Kapitel 4
»Das Edelste, was am Menschen ist, das ist Blut, wenn es gut will. Aber das Ärgste, das am Menschen ist, das ist Blut, wenn es übel will.«
Meister Eckhart (1260-1328)
Präsidium der Kriminalpolizei, Baden-Baden
Das Klingeln des Telefons riss Heerse aus seinen Erinnerungen, die Zentrale meldete einen Hauptkommissar Gerd Rieber.
»Ist das auch nicht irgendein Reporter, der sich mit einem Trick Zugang verschaffen will?«
Der Kollege aus der Zentrale lachte: »Der ist echt, Rolf, du siehst zu viele Filme!«
Heerse gab ein »blöder Schwätzer« zurück, was der Beamte am anderen Ende der Leitung wieder mit einem Lachen quittierte.
Dann hörte er ein Klicken und eine fremde Stimme: »Mein Name ist Hauptkommissar Gerd Rieber, Hamburg.«
»Was kann ich für Sie tun?«, antwortete Heerse höflich, aber ungeduldig. Er hatte hier schließlich jede Menge Arbeit zu erledigen.
»Ich denke eher, dass ich etwas für Sie tun kann.«
Der Mann sprach Hochdeutsch und Heerse versuchte seinen badischen Dialekt zu unterdrücken, als er antwortete: »Ich könnte Hilfe gebrauchen, schießen Sie los.«
»Es geht um Ihren Beilmörder.«
»Das dachte ich mir schon, aber was weiß Hamburg darüber?«
Jetzt zögerte der Mann auf der anderen Seite der Leitung. Fast stotternd kam die Antwort: »Nun, ich denke, wir könnten einen Mord haben, der zu den Ihren passt. Im Januar ...«
Weiter kam Gerd Rieber nicht, denn Heerse fuhr ungehalten dazwischen: »Im Januar? Wir haben die Datenbanken doch durchkämmt. Warum sind wir darauf nicht gestoßen?«
Wieder ein Zögern: »Als heute die Zeitungsmeldung kam, habe ich mich das auch gefragt und mich deshalb in die Datenbanken eingeloggt. Leider musste ich feststellen, dass wir ein kleines Computerproblem hatten. Der Fall ist nicht richtig erfasst worden, deshalb konnten Sie ihn nicht finden.« Nach einer kurzen Pause folgte noch ein: »Es tut mir sehr leid!«
Heerse war zornig. Was machte dieser ganze teure Computerquatsch für einen Sinn, wenn er die Hälfte der Zeit nicht richtig funktionierte? Natürlich würden die vom Rechenzentrum wieder sagen, dass ein Benutzerfehler der Grund für alles sei und ja eigentlich jeder Fünfjährige mit dem System umgehen könne.
Heerse stieß hörbar die Luft aus und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. »Wieso glauben Sie, dass es eine Verbindung zwischen Ihrem Fall und unseren Morden gibt?«
»Sicher bin ich mir nicht, deshalb wäre meine erste Frage folgende: War an den Tatorten etwas merkwürdig, abgesehen von der Tat selbst?«
Heerse schluckte. »Ich denke, Sie sollten mir die Unterlagen sofort per E-Mail schicken, ich melde mich dann wieder!«
* * *
»Mark Hanson, zweiundfünfzig, erfolgreicher Antiquitätenhändler aus Hamburg. In der Nacht vom 15. auf den 16. Januar brutal ermordet mit einem Beil. Seht euch die Fotos an. Bei ihm hat der Mörder regelrecht gewütet. Der wurde abgeschlachtet«, setzte Heerse eine halbe Stunde später seine beiden Mitarbeiter ins Bild.
»Drei Finger der linken Hand, zwei der rechten wurden abgetrennt. Der Kopf ist tatsächlich in zwei Hälften zerteilt. Der rechte Oberschenkel wurde fast vollständig vom Körper abgeschlagen. Unterhalb des Bauchnabels hat der Täter nur noch Matsch zurückgelassen«, sprach Frank Dorthal weiter und beschrieb das, was die Tatortfotos auf dem Bildschirm wiedergaben.
»Seine Genitalien sind komplett zerhackt, etwas Sexuelles?«, warf nun Lukas Bürg unsicher ein.
»Diese Informationen schicken wir jetzt gleich weiter an die Fallanalytiker, die sollen das auswerten«, antwortete Heerse.
