und sehr lebendig. Sie warf sich bäuchlings auf das Bett und fragte: »Was machen wir denn eigentlich, wenn doch Carlo den General umgenietet hat?«

  »Wer hat dir überhaupt gesagt, daß der General umgenietet worden ist?«

  »Na, Jonny natürlich«, meinte sie irritiert.

  Ich mußte mich vorsehen.

  »Er mußte mir das doch sagen, damit nicht irgendeiner auftauchen und mich ausnehmen kann, bloß weil ich keine Ahnung habe, was gelaufen ist.«

  »Richtig von Jonny«, lobte ich. »War Carlo sehr heiß auf den General?«

  »Kann man eigentlich nicht sagen. Natürlich, er wollte da was machen. Er sagte, irgendwer müsse den alten Mann ja zur Vernunft bringen. Nein, so richtig heiß war er auf den nicht. Ihm ging es wie mir: Wenn du den General ein bißchen kennst, magst du ihn. Kann ja aber trotzdem sein, daß Carlo ausflippte und den Alten umlegte, oder?«

  »Könnte sein. Mit welchen Ergebnissen ist Carlo denn vom General zurückgekommen?«

  »Weiß ich nicht genau, ich habe nur das Kabel gelegt.«

  »Na gut. Du bist eine kluge Frau. Du mußt doch geschnallt haben, ob Carlo auf den General angesprungen ist oder nicht.«

  »Na sicher. Alles fing an, als Carlo mich malen wollte. Da in diesem alten Munilager in der Eifel. Bumsen wollte er nicht, jedenfalls zuerst nicht. .. Sag mal, was glaubst du denn, wo wir diesen Fehler gemacht haben?«

  Eine falsche Antwort konnte alles verderben. Ich entschied mich ohne langes Nachdenken für den direkten Weg.

  »Du mußt doch zugeben, daß ein toter General in diesem Fall gar nichts nutzt, oder?«

  »Das will ich meinen.«

  »Also: Wenn der Tod des Generals eigentlich jedem schadet, dann hat entweder einer den großen Durchdreher gehabt, oder aber es war einer, den wir gar nicht kennen. Vielleicht hat Carlo den General wirklich umgepustet. Aber dann ist jemand hingegangen und hat Carlo getötet. Mir paßt das alles nicht, wir müssen den Fehler finden, um die Sache wasserdicht zu machen. Leuchtet das ein?« Da war mehr als ein logischer Fehler, aber es klang eigentlich ganz rund.

  Sie sagte auch: »Klar doch«, gähnte und räkelte sich. »Ich schmeiß uns einen Kaffee an. Jonny hat mich übrigens immer nach Standard-Quickies bezahlt. Ein Schein pro fünfzehn Minuten, keine Quittung, auch nicht über Getränke. O. K.?«

  Ich verzog schmerzlich das Gesicht. Ich besaß noch sechshundert Mark, und die Redaktion in Hamburg zahlte zwar gut - aber erst bei Ablieferung. Ich legte ihr fünf Hunderter hin. »Das sind 75 Minuten, du Luxusgeschöpf. Falls es länger wird, mußt du es mir stunden.«

  »Washington ist mir für jede Summe gut«, meinte sie desinteressiert. »Also schön, wo fangen wir an?«

  »Fang beim ersten Kontakt an. Wir dürfen nichts vergessen.«

  Sie sah mich vorwurfsvoll an. »Bin ich denn 'ne Anfängerin? Das war im letzten Mai. Ich überprüfte gerade für Axel diesen lässigen Bundestagstypen von den Grünen. Ich hatte ihn sogar hier und sollte rauskriegen, ob er deckfest ist. Er saß da in dem Sessel, in dem du sitzt, und lächelte blöde. Er sagte, er hätte eine Frau zu Hause, die prima wäre im Bett, und er könnte mich gut leiden, aber mehr würde nicht sein. Eine Drahtbürste, der Typ. Axel und Jonny kamen zusammen her, und ich habe berichtet. Ich weiß, daß sie ihn auf einer anderen Linie dann doch gekriegt haben, und jetzt arbeitet er für Jonny. Nebenbei, natürlich. Na ja, der Jonny sagte bei der Gelegenheit, der General wäre jetzt reif für die Schlußbehandlung. Der General hätte angefangen, mit irgendwelchen Linken in der SPD zu schmusen. Das wäre saumäßig gefährlich, sagte Jonny.«

