* Sechstes Kapitel

 

Auf der Rückfahrt waren wir recht einsilbig. Zu Hause schliefen wir ein paar Stunden, dann pflegten wir unsere Wunden. Mein Gesicht färbte sich in allen Farben des Regenbogens. Der Zahnarzt fragte mich, ob ich denn für diesen schweren Unfall jemanden haftbar machen könne, und ich erwiderte: »Ja sicher, der war ja schuld«, aber ich wußte natürlich, daß die CIA es ablehnen würde, einen Schönling namens John Lennon überhaupt zu kennen. Ich bekam, wie Germaine, einen vorläufigen Zahn, ein paar Tabletten gegen den Schmerz und wurde entlassen. Bei meinem Optiker in Hillesheim erreichte ich eine schnelle Reparatur meiner Brille.

  Dann machten wir uns auf nach Trier, weil Germaine sich ein Minikleid kaufen wollte, vor allem aber, weil wir Zeit zum Nachdenken brauchten. Sie kaufte nicht ein Kleid, sie kaufte gleich drei. Ich sah ihr zu, wie sie lustvoll mit dem Hintern wackelnd die Fähnchen anprobierte, so stolz wie alle Väter ihren gut geratenen Töchtern zusehen - und ich denke, daß dieser Vergleich ein bißchen gelogen ist. Gegen Mittag fuhren wir zurück in die Eifeleinsamkeit.

  »Wir sollten Carlos Waffe suchen«, meinte sie zufrieden.

  »Wir müssen zuerst an Carlos Eltern ran!« bestimmte ich. Es schien, als seien wir ganz selbstverständlich zu einem Team geworden. »Und heute abend müssen wir zu dem Polizisten Böhmert. Und wir sollten herausfinden, an was der General gerade arbeitet.«

  Sie murmelte: »Ich weiß auch gar nicht, mit welchen Leuten er zuletzt umging. Das müssen wir auch wissen.«

  »Nicht zu vergessen: der Bauer Wirges«, sagte ich.

  Sie schwieg eine Weile, lächelte und sagte fast vergnügt: »Das ist richtig viel Arbeit, und es macht Spaß.«

  »Ich habe heute nacht an deinen Exmann in Washington gedacht. Würde der helfen?«

  »Wenn er riecht, daß ihm das Arbeit oder Schwierigkeiten macht, bestimmt nicht. Wieso?«

  »Als das Gutachten verschwand, müssen die Geheimniskrämer verrückt gespielt haben. Wir brauchen einen Geheimdienstmann, der uns davon erzählt.«

  »Dazu ist mein Exmann aber nicht flexibel genug. Aber Penelope kann das machen. Sie intrigiert gern, und sie hat jede Menge Kontakte.«

  »Wer immer sie ist, ruf sie an. Dann noch etwas: Wir müssen an dieses Seepferdchen in Berlin ran.«

  »Würdest du mich mitnehmen?«

  »Ruf sie an, mach einen Termin. Und jetzt machen wir uns eine Wand.«

  »Eine was?«

  »Eine Wand. Du wirst schon sehen.«

  »Pyramus und Thisbe?«

  »Viel prosaischer. Zeigte der General irgendwann Anzeichen von Verfolgungswahn?«

  »Das kann ich mir nicht vorstellen. Wegen dieser komischen Sache mit den Feuerwehrschlauch und der Waffe?«

  »Nun, eingebildet hat er sich die Gefahr ja erwiesenermaßen nicht, aber solch eine Vorrichtung erscheint mir doch mehr als sonderbar.«

  »Vielleicht war Otmar manchmal zu lange allein«, murmelte sie.

  Unten im Talkessel dampfte Daun vor sich hin, und nichts ist so tot wie eine Kleinstadt in brütender Hitze. Krümel kam von der hinteren Ablage und legte sich auf Germaines Schoß. Germaine streichelte sie zärtlich. »Ich hatte als Kind eine kleine, fuchsfarbene Katze. Eines Tages war sie weg. Papa behauptete, sie sei krank gewesen.«

  »Und du hast es nicht geglaubt?«

  »Nein. Ich denke, ich habe sie mehr geliebt als ihn. Das konnte er nicht ertragen.« Sie hing noch ihren Gedanken nach, als wir in den Hof einbogen.

