* Drittes Kapitel

 

Wir sprachen kein Wort, bis wir auf den Hof rollten, vor lauter Hilflosigkeit konnte ich sie nicht einmal anschauen.

  »Das ist ja hier am Arsch der Welt«, sagte sie.

  »Die Eifel ist ein ganz besonders schöner Arsch«, sagte ich.

  Ich brachte sie in das Gästezimmer, bezog ihr Bett und sagte, sie solle sich ausruhen, solange sie wolle.

  »Ich brauche aber dringend einen Zahnarzt«, nuschelte sie mit dem rechten Zeigefinger im Mund.

  »Ich melde dich an«, versprach ich. »Aber erst einmal schlafen, sonst fällst du dem aus dem Behandlungsstuhl.«

  »Was treibst du?«

  »Irgendwann gehe ich auch schlafen. Falls Krümel die Tür aufmacht und zu dir ins Bett will, schlag ihr nicht gleich einen Zahn aus. Und dann wäre da noch ihr Liebhaber namens Knubbel. Laß ihn leben.«

  »Kann ich noch duschen? Keine Gewalt gegen Katzen.«

  »Und sollte es morgen früh mächtig rumsen, dann ist das der jungbulle, den mein Hausherr Alfred nebenan in der Scheune stehen hat. Der heißt Nero und ist eine Seele von einem Stier.«

  »Vielleicht noch eine Boa constrictor in der Badewanne?«

  »Nein. Schlaf gut.«

  Ich ging nach unten und entwickelte die Filme. Es waren leidlich gute Aufnahmen geworden, die Männer waren allesamt deutlich zu erkennen. Dann hörte ich ein Band von Miles Davis und dachte über den toten General nach, von dem ich so wenig wußte. Ich schlief die paar Stunden bis acht Uhr, meldete dann meinen Gast beim Zahnarzt in Hillesheim an, stellte ihr einen Wecker neben das Bett, nahm Krümel auf den Arm und fuhr los.

  »Hör zu. Wir fahren an den Tatort, und diesmal brauchst du nicht im Wagen zu bleiben. Wir sehen uns nur um, einfach so. Und du wirst mir gefälligst alles melden, was deine Katzennase registriert.« Natürlich hörte Krümel mir nicht zu, sie schlief längst.

  Ich schmauchte vor mich hin und hörte dabei ein Gitarrenkonzert der Gruppe METALLICA, von der manche Kritiker naserümpfend behaupten, sie mache gar keine Musik. Kritiker sollten Gitarre spielen lernen.

  Auf der Höhe vor Ahrhütte waren Lerchen in der Luft, und die hellgrünen, frischen Triebe der Kiefern standen stolz wie Kerzen. Als mich rechts der Bach in vielen Windungen begleitete, hielt ich sogar an und betrachtete eine Weile das Spiel des Sommerwindes in den Erlen und Pappeln. Es war, als bewegten sich große Silberspiegel. Der Tod des Generals wollte so gar nicht zu alldem passen.

  Ich war nicht besonders erstaunt: Hinter dem Haus des Generals stand neben seinen Autos unter den Buchen ein Streifenwagen. Horst Böhmert saß darin, allein, neben sich nur ein riesiger Schäferhund.

  Krümels Haare sträubten sich. Sie machte einen Buckel, und ich zischte: »Mach keinen Quatsch, das ist ein Bulle!«

  Böhmert lachte. »Das ist mein Hund, mein ganz privater, und er ist kein Bulle. Er tut Ihrer Katze nichts.«

  »Ich hatte auch keine Angst, daß er ihr etwas tut.« Ich gab ihm die Hand. »Was treiben Sie hier? Dienst?«

  »Na, eher privat«, sagte er. »Sie wissen ja, die Polizei bekommt so merkwürdige Anweisungen wie: Behalten Sie den Tatort und sein Umfeld im Auge. Kein Mensch macht sich klar, daß wir eine normale Polizeiwache sind und erst einmal zehn Kilometer fahren müssen, um den Tatort überhaupt zu erreichen. Nein, nein, diese Sache interessiert mich privat. Sehen Sie mal, die beiden einigen sich.«

  Krümel stand mit hochgestelltem Schwanz quer vor der Schnauze des riesigen Viehs, und ich flehte sämtliche Götter an, daß der Hund nicht darauf hereinfiel. Ich hatte erlebt, wie sie aus dieser Position einem Boxer die Schnauze zerfetzt hatte; mein Bedarf war gedeckt.

  »Alles klar, meine Schöne«, sagte ich beruhigend. »In Wirklichkeit ist das kein Hund, sondern ein verkleideter Kater.«

  Der Hund knurrte, weil Krümel ihm elegant und schnell den Schwanz über die Augen zog.

  »Goethe!« zischte Böhmert. »Das ist eine Dame.«

  Der Hund beruhigte sich, Krümel beruhigte sich, wir konnten uns entspannen.

  »Und was wollen Sie hier?« fragte er.

