mittwoch, an dem der General starb, nicht wahr?«

  »Ja.«

  »Was genau haben Sie Tutting gesagt?«

  »Es war ein dienstliches Telefonat. Ich habe ihm den Termin für die öffentliche Diskussion durchgegeben und ihm gesagt, er würde auf dem Podium neben dem General sitzen.«

  »Haben Sie auch gesagt, daß es für Tutting diesmal eng wird?«

  »Das verstehe ich nicht.«

  »Anders gefragt: Haben Sie Tutting gesagt, daß der Abrüstungsvorschlag des Generals sehr überzeugend sein wird?«

  »Ich habe ihm im Spaß gesagt, er müsse sich verdammt warm anziehen. Außerdem ist die öffentliche Meinung zur Zeit sowieso gegen Rüstung und Militär.«

  »Danke«, murmelte ich und hängte ein.

  Es klopfte, Germaine kam herein, und sie bemerkte nicht einmal, daß ich nackt auf dem Bett lag. Sie war leichenblaß und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie machte vollkommen in sich gekehrt ein paar Schritte auf das Bett zu und sagte: »Baumeister, ich habe einen furchtbaren Alptraum gehabt. Dann bin ich aufgewacht, und die Wirklichkeit war noch schlimmer.« Sie atmete schwer.

  »Leg dich aufs Bett«, sagte ich hastig und streifte mir die Hosen über. Dann ließ ich den Zahnputzbecher voll Wasser laufen. »Trink das. Du wirst spüren, daß du noch schlucken kannst und Luft kriegst.«

  Sie legte sich auf das Bett, und ihre Hände krampften sich in die Bettdecke. Gleich darauf zuckte sie hoch, setzte sich aufrecht und keuchte: »Ich kann nicht auf dem Rücken liegen, nicht so still.«

  »Germaine, das alles war viel zuviel. Du bist mit dir selbst nicht klargekommen, dann der General, deine Mutter... Aber es könnte sein, daß wir die Sache mit dem General zu Ende bringen, bald sogar. Das wird dir sehr helfen. Wenn du willst, kannst du dann eine Zeit bei mir in der Eifel bleiben, wochenlang mit Krümel im Garten tollen. Und du bist vielleicht fähig, dich um deine Mutter zu kümmern.«

  »Du jagst mich nicht weg? Ich habe immer Angst, daß die Leute mich wegjagen.«

  »Ich würde sehr traurig sein, wenn du gehst.«

  »Oh, ich gehe nicht, Baumeister. Aber ich weiß, daß ich noch nicht so weit bin, daß ich eine echte Partnerin für dich sein kann.«

  Es war eine lange Weile sehr still, dann murmelte sie: »Ich muß mir erst selbst beweisen, daß ich nicht schlecht bin.«

  Irgendwann war es acht Uhr, und die Sonne hing schon riesig und rot über dem weiten Land und schickte sich an, in die Nacht zu tauchen. Germaine stand am Fenster und rief plötzlich aufgeregt: »Ob du es glaubst oder nicht, Baumeister. Da unten sind gerade der schöne John Lennon und seine kleine Prostituierte vorgefahren. Die wollen sich wohl ein Bett für die Nacht kaufen.«

  Ich mußte grinsen. »Lennon hatte dieselbe Idee wie ich. Nur war er etwas langsamer.«