  An der Scheune erwartete der arrogante Stadtkater Knubbel meine schöne Krümel und schlug sich laut maunzend in die Büsche. Sie schlich hinter ihm her, ohne sich im geringsten zu zieren.

  »Auf Frauen ist eben kein Verlaß.«

  »Das Schlimme ist«, sagte sie sanft, »daß auf Frauen fast immer Verlaß ist. Das macht euch so unsicher.«

  Wir nahmen das alte leerstehende Zimmer, von dem ich immer träume, einen Billardtisch hineinzustellen, einen Sessel und eine Lampe, die ein aufgeschlagenes Buch beleuchtet. Wir behängten die ganze Längswand mit braunem Packpapier.

  »In das Zentrum male ich einen roten Kreis, das ist der Mord an Otmar Ravenstein. Rechts außen schreiben wir von oben nach unten alle bisher bekannten Beteiligten, also den Polizisten Böhmert, den Bauern Wirges und so weiter. Links außen listen wir alle Institutionen auf, von denen wir wissen, daß sie am lebenden oder toten General interessiert sind, die Staatsanwaltschaft, die CIA, den Bundesnachrichtendienst et cetera. Ganz oben auf der Wand verzeichnen wir alle Ereignisse, die mit Gewalt zu tun haben: Den Mord an dem alten Mattes, an Carlo, die zerstörten Häuser und so weiter. Unten auf die Wand kommen die Rechercheergebnisse, das Gutachten zum Beispiel. Klar?«

  »Was ist, wenn dieser John Lennon zum Beispiel etwas mit dem alten Küster Mattes zu tun hat?«

  »Dann verbinden wir beide mit einem Strich, an dem steht, wie die Verbindung aussieht.«

  »Das wird wie ein Schnittmusterbogen aus einer Frauenzeitung.«

  Wir brauchten zwei Stunden, um die Wand komplett zu machen. Dann machten wir eine Pause und betrachteten unser Werk. Mit zurückgelegtem Kopf sagte sie: »Wir haben einiges vergessen. Zum Beispiel die Russen. Die müssen ein Interesse an Otmar gehabt haben.«

  »Sehr gut. Schreib es hin. Es könnte ja auch sein, daß irgend jemand den General erschoß, weil er in einer Ecke seines Lebens ganz anders war, als wir ihn kannten. Wir sollten also seine für die Umwelt negativen Eigenschaften sammeln. Er war ironisch, in bezug auf Familie und Kinder aber auch hilflos, arrogant sicher auch.«

  Sie malte einen Kreis mit dickem, grünem Filzstift. Sie schrieb die Eigenschaften des Generals, durch die sich jemand gestört gefühlt haben konnte, sorgsam auf. »Und noch etwas: Er verachtete die Anhänger sturer Bürokratie.«

  Das Telefon schellte. Es war Böhmert. »Können wir das Treffen sofort machen?«

  »Gibt es etwas Neues?«

  »Ja. Hier am Haus des Generals haben sich zwei Männer geprügelt.«

  »Ja und?«

  »Beide gehören Geheimdiensten an.«

  »Wir kommen sofort.«

  Also duschten wir schnell. Germaine meinte, wir könnten ruhig gemeinsam duschen, da wäre doch nichts bei.

  Ich lehnte ab, was sie mit der Bemerkung kommentierte, ich könnte mir doch vorstellen, ich sei ihr Brüderchen, oder vielleicht besser ihr Papi.

  »Ich bin nicht dein Brüderchen«, sagte ich wütend im Auto, »und ich bin, verdammt noch mal, bestimmt nicht dein Papi.«

  »Wie schön«, seufzte sie und warf mir einen rätselhaften schrägen Blick zu.