  »Ich weiß es nicht genau. Schauen und nachdenken.«

  »Hat die Frau noch etwas gesagt?«

  »Nichts. Ich habe allerdings auch nicht gebohrt. Wann war hier Schluß letzte Nacht?«

  »Ich war noch gar nicht im Bett«, meinte er. »Der Wagen mit der Leiche fuhr erst um sechs, dann habe ich das Haus versiegelt und mußte in die Wache nach Adenau. Danach hatten wir einen schweren Unfall auf der Ahrtalstraße.«

  »Was liegt eigentlich hinter dem Hochwald?« fragte ich und deutete die Hügel hinauf.

  »Waldungen, Brachland, Wiesen. Bis Jammelshofen und zur Hohen Acht hoch. Da ist der General oft mit seinem kleinen Jeep herumgekurvt.«

  »Hier ist doch Naturschutzgebiet. Wieso durfte er überhaupt bauen?«

  »Die haben ziemlich getrickst. Er hat sich in diese Gegend verliebt, und als er dann den Hut hinwarf, ist jemand auf die Idee gekommen, daß hier die Fundamente einer alten Jagdhütte waren. Er mußte nur die Bedingung erfüllen, die Jagd von der Gemeinde zu pachten. Das machte er auch.« Er grinste. »Irgendwie haben wir alle bei dem Beschiß mitgemacht. Und irgendwie haben wir ihm dann auch zu einem Wasseranschluß verholfen und zu Strom und Telefon. Er war einfach ein guter Typ, verstehen Sie?«

  »Ich weiß. Was machte er mit der Jagd?«

  »Er bezahlte Hege und Pflege und ließ andere jagen.«

  »Sagen Sie, irgendwie sind Sie kein normaler Polizist, oder?«

  »Wieso denn das?«

  »Ein Polizist, der seinen Schäferhund Goethe nennt, kann kein normaler Polizist sein.«

  Er lachte. »Ich mache hier in Adenau zwei Jahre Revierdienst, dann geht die Akademie weiter.« Er bewegte sich zu seinem Auto hin und fragte ein wenig hinterhältig: »Sie werden doch nicht etwa recherchieren, oder?«

  »Ist das eine ernsthafte Frage?«

  »Nein, eigentlich nicht.« Er hockte sich hinter das Steuer und ließ den Hund auf den Beifahrersitz. Dann fuhr er ab.

  »Komm, Krümel, wir gehen die Natur erkunden«, sagte ich. Ich sah mir die Reifen des Suzuki-Jeeps sehr genau an. Getrocknete Rückstände von zwei Erdtypen: Einer war krümelig und dunkel und mit Tannennadeln durchsetzt, der andere schleimiger, grau bis hellbraun. »Wir werden Wald haben und ein Quellgebiet. Und ich bitte dich, nicht allzuweit abzuhauen.«

  Ich folgte dem gut ausgebauten Waldweg bergauf. In einer der Sonneninseln auf dem moosigen Boden spielte eine Amsel. Krümel schlich sich geradezu dramatisch an, wobei sie dermaßen mit dem Hinterteil wackelte und den Schwanz peitschen ließ, daß es ganz so aussah, als wolle sie den Vogel mit allen Mitteln warnen. Die Amsel fing an, mächtig zu schimpfen, und Krümel setzte sich erst mal und leckte sich betulich die Pfote. Dann sauste sie wie ein Pfeil in einen Besenginster und war verschwunden.

  Der Hochwald endete, der Weg, inzwischen nur noch eine undeutliche Fahrspur, wand sich in einer sanften Rechtskurve durch einen lichten Birkenwaldstreifen mit viel Ginster. Die Sonne war hier sehr grell, und das Summen der Bienen wurde immer intensiver und einschläfernder. Zur Linken stießen in einem spitzen Winkel Birkenwald und Hochwald zusammen, dazwischen der Ausläufer einer sauren Wiese mit vielen Binseninseln. Die Wiese stieg steil an, und in der Mitte der Steigung trat eine Quelle aus; das Wasser hatte eine dunkle Spur gezogen, und es wuchs Minze dort.

  Krümel blieb verschwunden. Der Weg, den ich ging, war von beiden Seiten mit Ginster bewachsen, der unvermittelt wie ein Vorhang quer über die Fahrspur hing. Ich bog die Zweige zur Seite und ging hindurch. Der Weg teilte sich. Nach links ging es in einen lichten Bestand aus jungen Eichen und Kiefern, nach rechts in einen jener Streichholzwälder, deren schlanke, kerzengerade gewachsenen Stämme in genau vorgeschriebenen Abständen in Reih und Glied stehen, um schnell eine möglichst hohe Rendite zu bringen.

  Eigentlich wollte ich geradeaus in eine große Brache hineinstapfen, in der sich Schwertlilien breitgemacht hatten. Doch dann kam Krümel von irgendwoher und rieb sich miauend an meinen Beinen. Sie sah zu mir hoch, eindeutig um Hilfe bittend. Dann trottete sie ein paar Schritte abseits, hob den Buckel, ließ den Schwanz peitschen.

