Kapitel 6

 

»Blut (lat. sanguis) ist eine Körperflüssigkeit, die im Organismus zusammen mit dem Herz-Kreislauf-System lebenswichtige Funktionen übernimmt.«

 

Befragung Theo von Lohberg, Baden-Baden

 

Als Frank Dorthal zusammen mit seinem Vorgesetzten das überfüllte Antiquitätengeschäft in der Baden-Badener Innenstadt betrat, dachte er sofort an seine eigene Wohnung. Auch dort standen einige wertvolle alte Stücke, die Marion bei verschiedenen Händlern zusammengekauft hatte. Ihr Elternhaus samt Einrichtung hatte sie sofort nach dem Tod ihres Vaters veräußert und keine Erinnerungsstücke behalten. Danach war sie in ein kleines Apartment gezogen. Als ihr Frank schließlich den Heiratsantrag gemacht hatte, war sie sofort einverstanden gewesen.

»Wir fangen ein neues Leben an. Mit eigener Wohnung und eigenen Möbeln«, hatte sie ihm daraufhin freudestrahlend verkündet.

Frank erinnerte sich gerne zurück. Es hatte viel Spaß gemacht, die Wohnung auszustatten, und Marions Geschmack war wirklich erstklassig. Jedenfalls hatte er von ihr genug über wertvolle Stücke gelernt, um zu wissen, dass man in diesem Laden sehr erlesene, aber auch entsprechend teure Dinge erwerben konnte.

 

Die Männer standen gerade vor einem kleinen Regal mit silbernen Spieldosen, als sie hinter sich eine freundliche Stimme vernahmen, die flötete: »Einen wunderschönen guten Tag. Darf ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«

Die beiden Polizisten drehten sich langsam um und sahen in das Gesicht eines Mannes um die sechzig. Ihr Gegenüber hatte graues dichtes Haar und aufmerksame braune Augen. Er war beinahe schlank, bis auf das kleine Bäuchlein, das sich deutlich unter dem teuren Seidenhemd abzeichnete.

»Wir suchen Theo von Lohberg«, sagte Frank sachlich und zeigte seinem Gegenüber den Polizeiausweis.

Der Mann zog erschrocken eine Augenbraue in die Höhe, antwortete aber höflich: »Nun, den haben Sie gefunden.«

»Könnten wir uns irgendwo ungestört unterhalten? Es geht um den Mord an Mark Hanson ...«

»Das habe ich befürchtet, er wurde also auch von dem Baden-Badener Beilmörder getötet. Dieser Andreas Meiner war tatsächlich unschuldig. Gott, wie schrecklich! Kommen Sie«, sagte er nun fahrig, »wir gehen in die Wohnung.«

 

Der großzügige Wohnbereich über dem Geschäft erstreckte sich über zwei Stockwerke. Auch hier dominierten alte Möbel und wertvolle Kunstgegenstände. Alles war sehr liebevoll eingerichtet und die Männer saßen entspannt in bequemen Chippendalesesseln. Von Lohberg hatte ihnen einen hervorragenden Espresso in winzigen Tassen gereicht und erzählte nun von Mark Hanson.

»Mark war mehr als nur ein Geschäftspartner, das Wort ›Freund‹ wäre übertrieben, aber er war ein guter Bekannter. Ich mochte ihn. Das, was mit ihm passiert ist, das ist schrecklich.« Seine Augen füllten sich mit Tränen und er blinzelte sie schnell weg.

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?« Heerse überließ Frank die Vernehmung.

»Das war irgendwann vor Weihnachten. Ich mag Hamburg, und wenn ich das Geschäftliche mit dem Privaten verbinden kann, dann fahre ich schon auch mal selbst in den Norden.«

»Darf ich nach der Art des Geschäfts fragen?«

»Ja, natürlich. Hanson hat mir die Bilderserie eines Künstlers besorgt, der sich auf Motive des Schwarzwalds spezialisiert hatte. Ich habe die Gemälde für eine Russin geordert, die ganz vernarrt in Baden-Baden und die Region ist. Sie hängen jetzt in ihrem Apartment. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Quittungen und Papiere zeigen.«

»Das wäre hilfreich«, antwortete Frank höflich. »Hat Mark Hanson öfter etwas für Sie besorgt?«

»Nein, nur ab und zu. Manchmal hatte ich auch etwas für ihn.« Theo schaute an den Polizisten vorbei und kämpfte erneut gegen die Tränen an. »Er war so voller Lebensfreude ...«

Frank Dorthal schwieg und ließ dem Mann Zeit, sich zu sammeln.

»Wir kannten uns schon bestimmt seit fünfzehn Jahren«, sagte er schließlich.

»Sie haben ihm die Prospekte von Baden-Baden mitgebracht?«

»Ja, und dafür habe ich welche von Hamburg in meinem Geschäft ausgelegt.«

»Wir hätten gerne eine Liste von Mark Hansons Kontakten, wenn er in Baden-Baden war. Hotels, Lokale, Freunde. Und natürlich die Unterlagen über Ihre geschäftlichen Transaktionen.«

»Selbstverständlich. Ich schreibe alles zusammen, was ich weiß. Allerdings kann ich Ihnen nicht garantieren, dass ich jeden seiner Kontakte hier in Baden-Baden kenne«, er hob hilflos die Hände.

