* Fünftes Kapitel

 

»Was wissen Sie noch?« fragte ich vorsichtig.

  »Nichts, gar nichts.« Seine Hände schnitten barsch durch die Luft.

  »Aber Sie haben gesagt, er ahnte was. Also muß er darüber gesprochen haben.«

  »Hat er aber nicht«, entgegnete Wirges verkniffen. Sein Gesicht, eine verwitterte Landschaft aus tiefen Schluchten und Auffaltungen, wirkte sehr abweisend.

  Ich kenne meine Eifeler Eisenköpfe: Unter diesen Umständen, in diesem Haus würde er kein Wort mehr sagen. »Wir müssen weiter. Ich werde Sie mal besuchen.«

  »Was sage ich, wenn ich gefragt werde, wer hier war?«

  »Sagen Sie, ich war hier.« Wir marschierten zum Auto zurück, und von der nächsten Telefonzelle rief ich den Polizisten Horst Böhmert zu Hause an. Seine Frau sagte, er sei da, aber nicht zu stören.

  »Sagen Sie ihm, Baumeister ist dran. Er kann zu Hause bleiben.«

  »So etwas glaube ich schon lange nicht mehr«, sagte sie knapp.

  Böhmert war verschlafen, aber wenigstens gutgelaunt. »Erzählen Sie nicht, Sie hätten die nächste Leiche entdeckt.«

  »Keine Leiche. Irgendwer war im Haus, und es sieht aus, als habe jemand ein Dutzend Handgranaten geschmissen.«

  »Ich weiß davon. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wer es war. Um im Amtsdeutsch zu bleiben, war es eine sehr gründliche Untersuchung des Tatortes. Fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wonach die gesucht haben, denn das weiß ich nicht.«

  »Das weiß ich aber«, sagte ich.

  »Was?« Er atmete lange aus.

  »Wir treffen uns morgen«, sagte ich. »Sagen wir um acht bei Ihnen?«

  »Mattes und Carlo sind mit derselben Waffe erschossen worden wie der General. Passen Sie auf sich auf.«

  Im Wagen sagte Germaine: »Jetzt fahren wir doch bestimmt nachsehen, ob das Haus in Meckenheim auch durchsucht worden ist.«

  »Na sicher. Was ist das für eine Gegend?«

  »Es ist ein kleines Haus unter vielen in einer Schlafstadt. Beton und Holz und nichts als rechte Winkel. Die meisten Leute arbeiten in Bonn in den Ministerien. Eine Hundertschaft grüne Witwen an der anderen. Ein paar Türen weiter lebte eine Alkoholikerin. Bevor sie morgens zu saufen begann, hat sie erst das ganze Haus geputzt, Tag für Tag. Mittags kam der Hausarzt und gab ihr eine Spritze, man konnte die Uhr danach stellen. Aber niemand half ihr wirklich. Aber Meckenheim ist praktisch: Zwanzig Minuten bis ins Regierungsviertel. Wieviel Uhr ist es eigentlich?«

  »Neun Uhr an einem Sommerabend. Sie werden alle in ihren Gärten sitzen. Sag mal, der General war doch eigentlich ein liebenswerter, liberaler Mensch. Wieso ließ er seine Kinder nicht an sich heran?«

  »Er fand, sie hätten durch den ständigen Umgang mit der Mutter ein schiefes Bild von der Welt. Boston-Elite, verstehst du? Ostküsten-Goldkinder. Die leben in der Überzeugung, der liebe Gott habe ihnen den Rest der Welt nur hingebaut, damit sie etwas zu spielen haben. Der General mochte sie nicht und sagte, es stehe nirgendwo geschrieben, daß ein Vater seine Kinder nicht verabscheuen dürfe.«

  Ich kroch in einer langen Schlange von Lastwagen und ungeduldigen PKW-Fahrern zur Kaltenborner Höhe hoch und machte dort an einem Restaurant halt.