  »Also gut, du hast etwas gefunden. Dann zeig es mir, aber mach nicht solchen Lärm.«

  Sie lief den Weg nach links, verließ ihn nach einigen Metern und schlug sich in die Büsche.

  Als ich sie endlich eingeholt hatte, saß sie vor einem Motorradhelm, unischwarz, Marke Uvex. Daneben lag ein Fernglas.

  »Reg dich nicht auf. Das ist irgendein Tourist, der ein Sonnenbad nimmt.«

  Krümel verschwand, tauchte wieder auf, fiepste, verschwand. Ich ging hinter ihr her. Sie führte mich den Weg weiter zu der sauren Wiese mit der Quelle. Krümel war vielleicht vierzig Meter vor mir und starrte mit steil emporgerecktem Schwanz irgend etwas an. Sie kam gerannt und rieb sich an meinen Beinen. Links vor dem Wiesenzaun standen Birken, rechts war ein Mischwald, vor mir war Besenginster in den Weg gewachsen. Der Mann lag unmittelbar hinter den Büschen auf dem Rücken. Er war klein, vielleicht einen Meter sechzig groß. Er trug eine abgewetzte, dunkelblaue Cordhose, dazu ein dunkelbraunes Jackett über einem blaukarierten Holzfällerhemd. Er hatte einen spärlichen Haarkranz ganz kurzer grauer Haare um den Kopf. Vielleicht war er siebzig Jahre alt, vielleicht erst sechzig, es war nicht mehr zu erkennen. Seine Oberlippe war im Tod sehr häßlich bis unter die Nase gezogen, das Zahnfleisch war schneeweiß, eine einzige, verkrampfte Maske. Die Kugel hatte ihn in die Stirn getroffen.

  Krümel mochte nicht nahe an ihn herangehen, und ich versuchte sie zu beruhigen.

  Der Mann hatte die abgearbeiteten Hände eines Bauern oder eines Waldarbeiters mit breiten schmutzigen Fingernägeln. Er trug schwarze, knöchelhohe, sauber geputzte Arbeitsschuhe.

  »Heilige Scheiße!« sagte ich laut. Ich habe keine Ahnung, wie lange ein Toter tot ist. Das Blut um das Einschußloch war vollkommen trocken, tiefschwarz. Als ich mich über ihn beugte, um zu fotografieren, flogen eine Unmenge großer Fliegen auf.

  »Wir müssen jetzt rennen«, sagte ich, »wir müssen diesen Polizisten Böhmert noch erwischen.«

  Wir rannten also. Ich nahm nicht den Weg, wir rannten quer über die Wiese in den Hochwald und hinunter zu dem Haus.

  Krümel wollte gelobt werden, also nahm ich sie beim Wagen hoch, streichelte sie und sagte ihr, sie sei eine gottverdammte blöde Katze, mir zusätzlich zu dem toten General noch eine Leiche zu bescheren.

  Ich fuhr nach Kaltenborn, ging in die Telefonzelle und rief die Wache in Adenau an. Sie sagten, Horst Böhmert sei nicht da.

  »Können Sie das Gespräch auf sein Auto legen?«

  »Sind Sie der Journalist von der vergangenen Nacht?«

  »Ja.«

  Es dauerte Ewigkeiten. Dann war er plötzlich in der Leitung.

  »Ich wollte jetzt wirklich schlafen.«

  »Ich würde Ihnen raten, zum Haus des Generals zu kommen.«

  »Geht nicht. Ich habe schon Kreislaufstörungen. Wir haben in Kaltenborn einen Vermißten.«

  »Ich habe den Vermißten gerade gefunden.«

  »Wie bitte?«

  »Ein Mann, vielleicht sechzig. Bauer, Waldarbeiter, was weiß ich. Ziemlich klein.«

  »Ja, das könnte er sein. Mattes, der Küster. Der ist seit gestern abgängig.«

  »Jetzt nicht mehr. Irgendwer hat ihn erschossen. Noch etwas: Ich habe einen Motorradhelm und ein Fernglas gefunden.«

  »Ach du Scheiße. Ich komme.«

  Ich fuhr zurück und wartete vor dem Haus des Generals. Ich ließ Krümel los, und sie sauste schnurstracks in den Hochwald.

  »Mach bloß keinen Blödsinn und entdecke noch etwas!«

  Böhmert kam wenig später. Er sah todmüde aus und fragte seufzend: »Glauben Sie, daß Mattes zur selben Zeit gestorben ist wie der General?«

  »Ich bin kein Fachmann, aber ich würde darauf wetten. Kommen Sie.«

  Wir gingen den Weg hinauf.