»Notieren Sie einfach alles, was Ihnen einfällt, dafür wären wir Ihnen sehr dankbar.«

Jetzt schaltete sich Heerse ein: »Eine Frage, Herr von Lohberg.«

Der Angesprochene blickte zu dem Hauptkommissar, überrascht, dass dieser plötzlich das Gespräch übernahm.

»Sie sagten, Mark Hanson war ein guter Bekannter. Wie standen Sie denn nun wirklich zu ihm?«

Theo lief rot an und machte einen ertappten Eindruck. Seine Antwort kam stotternd: »So wie ich gesagt habe, ein guter Bekannter ...«

»Sie waren nicht in ihn verliebt?«

Das nun knallrote Gesicht und die hilflose Mimik des Mannes beantworteten die Frage bereits.

Theo von Lohberg senkte den Kopf und sagte leise: »Ich mochte ihn sehr. Aber das ist kein Verbrechen, oder?«

»Haben Sie ihm das jemals gesagt?«

»Nein! Niemals, außerdem bin ich seit letztem Jahr verpartnert.«

Heerse gab sich vorerst damit zufrieden und wechselte das Thema. »Wo waren Sie gestern gegen Mittag?«

Von Lohberg sah den Hauptkommissar überrascht an. Offensichtlich kannte er noch nicht die neuesten Nachrichten über die Beilmorde, deshalb konnte er sich auf die Frage auch keinen Reim machen.

»Im Elsass, bei einer Kunstmesse.« Unsicher blickte er zu Heerse.

»Gibt es dafür Zeugen?«

»Ich denke schon, warum?«

»Wo waren Sie in der Nacht, als Mark Hanson ermordet wurde?«

Jetzt schreckte Theo sichtlich zusammen. »Wo ich war? Zu Hause, in meinem Bett.«

»Zeugen?«

»Oliver, mein Partner! Aber warum ...«

»Herr von Lohberg, wir werden Ihre Angaben überprüfen. Mein Kollege wird Ihnen noch drei weitere Daten nennen. Bitte geben Sie uns auch dafür Ihren genauen Aufenthaltsort an.«

»Werde ich verdächtigt?« Die Stimme des Mannes überschlug sich.

»Routine, Herr von Lohberg, Routine«, sagte Heerse und schwieg wieder, während sich Frank Dorthal die Angaben des Zeugen notierte.

Obwohl Heerse gegenüber Theo von Lohberg einen sehr harschen Ton angeschlagen hatte, konnte er ihn sich nicht als Täter vorstellen. Allerdings wusste er, dass man sich auch leicht täuschen konnte. Hinter einem Engelsgesicht verbarg sich oft ein Teufelsgemüt.

 

Termin mit Doktor Clara Calliditas

 

Am Spätnachmittag hatte sich Rolf Heerse zu einem für ihn ungewöhnlichen Schritt entschieden. Er suchte Rat bei einem Außenstehenden. Deshalb öffnete ihm Clara Calliditas auch mit einem verschmitzten Lächeln die Tür. Sie und Heerse kannten sich bereits viele Jahre. Ihre Verbindung war beruflicher Natur und keineswegs immer harmonisch gewesen.

Clara Calliditas war mittlerweile in Rente. Gearbeitet hatte sie als Ärztin in der Psychiatrie und war unter anderem forensische Psychiaterin gewesen.

Der Anruf von Rolf Heerse hatte sie einigermaßen überrascht, aber auch gefreut und deshalb war sie gerne einverstanden gewesen, sich kurzfristig mit ihm zu treffen. Jetzt saßen sie vor einer Tasse Kaffee im Arbeitszimmer der achtzigjährigen Medizinerin, umgeben von jeder Menge Fachliteratur und Topfpflanzen.

Clara Calliditas war eine große, schlanke Frau, die trotz ihres hohen Alters immer noch aufrecht ging. Die Haare hellblond gefärbt, eine schwarz umrandete Brille auf der Nase, war sie mit einer Energie ausgestattet, um die sie so manche Dreißigjährige beneiden würde.

»Mein lieber Heerse, ich fühle mich geschmeichelt, das muss ich zugeben! Ich gehe davon aus, Sie möchten mit mir über diesen Beilmörder sprechen?«

Hauptkommissar Rolf Heerse schüttelte ergeben den Kopf. Diese Frau war ein Phänomen. Ohne bisher ein Sterbenswort über den Grund seines Besuches verloren zu haben, wusste sie längst über seine Beweggründe Bescheid. Er schlug die Augen nieder, er wusste, was jetzt folgen würde.