»Obwohl der Leichnam von Walter Barus auch übel zugerichtet wurde, sieht das hier, bei diesem Hanson, total unkontrolliert aus. Bei Barus schien mir das koordinierter.«
»Gut beobachtet, das ist auch meine Empfindung. Bei den Bildern von Hanson denke ich an hemmungslosen Irrsinn.«
»Und wieso glauben Sie, dass dieser Mord mit unserem zusammenhängt?«
»Wegen zweier Details«, antwortete Heerse und sah die Anspannung seiner Männer. »Erstens, dieser Mark Hanson hatte Verbindungen zu Baden-Baden, und zweitens, seht euch die anderen Bilder an. Vor allem die Uhren ...«
»Das gibt es doch gar nicht. Ich nehme an, die waren erst nach dem Mord so, oder?«
Heerse nickte zur Bestätigung und sah selbst noch einmal auf die Fotos. Der Mord war in Hansons Laden begangen worden. Wobei diese Bezeichnung eine Untertreibung war. Hanson war ein sehr erfolgreicher Antiquitätenhändler gewesen. Sein »Laden« war ein großzügiges Atelier, eingerichtet in einem alten Fabrikgebäude, das aufwendig restauriert worden war. An den hinteren Teil des Verkaufsraumes grenzte ein Salon an, ausgestattet mit erlesenen Stücken, der sowohl als Büro als auch als Ruheraum für Hanson gedient hatte. Es gab sogar einen offenen Kamin in diesem Teil des Geschäfts. Marmor, moderne Teakholzmöbel und erlesene Antiquitäten ließen Hansons Rückzugsbereich mehr als luxuriös erscheinen. Offensichtlich hatte der Mann verstanden zu leben. Seine Ehefrau, eine Lydia Hanson, hatte ausgesagt, dass er dort auch gerne seine diversen Damenbekanntschaften empfangen hatte.
Jedenfalls waren sämtliche Uhren in dem Laden von Hanson beschädigt worden. Immerhin waren dort einige Exemplare von beträchtlichem Wert. Große Standuhren und kleinere für den Kaminsims und sogar zwei wertvolle Armbanduhren, die dem Opfer gehört hatten. Die Zifferblätter der großen Uhren waren zerschlagen worden, die Armbanduhren hatte der Täter zertrümmert. Der Mord war definitiv mit einem Beil begangen worden. Und dieses Mal konnte die Polizei sogar genau feststellen, um welchen Typ es sich handelte. Der Mörder hatte das Beil des Opfers benutzt, das bei den Holzscheiten neben dem Kamin gelegen hatte. Nach der Tat konnte besagtes Beil nicht aufgefunden werden, womit die Vermutung nahelag, dass der Täter es an sich genommen hatte. Die Tat geschah nachts, das Opfer kniete wohl gerade vor dem Kamin, um ihn anzuzünden. Dort bekam er den ersten Schlag ab. Zeugen gab es keine.
»Sie waren doch im Januar oben in Lübeck zur Fortbildung, oder?«
Frank Dorthal erschrak, es stimmte, er war dort gewesen, aber er dachte mit gemischten Gefühlen an diese Tage. »Ja, das ist richtig, das war sogar zu der Zeit, als der Mord passiert ist. Das Seminar dauerte vom 13. bis 17. Januar, aber ich habe damals nichts von dem Verbrechen mitbekommen.«
»War auch nicht möglich, die Kollegen haben das unter dem Deckel gehalten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.«
Frank war erleichtert, es wäre ihm peinlich gewesen, wenn ihm etwas entgangen wäre. Die Fortbildung selbst war zwar ganz in Ordnung gewesen, aber außerhalb des Seminargebäudes hatte er stets das Gefühl gehabt, er würde beobachtet werden. Aber wahrscheinlich war er zu dieser Zeit einfach nur gestresst gewesen, später hatte er sich selbst für seine Paranoia ausgelacht.
»Ich muss nach Hamburg, können Sie mich hier vertreten, Frank?«
Heerse gebrauchte in letzter Zeit öfter einmal die Vornamen seiner Mitarbeiter. Wenn sich eine Gelegenheit bieten würde, dann wollte er ihnen auch das Du anbieten. Ein positives Arbeitsklima war schließlich wichtig, gerade wenn solche schlimmen Fälle die eigene Gefühlswelt ins Wanken brachten.
»Natürlich, Chef«, antwortete Frank Dorthal und war für die Chance sich zu beweisen dankbar.
»Und Sie, Lukas, kommen mit mir. Sie hätten doch auch in Hamburg Ihren Dienst antreten können, dann lernen Sie jetzt einmal Ihren ›Beinahe-Arbeitgeber‹ kennen.«
Bürg nickte nervös, er war nicht besonders begeistert, seine vertraute Umgebung zu verlassen – und dann auch noch ausgerechnet Hamburg. Es hatte schließlich Gründe gegeben, sich gegen diese Stadt zu entscheiden, deshalb zog es ihn auch jetzt nicht dorthin.
»Wir sind nur einen Tag fort«, sagte Heerse ein wenig belustigt, als er das Gesicht Bürgs sah, das wenig Begeisterung ausdrückte.
* * *
»Unfassbar, dass uns der Fall erst jetzt bekannt wurde«, sagte Bürg gerade, als die Maschine am »Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden« Richtung Hamburg abhob.
»Ja, unfassbar.« Mehr erwiderte Heerse nicht.
Es war nicht gut in dieser Situation mit »hätte, würde« oder »könnte« zu arbeiten. Am Ende quälten sich sonst nur alle Beteiligten mit Vorwürfen. Außerdem glaubte der Hauptkommissar nicht, dass es ihnen wirklich gelungen wäre mit der Information über den Hamburger Fall, die Morde in Baden-Baden zu verhindern.