  Böhmert wohnte am Nordrand von Adenau in einer stillen, beschaulichen Siedlung aus einzeln stehenden kleinen Häuschen mit einem Garten darum. Seine Frau war eine stämmige Schwarzhaarige mit einem sehr weichen Gesicht und den Augen eines Menschen, der genau weiß, daß gegen die galoppierende Karriere des Partners kein Kraut gewachsen ist. Sie hieß uns sehr freundlich willkommen und drückte uns ein Glas Eistee in die Hand. Dann sagte sie wie alle Hausfrauen der Welt: »So, jetzt will ich nicht mehr stören.« Wir baten sie, doch dabeizubleiben.

  Es gab ein zehn mal zehn Meter großes Rasenstück, auf das sie einen Tisch und vier weiße Plastiksessel gestellt hatten. Auf dem Tisch stand scharf angemachter, eisgekühlter Camembert mit dunklem Brot.

  »Erzählen Sie von der Prügelei«, bat ich den Polizisten.

  »Heute morgen um elf ruft der alte Bauer Wirges in der Wache an und sagt, oben am Bruch würden sich zwei Männer prügeln, er könnte das gut durchs Fernglas sehen. Kennen Sie den Bruch?«

  Ich schüttelte den Kopf.

  »Im Berg, der genau gegenüber dem Haus vom General liegt, ist voriges Jahr eine ganze Kiefernschonung abgerutscht. Das sieht aus wie eine riesige Narbe. Es ist der einzige Punkt, von dem aus man das Haus einsehen kann. Wir wissen auch, daß alle möglichen Leute das getan haben, aber wir kümmerten uns nie darum, weil wir an die vom Personenschutz dachten. Jetzt aber ließ ich alles stehen und liegen, schnappte mir einen Kollegen und fuhr hin. Wir sind mit Vollgas durch die Waldwege zum Bruch, und als wir um die Bergecke kommen, stehen die zwei Männer da und harken noch immer aufeinander ein. So etwas von blinder Wut habe ich überhaupt noch nie erlebt. Da oben laufen Quellen aus dem Berg, da ist es verdammt matschig. Sie waren verschmiert wie Mumien, und sie merkten nicht einmal, daß wir da standen und ihnen zusahen. Ich hatte nur eine Sorge: Wie kriege ich die in die Wache nach Adenau, ohne mir das Fahrzeug zu versauen?«

  »Und wie hast du das gemacht?« fragte seine Frau gespannt.

  »Wir haben sie erst einmal getrennt und festgenommen, dann den Berg runtergeschleift auf eine Wiese, auf der eine Viehtränke ist. Da haben wir sie getaucht und abgewaschen. So ging das einigermaßen.«

  »Und wie haben die beiden reagiert?«

  Er lachte. »Die hätten natürlich nicht mitzukommen brauchen, die Verhaftung war eigentlich kalter Kaffee. Aber selbst Geheimdienstleute sind zuweilen unendlich dumm. Jedenfalls hockten sie in der Wache und wollten nicht einmal ihre Personalien zu Protokoll geben. Sie verlangten beide, ihre Dienststelle anzurufen. Um überhaupt weiterzukommen, erlaubte ich ihnen das. Es stellte sich heraus, daß der ältere von beiden beim Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr ist, und der Jüngere bei der CIA. Der Deutsche gab seinen Namen mit Markus an, nur Markus. Der Ami nannte sich Roosevelt, nix sonst. Ich kriegte dann einen Anruf meiner vorgesetzten Behörde, ich solle die um Himmels willen sofort auf freien Fuß setzen.«

  »Und warum haben die sich geprügelt?«

  »Sie sagten uns, das ginge nur sie etwas an. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Geheimdienstler der Meinung sind, gewöhnliche Polizisten seien in der Regel dumm. Und weil sie das glauben, kriegt man eine ganze Menge mit, wenn man die Ohren spitzt. Wie es aussieht, haben sich die Geheimdienste um den General regelrecht gestritten. Schon in Washington. Dabei müssen sich der Militärische Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst und die CIA furchtbar darüber in die Wolle gekriegt haben, wer den General bemuttern darf.«

  »Das ist nicht neu«, sagte ich. »Der BND hat einmal sechs Monate lang einen Spion aus Moskau in der deutschen Botschaft in Beirut überwachen lassen, obwohl der vom deutschen Verfassungsschutz eingeschleust war. Na, dann passen Sie mal auf: Hier sind ein paar Fotos.« Ich legte ihm die Fotos der Männer vor, die aus Bonn eingeflogen waren und von denen Böhmert an jenem Abend so gut wie nichts zu Gesicht bekommen hatte.