  »Ich habe dir einen Umschlag zurechtgemacht. Ein bißchen Geld, damit du nicht das Gefühl hast, abhängig zu sein. Ehe du aber in Dankesorgien ausbrichst: Ich will es irgendwann wiederhaben, aber ich werde dich nicht mahnen.«

  Sie sah mich mit einem undefinierbaren Blick an, aber sie nahm es.

  Wir stiegen aus und gingen in die fast leere Kneipe. Über der Bonn-Kölner Ebene sank die Sonne groß und rotglühend in die Nacht. Ich brach das Schweigen.

  »Was trieb er eigentlich, nachdem er seinen Dienst quittiert hatte?«

  »Der Verteidigungsminister hatte ihm vorgeschlagen, in einer Nische zu warten, bis Gras über das Gutachten gewachsen sei.«

  »Was war das für eine Nische?«

  »Er sollte bei den Kommandeuren der Bundeswehr Werbung für die Pershing-Raketen und die Cruise-Missiles machen. Er sagte einfach nein.«

  »Er nahm also seinen Hut und ging. Was dann?«

  »Er baute sich das Haus in der Eifel. Er sagte mir mal am Telefon, als Pensionär habe er mehr zu tun als vorher. Aber er sagte nicht, an was er sonst arbeitete.«

  Die Kellnerin kam; wir hatten beide keine Lust auf richtiges Abendbrot und bestellten einen Eisbecher.

  »Du wirst einfach vorfahren, ganz offen an die Haustür gehen und hineinmarschieren. Wenn alles in Ordnung ist, knipst du ein Licht an, am besten im ersten Stock. Ich komme dann irgendwie möglichst unauffällig nach.«

  »Okay.«

  Wir fuhren hinunter in die Ebene auf die Autobahn und verließen sie an der Ausfahrt Meckenheim-Merl. Es ging in ein reines Siedlungsgebiet, dann sagte sie: »Links, die Häuser. Otmars Haus ist das vorletzte.«

  »Setz du dich hinter das Steuer. Wo ist der Parkplatz?«

  »Rechts von hier, am Ende der Straße.«

  Sie lächelte mir zu, als ich ausstieg; es sollte aufmunternd sein, wirkte aber eher wie Zahnweh. Dann rollte sie langsam davon. Ich ging die Gärten entlang und entdeckte erleichtert, daß die meisten Leute nicht zu Hause zu sein schienen - keine Lichter in den Fenstern.

  Es ging in einen schmalen Fußweg zwischen zwei Häusern. Dann kam ein kleiner Platz mit zwei Holzbänken unter vier ganz jungen Platanen. Da war ein Kinderspielplatz von der Art, wie alle Kinder ihn hassen. Nach rechts ging es in den Fußweg, an dem die Hauseingänge lagen. Der Weg selbst führte geradeaus in ein Waldstück. Die Rückfront der Gärten bestand aus massiven, gut über zwei Meter hohen Zäunen aus Bohlen und Planken, so dicht gesetzt, daß man nicht einmal hindurchsehen konnte. Elitäre Isolation. Ich zog mich vorsichtig auf den Zaun hinauf, von dem ich annahm, daß er das Grundstück des Generals begrenzte. Es war niemand in den Gärten, die Häuser lagen völlig dunkel da. Dann ging irgendwo links im Obergeschoß das Licht an, und ich sprang in den Garten hinunter, ein Stück Rasen mit einigen Ziersträuchern, nicht größer als ein paar Badetücher.