Er hatte sich noch einmal mit Gerd Rieber unterhalten. Der Mann war mehr als unglücklich über die neue Entwicklung. Nicht zuletzt deshalb, weil er bereits einen Tatverdächtigen festgenommen hatte. Der war drei Wochen in Untersuchungshaft gesessen und hatte sich dann erhängt. Rieber und seine Kollegen sahen das damals als Schuldeingeständnis, obwohl der Mann, ein gewisser Andreas Meiner, die ganze Zeit über die Tat geleugnet hatte. Heerse konnte sich vorstellen, wie es seinem Hamburger Kollegen ergangen war, als er in der Zeitung von den Morden in Baden-Baden gelesen hatte. Wahrscheinlich saß er gerade bei seinem Vorgesetzten und musste sich für das, was geschehen war, rechtfertigen. Und die Computerpanne würde seine Position sicher auch nicht verbessern. Deshalb rechnete er es dem Kollegen hoch an, dass er den Beamten aus dem Schwarzwald volle Unterstützung zugesagt hatte.
Untersuchung des Tatorts in Hamburg
Die Begrüßung am Flughafen war kurz und die Männer ersparten sich unnötiges Geplänkel.
Ohne lange Einleitung sagte Heerse: »Am besten, wir fangen sofort an. Ich würde mir gerne zuerst den Tatort ansehen!«
Hauptkommissar Rieber war ein Typ, der auf den ersten Blick etwas distanziert wirkte. Ein Eindruck, der nicht zuletzt durch seine kühlen graugrünen Augen entstand, die ihr Gegenüber stets aufmerksam musterten. Heerse schätzte den Mann auf Anfang vierzig. Seine hellen Haare waren millimeterkurz rasiert und Riebers Gesicht wurde von einem ordentlich gestutzten Bart gleicher Farbe bedeckt, was ihm das Aussehen eines waschechten Hamburger Seemanns gab.
Während der Fahrt sprachen die Männer über den Fall. Riebers Gesichtsausdruck verhärtete sich bei den Schilderungen seiner Kollegen.
»Das hört sich nach einem Psychopathen an ...«
»Ja«, antwortete Heerse resigniert, »oder nach einer Psychopathin.«
»Aber ist das die Handschrift einer Frau?«, fragte der Hamburger etwas ungläubig.
»Warum nicht? Frauen können genauso gewalttätig sein wie Männer, wenn das auch seltener vorkommt. Das ist keine Frage der Emanzipation, das ist die Natur des Menschen. Die Tatwaffe, unser Beil, ist so leicht und handlich, dass es selbst eine Großmutter schwingen könnte.«
»Auch wieder wahr«, gab Rieber seinem Kollegen recht.
Das Atelier von Mark Hanson befand sich in einem kleinen Gewerbegebiet. Kein Wunder, dass es hier nachts keine Zeugen gab und niemand etwas gehört hatte.
»Ist das nicht ein bisschen abgelegen?«, stellte Bürg seine erste Frage, »Laufkundschaft verirrt sich da sicher nicht her ...«
»Stimmt«, antwortete ihm Rieber, »aber Hanson konnte sich diese Extravaganz leisten. Die Kunden kamen zu ihm, meistens nach vorheriger Terminvereinbarung. Er hatte einen erlesenen Stamm von kaufwilligen Klienten in seiner Kartei. Offensichtlich war er dafür bekannt, auch ausgefallene Stücke mühelos besorgen zu können. Ehrlich gesagt hatten wir ihn immer im Verdacht, nicht ganz sauber zu sein.«
»Ein Hehler?«, hakte Heerse überrascht nach.
»Ja. Allerdings hatten wir dafür nie irgendwelche Beweise.«
»Vorstrafen?«
»Nein, obwohl er Milieu-Kontakte hatte. Überdies haben wir nach dem Mord in seinem Schreibtisch ein Tütchen Kokain gefunden. War wohl für den Eigenbedarf bestimmt.«
Hauptkommissar Rieber öffnete nun die große, vergitterte Eingangstür des zweistöckigen Gebäudes. Den Schlüssel hatte er sich von der Ehefrau geben lassen.
»Natürlich sind die Räume längst wieder freigegeben. Alle Spuren des Mordes wurden bereits beseitigt. Allerdings stehen die meisten Sachen noch an ihrem ursprünglichen Platz. Die Witwe von Hanson sucht derzeit nach einem Käufer, der das alles übernimmt.«
»Wenigstens das«, erwiderte Heerse und betrat den dunklen Raum. Von den fast bodentiefen bunten Butzenscheiben fiel nur ein trübes Licht auf die endlos langen Reihen exklusiver Antiquitäten.
»Sieht aus wie in einer Kirche«, staunte Bürg.
Rieber, der einen Schalter betätigte und damit das Atelier in ein warmes Licht tauchte, nickte mit dem Kopf. »Ja, die Scheiben sind alten Kirchenfenstern nachempfunden, muss ein Vermögen gekostet haben.«
»Hat Hanson auch hier gewohnt?«
»Nein, oben ist nur ein Lager, gewohnt hat er in einer Villa in Blankenese, zusammen mit seiner Frau Lydia. Die werden Sie später noch kennenlernen. Die gnädige Frau erwartet uns zum Tee«, sagte Rieber nicht ohne eine gehörige Portion Sarkasmus in der Stimme.