  »Sagte er auch, wer bei der SPD für den Kontakt zuständig war?«

  »Ja, später mal. Das lief über einen Typen namens Gittmann. Nur der General und Gittmann, keiner dazwischen. Sie fragten mich also, ob ich ein Kabel zum General legen könnte. Und sie fragten auch gleich, ob ich jemanden kenne, der das Kabel dann als V-Mann benutzen kann. Damals hatte ich gerade Carlo durch seine Mutter kennengelernt.«

  »Carlos Mutter?« fragte ich ungläubig.

  »Carlos Mutter. Sie war scharf drauf, daß ihr Sohn richtig bumsen lernt. Vielleicht wollte sie auch selbst so eine Art Weiterbildung bei mir machen. Carlo war gut zu steuern, weißt du? Diese Künstlertypen sind unheimlich neugierig auf die einfachsten Sachen, über die unsereiner gar nicht nachdenkt. Und außerdem sagte Jonny, der General hätte irgendwie was übrig für junge Männer. Schwul sei aber nicht bewiesen.«

  »Und was hat Carlo dir bezahlt?«

  »Nichts. Carlo zahlte rein gar nichts. Immer genau am Ersten des Monats bin ich in die Passage hinter Mechernichs Fleischerladen gegangen und habe meinen Scheck gekriegt. Ich habe mich unheimlich langsam an Carlo rangearbeitet, wenn du weißt, was ich meine. Nie bin ich dem plump an die Wäsche gegangen, das hätte bei dem nicht funktioniert, aber seine Mami hat immer voll bezahlt. Bloß sein Vater durfte nichts erfahren. Carlo war für uns ideal, weil wir ihn eigentlich nicht zu plazieren brauchten. Er war ja dauernd an Ort und Stelle, an dem alten Munilager fast neben dem Haus des Generals. Erst habe ich ihn heißgemacht auf die Alternativen, Friedensfreunde, Grünen. Ich hab' ihm einfach Sachen erzählt, die ja auch die Wahrheit sind: Daß mich die alle so rotzig behandeln wie eine Nutte vom Autostrich, Mensch vierter Klasse. Dann bin ich mit Carlo in die Eifel gefahren, auf seinem alten Motorrad. Ich war richtig glücklich im vorigen Sommer, weil ich keinen Ausfall hatte und bombig verdiente. Axel bezahlte mich, Jonny bezahlte mich, und Mami Mechernich bezahlte mich auch.«

  »Also in das Munitionslager.«

  »Richtig. Carlo malte mich da. Langsam habe ich dann das Kabel zum General gelegt. Wir sind viel rumgestreift, und eigentlich war es unmöglich, den General da nicht zu treffen, weil der ständig mit dem kleinen Suzuki unterwegs ist... unterwegs war, muß man ja jetzt sagen. War nicht schwer. Wir kamen ins Gespräch, und ich stellte fest: Der General ist ein Daddy-Typ, keiner, der mit einer wie mir rummachen will. Eigentlich vielleicht sogar ein ganz cooler Typ. Na, egal, Carlo war also am General dran, das Kabel lag. Jetzt mußte Carlo immer schön langsam gedrillt werden, genau nach dem Punkteplan von Jonny...«

  »Moment, Moment, du machst das gut, aber du darfst keine Einzelheit vergessen. Wie sahen die Punkte aus, hast du sie noch drauf?«

  »Auswendig, na klar. Das war im August, ich habe Carlo gesagt, ich hätte drei Wochen Urlaub. Ich kümmerte mich nur um Carlo, weil Jonny und Axel Dringlichkeitsstufe eins angesagt hatten. Wenn Carlo den General besser kennenlernte, mußte er sein festes Bild vom General im Kopf haben, damit der ihn nicht umdrehte, klar?«

  Ich nickte.