Clara Calliditas lachte. »Dass ich das noch erleben darf. Der berühmte Rolf Heerse glaubt plötzlich, dass ich helfen kann, ein Verbrechen aufzuklären. Wie haben Sie einmal zu mir gesagt?« Clara tat so, als müsste sie sich die Worte erst in Erinnerung rufen, dabei hatte sie Heerses Formulierung von einst noch genau im Ohr.

Sie wartete und der Hauptkommissar tat ihr den Gefallen und wiederholte seine Sätze von damals: »Ich sagte, die Psychiatrie sei zu nichts anderem gut, als die Verbrecher aus dem Gefängnis zu holen.«

»Und«, fuhr sie fort, »dass ich nichts anderes täte, als einen Gefängnisausbruch ohne Waffen zu organisieren.«

Heerse winkte ab und die Psychiaterin nickte ihm munter zu.

Obwohl sie sich gegenseitig beruflich sehr schätzten, war es bei einigen Gelegenheiten zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Als forensische Psychiaterin hatte Clara Calliditas Gutachten über die Schuldfähigkeit von Tätern erstellt. In einem Fall war der Schuldige deshalb zu einem Klinikaufenthalt und nicht zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Heerse hatte das damals mehr als entsetzt. Diese Strafe war ihm aufgrund der Schwere der Tat vollkommen ungerecht erschienen. Das war vor sechzehn Jahren gewesen. Kurz danach hatte sich Clara Calliditas zurückgezogen und die beiden waren sich nur noch sporadisch begegnet.

»Sie wissen schon, dass ich kein Täterprofil erstellen kann, so wie im Fernsehen?«

»Natürlich weiß ich das«, knurrte Heerse verstimmt.

»Und natürlich wissen Sie auch, dass ich als forensische Psychiaterin nur die Schuldfähigkeit einer Person festgestellt habe, und nicht deren Motive.«

Heerse atmete geräuschvoll aus. »Ich entschuldige mich nochmals für meine ungerechten Worte von damals«, sagte er schließlich mit einer demütigen Verbeugung, wohl wissend, dass sie ihn ansonsten noch eine Weile zappeln lassen würde. »Und ich bitte Sie«, fuhr er fort, »mir einfach Ihre Einschätzung zu geben.«

Clara sah ihn ernst an. »Der Fall macht Ihnen zu schaffen, lieber Freund! Schlafen Sie überhaupt noch?«

Heerse verzog das Gesicht und signalisierte ihr, dass er darüber jetzt ganz bestimmt nicht sprechen wollte.

»Gut, ich verstehe. Dann erzählen Sie mir von dem Fall.«

 

Als Heerse dreißig Minuten später geendet hatte, sah ihn die Psychiaterin mit gespitzten Lippen an. Sie hatte sich ein paar Notizen gemacht und zog nun die Brille ab, als sie zu sprechen begann: »Im Prinzip kann ich Ihnen nichts Neues sagen. Ich sehe es wie Sie: Hamburg war der Anfang, eine Tat aus Wut, unkontrolliert, während alle späteren Morde vermutlich mit Vorsatz und überlegt geschahen. Dass der Täter oder die Täterin nicht dumm ist, das wissen Sie selbst, sonst hätte es mehr Spuren gegeben. Für diese Erkenntnis braucht man nur ein wenig gesunden Menschenverstand. Möglich sind natürlich auch mehrere Täter. Da kann höchstens ein Blick in die Statistik helfen, wie wahrscheinlich ist ein Mann, eine Frau, ein Pärchen, zwei Männer, zwei Frauen und so weiter. Aber das sind alles Spekulationen. Hoffen wir, dass Ihre Experten doch noch einen Treffer landen.«

»Was ist mit diesen gottverdammten Botschaften?«, unterbrach er die Psychiaterin fast schon verzweifelt.

»Du lieber Himmel, Heerse, das weiß ich nicht. Das kann alles Mögliche bedeuten.« Als sie jedoch seine Enttäuschung sah, fuhr sie schnell fort: »Aber einen Tipp kann ich Ihnen vielleicht geben ...«

Heerse beugte sich jetzt ein wenig nach vorne und konzentrierte sich ganz auf sein Gegenüber.

»Für den Täter sind die Nachrichten eindeutig und einleuchtend. Und meistens ist es viel einfacher, als man denkt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, nehmen wir diesen letzten Mord, das aufgereihte Essen, an was erinnert Sie das?«

»An ein Büfett?«

»Genau, vielleicht soll es das auch darstellen.«

»Und die Hände und die Uhr?«

»Die Uhr ist die Zeit und die Hände sind zwei Hände, die sich festhalten. Sie sagten, die beiden Opfer waren verheiratet. Also, Mann und Frau.«

»Es waren jeweils die rechten Hände. Rechts trägt man den Ehering.«

Clara Calliditas zuckte mit den Schultern und sagte: »Sehen Sie! Denken Sie nicht zu kompliziert.«

Heerse fing bereits an, über die Inszenierungen der anderen Morde nachzudenken, als Clara Calliditas noch etwas einfiel. »Sie sagten doch, die Sachen, die für die Botschaften benutzt wurden, stammten alle von den Tatorten. Entweder von den Opfern oder der Örtlichkeit.«