  »Das sind sie!« entschied er sehr schnell. »Der schmale Dunkelhaarige hier ist der deutsche Markus, und dieser blonde Kleiderschrank ist Roosevelt. Daß Sie die alle fotografiert haben! Sie sind ziemlich respektlos, nicht wahr?«

  »Kann man sagen«, entschied Germaine begeistert. Dann berichtete sie, was wir erlebt und herausgefunden hatten, und ich fragte im Abschluß: »Was wissen Sie über die Tatwaffe, das Kaliber, die Entfernung Täter-Opfer?«

  »Offiziell weiß ich nichts, aber inoffiziell war es ein Remington-Gewehr, ziemlich teures Stück. Der General wurde aus zwei Entfernungen erschossen. Die ersten drei Kugeln erwischten ihn aus drei Metern, die nächsten vier aus etwa anderthalb Metern. Das ist vermutlich so zustandegekommen, daß er sich sterbend gezwungen hat, auf den Schützen zuzugehen, bei dem hoffnungslosen Versuch, ihn zu stoppen...«

  »O Gott«, sagte Germaine und begann still zu weinen.

  »Beim alten Mattes war der Schütze etwa einhundertzwanzig Zentimeter entfernt. Bei Carlo ist die Sache ganz eindeutig. Wahrscheinlich hat sich die Tat so zugetragen: Der Mörder erschoß den General und flüchtete nach hinten durch den Hochwald. Vermutlich hatte er irgendwo ein Auto stehen. Mattes kam ihm in die Quere, und er erschoß ihn. Dann ging er den Pfad zurück, um einen anderen Fluchtweg zu suchen. Dabei traf er auf Carlo. Nach Ansicht der Spurenleute haben die beiden vermutlich miteinander gesprochen, ehe Carlo sich umdrehte und wegrannte. Das war aber noch nicht das Ende: Der Geschoßkanal in Carlos Kopf läßt nur einen Schluß zu - Carlo hat vor dem Schützen gekniet, und der hat aus einer Entfernung von knapp dreißig Zentimetern geschossen.«

  »Was ist mit Carlos Waffe? Wir müssen sie suchen.« sagte Germaine und schluchzte noch einmal auf.

  »Wir sollten das jetzt sofort machen«, sagte Böhmert entschlossen. »Eigentlich muß ich mich strikt da raushalten, aber ich tue es nicht.« Er sah seine Frau an. »Kommst du mit?«

  Sie nickte, nahm Germaine um die Hüfte, und sie gingen vor uns her zum Auto. Böhmert kutschierte uns auf die Hohe Acht. Er fuhr am offiziellen Tor des ehemaligen Munitionslagers vorbei. »Um die Ecke ist alles vergammelt, da können wir rein, ohne aufzufallen. Hier vorne, gleich hinter dem Eingang, war die ständige Wache, Häuser für Unterkünfte, Kantine, Waschhäuser, Verwaltungsbauten.«

  »Weshalb wurde das aufgegeben?«

  »Weil alles überirdisch ist.« Er sah Germaine an. »Welche Nummer hatte der Schuppen, in dem er schoß? Wissen Sie das noch?«

  »Zweiundzwanzig.« Böhmert hielt direkt hinter einer wuchernden Holunderhecke; der Wagen war von der Fahrspur aus kaum zu sehen. Wir stiegen aus und gingen durch ein Loch, das der Rost in den Zaun gefressen hatte. Zwischen den hohen Erdwällen suchten wir nach dem Schuppen mit der Nummer zweiundzwanzig.

  Germaine erklärte: »Er stand an der Wand und schoß auf eine Pappfigur am anderen Ende. Da liegt sie!« Sie wollte schon darauf zurennen, aber Böhmert sagte scharf: »Halt!«

  Germaine stand da, etwas geduckt, sie wußte nicht, was sie falsch gemacht hatte.