  »Gut. Punkt eins war, daß ich Carlo sagte, der General habe seinen Minister beschissen. Er hätte das Wissen der NATO mißbraucht, um ein Gutachten zu schreiben, das den Verteidigungsminister und die NATO in Brüssel blamiert. Punkt zwei: Der General hat zuerst die reiche amerikanische Erbin geheiratet, um die Millionen vom Schwiegervater einzusacken, und anschließend, als alles ihm gehörte, die Scheidung eingereicht. Punkt drei: Der General hat das Gutachten nur geschrieben, um sich an die SPD heranschmeißen zu können. Punkt vier: Der General hat sich das Eifelhaus nur leisten können, weil die SPD den ganzen Sums heimlich finanziert hat. Punkt fünf: Er arbeitet jetzt mit diesem Gittmann zusammen an einem neuen Plan, die NATO lächerlich zu machen. Punkt sechs: Ständig wiederholen, was für ein schräger Vogel mit linken Methoden er ist. Punkt sieben: Carlo muß unbedingt rauskriegen, wo der General das neue Material für die SPD hat. Punkt acht: Carlo muß unbedingt herausfinden, wo der General ein anderes Gutachten zum selben Thema versteckt hält, das in Washington geklaut wurde. Punkt neun: Enges Zusammenleben mit dem General erreichen und, was das beste wäre, darauf eingehen, falls er intime Beziehungen wünscht.«

  »Moment mal, nach unseren Erkenntnissen war der General doch nicht schwul!«

  »Das macht doch nichts, Mann. Carlo sollte es eben versuchen. Jonny sagte immer, das wäre angewandte Psychologie, und vielleicht würde der General ja auf den Geschmack kommen. Diese ganze Chose war für Carlo jedenfalls aufregend. Er fand das echt geil. Und dann passierte was, womit wir nicht gerechnet hatten. Der ganze Plan drohte schiefzulaufen.«

  »Was war das?«

  »Carlo verliebte sich richtig in mich«, sagte sie tonlos.

  »Das ist aber doch nicht schlecht fürs Gewerbe, oder?« murmelte ich und tat desinteressiert.

  »Ach Mann«, seufzte sie, »es wäre ja auch alles gut gewesen, wenn ich selbst nicht plötzlich Probleme gekriegt hätte.«

  »Das verstehe ich nicht.«

  »Bist du blind? Ich hab' mich eben auch verknallt!« sagte sie heftig.

  Ich brummte >heilige Scheiße!< oder irgendwas in der Art, und sie nickte, ganz in ihre traurigen Gedanken versunken.

  »Das tut weh, nicht wahr?« fragte ich. Vorsicht, ich durfte jetzt nicht aus der Rolle fallen.

  »O Mann, ja.« Das war ein klägliches Gemurmel. »Ich habe das wirklich nicht gewollt, und ich habe zum lieben Gott gebetet, daß er mir einen harten Macker schickt, damit der mich aus der Scheiße holt. Ich habe immer gedacht: Wenn du dreißig bist, kannst du es vielleicht mal passieren lassen, aber vorher nicht, und...«

  »Hast du Jonny erzählt, daß du dich in Carlo verliebt hast?«

  »Nicht direkt, aber er hat es gemerkt und gesagt, das macht nichts.«

  »Laß uns ganz eng an der Sache bleiben«, sagte ich ganz behutsam. »Du hast den Carlo also heiß auf den General gemacht, und dann hattest du Angst, daß du ihn zu heiß gemacht hast. Also: Entweder schläft er mit dem General, was unwahrscheinlich war, oder er legt ihn um. Stimmt das so?«

  Sie nickte und fror plötzlich. Sie zog sich einen langen Pullover über, etwas schillernd Pinkfarbenes.