»Das ist richtig.«

»Nun, das spricht noch mehr dafür, sich nicht zu hinterdenken. Der Mörder nimmt das, was er findet. Dies kann dazu führen, dass die verwendeten Gegenstände bizarr wirken. Wenn man aber im Hinterkopf behält, dass sie nur Platzhalter für irgendetwas sind, dann entwirrt sich das Ganze leichter.«

»Das ist eine interessante Überlegung ...« Heerse ging in Gedanken die Tatorte durch, dann sagte er zögernd: »Wenn ich die Kaninchen nehme, die waren in weißes Küchenpapier eingewickelt, könnte es dann heißen, dass einfach weiße Tiere dargestellt werden sollten? Dass das Einwickeln an sich gar nichts zu bedeuten hatte?«

»Ja, das habe ich gemeint.«

»Und was würden die weißen Tiere dann bedeuten?«

»Pah! Keine Ahnung. Der Punkt ist, dass die Einfachheit dieser Botschaften erst dann sichtbar wird, wenn sie entschlüsselt sind.«

»Ich brauche Sie nicht zu fragen, wie ich das machen soll, oder?«

Clara Calliditas schenkte ihm ein trauriges Lächeln. »Nein, da kann ich nicht helfen. Mein einziger Rat ist nach wie vor, nicht zu kompliziert zu denken!«

»Was ist mit dem Motiv? Fällt Ihnen dazu etwas ein? Könnte es einen sexuellen Hintergrund für die Taten geben? Ist das überhaupt möglich?«

»Alles ist möglich.« Und mit einem ironischen Unterton sagte die Ärztin: »Es gibt Kollegen, die führen aggressives Verhalten grundsätzlich auf sexuelle Störungen zurück.«

»Aber was treibt so einen Menschen an?«

Die Psychiaterin stöhnte und erwiderte: »Sex, Hass, Liebe, Mordlust, Irrsinn, suchen Sie sich etwas aus. Ganz sicher trägt Ihr Täter eine große Wut in sich. So etwas kann viele Ursachen haben. Das geht von erlebter Gewalt bis Enttäuschung in der Partnerschaft oder sexuelles Versagen.«

»Doch nur reine Raterei«, antwortete Heerse resigniert.

»Das würde ich nicht sagen, aber da Sie dem Täter seine Störung nicht ansehen können, nützen Ihnen Erkenntnisse über seine Psyche auch wenig.«

»Da haben Sie wohl recht. Also bleibt uns nur die Spurensuche.«

 

Präsidium der Kriminalpolizei, Baden-Baden

 

Die nächsten Tage verbrachten die Beamten mit Befragungen und Protokollauswertungen. Lukas Bürg sollte das Alibi von Theo von Lohberg für den Zeitpunkt des Mordes an Mark Hanson überprüfen und deshalb mit dem Lebensgefährten des Verdächtigen sprechen.

Die zusätzlichen Mitarbeiter, die Heerse angefordert hatte, waren ihm zum Glück bewilligt worden. Diese sollten sich um von Lohbergs Angaben bezüglich der anderen Morde kümmern. Frank machte sich daran, Mark Hansons Baden-Badener Kontakte abzuklären, und der Hauptkommissar brütete über den Berichten der OFA, der Labore und Mediziner. Jeden Morgen gab es eine Besprechung mit dem gesamten Team, um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Frustriert mussten sich die Polizisten jedoch eingestehen, dass sie nicht einen Schritt vorangekommen waren.

Es gab keine brauchbaren Fußspuren, Faserreste oder Fingerabdrücke an den Tatorten. Mit größter Wahrscheinlichkeit hatte der Täter Handschuhe getragen. Die Hamburger Kollegen kamen ebenfalls nicht weiter. Auch im Fall Mark Hanson gab es keine neue Spur. An die Frau, mit der das Opfer laut Sina Wieser auf der Blondinen-Party gesprochen hatte, konnte sich niemand erinnern. Einzig das Datum wussten sie jetzt. Es handelte sich um den Abend des siebten Januar.

Jeder neue Ansatz, den sie verfolgten, führte in eine Sackgasse. Dass die letzten Morde so kurz hintereinander begangen wurden, setzte die Beamten zusätzlich unter Druck und die Männer rechneten täglich mit einer neuen Schreckensmeldung. Die Medien schlachteten die grausamen Taten rücksichtslos aus und Sina Wieser, die ständig über den Bildschirm flimmerte, nervte Heerse noch mehr als das Programm in den Verkaufskanälen.

 

* * *

 

Man hatte die Botschaft also endlich gehört. Wie viele waren es, die mittlerweile Bescheid wussten? Wieder war der Zufall ein großzügiger Verbündeter gewesen. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern und man würde verstehen.

Im Fernsehen zeigten sie gerade die karierte Decke mit den in sich verschlungenen Händen des Ehepaars und den angeordneten Speisen. Ein bösartiges Grinsen huschte über ein hassverzerrtes Gesicht.