  Sie öffnete die Terrassentür, es quietschte leise. Sie murmelte: »Hier sieht es genauso aus wie in der Eifel. Alles kaputtgemacht. Diese Vandalen!«

  »Fotografier wieder. Ist dir irgend etwas Besonders aufgefallen?«

  »Nichts. Ich finde es nur fürchterlich obszön.«

  »Geheimdienste brauchen keine Rücksicht zu nehmen.«

  Wir arbeiteten sehr konzentriert. Sie fotografierte, ich diktierte, was ich im Licht der Taschenlampe sah. Auch hier alle Bücher aus den Regalen gekippt, die Regale aus der Wand gerissen, Sessel und Sofas aufgeschlitzt, Bilder von der Wand genommen und fortgeworfen. Im Bad hatten sie sogar den Wasserkasten der Toilette aus der Wand geschraubt. Es war, als hätten brutale Außerirdische vorgehabt, die Lebensumstände der Menschen zu erforschen.

  »War das Siegel an der Haustür verletzt?«

  »Ja.«

  »Schließ hinter dir ab und geh zum Parkplatz.«

  »Findest du es nicht komisch, daß in dieser Häuserzeile kein Mensch zu Hause ist?«

  »Ferien werden sein. Die Kinder sind groß.«

  »Aber die Schulferien haben doch noch gar nicht begonnen.«

  »Wir Einbrecher haben eben Glück«, sagte ich und lief durch den Garten zum Zaun. Ich kletterte hinüber und lief durch den Wald gemächlich zum Auto zurück. Sie war schon da.

  »Irgend etwas stimmt doch da nicht«, drängte sie weiter. »Ausgerechnet in diesen sechs Häusern ist kein Mensch, und alle anderen sind normal bewohnt.«

  »Vielleicht haben die hier eine Bürgerinitiative und besaufen sich im Biergarten.«

  »Baumeister, sei doch nicht so blöde, mach doch die Augen auf. Fahr mal an den Häusern entlang, irgendwo sitzen Leute im Garten.«

  Sie hatte recht. Im letzten Garten auf der Gegenseite saß eine Runde offensichtlich fröhlicher Menschen.

  »Laß mich mal«, murmelte ich, aber sie kam hinter mir her. Ich mußte ein Gartenpförtchen öffnen, das mir bis zur Wade reichte. Dann ging es über einen mit Kunststeinen ausgelegten Weg durch millimeterkurzes Gras.

  »Guten Abend«, sagte ich höflich. »Können Sie uns vielleicht weiterhelfen?«

  Der, der gerade den letzten Witz gelandet hatte, war ein bulliger, rotgesichtiger Mann, der irgendwann in der nächsten Zeit plötzlich an Hochdruck sterben würde. »Na sicher doch«, grölte er. »Kommet her zu mir, die ihr einsam und verloren seid. Ha, ha, ha!«

  »Es ist so«, stotterte ich betont schüchtern. »Wir hatten eine Einladung von General Ravenstein, das vorletzte Haus, andere Seite. Wir kommen hin, und kein Mensch ist da. Wir wollen die Nachbarn links oder rechts fragen, auch kein Mensch da, wir wollen...«

  »Kein Mensch ist da!« grölte der Rotgesichtige.

  »Richtig«, sagte ich beglückt über seine schnelle Auffassungsgabe.

  »Mein Freund«, trompetete er, als sei das ein grandioser Witz, »die sind alle nicht da, die können gar nicht da sein.« Er lachte schon wieder schallend.

  »Das ist ja wirklich komisch, nicht?« fragte Germaine mit strahlendem Lächeln, und niemand wußte, was sie eigentlich meinte.

  »Eigentlich ist es gar nicht so komisch«, murmelte eine Frau mit langen, hellblonden Haaren und spitzem Gesicht. »Die sind für diese Nacht ausquartiert worden. Evakuiert sozusagen.«

  Ein junger Mann mit einem T-Shirt, auf dem >lover-boy< stand, mischte sich eifrig ein. Mit einem gewinnenden Lächeln sagte er zu Germaine: »Die sind in feine Bonner Hotels ausquartiert worden. Irgend etwas mit der Kanalisation ist nicht in Ordnung. Da haben sich Gase entwickelt. Die Stadtverwaltung will die irgendwann absaugen. Da waren auch schon irgendwelche Leute da.«

  »Danke«, sagte ich artig, auch Germaine hauchte >danke<, strahlte den Sonnyboy an, und wir schritten würdig davon.