  »Ich glaube, ich kann dich beruhigen. Carlo hat den General nicht erschossen, es sei denn, er hatte ein Gewehr, das er danach gut versteckte. Der General wurde mit einem Gewehr umgebracht. Außerdem wurde mit demselben Gewehr dann Carlo erschossen. Hatte Carlo ein Gewehr?«

  Sie schüttelte den Kopf. »Das hätte ich bestimmt gewußt.«

  »Was ist mit dem Gittmann bei der SPD? Solltest du da auch ein Kabel legen?«

  »Ja. Das war für jetzt geplant. Ich sollte ihn abtesten und dann an Carlo weitergeben.«

  »Zurück zu Carlo. War er denn sofort bereit, mit dem General ins Tessin zu fahren?«

  »Absolut. Er hat mir auch geschworen, mit der Pistole keinen Mist zu bauen.«

  »Ich frage mich, warum ihr überhaupt das Risiko eingegangen seid, Carlo eine Waffe zu geben.«

  »Jonny sagte: reine Psychologie.« Sie starrte hinunter in den Schafwollteppich, und sie wirkte plötzlich zehn Jahre älter. »Weißt du, Carlo war ein Träumer. Er war plötzlich Agent, und er fand das unheimlich gut und spannend. Wie im Kino. Er kam auf die Idee, daß er mich beschützen mußte, und faselte dauernd von einer Waffe. Wir trafen dann Jonny in Dernau im Ahrtal in einer Kneipe, und Jonny sagte, Carlo hätte ganz phantastisch gearbeitet. Ich saß dabei und dachte: Mensch, Jonny, erzähl doch nicht so einen Scheiß! Carlo hat überhaupt nicht gearbeitet. Carlo ist eben Carlo, ein netter Typ, und alle mögen ihn, und also mag ihn der General auch. Aber ich habe nichts gesagt, und Carlo war sehr stolz und sagte irgend etwas von einer Waffe und Schutz für die Moni. Jonny schaltete sofort und meinte, eine Waffe wäre drin. Später nahm er mich vor: Ich sollte eine Knarre besorgen, möglichst ohne Nummer und so. Da habe ich sie eben besorgt und Carlo zum Geburtstag geschenkt.«

  »Weil du ihn geliebt hast?«

  »Ich weiß nicht. Carlo hatte anfangs nicht einen Hauch Selbstachtung, er war in seinen eigenen Augen der letzte Arsch. Ich änderte das, der General änderte das, und die Waffe änderte das noch mehr. Ich hasse seinen Vater, und ich hasse seine Mutter. Carlo hatte null Ahnung vom Leben, verstehst du? Er hat nicht mal schnallen wollen, daß ich eine Hure bin, er hat... er hat mich nur geliebt. VVie heißt du eigentlich?«

  »Baumeister, Siggi Baumeister. Habt ihr denn nun bei dem General die Manuskripte entdeckt?«

  »Nicht die Spur. Wieso weißt du das nicht? Ist das dein wirklicher Name?«

  »Nein, Arbeitsname. Und kümmere du dich nur um die Antworten. Wir können erst zufrieden sein, wenn wir wissen, wer den General getötet hat. Also: Jonny oder Axel haben auf keinen Fall gesagt, er soll getötet werden. Nur überwachen, nur die Manuskripte besorgen, im äußersten Fall eine Erpressung mit Schwulität. Ist das richtig so?«

  »Ja.« Sie stand auf, ging an die Kaffeemaschine und goß uns zwei große Becher ein.

  »Hat Carlo dich zu Ende gemalt?« fragte ich.