  »Es ist ziemlich einfach«, sagte er. »Gestern war Mittwoch, und Mattes war auf dem Weg zum General. Das war ein altes Ritual bei den beiden. Wenn der General hier war, kam Mattes am Mittwochabend zwischen acht und neun zum General. Der General trug ihm dann auf, Brot und Wurst und Käse zu kaufen. Mattes bekam immer zwei, drei gute Brasilzigarren. Sie schwatzten eine Weile, dann ging Mattes wieder. Der General mochte ihn.«

  »Also muß Mattes den Mörder gesehen haben. Das heißt, daß der Mörder wahrscheinlich aus dem Wald kam, nicht von der Straße her.«

  »Das klingt plausibel. Wir wissen nur nicht, ob Mattes vor dem General gestorben ist oder nach ihm.«

  »Das wäre mir persönlich scheißegal. Wer war dieser Mattes?«

  »Ein Mann ohne Anverwandte, eine Type, wie es sie häufig in den Dörfern gibt. Uneheliches Kind einer Magd, aufgewachsen auf einem Hof, irgendwie durchgeschleppt vom ganzen Dorf. Geistig etwas zurückgeblieben, aber zu allen sehr freundlich. Guter Arbeiter.«

  »Seit wann wird er vermißt?«

  »Seit heute morgen. Er sollte melken kommen, er kam nicht. Das passiert schon mal, wenn er einen gesoffen hat. Als er mittags noch immer nicht auftauchte, sah jemand nach. Er war nicht da. Schließlich riefen sie uns an, weil sie wegen des Generals sowieso schon verunsichert waren.«

  »Wann ist er zuletzt gesehen worden?«

  »Gestern abend auf dem Weg zum General. Der Pfarrer machte einen Spaziergang und sah ihn.«

  Wir blieben kurz bei dem Fernglas und dem Motorradhelm stehen. Er rührte beides nicht an, er murmelte nur: »Komisch.« Dann kniete er neben Mattes nieder und betrachtete ihn sehr lange. »Er ist bestimmt zur selben Zeit gestorben wie der General.«

  »Wir sollten vielleicht nach dem Motorrad suchen«, sagte ich. Krümel kam aus dem Gras der sauren Wiese, ihre Haare sträubten sich.

  »Verdammt viel Tod bei dem schönen Wetter«, sagte Böhmert müde und machte sich auf den Rückweg. Irgendwelche Reifenspuren waren nicht zu finden, dafür war es zu trocken.

  »Was sagt Ihre Frau, spricht sie noch mit Ihnen?«

  »Ich habe sechsmal angerufen und sechsmal gesagt, ich wäre in zehn Minuten da«, meinte er bekümmert.

  »Das Leben ist kitschig. Es wird bestimmt eine prima Versöhnung.«

  »Sehen Sie mal, Ihre Katze!« Er ging schneller.

  Krümel war hinter einer dichten Gruppe aus Birkenbüschen verschwunden, kam wieder, miaute und rannte zurück. Da war das Motorrad, eine jener alten Hondas, die ich so mag, weil sie an gemütliche Reisen auf schmalen Landstraßen erinnern. Sie lehnte an einem Birkenstamm, das Hinterrad wies in unsere Richtung. Es war eine Bonner Nummer.

  Böhmert kniff die Augen zusammen. »Die Maschine kenne ich doch irgendwoher.«

  Es war unwirklich. Die Sonne stand steil über uns, am Hinterrad des Motorrads blühte blaßviolett eine wilde Malve. Krümel maunzte hinter uns, sie kam heran, schmal und nervös.

  »Sie hat doch nicht noch etwas?« meinte er matt.

  »Es sieht so aus«, sagte ich. Dann nahm ich Krümel auf den Arm, aber sie wollte nicht.

  »Lassen Sie sie laufen«, sagte er. Es klang überlaut. Sie lief vor uns her.

  Sie führte uns knappe dreißig Meter in eine unwegsame Wildnis aus Ginster, Eiche, Birken: eine Landschaft für Verliebte, sonnendurchflutet, abseits, verschwiegen, viel Farn, viel Moos.

  Er lag auf dem Rücken wie der alte Mattes. Nur war er sehr jung, vielleicht zwanzig Jahre alt. Er hatte den Versuch gemacht, sich einen Bart wachsen zu lassen, aber es war nur dunkler Flaum geworden.

  »Das ist Carlo«, sagte Böhmert düster.

  »Wer ist Carlo?« fragte ich und ertappte mich dabei, daß ich flüsterte.

  Böhmert sah furchtbar erschöpft aus. Er kratzte sich an der Stirn. »Wer ist Carlo? Ich weiß es nicht genau. Kein Kunde bei der Polizei, eher ein kleiner Kämpfer für Recht und Ordnung. Er stammt aus Godesberg. Carlos Vater ist Metzger, ganz rechtsaußen. Der Sohn sollte immer was Besseres werden. Er machte Abitur und sollte Jura studieren. Aber Carlo wollte nicht, Carlo wollte zeichnen und malen und so schnell wie möglich auf die Folkwangschule nach Essen. Tja, Carlo ...«

  Einigermaßen verwirrt unterbrach ich ihn. »Was soll das? Carlo ist nicht vorbestraft, und Sie erzählen sein ganzes Leben. Woher wissen Sie das alles?«