  »Du hast etwas gerochen, nicht wahr?« fragte ich. »Was?«

  »O ja«, murmelte sie und setzte sich in den Wagen. »Der General ist tot, er kann sich nicht mehr wehren. Sie haben jedes Haus umgepflügt. Ob sie gefunden haben, was sie suchten, wissen wir nicht, aber sie haben ein Trümmerfeld zurückgelassen. Und weil die Angehörigen todsicher Stunk machen werden, müssen sie jetzt noch die Trümmerfelder endgültig erledigen.«

  »Du bist gut, du solltest Rechercheur werden.«

  Sie sah mich dankbar an. Einen Moment hielten ihre Augen mich fest, dann fragte sie leise: »Was jetzt?«

  »Wir trennen uns. Du nimmst den Wagen und fährst an sein Eifel-Haus. Aber paß auf, daß dich niemand sieht. Ich bleibe hier. Wir warten bis zur Morgendämmerung. Dann holst du mich drüben an dem Telefonhäuschen ab.«

  »Gut«, sagte sie. Noch so ein Blick wie eben, dann fuhr sie davon.

  Ich schlich durch den schmalen Fußweg in den Wald. Ich erinnerte mich, einmal in einem Buch für St.-Georgs-Pfadfinder gelesen zu haben: >Wenn du dich in einem Hochwald verstecken mußt, suche nicht die niedrigen Gebüsche auf. Dort vermutet man dich am ehesten. Hocke dich einfach an den Fuß eines Stammes und verharre bewegungslos. Du wirst mit der Nacht verschmelzen.< Komisch, was einem so alles wieder einfällt. Also verschmolz ich mit der Nacht und bemühte mich, nicht in endlose Grübeleien über das zu versinken, was geschehen könnte.

  Es war ein Uhr, als ich auf die Idee kam, daß ich vom Waldboden aus vermutlich nichts sehen könnte - falls es etwas zu sehen gäbe. Also kletterte ich erneut auf den Zaun, der die Grundstücke umgab, und sah mich um. Die Häuser waren-nichts als phantasielose Kästen, jeweils mit einer schmalen Brücke verbunden, in der Haustür und ein kleiner Flur untergebracht waren. Die Flachdächer mußten so etwa fünf Meter hoch liegen. Ich beschloß, mich auf einem dieser Dächer auf die Lauer zu legen. Suchend blickte ich mich nach einer Möglichkeit um, auf das Dach zu gelangen. Es war fast zu schön, um wahr zu sein: In einer Hausecke entdeckte ich einen Haufen von Kaminholz, an die vier Meter hoch, über den man fast auf das Dach marschieren ^konnte. Oben lag eine dicke Schicht Kies, was meiner Lautlosigkeit kaum förderlich sein würde.

  Es gab drei kuppelförmige Oberlichter. In einem der Räume unter mir war eine sehr intensive grüne Lichtquelle, die mir einige Sorgen bereitete, bis ich erkannte, daß es ein Aquarium war. Ich mußte nur anderthalb Meter hinuntersteigen, um den Anbau mit dem kleinen Hausflur zu überqueren und mich auf das Dach des Nachbarhauses zu schwingen. Vom dritten Haus aus konnte ich sowohl den Fußweg wie die Fahrstraße gut einsehen. Hier blieb ich.

  Um zwei Uhr kam die erste Fußstreife. Es waren zwei Uniformierte, die wortlos und auf leisen Sohlen den Fußweg entlanggingen. Dann fuhren drei Streifenwagen auf und stellten sich so, daß die Zugänge zu den Fußwegen versperrt waren. Es folgten eine zweite, eine dritte, eine vierte Funkstreife. Jeder Polizist hatte ein Walkie-talkie in der Brusttasche. Dann kam aus Richtung Innenstadt ein Löschfahrzeug der Feuerwehr. Niemand stieg aus. Ich schob mich an den Rand des Daches zum Fußweg hin.