  »O ja, warte mal.« Sie lief hinaus und kam nach einigen Augenblicken mit einer Mappe zurück. Er hatte sie in Kreide, in Rötel, in Kohle, in Öl gemalt, und er hatte all seine Träume hineingelegt. Sie wirkte wie eine Fee, die seine Tage schön machen konnte.

  »Du solltest sie aufhängen, sie sind toll.«

  »Ich habe mich nicht getraut.« Sie lächelte. »Er war schon ein verrückter Hund, weißt du. Sein Vater hat ihn so kaputtgemacht. Er hat mit zehn Jahren immer zusehen müssen, wenn bei denen geschlachtet wurde. Sein Vater zwang ihn dazu. So wie mich mein Vater dazu gezwungen hat, mit ihm zu schlafen. Carlo und ich, wir hatten ein Zelt in diesem Munilager, wir haben da richtig gelebt, und niemand kam. Carlo wurde ruhig, selbstbewußt, gar nicht hektisch .« Sie steckte einen Finger in den Mund. »Es war schön.«

  »Weißt du, ich denke, die Fehler sind von Axels und von Jonnys Leuten gemacht worden. Da müssen sich am Haus des Generals verdammt viele herumgetrieben haben. Leute von den Diensten, meine ich.«

  »Na logisch, wir haben immer lachen müssen. Aber ich finde, daß Jonnys Leute noch die ehrlichsten sind. Die sind eben von der CIA und sagen es meistens auch, und sie waren schon in den Staaten am General dran. Ich weiß genau, daß Axels Leute in den Staaten aus dem Fall rausgeschmissen wurden. Dann waren da Männer von der NATO in Brüssel, dann die Bundesanwaltschaft wegen Geheimnisverrat, das Bundeskriminalamt Meckenheim... Sechs Parteien waren an dem dran. Jonny sagte, die Deutschen hätten eine Macke mit ihrer Geheimniskrämerei ...«

  »Aber das muß dem General doch aufgefallen sein.«

  Sie lachte. »Na sicher. Er grinste und meinte, das wäre zuviel Ehre. Ich weiß noch, es war Ostern, wir hockten draußen vor dem Generalshaus. Da kamen zwei vom BND vorbei und taten glatt so, als sähen sie uns nicht, harmlose Spaziergänger. Und der General sagte: Die werden sich demnächst alle wundern.«

  »Was meinte er damit?«

  »Das sagte er nicht. Er schrieb von morgens bis abends seine Kladden voll...«

  »Wie sahen diese Kladden aus?«

  »Blaue DIN-A4-Hefte, wie man sie in der Schule hat. Dutzende davon.«

  »Wir haben nichts, absolut nichts gefunden. Wer ermittelt denn jetzt?«

  »Offiziell Axels Truppe, niemand sonst. Aber Jonny sagt, daß der BND sich todsicher einmischen wird. Die Bundeskriminaler auch. Es gibt Zoff, sagt Jonny, und der weiß immer, was läuft.«

  »Du magst Jonny, nicht wahr?«

  »Ich komm' mit ihm zurecht. Ein echt cooler Typ. Der sagt immer, was er will. Die Deutschen sind eher schleimig, so hintenrum.«

  »Zurück zu den Kladden. Habt ihr denn nie klären können, was mit diesen Heften passierte, wenn sie voll waren?«

  »Na sicher, das weiß ich. Wenn sie voll waren, sprach er sie auf Tonband und verbrannte sie. Die Bänder schickte er weg zum Abschreiben, aber ich weiß nicht, wohin. Ich vermute, zu Gittmann. Hast du eigentlich eine Ahnung, weshalb der General erschossen wurde?«

  »Wir können den Grund bislang nicht entdecken, denn ein toter General ist für fast alle ein nutzloser General.«

  »Doch, seinen Kindern nutzt er schon«, meinte sie. »Mit denen hatte er wohl echte Probleme. Und es gab da ja wohl allerhand Kies zu erben, oder?«