  »Lassen Sie mich vorgehen«, meinte Böhmert betont freundlich. »Wir müssen versuchen, möglichst keine Spuren zu zerstören. Sagen Sie, was hatten Sie genau für einen Eindruck von Carlo? Sie haben ihn doch gesehen, ganz kurz bevor er erschossen wurde. Vielleicht hatte er ja doch direkt mit dem General etwas zu tun. Hatten Sie das Gefühl, er stand unter Streß?«

  Germaine überlegte kurz, dann meinte sie: »Also, er hatte sicher keine Angst. Er sah mich, aber er wollte mich nicht dabei haben. Er brachte irgendwie zum Ausdruck, daß das hier sein Land ist, seine Burg. Sein Zuhause.«

  »Das klingt wie der normale Carlo«, murmelte Böhmert. »Er muß hier irgendwo so etwas wie ein Lager gehabt haben.«

  Ganze Waldungen von Hornklee waren hochgewachsen, und in schattigen Winkeln schoß der Buchenklee seine hellgrünen Pfeile in den Abendhimmel. Es gab Glockenblumen, Dickichte von Sichelluzerne, an den Wegen wucherten blaue Kissen der Wegwarte, dazwischen die eindringlichen Standarten des Roten Fingerhutes. »Hier müssen doch alle Blumenfreaks der Welt rumschleichen«, sagte ich.

  »Nicht die Spur«, sagte Böhmert lächelnd. »Es ist verrückt, was so ein militärischer Zaun ausmacht. Kaum jemand traut sich rein. Es ist ja auch irgendwie unheimlich: ein komplettes leeres Dorf, man erwartet an jeder Ecke eine Überraschung.«

  Da standen ganze Felder von Waldweidenröschen und wiegten sich im Wind. Der sanfte Lärm der Bienen und Hummeln war sehr eindringlich. Nirgendwo konnte man sich weiter von Gewalt entfernt fühlen als auf diesem ehemaligen Militärgelände. Und doch war der Grund, daß wir hier waren, brutaler Mord.

  Germaine sagte: »Zuerst sah ich nichts, ich hörte nur die Schüsse. Dann kam ich diesen Erdwall runter und sah ihn in der Halle stehen und schießen. Ich machte ein paar Bemerkungen, und er sagte kein Wort. Er schoß einfach.«

  Böhmert nickte. Dann ging er zu dem Pappkameraden. Carlo hatte der plumpen Figur mit Filzstift ein großes rotes Herz aufgemalt. Das Herz war vollkommen zerschossen. Rechts davon hatte jemand mit roter Farbe >Hitler was great!< auf den weißen Verputz gesprüht.

  »Und wo ist jetzt die Waffe?« fragte ich.

  Böhmert sagte: »Da müssen wir suchen.«

  Wir trotteten also los. In dem Haus, in dem früher wahrscheinlich die Kantine der Mannschaften gewesen war, entdeckten wir schließlich eine Kammer, deren Außenmauer weggebrochen war. Erde war hineingeweht, und in einer alten, verrotteten Obstkiste blühte Kriechgünsel, wie um kundzutun, daß Mutter Natur dieses Menschenlager endgültig zurückerobert hatte. Böhmert stand da und starrte die Kiste an. »Das ist typisch Carlo!« sagte er dann grinsend und zog die Kiste weg. Dahinter stand eine rostige flache Metallkiste, wie Infanteristen sie für Munition verwenden. Sie war mit einem neuen, gut geölten Vorhängeschloß gesichert. Böhmert begann an dem Schloß herumzufummeln, und ehe ich noch nach einem Werkzeug hätte suchen können, hatte er es geöffnet und schlug den Deckel zurück. Es waren Dosen darin, Dosen mit gefüllten Paprikaschoten, Gulasch, Eintöpfen. Auf jeder Dose stand: >Guten Appetit! Von Ihrem Lieblingsmetzger aus Godesberg!< Auf einer Dose mit Rindsrouladen lag die Waffe.