  Ein kleiner Lautsprecher quäkte: »Einsatzkommando folgt in minus fünf. Keine weiteren Vorkommnisse.« Auf meiner Uhr war es 2.03 Uhr. Zwei Minuten später rollte lautlos ein Ford-Transit-Bus auf der Straße aus. Sechs Männer stiegen aus und schleppten Taschen und Kisten. Sie waren vollkommen schwarz gekleidet, mit schwarzen Gesichtsmasken und schwarzen Handschuhen. Ich mußte unwillkürlich an das Celler Loch denken. Sie marschierten im Gänsemarsch zum Haus des Generals und verschwanden darin. Dann war es wieder ganz still.

  Um 2.17 kamen sie wieder heraus, marschierten lautlos zum Bus zurück und fuhren ab. Der kleine Lautsprecher unter mir quäkte: »Vorbereitungsphase abgeschlossen. Achtung: in minus drei!«

  Die Polizeistreife unter mir ging gemächlich zu dem kleinen Platz, wo der Kinderspielplatz lag. Dort standen jetzt acht Uniformierte. Noch immer geschah nichts, die Lage blieb still und unübersichtlich.

  Auf einmal gab es einen gewaltigen Knall, dann einen Feuerschein, der von überall herzukommen schien, dann ein furchtbar grelles Licht, und das Haus unter mir wackelte. Dann kam eine Wolke Staub und Qualm und hüllte mich ein. Ich lag flach auf dem Kies und bemühte mich, nicht zu husten, wenngleich kein Mensch das gehört hätte. Im Haus des Generals klirrte und schepperte es.

  Ich konnte sehen, wie die Oberlichter dort immer greller glühten. Es dauerte nur Sekunden, bis sie wie Kanonenschüsse platzten und die Reste durch die Luft segelten. Dann schlugen Flammen durch den Staub und Qualm, seltsam grelle, blaugrüne Flammen wie von Schweißgeräten. Das Licht kannte ich, ich hatte es schon früher gesehen: Phosphor und Magnesium.

  Die Fußstreifen setzten sich in Bewegung, auf dem Feuerwehrauto begannen die blauen Lichter zu kreisen, Sirenen ertönten laut, die Mannschaften polterten heraus.

  Jetzt durften sie löschen.

  Befehle kamen klar und laut durch die Nacht. »Rohr C anschließen. Erster Trupp mit Leitern, marsch!« Die Polizisten bildeten jetzt eine Kette auf der Fahrstraße, niemand der neugierigen Anwohner würde durchkommen.

  Ein Stückchen brennende Teerpappe segelte auf mein rechtes Jeansbein. Ich fluchte unterdrückt und klopfte es aus. Dann robbte ich nach vorn und fotografierte. Erst als der Film fast voll war, ließ ich mich vom Dach nach hinten in den Garten fallen.

  Ich zog mich am Zaun zum Wald hoch und entdeckte anderthalb Meter entfernt den Kopf eines gelangweilten Polizisten, der eine Zigarette rauchte und auf die quäkenden Laute aus seinem Walkie-talkie lauschte. Als er mich sah, bekam er riesengroße Augen. Gleich würde er Alarm schlagen.

  Ich zog mich ganz schnell hoch und fragte gelangweilt: »Bereitschaft oder hiesiges Revier?«

  »Bereitschaft«, antwortete er automatisch. Dann wurde er scharf.