  »Jede Menge. Erzähl mir von Carlo. Wußte er, wie du an ihn geraten warst?«

  »Ich habe ihm ziemlich bald gestanden, was da mit seiner Mutter lief. Wir haben ihr danach laufend die Knete abgenommen und uns totgelacht. Ich mußte ihm versprechen, bald aufzuhören mit... mit dem hier. Das Blöde ist, ich meinte das sogar ernst, glaube ich.« Dann fing sie unvermittelt an zu weinen. »Wie ist er eigentlich gestorben?«

  »Schnell, schmerzlos, aus nächster Nähe. Er hatte keine Ahnung. Ich lege dir jetzt fünfundzwanzig Männerbilder vor. Du sollst nur sagen, wen du kennst und wie er heißt.«

  »O. K. Ich muß aber einen Kognak trinken.«

  Sie stand auf und goß sich ein halbes Wasserglas voll. Sie mußte sich betäuben. Sie kannte neben >Axel< und >John Lennon< noch ein paar von den Männern aus der Umgebung des Generalshauses, aber sie war sich sicher, daß sie alle in untergeordneten Positionen arbeiteten.

  »Eine Frage noch, dann verschwinde ich. Was hast du selbst vom General gehalten?«

  »Ich sag' ja, ich fand ihn korrekt, fast ein guter Typ. Ich dachte sogar mal: So einen Vater müßte man haben, dann könnte einem nie was passieren.«

  »Jetzt muß ich dir was sagen, Moni...«

  Rechts von ihrem Kopf hing ein Druck an der Wand, eines dieser unsäglichen Bilder: Ein langmähniges, zigeunerhaftes Kindmädchen mit Tränen in den Augen. In diesem Bild war plötzlich ein roter Punkt, und ich brauchte Sekunden, um zu merken, daß es ein Licht an der Wand über meinem Kopf sein mußte.

  Sie sagte: »Das ist Jonny, der wird froh sein, dich zu sehen.«

  »Das war es ja, was ich dir gerade sagen wollte. Ich glaube nicht, daß er sich freuen würde.«

  »Wieso? Weil du ihn überprüfst?«

  »Nein, weil ich Journalist bin. Aber was ich über Carlo gesagt habe, stimmt.«

  »Und ich habe dir alles erzählt...« Ihre Augen waren vor Schreck ganz groß. »Aber Jonny muß doch ...« Sie griff nach einem kleinen Kästchen, das auf einem Hocker neben dem Bett lag, drückte auf einen Knopf und fragte: »Ja, bitte?«

  »Jonny hier. Alles klar?«

  »Kundschaft hier, Jonny. Alles klar.« Sie sprach schleppend.

  »Okay, Kleines. Und noch was: Da recherchiert so ein Jeanstyp rum. Baumeister heißt er, Mitte vierzig, macht auf gefühlvoll. Sieh dich vor!«

  »Ruf mich übertags mal an.«

  »Mach' ich, Kleines.« Dann klickte es, und der kleine Lautsprecher blieb stumm.

  Sie sah mich an. »Wieso haben die mich nicht eher vor dir gewarnt?«

  »Sie haben nicht damit gerechnet, daß ich dich so schnell finde. Warum hast du ihn nicht reingeholt, damit er mich fertigmacht?«

  »Du kommst hier sowieso nicht raus«, sagte sie hart. »Wenn ich sage, ruf mich an, weiß er nämlich, daß was faul ist. Du hast sowieso keine Chance.«

  »Warum hast du nicht einmal gefragt, wer ich bin?« meinte ich statt einer Antwort.

  »Mußte ich doch nicht. Du hast ja schöne Grüße von Carlo bestellt.«

  »Das war der Code?«

  »Ja. Jonny schlägt dich bestimmt tot.«

  »Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«

  »Ich würde aber Angst haben«, sagte sie.