»Hat die Ehefrau denn vom Tod ihres Mannes profitiert?«
»Ja und nein«, antwortete der Hamburger. Und als er Heerses fragendes Gesicht sah, sprach er weiter: »Finanziell sicherlich nicht, das Geld stammte von ihr. Sie hat ihrem Mann den Laden vorfinanziert. Später liefen seine Geschäfte dann ganz gut. Und sie hatte ein erstklassiges Alibi für den Mord.«
»Sie hätte jemanden engagieren können«, warf Lukas ein.
»Ja, aber ich denke nicht, dass sie das getan hat. Jedoch möchte ich nichts vorwegnehmen. Besser, Sie bilden sich später selbst ein Urteil.«
»Und worin lag dann der Vorteil, den Lydia Hanson aus dem Tod ihres Mannes gezogen hätte?«, wollte Heerse trotzdem noch wissen.
»Na, sie war ihn los. Mord ist schneller als Scheidung. Das reicht manchmal als Motiv.«
Während Lukas Bürg den Kollegen überrascht ansah, verzog Heerse lediglich sein Gesicht zu einem verstehenden Lächeln. Der Hamburger Kollege hatte recht, oft war es genauso einfach.
»Dann sehen Sie sich einmal um!«, forderte Rieber die Männer auf und machte eine einladende Handbewegung.
In der Halle waren wirklich prachtvolle Stücke untergestellt. Zauberhafte kleine Sekretäre, bei denen Heerses Frau sicher ihr Entzücken mit einem quietschenden Laut ausgedrückt hätte. Massive Vollholzschränke, reich verzierte Anrichten und filigran gearbeitete Kristallleuchter warteten darauf, in einem passenden Haus zum Star der Einrichtung zu werden. Mittlerweile lag eine dünne Staubschicht auf den teuren Möbeln.
Heerse schlenderte mit konzentriertem Blick durch die Reihen. Die erste Standuhr, die er sah, hatte ein zerbrochenes Zifferblatt.
»Ich nehme an, das war unser Täter?«
»So ist es. Er hat laut Spurensicherung das Beil benutzt.«
Heerse trat näher und konnte sogar noch eingetrocknetes Blut erkennen. So gründlich diese Stätte des Todes auch gereinigt worden war, so war es trotzdem nicht gelungen, alle Spuren der schrecklichen Tat zu beseitigen. Als hätte das Verbrechen in diesen Räumen feine Markierungen hinterlassen, auf dass man es ja nicht zu schnell vergessen würde.
Der Hauptkommissar schritt jetzt von Uhr zu Uhr, sah sich alles an und blieb dann vor dem Kamin im hinteren Bereich des Ateliers stehen.
»Hier ist es also geschehen«, sagte er leise, ohne eine Antwort zu erwarten.
Der Raum war elegant und doch gemütlich.
»Wir haben alles durchsucht, keine Hinweise«, sagte nun Rieber, der das Bedürfnis hatte, eine Erklärung abzugeben. »So kamen wir dann auch zu dem Schluss, dass die Tat keinen geschäftlichen, sprich finanziellen Hintergrund hat. Außer dem Beil ist nichts entwendet worden. Und die Zerstörung der Uhren gab keinen Anlass, an einen Raubmord zu glauben. Mark Hanson war ein Playboy, das war allgemein bekannt. Viel Rücksicht hat er bei seinen sexuellen Abenteuern nicht genommen und so dachten wir ...«
»Dass ihm ein eifersüchtiger Ehemann ein Beil in den Schädel gerammt hat.« Heerse sah, wie Rieber unter den harten Worten zusammenzuckte, und fügte versöhnlich an: »Ist ja durchaus logisch, das anzunehmen.«
»Zumal«, beeilte sich Rieber zu sagen, »wir schnell auf Zeugen gestoßen sind, die dabei waren, als Andreas Meiner dem Opfer gedroht hat. Es gab mehrere Szenen dieser Art, bei denen Meiner schrie, er wolle den Hanson töten, wenn der nicht die Finger von seiner Freundin, Sina Wieser, lasse. Er hat sogar davon gesprochen, seinen Nebenbuhler zu erschlagen. Und selbst gegenüber Lydia Hanson hat er sich in der Weise geäußert.«
»Ich weiß, ich habe die Akte gelesen«, beruhigte Heerse den Kollegen. »Wie ich gesagt habe, das war eine ganz logische Schlussfolgerung. Ich hätte Andreas Meiner auch unter dringenden Tatverdacht gestellt.«
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass der sich einfach aufhängt!«, brach es aus Rieber heraus. Das war das erste Mal, dass der Mann seine professionelle Haltung aufgab. »So eine verfluchte Scheiße, das war meine Schuld.«
»Unsinn!«, blaffte Heerse mit Nachdruck, »bei der Beweislage hatten Sie gar keine andere Wahl, als den Kerl festzunehmen. Wir können nicht in den Kopf unseres Gegenübers sehen. Niemand hat ahnen können, dass sich der Kerl umbringt.«
Jedes weitere Wort war überflüssig. Heerse wusste, wie sich sein Kollege fühlte. Solche Dinge konnten passieren und niemand war hinterher in der Lage, etwas rückgängig zu machen. Schuldgefühle ließen sich nicht wegreden, selbst wenn sie vollkommen unbegründet waren. Wie viele andere Polizisten gehörten Heerse und offensichtlich auch Rieber zu denen, die sich die Dinge, die sie in ihrem beruflichen Alltag erlebten, zu Herzen nahmen. Ob sich überhaupt jemand außerhalb des Polizeiapparates vorstellen konnte, wie sehr die Beamten manchmal um ihren Seelenfrieden bangen mussten? Die Erfolge wogen die Enttäuschungen und die Momente der vollkommenen Ohnmacht nämlich selten auf.