  »Neun Millimeter Parabellum«, murmelte Böhmert. Er beugte sich darüber. »Hersteller und Nummer ausgefeilt, es ist aber eine alte Luger, eine richtige Kanone. Hier ist auch Munition. Genug, um ein Dorf auszurotten. Komisch, das paßt irgendwie nicht zu meinem sanften Carlo.«

  »Was hat man eigentlich seinen Eltern gesagt?« fragte ich.

  »Unfall mit dem Motorrad im Wald. Zerschmetterter Kopf, weshalb sie ihn auch nicht mehr sehen dürfen. Irgendwer von der Geheimdiensttruppe hat das schöne Motorrad mit einem Vorschlaghammer bearbeitet, um die Sache überzeugend zu machen.«

  »Und wie kommen wir an die Eltern ran?« fragte Germaine.

  »Übermorgen ist die Beerdigung. Wenn Sie hingehen, wird Ihnen schon etwas einfallen.«

  Im Westen begann sich der Himmel rot einzufärben, im Südosten türmten sich weiße Gewitterwolken auf. Vielleicht würde es Regen geben. Tief in Gedanken gingen wir zum Auto zurück. Böhmert hatte die Waffe in ein Taschentuch geschlagen; für ihn war der tote Carlo jetzt wirklich zu einem Problem geworden.

  Im Wagen erinnerte ich ihn: »Sie wollten mir noch erzählen, wie das mit der Zerstörung der Häuser gewesen ist.«

  »Das ist für mich der kritischste Punkt«, meinte er zögernd. »Wir nehmen an, daß diese Leute das Gutachten des Generals gesucht haben, aber genau wissen wir das nicht. Herr Baumeister, Sie müssen herausfinden, wie das Gutachten in Washington verschwand und wer es stahl, sonst laufen wir alle Gefahr, daß wir die Recherchen auf einer ganz falschen Annahme gründen. Es kann durchaus sein, daß das Washingtoner Gutachten in diesem ganzen Durcheinander nicht die geringste Rolle spielt.«

  »Unmöglich. Der Amerikaner, dieser sympathische John Lennon, war stinksauer, als ich ihn darauf ansprach«, wandte ich ein.

  »Dann ist da noch etwas«, sagte er, als habe er mir überhaupt nicht zugehört. »Man müßte herausfinden, ob das Exemplar des Bundeskanzlers noch vorhanden ist und ob das Exemplar des Verteidigungsministers noch existiert. Wenn die nämlich auch verschwunden sein sollten, deutet das auf eine ganz bestimmte Systematik hin. Dann die Frage aller Fragen: Haben die Männer in den Häusern des Generals das gefunden, was sie suchten, oder nicht?«

  »Nur wenn sie das, was sie suchten, nicht gefunden haben, aber sichergehen wollten, es zu zerstören, mußten die Häuser zerstört werden«, meinte ich. »Die Spuren der Suche hätten sie sonst einfach als den Vandalismus unbekannter Eindringlinge abgetan.«

  »Richtig«, sagte Böhmert. »Es lief zeitlich abgestimmt in beiden Häusern gleichzeitig, und es war der MAD. Aber es wird nicht zu beweisen sein, daß sie nach dem Gutachten gesucht haben.«

  »Kennen Sie den Mann, der die Aktion leitete?«

  »Ich kenne seinen Arbeitsnamen, Martin. Ich weiß weder, wie er wirklich heißt, noch wie er aussieht.«

  Böhmert wirkte ziemlich ratlos. »Es kann sein, daß der MAD den Mord an dem General nur dazu benutzte,- das zu tun, was er immer schon tun wollte: die Häuser des Generals zu untersuchen, um Geheimmaterial zu finden, Beweismaterial gegen den General. Ich habe auch keine Ahnung, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Mord gibt und dem, was die Hyänen vom Geheimdienst suchen.«

  Wir schwiegen eine Weile; er hatte recht, es war verdammt wenig, was wir sicher wußten. Germaine sah mich an. »Und das willst du alles recherchieren und dich dabei auch noch verprügeln lassen?«

  »Es ist fürs Vaterland«, sagte ich großartig, aber ich wußte, außer Blutergüssen und Platzwunden war erkennbar nichts zu holen.