  Er kniete neben dem Toten nieder. »Carlo war ein Einzelgänger. Irgendwie versponnen, verträumt. Irgendwie der Rächer der Enterbten. Er war seit einiger Zeit hier in den Wäldern zu Hause. Jedenfalls ist er jetzt genauso tot wie Mattes und der General.«

  »Hing er irgendwie mit dem General zusammen?«

  »Nein. Nein, ich glaube, das wüßte ich.«

  »Also lief auch er dem Mörder bloß über den Weg?«

  »Ja, so stelle ich mir das auch vor. O Gott, wird das ein Theater. Das gibt einen Heidenwirbel.«

  »Carlo. Wie weiter?«

  »Carlo Mechernich. Eigentlich gehörte er zu den armen Schweinen. Fast immer war er allein, wenn Sie wissen, was ich meine.«

  Carlo hatte es über dem rechten Auge erwischt. Dort saßen zwei dicke, grünschillernde Fliegen. Angewidert verscheuchte ich sie, doch sofort ließen sie sich wieder auf der verkrusteten Wunde nieder.

  »Seit wann kennen Sie ihn?«

  »Seit dem Sommer vor zwei Jahren. Damals wurde eine junge Frau irrtümlich in Godesberg als vermißt gemeldet. Tausend Meter von hier gibt es ein altes Munitionslager der Bundeswehr.«

  »Wo hat hier die Bundeswehr eigentlich kein Lager?«

  »Tja, wir stehen auf heiligem militärischem Grund. Während des Zweiten Weltkrieges war hier oben die Luftwaffe stationiert. Hier wurden auch die Karnickel gezüchtet, aus deren Pelz dann das Futter der deutschen Fliegerjacken gemacht wurde. Nach dem Weltkrieg kam dann ein Munilager. Das wurde in den sechziger Jahren aufgegeben. Rund fünfzig Gebäude mitten im Wald auf einem Riesengelände. Da fanden wir die angeblich Vermißte. Sie saß dem Carlo splitternackt Modell in einem der alten Schuppen. Sie wartete darauf, daß er sie bumste, aber er malte sie nur. Übrigens verdammt gut. Seitdem trafen wir ihn immer wieder mal. Meistens übernachtete er in einem Schlafsack im Lager.« Er drehte ab und ging los. »Kommen Sie, ich muß Alarm schlagen.«

  Auf dem Rückweg sprachen wir kein Wort. Böhmert nahm das Mikrofon und sagte: »Buchfink sechs hier. Zwei Leichen, zwei Ermordete. Ihr wißt, wo ich bin. Dieselbe Mannschaft wie gestern abend. Ohne Horn und Blaulicht. Fordert zwei Wagen Bereitschaftspolizei an, höchste Dringlichkeitsstufe. Absperrung des ganzen Gebietes hier. Ende.« Zu mir meinte er bedrückt: »Ehrlich gestanden komme ich mir höchst lächerlich vor. Die wichtigen Herren aus Bonn werden erneut einfliegen, alles zertrampeln, bedeutende Gesichter machen, nichts tun und wieder verschwinden. Wenn wir dann morgen hundert Meter weiter noch sechs Leichen finden, wundert mich das auch nicht mehr.« Er räusperte sich. »Sie sollten sich jetzt besser ausklinken. Eine Leiche und Recherchierverbot geht ja noch, aber drei Leichen, das ist einfach zuviel.«

  »Ich gehe aus dem Fall nicht mehr hinaus. Ich werde abhauen und leise sein, aber ich werde mich später wieder bei Ihnen melden.«

  »Ich muß in jedem Fall erwähnen, daß Sie hier waren. Passen Sie auf sich auf, diese Geheimdienstler sind wirklich übel.«

  »Ich weiß. Ich werde aufpassen.«

  »Sie wissen noch gar nichts«, sagte er leise.

  Ich nahm Krümel und setzte mich in den Wagen. Bevor die Meute einfiel, wollte ich etwas erkunden - und mir blieb wenig Zeit. Ich fing beim Bauernhof Wirges an. Eine alte Frau saß in der Sonne neben dem Eingang und schälte Kartoffeln. Ich sagte: »Guten Tag, ich möchte Sie fragen, ob Sie einen dieser Männer oder Frauen gesehen haben? Gestern, heute oder in den letzten Tagen?« Ich sagte nicht, daß ich von der Polizei käme, aber bei der direkten Art, ohne die üblichen Höflichkeitsfloskeln, mußte sie das glauben. Ich hatte die Fotos der Geheimdienstleute und das von Germaine auf zwei Bögen kopiert und hielt sie ihr hin.

  Sie zuckte etwas zusammen, räusperte sich, starrte auf die Fotos. Endlich brachte sie verlegen und stockend heraus: »Der Bauer, mein Mann, der kann das bestimmt besser. Aber die da haben wir gestern gesehen.« Sie deutete mit einem sehr krummen und sehr dreckigen alten Zeigefinger auf Germaine Suchmann.