»Verstehen heißt Strafe!«, zischte eine Stimme bedrohlich. Danach folgten die zornigen Worte: »Meine Erinnerung an Baden-Baden. Meine Erinnerung an ein Versprechen!«

Es blieben weitere neun. Das Beil hatte seine Arbeit längst noch nicht getan. Künftig musste es seine Mission jedoch sehr vorsichtig erfüllen. Bisher hatte es keine Zeugen und keine Spuren gegeben, sonst wäre schon längst einer dieser armen, hilflosen Polizisten mit Handschellen aufgetaucht. Aber das lag in der Natur der Dinge. Während Liebe stets von Dummheit geleitet wurde, konnte der Hass sehr wohl von der Klugheit geführt werden.

Selbst in Hamburg hatte das Beil keine Spuren zurückgelassen. Und danach waren entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden. Das Beil war schlau und wusste, wie seine Feinde arbeiteten. Etwas, das unabdingbar war, denn die Botschaften mussten gesendet werden. Wenn nötig, noch weitere neun Male ...

 

Wohnung von Marion und Frank Dorthal, Baden-Baden

 

Karina sah sich neugierig in dem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer um. Behaglich lehnte sie sich auf dem weißen Sessel zurück und streckte die Beine aus. Ihre Schwägerin war gerade in der Küche, um besonders hochwertigen Schwarztee, gezupft am Ende der Welt, in sündhaft teure, hauchdünne Porzellanteetassen zu gießen.

Aber Karina hielt sich mit einer entsprechenden Bemerkung zurück. Schließlich war Marion am Telefon sehr freundlich gewesen und sie hatte sich über die unerwartete Kontaktaufnahme gefreut. Jetzt konnte sie es kaum noch erwarten, endlich wieder ihrem Bruder Frank zu begegnen. So einfach hatte sie sich ein Wiedersehen wirklich nicht vorgestellt.

 

Marion werkelte nervös in der Küche. Es war nicht schwierig gewesen, Karina aufzuspüren. Schließlich hatte sie ihnen zur Hochzeit eine Karte mit Handynummer geschickt. Frank hatte die Glückwünsche weggeworfen, aber Marion war damals ihrem Instinkt gefolgt und hatte das zerrissene Papier aus dem Mülleimer gefischt, wieder zusammengesetzt und aufbewahrt.

Erst war es am Telefon ganz still geworden, als Marion mitgeteilt hatte, wer sie war. Fast hatte sie geglaubt, Karina würde auflegen, aber dann war schnell ein Gespräch in Gang gekommen. Erfreulicherweise lebte Franks Schwester mittlerweile ganz in der Nähe, nämlich in Pforzheim.

Als Marion nun das kleine Tablett auf den Couchtisch balancierte, versuchte sie, nicht zu verkrampft zu wirken. Karina war eine faszinierende Erscheinung. Marion wusste, dass sie 33 Jahre alt war. Ihre dichten langen schwarzen Haare fielen leicht gewellt über die schmalen Schultern und umrahmten das Gesicht mit den großen grünen Augen. Ihr Körper war zierlich, sie war nicht besonders groß, höchstens 1,65 m. Überhaupt wirkte Karina wesentlich jünger und hatte etwas Kindliches an sich, das vermutlich bei den Männern sofort den Beschützerinstinkt weckte. Die dunkle Kleidung bildete einen extremen Kontrast zu ihrer hellen Haut. So hatte sich Marion als Kind immer Schneewittchen vorgestellt.

Beim Einschenken des Tees zitterten die Hände der Gastgeberin.

»Du bist nervös, ich hoffe, es ist nichts Schlimmes vorgefallen und ich bin deswegen hier?«

Die Frage klang harmlos, aber Marion fühlte sich ertappt und kam ins Stottern. »Nein, es ist nur ...« Sie hatte sich die Worte bereits zurechtgelegt, aber jetzt empfand sie ihre vorbereitete Rede hohl und unglaubwürdig. »Es ist nur so, dass ich spüre, wie sehr Frank seine Familie vermisst. Du bist schließlich die einzige lebende Verwandte, dazu noch seine Schwester.«

»Stimmt schon«, sagte Karina leise, »als unsere Eltern starben, war Frank zwar bereits über 18 und ich bin ja nur 2 Jahre jünger, aber ab diesem Zeitpunkt waren wir alleine. Großmutter lebte ebenfalls nicht mehr. So hatten wir nur noch uns.«

»Eben. Und deshalb solltet ihr euch auch wieder vertragen. So schlimm kann man sich doch gar nicht zerstreiten. Schließlich seid ihr Geschwister!«

Karina lachte. Es war ein angenehmes, fröhliches Lachen. »Man merkt, dass du ein Einzelkind bist. Glaube mir, Geschwister können sich bis aufs Blut streiten.« Vorsichtig nippte sie an ihrem heißen Tee, bevor sie weitersprach. »Was genau hat dir Frank eigentlich erzählt? Ich meine, wie hat er erklärt, dass wir keinen Kontakt mehr zueinander haben?«