Bevor er zu tief in Gedanken versinken konnte, warf Heerse einen Blick auf den kleinen Tisch neben dem Kamin. Er sah die Broschüren von Baden-Baden. Unter anderem gab es einen Prospekt von der Trinkhalle, ein Theaterprogramm und einen aktuellen Veranstaltungskalender.
»Das wäre also die Verbindung zu uns.«
»Jetzt im Nachhinein ist das natürlich auffällig, aber zum damaligen Zeitpunkt hätten hier Broschüren von jeder x-beliebigen Stadt liegen können.«
Heerse nickte. Die Tatsache, dass das Opfer einen Kontakt in Baden-Baden hatte, wurde von den Beamten lediglich zur Kenntnis genommen und schien zum damaligen Zeitpunkt nicht ermittlungsrelevant. Nachdem nun davon auszugehen war, dass eine Verbindung zwischen den Morden bestand, hatte man die Untersuchungen jedoch in diese Richtung gelenkt und war dabei auf Theo von Lohberg gestoßen, der dem Opfer auch die Werbebroschüren mitgebracht hatte. Frank Dorthal sollte sich mit dem Baden-Badener, der ebenfalls Antiquitätenhändler war, in Verbindung setzen. Heerse warf noch einen letzten Blick auf den Kamin und nickte schließlich Rieber und Bürg zu. »Ich denke, wir haben alles gesehen.«
Wohnung von Marion und Frank Dorthal, Baden-Baden
Zur selben Zeit war Marion Dorthal gerade damit beschäftigt, Pläne zu schmieden. Die letzten Tage war Frank besonders zuvorkommend gewesen. Letzte Nacht hatte er sie ganz zärtlich geliebt, so wie am Anfang ihrer Beziehung. Sie hatte sich ihm hingegeben und seine sanften Berührungen genossen. Letzte Nacht war sie ihm seit langer Zeit wieder richtig nahe gewesen. Der schlimme Fall, an dem er arbeitete, hatte ihn verändert, das konnte sie spüren. Mehr denn je war sie entschlossen, ihn so gut wie möglich zu unterstützen.
Nächste Woche hatte er Geburtstag und Marion würde eine kleine Feier vorbereiten. Natürlich hatte sie ihrem Mann noch nichts von der besonderen Überraschung erzählt, die sie bald für ihn hatte. Glücklich blätterte die junge Frau ein paar Deko-Kataloge durch, um sich Ideen für Franks Geburtstag zu holen. Dann zog wie eine dunkle Wolke ein Erinnerungsfetzen vorüber.
Sie war schon einmal so dagesessen und hatte eine Geburtstagsparty geplant. Nichts hatte sie damals dem Zufall überlassen, alles war perfekt gewesen. Bis auf die Freude ihres Vaters. Vor den geladenen Gästen hatte er sie für die in seinen Augen geschmacklose Tischdekoration getadelt.
»Ich bin ein seriöser Geschäftsmann und feiere hier keinen Kindergeburtstag!«
Die Worte trafen sie wie Schläge. Nur wenige der Gäste lachten amüsiert, den meisten war dieser Auftritt peinlich. Marion erinnerte sich an die mitleidigen Blicke, die sie trafen. Den ganzen Abend über wurde ihr Vater nicht müde, ihr die gastgeberischen Fähigkeiten abzusprechen. Einmal bemerkte er sogar, dass er manchmal daran zweifelte, ob Marion überhaupt sein Blut in ihren Adern hätte. Eine der geladenen Damen versicherte ihr zwar später, dass der Abend nicht hätte schöner sein können, aber nach diesen Demütigungen war das kein Trost.
In jener Nacht weinte sie sich wieder einmal in den Schlaf und erlebte ein neues, bisher unbekanntes Gefühl. Ganz plötzlich war es da und breitete sich sofort rücksichtlos in ihr aus. Der Hass besuchte sie in dieser Nacht und er war intensiver als der Schmerz, den sie empfand. In dieser einsamen Stunde wünschte sie sich von ganzem Herzen, dass ihr Vater sterben würde. Ja, sie flehte sogar Gott an, ihn aus ihrem Leben zu tilgen. Zwei Monate später lag der Vater tot in seinem Arbeitszimmer.
Marion hatte das nie jemandem erzählt. Seither trug sie eine Schuld in sich und hoffte, dass dieser Hass nie wieder so stark in ihr werden würde. Aber manchmal, in den Nächten, vor allem, wenn Frank nicht da war, brodelte dieses Gefühl in ihrem Inneren. Dann fühlte sie sich, als bekäme sie hohes Fieber und könnte sich nicht mehr kontrollieren.