  »Was machen Sie da? Wie kommen Sie da hin?«

  »Beobachter«, sagte ich ruhig, sprang vor seine Füße und fragte: »Haben Sie mal Feuer?«

  »Na sicher«, sagte er verblüfft und reichte mir ein Feuerzeug. »Stimmt das mit den Terroristen?«

  »Ja«, sagte ich knapp. Ich zündete mir die Pfeife an, zog ein paarmal und murmelte: »Na dann, ich muß wieder.«

  »Wir haben immer nur die Scheißjobs«, klagte er. »Ich habe jedesmal einen Zaun vorm Kopf. In Wackersdorf war das genauso.«

  »Ich kenne das«, sagte ich mitfühlend. »Das legt sich mit der Zeit.« Dann ging ich zielstrebig zum Haus und schaute über den Zaun. Es war ein gutes Motiv, wie die dunklen Scherenschnitte der Feuerwehrleute vor den grellen Fensteröffnungen hin und her tanzten. Ich fotografierte so unauffällig wie möglich. Auf dem Parkplatz war ich bloß einer von vielen, denn inzwischen hatte sich eine Menge notdürftig bekleideter Nachbarn versammelt; man fand das alles ungeheuer interessant. Jemand sagte: »Der war ja Frührentner oder so was. Bestimmt hat er den Herd nicht ausgemacht, man kennt das ja.« An dem kleinen Feuerwehrauto stand ein Mann in Uniform und dem Ledernackenhelm der Brandbekämpfer. Am Revers trug er die kleine Ausgabe des Bundesverdienstkreuzes, also war er sicherlich schon 50 Jahre bei der Feuerwehr. Man sah ihm an, wie wichtig er sich fühlte.

  »Schöne Bescherung«, sagte ich und schaute beeindruckt.

  »Ich darf ja nichts sagen«, krächzte er und plusterte sich auf. Dann sah er sich verschwörerisch um und sagte schließlich in gönnerhaftem Ton: »Also, das war ein Geheimeinsatz, von wegen Terroristen und so. Der General - da wohnte nämlich ein General - ist im Urlaub, und sie hatten sein Haus heimlich besetzt. Die bastelten Bomben da drin! Aber wir haben es erfahren. Ist eine ziemliche Schweinerei, Phosphor und Magnesium. Dauert lange und braucht viel Wasser, und du kannst wegen der Hitze nicht so nah ran.«

  »Sie waren ja unheimlich schnell hier.«

  Er grinste ein zahnloses Grinsen, weil er wohl vor lauter Aufregung sein Gebiß zu Hause gelassen hatte. »Wir wußten schon vorher Bescheid, Mann. Die sind alle festgenommen worden. Und dann ging die Bude hoch. Aber ich darf ja nix sagen.«

  Ich zog mich zu den Zuschauern zurück und schlenderte die Fahrstraße entlang, von Polizist zu Polizist. Eine junge, etwas dickliche Frau kam mir mit einem von Kameras zugehängten Mann entgegen und fragte schrill: »Wer hat hier das Oberkommando? Presse! Rudi, Mann, nun fotografier doch schon! Meinst du, sie schüren das Feuer extra noch mal, wenn du soweit bist?«

  Ich stopfte mir die Monaco und zündete sie an. Das hätte ich nicht tun sollen, denn ich achtete für einen Moment auf nichts und niemanden. Eine schwere Hand legte sich mir auf die Schulter, und jemand sagte: »Also doch!« Es war der Schönling, der Mann, der an der Leiche des Generals der King gewesen war.

  »Nicht zu fassen, wo man sich trifft«, sagte ich so locker wie möglich.

  Er ließ meine Schulter los und sagte mit unüberhörbar amerikanischem Akzent: »Reden wir miteinander, Mister Baumeister. Das muß wohl sein.«

  Er ging langsam vor mir her, und ich folgte ihm. Mir blieb auch nichts anderes übrig.