  »Habe ich ja auch. Und jetzt gehe ich.«

  »Bei mir ist es egal, ich bin ja nur eine Hure. Aber schreib keinen Scheiß über Carlo, wenn du noch dazu kommst. Carlo war wirklich in Ordnung.«

  Ich stand auf und ging hinaus. Ich fand den Lichtschalter, der die alte Lagerhalle unten in gelbes, spärliches Licht tauchte. Im Hof war es jetzt stockdunkel, Wolken waren aufgezogen, der Wind kam in kurzen, heftigen Stößen, es würde Regen geben, vielleicht ein Gewitter. Es war sehr schwül.

  In der Durchfahrt zur Straße hin konnte ich buchstäblich die Hand nicht vor Augen sehen. Seine Stimme überraschte mich nicht im geringsten, und doch zuckte ich zusammen. »Guten Morgen, Sie Wühlratte.«

  »Ich weiß nicht, ob das ein Schimpfwort ist. Bitte Vorsicht, meine Brille ist neu. Und es macht auch keinen Unterschied, ich recherchiere sowieso weiter. Dann noch etwas, bevor Sie loslegen: Moni ist vollkommen unschuldig. Sie mußte glauben, daß ich schon alles weiß.«

  Er lachte, und es war Resignation darin. »Kommen Sie, wir gehen ein Stück. Sie haben übrigens dem Mann bei Axel im Treppenhaus das Schulterblatt gebrochen. Die Nase wahrscheinlich auch. Und der Zahnarzt wird an meinem deutschen Kollegen viel Geld verdienen.«

  »Das meiste hat er sich selbst besorgt. Bestellen Sie beste Genesung, aber schicken Sie keine Blumen. Wer hat den General umgebracht?«

  »Ich weiß es nicht. Was hat Moni Ihnen gesagt?«

  »Alles, oder alles, was sie weiß. Jetzt erwartet sie zitternd, daß ich eine wilde Geschichte schreibe.«

  »Und werden Sie das?« Er trug wieder den hellen Trenchcoat über den Jeans.

  »Im Moment nicht. Ich will den Mörder, dann schreibe ich in Ruhe, was zu schreiben ist. Wann kommen die Kinder des Generals?«

  »Die sind schon da. Aber sie waren es nicht, sie haben wasserdichte Alibis.«

  »Vielleicht haben sie einfach jemanden geschickt.«

  »Nein. Dazu sind diese Leute zu normal. Zugegeben, es ist eine ekelhafte Brut, aber kriminellen Instinkt haben die nicht, da müßte ich mich schon verdammt irren. Sagen Sie, Baumeister, können wir nicht ein Abkommen schließen?«

  »Sie? Mit mir? Dann muß es Ihnen aber schlecht gehen.«

  »Wir sehen tatsächlich nicht gut aus«, gab er widerwillig zu.

  »Es wird politischen Stunk geben, Köpfe werden rollen. Ihr Kopf auch?«

  »Ich weiß es nicht. Möglich. Axel hat den Fall jedenfalls schon an den BND abgeben müssen.«

  »Aber der BND macht doch bloß Auslandsaufklärung«, wandte ich ein.

  »Ausnahmefall. Die waren schon in Washington mit im Geschäft. Wie ist es nun mit dem Abkommen?«

  »Wie soll das aussehen?«

  »Ziemlich einfach: Wir beide tauschen total aus und suchen danach auch beide nach dem Mörder.«

  »Was ist schiefgegangen?«

  »Alles«, sagte er. »Als erkennbar wurde, welchen Weg der General geht, hängte sich der BND rein. Es kam zu einem wilden Gerangel mit dem MAD, der sich zuständig fühlte. Wir hielten uns im Hintergrund und beobachteten nur den General. Axel machte alles viel zu laut und grob. Jetzt kriege ich den Vorwurf gemacht, ich hätte schneller eingreifen müssen, obwohl ich das gar nicht konnte. Wie auch immer: Die Deutschen haben aufeinander eingeprügelt, und irgendeiner ging hin und erschoß den General. Ich will nur den Mörder liefern, nichts sonst.«

  »Es ist also auch eine persönliche Sache?«

  »O ja, ich habe einen guten Ruf zu verlieren, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Was ist? Machen Sie mit?«

  »Tut mir leid, nein. Keine Kumpanei mit Geheimdienstleuten.«

  »Dann kann ich nicht verhindern, daß die Bundesanwaltschaft Sie festnehmen wird.«

  »Immer zu!« murmelte ich.