  »Wann gestern und wo?«

  »Na ja, zum erstenmal mittags.«

  »Was heißt mittags? Wann genau?«

  »Wir essen immer um zwölf. Ich war mit dem Abwasch fertig und draußen bei den Kälbern. So um eins, würde ich sagen. Und dann später noch mal, aber wann genau, weiß ich nicht mehr.«

  »Einwandfrei diese Frau?«

  »Wenn ich es doch sage.«

  Ich grüßte und fuhr weiter zum Ausflugsrestaurant an der Hohen Acht. Dort ging ich direkt an den Tresen und sagte barsch: »Augenblick bitte, ich ermittle in der Sache unten. Schauen Sie sich genau diese Leute an. Alle! Und sagen Sie mir, wann Sie die gesehen haben.«

  Die Wirtin war dick und blond und gemütlich. »Tja, also die Frau da«, sie deutete auf Germaine Suchmann, »die war gestern zweimal hier. Kurz nachdem mittags der Hauptstoß vorbei war. Vierzehn Uhr, würde ich mal schätzen. Dann noch mal gegen siebzehn Uhr.«

  »Was hat sie gegessen?«

  »Weiß ich nicht. Aber Ärger gegeben hat es wegen der. Die hat sich von irgendwem einladen lassen, und als der dann auch was von ihr wollte, hat sie Krach gemacht. Ja, und da hat er ihr wohl einen Zahn ausgeschlagen.«

  Also hatte Germaine gelogen! Ich fragte möglichst ruhig: »Kennen Sie noch wen?«

  »Dieser Mann hier war da.« Sie deutete auf einen der Männer, den ich nicht kannte. Ich machte ein Kreuz auf das Foto. »Noch einen?«

  »Gestern abend waren jede Menge Männer hier, aber die sind auf dem Foto nicht drauf. Waren alles Amerikaner. Ja, gestern nicht, aber der da und der da und der da, die waren in den Tagen vorher mal hier.«

  Ich machte wieder die Kreuze. »Kamen die öfter?«

  »Ich würde sagen, die waren dauernd in der Gegend hier.«

  Ich fuhr auf die Bundesstraße 258, dann Richtung Jammelshofen. Dort sprach ich zwei Frauen auf der Straße an, die niemanden gesehen hatten und mich mißtrauisch musterten. In drei Gasthäusern kannte man keinen der Männer, auch Germaine Suchmann nicht.

  In meiner Polizistenrolle kam ich mir zum erstenmal in meiner Eifel fast wie ein Fremder vor.

  Weiter nach Kaltenborn. In der Gaststätte dort sagte eine sehr dicke Frau spontan: »O ja, diese Frau war gestern hier. Abends, so gegen sieben. Sie sah schlimm aus. Sie hat hier irgendeine Kleinigkeit gegessen. Dann ist sie weggegangen. Zu Fuß. Komisch, dachte ich noch. Ja, und dann noch dieser Mann hier, und der, und der. Aber nicht gestern, sondern vorher. Ich dachte, das ist die ... die Wache für den General.«

  Ich machte meine Kreuzchen, dann fuhr ich auf dem schnellsten Weg nach Hause. Die Landschaft schwelgte in der Sonne, der Tod wollte genausowenig passen wie gestern - aber vielleicht macht gerade das ihn aus.

  Germaine Suchmann lag im Garten unter dem Pflaumenbaum. Sie hatte sich eine Wolldecke auf den Rasen gelegt und einen Bikini angezogen.

  »Hallo«, sagte ich, »wie war der Zahnarzt?«

  »Sehr gut«, antwortete sie träge. Mehr denn je erinnerte sie mich an eine Katze. »Er hat mir einen Ersatzzahn verpaßt. Und wo warst du?«

  »In der Gegend.« Ich setzte mich ins Gras, stopfte mir eine Pfeife und paffte vor mich hin. »Woher kamst du eigentlich gestern abend, als du am Haus des Generals aufgekreuzt bist?«

  »Aus Bonn«, sagte sie.

  »Wie? Mit dem Bus?«

  »Wieso mit dem Bus?« Sie hielt die Augen geschlossen und wirkte ganz ruhig.

  »Nun ja, Eisenbahnen gibt es dort oben nicht. Nur Busse. Bestenfalls zweimal am Tag. Also wie?«

  »Anhalter«, sagte sie. »Habe ich dir doch erzählt. Sag mal, ist das ein Verhör?«

  »Komm mit, ich muß dir etwas zeigen.« Ich ging vor ihr her durch den Garten und um das Haus herum. Im Flur drehte ich mich um. »Mach bitte die Tür zu.« Sie schloß die Tür. »Setz dich auf das Sofa da.« Sie setzte sich folgsam auf das Sofa und sah mich an, als erwarte sie eine Strafpredigt.