Marion spürte, wie sie rot wurde. Sie war davon ausgegangen, dass Frank unter dem Streit mit der Schwester mehr litt, als er zugab. Ihrer Meinung nach war auch das ein Grund für seine gelegentliche Unausgeglichenheit. Im Stillen hatte sie sich von der Familienzusammenführung Normalität, vor allem in ihrem Ehebett, erhofft. Allerdings hatte er seit jener Nacht keine »speziellen« Praktiken mehr von ihr verlangt. Deshalb war es ihr plötzlich unangenehm, sich hinter Franks Rücken mit Karina zu treffen. Andererseits war ihre Schwägerin nun hier und Marion wollte schließlich nur das Beste für ihren Mann.

Wahrheitsgemäß antwortete sie auf die Frage: »Er sagte, er habe nicht mehr ertragen, wie du an einer selbstzerstörerischen Beziehung festhalten würdest.«

»So hat er das also ausgedrückt?« Karinas Lippen umspielte ein feines Lächeln und ihre Augen funkelten.

Marion räusperte sich verlegen, aber ihre Schwägerin knabberte genüsslich an einem kleinen Stück Teegebäck und begann zu erzählen: »Ich habe einen Mann geliebt, der mich belogen hat.«

Marion schluckte. »Und Frank hat dich vor ihm gewarnt?«

»So etwas in der Art. Er wollte, dass diese Beziehung endet. Ich wollte das nicht.«

»Und was ist dann passiert?«, fragte Marion leise.

Karina verzog ihren hübschen Mund. »Der Kerl hat mich verlassen, das ist passiert.«

»Das tut mir leid. Also hatte Frank recht mit seinen Befürchtungen.«

»Vermutlich ...«

Marion konnte sich ihren Ehemann vorstellen. Er hätte sicher nur das Beste für die kleine Schwester gewollt. Offensichtlich war er dabei aber über das Ziel hinausgeschossen.

»Und wieso hattet ihr dann keinen Kontakt mehr? Ich meine, diesen Streitpunkt, also diese Beziehung, gibt es doch gar nicht mehr, oder?«

Die junge Frau sah an Marion vorbei und betrachtete das große Hochzeitsfoto, das auf dem Kaminsims stand.

»Ich habe diesen Mann geliebt, liebe ihn immer noch. Als die Beziehung auseinanderging, wäre ich fast gestorben.« Plötzlich war alles Fröhliche aus Karinas Gesicht verschwunden und es sah aus, als würde sie körperlichen Schmerz empfinden. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. »Außerdem waren zwischen mir und Frank böse Worte gefallen. Er hat mich nicht einmal zu seiner Hochzeit eingeladen.« Karina wurde ruhiger und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande, als sie sagte: »Das sollte ich ihm eigentlich nicht verzeihen!« Dabei hob sie gespielt streng den Zeigefinger.

»Ihr werdet euch wieder vertragen und dann sind wir drei eine Familie«, erwiderte Marion leidenschaftlich.

»Wie schön«, flüsterte Karina – mit einem spöttischen Zug um den Mund, den Marion allerdings nicht bemerkte.

 

* * *

 

Als Frank Dorthal an diesem Abend nach Hause kam, war er müde und hungrig. Er freute sich auf seine kleine Welt mit Marion und sehnte sich nach ihrem Körper. Schon beim Betreten der Wohnung rief er nach seiner Frau.

Frank bemerkte ihren angespannten Gesichtsausdruck nicht, als sie im Türrahmen erschien, sondern plapperte einfach drauflos: »Die Kollegen haben zugesagt. Der Heerse kommt mit Frau und Lukas natürlich solo. Ach, und der Chef hat uns heute das Du angeboten. Ich glaube, so langsam weiß er auch, was er an mir hat.«

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Marion nicht wie sonst war. Hoffentlich gab es keine schlechten Nachrichten. Vorsichtig fragte er deshalb: »Ist etwas passiert?«

»Nein, nein ...«, nun errötete seine Frau und schaute zu Boden wie ein Kind, das man bei etwas Ungehörigem erwischt hatte.

Frank hatte seinen Schwiegervater nicht gekannt. Damals, als er Marion das erste Mal traf, war dieser bereits verstorben. Aber aus den Erzählungen seiner Frau wusste er natürlich von dessen tyrannischem Wesen. Diese demütige Haltung von Marion stammte vermutlich aus dieser Zeit.

»Also was ist los?«, hakte er ungeduldig nach. Er hasste es, wenn er anderen Menschen die Antworten wie Würmer aus der Nase ziehen musste. Das kostete ihn in seinem Beruf schon genug Kraft.

»Wir haben Besuch«, antwortete ihm Marion und schob trotzig das Kinn nach vorne. Sie hatte diese Sache angefangen, jetzt galt es, das auch durchzustehen. Allerdings musste sie ihrem Mann keine weiteren Erklärungen geben, denn in diesem Moment erschien hinter ihr Karina.