Marion schüttelte sich wie eine nasse Katze, als würden so diese lästigen Gedanken verschwinden. Dann entspannte sich ihr verkrampftes Gesicht und sie hörte auf, in dem Katalog zu blättern, während sie dachte: Ich glaube, ich nehme apfelgrüne Stoffservietten.
Befragung von Lydia Hanson, Hamburg
Nach dem Besuch von Mark Hansons Atelier gingen die Männer in eine urige Hamburger Kneipe und aßen dort einen großen Teller deftige Aalsuppe. Entgegen jedem Gerücht war tatsächlich Aal in dieser Suppe und die beiden Polizisten aus dem Schwarzwald genossen, sehr zur Freude von Hauptkommissar Rieber, dieses typische norddeutsche Gericht mit der süßsauren Note.
Während des Essens gingen die Beamten noch einmal die Berichte und Zeugenaussagen durch.
Eine gewisse Emma Rafalski hatte die Leiche gefunden. Die Frau war als Reinigungskraft im Atelier angestellt und fand am Morgen des 16. Januar die Tür unverschlossen, der Schlüssel steckte von innen. Befragt zu Mark Hansons Person, machte sie folgende Angaben: »Mark Hanson war ein charmanter Mann. Die Frauen machten es ihm leicht und er konnte keiner Versuchung widerstehen. Mit den Schlüpfern, BHs und Seidenstrümpfen, die ich beim Aufräumen im Laufe der Jahre im Atelier gefunden habe, hätte ich leicht ein Geschäft für Damenunterbekleidung eröffnen können.«
Heerse konnte sich bei dieser Beschreibung von Mark Hansons Liebesleben ein Grinsen nicht verkneifen.
Dann gab es noch die Aussage des Barmanns vom »Lula-Klub«, ein Lokal, in dem Mark Hanson regelmäßig verkehrt hatte und auch an dem Abend seines Todes gesehen worden war. Der Lula-Klub war eine In-Kneipe, die bis sechs Uhr morgens geöffnet hatte. Das Publikum war gemischt. Zwielichtige und schillernde Gestalten gingen dort ein und aus. Aber auch die, die einfach nur hipp sein wollten.
Bei der Befragung sagte der Barmann: »Mark ging allein, so gegen halb eins. Hat sich wie immer bei mir verabschiedet. In der Nacht war die Hölle los! Ich habe nicht gesehen, ob er jemanden dabei hatte, als er das Lula verließ.«
Genauso unergiebig waren auch die Zeugenaussagen der Angestellten und der anderen Gäste – keiner hatte etwas gesehen.
Nach Mark Hansons Frauenbekanntschaften gefragt, war das einhellige Urteil, dass der Hanson, wenn ihm eine gefiel, unnachgiebig wie ein Terrier war. Meistens übrigens erfolgreich.
Wenn die Affäre ihm dann zu ernst wurde, dann behauptete er, er könne seine Frau nicht verlassen, weil sie zu alt, zu krank oder zu verrückt wäre, und beendete die Sache.
Trotzdem beschrieben ihn alle als sympathischen Typ.
Bezüglich Andreas Meiner, dem mutmaßlichen Täter, gab es jede Menge Zeugenaussagen. Die Befragten bestätigten, dass Meiner Mark Hanson bedroht hatte, selbst als dessen Beziehung mit Sina Wieser längst vorbei gewesen war.
Heerse wusste zudem, dass bereits die meisten von Mark Hansons Affären von den Hamburger Kollegen aufgespürt worden waren. Tatsächlich hatten sich viele schockiert über den Tod ihres einstigen Liebhabers gezeigt. Die meisten hatten geweint und nur einige wenige ihn als Schwein bezeichnet. Die Damen waren bereits alle überprüft worden, ohne Ergebnis. Das Gleiche galt für etwaige eifersüchtige Partner.
Natürlich musste nun auch Gerd Rieber noch einmal von vorne anfangen und das Umfeld von Mark Hanson erneut durchleuchten. Dieses Mal galt es, Verbindungen zu den Opfern und Morden in Baden-Baden zu finden. Das war wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Am Tatort hatte man zwar jede Menge Spuren gefunden – aber was nützte das, wenn es dazu keine Vergleichsproben gab? Und die, die es gab, brachten die Beamten nicht weiter. Lydia Hanson hatte ein Alibi, Emma Rafalski kein Motiv – alles Sackgassen.
»Können wir?«, fragte Rieber nach dem Essen und die Kollegen nickten. Ihr nächster Weg führte sie zu Lydia Hanson, der Frau des Opfers.
* * *
Die Villa von Lydia und Mark Hanson lag hinter einer hohen und dicken Mauer. Unverkennbar gab es hier ein modernes Sicherheitssystem. Über die Gegensprechanlage am Tor meldeten sich die Beamten an.
Heerse war gespannt, was sie gleich erwarten würde, und war überrascht, als ihnen die Haustür von Frau Hanson persönlich geöffnet wurde. Parallel dazu schossen ungefähr fünf Hunde in allen möglichen Größen und Fellvarianten mit lautem Gebell auf die Männer zu.