  Er trug einen eleganten leichten Trenchcoat zu Jeans und weißen Tennisschuhen, und er ging voller Energie. »Sehen Sie, wir haben Sie deutlich gebeten, sich herauszuhalten. Ich habe allerdings nicht geglaubt, daß Sie es wirklich tun. Wie kommen Sie also hierher?«

  »Ganz einfach: Ich wollte das zweite Domizil des Generals sehen.«

  »Mitten in der Nacht?«

  »Mitten in der Nacht. Wieso haben Sie mitten in der Nacht das Haus in die Luft gejagt?«

  Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete mich mit einem eiskalten Blick.

  Dann sagte er: »Habe ich nicht. Ich bin mit der Angelegenheit nicht betraut.«

  Er sprach schwierige deutsche Sätze, ohne zu stocken.

  »Und wenn Sie nicht damit betraut sind, warum sind Sie dann hier?«

  »Ich erfahre alles, was mit dem General zusammenhängt.« Seine Stimme war sanft, doch die Augen ließen mich frösteln.

  »Dann wissen Sie ja auch, daß ich noch zwei Leichen gefunden habe.«

  Er nickte. »Allerdings. Und ich weiß, daß Sie sich besser nicht eingemischt hätten. Sie haben es versprochen.«

  »Machen Sie sich doch nicht lächerlich!« sagte ich forscher, als ich mich fühlte.

  Er schlug den Fußweg zu einem etwas abgelegenen Parkplatz ein und zündete sich dabei eine Senior Service an. Ich trottete immer zwei Schritte hinter ihm her und fragte mich, worauf das hinauslaufen würde. Er ging auf einen Jeep zu, brandneu, tiefschwarz, dreißigtausend Dollar teuer, mit Funktelefon. Lässig lehnte er sich gegen den Wagen und sah mich an.

  »Was glauben Sie, wer den General getötet hat?« fragte ich, um das unangenehme Schweigen zu durchbrechen.

  Er zuckte die Achseln.

  »Ich weiß es nicht.«

  Was sollte die ganze miese kleine Inszenierung? Allmählich kam mir die Galle hoch. Die Folgen waren mir egal: Jetzt war es Zeit für einen Frontalangriff. »Warum dieser Vandalismus mit dem Haus? Oder muß ich sagen: Mit den Häusern?«

  Er sah mich weiter mit diesen völlig ausdruckslosen Augen an und sagte: »Sie sollten aussteigen.«

  »Warum macht euch allen das Gutachten des Generals so sehr zu schaffen?« Es war heraus, bevor ich darüber nachdenken konnte. Zum ersten Mal zeigte er Wirkung.

  »Woher wissen Sie davon?« fragte er lauernd, und ich wußte, daß ich einen Fehler gemacht hatte.

  »Ganz Washington hat damals über nichts anderes geredet. Und in Bonn weiß es auch jeder.« Ich hoffte, daß ich überzeugend geklungen hatte. Die blökenden Stimmen der Feuerwehrleute klangen sehr fern.

  »Ihre neue Freundin, diese Germaine Suchmann, hat Ihnen davon berichtet, nicht wahr?« Ich kam mir vor wie eine Versuchsmikrobe auf dem Objektträger.

  »Ja, sie auch«, sagte ich möglichst beiläufig.

  »Sie ist eine miserable Informationsquelle«, sagte er gedehnt. »Sie treibt es mit jedem und für alles. Jeder kann sie bezahlen, und für Geld täte sie alles.«

  »Jeder nicht«, sagte ich wütend. »Sie bestimmt nicht.«

  Er bewegte sich nicht einmal schnell. Er stand plötzlich direkt vor mir und schlug mir mit der rechten Hand quer über das Gesicht. Ich taumelte nach links, hörte ihn sagen: »Halten Sie sich raus.« Und dann wirbelte er auf einmal irgendwie quer vor mir durch die Luft und nahm mich in eine Beinschere. Ich konnte sofort nicht mehr atmen und stürzte. Im Fallen traf mich ein Fuß im Gesicht, und ich bekam noch ein verächtliches »Bastard!« mit, dann hatte ich nur noch ein Rauschen in den Ohren,

  die Schwärze wurde überwältigend, und noch ehe die Furcht über mir zusammenschlug, war ich ohnmächtig.