Frank Dorthals ganzer Körper spannte sich an, so als müsste er in der nächsten Sekunde um sein Leben kämpfen. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst und die Adern an seinem Hals traten stark hervor.

»Ich habe deine Schwester eingeladen, ihr solltet euch aussprechen.«

Frank fühlte sich, als hätte man ihm eben den Teppich unter den Füßen weggezogen.

»Hallo Frank«, hörte er die sanfte Stimme seiner Schwester. Ihr kindliches Gesicht war noch genauso schön und unschuldig, wie er es in Erinnerung hatte – er sah, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.

Er hatte sie verstoßen, ja, das hatte er getan. Hielt das damals für die einzige Möglichkeit, sie zu retten. Aber war das richtig gewesen? Was, wenn er damit alles nur noch schlimmer gemacht hatte?

»Sie ist nicht mehr mit diesem schrecklichen Kerl zusammen«, flüsterte Marion neben ihm.

Dieser Satz sollte ihn vermutlich versöhnen, aber seine Frau hatte ja keine Ahnung. Karina würde sich niemals mit der Trennung abfinden. Dafür kannte er sie gut genug. Was diese Beziehung betraf, war seine Schwester wie eine Drogenabhängige, der man den erlösenden Schuss verwehrte. Diese Selbstzerstörung würde von Neuem beginnen und letzten Endes ihn und auch Marion mit in den Abgrund reißen.

Eine Träne kullerte langsam über Karinas bleiche Wange.

Frank kämpfte mit sich. Seine Vernunft riet ihm, Karina sofort die Tür zu weisen, aber seine Liebe zu ihr ließ das nicht zu.

»Frank?«, flüsterte sie zaghaft und unter Tränen, »es tut mir so entsetzlich leid.«

Marion hielt sich zurück, wollte den besonderen Moment zwischen Bruder und Schwester nicht stören.

Als Frank nun auf Karina zuging und sie ohne ein weiteres Wort in die Arme schloss, verließ Marion mit einem leisen Seufzer den Raum.

 

Eine ganze Weile standen sie still da. Es war eine feste, lang vermisste Umarmung. Das Gefühl von Zusammengehörigkeit erfüllte die Geschwister. Karina und Frank gegen den Rest der Welt, das war damals ihr Motto gewesen. So vieles war passiert – und dann, eines Tages, war das Band zwischen ihnen zerrissen. Ob es noch einmal zusammenwachsen würde? Trotz der bösen Worte, den Vorwürfen und den Anschuldigungen? Franks Bedenken waren mit einem Mal wie weggeblasen. Erst jetzt, als seine kleine Schwester schluchzend ihren Kopf an seine Schulter lehnte, erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er sie die letzten Monate vermisst hatte. Er hatte das Gefühl, nach einer langen Reise zu Hause angekommen zu sein. In diesem Moment zweifelte er mehr denn je daran, dass seine Entscheidung von damals die richtige gewesen war.

Als er seine Schwester nun sanft von sich schob und in ihr zartes Gesicht mit den verweinten Augen blickte, hatte er mit einem Mal starke Schuldgefühle. Er hätte Karina nicht ihrem Schicksal überlassen dürfen, ganz egal, wie halsstarrig sie auch gewesen war.

»Du hast mir gefehlt«, hauchte sie verlegen.

Frank drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, nahm sie erneut in die Arme und antwortete leise: »Du mir auch, meine Kleine!«

 

Marion war mit sich zufrieden, als sie den Frühstückstisch am nächsten Morgen deckte. Sie hatte extra ihr neues Service aus dem Schrank geholt, die passenden Stoffservietten dazu arrangiert und frische Blumen hingestellt. Beim Brötchenservice war es ihr sogar noch kurzfristig gelungen, Croissants zu bestellen, und mit viel Hingabe hatte sie frischen Orangensaft ausgepresst. Karina war über Nacht geblieben, denn es gab viel nachzuholen. Zwar hatte sich Marion zeitweise etwas ausgeschlossen gefühlt, aber das hatte sie nicht wirklich gestört. Hauptsache, Frank war glücklich.

Hinter sich hörte sie ein Geräusch und drehte sich mit einem Strahlen im Gesicht um.

Etwas verblüfft blickte sie nun auf Karina, die splitterfasernackt im Türrahmen stand.

»Guten Morgen«, sagte diese fröhlich, lief um den Frühstückstisch herum und schnappte sich ein Croissant. »Hm, die sind ja lecker!«

Marion starrte immer noch perplex auf ihre Schwägerin. Karina hatte einen schönen Körper, trotzdem wäre es Marion lieber gewesen, sie wäre damit nicht ganz so freizügig in ihrer Wohnung herumspaziert.

»Ich wollte dich um ein Handtuch bitten«, sagte Franks Schwester nun leichthin und biss erneut von dem Croissant ab.

»Ja, natürlich«, stammelte Marion und setzte sich, gefolgt von Karina, in Bewegung. Vor dem Badezimmer trafen sie auf Frank.