  »Wann bist du hier in der Gegend angekommen?«

  »Kurz bevor ich beim General eintrudelte«, murmelte sie, ohne mich dabei anzusehen. »Er hatte mich für den Abend eingeladen, und ich hatte mich verspätet. Dann hat mich irgendein Typ mitgenommen, einer mit einem Käfer-Kabrio. Das kann höchstens zehn Minuten vorher gewesen sein, bevor ich bei... bei dieser Versammlung eintraf.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Was willst du mir zeigen?«

  Ich ging hin und her. »Es fällt mir ziemlich schwer, mich zusammenzureißen. Ich bin wütend. Ich weiß nämlich, daß du mindestens seit dem Mittag dort gewesen bist. Ich habe Zeugen. Du hast dann im Restaurant an der Hohen Acht gegessen. Um siebzehn Uhr warst du noch mal in derselben Kneipe. Da ist das mit dem Zahn passiert, nicht auf der Autobahn. Dann bist du um neunzehn Uhr in einer Gaststätte in Kaltenborn gewesen, kaltes Abendbrot... Sag mal, da mußt du doch Schwierigkeiten beim Essen gekriegt haben?«

  »Na und?« Sie sah so aus, als hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen.

  »Der General wurde gegen zwanzig Uhr erschossen. Du warst da, ganz einfach. Du lügst, du lügst kreuz und quer...«

  »Es geht dich nichts an«, sagte sie leise und hart. »Ich habe ihn nicht erschossen. Ich war da, aber ich habe ihn nicht erschossen.«

  »Vielleicht lügst du jetzt schon wieder.«

  »Weiß die Polizei Bescheid?«

  »Nein, aber es wird nicht lange dauern, bis sie es weiß. Warum lügst du mir die Hucke voll?«

  »Es geht dich absolut nichts an«, stellte sie noch einmal trotzig fest.

  »Lieber Himmel, bist du verrückt? Otmar Ravenstein wird erschossen, einer der wichtigsten Generale in der NATO. Du warst um die Tatzeit an seinem Haus, und du sagst, es geht mich nichts an. Mich, der ich ihn gefunden habe.«

  Sie schwieg und hielt den Kopf gesenkt.

  Ich überlegte.

  »Komm mit. Ich muß einen Film entwickeln und dir zwei Männer zeigen.«

  Wir gingen in das Badezimmer hinauf, ich dunkelte ab, knipste das Rotlicht an und entwickelte den Film. Mir war elend, und ich sprach nicht. Die Fotos vom alten Mattes und von Carlo waren gut geworden. Die ganze Zeit stand Germaine schweigend hinter mir. Ich vergrößerte die Köpfe mit den scheußlichen Wunden in der Stirn. Dann sagte ich: »Gehen wir wieder hinunter.«

  »Wieso mußte ich mit in dieses Badezimmer kommen?« Sie war aggressiv.

  »Ich wollte, daß du das siehst.«

  Sie nickte langsam und erwiderte nichts. Unten legte ich ihr die Fotos auf den Schreibtisch. »Setz dich hin und sieh sie dir jetzt genau an. Kennst du die Männer, oder einen von ihnen?«

  Ich sah von der Seite, wie sie die Augen schloß, wie sich ihre Hände zu Fäusten krampften und wie sie dann, als müsse sie angreifen, die Augen weit öffnete.

  »Woher hast du diese Fotos? Wer ist das?« brachte sie schließlich heraus.

  »Die beiden lagen im Wald hinter dem Haus des Generals, und ich habe sie heute morgen gefunden. Kennst du sie?«

  »Nein, nein, natürlich nicht. Wieso? Hätte ich sie sehen müssen?«

  »Müssen nicht, aber können. Sie waren um die gleiche Zeit in der Gegend wie du. Sag mir endlich, was wirklich los war.«

  »Ich... ich sage doch, das geht dich nichts an.«

  »Ich werde recherchieren, und ich werde es herausfinden.«

  »Du kannst nicht recherchieren, das haben sie dir verboten.«

  Sie stand auf und ging zum Sofa, setzte sich schließlich und starrte mich an wie ein aufsässiges Kind.

  »Hör genau zu: Ich werde recherchieren. Und du nimmst jetzt deinen Rucksack und gehst.«

  »Du kannst mich doch nicht...«

  »Und ob ich dich raussetzen kann. Ich lasse mich in meinem Haus nicht bescheißen. Bestimmt nicht von einer Streunerin.«

  »Von einer was?« Sie war entsetzt.

  »Von einer Streunerin. Das bist du doch, oder? Du wanderst mit dem Rucksack deine Liebhaber ab.«

  Sie stand auf, stürzte auf mich zu und schlug mit geballten Fäusten in mein Gesicht. »Du Schwein, du elendes Schwein!« Meine Brille fiel herunter. Ich hatte sie provozieren wollen, und es hatte funktioniert.

  Irgendwie bekam ich ihre Hände zu fassen und drückte sie nach unten. »Du warst den ganzen Tag in der Gegend. Du bist erst zum Haus gekommen, als du gemerkt hast, daß irgend etwas Sonderbares passiert war. Also: Warum kannst du ihn nicht erschossen haben?«

  »Ich habe ihn nicht erschossen. Du tust mir weh.«

  »Ich will wissen, wie dein Tag aussah. Wann bist du wirklich gekommen, und was hast du den ganzen Tag gemacht? Ausgekundschaftet, wann ein Mörder auftauchen kann, ohne bemerkt zu werden?«

  »Du bist ein Schwein!«

  »Du hast ihn wirklich gekannt, das glaube ich dir. Und du hast ihn vielleicht wirklich mal gemocht. Aber ob du ihn gestern noch mochtest, das bezweifle ich.«

  »Du weißt doch überhaupt nichts von mir und ihm«, schrie sie, außer sich vor Wut und Verzweiflung.