»Ach, haltet die Klappe, ihr verrückten Köter, das ist doch nur die Polizei!« Lydia Hanson übertönte mit ihrer rauen Stimme die Tiere.
»Ja, dreht eure Runde, na los«, gab sie den Vierbeinern zur Antwort, und als ihre Hand eine auffordernde Bewegung machte, stoben die Fellknäule davon.
Erst jetzt blickte sie zu ihren Besuchern. Lydia Hanson mochte Ende fünfzig sein. Ihr Haar war grau und zu einem festen Zopf geflochten. Ihr Gesicht hatte eine leichte Bräune und die stahlblauen Augen bohrten sich nun unbarmherzig in die Gesichter der drei Beamten.
»Was haben Sie erwartet?«, wandte sie sich nun spöttisch an den Hauptkommissar aus Baden-Baden, »eine durchgestylte Witwe im Chiffonkleid, die besonders zartbesaitet ist?«
Augenblicklich hatte Heerse verstanden, was Rieber mit seinen Bemerkungen gemeint hatte.
Er lächelte. »Ehrlich gesagt, ja, aber Direktheit ist mir in meinem Beruf eigentlich lieber. Das vereinfacht die Dinge.«
Lydia Hanson starrte ihr Gegenüber an, ohne zu blinzeln, dann sagte sie: »Ist das so?«, gab die Tür frei und bat die Männer einzutreten.
Das Haus war sehr geschmackvoll eingerichtet. Als die Polizisten das große Wohnzimmer betraten, sah Heerse, dass sie nicht alleine waren. Als wären sie ausgestopft, saßen völlig regungslos drei Katzen zwischen den Kissen. Lydia folgte Heerses Blick und brummte: »Falls jemand eine Katzenallergie hat, muss er auf die Terrasse.«
Ein kleiner schwarzer Kater nahm vor den Besuchern Reißaus und verschwand hinter einem Blumenkübel.
»Der ist noch scheu, wurde mir erst vor drei Tagen gebracht. Ausgesetzt auf der Autobahn, scheiß Menschen ...«, knurrte ihre Gastgeberin und zündete sich eine Zigarette an. Die Schachtel legte sie auf den Tisch und sagte: »Bedienen Sie sich!«
»Was heißt, man hat Ihnen das Tier gebracht?«, fragte Heerse neugierig. Am meisten erfuhr man über Menschen, wenn die über das sprachen, was sie bewegte.
»Ich bin eine von diesen hoffnungslosen Verrückten.«
»Tierschutz?«
Lydia grinste: »Das ist ein großes Wort. Mit den Jahren hat sich herumgesprochen, dass ich nicht Nein sagen kann. Also bringen mir diese Tierschutztanten ihre hoffnungslosen Fälle. Ich päppele sie auf und dann habe ich die Viecher auf Lebenszeit an der Backe.«
Heerse verstand. Hinter dieser ruppigen Fassade schlug also ein butterweiches Herz.
Ohne besondere Freundlichkeit knallte Lydia jedem eine gefüllte Teetasse vor die Nase und sah dann auffordernd in Heerses Richtung.
»Sie wissen, warum wir gekommen sind?«, fragte dieser.
Lydia drückte energisch ihre Zigarette aus. »Es geht um den Mord an meinem Mann. Der Meiner war es also doch nicht. Hätte mich ehrlich gesagt auch gewundert, der Kerl war ein Schlappschwanz.«
Lukas Bürg hatte gerade seine Tasse angesetzt, hielt aber mitten in der Bewegung inne, so verblüfften ihn diese Worte.
Heerse gab Lydia bezüglich Andreas Meiner keine Erklärungen, sondern sagte stattdessen geduldig: »Könnten Sie das etwas ausführen?«
Lydia warf einen Blick zu Rieber, dem man ansah, dass er sich in Gegenwart dieser Frau nicht wohlfühlte.
»Ich habe dem Herrn Hauptkommissar gleich gesagt, dass der Kleine das nicht bringen würde. Der war ein Schlappschwanz. Ist bei mir aufgekreuzt und hat sich die Seele aus dem Leib geheult. ›Meine Sina, meine Sina‹«, äffte sie jetzt Andreas Meiner in jämmerlichem Ton nach. »Wenn ich so etwas höre«, rief sie genervt, »diese Sina war eine Schlampe. Der Meiner war viel zu gut für die.«
»Aber er hat Ihrem Mann doch gedroht?«, hakte nun Lukas Bürg nach.
»Ja und? Ich drohe ständig irgendwelchen Menschen. Bisher habe ich noch nicht mal eine Ohrfeige verteilt und das wäre manchmal bei Gott notwendig gewesen«, antwortete sie voller Inbrunst.
»Und wieso war er dann ein Schlappschwanz?«, wieder stellte Lukas Bürg die Frage.
»Weil er dieser kleinen Schlampe hinterhergerannt ist wie ein Schoßhündchen. Hätte sie rausschmeißen sollen und sich eine andere suchen. Ich habe ihm gesagt, dass die Welt voller gebärfreudiger Singlefrauen ist, aber das war ihm offensichtlich kein Trost.«
Bevor jemand anderes etwas sagen konnte, mischte sich Heerse wieder ein. »Sie haben die Affären Ihres Mannes also toleriert? Nie den Gedanken gehabt, sich zu trennen?« Seine Stimme war freundlich und ohne Spott.
