* Neuntes Kapitel

 

Der Brief des Generals lautete: Eifel, am 26. 5. 1989

  Liebe Isolde Eutin, oder, wenn Ihnen das lieber ist, mein liebes Seepferdchen!

  Ich habe hier in der Eifel seit vielen Wochen heißes Wetter, leider keinen Regen für Wälder und Felder. Von den Leuten, die sich in den Blechlawinen nach Süden gewalzt haben, hörte ich, daß sie es viel weniger gut hatten. Ich jedenfalls mache keinen Urlaub, noch nicht, ich habe zuviel Arbeit. Was Ihre Frage wegen der 12 Wohnungen in Ihrem Haus betrifft, muß ich Sie väterlich darauf hinweisen, daß es Ihr Haus ist, wenngleich Sie immer so tun, als sei es noch meines. Ein Rat aber trotzdem: Tatsächlich sind die Badezimmer in einem schauderhaften Zustand, erneuern Sie sie rundum. Das kostet zwar Geld, macht sich aber bezahlt.

  Im September werde ich ins Tessin fahren. Nicht allein, sondern mit einem jungen Mann. Er ist ein bißchen so, wie ich meinen Sohn gern gehabt hätte. Ich denke, wir gehen ins Burghotel nach Ascona. Er ist zwanzig, Metzgerssohn aus Godesberg, soll Jura studieren, will aber lieber auf die Kunstakademie nach Essen. Kommt weder mit Mutter noch mit dem Vater zurecht, deren Lebensglück darin besteht, den Kunden zu versichern, sie schlachten selber. Weil er sich also zu Hause sehr fremd fühlt, streunt er hier durch die Wälder und wohnt praktisch in einem alten Bundeswehr-Munitionslager und malt - übrigens ausgezeichnet, wie mein Laienverstand findet. Wenn ich so lese, was ich schreibe, komme ich mir fast so vor wie Aschenbach in Manns TOD IN VENEDIG - aber das ist es nicht. Es ist die blödsinnige Hoffnung, einen Menschen zu finden, der in Ideen umsetzen kann, was ich weiß: Daß die Erde nach unendlichen Kriegen unendlichen Frieden braucht. Herzlichst Ihr Ravenstein.

 

Germaine sagte in die Stille: »Jetzt fehlt nur noch, daß sie den alten Mattes auch mitnehmen wollten.«

  Wir hockten im Garten, ich auf einem Stein an der Mauer, die beiden Frauen auf einer Decke im Gras. »Wann ist Carlos Beerdigung?« fragte ich.

  »Morgen«, sagte Germaine.

  Ich ging ins Haus und rief Böhmert an. »Ich steige wieder ein. Ich habe eine winzige Chance, wenn ich die Frau herauslasse und schneller bin als die Geheimdienste. Der General kannte übrigens Carlo recht gut. Sie wollten im September gemeinsam im Tessin Urlaub machen.«

  »Donnerwetter. Und was machen Sie jetzt?«

  »Ich fahre zu Carlos Eltern nach Godesberg.«

  »Es ist in der Michael-Passage, nicht zu übersehen. Falls Sie darauf angewiesen sind: Im Hinterhof gibt es einen idealen Zugang zur Wohnung. Noch etwas Wichtiges, und ich hoffe zu Gott, daß dieses Telefon nicht abgehört wird: Der Mann, der die MAD-Kommandos leitete, wohnt in Meckenheim im Meisenweg 16 und heißt mit bürgerlichem Namen Ulf Decker. Den Dienstrang kenne ich nicht. Und der kleine Dicke, der am Mordabend die Leitung hatte, ist Oberst Werner Bröder vom MAD.«

  »Sehr gut. Ich melde mich, wenn ich zurück bin. Gibt es noch etwas, auf das ich achten sollte?«

  »Ja; Achten Sie auf sich.«

  »Mach' ich, Bruder.«

  Ich ging in den Garten und verkündete: »Ich steige wieder ein und muß jetzt eine Besorgung machen.«

  Isolde strahlte überglücklich. »Ich hab' es doch gewußt!«

  Germaine sprang auf. »Fein. Und mit was fangen wir an?«

  »Wir fangen mit überhaupt nichts an. Du wirst nämlich am Telefon bleiben und jedem, der anruft, sagen, Baumeister sei dienstlich unterwegs. Und mit der Generalssache habe ich nichts mehr zu tun. Das gilt auch für die Leute aus Hamburg.«

  »Ich werde also abgehängt?«

  »Ja.«

  »Wohin gehst du, wann kommst du zurück?«

  »Das sind Fragen, die mich bewogen haben, nie zu heiraten.«

  Ich zog mich etwas feiner an, da ich dachte, daß ein Metzgermeister das erwarten darf. Dann fuhr ich durch das Ahrtal an den Rhein und grübelte darüber nach, wer bei der SPD in Bonn wissen könnte, was der tote General zuletzt geschrieben hatte. Und: Wer in der SPD würde mir das sagen?

  Eine Ente war vor mir, eines jener Autos, von denen die Leute sagen, es sei kein Auto, sondern eine Weltanschauung. Das Mädchen am Steuer hatte sich einen Aufkleber geleistet, auf dem sie verkünden ließ: ALS GOTT DEN MANN SCHUF, ÜBTE ER NUR! Bevor ich zum Überholen ansetzte, hupte ich sicherheitshalber, weil nie klar ist, wie diese rollenden Kriegserklärungen reagieren. Aber sie grinste zu mir hinüber und strahlte mich durch unglaublich dicke Brillengläser an. »Mach's gut, Mädchen!« schrie ich; mir war, als könnte ich es mit der ganzen Welt aufnehmen. Da hupte sie fröhlich zurück, und selbst die Hupe hatte etwas Rührendes, sie klang wie das Rülpsen eines satten Kleinkindes.