  »Dann sag mir, was ich wissen muß«, schrie ich zurück.

  »Er ist tot, und er wird nicht wieder lebendig, Baumeister. Er ist tot, versteh das doch endlich!«

  »Ich will wissen, wer ihn getötet hat.«

  »Warum? Was ändert das?«

  »Ich bin hinter Wahrheiten her.«

  »Wahrheiten? Daß ich nicht lache. Die Wahrheit ist, er war mein Freund. Auch gestern noch.«

  »Das mag sein. Aber du hast nie im Leben mit ihm geschlafen. Nie!«

  Es wurde sehr still. Ihr Kopf fiel nach vorn. »Warum sagst du das?«

  »Tut mir leid«, murmelte ich. »Der General und ich haben mal über Kinder gesprochen. Und er sagte damals: Wenn ich junge, gutaussehende Frauen sehe, dann sehe ich immer Töchter. Er war sechsundfünfzig, als er starb. Warst du seine Tochter, oder eine Art Tochter?«

  Sie nickte mehrere Male. »Seine Lieblingstochter.«

  »Warum hast du gestern abend gesagt, ihr hättet miteinander geschlafen?«

  »Weil das so ekelhafte Spießer waren. Ich wollte sie schocken.«

  »Warum bist du nicht schon mittags zum General gegangen? Warum bist du den ganzen Tag um sein Haus herumgeschlichen?«

  »Ich habe mich geschämt. Ich bin ... ich bin am Ende.«

  »Mein Gott, soviel Energie für eine so einfache Sache. Soviel Scheißlügerei. ..«

  »Baumeister, was weißt du denn überhaupt«, sagte sie heftig. »Ihr Machos habt doch diese Welt gebaut, nicht wir Frauen. Ich bin einigermaßen jung und sehe einigermaßen gut aus, und jeder nimmt erst einmal an, ich wäre stark. Ich bin aber nicht stark. Und sobald das jemand merkt, werde ich ausgenutzt.«

  Ich überlegte. »Gut. Also noch einmal von vorn: Hast du einen dieser beiden Toten gesehen?«

  »Ja, den Jungen.« Sie sah so aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen.

  »Wo genau und wann?«

  »Ich kam im Wald an einen alten hohen Drahtzaun. Da waren sehr viele Steinschuppen, das muß ein Bundeswehrlager gewesen sein. Ich stolperte da so rum und überlegte, ob ich zum General gehen könnte. Dann stand plötzlich dieser Junge vor mir.«

  »Was hat er gesagt?«

  »Nichts. Das war ziemlich verrückt. Ich sagte hallo, und er sah mich nur an und sagte nichts. Dann ging er um eine Ecke und war weg. Das war nicht einmal unheimlich.«

  »Wieviel Uhr war es?«

  »Das war gegen sechs Uhr abends, ungefähr eine Stunde, bevor ich in der Kneipe noch mal was gegessen habe.«

  »Was geschah dann?«

  »Dann ging ich ihm nach, um die Hausecke rum. Er war auf einen Erdwall geklettert, sah mich an und verschwand. Ich hinter ihm her. Da war wieder so ein leerstehendes Haus. Er stand darin und schoß mit einer Pistole auf ein großes Stück Pappe am anderen Ende.«

  »Hat er etwas gesagt?«

  »Wieder nichts. Er stand da und schoß. Und er sah genau, daß ich ihm zuschaute. Es war irgendwie so, als wäre er nicht von dieser Welt. Ich habe mich auch kein bißchen bedroht gefühlt.«

  »Was hast du gesagt?«

  »Ich habe gefragt: Was machen Sie denn da? Dann habe ich mir selbst geantwortet: Dumme Frage, Sie schießen. Er sah mich nur an und sagte immer noch nichts. Da bin ich dann weggegangen.«

  »Ich glaube, du müßtest mir allmählich die Geschichte des Generals erzählen.«

  »Es ist eine gute Geschichte, und ich will nicht, daß sie in den Dreck gezogen wird.«

  »Ich ziehe sie nicht in den Dreck.«

  »Journalisten ziehen alles in den Dreck.«

  »Hör auf mit diesen dämlichen Schlagworten. Du kennst mich nicht, also sag so etwas nicht.«

  »Du kennst mich nicht und hast gesagt, ich sei eine Streunerin und klappere meine Liebhaber ab.«

  »Das war nicht gut, das tut mir leid. Ich will nur herausfinden, wer den General getötet hat.«

  »Aber das weiß ich doch. Ich weiß doch, weshalb er umgebracht wurde.« Sie hatte ganz große, flehende Augen.