Lydia steckte sich eine neue Zigarette an. Ihre blauen Augen schienen jetzt sanfter.
»Wissen Sie noch, was ich Ihnen vorhin über die Streuner gesagt habe?«
Heerse nickte.
»Mark war genauso ein Streuner. Kam in mein Haus, ließ sich von mir aufpäppeln und blieb. Weiß der Teufel, warum. Wir hatten einen Ehevertrag, der ihn im Falle einer Scheidung großzügig bedacht hätte. Und bevor Sie fragen, wenn ich vor ihm gestorben wäre, hätte sich an der Summe nichts geändert. Den größten Teil meines Vermögens hinterlasse ich dem Tierschutz. Sie sehen also, aus finanziellen Gründen hätte er nicht verheiratet bleiben müssen. Im Gegenteil, nach einer Trennung wäre es ihm sicher besser gegangen. Hätte ja keine Aufpasserin mehr gehabt.«
»Verstehe ...«
»Ach wirklich?«, gab sie fast zornig zurück und plötzlich konnte man in diesem sonst so harten Gesicht eine erschreckende Verletzlichkeit erkennen.
»Er war Ihr Mann. Es tut mir sehr leid, dass wir Sie erneut belästigen müssen.«
Heerse legte ihr die Hand auf den Arm und drückte ihn kurz.
Lydia Hanson ließ es zu, blickte nicht auf und kämpfte gegen die Tränen an. Für diesen kurzen Moment war sie genau das, was jeder von ihr erwartete. Eine trauernde Witwe, die noch nicht in der Lage war, das Schreckliche zu begreifen. Aber Lydia Hanson gewährte den Menschen keinen Einblick in ihre Seele. Diese Frau hatte schon vor langer Zeit eine schützende Distanz zu ihrer Umgebung geschaffen und gestattete nur den wenigsten, diese zu überwinden.
Sie räusperte sich kurz, straffte die Schultern und atmete durch. »Mark hat mich mit den Tieren immer unterstützt. Sie hätten sehen sollen, wie die auf ihn abgefahren sind. Tiere spüren, wie jemand ist. Und Mark war ein guter Mensch.«
Nun entspannte sie sich völlig und fand zu ihrer alten Form zurück. »Seine Weibergeschichten hätten natürlich nicht sein müssen, aber es war ja nicht so, dass er diese Tussis mit nach Hause gebracht hätte, so wie ich die Katzen.«
»Wussten Sie, wenn er mit jemandem zusammen war?«
»Manchmal.«
»Haben Sie eine Ahnung, ob er sich kurz vor seinem Tod mit jemandem traf?«
Lydia kaute an ihrer Unterlippe und überlegte. »Wenn ich so darüber nachdenke, dann würde ich sagen, das ist gut möglich. Aber Mark war ja immer irgendwie auf der Pirsch.«
Auf Heerses fragenden Blick hin verzog sie ihr Gesicht. »Er hatte stets ein Weibchen im Visier. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Aber wer es war, wissen Sie nicht?«
»Nein, leider. Aber vermutlich war sie jung und hübsch. So war sein Beuteschema. Ich habe mich oft gefragt, wie so ein alter Sack immer noch die jungen Mädchen rumkriegen kann. Aber offensichtlich war er darin sehr talentiert.«
»Was ist mit Baden-Baden? Fällt Ihnen dazu im Zusammenhang mit Ihrem Mann noch etwas ein?«
»Es geht um diese grausigen Morde aus der Zeitung, nicht wahr?«
Heerse machte eine entsprechende Geste und Lydia verstand.
»Fällt Ihnen zu Baden-Baden etwas ein?«, wiederholte Heerse seine Frage.
Lydia zuckte mit den Schultern. »Nur der unglückliche Schwule, Theo! Aber auf den werden Sie ja bereits alleine gekommen sein.«
Rieber stieß geräuschvoll die Luft aus und Lukas Bürg zündete sich eine Zigarette an.
Auch Heerse war erstaunt. »Wieso der Unglückliche?«
»Na, weil er hoffnungslos in meinen Mann verliebt war.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte nun Lukas Bürg die Zeugin.
»So etwas merkt man einfach.«
»Und wusste Ihr Mann davon? Gab es Annäherungsversuche, bedrängte Herr von Lohberg Ihren Mann?«
»Gütiger Himmel, Herr Hauptkommissar. Sie müssen Theo kennenlernen, dann wissen Sie, wie absurd diese Frage ist. Theo ist eher der Typ ›Ich leide still‹. Ich glaube nicht, dass mein Mann davon wusste, und ich habe nichts gesagt.«
»Und warum nicht?«, fragte Lukas.
Mit einem spitzbübischen Lächeln antwortete sie: »Ich dachte, dass mein Göttergatte schon mit einem Geschlecht genug zu tun hätte.«
Als sich die Beamten von Lydia Hanson verabschiedeten, reichte ihr Heerse seine Hand und sagte: »Es tut mir wirklich aufrichtig leid.«
Lydia Hanson antwortete nur mit einem rauen »Danke«.