Zuerst ließ sich sein Gesichtsausdruck nicht deuten, aber dann sagte er mit einem amüsierten Blick auf seine Schwester: »Hol dir keinen Schnupfen.« Woraufhin Karina ihm die Zunge herausstreckte.

Marion fühlte sich plötzlich sehr verklemmt. Ihr war Nacktheit unangenehm. Sie war noch nie in der Sauna gewesen und genierte sich selbst vor Frank. Der wiederum hatte, genau wie seine Schwester, keine Probleme damit, seinen nackten Körper zu zeigen. Man merkte eben, dass das gleiche Blut in den Adern der Geschwister floss.

Als sie ihrer Schwägerin die Handtücher zurechtgelegt hatte, betrat sie das Schlafzimmer. Frank war nicht da, sondern im angrenzenden Ankleideraum. Sie hörte ein leises Keuchen und wusste, was er da drinnen gerade tat. Sie kannte sein Verlangen nach Sex und hatte bereits bemerkt, dass er sich gelegentlich selbst befriedigte. Anfangs war sie gekränkt gewesen, hatte aber geschwiegen. Mittlerweile war ihr das jedoch gar nicht mehr so unrecht. Längst hatte sie sich damit abgefunden, dass sie ihm in dieser Hinsicht nicht genug geben konnte. Das Keuchen wurde etwas lauter und Marion verließ leise den Raum.

 

Eine halbe Stunde später, beim gemeinsamen Frühstück, tat Marion so, als wäre alles in bester Ordnung und lenkte das Thema auf Franks Geburtstagsparty. Er hatte sich dazu entschieden, lediglich Rolf Heerse und Lukas Bürg einzuladen, ebenso war natürlich Karina unter den Gästen, die bei Marions Worten: »Du darfst auf keinen Fall fehlen«, zärtlich deren Arm drückte.

Marion hatte die Wünsche ihres Mannes verstanden. Bis dieser Fall mit den schrecklichen Morden zum Abschluss gebracht worden war, fühlte sich Frank unter seinen Kollegen am wohlsten. Und sollten sie plötzlich zu einem Einsatz gerufen werden, dann wäre wenigstens niemand vor den Kopf gestoßen. Also gab es eine kleine Feier, die sie bereits bestens organisiert hatte.

 

Präsidium der Kriminalpolizei, Baden-Baden

 

»Wir müssen nochmals von vorne anfangen«, sagte Rolf Heerse gerade. Ein Satz, mit dem er mittlerweile jede ihrer Besprechungen einleitete. Der Hauptkommissar stöhnte: »Theo von Lohberg hat also ein einwandfreies Alibi für die Morde an Annemarie Müller, dem Zupf-Hans und unserem Jäger, Walter Barus. Die Bestätigung erfolgte durch glaubhafte Zeugen. Er war jedes Mal mit seinem Partner irgendwo zu Gast gewesen. Bei dem Mord an Mark Hanson in Hamburg allerdings gibt es nur den Lebensgefährten als Alibi. Der hat also die Aussage seines Partners bestätigt, die beiden waren in der Nacht zu Hause?«

Die Frage richtete sich an Lukas Bürg, der stumm nickte und auf seine Papiere starrte. Er fühlte sich nicht wohl und hatte plötzlich Angst. Angst entlarvt zu werden.

»Lukas?«, unterbrach Heerse schroff die Gedanken des jungen Kommissars, »was ist mit der Kunstmesse, bei der von Lohberg angeblich war, als der Doppelmord in Geroldsau begangen wurde?«

»Hat der Kollege Müller überprüft. Keine hundertprozentige Bestätigung. Er war wohl dort, aber niemand weiß wie lange, und ob er dazwischen einmal wegging.«

»Das ist keine große Entfernung«, warf Frank Dorthal ein, »er hätte die Morde begehen und wieder ins Elsass zurückfahren können. Und der Lebensgefährte könnte gelogen haben. Was denkst du, Lukas?«

Der junge Kommissar zuckte nur unsicher mit den Schultern und hoffte, dass ihm niemand etwas anmerken würde.

»Aber selbst wenn er der Täter im Fall Hanson und bei dem jüngsten Doppelmord war, die anderen drei Morde hätte er definitiv nicht begehen können«, sagte Frank, der noch einmal die Aussagen studierte.

»Zwei Täter«, murmelte Heerse.

»Wieso das?«, warf Lukas in so einem vehementen Tonfall ein, dass seine Kollegen überrascht aufblickten.

»Ich meine«, stotterte er, »der Lebensgefährte kann es nicht gewesen sein ...«

»Natürlich nicht«, entgegnete sein Chef gereizt, »der war ja mit auf den Veranstaltungen, das wissen wir. Aber es könnte ja sein, dass Theo von Lohberg noch einen anderen Partner hat. Einen mit einer mörderischen Leidenschaft.«

»Zwei Täter«, wiederholte Frank nachdenklich die Worte seines Vorgesetzten, »das wäre eine schöne Scheiße!«