  »Schade«, sagte er, drehte ab und ging in eine schmale Gasse.

  »Halt, verdammt noch mal!« rief ich ihm hinterher. »Sie schulden mir eine Brille.«

  »Schicken Sie uns die Rechnung in die Botschaft«, rief er.

  Dann war er im Dunkeln verschwunden.

  Es war 3.15 Uhr, es fing sanft und lau an zu regnen. Ich fragte mich, ob ich einen Fehler gemacht hatte, als ich sein Angebot ablehnte. Aber ich wußte nur zu genau, daß Geheimdienstler immer versuchen, ein Süppchen zu kochen, dessen Zutaten man nie erfährt, das man aber todsicher auslöffeln muß. Und der CIA-Mann, der friedlich mit einem Journalisten zusammenarbeitet, muß erst noch geboren werden.

  Godesberg hat tagsüber den Charme eines nicht ganz erwachsenen Mädchens, aber nachts und bei Regen ist es zum Fürchten. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, mich von einem Taxi in die Eifel transportieren zu lassen, aber dann fiel mir meine finanzielle Lage ein. Also suchte ich eine Telefonzelle und rief Horst Böhmert an. »Erschlagen Sie mich nicht, aber können Sie mich in Godesberg einsammeln?«

  »Wann?«

  »Jetzt.«

  »Was kriege ich dafür?«

  »Die Geschichte, oder den größten Teil der Geschichte. Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß mich die Bundesanwaltschaft sucht, angeblich jedenfalls.«

  »Nicht angeblich. Das weiß ich sicher.«

  »Was ist? Kommen Sie?«

  Ich beschrieb es ihm, und er sagte, er werde Gas geben. Um Punkt 4.10 Uhr war er an Ort und Stelle. Der neue Tag zeigte sich schon, auf meiner Telefonzelle mitten in Godesberg begrüßte ein Hänflingspaar schwatzend die Sonne.

  »Wenn mich jemand mit Ihnen sieht, bin ich meine Karriere los«, sagte er.

  »Ganz im Ernst: Reizt Sie das nicht?«

  Er grinste, blinzelte mich an und steckte sich eine Zigarette an. »Wohin?«

  »Nach Hause.«

  »Geht nicht. Da sind die lieben Kollegen.«

  »In die Nähe, nur in die Nähe.« Ich gähnte.

  Er lachte. »Lassen Sie sich doch ein paar Tage zum Ausschlafen einsperren.«

  »Erst will ich den Mörder.«

  »Glauben Sie im Ernst, daß Sie ihn finden?«

  »Ob Sie es glauben oder nicht: Wenn ich weiter recherchiere, werde ich zwangsläufig auf ihn stoßen.« Dann berichtete ich, was ich bislang in Erfahrung gebracht hatte, während er mit Höchstgeschwindigkeit durch das sonnendurchflutete Ahrtal brauste.

  »Das heißt doch eigentlich, daß wir den Bereich der Geheimdienste fast vergessen können. Die haben nur Wirbel gemacht, sonst nichts.«

  »Bleibt die SPD«, sagte ich. »Aber viel wissen werden die auch nicht. Ich brauche den, dem der General mit seinen Friedensideen wirklich schaden konnte.«

  Ich holte mir das Gepäck, das Germaine brav hinter dem Basaltbrocken versteckt hatte.

  »Heh«, lachte Böhmert. »Wollen Sie Robin Hood spielen? Wohin jetzt?«

  »Ins Munitionslager. Zelten.«