  Ich kann nicht sehr lange ohne Bewußtsein gewesen sein, denn meine Pfeife lag dicht vor meinen Augen und qualmte noch. Daneben lag meine Brille, das rechte Glas war zerbrochen. Der Jeep war fort. Ich nahm mir zum hundertsten Mal in diesem Leben vor, endlich irgend etwas zu lernen, Jiu Jitsu, Karate, Kung Fu oder irgendeine andere dieser mächtig eindrucksvollen Arten, um ganz nebenbei mit ein paar schnellen Bewegungen drei bis sechs Männer ins Krankenhaus zu schicken. Meine Nase blutete, ich hielt mir ein Tempotuch davor und schaute in den wieder dunklen Himmel über Meckenheim-Merl. Ich fragte mich, wie lange es dauern konnte, bis Germaine auftauchte. Dann sagte jemand: »Wollen Sie etwa auf der Bank schlafen, oder sind Sie besoffen?«

  Es war der Rotgesichtige von der Gartenparty vorhin, nur daß er jetzt eine Strickjacke über einem lächerlich gelbgestreiften Schlafanzug trug und mich noch mehr nervte.

  »Ich ruhe mich nur aus«, sagte ich und stand auf. Mein Schädel tat gewaltig weh.

  Er nörgelte: »Nun seien Sie doch nicht beleidigt, Mann. Wir können doch noch einen zusammen trinken.«

  Ich mochte ihn nicht, ich ließ ihn einfach stehen. Als ich endlich alleine war, versuchte ich ein bißchen Luft zu bekommen. Ich setzte mich auf eine andere Bank, untersuchte mit der Zunge meinen Mund und biß auf etwas Hartes. Es war der Schneidezahn vorn links unten. Natürlich bekam ich im gleichen Moment Zahnschmerzen und fühlte mich ekelhaft. Dann mußte ich grinsen, weil ich daran dachte, wie Germaine staunen würde. Nun hatten wir etwas gemeinsam.

  Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß; irgendwann muß ich sogar eingeschlafen sein, denn plötzlich saß Germaine neben mir, berührte mich ganz sanft am Arm und fragte: »Ist der Kram hier auch in die Luft gegangen?«

  »Na sicher«, sagte ich. »Wieviel Uhr war es bei dir?«

  »Ziemlich genau fünfzehn nach zwei«, sagte sie. »Da kamen irgendwelche schwarzen Zwerge und schmissen ganz einfach etwas durch die Fenster. Es explodierte so ungefähr alles. Und vorher waren schon Bullen und die Feuerwehr aufgekreuzt. Es war furchtbar, Baumeister, weil ich in einem Ameisenhaufen hockte. Mit dir kann man was erleben!«

  »Erinnerst du dich an die Männerrunde beim General? Da war doch so ein amerikanischer Schönling dabei. Kennst du den?«

  Forschend sah sie in mein zerschundenes Gesicht. »Natürlich. Der Kerl heißt John Lennon, wie der Musiker. Aber vielleicht ist das auch nur ein Deckname.«

  »Wollte der mal etwas von dir?«

  »Ja, ja«, sagte sie verblüfft. »Woher weißt du das? Das war in Washington. Bei irgendeiner Party hat er mir ziemlich plump vorgeschlagen, gemeinsam hinter einem Brunnen in Deckung zu gehen. Ich weiß noch, ich habe ihm empfohlen, doch selbst Hand an sich zu legen.«

  »Mein Gott, bist du grob.«

  »Das Leben ist hart. Wieso fragst du?«

  »Nur so. Jetzt fahren wir erst mal heim.«

  »Das ist gut. Ich habe nämlich nachher einen Zahnarzttermin.«

  »Nimmst du mich mit zum Zahnarzt?«